LAUREN GRAHAM
Lieber jetzt
als irgendwann
ROMAN
Aus dem Amerikanischen
von Susanne Goga-Klinkenberg
FISCHER E-Books
Lauren Graham ist als Schauspielerin vor allem für ihre Rolle der Lorelai Gilmore in dem preisgekrönten TV-Serien-Erfolg ›Gilmore Girls‹ bekannt. Sie ist auf dem Broadway aufgetreten und hat in Kinofilmen wie ›Evan, allmächtig‹, ›Bad Santa‹ und ›Because I said so – Von Frau zu Frau‹ mitgewirkt. Sie hat Englische Literatur und Schauspielerei studiert und lebt in New York und Los Angeles. Zurzeit feiert sie in den USA große Erfolge mit der Serie ›Parenthood‹.
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Covergestaltung: bürosüd°, München
Coverabbildung: Claudio Marinesco und Moey Hoque
Erschienen bei FISCHER E-Book
Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel ›Someday, Someday, Maybe‹ bei Ballantine Books. This translation is published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of The Random Publishing Group, a divsion of Random House, Inc., New York
© 2013 by Lauren Graham
Mit freundlicher Genehmigung der Hal Leonard Corporation für den Abdruck eines Auszugs aus: “The Miller’s Son” from A LITTLE NIGHT MUSIC, words and music by Stephen Sondheim, copyright © 1973 (renewed) by Rilting Music, Inc. All rights administered by WB Music Corp. All rights reserved. Reprinted by permissions of Hal Leonard Corporation.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402935-1
Ich glaube, dein Selbst
tritt mit der Zeit deutlicher hervor.
– Meryl Streep
Schauspielerei
ist glückliche Agonie.
– Jean-Paul Sartre
»Fang an, sobald du bereit bist«, sagt eine Stimme aus dem hinteren Teil des Saals.
Oh, ich bin bereit.
Immerhin habe ich mich jahrelang auf diesen Tag vorbereitet: den Tag des Wichtigsten Vorsprechens In Meinem Ganzen Leben. Endlich ist er da, und ich werde einen guten Eindruck hinterlassen, ganz sicher. Vielleicht bekomme ich sogar den Job. Bei dem Gedanken muss ich lächeln, und ich hole tief Luft, halte den Kopf gerade, den Körper wachsam, aber entspannt. Ich bin bereit. Bereit, den ersten Satz zu sprechen.
»Eeesssssaaheeehaaa.« Das Geräusch, das ich hervorstoße, ist dünn und hoch, ein schrilles, keuchendes Geheul, als würde man langsam die Luft aus einem Ballon lassen oder eine Katze mit Asthma ertränken.
Vergiss es. Bleib ruhig. Versuch’s noch einmal.
Ich räuspere mich.
»Haaaaawwrrrblerp.« Jetzt klingt meine Stimme tief und grollend, das dröhnende Nebelhorn eines Schiffes, das in den Hafen einläuft, dann ein seltsames Rülpsen als Schlusspunkt. »Hawrblerp?« Das kann nicht mein Text sein. Ich glaube, es ist nicht mal ein Wort. Oh mein Gott, hoffentlich denken die nicht, ich hätte tatsächlich gerülpst. Es war eher ein Gurgeln, sage ich mir – obwohl ich mir nicht sicher bin, was schlimmer wäre. Ich kann mir genau vorstellen, was sie nach dem Vorsprechen sagen: Diese Schauspielerin – wir laden sie ein, und sie rülpst den Dialog. Ist die überhaupt zu gebrauchen? Na ja, wir könnten sie nehmen, wenn die Rolle exzessives Gurgeln verlangt. Grausames Gelächter, Telefonhörer knallen auf Gabeln, Hochglanzfotos werden zu Papierfliegern gefaltet und zielen auf Papierkörbe. Karriere im Eimer, das war’s.
»Franny?« Ich sehe nicht, wer da spricht, weil der Scheinwerfer so hell ist, aber sie werden wohl allmählich ungeduldig. Mein Herz hämmert, meine Handflächen werden feucht. Ich muss meine Stimme wiederfinden, sonst schicken sie mich weg. Oder noch schrecklicher – sie zerren mich mit einem dieser riesigen Haken, wie man sie aus alten Filmen kennt, von der Bühne. In der elisabethanischen Zeit bewarfen die Zuschauer die Schauspieler mit faulen Eiern, wenn ihnen die Vorstellung nicht gefiel. Das machen sie heute nicht mehr, oder? Das hier ist der Broadway, glaube ich zumindest. Sie würden nicht einfach etwas werfen …
Die Tomate prallt von meinem Bein ab und landet auf dem nackten Holzboden der Bühne.
Platsch.
»Franny? Franny?«
Ich öffne halb die Augen. Durchs Fenster über dem Bett kann ich sehen, dass heute wieder ein grauer und regnerischer Januartag ist, weil ich nach Weihnachten die Vorhänge abgenommen habe, um einen meiner guten Vorsätze fürs neue Jahr umzusetzen: früh aufstehen. Erfolgreiche Schauspielerinnen sind disziplinierte Menschen, die früh aufstehen, um sich auf ihre Kunst zu konzentrieren. Selbst wenn sie – wie ich – noch als Kellnerin arbeiten. Ich habe den Wecker auf den Treppenabsatz zwischen Janes und meinem Zimmer gestellt, damit ich wirklich aufstehen muss, um ihn auszuschalten, statt wie üblich wieder und wieder auf ›Schlummer‹ zu drücken. Außerdem habe ich beschlossen, erneut mit dem Rauchen aufzuhören, keine Geldbörsen, Brieftaschen und Regenschirme mehr zu verlieren und nie wieder Käseflips zu essen, nicht mal bei besonderen Gelegenheiten. Dennoch habe ich gestern zwei Zigaretten geraucht, und obwohl die Sonne von den Wolken verdeckt wird, bin ich mir ziemlich sicher, dass meine selbstgesetzte Aufstehzeit von acht Uhr längst überschritten ist. Das Einzige, was ich in diesem Jahr bisher erreicht habe, ist also eine dreitägige Abstinenz von Käseflips sowie die Tatsache, dass der Regenschirm noch unten im Ständer steht.
»Franny?«
Ich rolle mich halbwach herum und beäuge den narbigen Holzboden neben meinem Bett, wo ein hoher schwarzer Lederturnschuh von Reebok auf der Seite liegt. Seltsam. Es ist meiner – einer von denen, die ich beim Kellnern trage –, aber ich dachte, ich hätte sie draußen … zack!, schon saust der zweite Reebok heran, trifft auf die Bettrüschen und verschwindet darunter.
»Franny? Tut mir leid, ich habe geklopft, aber du hast nicht reagiert.« Dans Stimme klingt gedämpft und ängstlich durch die Zimmertür. »Ich habe dich doch nicht mit dem Schuh getroffen, oder?«
Ahhh, also hat mich mein Schuh am Bein getroffen, keine Tomate. Ein Glück.
»Ich habe geträumt, er wäre eine Tomate!«, rufe ich.
»Soll ich später wiederkommen?«, ruft Dan besorgt zurück.
»Nein, komm rein!« Vermutlich sollte ich aufstehen und Dan von seinem Leid erlösen, aber es ist so kalt. Ich will noch eine letzte Minute im Bett bleiben.
