Erläuterungen, Hinweise und Anwendungsbeispiele
aus dem Stiftungsalltag
Für die Unterstützung bei der Realisierung dieser Publikation danken wir herzlich der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
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Impressum
Herausgeber:
Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V.
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V.i.S.d.P.: Prof. Dr. Hans Fleisch, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen
Redaktion: Dr. Reinhard Berndt, Dr. Hermann Falk, Prof. Dr. Hans Fleisch, Katrin Kowark, Anke Pätsch, Franziska Rötzsch, Benita von Behr
Gestaltung und Satz: Matthias Fischer | www.formatplus.net
© Bundesverband Deutscher Stiftungen
Berlin 2014
ISBN: 978-3-941368-55-2 (gedruckte Ausgabe)
ISBN (EPUB): 978-3-941368-66-8 (E-Book)
von Prof. Dr. Michael Göring, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen
Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts nimmt in der Geschichte des deutschen Stiftungswesens eine besondere Rolle ein. In diesem Zeitraum hat sich die Zahl der Stiftungen hierzulande knapp verdoppelt. Beflügelt wurde die Entwicklung durch mehrere weitreichende Reformen des Stiftungs- und des Stiftungssteuerrechts. Die einzigartige Wachstumsdynamik bescherte den Stiftungen auch einen enormen Zuwachs an öffentlicher Aufmerksamkeit.
Mit den Grundsätzen guter Stiftungspraxis verabschiedeten die Mitglieder des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen am 11. Mai 2006 in Deutschland erstmals einen übergreifenden ethischen Orientierungsrahmen für Stiftungsorgane und deren Handeln. Seither entfalten die Grundsätze ihre Wirkung innerhalb der einzelnen Stiftungen sowie auch im deutschen Stiftungssektor insgesamt. Zahlreiche Stiftungen haben sich seitdem ausdrücklich zu diesen Grundsätzen als Maßstäben ihres Handelns bekannt.
Wie stets bei Grundsätzen ist es keine einfache Herausforderung, diese passend zum Einzelfall in die Praxis umzusetzen. Mit dem vorliegenden Buch möchte der Bundesverband Deutscher Stiftungen allen Stiftungen praxistaugliche Erläuterungen der Grundsätze guter Stiftungspraxis vermitteln. Zu Wort kommen neben Beraterinnen und Beratern Menschen aus ganz unterschiedlichen Stiftungen, die – im Hinblick auf Alter, Größe, Stiftungszwecke und Rechtsformen – die Vielfalt der Mitgliedsstiftungen des Bundesverbandes widerspiegeln.
Herzlichen Dank an alle, die mit ihren Beiträgen in diesem Buch vielfältige Einblicke in ihren Stiftungsalltag und das Bemühen um gute Stiftungspraxis gewähren. Wir hoffen, dass die Beispiele und Erläuterungen viele Menschen inspirieren, die Grundsätze guter Stiftungspraxis in ihren Stiftungen anzuwenden und mit Leben zu füllen. So wirken wir gemeinsam weiter daran, die positive Kraft, die von Stiftungen für unser Gemeinwohl ausgeht, zu stärken und das gute Ansehen, das Stiftungen hierzulande genießen, zu erhalten.
