rowohlts monographien
begründet von Kurt Kusenberg
herausgegeben von Uwe Naumann
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2015
Copyright © 1983, 1997, 2011 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier
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Umschlaggestaltung any.way, Cathrin Günther
Foto: Paul Swiridoff, Copyright © by Archiv/Museum Würth, Künzelsau (Max Frisch in seinem Haus in Berzona, 1976)
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Satz CPI books GmbH, Leck
ISBN Printausgabe 978-3-499-50719-9 (1. Auflage 2011)
ISBN E-Book 978-3-644-53321-9
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-53321-9
V 332
Int. 1; daraus auch alle folgenden, nicht bezifferten Zitate dieses Kapitels
V 327
IV 263
VI 730
VI 340
Ebd.
VI 340f.
Int. 1
Ebd.
VI 636f.
II 584f.
NZZ vom 27.5.1931; I 7ff.
Int. 2
Der Vater starb im März 1932. Max Frisch war zwanzig Jahre alt. Er irrt, wenn er in der autobiographischen Skizze von 1948 sein Alter mit 22 angibt. Vgl. II 586
IV 207
I 11f. und 17
I 24
NZZ vom 1.6., 26.6., 12.10. und 8.11.1932
Int. 2
Ebd.
Ebd.
I 49
II 586f.
Int. 2
Ebd.
Der Roman ist erst durch die Gesammelten Werke wieder zugänglich: I 225–385
I 295
I 305
I 295
I 345
Vgl. I 378ff.
Vgl. I 383
I 314ff.
NZZ vom 30.4., 7.5., 20.5. und 13.6.1935
I 84
I 84f.
I 85
I 91
Ebd.
Ebd.
VI 727
VI 728
Vgl. VI 163
VI 728
In dem Film «Max Frisch, Journal I–III», von Richard Dindo, Schweiz 1981
Max Frisch: Antwort aus der Stille, Stuttgart 1937, S. 86
Ebd., S. 17
Int. 2
II 587
Brief an Hermann Hesse vom 21.10.1937 (MFA)
II 588
IV 207
Int. 1
Siehe Anm. 51
Int. 1
I 114
Int. 2
NZZ vom 16.9., 18.9. und 22.9.1935
I 128
VI 546
Atlantis, Heft 11/1939
I 151
I 115
VI 545
VI 541
Int. 2
NZZ vom 23.12., 25.12., 27.12., 29.12. und 30.12.1940
VI 704 und 703
Vgl. I 177ff.
IV 265
II 499
Schweizerische Bauzeitung, Nr. 12/1950 vom 25.3.1950, S. 149
VI 733
VI 689
Brief an Martin Hürlimann vom 20.3.1943 (MFA)
I 411
I 551
I 497
I 223 und 220
II 137
I 607
I 649
I 604
I 624
VI 706
II 6
II 51
II 21
II 72
II 76f.
II 63; vgl. Zitat zu Anm. 78
II 23
II 104
II 374
II 383
II 376
II 381
II 206; vgl. auch II 400f.
II 206
II 502
II 517
II 515
II 637; zur Begegnung mit Brecht vgl. auch II 593ff., IV 232, VI 20ff.
VI 30
Zit. nach II 766
II 279; vgl. auch II 369
II 337
Vgl. II 600ff.
Brief an Peter Suhrkamp und Gottfried Bermann-Fischer vom 17.5.1950, zit. nach II 776
Vgl. II 770ff.
II 646f.
Int. 1
Vgl. II 403f. und 406ff.
Brief an die Direktion des Zürcher Schauspielhauses, März 1951 (MFA)
Brief an Peter Suhrkamp vom 11.9.1951 (SUA)
Int. 1
III 169
Int. 1
Ebd.
Ebd.
Ebd.
II 349
Clara Menck: Max Frischs Tagebuch, FAZ vom 5.12.1958
Brief an Peter Suhrkamp vom 16.6.1958 (SUA)
Int. 1
Vgl. II 351 und 353
II 361
Vgl. II 361, 369, 371, 386, 403, 448, 454, 467 und 802
II 450
II 449
II 448
II 451
II 598
II 467
Klaus Schimanski: Ernst genommene Zeitgenossenschaft, in: MF 2, S. 386
Günter Wallraff: Die Reportagen, Köln 1976, S. 586
So bei Karl Heinz Bohrer: Das Menschengeschlecht und die Bekannten, FAZ vom 8.4.1972
VI 284f.