»Was? Tut mir leid, Franny, ich kann dich kaum hören. Ich sollte doch dafür sorgen, dass du aufstehst, weißt du noch?«
Vermutlich ja, aber ich bin noch zu fertig, um mich auf Einzelheiten zu konzentrieren. Normalerweise hätte ich unsere Mitbewohnerin, meine beste Freundin Jane, darum gebeten, aber sie arbeitet jetzt als persönliche Assistentin an dem neuen Film von Russell Blakely. Ich habe von Dan kaum etwas mitbekommen, seit er vor einigen Monaten in das Schlafzimmer unten gezogen ist, und weiß nur, dass er geradezu lächerlich groß ist, viele Stunden am Computer verbringt und furchtbare Angst davor hat, uns über den Weg zu laufen, wenn wir nicht salonfähig angezogen sind.
»Komm rein, Dan!«
»Bist du salonfähig?«
Tatsächlich bin ich in einem Outfit schlafen gegangen, das selbst Dans prüde Maßstäbe bei weitem übertrifft: Ich trage eine dicke Jogginghose und eine Daunenweste, die ich mir gestern Abend geschnappt habe, nachdem die Heizung in meinem Zimmer stotterte und heißes Wasser auf den Boden spuckte, bevor sie mit einem pathetischen Zischen den Geist aufgab. Mehr kann man für fünfhundert Dollar monatlich in Park Slope, Brooklyn nun mal nicht erwarten.
Jane und ich hatten uns die beiden obersten Etagen des bröckelnden Brownstone-Hauses mit Bridget, unserer Freundin vom College, geteilt, bis diese eines Tages in ihrer Investmentbank auf den Schreibtisch stieg und verkündete, sie wolle nicht mehr Millionärin werden, bevor sie dreißig sei. »Ihr seid alle innerlich tot!«, kreischte sie. Danach wurde sie ohnmächtig. Man rief einen Krankenwagen, und ihre Mutter flog von Missoula her, um sie nach Hause zu holen.
»New York City«, hatte die Mutter gesagt, während sie die letzten Sachen ihrer Tochter einpackte, »ist kein Ort für junge Mädchen.«
Janes Bruder war mit Dan in Princeton befreundet gewesen und versicherte uns, er sei harmlos: still, verantwortungsvoll und mit Everett, seiner Freundin vom College, verlobt. »Er wollte eigentlich Arzt werden, versucht sich jetzt aber als Drehbuchautor«, hatte Janes Bruder erzählt. Und dann die ultimative Empfehlung für einen Mitbewohner abgegeben: »Seine Familie hat Geld.«
Weder Jane noch ich hatten je einen männlichen Mitbewohner gehabt. »Ich glaube, das wäre sehr modern«, sagte ich zu ihr.
»Modern?« Sie verdrehte die Augen. »Komm schon, wir haben 1995. Das ist eher retro. Wie bei Herzbube mit zwei Damen.«
»Aber mit zwei Janets«, merkte ich an. Jane und ich sind in vieler Hinsicht unterschiedlich, aber wir haben am College fleißig zusammen gelernt, sind beide dunkelhaarig und haben mehr als einmal zum Vergnügen Das Haus der Freude gelesen. Keine von uns würde eine gute Chrissy abgeben.
»Wie wahr«, seufzte sie.
»Franny?«, ruft Dan. Seine Stimme klingt immer noch gedämpft. »Du bist doch nicht wieder eingeschlafen, oder? Du hast gesagt, wenn ich dich nicht daran hindere, passiert genau das. Und ich habe versprochen, dass …«
Ich hole tief Luft und gröle in meinem schönsten, zwerchfellgestützten Shakespeare-Ton: »Komm reiiiiiin, Daaaaan!«
Wie durch ein Wunder erscheint die linke Seite seines Gesichts im Türspalt, bevor er sich von meinem Bekleidungszustand überzeugt und ganz ins Zimmer tritt, wobei er seinen überdimensionalen Körper ungeschickt gegen das Bücherregal in der Ecke lehnt. Dann fällt es mir ein …
Meine Haare.
Ich hege keine romantischen Gefühle für Dan, denke aber sofort an meine widerspenstigen, unglaublich lockigen Haare, die ich gestern Abend auf dem Kopf aufgetürmt und mit einem grünen Samtgummi befestigt habe, als sie noch feucht vom Duschen waren. Eine Technik, von der ich aus Erfahrung weiß, dass sie die Haare über Nacht in einen angsteinflößenden, krisseligen Turm verwandelt. Ich versuche, den Schaden zu bewerten, unterdrücke ein Gähnen und strecke unbekümmert die Hand zum Kopf, um die verfilzte Katastrophe zu richten. Irgendwie schaffe ich es, mich dabei zu verschlucken.
»Ist es … (hust, schluck) … wirklich schon so spät?«, stottere ich.
»Na ja, ich war kurz im Deli und weiß nicht genau, wie lange dein Wecker schon geklingelt hat«, antwortet Dan. »Frank ist jedenfalls seit zwei Stunden auf.«
Scheiße. Ich bin wirklich spät dran. Frank ist unser Nachbar. Wir können durch die hinteren Fenster in seine Wohnung sehen. Frank führt ein geheimnisvolles, einsames Leben, aber man kann die Uhr nach ihm stellen. Er steht um acht Uhr auf, sitzt von neun bis eins am Computer, holt sich irgendwo ein Sandwich, sitzt von zwei bis halb sieben wieder am Computer, verschwindet von halb sieben bis acht und schaut von acht bis elf fern, woraufhin er sich umgehend ins Bett begibt. Sein Zeitplan ändert sich nie. Er bekommt nie Besuch. Wir machen uns Sorgen um Frank, so wie sich New Yorker Sorgen um Fremde machen, in deren Wohnung sie hineinschauen können. Mit anderen Worten, wir haben uns einen Namen für ihn ausgedacht, Theorien über sein Leben aufgestellt und würden den Notruf verständigen, wenn etwas Schlimmes geschähe, während wir ihn ausspionieren. Würde ich ihm in der U-Bahn begegnen, würde ich jedoch schnell wegschauen.
»Hier drinnen ist es ziemlich kalt«, verkündet Dan und schaut unter seinem langen braunen Pony hervor. Dan hat immer einen Haarschnitt nötig.
»Dan«, ich setze mich hin und ziehe mir die Decke bis zu den Ohren, »Ich muss schon sagen. Dieser Blick für das Offensichtliche, verbunden mit deiner Zielgenauigkeit im Schuhewerfen – du solltest einen persönlichen Weckdienst gründen und dich beim Plaza Hotel bewerben. New York braucht dich. Ganz im Ernst.«
Er runzelt einen Moment die Stirn, als würde er tatsächlich seine Qualifikationen für eine solche Stelle überdenken, doch dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht. »Aha«, sagt er und deutet mit Zeigefinger und Daumen auf mich, als hätte er eine Pistole in der Hand. »Das war bloß ein Scherz.«
»Hm, ja«, sage ich und ziehe den Arm aus dem Deckenkokon hervor, um ebenfalls auf ihn zu zielen. »Das war ein Scherz.«
»Wusstest du, Franny«, setzt er in seinem öden Professorenton an, und ich wappne mich schon für einen langweiligen Vortrag – »dass die Statue vor dem Plaza Hotel der römischen Göttin der Baumfrüchte Pomona nachempfunden wurde? Ich glaube, sie heißt ›Die Fülle‹.« Dan schaukelt auf den Fersen, zufrieden mit seiner unerwarteten Lektion in Sachen Kunstgeschichte.