Vorwort Prof. Dr. Michael Göring | Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen
Einleitung
Grundsatz 1: Treue zu Satzung und Stifterwille
Erläuterung | Annabel von Klenck
Praxisstimme: Bewegungsstiftung | Dr. Matthias Fiedler
Praxisstimme: Joachim Herz Stiftung | Petra Herz
Praxisstimme: Fürstlich und Gräflich Fuggersche Stiftungen | Wolf-Dietrich Graf von Hundt
Beratersicht | Dr. Wolf Schmidt
Grundsatz 2: Vermögenserhalt
Erläuterung | Dr. Hermann Falk
Praxisstimme: Bertelsmann Stiftung | Wolfgang Koeckstadt
Praxisstimme: Freiburger Bürgerstiftung | Hanna Lehmann
Praxisstimme: Stiftungsaufsicht Hamburg | Jakob Nicolai
Beratersicht | Dr. Klaus Dauner
Grundsatz 3: Sachgemäßes Rechnungswesen
Erläuterung | Dr. Reinhard Berndt
Praxisstimme: VolkswagenStiftung | Henning Otto
Praxisstimme: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. | Rainer Platzek
Praxisstimme: Deutsche Stiftung Denkmalschutz | Andreas König
Praxisstimme: Stiftungsaufsicht Düsseldorf | Dorothea Növer
Beratersicht | Dr. Reinhard Berndt
Grundsatz 4: Angemessene Verwaltungsausgaben
Erläuterung | Dr. Reinhard Berndt
Praxisstimme: Deutsche Umweltstiftung | Jörg Sommer
Praxisstimme: Deutsche AIDS-Stiftung | Dr. Ulrich Heide
Beratersicht | Burkhard Wilke
Grundsatz 5: Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit
Erläuterung | Anke Pätsch und Katrin Kowark
Praxisstimme: Stiftung Liebenau | Dr. Berthold Broll
Praxisstimme: Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur | Sebastian Schmidt
Praxisstimme: Amadeu Antonio Stiftung | Timo Reinfrank
Praxisstimme: Stiftung Kulturregion Hannover | Anja Römisch
Praxisstimme: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds | Thomas Erdle und Tanja Ahrendt
Beratersicht | Dr. Jens Claussen
Grundsatz 6: Veröffentlichung der Bewilligungsbedingungen und Einsatz von Gutachtern und Juroren
Erläuterung | Roland Bender
Praxisstimme: Hamburgische Kulturstiftung | Gesa Engelschall
Praxisstimme: BürgerStiftung Düsseldorf | Suzanne Oetker-von Franquet
Praxisstimme: Sparkassenstiftungen Erfurt, Sömmerda und Weimar | Hartmut Kruse
Beratersicht | Dr. Reinhard Berndt und Dr. Claudia Nerius
Grundsatz 7: Erfüllung gesetzlicher Auskunftspflichten
Erläuterung | Dr. Reinhard Berndt und Dr. Claudia Nerius
Grundsatz 8: Integrität und informiertes Handeln
Erläuterung | Prof. Dr. Burkhard Küstermann und Felix Müller-Stüler
Praxisstimme: Bürgerstiftung Braunschweig | Ulrich E. Deissner
Praxisstimme: ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius | Prof. Dr. Michael Göring
Beratersicht | Gunhild Peiniger
Grundsatz 9: Unabhängigkeit der Organmitglieder
Erläuterung | Mathias Wendt
Praxisstimme: Stiftung Weltbevölkerung | Renate Bähr
Praxisstimme: Dr. Rainer Wild-Stiftung | Dr. Gesa Schönberger
Praxisstimme: Ruck-Stiftung des Aufbruchs | Hans Eike von Oppeln-Bronikowski
Beratersicht | Mathias Wendt
Grundsatz 10: Wirksamkeit
Erläuterung | Prof. Dr. Hans Fleisch
Praxisstimme: Allianz Umweltstiftung | Dr. Lutz Spandau
Praxisstimme: Stiftung Polytechnische Gesellschaft | Dr. Roland Kaehlbrandt
Praxisstimme: Deutsche Telekom Stiftung | Dr. Ekkehard Winter
Beratersicht | Dr. Andreas Rickert
Grundsatz 11: Partnerschaftlicher Umgang mit Fördersuchenden
Erläuterung | Prof. Dr. Wilhelm Krull
Praxisstimme: filia. die frauenstiftung | Sonja Schelper
Praxisstimme: Studienstiftung des deutschen Volkes | Dr. Annette Julius
Praxisstimme: Ott-Goebel-Jugend-Stiftung | Brigitte Ott-Göbel und Volker Göbel
Beratersicht | Birgit Quiel
Grundsatz 12: Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeit
Erläuterung | Prof. Dr. Burkhard Küstermann
Praxisstimme: Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie | Daniela Kobelt-Neuhaus
Praxisstimme: Stiftungsverbund „Lernen vor Ort“ | Wilfried Lohre
Praxisstimme: Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG | Carl-August Graf von Kospoth und Niklas Ruf
Praxisstimme: STIFTUNG NORD/LB ∙ ÖFFENTLICHE | Axel Richter
Beratersicht | Dr. Verena Staats
Grundsatz 13: Vermeidung von Interessenkonflikten
Erläuterung | Mathias Wendt
