Werner Linn
Verspielte Erbschaften
Gedanken um unseren Sozialstaat
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
Theorie und Praxis - Die Wirklichkeit der Wirtschaftsordnungen
Der Mensch als Subjekt ökonomischen Handelns - Ökonomische Menschenbilder
Interdependenzen- Zusammenwirken zwischen Wirtschaftssystem und Menschenbild
Definition: Sozialstaat
Diagnose: Die soziale Marktwirtschaft auf dem Prüfstand
Rahmenbedingungen: Nationaler Sozialstaat im internationalen Rahmen
Feindbilder: Nationaler Sozialstaat gegen Einbürgerung und doppelte Staatsangehörigkeit
Kapitalismus oder Kommunismus- Historisch der richtige Weg dazwischen
Sozialismus im Kapitalismus - Das Hohe Lied der sozialen Marktwirtschaft
Sparen in internationalem Rahmen - Keine unnötige Abflüsse nach außen.
Sparsamkeit beginnt im eigenen Haushalt - Der nationale Sozialstaat muss zuerst bei sich selbst sparen
Lebensgrundlage - Die Bedeutung der „eigenen“ Landwirtschaft
Kinder und Zukunft - Unsere Jugend ist unser höchstes Gut
Kein Licht ohne Schatten: Die Rolle der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände im nationalen Sozialstaat
Lang geplant - nie erreicht: Der nationale Sozialstaat und die Steuerreform
Ausbildung und Elite - Herausforderungen an sich selbst
Gesundheitswesen - Staatliche Fieberkurve?
Sicherheit - Das unteilbare Problem
Terrorismus - Umgang mit einem Phänomen
Auf die Richtung kommt es an... Das Ringen um die politische Mitte
Fußnoten
Impressum neobooks
Seit frühester Jugend mache ich mir politische Gedanken und stelle mir - jeweils altersentsprechend - vor, welche Entscheidungen ich an Stelle der “Herrschenden” treffen würde. “Was wäre wenn...”, dehnte ich auch auf historische Bereiche aus und schlüpfte in meinen Fantasien in die Rolle historischer Figuren.
Dass ich bei Wahlen zur Urne ging, seit ich wahlberechtigt bin, erschien mir selbstverständlich:
Dies ist meine Möglichkeit “entscheidend mitzuwirken”.
Im Laufe der Zeit und insbesondere seit der Wiedervereinigung mußte ich feststellen, daß ich grundlegend andere Wege eingeschlagen hätte, hätte ich die Möglichkeit gehabt, politischen Einfluss zu nehmen.
Schließlich kam es soweit, daß der seit sechzehn Jahren lang regierende Bundeskanzler abgewählt und durch einen neuen Mann aus einer alten Partei ersetzt wurde. Einige Zeit später wurde dieser wiederum durch eine Frau aus den neuen Bundesländern verdrängt, die ihrerseits ihren Vorgänger in der Parteiführung, den vorerwähnten Kanzler der Einheit, der 16 Jahre lang regiert hatte, in der Spendenfalle verschwinden ließ und aus ihrer Partei mit einer Reihe von drastischen politischen Wendungen etwas ganz anderes machte.
“Ein Regierungswechsel ist für eine Demokratie etwas Selbstverständliches”. So oder ähnlich lauteten von allen Seiten die Kommentare und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen:
Unterschiede habe ich schon lange keine mehr zwischen den Regierungsparteien und der Opposition feststellen können. Kleinigkeiten unterscheiden die großen Parteien... Das Wichtigste jedoch für das Wahlvolk ist der Wechsel. Dampf kann abgelassen werden und hier liegt auch wohl der Hauptgrund für die “Normalität des Regierungswechsels”: Das Wahlvolk glaubt, wirklich etwas ändern zu können und muss nach dem Ergebnis des Wechsels feststellen, es bleibt mehr oder weniger alles beim Alten - außer daß “der Druck weg ist”.
Gleichzeitig spielten in meinen Überlegungen wirtschaftliche Aspekte eine Rolle: “Die Sozialisten machen jetzt wirtschaftlich alles wieder kaputt, was zuvor die Konservativen aufgebaut haben.” Nach einer Welle der Enttäuschung werden die Wähler sich wieder den Konservativen zuwenden, damit das System wieder einigermaßen stabilisiert wird. Das baut sozialen Druck auf, der danach wieder zu einem nichtssagenden Wechsel führen muß, den man im Nachhinein wieder korrigieren kann. Im System geht nichts voran. Alles bleibt, wie es war.