Ich unterdrücke erneut ein Gähnen. »Was du nicht sagst. ›Die Fülle‹? So heißt die Bronze-Dame, die oben ohne auf dem Brunnen steht?«
»Ja, ›Die Fülle‹, jetzt bin ich mir sicher. Everett hat in Princeton eine umfangreiche Studie über die historisch relevanten Nacktskulpturen in Manhattan erstellt. Ehrlich gesagt«, bemerkt er leise und verschwörerisch, »galt der Aufsatz als ziemlich provokativ.« Er wackelt mit den Augenbrauen, so dass ich schon fürchte, seine nächsten Worte könnten ›Huba, Huba‹ lauten.
Dan und Everett, die Verlobten. Dan und Everett und ihr gemeinsames Interesse an den historisch relevanten Nacktskulpturen von Manhattan. Anscheinend ist das die Art geteilter Leidenschaft, die einem verrät, dass man den Rest des Lebens miteinander verbringen sollte. Glauben würde man es nicht, wenn man sie sieht. In meinen Augen erinnern sie eher an Kollegen aus einem Labor, die die Forschungsarbeit des anderen respektieren, als an ein Liebespaar.
»Das ist faszinierend, Dan, das muss ich mir unbedingt notieren. Falls es dir nicht zu viel Mühe macht, könntest du einen Blick auf den Wecker werfen und mir sagen, wie spät es ist?«
»Natürlich.« Er verbeugt sich leicht wie ein Diener aus alter Zeit. Dann verschwindet er kurz und steckt den Kopf wieder zur Tür herein. »10.33 Uhr.«
Etwas an der Uhrzeit lässt mein Herz zusammenzucken, und ich muss eine unheilvolle Ahnung herunterschlucken, das ungute Gefühl, dass ich zu irgendetwas zu spät kommen könnte. Meine Schicht im Comedy-Club, in dem ich kellnere, beginnt erst um halb vier. Ich wollte zwar früher aufstehen, bin aber nicht wirklich zu spät oder habe etwas verpasst. Jedenfalls fällt mir nichts ein.
»Ach, Franny – nur so eine Idee«, verkündet Dan feierlich. »Wenn du den Wecker neben dein Bett stellst, kannst du ihn besser hören.«
»Danke«, sage ich und unterdrücke ein Kichern. »Vielleicht probiere ich das morgen einfach mal aus.«
Er will schon gehen, dreht sich aber um und bleibt zögernd in der Tür stehen.
»Ja, Dan?«
»Von heute an sechs Monate, oder?«, fragt er lächelnd. »Ich möchte dir gern als Erster Glück wünschen. Ich bezweifle nicht, dass du Erfolg haben wirst.« Dann folgt wieder die kleine Verbeugung, und er verschwindet in seinen Adidas-Flipflops Schuhgröße 47.
Ich lasse mich aufs Kissen fallen, und einen seligen Moment lang ist mein Kopf einfach nur leer.
Dann bricht es über mich herein.
Welcher Tag heute ist.
Der Grund, aus dem Dan dafür sorgen sollte, dass ich wirklich aufstehe.
Der Grund, aus dem ich Albträume von Vorsprechen habe.
Eine Welle des Grauens schlägt über mir zusammen, als es mir einfällt: Als ich gestern Abend einen Blick auf den Jahreskalender in meinem Filofax geworfen habe, wurde mir klar, dass die Abmachung, die ich bei meiner Ankunft in New York mit mir selbst getroffen habe, in genau sechs Monaten abläuft – ich wollte sehen, was ich in drei Jahren schaffen kann. Sollte meine Karriere als Schauspielerin bis dahin nicht in Gang gekommen sein, würde ich definitiv etwas anderes machen. Erst gestern Abend hatte ich mir vorgenommen, früh aufzustehen, ein Sonett auswendig zu lernen und die Matinee eines sperrigen ausländischen Films anzusehen. Ich würde etwas tun, irgendetwas, um an mir zu arbeiten und, wenn irgend möglich, nicht zu versagen.
Ich werfe die Decke beiseite, bin dankbar für den Kälteschock. Ich muss aufwachen, aufstehen, mich anziehen. Auch wenn ich nicht genau weiß, wofür. Ich könnte laufen gehen … Laufen – ja! Ich habe noch Zeit, bis ich zur Arbeit muss, und trage schon eine Jogginghose, also muss ich mich nicht mal umziehen. Ich ziehe die Kuschelsocken aus und Sportsocken an, die ich hinten aus der obersten Schublade hervorkrame, dazu den einsamen Reebook, der auf dem Boden liegt. Ich werde von jetzt an jeden Tag laufen gehen, denke ich, während ich auf dem Bauch liege, einen Arm tief unter dem Bett, und blind nach dem zweiten Schuh taste. Mir ist klar, dass keine direkte Verbindung zwischen dem Laufen und dem Erreichen meiner Ziele in den nächsten sechs Monaten besteht – ich glaube, Meryl Streep hat ihren Erfolg als Schauspielerin nie auf den erstklassigen Zustand ihres kardiovaskulären Systems zurückgeführt –, doch da mir heute kaum jemand einen Schauspieljob anbieten wird, und morgen vermutlich auch nicht, muss ich etwas anderes tun, als nur herumzusitzen und zu warten.
Und ich werde nicht gegen meine Abmachung verstoßen, wie andere es manchmal tun. Man fängt mit drei Jahren an, daraus werden fünf, und ehe man sich versieht, nennt man sich Schauspielerin, obwohl man in Wirklichkeit ein Schließfach in der Cafeteria des General Electric Building hat, sich täglich in die geliehene Kellnerinnenuniform aus rosa Polyester zwängt und Geschäftsleuten, die einen »Entschuldigen Sie, bitte« nennen, lauwarme Lasagne serviert.
Ich habe Fortschritte gemacht, aber es reicht nicht, um sicher zu wissen, dass ich das Richtige aus meinem Leben mache. Fast das ganze erste Jahr ging dafür drauf, den begehrten Kellnerjob im Comedy-Club The Very Funny zu bekommen. Dort bekomme ich endlich genügend Trinkgeld, um ohne Hilfe meines Vaters die Miete zu bezahlen. Nachdem ich letztes Jahr Porträtfotos an sämtliche Adressen in den Ross Reports geschickt hatte, nahm mich die Brill Agency unter Vertrag. Aber sie vermittelt nur Werbespots, und das auch nur unregelmäßig – manchmal habe ich wochenlang keinen Vorsprechtermin. Und seit diesem Jahr besuche ich die Schauspielklasse von John Stavros, die als eine der besten in der Stadt gilt. Doch als ich nach New York zog, hatte ich gehofft, meine ersten Schauspielerfahrungen in experimentellen Stücken zu sammeln, vielleicht sogar Off Broadway – was bedeutete, dass ein Stück zwar nicht am Broadway, aber immerhin an einer Bühne im Theater District gespielt wurde – und nicht in einer Rolle, in der ich mir die Schläfen rieb, als brauchte ich etwas gegen Spannungskopfschmerz, der von einem stressigen Bürojob herrührte. Und ein Erfolg pro Jahr entsprach auch nicht ganz meinen Vorstellungen.