VI 229
VI 352
VI 353
VI 79
VI 288
VI 340
Brief an Wolfgang Hildesheimer vom 9.6.1972 (MFA)
VI 787
Brief an Peter Suhrkamp vom 23.8.1953 (SUA)
Int. 1
Brief an Peter Suhrkamp vom 30.6.1954 (SUA)
Karl Korn: Ein Mann, der sich selbst sucht, FAZ vom 16.11.1954
Emil Staiger: Dichtung und Forschung, NZZ vom 19.11.1954
II 449
III 361
III 401
III 435f.
Vgl. III 467, 499f., 718 und 749f.
Theodor W. Adorno: Noten zur Literatur I, Frankfurt a.M. 1958, S. 62f.
Vgl. III 407ff.
Friedrich Dürrenmatt: «Stiller», Roman von Max Frisch, in: MF 1, S. 12
III 416
III 436
III 535
III 705f. – Manches davon sind Kenntnisse aus zweiter Hand, so Thomas Manns «Zauberberg»; vgl. Frisch: Spuren meiner Nicht-Lektüre, in: Walter Schmitz (Hg.): Materialien zu Max Frisch «Stiller», Frankfurt a.M. 1978, S. 341f.
IV 24
II 392
Friedrich Sieburg: War Oedipus zunächst Ingenieur?, FAZ vom 26.10.1957
IV 160
Brief an Peter Suhrkamp vom 21.8.1957 (SUA)
IV 199
Brief an Hans Mayer vom 18.9.1961, zit. nach MF 2, S. 563
Walter Jens: Deutsche Literatur der Gegenwart, München 1961, S. 93
Nathalie Sarraute: Das Zeitalter des Argwohns, Köln 1963, S. 52
Weltwoche vom 4.11.1960
IV 263
Brief an Carl Zuckmayer vom 15.7.1961 (MFA)
V 327
Vgl. V 324
V 21
V 22
Vgl. V 133ff.
Vgl. V 129ff.
V 129
V 130
V 314
Ebd.
V 18f., vgl. auch V 313f.
II 379
II 601
II 227
Brief an Siegfried Unseld vom 11.2.1961 (SUA)
Vgl. II 556ff.
IV 456
Hellmuth Karasek: Frisch, Velber 1969, S. 73
Eduard Stäuble: Max Frisch, St. Gallen 31967, S. 110
Vgl. II 555f.
Zit. nach Walter Schmitz (Hg.): Materialien zu Max Frisch «Biedermann und die Brandstifter», Frankfurt a.M. 1979, S. 74f.
VI 462
Bertolt Brecht: Schriften zum Theater, Frankfurt a.M. 1957, S. 64
IV 456
Frisch: Dramaturgisches, Berlin 1976, S. 18f.
Ebd., S. 31
V 562
V 493
V 555
V 68
Int. 1
VI 635f.
IV 244
V 348
VI 477 und 482f.
Int. 2
III 264f.
III 347
Brief an Uwe Johnson vom 1.6.1976 (MFA)
VII 8f.
VII 37f.
IV 236
V 353
VI 25
V 373
VI 580
VI 424
II 491
IV 258
V 374
VI 511f.
I 69
VI 291f.
Zit. nach Walter Schenker: Mundart und Schriftsprache, in: MF 1, S. 298
Brief an Stephan Kaiser vom 23.8.1955, zit. nach Kaiser: Die Besonderheiten der deutschen Schriftsprache in der Schweiz, Band 1, Mannheim 1969, S. 31
VI 511
Frisch: Schweiz ohne Armee?, Zürich 1989, S. 61
Ebd., S. 7 und 38
Ebd., S. 34f., 52 und 74
Ebd., S. 45f. und 64
Frisch: Schweiz als Heimat?, Frankfurt a.M. 1990, S. 549
I 151
II 378
II 703
III 416
Frisch: Dramaturgisches, S. 21
V 325
VI 287
VI 88f.