Praxisstimme: Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege | Dr. Ralf Suhr
Beratersicht | Dr. Jasper von Hoerner
Grundsatz 14: Verzicht auf vermögenswerte Vorteile
Erläuterung | Dietmar Weidlich
Praxisstimme: Stiftung der Frankfurter Sparkasse | Dr. Sven Matthiesen
Praxisstimme: Lebenswerk Zukunft – CaritasStiftung in der Diözese Rottenburg-Stuttgart | Angelika Hipp
Praxisstimme: Körber-Stiftung | Oke Petersen
Beratersicht | Mathias Wendt
Anhang
Grundsätze guter Stiftungspraxis
Zehn Merkmale einer Bürgerstiftung
Empfehlungen für die Verwaltung kommunaler Stiftungen
Empfehlungen für die Errichtung und Verwaltung von Stiftungen der öffentlichen Hand
Zehn Empfehlungen für gemeinnützige Unternehmensstiftungen
Grundsätze guter kirchlicher Stiftungspraxis
Grundsätze guter Verwaltung von Treuhandstiftungen (Treuhandverwaltungs-Grundsätze)
European Foundation Centre Principles of Good Practice
Literaturhinweise
Über den Bundesverband Deutscher Stiftungen
„Wenn die Mitgliedsstiftungen des Bundesverbandes in unserer Gesellschaft keine qualitativ anspruchsvollen Leistungen erbringen, wie könnte dann erwartet werden, dass diese Gesellschaft auf das Vorhandensein von Stiftungen Wert legt und ihr Tun fördern will?“, fragte Prof. Dr. Axel Freiherr von Campenhausen, seinerzeit Erster Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, in der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Deutsche Stiftungen“ des Jahres 1999. Das von dem 1998 eingesetzten Fachausschuss „Stiftungsethik“ vorbereitete Heft führte die damaligen eher akademischen Diskussionen zusammen und bildete einen ersten konkreten Schritt zur Entwicklung entsprechender Leitlinien. Ein Vorbild gab es auf europäischer Ebene: Als Reaktion auf die (später zu den Akten gelegten) Pläne des Europäischen Parlaments, transnational tätigen Stiftungen einen Verhaltenskodex aufzuerlegen und ihnen ein damit verbundenes Gütesiegel auf Zeit zu verleihen, brachte das European Foundation Centre 1994 freiwillige Richtlinien, die „EFC Principles of Good Practice“, auf den Weg. Dieser stark an angelsächsische Traditionen anknüpfende Kodex traf damals vor allem Aussagen zum Umgang der Stiftungen mit der Öffentlichkeit, den Empfängern von Stiftungsleistungen und den Behörden.
Die Vorlage des EFC verstärkte in Deutschland die Debatte. Klar war: „Man kann als Interessenverband von der Politik nicht deutliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen für private Stiftungen einfordern, ohne zugleich für eine uneigennützige, transparente und wirkungsvolle Stiftungspraxis zu sorgen. Freiheit und Verantwortung sind nicht zu trennen. Dies gilt auch für die Ausgestaltung der Freiheit, als Stifter Privateigentum dauerhaft dem Wohl der Allgemeinheit zu widmen.“ So formuliert es Dr. Ulrich Bopp, damals stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes. Ziel war es, durch klare selbstverpflichtende Grundsätze die Stiftungskultur in Deutschland insgesamt zu stärken, Verfehlungen einzelner Stiftungen vorzubeugen und restriktive gesetzliche Regelungen entbehrlich zu machen.
Eine kleine Arbeitsgruppe unter Leitung von Dr. Ulrich Bopp nahm 2004 die Vorarbeiten auf. Beteiligt waren Prof. Dr. Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Marlehn Thieme, Direktorin der Deutschen Bank AG, und Rechtsanwalt Dr. Andreas Richter. Von der Geschäftsstelle des Bundesverbandes wirkte Dr. Hermann Falk, stellvertretender Geschäftsführer, mit. Die Arbeitsgruppe verständigte sich rasch darauf, dass statt eines detaillierten Regelwerkes die für alle Stiftungen gültigen Grundsätze herausgearbeitet werden sollten. Sie konzentrierte sich deshalb auf die neuralgischen Punkte der Uneigennützigkeit, der Transparenz und der Wirksamkeit des Stiftungshandelns. Der von ihr vorgelegte Entwurf von Grundsätzen guter Stiftungspraxis wurde nach intensiven Gremiendiskussionen und einer im Bundesverband Deutscher Stiftungen nie zuvor praktizierten Mitgliederanhörung der Mitgliederversammlung vorgelegt und am 11. Mai 2006 in Dresden mit nur einer Gegenstimme verabschiedet.