Ich liege noch immer halb unter dem Bett und schiebe mühsam einen kaum benutzten Rollerblade beiseite. Ich wedle mit dem Arm hin und her, so als würde ich einen Schneeengel machen, nur dass der gesammelte Kram unter dem Bett sehr viel schwerer zu bewegen ist. Ich gebe einen Moment lang auf und lege die Wange seufzend auf den kühlen Holzboden.
»Hast du eine Ahnung, wie wenige Schauspieler es wirklich schaffen?«, fragen die Leute immer. »Du brauchst einen Plan B.« Daran denke ich nicht gern – ich wollte immer nur Schauspielerin werden –, aber ich habe einen Plan B, nur für den Notfall: Englisch unterrichten wie mein Vater und meinen Collegefreund Clark heiraten. Kein so schreckliches Szenario – mein Vater lässt die Vorstellung, an der Highschool Englisch zu unterrichten, wenigstens halbwegs attraktiv aussehen. Wenn ich meinen Traum hier nicht verwirklichen kann, kann ich immerhin ein glückliches, normales Leben mit Clark führen, in einem Vorort wohnen, wo er als Anwalt arbeitet, und, nun ja, den ganzen Tag irgendetwas machen.
Auf der Highschool und am College habe ich viele Hauptrollen gespielt, kann aber schlecht durch New York laufen und verkünden: »Ich weiß, mein Lebenslauf gibt nicht viel her, aber ihr hättet mich damals in Hello Dolly! sehen sollen.« Vermutlich könnte ich James Franklin, einen der wenigen aus der Klasse, die wirklich als Schauspieler arbeiten, um Rat bitten. Er dreht gerade einen Film mit Arturo DeNucci und wird vermutlich im nächsten Film von Hugh McOliver mitspielen, aber dazu müsste ich den Mut aufbringen, ihn anzusprechen. Allein der Gedanke treibt mir den Schweiß auf die Stirn: »Entschuldige, James, ich bin neu in der Klasse und … (ringe nach Luft) und … Mensch, ganz schön heiß hier drinnen. Ich hab mich nur gefragt … (hysterisches Kichern/Schlucken) … hm … wie jemand so talentiert und gleichzeitig so atemberaubend sein kann? Ahahaha, Entschuldigung (irres Gelächter, renne beschämt davon).«
Ich brauche bloß eine Chance, um mich zu beweisen – doch dafür fehlt mir ein wirklich guter Agent. Einer, der mich nicht zu Werbespots schickt, sondern der mir Termine für richtige Jobs besorgt. Ich brauche zumindest eine Sprechrolle, etwas, das diese ganzen Jahre rechtfertigt und irgendwann vielleicht zu einer eigenen Show führt: Ein Abend mit Frances Banks im 92nd Street Y. Die meisten Leute träumen vermutlich von einem Tony Award oder ihrer Oscar-Rede, aber das 92nd Street Y ist der Ort, der meinem Vater am wichtigsten ist, an den er mich immer mitgenommen hat, als ich noch ein Kind war. Deshalb kann ich mir leichter vorstellen, dort Erfolg zu haben, auch wenn ich immer nur im Publikum gesessen habe.
Von heute an sechs Monate, denke ich wieder, und mein Magen schlägt einen kleinen Purzelbaum.
Wenn ich versuche, mir auszumalen, wie viele Stufen zwischen dem kühlen Boden meines Schlafzimmers in Brooklyn und einem Auftritt im 92nd Street Y liegen, bin ich ziemlich ratlos. Ich habe keine Ahnung, was zwischen heute und einem festlichen Abend anlässlich der Retrospektive meiner Karriere geschehen wird. Ich stelle mir die beiden Eckpunkte vor wie zwei Buchstützen, während die Bücher dazwischen noch gar nicht geschrieben wurden.
Endlich berühren meine Fingerspitzen den gepolsterten Rand des Turnschuhs, und ich quetsche die Schulter noch fester unter das Bett, recke und strecke mich, um ihn zu erwischen. Der Schuh taucht auf, zusammen mit einem Karton voller alter Kassetten aus der Highschool, meinem Paddington Bär ohne gelben Regenmantel und einem Strohhut mit Kunstblumen an der Krempe. Jane hat mich letzten Sommer angefleht, ihn wegzuwerfen.
Ich schiebe die schäbigen Andenken an die Vergangenheit wieder unters Bett, ziehe die Schuhe an und mache mich zum Laufen bereit.
Sie haben zwei neue Nachrichten.
PIEP
Hallo, dies ist eine Nachricht für Frances Banks. Hier ist die Praxis von Dr. Leslie Miles, Ernährungsberaterin. Wie freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie auf der Warteliste für die Warteliste nach oben gerückt sind. Sie befinden sich jetzt auf der tatsächlichen Warteliste für einen Termin bei der Ärztin. Gratulation. Wir melden uns in ein bis sechzehn Monaten.
PIEP
Hallo, Franny, hier ist Heather aus der Agentur. Sie sind doch heute für Niagara bestätigt, oder? Wo sind die … Entschuldigung, dieses ganze Papier! Da ist es ja. Also, ich habe mich nur gefragt, ob Sie – haben Sie Probleme mit Zigaretten? Ich arbeite an einem Projekt für eine Zigarettenkampagne, die in Frankreich oder sonstwo in Europa gesendet werden soll. Sie müssten die Zigarette auch nicht wirklich rauchen, das glaube ich jedenfalls nicht … Jenny, muss sie sie in den Mund stecken? Nein? Okay, Sie müssten also einfach nur die brennende Zigarette halten, aus der Rauch kommt. Sie würden auch einen Gefahrenzuschlag bekommen. Melden Sie sich!
PIEP
Heute habe ich tatsächlich einen Vorsprechtermin, was mir enorm dabei geholfen hat, die anvisierte Aufstehzeit von acht Uhr, na ja, beinahe einzuhalten. Doch diesen Sieg habe ich hinter mir, jetzt stehe ich vor dem Badezimmerspiegel und versuche, ein bedrohliches Gesicht zu machen. Ich bin ein Matador, der dem wütenden Stier entgegentritt, und werde ihn unterwerfen. Bewaffnet mit meinem Diffuser-Aufsatz tauche ich die Fingerspitzen tief in das Gefäß mit wabbligem, nach Kiefern riechendem Haargel und fördere einen gigantischen grünen Schleimklumpen zutage. Heute siegt Quantität – damit hast du nicht gerechnet, Haar, nimm das!