Wirklich? Steigt nicht die Staatsverschuldung? Häufen sich nicht die Pleiten? Verelenden nicht die Menschen in einer Welle von Drogen, Sex und Gewalt nach der anderen, je weiter die Zeit fortschreitet? Gibt es überhaupt noch Ideale?
Man muss nicht unbedingt das kommunistische Manifest oder das „Kapital“ von Karl Marx studiert haben, um zu verstehen, was Kommunismus als Wirtschaftssystem bedeutet (1). Greifen nicht immer mehr internationale Krisen auf Europa und das Inland über, wo inzwischen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Währung und damit das gesamte Gemeinwesen auf´s Äußerste bedroht sind? Löst nicht dabei eine Krise die andere ab, denken wir doch an die „New Technology – Blase“, an die „Bankenkrise“, die zur Finanzkrise wurde, an die Eurokrise der immer mehr Mitgliedsländer offensichtlich schon lange zum Opfer gefallen wären, wenn nicht ein Vielfaches des hiesigen Staatshaushalts zur Stabilisierung dieser Länder eingesetzt werden würde, wobei die Summe aller Risiken bis heute nicht einmal feststeht!
Ist es nicht Zeit, etwas an diesem System zu ändern?
So habe ich mir schließlich überlegt, was besser zu machen wäre und wo konkret die Schwächen des Systems liegen, damit sie und möglicherweise auch das System überwunden werden kann, ohne dass das Volk Schaden nehmen muss. Zu diesen neuen Ideen kommen alte Erfahrungen und plötzlich bildet sich etwas heraus, was wie ein neues Programm für eine neue politische Kraft aussieht. Diese neuen Denkansätze und Überlegungen stelle ich im folgenden vor.
Dass neue Ideen immer ihre Gegner finden, ist eine altbekannte Tatsache. Dass insbesondere die potentiellen Gegner die neuen Ideen als “schon mal dagewesen” abtun, ist die eine Sache. Dass sie von Anfang an diese Ideen als “rechts” abstempeln oder gar als “rechtsextremistisch” verteufeln könnten, ist eine andere Sache und mir war diese mögliche Gefahr schon klar, als ich begann, diese neuen Ideen zu Papier zu bringen. Ohne mich in irgend einer Weise rechtfertigen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle zum besseren Verständnis etwas über mich mitteilen:
Geboren 1953, wird mir kaum jemand eine Nähe zum dritten Reich nachsagen können. Während meiner Studienzeit wurde ich vom Institut für Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung großzügig unterstützt - auch nicht unbedingt ein “rechtsextremes Markenzeichen”.
Militärisch habe ich keine Probleme gehabt, Soldaten aller Rassen auszubilden. Besonders interessant fand ich die Ausbildung von Mudschahedin, die damals wirklich keinerlei Berührungspunkte zur christlich-abendländlichen Kultur hatten. Ähnlich sah es aus, als ich schwarzafrikanischen Soldaten eine militärische Spezialausbildung vermitteln konnte.
Als Rechtsanwalt bildete ich Mädchen verschiedenster Nationalität zu Rechtsanwaltsgehilfinnen bzw. Rechtsanwaltsfachangestellten aus. Auch hier hatte ich keinerlei Probleme, obwohl es sich bei den Auszubildenden das eine Mal um eine Türkin, das andere Mal um eine Aramäerin, später um eine Araberin, eine Römerin, eine Sizilianerin, eine Rumänin, eine Serbin und eine Russin handelte. Den Umgang mit Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen empfand ich sogar als Herausforderung und war dabei stets von der Überzeugung geleitet, dass bei gegenseitiger Achtung nicht nur ein gedeihliches Zusammenleben möglich sein musste, sondern darüber hinaus im Miteinander jedes Problem zu meistern sei.
Schließlich habe ich im Umgang mit internationaler Klientel als Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer immer wieder unter Beweis stellen können, dass bei beiderseitigem guten Willen die Herkunft, die Rasse, der Kulturkreis und die Muttersprache niemals ein Hindernis für ein gemeinsam zu erarbeitendes Ziel sein kann. Insbesondere bei Auslandsaufenthalten habe ich die Erfahrung machen dürfen, dass man auch als Ausländer in einer fremden Umgebung dem Gastgeber eigene Vorstellungen in einer Weise näher bringen kann, ohne zum einen übertrieben auf eigenen Werten zu beharren, zum anderen in anbiedernder Weise eigene Werte hintan zu stellen. Insbesondere Chinesen waren es, die mir in China deutlich machten, dass ein selbstbewusstes Auftreten im Sinn des Bewusstseins des Wertes der eigenen Nation und Kultur eher akzeptiert wird, als das dem Deutschen heute vielfach anerzogene übermäßige “Achtung - haben vor fremden Werten”: Meine chinesischen Gesprächspartner stellten bei ihren Entscheidungen insbesondere darauf ab, dass ich bei aller Achtung vor der chinesischen Kultur und Denkweise stets die Problemlösung von der meiner Herkunft und Ausbildung entsprechenden “christlich - abendländlichen Tradition” anging.