Die langjährige Entstehungsgeschichte der Grundsätze zeugt von der Schwierigkeit, die Vielfalt der Stiftungen abzubilden und zu integrieren: Seien es die unterschiedlichen rechtlichen Gestaltungsformen (rechtsfähige oder nicht rechtsfähige, bürgerlich-, öffentlich-, kirchlich-rechtliche Stiftungen sowie Stiftungs-GmbHs und Stiftungsvereine), die verschiedenen Größenklassen, die fördernden oder operativen Handlungsformen und schließlich die bunte Vielfalt der Stiftungszwecke.
Gleichzeitig zeugt die Entstehungsgeschichte vom wachsenden gesellschaftspolitischen Anspruch des Dachverbandes. In den Jahren vor der deutschen Wiedervereinigung war es vornehmlich darum gegangen, Stiftungen eine Begegnungs- und Fortbildungsplattform sowie rechtspolitische Interessenvertretung zu bieten. Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung stellten sich neue, grundlegende Fragen. Die Bedeutung von privaten Stiftungen für eine freie, demokratische und verantwortungsbereite Gesellschaft und ihr Beitrag zur Überwindung der Teilungsfolgen wurden thematisiert. Strategiepapiere und Konferenzen des Bundesverbandes intensivierten den Dialog mit Politik und Öffentlichkeit.
Ein zunehmend stiftungsfreundliches Klima und bessere gesetzliche Rahmenbedingungen führten in den 1990er- und 2000er-Jahren zu einem „Boom“ von Neuerrichtungen. Das rückte das Stiftungswesen stärker in das Blickfeld von Medien, Politik und allgemeiner Öffentlichkeit. Zugleich gewannen die europäische Dimension und der Austausch mit dem amerikanischen Stiftungswesen an Bedeutung, sowohl für rechtspolitische Fragen als auch für das Handeln von Stiftungen mit europäischen oder internationalen Zielsetzungen. Die Grundsätze guter Stiftungspraxis prägten in all diesen Veränderungen das Selbstverständnis der deutschen Stiftungen und bilden ein solides Fundament für künftige Entwicklungen.
Parallel zu den Umbrüchen, die das Stiftungswesen erfassten, machte auch der Governance-Begriff Karriere. Governance versteht sich vor allem als Steuerungs- und Regelungssystem insbesondere zur Führung von Unternehmen und anderen Körperschaften. Es geht auch um Handlungskoordination, das heißt „um Mechanismen und Wirkungen der Handlungskoordinierung mehr oder weniger autonomer Akteure innerhalb einer bestimmten institutionellen Struktur“, wie es Michael Zürn und Gunnar Folke Schuppert formulierten (Michael Zürn; Gunnar Folke Schuppert [Hg.]: Governance in einer sich wandelnden Welt. Wiesbaden 2008). Der Begriff hatte nach einer Reihe von Regelverstößen von Unternehmen Einzug in die Wirtschaftswelt gefunden. Im Anschluss formulierten in den 1990er-Jahren auch mehr und mehr gemeinnützige Organisationen ethische Richtlinien für ihre Praxis. Zu nennen ist an dieser Stelle die Selbstverpflichtung des Deutschen Spendenrates, die im Gründungsjahr 1993 erstmals von dessen Mitgliederversammlung verabschiedet wurde und seitdem kontinuierlicher Fortschreibung unterliegt.
