Prof. Dr. Helmut Birkhan
wurde 1938 in Wien geboren. Der Autor ist Wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie Auswärtiges Mitglied der Akademien in Heidelberg und Oslo. Seine Spezialgebiete umfassen die Keltologie, der er sich verstärkt seit seiner Habilitationsschrift »Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur« widmete, sowie die Germanistik mit dem Schwerpunkt auf den Deutschen Literaturen des hohen und späten Mittelalters und den Germanischen Sprachen vom Indogermanischen bis ins Mittelhochdeutsche. Nach seiner Emeritierung im Herbst 2006 lehrt er weiterhin an der Universität Wien.
»Wo Kelten einmal waren, leben sie fort«
HERMANN BAHR
Die Kelten gelten heute oft als ebenso geheimnisvolles Barbarenvolk Alteuropas, das man gerne als die eigenen Ahnen ansieht. Sehr oft verbindet man sie auch mit einem ganz speziellen, angeblich sehr naturnahen Geheimwissen. Das Buch untersucht die allfälligen kulturellen und historischen Spuren dieses Geheimwissens, dessen Träger im Altertum der Priesterstand der Druiden war. Als das Druidentum mit der Christianisierung obsolet wurde, erschienen vor allem die Barden als Verwalter geheimen Wissens, das sich besonders in Wales geradezu zu einer Art Bardenideologie und -theologie entwickelte. Diese leben bis heute in nationalwalisischen Veranstaltungen, bei denen dann auch wieder »Druiden« als historistische Reminiszenz auftreten, aber auch in bestimmten Freimaurerorden weiter.
Das Geheimwissen der Kelten
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Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014
Lektorat: Hans Joachim Kuhn
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
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ISBN: 978-3-8438-0425-7
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Vorwort
Zur Aussprache des Inselkeltischen
Altirisch
Walisisch = Kymrisch
Einleitung: Was ist Geheimwissen und wie geheim ist es?
Die Innen- und Außenansicht des »Geheimwissens« – seine subjektive und objektive Funktion und Einführendes zum Geheimwissen der alten Kelten
Die subjektive Esoterik
Fallbeispiel Gundestrup-Kessel
I. TEIL
Das Geheimwissen der Druiden, Magier und Seher im Altertum
Poseidonios von Apameia und C. Iulius Caesar
Druide – Wort und Funktion
Alter des Druidentums
Druidenpolitik
Kultorte
Heilige Pflanzen und Schlangen-Ei
Kultgewand und Würdezeichen
Mantik und Opfer
Archäologische Hinweise auf druidisches Wirken?
Heilige Frauen
Magische Texte
Druiden- und Arztgräber
Druiden als Gelehrte
Ogam
Druiden als »Philosophen«
Rechtspflege und rechtliche Stellung
Druiden im frühmittelalterlichen Irland
Himmelseinsturz und Wiedergeburtsglaube in der Antike und im alten Irland
II. TEIL
Bardenesoterik im Altertum und im Mittelalter
Altertum
Mittelalter: die Inselkelten
Heroisches Bardenwort in Britannien und Irland
Die filid im mittelalterlichen Irland
Die Barden im mittelalterlichen Wales am Beispiel des Taliesin-Komplexes
Der Taliesin des 6. Jahrhunderts
Die »Taliesin«-Mystik des Hochmittelalters
III. TEIL
Die objektive Esoterik der Barden in georgianischer und viktorianischer Zeit – das Morgenrot der neuen Druiden
Von John Aubrey bis Iolo Morganwg und William Price
Der Barddas und der walisische Neodruidismus bis zur Gegenwart
ANHANG
1. Bibliographisches und Abkürzungsverzeichnis
2. Verzeichnis der Abbildungen / Quellennachweise
Ein Buch über das »Geheimwissen der Kelten« zu schreiben, schien mir verlockend. Insbesondere reizte mich die historische Dimension der Entwicklung solch eines »Geheimwissens«, sowohl in der Antike als auch bei den Inselkelten im Mittelalter und der Neuzeit.
Aber fast gleichzeitig tauchten auch zwei Momente des Zweifels auf:
Zunächst die Frage, ob die Quellenlage eine seriöse Monographie dieses Titels hinsichtlich des Altertums zulässt. Dazu kam, was die Entwicklung des Bardismus in der Neuzeit angeht, dass ich als Keltologe für die moderne Keltenmystik keine allzu große Sympathie hege.
Ein zweites Moment schien mir gewichtiger. Es hängt mit meiner wissenschaftlichen Publikationstätigkeit zusammen. Wer mein Schriftenverzeichnis besieht, wird feststellen, dass ich mich in recht umfangreichen Arbeiten zum Thema der keltischen Geisteskultur in Antike und Mittelalter geäußert habe. In dem Buch »Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur« (B1) befassen sich etliche Textabschnitte mit dem hier behandelten Thema innerhalb des ersten »keltischen Jahrtausends« (ca. 500 v. Chr. – ca. 500 n. Chr.). Ein ähnliches Verhältnis bietet der Bildband »Kelten. Bilder ihrer Kultur« (B2). Dazu kommt die »Nachantike Keltenrezeption« (B3), in der ich mich auch mit dem Weiterleben mancher oft aus zweiter und dritter Hand gewonnener Aspekte der keltischen Kultur bis in die Gegenwart beschäftige. Dort versuche ich zu zeigen, dass die großartigen Geschenke, die wir den Kelten verdanken, so unterschiedlich sind wie etwa die irische Mission und die Ossiansage, insbesondere aber der Wunderbau des Artus- und Tristanthemas, von dem die Künste seit dem Hochmittelalter zehren – vielfach bis heute. Dagegen traten die Neubelebung der Bardenkunst und die Wiederaufnahme des Druidismus (oder was man dafür hielt) an Bedeutung zurück. Aber immerhin hatte ich mich auch damit in der »Nachantiken Keltenrezeption« beschäftigt.
Dass ich das Buch nun doch gerne geschrieben habe, beruht vor allem auf der Faszination, welche die altkymrischen Urbarden Taliesin und Aneirin auf mich ausüben, und natürlich auch des Druidentums und der Traditionsbildung, die es anregte. Darüber hinaus waren es zwei Neuerscheinungen, die mich zum Wiederaufgreifen der vertrauten Themata bewogen haben.