VI 616
VI 137
III 179–195
III 196–221
III 243–259
VI 676
Int. 3
VI 715
VI 718
VI 717
Vgl. Adolf Opel: Ingeborg Bachmann in Ägypten, Wien 1996, S. 71, 166f. und 170f.
Marlene Streeruwitz: Die Bachmann – Hoffnung der Männer?, Emma 3/96 (Mai/Juni 1996)
Ingeborg Bachmann: «Todesarten»-Projekt, Band 3.1, München 1995, S. 552
Monika Albrecht: «Bitte aber keine Geschichten», Text+Kritik, Heft 6 (5. Auflage, November 1995), S. 141
Bettina Stuber: Zu Ingeborg Bachmann, Rheinfelden/Berlin 1994, S. 238; vgl. auch S. 246
VI 747
VI 41
VI 671
Int. 3
Begegnungen, Frankfurt a.M. 1981
Ebd., S. 204
Int. 3
Ebd.
Thomas Mann: Tagebücher 1953–1955, Frankfurt a.M. 1995, S. 56f. und 439
Int. 3
Vgl. Jurek Beckers Beitrag in: Begegnungen, S. 17ff.
VI 782
Der Spiegel vom 9.2.1976
Brief an Uwe Johnson vom 1.6.1976 (MFA)
VI 720
Brief an Max Frisch vom 13.1.1975, zit. nach MF 2, S. 450
Marcel Reich-Ranicki: Mein Name sei Frisch, FAZ vom 7.10.1975
VI 720; vgl. V 22
II 703
VI 719
VII 130
Int. 1
VII 255
Schriftliche Auskunft an den Verfasser (1982)
Friedrich Luft: Mit einem Freispruch zu leben ist schwer, Die Welt vom 17.4.1982
Joachim Kaiser: Vom Schuldgefühl des Mannes, Süddeutsche Zeitung vom 1.4.1982
VII 303
VI 750
VII 334 und 370
VII 351
VII 253
II 713
VI 697
VI 53
VII 343
III 361
VII 343f.
VII 384
Int. 2
Ebd.
Vgl. Volker Hage: Alles erfunden, München 1995, S. 87ff.
Undatiertes handschriftliches Blatt (Archiv Hage)
Int. 3
Friedrich Dürrenmatt: Gespräche 1961–1990, Zürich 1996, Band 1, S. 118; Band 2, S. 154, 217 und 239; Band 3, S. 102 und 246; Band 4, S. 192
Vgl. Max Frisch: Entwürfe zu einem dritten Tagebuch, Frankfurt a.M. 2010, S. 96f.
Brief an den Autor vom 16.12.1982
Brief an den Autor vom 11.10.1983
Volker Schlöndorff: «Das ist der Sinn der Elegie», Theater 1991 (Jahrbuch der Zeitschrift Theater heute), S. 10
IV 16
Schlöndorff, S. 19
Ebd., S. 20
VI 750
Frisch: Rede an Ärztinnen und Ärzte, FAZ vom 5.1.1985
Zit. nach «Gespräche im Alter», Fernsehfilm, WDR 1986
Handschriftliche Notiz vom 5.9.1990 (Kopie: Archiv Hage)
Zit. nach Frisch: Schweiz als Heimat?, Frankfurt a.M. 1990, S. 573
Ebd., S. 575
Ebd., S. 461
Ebd., S. 481
Ebd., S. 470
Zit. nach du, Heft 12/91 (Dezember 1991), S. 104
Ebd., S. 103
Ursula Priess: Sturz durch alle Spiegel, Zürich 2009, S. 107
Dieter Bachmann: Editorial, du, Heft 12/91 (Dezember 1991)
Schlöndorff, S. 22
Zit. nach einer Dokumentation der Reden auf der Totenfeier, Max Frisch-Archiv, Zürich 1991, S. 5 und 16
Entwürfe, S. 29
Ebd., S. 16
Ebd., S. 86f.