Irgendwann reiße ich mich vom Trocknen und Knautschen meiner Haare los und nehme meinen sehr kleinen, sehr vollgepackten Kleiderschrank in Augenschein. Ich habe im Laufe der Zeit begriffen, dass man die Figuren aus Werbespots in drei Gruppen einteilen kann, und mir daher drei Vorsprech-Outfits zusammengestellt: schick und lässig (Person arbeitet im Büro – schwarzer Blazer mit Schulterpolstern, klassische Bluse), coole Mutter (Person arbeitet zu Hause – Jeanshemd oder einfacher Pulli, Khakihose) und Schlampe (Person, die sich wie eine Schlampe kleidet). Ich bin so daran gewöhnt, ein Outfit auszusuchen, um jemand anderen zu spielen, dass es mir manchmal schwerfällt, mich wie mich selbst anzuziehen. Ich probiere verschiedene Looks, bin mir aber nie sicher, was ich als »ich« tragen soll. Vor ein paar Wochen dachte ich, ich hätte meinen Stil endlich gefunden: Bohemian. Hippieröcke und handbestickte Hemden. Bunt, aber dezent. Ich kombinierte meine besten fließenden Teile und führte sie Jane stolz vor.
»Schlussverkauf bei Putumayo?«, fragte sie nach kurzem Schweigen.
»Das ist mein neuer Look.«
»Für den Stevie-Nicks-Fanclub?«
»Jane, im Ernst, sag mal was Hilfreiches.«
Sie neigte den Kopf und betrachtete mich aufmerksam. »Ganz ehrlich, Franny, dazu fällt mir nur eins ein: Du sieht aus, als würdest du in einer supertollen Bäckerei in Maine arbeiten.«
Heute Abend nach dem Vorsprechen habe ich Unterricht, daher entscheide ich mich für die Kombination »junge Mutter vs. Schauspielschülerin«: schwarzer Pulli, schwarze Strumpfhose, kurzer schwarzer Wollrock und dazu die geschnürten Halbschuhe von Doc Martens – nicht so wahnsinnig mütterlich, aber bequem. Ich habe diese Kombination schon so oft getragen, dass mein schwarzes Outfit ein bisschen langweilig wirkt, ein bisschen ausgereizt. Ich frage mich, was Jane machen würde, und hole einen klobigen, braunen Ledergürtel aus dem obersten Fach, den ich tief um die Hüften schlinge. Angesichts des Wetters und des Werbeprodukts fasse ich die Haare oben auf dem Kopf mit einem schwarzen Samtband zusammen.
Das Telefon, das auf dem Treppenabsatz zwischen unseren Zimmern steht, klingelt.
»Hi, Dad.«
»Hallo?«
»Ja. Ich habe doch ›Hi, Dad‹ gesagt.«
»Franny? Hier ist dein Vater.«
»Ich weiß, Dad.«
»Woher wusstest du, dass ich es bin?«
»Hab ich dir doch gesagt. Wir haben jetzt Anruferkennung.«
»Ist das heilbar?«
»Dad. Man sieht einfach nur die Nummer des Anrufers.«
»Was für eine schreckliche Erfindung. Warum sollte jemand das haben wollen?«
»Damit man weiß, wer dran ist, bevor man sich meldet.«
»Warum sagst du nicht einfach: ›Hallo, wer ist da?‹?«
»Was gibt’s, Dad? Ich muss zum Vorsprechen.«
»Deine Tante Mary Ellen hat gesagt, ich soll dich daran erinnern, ein Zimmer für Katies Hochzeit zu buchen.«
»Sch… schön. Ich hab’s vergessen.«
»Natürlich ist die Hochzeit erst im Juni, aber wenn du im The Sands am Strand wohnen möchtest, solltest du früh buchen.«
»Okay, danke.«
»Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Wieso?«
»Na ja, meinen Berechnungen zufolge könntest du mit diesem neuen Telefon-Erkennungssystem zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden täglich sparen. Ich frage mich, was du mit der ganzen Freizeit anfangen willst.«
»Haha.«
»Außerdem hat einer meiner Schüler von einer Serie namens Friends erzählt, die sehr beliebt sein soll. Vielleicht solltest du dich mal dafür bewerben.«
»So einfach ist das nicht. Außerdem bin ich fürs Fernsehen nicht dünn genug.«
»Wer will denn schon so dünn sein wie diese Mädchen? Die sehen doch krank aus. Du bist gesund.«
»Ich will aber nicht gesund aussehen.«
»Du willst nicht gesund sein?«
»Ich will gesund sein und krank aussehen.«
»Und dafür hast du die Klassiker studiert«, sagt er seufzend.
Mein Vater liebt Literatur und Poesie, Symphonien und Opern. Er besitzt nur einen kleinen Schwarzweißfernseher mit Alufolie an der Antenne, mit dem er sich hauptsächlich Nachrichten anschaut. Er begreift nicht so genau, was ich mache, will mich aber unterstützen. Als ich nach New York gezogen bin, schenkte er mir meinen Filofax aus braunem Leder. »Für deine Termine«, sagte er. »Du wirst bestimmt viele haben.«
Mein Vater und ich haben einander immer nahegestanden, vor allem seit dem Tag, an dem er mich aus dem Kunstunterricht bei Mrs Peterson holte, wo ich gerade Aschenbecher töpfern musste, und mir in seinem klapprigen Volvo auf dem Schulparkplatz erklärte, dass Mom gestorben war. Sie hatte einen Unfall gehabt, als sie versehentlich in falscher Richtung in eine Einbahnstraße fuhr. Und ich dachte:
Er irrt sich.
Doch tief im Herzen wusste ich, dass er die Wahrheit sagte.
Anstatt mir das Gesicht meiner Mutter vorzustellen oder was sie als Letztes zu mir gesagt hatte, sah ich nur die zerlesene, burgunderrote Ausgabe von J.D. Salingers Franny und Zooey, nach der sie mich benannt hatte. Ich glaube, ich stand unter Schock, denn falsch in eine Einbahnstraße zu biegen passte einfach nicht zu meiner intelligenten, aufmerksamen Mutter, der selbst die kleinste Kleinigkeit nicht entging. »Franny, schau dir dieses wunderbare Ding an«, sagte sie, als sie auf einem Flohmarkt eine angeschlagene Porzellantasse gekauft hatte. »Schau dir den winzigen, gelben Punkt auf den rosa Blütenblättern an. Siehst du?«
Also tat ich, als wäre es nicht mir passiert, sondern jemand anderem. Ich weiß nicht genau, ob ich deshalb Schauspielerin geworden bin, aber ich erinnere mich daran, dass ich es zum ersten Mal einfacher fand, mir vorzustellen, jemand anders zu sein. Und dass es eine Möglichkeit war, sich besser zu fühlen.
Jedenfalls beinahe.
Nachdem ich eingehängt habe, meine ich, Jane unten im Haus zu hören. Wenn sie von den Dreharbeiten zurück ist, bekomme ich vielleicht doch noch etwas zu essen, bevor ich in den Zug steige.
»Ich habe es auf die tatsächliche Warteliste geschafft!«, rufe ich schon von der Treppe aus.
»Bei der berühmten Ernährungsberaterin?«
»Ja. Und noch was, habe ich ein Problem mit Zigaretten?«
»Du kommst eigentlich sehr gut mit ihnen klar«, sagt Jane und lässt eine große braune Tüte auf unseren nie benutzten Backofen plumpsen. Sie trägt einen Trenchcoat, den wir im Charity Shop in Prospect Heights gefunden haben, und ihre riesige rote Retro-Sonnenbrille. Jane ist in Greenwich Village aufgewachsen und hat Stil. Während ich mich damit abmühe, eine schwarze Bluse mit einer schwarzen Hose zu kombinieren, zieht sie einfach Jeans, ein T-Shirt und neun fette Armbänder an, als wollte sie sagen: »Na und? Wehe, du findest das uncool.« Sie kauft im Century 21, bei Bolton’s und in Secondhandläden, und an ihr sieht alles irgendwie teuer aus.