Was ich als selbstverständlich natürlich empfand, wurde von chinesischer Seite – und im Vergleich mit anderen Europäern bzw. Amerikanern - als besonders aufrichtig-ehrlich und damit chinesischer Mentalität verwandt, akzeptiert. Ähnliche Erfahrungen machte ich in der arabischen Welt, wo mir frei erklärt wurde, es sei wohltuend, einmal einen Deutschen zu treffen, “der nicht mit dem Schuldkomplex belastet sei und eine Sprache spreche, deren Offenheit man Offenheit entgegensetzen könne”. Schließlich wurde mir am Rande beruflicher Tätigkeiten in Frankreich frank und frei erklärt, man könne im Gespräch mit mir wieder Achtung vor der deutschen Nation gewinnen, die über lange Strecken hinweg verloren gegangen war, insbesondere weil andere deutsche Gesprächspartner zum Bild des kriecherischen “political correcten” Deutschen geführt haben, das zwar manchem zunächst ein wohlgefälliges Nicken abgerungen habe, aber insgesamt auf Ablehnung stieß und insbesondere zur Vorsicht vor soviel “Schleim” geführt hat.
Wenn ich im Folgenden Begriffe wie „Volk und Nation“, „Kultur und Kulturkreis“ verwenden werde, bitte ich darum, dies richtig zu verstehen: Ein gesundes Nationalgefühl ist kein Chauvinismus, das Ersetzen des Begriffes “Volk” durch “Gesellschaft” kein offenes Weltbürgertum, statt „Rasse“ immer „Ethnie“ zu sagen, ist nicht „fortschrittlich“, sondern dumm. Auch in einer Welt der Globalisierung kann es erforderlich werden, den Begriff Volk bzw. Volksgemeinschaft zu verwenden, um Dinge auszudrücken, die anders nicht darstellbar sind. Auch eine Welt der Globalisierung kommt nicht ohne den Begriff der Nation aus, wie sie auch nicht ohne das Institut der Familie auskommen kann. Es ist daher an der Zeit, sich über die Zusammenhänge Gedanken zu machen, ohne überkommene Begriffe einfach in die Rumpelkammer der Geschichte zu verbannen.
In jüngerer Zeit gab es in der Wirtschaft einschneidende Krisen:
2008 erschütterte die erst Finanz– und später „Wirtschaftskrise“ genannte globale Erscheinung das derzeitige Weltwirtschaftsystem. Angefangen mit der Lehman-Brothers-Pleite, die dem globalen Bankensystem einen Schlag versetzte, folgte das Platzen der sog. „Immobilienblase“, die erneut den Bankensektor heftig zusetzte. Vorangegangen war das Platzen der sog. „New Economy Blase“, die jedoch relativ harmlos wirkte im Vergleich zu dem, was dann folgen sollte.
Wenig später stellte sich für den Euroraum heraus, dass Staaten aufgenommen worden waren, die nicht in dieses System passten und spätestens seit 2010 wird von der „Eurokrise“ gesprochen, die die Gemeinschaftswährung plötzlich schwächeln lies. Wieder einmal stand das gesamte Wirtschaftssystem der Erde auf dem Spiel, obwohl nur EU-Staaten betroffen waren. Insbesondere die USA waren es, die plötzlich den Europäern Vorgaben machen wollten, wie diese ihr Währungssystem wieder in Ordnung bringen sollten.
Gleichzeitig traten plötzlich Schwellenländer wie China und Indien auf den Weltmärkten insbesondere als Nachfrage auf und beeinflussten so nachhaltig die Energiepreise, während Russlands Wirtschaft früh nach dem Niedergang des Kommunismus kapitalistische Züge annahm.
Ungeachtet solcher globaler Vorgänge ist immer noch die Rede vom Gegensatz der Wirtschaftssysteme, „Kapitalismus“- „Kommunismus“.