Ebd, S. 17
Ebd., S. 137
Ebd., S. 85
Ebd., S. 79
Ebd., S. 13, 171 und 165
Ebd., S. 174
Ein großer Teil dessen, was wir erleben, spielt sich in unsrer Fiktion ab, das heißt, daß das wenige, was faktisch wird, nennen wir’s die Biographie, die immer etwas Zufälliges bleibt, zwar nicht irrelevant ist, aber höchst fragmentarisch, verständlich nur als Ausläufer einer fiktiven Existenz.
Max Frisch[1]
30. August 1981, Sonntagvormittag, im Haus des Verlegers in Frankfurt am Main: der Gast der Familie Unseld sitzt beim Frühstück in einem sonnigen Erker. Er erhebt sich unverzüglich zur Begrüßung, sehr höflich, ernst. Später, auf dem Sessel des Wohnzimmers, hat er sogleich die Pfeife im Mund: Max Frisch, wie man ihn von Fotos kennt. Er versinkt nicht im Sessel, sondern sitzt vorgebeugt, gespannt, aufmerksam.
Sie werden sehen, sagt er, meine Biographie ist nicht sehr ergiebig.[2] Es existieren einige autobiographische Texte, er hat gelegentlich in Interviews aus seinem Leben erzählt. Doch es gebe große Lücken, sagt er. Es hat sich jetzt bei der Archiv-Sache gezeigt: Ich habe nie etwas gesammelt. Es ist wenig da, auch an Bildern. Ich bin oft umgezogen. In Zürich, erklärt er dazu, werde gerade ein Max Frisch-Archiv aufgebaut. In der literaturwissenschaftlichen Abteilung der ETH, der Eidgenössischen Technischen Hochschule, an der er vor mehr als vierzig Jahren Architektur studiert hat, sammelt man die erreichbaren Dokumente zu Leben und Werk. Irgendwann einmal soll dieses Archiv für Studienzwecke zugänglich gemacht werden.
Frisch, siebzig Jahre alt, erlebt die Stabilität seines Ruhms. Zu Popularität brachte er es schon bald drei Jahrzehnte zuvor, nicht sogleich mit den ersten Veröffentlichungen, doch früh genug, um den Erfolg als Rückenstärkung zu erleben. Nun erweist sich, dass das kein Saisonerfolg gewesen ist. Max Frisch ist längst ein moderner Klassiker, attraktiv geblieben auch für ein junges Publikum, das ihn nicht nur für die Schule liest. Es wundert ihn, dass seine Ansichten über Liebe und Ehe auch für junge Leute interessant sind, nicht nur für Germanisten. Und er sagt: Das ist natürlich etwas Schönes, diese Leserpräsenz. Er spricht nüchtern über seine Popularität, nicht eigentlich bescheiden, durchaus selbstbewusst: Es sind eben Fakten. Wozu Versteck spielen? Und doch zeigt sich mit jedem Wort, dass Frisch nicht zu den Selbstgefälligen gehört. Was er geleistet hat, ist schwer errungen. Darauf ist er vielleicht ein wenig stolz: es ausgehalten zu haben. Erfolg? Der nimmt den Zweifel nicht weg.
Seine Theaterstücke Biedermann und die Brandstifter und Andorra zählen zu den meistgespielten deutschsprachigen Dramen des 20. Jahrhunderts. Sein Prosawerk – Romane, Tagebücher und Erzählungen – wird seit Jahrzehnten gelesen und diskutiert. Stiller, Homo faber und Mein Name sei Gantenbein haben nicht nur beim Publikum, sondern auch in der Forschung nachhaltig Resonanz gefunden. Interpretationen und Dissertationen sind schon zu Lebzeiten des Autors kaum noch zu überblicken. Er hat wenig Verächter, aber viele Bewunderer, ja Freunde gefunden. Was fühlt er, einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, wenn er heute zurückschaut? Welches Verhältnis hat er zu seinen Werken?
Zum Teil bin ich mit ihnen gewiß nicht glücklich. Aber sie sind wenigstens da. Man hat eine Spur, gar nicht einmal für die Nachwelt. Man hat sich daran gewöhnt. Wenn ich mir vorstelle, es wäre nichts davon vorhanden: Da wäre schon ein großes Loch. Und er setzt hinzu: Bisweilen leistet man sich das Gefühl, das alles sei belästigend … Er behält die Pfeife beim Reden zumeist im Mund, nur manchmal hält er sie für ein paar Augenblicke in der Hand, als gestisches Mittel. Auch dann ist er schwer zu verstehen. Er öffnet die Lippen kaum, spricht leise. Nicht zögernd: Er weiß, worauf es ankommt. Vieles hat er schon so oder ähnlich in anderen Interviews gesagt. Im Gespräch gibt er durchaus ein Bild von sich.