Da ist zunächst voll Dankbarkeit der Althistoriker Andreas Hofeneder zu erwähnen, der durch seine musterhaft kritischen Ausgaben, Übersetzungen und Kommentare das historische Material der antiken Nachrichten über die keltische Religion in seiner Gesamtheit gesichtet und der Forschung neu erschlossen hat. Sein Werk, insbesondere die kritischen Diskussionen der einzelnen Passagen, stellt für die keltische Religionsgeschichte neue Standards auf. Ich selbst habe aus den drei Bänden Hofeneders (H1-H3) sehr viel gelernt und – das ist nun einmal der Fortschritt auch in unserer Wissenschaft – mein Verständnis und meine Auffassung der antiken Belege an mehr als einer Stelle revidieren müssen. Bei deren Übersetzung habe ich mich schon um der Einheitlichkeit willen meist an seine in ihrer Genauigkeit untadeligen Übertragungen gehalten, auch wenn sie – ganz selten – nicht genau meinem Stilgefühl entsprachen. Jedenfalls stehen wir alle Andreas Hofeneder gegenüber in einer gewaltigen Dankesschuld.1
Im zweiten Teil des Buches, der von den Barden des Mittelalters sowie denen der georgianischen und viktorianischen Epoche handelt, war es mir neben Anderem ein Anliegen, die wichtigsten dem Taliesin zugeschriebenen Werke, die auf Arkanwissen zu deuten scheinen – wie etwa die berühmte »Schlacht der Bäume« (Kat Godeu) –, in den Vordergrund zu stellen. Hier kommt nun die zweite Neuerscheinung ins Spiel, der die entsprechenden Abschnitte viel verdanken: das umfassende (491 eng bedruckte Seiten!) und bei aller stilistischen Leichtfüßigkeit höchst gelehrte Buch »Blood and Mistletoe. The History of the Druids in Britain« von Ronald Hutton (2011). Es vertieft sich in sehr anregender Weise dort, wo ich, der ich hier ein ungleich umfangreicheres Thema zu bewältigen hatte, zur Kürze gezwungen war. So wie Hofeneders Monumentalwerk wird auch das Huttons in seinem Informationsreichtum, der Genauigkeit der Recherche und seinen vorzüglichen Analysen nicht leicht zu übertreffen sein.
Ich zeichne also im Folgenden kritisch nach, was wir umrisshaft als mögliches Geheimwissen der Druiden herausschälen können. Der dabei eingeschlagene umwegige Zugang ist nötig, weil die Druiden selbst ja ihre Tradition nicht schriftlich überlieferten, so dass sie nur ganz allgemein nach Themenbereichen erschließbar ist. Bei deren Erfassung kommen uns aber die Sprachwissenschaft, die archäologischen Daten (vor allem auch vieler Neufunde), sogar einschlägige indische Traditionen, sowie bestimmte frühmittelalterliche, archaische Überlieferungen der Inselkelten zu Hilfe. Da es aber zum Wesen des Geheimwissens gehört, geheim respektive schwer zugänglich zu sein, werden uns die eigentlichen inhaltlichen Details der Druidenlehre immer verschlossen bleiben.
Über die Barden erfahren wir aus der Antike nur, dass sie angesehen waren und ihre Darbietungen vermutlich eine intensive Ausbildung in der Dichtkunst und im Leierspiel erforderten. Mit der Christianisierung verloren in Irland die Druiden allmählich an Bedeutung, ein Vorgang, mit dem sich John Minahanes kenntnisreiches Buch »The Christian Druids« (Minahane [2008]) beschäftigt. Die weiteren Geschicke des bardischen Wissens, das mit seinen extrem komplizierten formalen Ansprüchen sicher auch als Geheimwissen bezeichnet werden kann, lassen sich dann besonders gut in Britannien am Beispiel des Urbarden Taliesin zeigen. Hier beobachten wir auch, wie im Hochmittelalter zunehmend neben der »rationalen« Verfeinerung ein gleichsam irrationales Gegengewicht in der Gestalt des Visionärs (der beiden Merline) aufkommt. Aber auch um Taliesin selbst entsteht eine Bardenmystik, deren Rätselhaftigkeit wohl schon dem Mittelalter Kopfzerbrechen bereitete und erst recht uns heute. Gerade diese Werke wurden im 18. und 19. Jh. zusammen mit der »Mystik des Großen Steins« (z.B. Stonehenge) zur Keimzelle umfangreicher Fälschungen, aus denen dann in Wales, später auch in der Bretagne und in Cornwall, eine Wiederbelebung der Eisteddfod-Kultur hervorgehen sollte. Andererseits verband sich dieses neue Geheimwissen mit dem der Freimaurer, was sich in einer Fülle von zumeist heute noch aktiven Orden niederschlug.
Der Bogen, den ich hier spanne, umfasst also weit mehr als 2000 Jahre.
Wie immer darf ich lieben Geistern Dank sagen, die mein Opus korrigiert haben. Zu danken habe ich aber auch meiner lieben Freundin Dr. Angharad Price (Caernarfon), die 2002 auf der Eisteddfod den Bardenpreis für Prosa errungen hat, und der derzeit regierenden Erzdruidin Christine für freundliche Auskünfte.
Dankbar bin ich den Verfügungsberechtigten über die hier wiedergegebenen Bilder für die Erlaubnis, sie aufzunehmen.
Mein besonderer Dank gilt freilich dem Verlag.
Gewidmet ist das Buch meinem genius cucullatus.
In der »Hellen Waldschlägerung« (Vindo-bona) am Tag samonios
H. B.
1Trotz des ähnlichen Titels hat mein Buch nichts mit Lengyel (1991) gemein. Sein Verfasser konzentriert sich auf die barbarisierten Münzen der Festlandkelten, deren überinterpretierte Motive er kühn mit Druidenwissen und inselkeltischen Traditionen verbindet: Alles Runde ist Abbildung des »Schlangen-Eies« (s. S. 56–58) usw. Da finden sich denn Abschnitte wie »Der keltische Relativitätsbegriff« oder »Der Sieg der tellurischen Doktrin«. Dabei geht Lengyel davon aus, dass die Münzprägung den Druiden oblag, wofür es nicht den Schatten eines Hinweises gibt. Die oft sorglos und fehlerhaft geprägten Münzen sollen dabei das Werk von Druidenlehrlingen sein (S. 189) usw. Obwohl oder gerade weil Lengyels umfangreiches Werk so gut wie keine Meriten im engeren Sinn von Wissenschaftlichkeit hat, ist es zur Hauspostille neodruidischer Esoteriker geworden.
Während das Gallische ungefähr wie das Lateinische auszusprechen ist (s. S. 89, Anm. 40), ist die Aussprache des Inselkeltischen komplizierter, steht aber im Allgemeinen etwa der des Deutschen viel näher als der des Englischen.
Die Ausspracheregeln sind so schwierig, dass ich mich mit einer behelfsweisen Annäherung nach dem Vorbild von Jeffrey Gantz (1981) begnügen muss.
Der Wortakzent liegt in der Regel auf der ersten Silbe.
Die Verschlusslaute werden im Anlaut gewöhnlich wie im Deutschen gesprochen, im In- und Auslaut hingegen wie Reibelaute.