Auch nach dem Ende der Sowjetunion und dem Niedergang des Kommunismus als dominierendem Wirtschaftssystem Osteuropas erscheint es dennoch wichtig, sich grundsätzlich mit den Erscheinungsformen dieses Wirtschaftssystems auseinanderzusetzen, weil nur auf diese Weise die Mechanismen der sich heute noch theoretisch-ideologisch diametral gegenüberstehenden Wirtschaftssysteme verständlich dargestellt werden können.
1. 1 Kommunismus: Planwirtschaft und Kollektiveigentum
Es genügt insoweit der Blick in ein Geschichtsbuch oder auch nur ein aufmerksames Lesen der Tageszeitung. Im Kommunismus gibt es kein Privateigentum an Produktionsmitteln. Das Gewinnstreben einzelner Wirtschaftssubjekte kann somit nicht als Steuerungsmechanismus der Wirtschaft überhaupt eine Rolle spielen. Aus diesem Grund bedarf es der Lenkung der Wirtschaft durch den Staat.
Der Zusammenbruch der „Deutschen Demokratischen Republik“ sowie der Sowjetunion war, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, schon einige Zeit vorher prognostiziert worden (2).
Insbesondere die staatliche Lenkung war nicht in der Lage, die Ressourcen in der Weise zur Verfügung zu stellen, dass eine sinnvolle Wirtschaft im Sinn einer Verwaltung der knappen Mittel darstellbar gewesen wäre. Am Ende war es vor allem die mangelnde Versorgung des Privatsektors, die zum Fall der Mauer und damit zum Zusammenbruch des Systems geführt hat(3). Ähnlich verhielt es sich beim Niedergang in der Sowjetunion bzw. nach deren Zerfall in den einzelnen noch kommunistisch dominierten Systemen.
Da jedoch grundsätzlich - von der Theorie ausgehend - eine sinnvolle Planung zumindest theoretisch durchaus akzeptable gesamtwirtschaftliche Ergebnisse liefern könnte, ist der Frage nachzugehen, warum dieses System in der Realität nicht funktionieren konnte.
1. 2 Kapitalismus: Marktwirtschaft und Privateigentum
Quasi als Antipode zum Kommunismus stellt sich der Kapitalismus bzw. die freie Marktwirtschaft(4) dar. Auch wenn heute - aus welchen Gründen auch immer - die freie Marktwirtschaft bzw. der Kapitalismus fast nirgends in Reinform praktiziert wird(5), ist zunächst die systemorientierte Betrachtungsweise angebracht, um das Funktionieren des Wirtschaftssystems auch hier begreifen zu können:
In der freien Marktwirtschaft bleiben dem Markt sämtliche regulativen Funktionen überlassen (6). Die Wirtschaftssubjekte halten in unterschiedlichem Umfang Eigentum an den Produktionsmitteln. Die anonymen Kräfte des Marktes steuern sämtliche Vorgänge, was sogar soweit gehen kann, dass gewisse Wirtschaftszweige verloren gehen, andere dagegen zu neuem Leben aufblühen. Es sind nicht die Schicksale der einzelnen Wirtschaftssubjekte, sondern der gesamtwirtschaftliche Erfolg schlechthin, der entscheidet und über den entschieden wird.
1. 3 Mischformen
Wie bereits dargelegt, kann es in der Realität weder Kommunismus noch Kapitalismus in der theoretischen Reinform geben(7). Dies zu erklären stellt sich als schwieriges Unterfangen dar. Der Kommunismus als Marxismus-Leninismus hat dies schon sehr früh erkannt und versucht, argumentativ auf das Vollendungsstadium des Kommunismus abzustellen: Die Diktatur des Proletariats sei solange nicht beendet, bis sie weltweit durchgesetzt sei(8). Aus diesem Grund könne auch das Wirtschaftssystem bis dahin nicht einwandfrei funktionieren. Eingriffe von erheblicher Tragweite werden zugestanden und man fand sich auch mit vielen divergierenden Entwicklungen ab. In diesem Zusammenhang tauchte im übrigen erstmals der Begriff des “neuen (sozialistischen) Menschen”(9) auf. (Was das im einzelnen bedeutet, soll später erörtert werden.)
Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, dass im Kommunismus klar erkannt wurde, dass das System zumindest vorläufig nicht in der reinen Form funktionieren konnte.
Etwas schwieriger war eine solche Erkenntnis im Kapitalismus. Noch in den Gründerjahren nahm man weltweit an, dass Wachstum unbegrenzt vorausgesetzt werden könne(10) und im übrigen alles dem Spiel der Marktkräfte überlassen werden dürfe, ja müsste.