Lässt sich ein Mensch beschreiben? Max Frisch hat sich mit dieser Frage zeitlebens befasst. Seine literarischen Figuren geben davon Zeugnis. Anfang der sechziger Jahre, in der Zeit, als der Gantenbein-Roman entstand, hat er sich mehrfach auch theoretisch dazu geäußert. Die Person sei eine Summe von Möglichkeiten, resümierte er damals seine Überlegungen, eine nicht unbeschränkte Summe, aber eine Summe, die über die Biographie hinausgeht[3]. Das tatsächlich gelebte Leben, so ist das wohl zu verstehen, macht immer nur einen Teil des Menschen aus. Das, was sonst aus ihm hätte werden können, gehört auch zu ihm. Mehr noch: Das, was jemand für seine Vita hält, ist lediglich eine nachträgliche Interpretation, aus Bruchstücken der Erinnerung zusammengesetzt. Auch mit Fakten lässt sich spielen. Sie lassen sich je nach Laune montieren, können heute dies, morgen jenes beweisen. Wie lässt sich ein Leben darstellen? Eine Biographie, die zu wissen vorgibt, wie es gewesen ist, muss für einen Autor wie Frisch ein Gräuel sein. Er schrieb 1960: Jeder Mensch erfindet sich eine Geschichte, die er dann, oft unter gewaltigen Opfern, für sein Leben hält, oder eine Reihe von Geschichten, die sich mit Ortsnamen und Daten durchaus belegen lassen, so daß an ihrer Wirklichkeit nicht zu zweifeln ist.[4]
Zwanzig Jahre danach trotzdem die Frage, ob es nicht auch für ihn ein gutes, vielleicht sogar behagliches Gefühl bei der Rückschau gebe. Behaglich? Gar nicht. Aber das Gefühl, daß ich sehr viele Schutzengel hatte. Es war ein äußerlich banales Leben. Sehr viel Verzweigungen, Spannungen. Oft das Gefühl des Aufgebens: das Leben aufgeben oder die Arbeit, das Gefühl: was ich mache, hat keinen Sinn. Also das Gegenteil von einem Behagen. Vieles kam zur richtigen Zeit: ein Stipendium nach Amerika, die Begegnung mit Peter Suhrkamp. Aber wenn man zurückschaut, so denke ich: Was da alles hätte schieflaufen können … Seine Rede ist jetzt zutraulich, zwischendrin lacht er auch einmal kurz auf. Seine Augen werden durch die Brillengläser vergrößert. Immer noch spricht er mit großer Ruhe, hört bei Fragen geduldig zu, signalisiert zugleich mit einem begleitenden Ja … ja … ja … die Bereitschaft zur Antwort. Er ist kein Rhetoriker seiner selbst: Er hat Überredung nicht nötig. Väterlich wirkt er eigentlich nicht. Auch aus der Nähe sind seinem Gesicht kaum Spuren des Alters abzulesen.
Neulich traf ich mit einem alten Mann zusammen, erzählt er, stockt kurz, der war sogar noch älter als ich, ein Musiker, der nach Erfahrungen befragt wurde in einer kleinen Runde. Plötzlich sagt er: «Ich habe drei Bücher geschrieben, lesen Sie die!» Und ich versteh ihn – das habe ich nun schon alles einmal gesagt, soll ich das nochmals sagen? Das Veröffentlichte kann belastend sein. Bei jedem Gespräch, bei jedem Vortrag rechnet man im Grunde doch damit, daß man nicht ganz von vorn anfangen muß. Daraus klingt nicht nur die Befürchtung, sich zu wiederholen, sondern auch ein Stück Genugtuung darüber, dass einige grundsätzliche Gedanken formuliert sind.