Bei den Vokalen bedeutet der Akzent Länge.
b-: Bach; -b-, -b: Ravensburg, engl. have
c-, cc-: Kabel; -c-, -c: Egge, engl. egg
d-: Dach; -d-, -d: engl. neither
g-: Garten; -g-, -g: norddeutsch sagen
p-: Peter; -p-, -p: aber, engl. job
t-: Tor; -t-, -t: Ader, engl. bad
ch: Bach
f: fein
f = fh: wird nicht gesprochen
h-: Hase
s, ss vor oder nach a, o, u, im Auslaut: hassen
s, ss vor oder nach e, i, oder im Auslaut: schießen
th: engl. thin
l, ll: lau
m-, mb, mm: müde, -m-, -m: Ravensburg, engl. of
n, nd, nn: nie
a, ai: machen |
o, oi: von |
á, ái: bairisch gråd |
ó, ói: Moos |
áe, aí: Eile |
óe, oí: engl. oil |
e, ei, éo, éoi: Bett |
u, ui: Lust |
i: Kind |
ú, úi: Rune |
í, íu, íui: nie |
úa, úai: bairisch guat. |
ía, íai: bairisch liab |
|
Auch hier steht die Aussprache der des Deutschen näher als der des Englischen.
Der Wortakzent lag im Mittelalter auf der letzten Silbe. Es ist aber üblich, auch das Alt- und Mittelwalisische mit dem modernen Akzent auf der vorletzten Silbe auszusprechen.
Die Aussprache der Konsonanten b, ch, d, -ff-, g, ng, h, k, l, m, n, p, r, s, t entspricht der der deutschen. Abweichend sind:
c: Kabel
dd: engl. neither
f: Vase
ff-: Fenster
ll: ein stimmloses l. Man versuche l zu sprechen und dann den Stimmton wegzulassen. Gelingt dies nicht, kann man als Lautersatz die Konsonantengruppe chl wie in lächeln sprechen.
ph: Fenster
rh: ein stimmloses Zungenspitzen-r, das man wie ll erlernen kann. Sonst behelfe man sich mit hr- wie in tschechisch hrad.
th: engl. month.
v: Vase
Die kurzen und langen Vokale a, e, i, o entsprechen den deutschen. Der Akzent ^ bezeichnet Vokallänge. Der Lautwert der Diphthonge ist immer der der nebeneinanderstehenden Einzelvokale, z.B.: ae = a + e
u, heute ein i-ähnlicher Laut, war im Mittelalter ü wie in müsste, üben
w: musste, nun
y: in den meisten Einsilblern und in der letzten Silbe langes oder kurzes i wie in Biest und bist. Ebenso in Diphthongen, daher wy: hui!
Bei wenigen Einsilblern wie dem Artikel y, yr und in der nicht-letzten Silbe ist y ein langer oder kurzer offener ö-artiger Laut wie in möchte, Mönch, rösten, jedoch nie langes ö wie in Röslein, böse, Röte. Englische Lehrbücher vergleichen das u in engl. hurdle. Die korrekteste Beschreibung ist wohl die eines gedehnten Schwa [ə] wie in sagen.
Der Begriff »Geheimwissen« enthält zwei Informationen: Es handelt sich, wie das Grundwort sagt, um ein Wissen, das nach Angabe des Bestimmungswortes nicht allgemein zugänglich, sondern einer bestimmten Gruppe der Gesellschaftv o r b e h a l t e n ,dem nicht der Gruppe Angehörigenv o r e n t h a l t e nwird. Es ist also ein esoterisches Wissen, der griechischen Wortbedeutung nach (gr. esṓteron ›das Innere‹), insofern es den Angehörigen eines »inneren« Kreises mit einer intimeren Kenntnis einer Sache betrifft, die den Nicht-Zugehörigen, der exoterischen Umwelt, fremd bleibt. Für diese ist das Wissen geheim, ein arcanum, das auf anderer Ebene liegen oder größer sein muss als etwa die Fachkenntnis und Kniffe eines Berufs und an dem religiöse Vorstellungen in mehr oder minder großem Maße Anteil haben.
Die Herstellung einer besonders wohlschmeckenden Sauce béarnaise kann ein Berufsgeheimnis, dadurch ein geheimes Wissen, aber doch kein »Geheimwissen« im Sinne dieses Buches sein. Würde dahinter eine eigentümliche Koch- oder Küchentheorie stecken, die nur in einem engen Kreis verbreitet wird, so könnte man schon eher von einem »kulinarischen Geheimwissen« im Sinne kulinarischer Esoterik sprechen. Ein besseres Beispiel bietet das Steinmetzwesen der mittelalterlichen Bauhütte. Hier hat die handwerkliche Technik etwa bei der Herstellung des Maßwerks kein arcanum gebildet, denn in der Zeit der Gotik mussten dies alle »zünftigen« Steinmetze beherrschen, wenn sie einen Profanbau wie etwa ein Rathaus errichteten. Das Geheimwissen lag vielmehr in dem spezifischen Selbstverständnis der Symbolik des Bauens, des Baus und seiner Elemente: Gedanken, die in die mittelalterliche Theologie zurückreichen und bekanntlich in stark veränderter Form in der Freimaurerei, die ja auch in unserm Zusammenhang noch eine Rolle spielen wird, weiterleben. Doch haben sich im Mittelalter und noch in der frühen Neuzeit die meisten Handwerke zu Zünften zusammengeschlossen, die tatsächlich eine Art Geheimwissen, meist über den Ursprung des Gewerbes, eine Art Kultgegenstand wie etwa – nach dem Vorbild der alttestamentarischen Bundeslade – die Zunfttruhe, sowie bestimmte Aufnahme- und Festriten auszeichneten.
Das Geheimnis ist etwas Relatives, auf den gesellschaftlichen Kontext Bezogenes.
Die christlichen Sakramente wie Taufe und Abendmahl sind in ihrer Bedeutung unter Katholiken allgemein bekannt, wenn auch das eigentliche Wesen z.B. der Wandlung aus der Sicht des Theologen ein Mysterium bildet, weshalb die des Weins in der katholischen Messe auch mysterium fidei ›Geheimnis des Glaubens‹ genannt wird. Auch das Rosenkranzgebet besteht aus 20 »Geheimnissen«.
Während der Ablauf der Sakramenterteilung in seinen Gesten und Worten für den Laien nichts Geheimnisvolles hat, war das im Altertum, als das Christentum eine noch nicht öffentlich etablierte Katakombenreligon war, die das mysterium fidei zusammenhielt, anders. Im exoterischen Umfeld konnten allerlei kuriose (und polemische) Vorstellungen entstehen, wie das berühmte Spottkrucifix mit einem eselsköpfigen Gekreuzigten (erste Hälfte des 3. Jh.s) vom Palatin in Rom lehrt. Tatsächlich hat man den Frühchristen die Verehrung eines Eselskopfs vorgeworfen (Minucius Felix Octavius 28,7; H3 145.).