Die Gründe für Governance-Regeln in der gemeinnützigen Welt sind vielfältig, lassen sich aber immer auf zwei wesentliche Gründe zurückführen. Zum Ersten ist der gute Ruf von gemeinnützigen Organisationen neben ihrer Wirkung ihr wichtigstes Gut. Ist dieser einmal durch fragwürdige oder gar illegale Handlungen verspielt, sind der Wiederaufbau von Glaubwürdigkeit und der Rückgewinn des Vertrauens der verschiedenen Stakeholder (z.B. Spender und Förderer, Kooperationspartner und Antragsteller) ungleich schwerer. Denn es gilt auch hier: Reputation kommt langsam zu Fuß und flieht schnell zu Pferde.
Zum Zweiten wird in neuerer Zeit wieder vermehrt über die Legitimation von Stiftungen diskutiert; dabei wird u.a. im Hinblick auf gute rechtliche und steuerrechtliche Rahmenbedingungen mehr Transparenz eingefordert. So argumentieren einige Politiker, die steuerrechtlichen Verbesserungen 2007 würden mit einer Bringschuld der Stiftungen gegenüber der Öffentlichkeit einhergehen: Denn wer steuerbefreit sei, müsse im Gegenzug verpflichtet werden, der Allgemeinheit auch zu erläutern, welchen Umfang seine Tätigkeit hat, woher das Stiftungsvermögen stamme, wer die Begünstigten sind, nach welchen Kriterien über Förderungen entschieden wird und was erreicht worden ist. Paul Kirchhof hat zurecht darauf hingewiesen, dass sich nicht der Bürger für Steuerfreiheiten rechtfertigen muss, sondern der Staat dafür, dass er Steuern erhebt. Doch ist auch richtig, dass Stiftungen individuell und als Gruppe keine Projektionsfläche für Verdächtigungen und Behauptungen dadurch bieten sollten, dass sie der Öffentlichkeit wesentliche Informationen vorenthalten.
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen hat seit der Beschlussfassung 2006 einiges getan, um die auf Freiwilligkeit basierenden Handlungsgrundsätze unter seinen Mitgliedern und darüber hinaus publik und populär zu machen. So wurden die Grundsätze auf der Internetseite des Bundesverbandes und als gedruckte Broschüre bereitgestellt, die unverändert stark nachgefragt wird (Auflagen in 2006, 2008, 2010 und 2013). Im Newsletter „StiftungsNews“ gab es eine Serie zur Anwendung der Grundsätze in Stiftungen, und ein Schwerpunktheft der Zeitschrift „StiftungsWelt“ (Ausgabe 02-2012) widmete sich guter Stiftungspraxis.
Was wurde nun erreicht? Was konnten die Grundsätze, die die Wirkung des Stiftungshandelns im Blick hatten, selbst bewirken? Eine aktuelle Abfrage in der Datenbank Deutscher Stiftungen ergibt folgendes Bild: Rund 2.700 Stiftungen kennen die vom Dachverband verabschiedeten Grundsätze. Mehr als die Hälfte davon, in absoluten Zahlen ausgedrückt rund 1.500 Stiftungen, wenden sie auch tatsächlich bewusst an. Die Bandbreite der Anwendung ist groß und reicht vom Bekenntnis zu den Grundsätzen guter Stiftungspraxis z.B. auf der Internetseite bis hin zur Integration in die Geschäftsordnung des Vorstandes.
In der 2010 vom Bundesverband Deutscher Stiftungen vorgelegten Studie „Führung, Steuerung und Kontrolle in der Stiftungspraxis“ wurden Indikatoren für die Anwendung der Grundsätze in der Gremienorganisation, dem Finanz- und Rechnungswesen und der Risikokontrolle untersucht. Das Ergebnis offenbarte Handlungsbedarf beispielsweise beim Transparenzgebot: So stellten nur 8 Prozent der befragten Stiftungen der Öffentlichkeit einen gedruckten Wirtschafts-Jahresbericht zur Verfügung, und lediglich 6 Prozent veröffentlichten finanzielle Daten im Internet. Auch blieb die Funktionstrennung der Organe zur Vermeidung von Interessenkonflikten im Vergleich zur Privatwirtschaft zurück. 24 Prozent der befragten Stiftungen, und damit annähernd jede vierte, gaben an, dass Mitglieder ihres Aufsichtsorgans zugleich auch einen Platz im Leitungsorgan innehaben, wenngleich zumeist aus historischen Gründen. Dies birgt Risiken nach innen und außen, denn, so die Autoren der Studie, „öffentlich gewordene Interessenkollisionen [werden sich] sehr negativ auf die Reputation der einzelnen Stiftung und des gesamten Stiftungssektors auswirken“. Das Gebot der Vermeidung von Interessenkonflikten mit den „uneigennützigen“ Stiftungszwecken und das Transparenzgebot sind, auch nach Meinung von Dr. Ulrich Bopp, die „beiden tragenden und sich gegenseitig stützenden“ Grundsätze des Stiftungswesens. Obgleich alle Grundsätze wichtige Prüfmaßstäbe sind, liegt in der sorgfältigen, kontinuierlichen und allgemeinen Beachtung dieser beiden Grundsätze der größte Hebel zur Förderung eines effizienten Stiftungshandelns und zur Wahrung der guten Reputation von gemeinnützigen Stiftungen.