Das heißt nicht, dass er nun zur Ruhe gekommen ist. Ich muß arbeiten, sagt Max Frisch an diesem Tag im August. Nicht damit ein neues Buch da ist, sondern damit ich durchhalte. Wenn ich nicht arbeiten kann, ist es schwierig. Das nimmt zu. Das hat natürlich damit zu tun, daß verschiedene Vergnügungen nicht mehr so verlockend sind: Reisen etwa. Schreibt er an einer Autobiographie vielleicht? Nein, das würde mich nicht interessieren. Weil mein Leben nicht interessant ist. Und im Gegensatz zu Elias Canetti – beim Lesen von dessen Memoiren stiegen in ihm auch eigene Erinnerungen wieder auf – meint er, wenig über seine Kindheit zu wissen. Zu Beginn des Gesprächs hat er gesagt: Wenn Sie mich chronologisch fragen, kommt wenig dabei heraus. Was soll ich jetzt – in gelassener Morgenstimmung – übers Gymnasium erzählen? Da kommt fast nichts zum Vorschein: wenn ich keinen assoziativen Einstieg habe. Er erzählt dann aber doch: über die Eltern, über den Bruder, über Kindheit und Jugend – wie es sich gerade ergibt.
Geboren wurde er am 15. Mai 1911. Die Eltern wohnten in der Heliosstraße, Zürich-Hottingen. Der Vater, Franz Bruno Frisch, war Architekt. Die Mutter hieß mit Vornamen Karolina Bettina (geborene Wildermuth) und hatte in jungen Jahren Russland gesehen: als Kinderfräulein. Es gab zwei Geschwister: eine Halbschwester, die der Vater mit in die Ehe gebracht hatte und deren Mutter bei der Geburt gestorben war, und einen Bruder. Eine schwierige Kindheit hat Max Frisch nicht gehabt. Allerdings wuchs er unter ärmlichen Bedingungen auf. Im Ersten Weltkrieg konnte der Vater nicht mehr in seinem Beruf arbeiten und versuchte sich als Grundstücksmakler. Die Mutter ging mit dem kleinen Max im Herbst durch Wälder und Gärten, um Fallobst zu suchen. Kaffee wurde aus gesammelten Bucheckern bereitet. Die Familie hatte Schulden, der Vater konnte mit Geld nicht umgehen: Wenn ihm ein Geschäft geglückt war, wollte er es auch genießen – und sei es, dass er seiner Frau eine Brosche schenkte. Oft fehlten die Münzen für das Nötigste: Der grüne Gas-Automat in der Diele, die Mutter muß immer einen Zwanziger einwerfen, damit am Herd die Flamme kommt, und dann ist das Gas plötzlich wieder weg, und es braucht viele Zwanziger, wenn etwas lang kochen muß; da hilft es nichts, daß der Vater, wenn er spät in der Nacht heimkommt, vielleicht noch einen Zwanziger in der Tasche haben wird.[5]
«Irgendwann im neunzehnten Jahrhundert, so zur Zeit des reifen Gottfried Keller, trat über die schweizerisch-österreichische Grenze ein junger Geselle, Sattler von Beruf, um hier zu arbeiten. Er heiratete eine Tochter aus dem Kleinbürgertum, Nägeli mit Namen, in Zürich, und machte Kinder, Söhne, die sich einbürgerten, einer davon wurde Architekt. Ungefähr zur selben Zeit, die eine große Zeit für die Schweiz war, kam ein anderer aus Württemberg, Sohn eines Bäckermeisters, auch einer, der dann nicht mehr ging, der sich einbürgerte und eine Baslerin heiratete, Schulthess mit Namen, er wurde Maler und Kunstlehrer in Zürich und machte ebenfalls Kinder, aber Töchter. Später dann, kurz nach der Jahrhundertwende, heirateten eine dieser Basel-Töchter und einer dieser Zürich-Söhne, und das gab wieder Kinder, Söhne – einer davon bin ich.»
«Überfremdung 2» (1966). V 398f.