Dies ist die Außenansicht des Geheimwissens, und zwar eine unterstellte, die von dem Nicht-Dazugehörenden ausgeht. Um auf die Kelten zurückzukommen, also nicht das primäre, von ihnen selbst geübte »subjektive Geheimwissen«, sondern die von einem externen Betrachter wie etwa einem Römer an den zum Objekt gemachten Kelten wahrgenommene und diese die Wahrnehmung selbst bestimmende »objektive Esoterik«.
Dem Folgenden vorgreifend, wollen wir hier am Beispiel des Druidentums, einer typisch keltischen und z. B. den Germanen unbekannten Institution (Caesar, b. G. 6, 21,1), die unter diesem Namen spätestens seit dem ersten Drittel des 2. Jh.s v. Chr. bekannt ist (H1 76), feststellen:
Die Druiden waren Träger eines reichen Geheimwissens, das sie als eine subjektive, ihnen kollektiv angehörende Esoterik pflegten, die wir »primär« nennen, und an dem sie, wie Dionysios von Halikarnass (antiquitates Romanae 7, 70,4) andeutet, wenn er den allgemeinen Traditionalismus betont, zäh festhielten (H2 139f.). Ein Hauptzeugnis, das in nuce die meisten Motive enthält, von denen später im Einzelnen die Rede sein wird, stammt von dem Geographen Pomponius Mela, der um die Mitte des 1. Jh.s n. Chr. lebte. Er spricht von den Druiden als Weisheitslehrer der Kelten und fährt fort: »Diese geben an, die Größe und Gestalt der Erde und der Welt, die Bewegungen des Himmels und der Gestirne sowie den Willen der Götter zu kennen. In vielen Dingen unterrichten sie die Adeligen des Stammes heimlich und lange Zeit, (nämlich) zwanzig Jahre, entweder in einer Höhle oder in abgelegenen Waldtälern. Eine von ihren Lehren ist auch zum Volk vorgedrungen, offenbar, damit es im Kampf tapferer werde, nämlich dass die Seelen ewig seien und dass es bei den Manen ein zweites Leben gebe. Daher verbrennen und bestatten sie mit den Toten für Lebende geeignete Dinge. Früher übertrug man den Unterirdischen auch Geschäftsangelegenheiten und das Eintreiben von Schulden. Es gab auch manche, die sich gerne in den Scheiterhaufen der Ihren stürzten, gleichsam um mit ihnen vereint weiterzuleben« (3, 18f.; H2 267). Claudius Aelianus (Wende 2.-3. Jh.) bestimmte die Kelten neben anderen Barbaren als postiv bewertete Vertreter eines durchaus frommen Glaubens: »Wer würde nicht die Weisheit der Barbaren loben? Denn keiner von ihnen ist dem Atheismus verfallen; sie stellen auch keine Zweifel darüber an, ob Götter existieren oder nicht und ob diese sich um uns sorgen oder nicht. Jedenfalls vertrat keiner von ihnen eine Ansicht, wie sie Euhemeros von Messene … oder Epikuros hatten, weder ein Inder, ein Kelte oder ein Ägypter. Die genannten Barbaren behaupten, dass die Götter existieren, dass sie sich um ums kümmern und uns die Zukunft vorausdeuten durch Vögel, Vorzeichen, Eingeweide und andere Lehren und Unterweisungen: Dies sind nämlich die Belehrungen, die uns Menschen von der Vorsehung der Götter gegeben werden. Sie behaupten auch, dass durch Träume und selbst durch die Sterne viel offenbart werde. Und weil sie fest daran glauben, bringen sie ihre Opfer aufrichtig dar, halten sie sich kultisch rein, feiern die Mysterien, bewahren die Regeln der Geheimkulte und praktizieren anderes, woraus allgemein gefolgert wird, dass sie die Götter in höchstem Grade achten und verehren« (varia historia 2, 31; H3 190f.).
Nehmen wir noch die archäologischen Befunde (s. S. 69 ff.) hinzu, so lassen sich als Inhalte des Geheimwissens erschließen: Gebete (vielleicht auch eine Art von Meditation?), Kultverrichtungen (Opferwesen, insbesondere auch Menschenopfer) und deren mantische Auswertung, die Ausrichtung von Leichenspielen wie anlässlich der Ermordung des Lusitaniers Viriatus im Jahr 139 v. Chr. (H2 84f.), die Verwaltung der Heiligtümer, die, wenn wir an die mitunter aufgehäuften Schätze etwa in Tolosa (Toulouse) und anderen heiligen Bezirken denken (H1 125, 136), durchaus verantwortungsvoll war, ferner die Lehre von der Neuinkarnation der Seele in der Wiedergeburt, die eigentliche Lehre von den Göttern (Mythologie), die Ethnogenese und Geschichte des Stammes und der Nachbarstämme, die Geschichte des Druidentums, heroische Traditionen, Ortsnamenerklärungen, »Etymologie« (natürlich nicht in unserm linguistischen Sinn) als Garant für die Wahrheit des Geglaubten, im Kalenderwesen angewandte Astronomie, Physiologie (inklusive Medizin), Ethik, Rechtsgelehrsamkeit und Eschatologie (die Lehre vom Weltuntergang). In Sachen Jurisprudenz ergeben sich offenbar sehr altertümliche Zusammenhänge mit dem ältesten indischen Recht (s. S. 117-121).
Die zweite Gruppe der altkeltischen »Intelligentsia« war die der Barden, die sich an den Fürstenhöfen als Dichter und Musiker aufhielten, wo sie in Preis- und Schmähliedern im Sinne ihres jeweiligen Herrn durch Öffentlichmachung gewissermaßen »publizistisch« wirkten. Wenn wir über ihre Tätigkeit aus dem Altertum nur wenig informiert sind, so ändert sich dies im frühen und hohen Mittelalter in dem Maße, als sie an die Stelle der Druiden traten, die ja mit der Christianisierung langsam verschwanden. Sie erscheinen nun als die Repräsentanten der ältesten heroischen Großdichtung, wie sie im Gododdin des 6. Jh.s vorliegt, und werden selbst wieder Träger einer reich differenzierten Wissenskultur, auf die durchaus das Wort »Wissensesoterik« angewendet werden kann. Besonders Taliesin, der bedeutendste altbritannische Dichter (6. Jh.), ist schon im Hochmittelalter zu einer fiktionalen Kunstfigur, einem Pseudo-Taliesin (»Taliesin«), geworden, die sich nun in den ihr zugeschriebenen durchwegs jüngeren Dichtungen als Repräsentant eines hochdifferenzierten, sekundären Geheimwissens ausweist, einer Dichtung, die so vertrackt ist, dass sie auch der heutigen Philologie keineswegs immer verständlich erscheint.