An dieser Überzeugung änderte schließlich auch nichts die als Jahrhundertwerk (des neunzehnten Jahrhunderts) gefeierte Sozialgesetzgebung Bismarcks. Systemtheoretisch betrachtet, wurden solche Entwicklungen als “Daten” bzw. “Rahmendaten” begriffen, innerhalb derer sich ein marktwirtschaftliches System frei entfalten konnte (11).
Während für Deutschland der verlorene erste Weltkrieg, zumindest im Hinblick auf die akute Not, der freien Entwicklung der Marktkräfte ein vorläufiges Ende setzte(12), konnten die Siegermächte seinerzeit weiterhin in derartigen systemtheoretischen Überlegungen schwelgen. Schließlich kam es dazu, dass die Stafette dieser “Marktführerschaft” vom englischen Nationalökonom John Maynard Keynes(13) an den Amerikaner Milton Friedman(14) abgegeben wurde. Beide haben in ihren Theorien der Art und der Kraft des Marktes breiten Raum eingeräumt. Während Keynes insbesondere dabei den Interdependenzen der Marktkräfte im Inland Beachtung schenkte, interessierte sich Friedman mehr für das Instrumentarium dieser Kräfte, nämlich das Geld. Beide Theorien sahen es als ungemein störend an, wenn der Staat in irgend einer Form in das freie Spiel der Marktkräfte einzugreifen drohte. Dementsprechend versuchte man, die Rolle des Staates darauf zu reduzieren, das freie Spiel der Marktkräfte zu gewährleisten.
Schließlich kam mit dem Ende der Wachstumsepoche auch für Amerika der Zeitpunkt, darüber nachzudenken, inwiefern eine Beendigung oder Einschränkung der übermächtigen Marktkräfte geboten erscheinen möge(15).
Die immer restriktivere Gesetzgebung konnte von Anfang an nicht mehr nur als Rahmenbedingung für die Marktkräfte definiert werden und so kam es insbesondere im Zuge der Entwicklungen nach dem zweiten Weltkrieg im besiegten Deutschland zu einer Ausprägungsvariante, die die Marktkräfte ergänzte durch eine auf die schwächeren Wirtschaftssubjekte rücksichtnehmenden Sozialgesetzgebung:
Die “soziale Marktwirtschaft” wurde verstanden als ein vom “Wildwuchs” entarteter Marktkräfte befreiter Kapitalismus, bei dem zwar das Grundmodell der Marktwirtschaft im Vordergrund stand, jedoch immer dort Eingriffe des Staates zu tolerieren waren, wo die Menschlichkeit als Modell bedroht war(16). Wieder einmal spielte das Menschenbild eine Rolle für die Entwicklung des Wirtschaftssystems. Anders als jedoch bereits oben erwähnt, musste der “neue Mensch” nicht erst geschaffen werden, sondern man orientierte sich am augenblicklichen Wirtschaftssubjekt “Mensch”!(17)
Als grundsätzlich anderer Qualität in diese Reihe passen scheinbar die Auswirkungen der Krisen zu Anfang des 3. Jahrtausends: Sowohl in der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, als auch in der Eurokrise wurde nach einer Einschränkung der Marktkräfte gerufen und die Staaten beeilten sich, derartigen Rufen nachzukommen. Die selbst schon hoch verschuldeten Staaten retteten hoch verschuldete Banken, vorgeblich um eine für das System wichtigen Wirtschaftsfaktor zu erhalten. Unter Hinweis auf mögliche Folgen von Bankenpleiten wurden de facto Geldhäuser verstaatlicht. Allein die Rettung von Lehman und Konsorten führte nicht dauerhaft zu dem angestrebten Ergebnis. Schon drei Jahre nach Lehman kehrte die Panik zurück(18). Unter dem Stichwort ( „Unwort“) „Rettungsschirm“ sollen überschuldete EU-Länder, die sich den Euro erschlichen hatten, in der Weise gerettet werden, dass die Schulden unionsweit vergesellschaftet werden, was nicht nur dem EU Vertrag widerspricht; denn dieser hatte bewusst das Einstehen müssen für andere Staaten vermieden; sondern auch die Maastricht Kriterien zur Defizit- und Schuldenstanzquote wurden außer Kraft gesetzt. Das Ganze wurde sogar vom Bundesverfassungsgericht wiederholt bestätigt(19) Dabei hat das höchste deutsche Gericht wieder einmal seine Unschuld verloren, denn es hat einer offensichtlich gegen das (eigene) Recht gerichteten Politik den Weg geebnet, indem der schon aus anderen Entscheidungen bekannte Hinweis auf den politischen „Einschätzungsspielraum“ zur Begründung herangezogen wurde. Knopp (a.a.O.) stellt dazu die Frage: „Wer „rettet“ denn den ursprünglichen Helfer?“ Gerettet werden nämlich hier wieder einmal nur die Banken, die ansonsten gigantische Ausfälle hätten verkraften müssen. Claus Hulverscheidt stellt schon 2011 in der Süddeutschen Zeitung(20) unverblümt in Aussicht, dass diese Rettung für die Steuerzahler teurer werden könnte.
Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass letztlich hier marktwirtschaftliche Mechanismen staatlicherseits außer Kraft gesetzt wurden, nicht um wirtschaftlich schwache Privatpersonen im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft (vgl. unten) in Schutz zu nehmen, sondern um angeblich das System der Marktwirtschaft tragende Geldinstitute vor dem eigentlich nach diesen Regeln notwendigen Insolvenz dennoch am Leben zu erhalten. Christian Seidenbiedel(21) hat hierzu eindrucksvoll die systematisch fremde Rolle der Banken unter der Überschrift „Wie die Banken sich um die Griechenrettung drücken“ eindrucksvoll beschrieben.
Als es um die Jahresmitte 2012 auch für andere Eurostaaten eng wurde, (Spanien, Italien, Zypern) taucht zum ersten Mal das Wort „Fiskalunion“ auf und die Bundesregierung verwahrte sich zunächst dagegen, überhaupt über eine solche „Vergemeinschaftung der Schulden“ zu verhandeln, um kurze Zeit später einzuknicken und das Paket des ESF (Eurorettungsschirm) im Gesetzgebungsverfahren durchzudrücken. Die hiergegen eingereichten Verfassungsbeschwerden gaben immerhin dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit, deutlich zu machen, dass es sich um eine höchst wichtige – schicksalhafte – und schwierige wie komplexe Frage handele, sodass nicht -wie sonst üblich- eine Entscheidung im Eilverfahren innerhalb von 3 Wochen, sondern erst im September folgte. Der Bundespräsident wurde gebeten, das Gesetz nicht vor Erlass der Entscheidung auszufertigen und so muss Europa in Sachen Fiskalunion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten.
Dass es sich letztlich nicht um die Rettung schwächelnder „Eurostaaten“, sondern vielmehr um die Erhaltung maroder Geldinstitute geht, wird immer wieder verschleiert, wobei hier die Art und Weise der Täuschung variiert. Festzustellen in diesem Zusammenhang ist, dass inzwischen ein „neues Bankinstitut“ als echtes „Völkerrechtssubjekt“ etabliert wurde: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) hat nicht nur einen völkerrechtlichen Status über den „ESM-Vertrag“ erhalten, sondern ist darüber ein in gewissen Sinn der europäischen Zentralbank ähnliches Bankinstitut, das über eine Kreditvergabe zu Lasten u.a. auch der deutschen Steuerzahler verfügt, um die Banken schwächelnder Eurostaaten in der Weise zu retten, dass es deren wertlose Staatsanleihen aufkauft.
Der ESM wurde durch Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.09.2012 im Wesentlichen bestätigt(22). (vgl. hierzu unten) In gewissem Sinn tritt dieser ESM neben die Europäische Zentralbank (EZB), die seit Anfang September 2012 ebenfalls in Not geratenen Banken zur Seite springt, um eigentlich wertlose Staatsanleihen südeuropäischer Schuldnerstaaten aufkauft, was den Bürgern als „Staatenrettung“ deklariert wird. Auch hier haften u.a. die deutschen Steuerzahler über die Einlage der BRD bei der EZB.
Es wird nun Zeit, sich mit diesem Phänomen “Menschenbild” auseinanderzusetzen, weil sich - wie bereits festgestellt - die Reinform des Wirtschaftssystems gerade im Hinblick auf das Bild vom Wirtschaftssubjekt nicht verwirklichen lässt.
Wenn oben vom “neuen“ oder „sozialistischen Menschen” die Rede war, den es im Laufe der Entwicklung erst zu erschaffen galt, so herrscht im Kapitalismus das liberalistische Bild des "freien Menschen" vor(23).
Von vornherein ist beiden Systemen zunächst das Bild vom “guten Menschen” gemein: Der “gute Mensch” wirtschaftet allgemein sinn- und zweckvoll zum allseitigen Nutzen.
Dabei tritt in den Vordergrund, dass der “sozialistische Mensch” eine von vornherein altruistische Natur hat und ihm der Begriff des Eigennutzes völlig fremd ist, da er dem Gemeinwohl verpflichtet ist(24).