So hat es Max Frisch später in einer der wenigen präzisen Erinnerungen an die Kindheit notiert. Skizzenhaft hielt er an anderer Stelle Verdrängtes fest, als er, sechzig Jahre alt, in New York für kurze Zeit die Wohnung einer Psychiaterin gemietet und sich spaßeshalber auf den Patientensessel gesetzt hatte. Generalstreik 1918: Studenten mit Couleur-Mütze als Straßenbahnführer, dahinter Soldaten mit Helm und aufgepflanztem Bajonett, die den Streikbrecher beschützten.[6] Ihm fielen die Kriegskinder aus Wien wieder ein: Ich spielte lieber mit ihnen, sie wußten andere Spiele, aber es ging nur heimlich, und als ich ertappt wurde, war es eine Schmach; ich war ein Abtrünniger.[7] Und Lenin: Das schmale Männchen, das im Nachbarhaus ein und aus ging: mein Vater sagte, der wolle alles in dieser Welt kaputtmachen.[8]
Zum Vater hatte Frisch kein besonders inniges Verhältnis. Die Mutter, die lange lebte, stand ihm näher. Auch der Bruder, acht Jahre älter, war alles in allem eine positive Figur für ihn. Gab es keine Konflikte? Es muß sie gegeben haben. Ich erinnere mich nur schwach. Der Bruder war schon pubertär, als ich noch ein Kind war, dann, als ich aufs Gymnasium ging, war er schon Student. Er wußte immer mehr, war immer diesen Sprung voraus, der stimulierend ist. Große Spannungen, glaube ich, gab es nicht. Das lag an ihm, weil er ein milder, toleranter Mensch war. Er hat ein bißchen den Vater ersetzt. Zum Vater eine schwache, eigentlich eine Nicht-Beziehung. Ich rede auch nie von meinem Vater. Dabei ist nicht etwa irgendetwas Fürchterliches zu überdecken. Es ist von meiner Seite eine Gefühlslücke, ohne daß ich, soweit ich sehe, eine enorme Mutterbindung gehabt hätte. Etwas über meinen Vater zu schreiben, wäre eine für mich notwendige Arbeit. Es kann ja nicht einfach ein Vakuum sein. Warum mache ich ein Vakuum daraus? Das interessiert mich eigentlich.[9]
Franz Bruno Frisch, der Architekt, war Autodidakt. Einige seiner Jugendstil-Bauten stehen heute noch. Nach dem Weltkrieg nahm er seinen Beruf nicht wieder auf: Er blieb Liegenschaftsmakler. Nach Auskunft von Max Frisch war der Vater ein bequemer Mensch. Er starb 1932, knapp über sechzig. Die Mutter ist 91 Jahre alt geworden und starb 1966. Karolina Frisch hat ihren jüngsten Sohn mehr geformt als der Vater: Die Abenteuer- und Reiselust der Mutter muss den Jungen fasziniert haben. Sie konnte Geschichten aus fernen Gegenden anschaulich erzählen.
Die Mutter war zentral. Aber ich glaube nicht, daß es eine Ödipus-Situation war. Ich habe nach dem Tod des Vaters auch eine Zeitlang mit ihr gelebt, weil kein Geld da war. Über Jahre hin, als ich verheiratet war, habe ich sie sehr selten gesehen. Sie kommt aus einem sehr gemischten Milieu. Der Vater, Wildermuth, kam aus dem Württembergischen. Er war Maler, seine Aquarelle waren hübsch, nicht bedeutend. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Leiter der Kunstgewerbeschule in Zürich. Er hatte viele Töchter und kümmerte sich nicht weiter um sie. Meine Mutter ging dann nach Wien, Berlin und Rußland als Gouvernante. Das war damals ein großer Schritt. Rußland war für mich immer das Märchenland: Wie sie von den Wölfen erzählt hat! Wenn man krank war, durfte man das russische Album anschauen. So war Rußland: Mütterchen Rußland. Das Bild, das ich von meiner Mutter habe, ist eine Art Ikone, vielleicht wird es irgendwann eine Revision erfahren.[10]