Etwas über tausend Jahre nach dem Ende der druidischen Priesterklasse entstand als eine Art »Spiegelung« – freilich in keinem planen Spiegel – eine fiktionale Druiden- und Bardenmystik, der die hochmittelalterliche Dichtung des »Taliesin« ihrerseits zum Objekt geworden ist. Im Vergleich zum primären, subjektiven Geheimwissen der alten Druiden ist dieses sekundär. Der Vorgang setzte mit dem aufkommenden Interesse an den Altertümern Britanniens wie Stonehenge etwa im 17. Jh. ein und erreichte um 1800 unter Iolo Morganwg (= Edward Williams) seinen Höhepunkt. Der alte Unterschied zwischen Druiden und Barden wird zunehmend verwischt. Neben dem angeblichen spirituellen Geheimwissen (s. S. 229 ff.) schrieb man nun den Druiden auch technisches Wissen zu, so sollten sie die Kugelgestalt der Erde, das Fernrohr, wichtige Einsichten in die Mechanik, verschiedene Arten von Wasser- und Windmühlen, die Elektrizität und vielleicht auch schon das Schießpulver gekannt haben (Hutton [2011] 186, 242). Nicht selten wurden jedoch auch die grausamen Züge des Druidenrituals in den Vordergrund gestellt und die Menschenopfer mit denen der sogenannten Wilden, etwa in Ozeanien oder bei den Hindus, verglichen. So kam es zur häufigen Benennung auffälliger Steine als »Opfersteine«, am eindrucksvollsten der »Slaughterstone« in Stonehenge oder der »Rocking Stone« (Y Maen Chwŷf) bei Pontypridd (Glamorgan). Mit dieser neuen »künstlichen« Druiden- und Bardenwelt, wie sie dann im Barddas ›Bardenlehre‹ des J. Williams ab Ithel (1862 und 1874) hervortritt und in der modernen Eisteddfod-Kultur weiterlebt, werde ich meinen Überblick schließen.
Er leitet zum heutigen Neodruidismus über, der sich zwar auf den antiken subjektiven beruft, aber in der Regel nicht scharf zwischen primärem und sekundärem Druidenwissen unterscheidet und darüber hinaus viele neue Aspekte, etwa aus der neuzeitlichen Magie, anderen archaischen Religionen, der ökologischen Bewegung, aber auch der neuzeitlichen Geheimbünde (z.B. Freimaurerei) einbezieht.
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Diese galt in den mediterranen Kulturen unter anderen in dem für uns sehr auffälligen Bereich der Mysterien und Mysterienreligionen. Die auch heute noch nicht völlig gelüfteten Geheimnisse der eleusinischen Mysterien, an denen übrigens keine Barbaren teilnehmen durften, zu verraten, war ein todeswürdiges Vergehen, wie das Beispiel des angeblich »ersten Atheisten« Diagoras von Melos (Mitte des 5. Jh.s v. Chr.) zeigt. Er hatte »die Mysterien allen erzählt, wodurch er sie gemein und gering machte und diejenigen, die sich weihen lassen wollten, davon abbrachte.« Die Athener verurteilten den »Atheisten« zum Tod und verfolgten ihn allenthalben. Auch der Tragödiendichter Aischylos wurde vor Gericht gestellt, weil in einer seiner Tragödien ein Theaterrequisit an die Mysterien erinnerte. Er behauptete, nicht gewusst zu haben, dass dieses Detail unter die Geheimhaltungspflicht falle.2
Männer, die sich in den Mithrasgrotten versammelten, waren durch die arcana des mithräischen Mythos und Kults zusammengehalten, und Ähnliches galt von den Isismysterien, deren genauen Inhalt wir nicht in allen Details kennen und die der isisgläubige römische Rhetor und Literat Apuleius aus Madaura (ca. 123 - nach 170) in seinem kunstvoll verschlüsselten Roman, dem »Goldenen Esel« (eigentlich »Metamorphosen«), verhüllend beschrieb. Auch für die kleinasiatische Kybéle lassen sich mysterienartige Formen der Verehrung erschließen, wie wir gleich im Zusammenhang mit dem Gundestrup-Kessel (s. S. 25 f.) bemerken werden.
Bei den antiken Mysterien steht der individuelle Erlösungsgedanke im Vordergrund: Wer immer die höchste Stufe der Einweihung erfahren hat, hat damit die Glückseligkeit des Jenseits erfahren und kann getrost sterben. Und auch ein Leidensweg, der – im Sinne des Goetheschen »Stirb und Werde« – durch Todesschmerzen zur beglückenden Selbstgewissheit des Mysten führte, war wohl angedeutet. Das war den Prinzipien der keltischen Religion vermutlich fremd.
Näher stand dem druidischen das esoterische Wissen der Germanen, das in ganz besonderem Maß zum Gott *Wōdanaz, dem späteren Óðinn oder Wuotan, gehörte. Aber wahrscheinlich hatten auch andere Gottheiten wie etwa die Muttergöttin Nerthus Kulte, die insofern geheim waren, als sie in ihren Einzelheiten und vielleicht auch in ihrer tieferen Bedeutung nur einem bestimmten Priester bekannt waren, der den heiligen Wagen der Göttin berühren durfte. Nach ihrer Umfahrt durch das Land, während welcher Friede herrschte, wurde das mit Tüchern bedeckte Götterbild in einem heiligen See gebadet. Das geschah durch Sklaven, die danach ertränkt wurden (Tacitus, Germ. cap. 40). Der Ritus erinnert im Übrigen auffällig an den Kybelekult im alten Rom.
Wenig kennen wir das subjektive Geheimwissen der Römer vor der Hellenisierung und Orientalisierung der Italiker etwa im 2. Jh. v. Chr. Immerhin lesen wir von Priesterkollegien, die Texte sangen, welche etwa in ihrer Archaik in augustäischer Zeit schon unverständlich geworden waren. Ein höchst wichtiges esoterisches Wissen war das der Opferpriester und der den Vogelflug interpretierenden Auguren.
Sehen wir uns zur Frage des Geheimwissens als – problematisches – »Fallbeispiel« den berühmten Silberkessel an, dessen zerlegte Teile 1891 bei Gundestrup (Himmerland, Dänemark) ans Licht kamen. Jetzt im Dänischen Nationalmuseum, bietet er vielleicht das bedeutendste, wenn auch nicht gänzlich entschlüsselte Bildzeugnis der altkeltischen Religion, wie sie bei den ostkeltischen Skordiskern in der thrakischen Kontaktzone (im heutigen Serbien und Bulgarien) bestand. Es ist verständlich, dass dieser Fund eine Fülle religionsgeschichtlicher und soziologischer Diskussionen auslöste.3 Welche Götter die großen en-face-Bilder auf derA u ß e n s e i t emit Resten von Goldauflagen und von Glasschmelz in den Augen darstellen sollten, hätte uns wohl jeder Stammesangehörige erklären können, wenn auch heute ihre Identifizierung als Ares, Herakles, Ésus, Taránis, Dionysos, Rīgánī, Ánu oder Kybéle willkürlich scheint und schwankt.