Der “kapitalistische Mensch” dagegen handelt zwar aus egoistischen Motiven. Seine Profitorientierung verspricht ihm selbst den bestmöglichen Gewinn(25). Da jedoch alle “verantwortlich-egoistisch” handeln, folgt hieraus der größte gesamtwirtschaftliche Nutzen.
In beiden Fällen weicht jedoch der tatsächlich existierende Mensch erheblich von den theoretischen Menschenbildern ab. In beiden Fällen ist es ein anderer Egoismus, der die Triebkraft des Menschen darstellt. Es ist ein dominierender Egoismus, der so stark wird, dass er seine Grenzen lediglich in den schwächere schützenden Gesetzen finden kann, soweit solche überhaupt existieren. Leugnet man von Anfang an jedoch die Möglichkeit einer derartigen Einstellung, kann es auch nicht sie begrenzende Gesetze geben, was letztlich dazu führen muss, dass der Einzelne in vielfältiger Weise das Opfer anderer Einzelner werden kann. Derartiges wird schließlich auch in dem heutigen Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland immer häufiger vor Augen geführt(26).
Die logische Konsequenz wäre nun die allgemeine Feststellung, dass die theoretisch “reinen” Wirtschaftssysteme jeweils am falschen Menschenbild scheitern.
Gehen wir nun der Frage nach, inwiefern eine Mischform des Wirtschaftssystems positiver zu bewerten sei als eine andere Mischform: Sehen wir die Wirtschaftssysteme als Mischformen auf einer Skala, auf deren einem Ende der Kommunismus, auf deren anderem Ende der Kapitalismus in Reinform die Begrenzung bilden, so lässt sich eine Aussage von vornherein recht einfach treffen: Je stärker die kapitalistische Basis (marktwirtschaftliche Basis) des Systems ist, um so größer fällt der gesamtwirtschaftliche Erfolg aus(27).
Dieser Umstand lässt sich leicht aus der jüngeren Geschichte belegen:
Die Politik der englischen Konservativen hat dem Land in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erhebliche wirtschaftliche Erfolge beschert. Der gesamtwirtschaftliche Nutzen war zweifellos größer als zu der Zeit, als die Sozialisten (Labour) zuvor das Land regierten(28).
Die Wirtschaftspolitik Chiles, die an die Theorien Friedmans sehr stark angelehnt war, bescherte dem Land eine wirtschaftliche Blüte(29) und lässt genau den gleichen Schluss zu wie die Tatsache, dass sich das kommunistische China nunmehr „kapitalistische Zonen“ schafft, die wirtschaftliche Erfolgsgarantien abgeben(30). Der Kernsatz führt daher zu dem eindeutigen Ergebnis: Je mehr Kapitalismus in die ”Mixtur” eingerührt wird, desto erfolgreicher wird das wirtschaftliche Ergebnis derselben(31).
Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, der Kapitalismus sei die Lösung sämtlicher Probleme, stößt sich an dem vorhin gesagten(32). Es ist daher notwendig, sich umgekehrt dem Problem anzunähern und die Frage nach dem gültigen Menschenbild in den Vordergrund zu stellen.
Nachdem festgestellt wurde, dass die treibende Kraft im natürlichen Menschenbild der Egoismus des Einzelnen ist, stellt sich nunmehr die Frage, ob nicht neben diesem, ausschließlich auf das eigene Fortkommen gerichteten Grundgedanken, andere, ebenfalls treibende Kräfte vorhanden sind, die im Sinn des Wirtschaftssystems der Lenkung zugänglich sind(33).
Hier erscheint als erstes die Überlegung, inwieweit ein kollektiver Egoismus der jeweiligen Gruppe vorteilhaft werden kann. Der Egoismus des einzelnen geht in der Regel über die eigene Person hinaus und deckt grundsätzlich auch den engsten Kreis, das heißt die Familie, mit ab(34). Dieser kleinste „gruppendynamische“ Egoismus ist die Triebfeder jeder Gesellschaft und daher auch bei uns grundgesetzlich geschützt(35). Der Schutz der Familie genießt Vorrang vor vielen anderen verfassungsrechtlich geschützten Werten. Die heutige Familie reduziert sich auf Eltern und Kinder. Noch vor nicht all zu langer Zeit erfasste sie auch das gesamte Wirtschaftssystem, das in Großfamilien oder „Clans“ gegliedert war. Die Großfamilie war gleichzeitig die Produktionsstätte in einer landwirtschaftlich dominierten Gesellschaftsordnung(36).