»Moment mal – du bist doch nicht gerade erst nach Hause gekommen, Jane Levine?« Ich werfe einen Blick in die braune Tüte. »Können die das von dir verlangen?«
»Die können alles von mir verlangen. Ich bin nicht in der Gewerkschaft.« Jane lehnt sich dramatisch an den Türrahmen zwischen Küche und Dans Zimmer und legt den Handrücken an die Stirn, wie es die Frauen in den Schwarzweißfilmen machen, bevor sie ohnmächtig werden. »Dieser Film«, seufzt sie. »Die wollen mich umbringen. Russell hat mich um vier Uhr morgens zu McDonald’s geschickt, um einen Hamburger Royal zu kaufen. Der Laden am Times Square war wegen einer Schießerei geschlossen. Aber ich habe noch einen in Midtown gefunden, und jetzt will Russell zehntausend Babys von mir. Ein paar von uns haben nach Drehschluss noch in seinem Wohnwagen herumgehangen und Mimosas getrunken!« Sie grinst wie wahnsinnig. »Ich bin ein bisschen blau!«
Jane will Produzentin werden, was sehr gut zu ihr passt, weil sie so schlau ist und außerdem einer jener Menschen, die anderen Vertrauen einflößen, da sie anscheinend auf alles eine Antwort haben, auch ohne die Fakten zu kennen. Vorerst arbeitet sie als Produktionsassistentin an Russell Blakelys neuem Film Kill Time. Der Job scheint sich vor allem darum zu drehen, Nahrung zu besorgen, gelegentlich irgendwo Unterlagen abzuliefern und sich um die Launen des Stars zu kümmern. Wann immer Jane von Russell Blakely spricht, denke ich an die vielzitierte Szene aus seinem letzten Film, Die stählerne Falle, in der er Cornelia Biscayne »Schätzchen, ich bin zu Hause« zuruft, während er mit nacktem Oberkörper an einer Hand von der Kufe eines Hubschraubers baumelt.
»Die heutigen Spezialitäten vom Set: eine Auswahl an Bagels, die drei Stunden auf dem Tisch herumgelegen haben, leider ohne Frischkäse, und dazu das chinesische Reiszeug, das Dan gerne mag und auf das nicht allzu viele Leute geniest haben.«
»Bagel, bitte. Und deine Genehmigung meines Outfits, falls du durch die Brille irgendwas erkennen kannst.«
»Ich bitte dich, ich bin ein Profi.« Jane schiebt die Brille ein wenig hinunter und betrachtet mich aufmerksam.
»Natürlich habe ich das Outfit schon mal gesehen. Aber heute spricht es wirklich zu mir, es singt förmlich ein Lied von deiner Persönlichkeit. Heute sagt es: glückliche Hausfrau, die gern zu Hause ist, sich ihrer Familie widmet und eine in der westlichen Welt bis dahin unbekannte Begeisterung für Bodenpolitur aufbringt.«
»Sehr nah dran. Leidenschaftliche Vorliebe für saubere Kleidung.«
»Ahh. Waschmittel! Du siehst perfekt aus. So gesund, dass ich am liebsten gleich zum Waschsalon laufen würde. Das Gesicht, vertraut und doch ein frischer Windhauch. Außerdem hast du dein Haar heute wirklich gut im Griff.«
»Danke, Janey.«
»Ich würde nur auf den Gürtel verzichten.«
Ich hänge meinen missratenen Modeversuch über das Treppengeländer und entscheide mich aus unerfindlichen Gründen dafür, einen dramatischen Auftritt hinzulegen, während ich von der Kochnische ins Wohnzimmer trete, wo Dan gerade arbeitet. Dort werfe ich mich in Positur wie eine dieser Frauen, die auf der Motorhaube eines nagelneuen Autos lümmeln.
»Hey, Dan, sehe ich aus wie jemand mit richtig sauberer Kleidung?«
»Hmpf?« Er blickt gar nicht auf.
Da er meine erste Pose nicht gewürdigt hat, beschließe ich, es mit einer dramatischeren Haltung zu versuchen, ein Anklang an Tutanchamun im Sarg.
»Dan«, sage ich, während ich wie eine Mumie dastehe, die Arme an den Handgelenken überkreuzt. »Jane ist zu Hause. Sie hat Essen mitgebracht.«
»Hmmphhmm«, murmelt er und kritzelt wie wild in sein Notizbuch.
Schließlich klatsche ich in die Hände. »Dan, Notfall! Deine Hose ist offen!«
»Was?« Endlich blickt er auf und pustet seinen Pony aus dem Gesicht. »Tut mir leid, Franny, ich kämpfe wirklich mit den Photar-Kreaturen.« Er ist dabei, ein Science-Fiction-Drehbuch für irgendeinen Wettbewerb zu schreiben. Ich bin mir sicher, er gewinnt. Er hatte in Princeton nur Bestnoten, und keiner bringt Aliens mehr Leidenschaft entgegen als Dan. Wenn er versucht, mir die Geschichte zu erklären, zähle ich die Bodendielen oder wiege die Vorteile von Gemüse- gegenüber Frühlingszwiebel-Frischkäse ab, aber das Drehbuch ist sicher besser, als es sich anhört.
»Wie sehen meine Haare aus? Ich mache gerade eine Umfrage in unserer Wohnung.« Diesmal, warum auch immer, begleite ich meine Frage mit einem seltsamen kleinen Stepptanz, um sie anzupreisen.
Ich hasse mich selbst. Ich muss damit aufhören.
»Ähm, voluminös?«, fragt er hoffnungsvoll.
»Was?«
»Das war doch deine Absicht, oder? Voluminös mit einer Art kleinem, lockigem Springbrunnen obendrauf.«
Aus der Kochnische höre ich Jane prusten, als würde ihr Orangensaft aus der Nase laufen. Schlimmer noch, mir wird klar, dass ich wie festgefroren auf Dans Antwort gewartet habe, während ich meine Hände weiterhin in Highschool-Jazztanz-Aufführung-Position halte. Dan starrt mich einfach nur an.
Resigniert lasse ich die Hände sinken.
»Ja, ›lockiger Springbrunnen‹ war genau meine Absicht. Danke vielmals, Dan.«
Während ich die sechs Häuserblocks zur U-Bahn-Station an der Seventh Avenue entlanggehe, treffe ich eine Entscheidung: Ich muss mich bemühen, nicht die Anerkennung irgendwelcher Menschen zu suchen, von denen ich mir nicht mal sicher bin, ob mir ihre Anerkennung wirklich etwas bedeutet. Das schließt die Leute ein, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich nur sehe, wenn ich an Thanksgiving nach Hause fahre; Leute mit festen Jobs jeglicher Art, vor allem jene, für die man Anzüge oder hohe Absätze benötigt; Leute aus meiner Schauspielklasse; Leute, die bei Barney’s New York arbeiten; Leute in der U-Bahn; Taxifahrer, die meine Streckenführung anzweifeln; Leute, die im Deli in der Eighth Avenue arbeiten, in dem ich manchmal um eine Extraportion Mayonnaise bitte; die Mütter anderer Leute; Tanzlehrer, Aerobic-Trainer oder Personen, die gewöhnlich Klamotten aus Elasthan tragen oder mich in solchen gesehen haben, wie auch riesenhafte Freaks, die über Photar-Kreaturen schreiben.