Eine Innenplatte enthält die berühmte Initiations- oder Opferszene (Abb.). Sie zeigt einen mit einer Art »Zopf« versehenen Mann, der einen anderen kleineren mit dem Kopf voran nach unten wirft oder durch einen Spalt schieben will. Schon wenn wir die Szene beschreiben, interpretieren wir sie, und wir sind geneigt, sie als die Darstellung eines Opfers, einer Tötung bzw. einer Scheintötung im Rahmen einer Initiation zu interpretieren. So ist das Gebilde, in das der Kleinere gelangen wird, bald als Kessel - z. B. mit Bezug auf die walisische Sage »Branwen, Tochter des Llŷr« (Branwen verch Lŷr) -, als Rasenschollen (mit Bezug auf einen nordischen Initiationsbrauch), als stilisierte Darstellung der Vulva (Initiation durch regressus in uterum ›Rückkehr in die Gebärmutter‹ und Wiedergeburt) oder als Abdeckung einer Opfergrube (mit Bezug auf die archäologischen Opferschachtfunde) gedeutet worden (B1 835f.). Bezieht man die vier Berittenen oberhalb des »Lebensbaumes«, die sechs Fußkrieger, den Hund, die drei Karnyxbläser und die Widderhornschlange in die Deutung ein, so könnte man das Bild als ein Kriegerfest mit Initiationsfeier oder Menschenopfer deuten. Die Skordisker, in deren Raum der Kessel wohl entstand, galten teilweise als thrakisierte Kelten, hatten aber wegen ihrer Grausamkeit einen denkbar schlechten Ruf (dazu Florus epit. 1, 39; H2 603f.).
Weiteres lässt sich nur dann vermuten, wenn wir zusätzliche Informationen zu Hilfe nehmen. Wenn Caesar berichtet, dass die Gallier von Dispater (Hades) abzustammen glaubten, und wir aus anderen Quellen die Druidenlehre von der Wiedergeburt kennen, warum soll dann der übergroße Zopf(?)-Träger nicht den keltischen Hades darstellen? Oder: Wenn wir kühn genug sind, ein Motiv der inselkeltischen Literatur aus dem Hochmittelalter zu vergleichen, wie das gelegentlich geschehen ist, warum sollte der Große nicht ein Magier sein, der die gefallenen Krieger im »Kessel der Wiedergeburt« neu belebt, wie es der oben genannte Mabinogi von Branwen erzählt? Beachten wir ferner, dass die Krieger zu Fuß heranschreiten, aber nach der – mutmaßlichen – Initiationszeremonie wegreiten und auf ihren Helmen noch eine Art Helmzimier tragen, so könnten wir die rituelle Tötung mit einer Statuserhöhung verbinden.
Ein keltischer Betrachter, insbesondere wenn er selbst Krieger war, hätte die Darstellung vermutlich ganz leicht erklären können. Natürlich erhebt sich die Frage, ob auch ein keltischer Handwerker, ein Sklave oder eine Frau das Bild verstanden hätten, denn möglicherweise waren hier spezifische Vorstellungen der Kriegeresoterik wiedergegeben, von der man andere Bevölkerungsgruppen ausschloss. Geht man dagegen von der Annahme aus, die »Initiationsszene« habe einen Kultbrauch des ganzen Stammes abgebildet, so verflüchtigt sich der Eindruck des Geheimwissens: Jeder Angehörige des Stammes, bei dem der Kessel hergestellt wurde, müsste die Bildaussage verstanden haben - nicht vielleicht ein Römer oder Grieche, der von keltischer Religion nichts wusste. Er hätte allerlei Vermutungen angestellt oder den Eindruck gehabt, als Außenstehender an der Mauer der fremd-barbarischen für ihn objektiven Keltenesoterik abgeprallt zu sein. Wäre die keltische Kultur prestigeträchtig genug gewesen, so hätte er sich ein Geheimwissen zurechtkonstruiert, wie es die heutigen Keltenesoteriker tun.
Die ursprünglich nicht zum Kessel gehörige, weil viel zu kleine Bodenplatte (Abb.) zeigt eine flachbrüstige, eher androgyne Gestalt in einem trikotartigen Gewand, die einen Stier tötet und die ich als Kybéle ansehen möchte.4 Die ursprünglich androgynen Züge der später als sehr mütterlich dargestellten Göttin gehen auf den Mythos zurück, dass das hermaphroditische, felsgeborene Urwesen Agdistis, von Bakchos überlistet, sich durch eine um Penis und Hoden gelegte Schlinge im Rausch selbst entmannte und so, seiner Männlichkeit beraubt, zur Kybéle geworden sei, während aus den männlichen Genitalien der Vegetationsgott Attis mit seiner »Stiersympathie« entstand. Von da ab gehörten die Göttin und »ihr Stier« zusammen. Als Attis um die Tochter des Königs von Pessinūs freit, gerät Kybéle in solche Eifersucht, dass sie ihn in den Wahnsinn treibt. Er läuft in den Wald, entmannt sich unter einer Pinie (die danach im römischen Kybéle-Kult als heiliger Baum auf den Geliebten verweist) und stirbt.5 Im Zusammenhang mit dem Kult des Vegetationsgottes Attis durch ein Kollegium von keltischen Priestern und vermutlich Trägern eines Geheimwissens, die sich selbst entmannt hatten und einfach Gálloi ›Gallier‹ hießen, pflegte man eine rituelle Stiertötung, ein taurobolium, durchzuführen (DKP 3, 387f.), bei dem mancherorts offenbar Kybéle selbst als Töterin des Stiers auftrat. Das musste aber auch Assoziationen an das Mithrasmysterium wecken, dem die Bodenplatte des Kessels gleichfalls in verschlüsselter Weise Rechnung trägt, indem z.B. der Schwanz des Stiers in eine Kornähre ausläuft. Offenbar schon unter kleinasiatischem Einfluss scheinen sich diese Vorstellungen in der religiösen Welt der keltischen Skordisker getroffen zu haben. Eine Art taurobolium scheint bemerkenswerter Weise noch auf dem frühchristlichen piktischen Bildstein Nr. 7 von St. Vigeans (Schottland) dargestellt zu sein (B2 420, S. 34).
Die nicht zum Kessel gehörige Bodenplatte enthält also nichts genuin Keltisches, muss aber in Zusammenhang mit dem Kultobjekt in die keltische Religion »eingedeutet« worden sein und wurde vielleicht nur von einem esoterischen Kreis »verstanden«.
2Dazu mit den Originalzitaten Burkert (1997), 278f.