Nach dem Ende des Feudalismus war es die Nation, die als “Großfamilie” im umfassenden Umfeld die Rolle der Projektionsebene für den Gruppenegoismus übernahm. Erstaunlicherweise funktionierte dort der Gruppenegoismus zum allgemeinen Wohl aller im Staatsverband Lebenden(37). „Wildwüchse“ führten allerdings zu Randerscheinungen, die besonders in Deutschland diese Form des Gruppenegoismus zeitweise in Verruf gebracht haben(38). Überlegt man sich an dieser Stelle, welche positiven Wirkungen der so verstandene Gruppenegoismus hatte, so muss man zu dem Ergebnis gelangen, dass er gerade die Triebfeder für wirtschaftlichen Erfolg war(39), dass in dem schützenden Rahmen des Nationalstaates sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer einbezogen wurden und jedes Wirtschaftssubjekt sich am Gesamterfolg beteiligt sah(40).
Überträgt man die hier gewonnene Erkenntnis auf die Ausgestaltung eines zu schaffenden Wirtschaftssystems, so kann man zwanglos unterstellen, dass eine Marktwirtschaft dann alle derzeitigen Probleme zu lösen vermag, ohne dass es irgendwo der Einflechtung kommunistischer (sozialistischer) Tendenzen bedarf: Die Nation als soziale Rahmengrundlage ist in der Lage, die Basis einer Marktwirtschaft zu gestalten, ohne dass es überhaupt aus marktwirtschaftlicher Sicht negativ zu bewertende Hemmschwellen geben muss. Wenn tatsächlich hierbei einige Wirtschaftssubjekte mit dieser Wirtschaftsordnung nicht zurecht kommen und drohen, auf der Strecke zu bleiben, bedarf es der Korrektur, die dann zwar nicht marktwirtschaftlichen Gesetzen zu folgen, sich aber dennoch dem als Vorrangsfaktor zugrunde gelegten gruppenegoistischen Basismodell anzupassen hat. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass in diesem Rahmen die Wirtschaft fast ausschließlich marktwirtschaftlichen Gesetzen unterliegt, während die Korrektur durch solche sozialen Regeln erfolgt, die deshalb nicht als systemfremd betrachtet werden, weil erst durch sie das marktwirschaftliche System vom zugrundeliegenden Menschenbild akzeptiert wird(41). Der wirtschaftliche Gesamtnutzen der Sozialstaatskomponente bleibt einem begrenzten Kreis vorbehalten, während Außenstehende vom System nicht auf Kosten des Systems entsprechend den Gesetzen der Marktwirtschaft erhalten werden müssen(42).
Gerade hier wird deutlich, dass die Rettung von Banken und schwächelnden Eurostaaten sich als systemfremd darstellt und deshalb grundsätzlich nicht mit dem Prinzip des Sozialstaates in Einklang zu bringen ist:
Die Rettung einer von der Insolvenz bedrohten Bank durch den Staat passt niemals zu den Grundsätzen der freien Marktwirtschaft:
In einem solchen Fall hätten nämlich die Marktkräfte das Ausscheiden des Geldinstitutes aus dem Wirtschaftssystem begründet und ein „Auffangen“ mit staatlichen Mitteln würde die Sozialstaatskomponente als Ergänzung zum marktwirtschaftlichen System gerade in ihr Gegenteil verkehren. Auf diese Weise würde nämlich ein überdurchschnittlich risikofreudiges Verhalten, dessen Zweck einzig und allein die Erwirtschaftung überdimensionaler Gewinne und Renditen sein kann, belohnt. Anders ausgedrückt würde dies nämlich bedeuten, dass Gewinne aufgrund zu hoher Risikobereitschaft der Bank und den hinter ihr stehenden Wirtschaftssubjekten verbleiben könnten, während im Fall der Verwirklichung des Risikos im Sinne einer Pleite der Verlust durch das Eintreten des Staates vergesellschaftet werden würde. Zu Recht wird daher die heutige Praxis vieler Staaten, marode Banken und zahlungsunfähige Euroländer zu retten als himmelsschreiendes Unrecht empfunden. Norbert Blüm(43) geht sogar so weit, neue Begriffe, wie z.B. den „Finanzkapitalismus“, den er einer neuen Weltreligion gleichsetzt, deren „heilige Trinität“ Deregulierung, Privatisierung und Kostensenkung heißen. Wenn dennoch im schlimmsten Fall die Pleite Gehenden nach dem Staat rufen, widerspricht das letztlich sogar den eigenen GlaubensgrundsääüöääöüüÖääüäüäüäüääüüäüü