Ich darf eigentlich von niemandem Anerkennung erwarten. Schauspielerinnen sollten gelassen und selbstsicher sein wie Meryl Streep und Diane Keaton. Ich sollte origineller und einzigartig sein, genau wie sie. Ich sollte Männerkrawatten tragen!
Die Frau am Schalter, die die Fahrchips verkauft, betrachtet mich argwöhnisch. Ich bin dafür bekannt, dass ich meine 1,25 Dollar in Kleingeld bezahle, manchmal in sehr viel Kleingeld. Es ist nicht mein stolzester Moment, wenn ich die Warteschlange aufhalte, während sie meine Centstücke zählt, aber manchmal geht es nicht anders. Heute aber habe ich sogar Papiergeld dabei. Wir nicken einander zu, als wäre das ein gutes Omen.
Ich werfe meinen Fahrchip in den Schlitz, und auf dem Bahnsteig angekommen beschließe ich, die Wartezeit mit positiven Gedanken zu füllen, um den Vorsprechtermin positiv zu beeinflussen. Ich habe irgendwo gelesen, dass positives Denken sehr großen Einfluss hat und man seinen Verstand darauf trainieren sollte, öfter an glückliche Dinge zu denken, statt sich zu fragen, ob die Jeans zu eng ist oder man genügend Geld auf der Bank hat, um zwanzig Dollar abzuheben, oder ob man noch den Tag erleben wird, an dem das eigene Leben nicht in Barabhebungen von zwanzig Dollar gemessen wird.
Positiv denken. Positiv denken.
Es ist nicht immer einfach, positiv zu denken.
Hm.
Einfach irgendwo anfangen.
Leistungen.
Positive Dinge, die ich gerade erlebe.
Hm.
Ich bin am Leben.
Offensichtlich. Immer ein guter Anfang.
Ich hatte schöne Ferien mit Clark.
Nicht gerade eine Leistung, aber trotzdem ein netter Gedanke.
Clark und ich haben uns bei der Studienberatung kennengelernt und waren von dem Tag an unzertrennlich. Alle, die uns kannten, dachten, wir würden heiraten. Wir haben nie so offen darüber gesprochen, aber wohl beide das Gleiche gedacht.
Dann bekam Clark einen Studienplatz für Jura in Chicago – nicht an der Columbia in New York, wie wir es geplant hatten. Er bat mich mitzukommen, mit ihm zusammenzuziehen. »In Chicago gibt es auch tolle Theater.« Doch ich konnte New York nicht aufgeben, nicht bevor ich es wenigstens versucht hatte. Also trafen wir eine »Abmachung«, nach der wir eine Auszeit nehmen wollten, bis er in drei Jahren sein Studium abgeschlossen hatte. Daher auch mein Ultimatum – wenn er in dieser Zeit ein Jurastudium abschließen konnte, würde die Zeit wohl auch für mich reichen, um sichtliche Fortschritte zu machen. Ich hatte mich seitdem ein paarmal verabredet und er sicher auch, aber es war nichts Ernstes gewesen. Und wenn wir uns sehen, ist es, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen. Und er sagt jedes Mal, er wisse genau, dass wir am Ende zusammenkommen.
»Bist du dir sicher, dass du nicht jetzt schon mitkommen willst?«, hatte er mich letztes Mal auf dem Flughafen gefragt.
»Ich muss nur … Noch nicht.«
»Okay«, sagte er. Und dann mit einem Augenzwinkern: »Ruf mich an, wenn du es dir anders überlegt hast.«
Manchmal, wenn das Trinkgeld nicht stimmt und meine Füße weh tun, frage ich mich, ob ich nur das Unvermeidliche hinauszögere. Ich frage mich, warum ich nicht einfach zum Telefon greife und nach Chicago ziehe, statt etwas zu versuchen, dessen Erfolgsaussichten bei unter fünf Prozent liegen.
Doch aus irgendeinem Grund mache ich es nicht.
So viel Spaß ich mit Clark auch habe, ist es auch verwirrend, wenn ich ihn sehe. Manchmal vermisse ich ihn sehr …
Scheiße.
Es ist so schwierig, sich auf das positive Denken zu konzentrieren. Gerade hat man den glitschigen Burschen erwischt, und schon kommt er einem auf die negative Tour. Also werde ich es enger fassen und nur an positive Dinge im Beruf denken. Über mein Privatleben nachzudenken, ist offensichtlich nicht sehr hilfreich. Ich bin nach New York gekommen, um Schauspielerin zu werden, nicht Freundin oder glücklicher Mensch.
Positive Gedanken über den Beruf.
Nun ja.
Ich habe diesen einen Job bekommen.
Vor Thanksgiving, unmittelbar nachdem Dan eingezogen war, drehte ich einen kleinen Werbespot, meinen ersten, und zwar für einen örtlichen Modediscounter namens Sally’s Wear House. Er wurde für die Feiertage gedreht und sollte nur wenige Wochen laufen. Es ging um richtig dicke Pullover aus Acryl und Ramie, was immer das auch sein mag. Meiner hatte ein grau-weißes Rautenmuster und Schulterpolster, weißen Pelzbesatz an Hals und Ärmeln, und ich musste mich selbst umarmen und »Mhm, lecker« sagen. In einer anderen Aufnahme musste ich in die Luft springen und »I’m dreaming of a white Christmas!« rufen. Zuletzt sollte ich ins Leere blicken, während ich »Ohhh, Schneeflocken« hauchte.
Wir gingen zu dritt zu dem Chinesen, dessen Namen wir uns nie merken können, um zu feiern. Als der Werbespot ein paar Wochen später tatsächlich gesendet wurde, schauten wir gerade alle zusammen Law and Order. Zuerst schrien wir, dann fiel Jane vor Lachen um. Sie wollte nicht gemein sein, konnte aber einfach nicht glauben, dass ich in einem so hässlichen Pullover glücklich aussehen konnte. Ich war schockiert, als ich mich selbst im Fernsehen sah. Keiner hatte daran gedacht, den Videorecorder einzuschalten, und so war nach wenigen Sekunden alles vorbei. Ich konnte mich später nur noch daran erinnern, dass mein Gesicht rund aussah und ich viel größer war als das andere Mädchen in dem Spot.
»Ich bin eine Riesin!«, sagte ich, hielt mir die Hände vors Gesicht und schaute zwischen den Fingern hindurch.
»Du bist keine Riesin«, sagte Jane, die immer noch lachte, hustete und Schluckauf hatte. »Du bist eine verdammt großartige Schauspielerin. Ich habe wirklich geglaubt, dass du diesen Pullover liebst, der niemals ein Angorakaninchen auch nur von weitem gesehen hat.«
»Die Schneeflocken wirkten total unecht«, sagte ich, noch immer unter Schock.