3Seine Berühmtheit brachte es mit sich, dass er in den 1930-er Jahren in etwas kruder Form, allerdings in Gold, imitiert wurde, vermutlich als Geburtstagsgeschenk für Hitler zum 20. April 1939, was nun aber auch zeigt, wie hoch die Kelten als altes Brudervolk der Germanen unter Anderem auch wegen ihres Geheimwissens geschätzt waren (B3 751–761].
4Ich folge dabei stärker, als ich es früher für richtig hielt, den sehr interessanten Anregungen in: Thracian Tales (1991); vgl. B1 380–382.
5Der Mythos bei Pausanias, 377f (= VII, 17,10–12); Arnobius, Adversus nationes V, 5–7.
»no species of superstition was ever
more terrible than that of the Druids«
(David Hume, The History of England,
London 1761, I, 4)
Zunächst stehen uns schriftliche Quellen zur Verfügung. Sie kommen ganz überwiegend von antiken Autoren (etwa ab dem 2. Jh. v. Chr.) und gehören daher in die Kategorie der objektiven Esoterik, es sei denn, sie berufen sich tatsächlich glaubhaft auf keltische Meinungen. Die insulare Tradition liefert dagegen eher problematische Zeugnisse, die zwar nicht zu vernachlässigen, aber doch mit Vorsicht heranzuziehen sind, weil sie ja schon aus christlicher Zeit stammen. Daneben gibt es natürlich eine Fülle archäologischer Funde, die sich im Gegensatz zu den schriftlichen ständig vermehren, aber einer besonderen Interpretation bedürfen und kaum jemals zweifelsfrei auf druidischen Zusammenhang weisen.
An prominentester Stelle unter unseren Informanten aus dem Altertum über den exklusiven Druidenorden steht C. Iulius Caesar (100–44), der sich allerdings nicht als erster antiker Autor für die gallischen Lebensumstände und für die Druiden, Seher und Dichter interessierte.
Ein Menschenleben älter war der stoische Philosoph Poseidonios aus dem syrischen Apameia am Orontes, der in Athen studiert und eine Reihe von Forschungsreisen durchführt hatte, wobei er sich längere Zeit im keltischen Gebiet der Gallia Narbonensis aufhielt. Er bekleidete 87/86 v. Chr. ein hohes Staatsamt und wirkte zuletzt als Lehrer in Rhodos, wo ihn auch M. Tullius Cicero im Jahr 77 besuchte. Seine Universalgeschichte in 52 Bänden ist allerdings weitgehend verloren. Im 23. Buch dieses Werkes befand sich ein Exkurs über die Kelten, dem vor allem die südgallischen Verhältnisse zugrunde lagen. Darin bemüht er sich um eine objektive Darstellung, die jedoch alles andere als keltophil ist, ja an mehreren Stellen durchaus voll Abscheu über das Barbarentum der Kelten herzieht. Exzerpte aus seinem verloren gegangenen Werk finden wir besonders beim Historiker Diodorus Siculus (1. Jh. v. Chr.), dem Geographen Strabon (ca. 63 v.Chr.-19 n. Chr.) und dem Rhetor Athenaios (Ende des 2.-Anfang des 3. Jh.s). Im Gegensatz zu Caesar, der seinen Rechenschaftsbericht »Über den gallischen Krieg« (De bello Gallico) im Winter 52/51 als Stratege und Feldherr verfasste, aber dennoch erstaunlich viel Interesse für Land und Leute aufbrachte, wobei er das aussparte, was schon bei Poseidonios stand, schrieb dieser mit durchaus philosophisch-ethnologischem Interesse.
Wie ein Zeugnis des Poseidonios aussieht und wie es sich in der antiken Ethnographie entwickelte, möchte ich zunächst am Beispiel der Kopfjagd veranschaulichen, die den griechischen Philosophen durchaus befremdete. Wenn sie auch da und dort bei anderen Barbarenstämmen vorkam, so galt und gilt sie doch als ein keltisches Spezifikum, wobei mir allerdings der Begriff »Kopftrophäe« angemessener scheint, weil die Erbeutung des Hauptes als Siegeszeichen angesehen wurde, aber nicht Selbstzweck war.
So zitiert Diodor Poseidonios (5, 29,4f.): »Den gefallenen Feinden schneiden sie die Köpfe ab und hängen sie ihren Pferden um den Hals.« [So in der Schlacht bei Clusium (295 v. Chr.), wie Livius berichtet (10, 26,11; H2 168)]. »Die noch blutverschmierte Beute geben sie ihren Dienern, die sie als Trophäe herumtragen. Sie stimmen den Paian an und singen ein Siegeslied. Diese Erstlingsopfer der Schlacht nageln sie an ihre Häuser, als hätten sie auf der Jagd wilde Tiere erlegt. Die Köpfe der vornehmsten Feinde konservieren sie und bewahren sie sorgfältig in einer Truhe auf, zeigen sie dann den Gastfreunden und führen große Reden darüber, dass für diesen Kopf da einer der Vorfahren oder der Vater oder er selbst viel Geld geboten bekommen und nicht angenommen hätte. Man sagt, dass sich einige von ihnen rühmten, dass sie für einen solchen Kopf ein gleiches Gewicht Gold nicht angenommen hätten.« Diese natürlich religiös begründete Sitte war für Poseidonios befremdlich, und wie Strabon in seiner Geographica (4, 4,5) berichtet, habe er das vielerorts selbst gesehen, zuerst als »erstaunlich« empfunden, aber danach infolge der Gewöhnung ruhigen Sinnes ertragen (H1 130–132, 143–146) – wie es eben einem Stoiker wohl ansteht. Wobei die Konservierung mit Zedernöl vorgenommen worden sein soll, im Norden vielleicht mit Wacholderöl. Irgendwann scheinen jedoch auch diese Trophäen in den Abfallgruben gelandet zu sein, wie man es in Manching (Bayern) beobachten kann (Sievers [2003], 102).
Hochberühmt ist die Heldentat der Chiomara, der schönen Frau des Galaterfürsten Ortiagon. In Gefangenschaft geraten und von einem lüsternen Zenturio vergewaltigt, überlistete sie diesen, ließ ihm den Kopf abschlagen und überbrachte denselben, nachdem sie sich befreit hatte, ihrem Mann (Liv. 38, 24,2–10).6 Gelegentlich wurde auch das Haupt mitsamt dem Helm fortgetragen (H2 446). Diese sogenannten »têtes coupées« sind auch in den archäologischen Zeugnissen omnipräsent, ob sie sich nun als Bildmotiv oder realiter im Boden finden, umso erstaunlicher, dass Caesar ihrer an keiner Stelle gedenkt. Lediglich im anonymen »Spanischen Krieg« (bellum Hispaniense 32,2) werden sie kurz erwähnt (vgl. H2 56–58): die Keltiberer stecken die erbeuteten Köpfe auf die Spitze der Schwerter und stellen diese, um die Feinde zu schrecken, dem oppidum zugewandt auf. Hier beobachten wir eine der Hauptfunktionen der têtes coupées, nämlich die apotropäische. Es ist den Römern übrigens nicht gelungen, das Sammeln der Kopftrophäen abzustellen: Es war noch im alten Irland und Britannien ganz alltäglich, ja entwickelte sich zu einer Art »Schädelmystik«, wie sie noch in der Baukunst des Mittelalters weiterlebt, wo die têtes coupées nun als Skulpturen, zumeist am Äußeren der Kirche angebracht, das Böse fernhalten sollen, wie man gewöhnlich annimmt.