Von 1924 bis 1930 besuchte der junge Frisch die Oberschule, das Kantonale Realgymnasium in Zürich; er war nach eigener Auskunft kein besonders guter Schüler, doch durchlief er die Klassen ohne Probleme. Wichtig wurde in dieser Zeit ein Freund, Werner Coninx, der später noch eine entscheidende Rolle spielen sollte. Max Frisch hat Jahrzehnte danach ein Porträt von ihm entworfen. Darin ist auch etwas über den Beginn der ungleichen Freundschaft zu lesen: Nach der Schule begleitete ich ihn nach Hause, was für mich ein großer Umweg war, aber ein Gewinn; durch ihn hörte ich zum ersten Mal von Nietzsche, von Oswald Spengler, von Schopenhauer. Seine Eltern waren sehr reich. […] Er war ein philosophisches Temperament; ich staunte, was sein Hirn alles denken kann. Auch war er sehr musikalisch, was ich nicht bin; Abende lang spielte er mir Platten von Bach, von Mozart, von Anton Bruckner und von andern, die ich noch nicht einmal dem Namen nach kannte; kein Mensch sei völlig unmusikalisch, sagte er.[11] Frisch war in seiner Jugend keineswegs ein Stubenhocker, der sich hinter Büchern vergrub. Wie er in einer autobiographischen Skizze aus dem Jahr 1948 offenbarte, war er überhaupt kein großer Leser:
Ich weiß nicht, warum ich von allen Kameraden der einzige war, der nie einen Karl May las, eigentlich auch keine anderen Bücher; außer Don Quixote und Onkel Toms Hütte, die mir unsäglich gefielen, aber genügten. Was mich unersättlicher begeisterte, war Fußball und später Theater. Eine Aufführung der Räuber, eine vermutlich sehr schwache Aufführung, wirkte so, daß ich nicht begriff, wieso Menschen, Erwachsene, die genug Taschengeld haben und keine Schulaufgaben, nicht jeden Abend im Theater verbringen. Das war es doch, das Leben. Eine ziemliche Verwirrung verursachte das erste Stück, wo ich Leute in unseren alltäglichen Kleidern auf der Bühne sah; das hieß ja nicht mehr und nicht weniger, als daß man auch heutzutage Stücke schreiben könnte.[12]
Das ist nun gewiss aus der Erinnerung ein wenig poliert und pointiert dargestellt – als Frisch dies notierte, waren seine eigenen Stücke schon erfolgreich über manche Bühne gegangen. Was er hier beschreibt, ist wohl auch ein Teil aus jener Geschichte, die sich der Mensch erfindet, um sie dann für sein Leben zu halten. Doch soll damit an dem Sachverhalt nicht gezweifelt werden. Die Folgen der Verwirrung des jungen Mannes sind aktenkundig. Im Alter von sechzehn schickte der Schüler ein selbstverfasstes Stück nach Berlin: an den berühmten Theatergewaltigen Max Reinhardt.
Im Frühjahr 1931 wurde Max Frisch gefragt, ob er Offizier werden wolle. Er hatte zwei Monate lang die Rekrutenschule besucht. Er lehnte ab, ohne den ausschlaggebenden Grund preiszugeben: Er wollte lieber Dichter werden. Und ein Dichter hat kein Interesse am Aufstieg beim Militär, einem Aufstieg, der eine gute Basis für die bürgerliche Karriere gewesen wäre (Frisch strebte auch später, während der Zeit des Zweiten Weltkriegs, nie einen gehobenen Dienstrang an). Ohnedies hatte er nach der bestandenen Matura schon dem Drängen der Eltern nachgegeben: Sie wünschten, dass beide Söhne studierten. Der Bruder war mit dem Chemiestudium inzwischen fertig und Leutnant geworden. Für den, der schreiben wollte, schien Germanistik verlockend.
Die Universität enttäuschte Max Frisch: Er lernte dort nicht, wie man Schriftsteller wird. Er versuchte es – wie er bald einsah: erfolglos – mit Gedichten, nachdem er seine Karriere als Theaterautor für beendet hielt. Max Reinhardt hatte das Stück mit dem Titel Stahl nach sieben Wochen wieder zurückgeschickt. Ein ausführlicher Brief war dabei gewesen, den der verzweifelte Autor nicht verstand. Er schrieb trotzdem noch drei oder vier Stücke (sie alle sind wie das erste verschollen), darunter eine Ehekomödie und eine Mondlandungs-Farce. Dann meinte er erkannt zu haben: Die Bühne war nicht sein Feld.