»Aber du hast toll ausgesehen«, sagte Jane. »Richtig hübsch.«
Dann endlich meldete sich auch Dan zu Wort.
»Das ist also Werbung für Weihnachtspullover?« Wieder einmal hatte er den offensichtlichen Nagel auf den Kopf getroffen.
»Hm, ja«, sagte Jane und verdrehte die Augen. »Ich glaube, wir können uns darauf einigen, dass uns diese dreißig Sekunden bewiesen haben, dass es ein Werbespot für Weihnachtspullover war.«
Er nickte bedächtig, als würde er eine sehr wichtige Entscheidung treffen, und lächelte dann.
»Nun, Franny, das habe ich gespürt. Es war sehr weihnachtlich. Du hast wie Weihnachten ausgesehen.«
Was sollte das überhaupt heißen, dass jemand »wie Weihnachten« aussieht? Jane und ich schauten einander an, und ich wollte mir schon eine bissige Antwort überlegen, wie ich es immer tue, wenn man mir ein Kompliment macht. Aber seine Ehrlichkeit hielt mich davon ab, und so nickte ich ausnahmsweise nur, wurde ein bisschen rot und hielt einfach die Klappe.
Für den Pulloverspot bekam ich siebenhundert Dollar, mehr als ich je auf einem Scheck gesehen hatte. Seither bin ich nicht mehr gebucht worden. Vermutlich war es nur ein glücklicher Zufall. Vermutlich werde ich nie wieder arbeiten.
Positiv denken.
Also …
Ich habe einen Job bekommen.
Und habe heute die Chance auf einen zweiten.
Na bitte. Geschafft.
Als die U-Bahn einfährt, suche ich mir einen Platz und atme tief durch. Die Linie D zwischen Brooklyn und Manhattan mag ich besonders gern, weil der Zug irgendwann aus dem Untergrund auftaucht und auf der Manhattan Bridge den Fluss überquert. Es mag abergläubisch sein, aber der Blick auf den Fluss, die Schiffe und das Schild am Rand von Brooklyn, auf dem in großen roten Buchstaben »Watchtower« steht, ist ein Ritual, das mich daran erinnert, wer ich bin. Ich bin einer von Tausenden – nein – Millionen Menschen, die vor mir von einem Schiff oder einem Auto oder dem Fenster der Linie D auf den Fluss geblickt haben, die mit einem Traum nach New York gekommen waren, wie ich. Es hilft, die Dinge in der richtigen Perspektive zu sehen, und verleiht mir auf seltsame Weise Hoffnung.
Das Haus, in dem das Casting für Niagara-Waschmittel stattfindet, hat einen der uralten, toilettengroßen New Yorker Aufzüge, die so langsam fahren, dass man glaubt, man wäre steckengeblieben. Darin stehe ich, eingequetscht zwischen zwei Kinderdarstellern und ihrer Mutter. Ich tippe auf Zwillinge, Junge und Mädchen, beide mit rötlichen Haaren und Sommersprossen. Das kleine Mädchen schenkt mir ein strahlendes Lächeln, das aussieht, als hätte es stundenlang vor dem Spiegel geübt, und wickelt sich eine dicke, schimmernde Locke um den Finger.
»Schöne Haare hast du«, sage ich.
»Ich schlafe auf einem speziellen Seidenkissen, damit die Locken nicht zerquetscht werden«, erwidert sie.
»Schick«, sage ich und lächle zurück, erreiche aber bei weitem nicht ihre Wattzahl. »Wollt ihr den Knopf für mich drücken? Die Vier, bitte.«
»Ich mach das!«, sagt der kleine Junge.
»Nein! Ich mach das«, erwidert seine Schwester und schubst ihn leicht. »Das hier ist mein Recall.«
Der kleine Junge weicht von den Knöpfen zurück, und ich lächle der Mutter mitfühlend zu, doch sie starrt wie hypnotisiert auf eine Stelle nördlich meines Kopfes, woraufhin ich mich plötzlich sehr für meine Schnürsenkel interessiere und den Rest der langen, wackligen Fahrt schweigend erdulde. Nirgendwo vergeht die Zeit so langsam wie in einem Aufzug.
Der Warteraum ist überfüllt, vermutlich laufen mehrere Castings gleichzeitig. Ich sehe Jungs und Mädchen im Alter der Aufzugzwillinge; Männer um die fünfzig in Anzug und Krawatte und einige Mädchen, die mich an mich selbst erinnern, aber irgendwie qualifizierter wirken. Sie wären die Idealbesetzung für einen Fernsehfilm über mein eigenes Leben.
Ich trage mich in die Liste für das Casting ein.
Name:
Ankunftszeit:
Termin:
Agentur:
Sozialversicherungsnummer:
Während ich meine Angaben in die winzigen Kästchen schreibe, versuche ich, die Einträge meiner Vorgängerinnen unauffällig zu überfliegen. Ich bin ein wahrer Spürhund, was das angeht. Ich will herausfinden, wie viele Leute sie heute schon gesehen haben und ob ich jemanden davon kenne und ob sie von meiner Agentur kommen und pünktlich waren und eine schönere Handschrift haben als ich. Ich will unbedingt erfahren, was die Leute, die Jobs bekommen, besser machen als ich. Würde ich den Job bekommen, wenn mein Termin fünf Minuten früher gewesen wäre? Würde ich mehr Jobs bekommen, wenn ich aus dem »o« in Penelope einen Smiley machen würde, so wie eine meiner Vorgängerinnen? Wenn ich nun die Erste und nicht die Zehnte wäre, die heute vorspricht …
»Franny? Bist du das? Du bist es, oder?«
Meine Wangen werden heiß. Erwischt. Ich lasse den Stift schneller fallen, als es ein wahrhaft unschuldiger Mensch tun würde, und blicke hoch.
»Franny Banks, aus der Klasse von Stavros? Oder bin ich jetzt total Banane?« Das Mädchen vor mir lacht, biegt sich förmlich vor Lachen, als wäre sie wirklich total Banane, und das in einer Lautstärke, die beweist, dass es ihr egal ist, ob die anderen Leute sie anstarren.
Ich habe sie noch nie gesehen und weiß nicht, woher sie mich oder meinen Schauspiellehrer John Stavros kennt, bemerke aber sofort ihr unglaublich langes, blond schimmerndes Haar. Außerdem ist sie winzig klein wie eine Puppe, die sich in einen Menschen verwandelt hat – oder ein Mensch, der sich als Puppe ausgibt. Sie hält die Hände elegant, die Finger ausgestreckt, als wollte sie nach etwas greifen, die Zehen leicht gespreizt wie eine Ballerina. Sie trägt einen Haufen klappernde goldene Armreifen, und ihr schmales Handgelenk sieht aus, als würde es unter ihrem Gewicht zerbrechen. Obwohl es ein trüber Januartag ist, trägt sie eine weiße, perfekt sitzende, knöchellange Jeans und sieht darin aus wie Mary Tyler Moore in einem Hawaii-Special der Dick Van Dyke Show.
»Hm, ja, ich bin Franny.« Neben ihr fühle ich mich riesig und unbeholfen, als wäre mir ein zusätzlicher Arm gewachsen, mit dem ich nichts anzufangen weiß.
»Hab ich’s doch gewusst! Mein Gott, du musst mich für furcht