Die Herstellung von Schädelbechern – übrigens auch den Germanen geläufig, wie wir aus der Wielandsage ersehen – ist gut bezeugt (Livius 23, 24,12): Die Boier fassten 216 v. Chr. das abgeschnittene Haupt des Feldherrn L. Postumius Albinus »wie es bei ihnen Sitte ist« in Gold und verwendeten es »als heiliges Gefäß, aus welchem sie bei religiösen Feiern Trankopfer spendeten; auch diente er [der Schädel] dem Priester und den Tempelvorstehern als Trinkgefäß.«7 Dieser Vorgang blieb keineswegs auf die Schädel von Feinden beschränkt: 1961 habe ich im Quellheiligtum des hl. Declán (5. Jh.) in Ardmore (Co. Waterford) noch einen solchen angeketteten Trinkschädel im Gebrauch gesehen.
Neben den Köpfen gehörten manchmal auch die abgeschlagenen Hände zu den Trophäen, wie z.B. Diodoros (13, 57, 3) bezeugt: »Einige trugen Bündel von Händen an ihren Körpern umher, andere Köpfe, die sie zuvor auf Wurfspieße oder Speere aufgespießt hatten« (H2 70).8 Die iberischen Lusitanier, deren Keltentum aus linguistischer Sicht freilich zweifelhaft ist, weihten die den Gefangenen abgehackten rechten Hände (Strabon, geogr. 3, 3,6; H2 210f.). Wenn sich bei den Einwohnern der keltiberischen Stadt Numantia zwei Männer um ein Mädchen bewarben, gab sie der Brautvater jenem, der zuerst die rechte Hand eines Feindes brachte (Liber de viris illustribus urbis Romae 59,2; H3 253).
Neben den beiden Hauptquellen Caesar und Poseidonios gibt es noch eine große Anzahl weiterer Autoren, denen wir einzelne Bemerkungen über die altkeltische Religion entnehmen, freilich nicht alles ist im Hinblick auf unser Thema relevant. Zunächst werde ich dem Leser vor Augen führen, was Caesar allgemein an Kulturhistorischem über die Kelten berichtet und in den folgenden Abschnitten dann genauer auf jene antiken und frühmittelalterlichen Zeugnisse eingehen, die ein bestimmtes sakrales Geheimwissen implizieren könnten.
In De Bello Gallico 6 (13,1) lesen wir: »In ganz Gallien gibt es zwei Arten von Menschen, die überhaupt an hervorragender und ehrenvoller Stelle stehen. Denn das Volk wird fast wie Sklaven behandelt, es wagt nichts von sich aus und wird zu keiner Beratung hinzugezogen.
(13,2) Da die meisten entweder durch Schulden, die Höhe der Abgaben oder die Ungerechtigkeiten der Mächtigen bedrängt werden, begeben sie sich in die Sklaverei.
(13,3) Ihnen gegenüber haben die Adeligen dieselben Rechte wie Herren gegenüber Sklaven. Von diesen zwei Arten [scil. der Herren] aber ist die eine die der Druiden, die andere die der Ritter.
(13,4) Jene nehmen an den göttlichen Angelegenheiten teil, sie besorgen die öffentlichen und privaten Opfer und interpretieren die religiösen Vorschriften. Zu ihnen kommt eine große Zahl von jungen Männern in die Lehre und sie stehen bei den Galliern in großem Ansehen.
(13,5) Denn in fast allen öffentlichen und privaten Streitfällen entscheiden sie und, wenn irgendein Verbrechen begangen oder wenn ein Mord verübt wurde, wenn eine Erbschafts- oder Grenzstreitigkeit vorliegt, treffen sie ein Urteil und legen Belohnungen und Bestrafungen fest.
(13,6) Wenn aber ein Privater oder ein Stamm ihrem Urteil nicht Folge leistet, untersagen sie ihm die Teilnahme an den Opfern. Diese Strafe gilt bei ihnen als die schwerste.
(13,7) Diejenigen, die in dieser Weise ausgeschlossen sind, werden zu den Frevlern und Verbrechern gezählt. Alle gehen ihnen aus dem Weg und vermeiden den Umgang und das Gespräch mit ihnen, damit sie nicht durch die Berührung Schaden erleiden. Weder wird ihnen, wenn sie es einfordern, ein Rechtsanspruch zugestanden, noch wird ihnen irgendwelche Ehre zuteil.
(13,8) All den Druiden aber steht einer vor, der die höchste Autorität unter ihnen hat.
(13,9) Wenn dieser stirbt, folgt ihm entweder derjenige nach, der unter den übrigen an Autorität hervorragt, oder, wenn mehrere gleich sind, wird er durch eine Abstimmung der Druiden ausgewählt. Manchmal wird sogar mit Waffen um die leitende Stellung gekämpft.
(13,10) Die Druiden versammeln sich zu einer bestimmten Zeit des Jahres im Gebiet der Carnuten, das für die Mitte ganz Galliens gehalten wird, an einem geweihten Ort. Dorthin kommen von überall her alle zusammen, die Streitigkeiten haben, und gehorchen ihren Beschlüssen und Urteilen.
(13,11) Die Lehre soll in Britannien gefunden und von dort nach Gallien herüber gebracht worden sein.
(13,12) Auch jetzt noch reisen die, welche sie genauer erforschen wollen, meist dorthin, um sie zu lernen.
(14,1) Die Druiden nehmen gewöhnlich nicht am Krieg teil und zahlen auch keine Abgaben gemeinsam mit den anderen. Vom Kriegsdienst und allen anderen Leistungen sind sie freigestellt.
(14,2) Durch so große Vergünstigungen angelockt, kommen viele aus eigenem Antrieb in die Lehre oder werden von Eltern und Verwandten hingeschickt.
(14,3) Sie sollen dort eine große Zahl von Versen auswendig lernen. Daher bleiben manche zwanzig Jahre in der Lehre. Sie halten es für einen Frevel, diese Dinge der Schrift anzuvertrauen, obwohl sie sich in fast allen übrigen Angelegenheiten, bei öffentlichen oder privaten Geschäften, der griechischen Schrift bedienen.