Bereits in den ersten Überlegungen im Fachausschuss Ethik klang vor mehr als zehn Jahren die Frage an, ob der Fokus der Grundsätze auf die moderne Kapital- und Förderstiftung ausreicht. Vor dem Hintergrund der immer zahlreicher auftretenden Klein- und Kleinststiftungen stellen Experten diese Frage heute erneut. Durch die Anziehungskraft der Rechtsform Stiftung entstehen zunehmend Stiftungen ohne einen dauerhaft wirklich tragfähigen Vermögensstock. Der materielle Stiftungsbegriff, der sich aus dem Dreiklang von Stiftungszweck, dafür ausreichendem Stiftungsvermögen und Stiftungsorganisation zusammensetzt und der den Grundsätzen guter Stiftungspraxis zugrunde liegt, wird immer häufiger unterhöhlt. „Stiftungen haben ein Vermögen, das ihnen grundsätzlich auf Dauer und ungeschmälert zur Verfügung stehen soll“ – diese Prämisse der Grundsätze guter Stiftungspraxis gilt für das Stiftungswesen insgesamt in immer geringerem Umfang. Viele Mittelbeschaffungseinrichtungen, die noch vor wenigen Jahren in Form eines Fördervereines gegründet worden wären, sind heute in Stiftungsform organisiert. Daher halten es Experten für angeraten, eine Ergänzung der Grundsätze guter Stiftungspraxis in Hinblick auch auf jene Stiftungen vorzunehmen, die als Geldsammelinstitutionen das Stiftungsrenommee in Anspruch nehmen. Solche Stiftungen sollten auch die etablierten Richtlinien für Fundraising treibende Non-Profit-Organisationen erfüllen, wie etwa das DZI Spenden-Siegel, die Grundregeln des Deutschen Fundraising Verbands, die Grundsätze des Deutschen Spendenrates und die Richtlinien der Initiative Transparente Zivilgesellschaft.
Unabhängig von dieser Frage hat sich der Adressatenkreis der Grundsätze in den vergangenen Jahren kontinuierlich erweitert. Unter dem weiterhin für alle geltenden „Dach“ der Grundsätze guter Stiftungspraxis wurden in den darauffolgenden Jahren Empfehlungen und Maßstäbe für bestimmte Stiftungsgruppen entwickelt. Nach der Verabschiedung 2006 wurden die Empfehlungen für die Errichtung und Verwaltung von Stiftungen der öffentlichen Hand (2008), die Grundsätze guter kirchlicher Stiftungspraxis (2009), die zehn Empfehlungen für gemeinnützige Unternehmensstiftungen (2010) sowie die Grundsätze guter Verwaltung von Treuhandstiftungen (2012) verabschiedet. Zudem hat die VolkswagenStiftung die Grundsätze guter Stiftungspraxis sowie die Principles of Good Practice des European Foundation Centre zum Anlass genommen, gemeinsam mit einigen großen deutschen Stiftungen den Transparenzgedanken im Sinne einer noch stärkeren Verbindlichkeit ihres Handlungsrahmens weiterzuentwickeln. Daraus entstanden sind 20 Prinzipien guter Stiftungspraxis, die Standards unter den größeren deutschen Stiftungen definieren. Der Vollständigkeit halber seien auch jene Prinzipien hier genannt, die bereits vor den Grundsätzen guter Stiftungspraxis formuliert worden waren und damit als ihre Wegbereiter gelten können: die zehn Merkmale einer Bürgerstiftung (2000) und die Empfehlungen für die Verwaltung kommunaler Stiftungen (2004). Alle genannten Grundsätze finden Sie im Anhang dieses Buches.
Die zahlreichen Konkretisierungen der Grundsätze für spezifische Stiftungsgruppen bzw. ihre Verwalter gehen auf deren jeweilige Spezifika und Anforderungen ein. Und sie stärken die Identität und Professionalität solcher Stiftungsgruppen. So erklären die kirchlichen Stiftungen ganz ökumenisch in der Präambel der Grundsätze guter kirchlicher Stiftungspraxis: „Im Glauben an Jesus Christus und in christlicher Freiheit und Verantwortung haben Menschen seit dem Ursprung des Christentums Stiftungen errichtet, um Zwecke zu erfüllen, die ihnen aus diesem Glauben heraus wesentlich waren.“ Die Zehn Empfehlungen für gemeinnützige Unternehmensstiftungen entstanden zum einen aufgrund des zahlenmäßigen Wachstums dieser Stiftungsgruppe, nachdem seit den 1990er-Jahren immer mehr Unternehmen auch in Deutschland eine Stiftung gegründet haben, um ihr gesellschaftliches Engagement zu bündeln oder zu verstetigen. Zum anderen wurden die Empfehlungen mit dem Ziel formuliert, das Selbstverständnis der Unternehmensstiftungen als eigenständige Akteure im gemeinnützigen Sektor und möglichst unabhängig von den wirtschaftlichen Interessen der Mutterunternehmen zu betonen.
Um dem besonderen Schutzbedürfnis der unselbstständigen Treuhandstiftungen gerecht zu werden, wurden im März 2012 die Grundsätze guter Verwaltung von Treuhandstiftungen (auch Treuhandverwaltungs-Grundsätze) vom Bundesverband verabschiedet. Diese enthalten klare Qualitätsanforderungen an (gewerbliche und gemeinnützige) Verwalter von nicht rechtsfähigen Stiftungen, deren Zahl in den vergangenen Jahren besonders schnell gewachsen ist.
Das Prinzip der Freiwilligkeit liegt dem bisherigen Orientierungsrahmen, den die Grundsätze guter Stiftungspraxis bieten, zugrunde. Dies steht im Gegensatz zu den „Codes of Practice“, die andere europäische Stiftungsverbände verabschiedet haben und die dort verpflichtend für Neu-Mitglieder bzw. auch für Bestandsmitglieder sind: So handhaben es das Polish Donors Forum, der Council of Finnish Foundations, das Portuguese Foundation Centre, das Russia Donors Forum, das Slovak Donors Forum, die Spanish Association of Foundations und das Czech Donors Forum. Eine vergleichbare Verbindlichkeit haben die Mitglieder des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen 2006 nicht beschließen wollen. Ob die Entscheidung heute anders ausfiele, ist fraglich. Sicher erscheint jedenfalls, dass manche früheren Bedenkenträger, die vor einer „Überregulierung“ des Stiftungssektors warnten, inzwischen die positive Wirkung der Grundsätze innerhalb der eigenen Organisation zu schätzen wissen. Andere wünschen sich sogar eine Konkretisierung und Vertiefung der Grundsätze, um den Stifterwillen dauerhaft und effizient auch durch entsprechende Prinzipien intern abzusichern. Ob und wie die Grundsätze guter Stiftungspraxis weiterentwickelt werden, ist jedoch von einem entsprechenden Votum der Mitglieder des Bundesverbandes abhängig und bis auf Weiteres offen.
Als ethischer Orientierungsrahmen ist die Beachtung der Grundsätze guter Stiftungspraxis zunächst einmal für die Stiftungsorganisation und -wirksamkeit bedeutsam. Darüber hinaus dient sie nicht nur der einzelnen Stiftung, sondern dem Stiftungswesen insgesamt, wenn die Verwirklichung der Grundsätze von der Stiftung auch nach außen kommuniziert wird. So ist der Verweis auf das Bekenntnis zu den Grundsätzen auch eine Antwort auf die wachsende Nachfrage u.a. von Journalisten, wie die steuerbefreiten gemeinnützigen Stiftungen es mit der Transparenz halten.