ISBN: 978-3-95764-030-7
1. Auflage 2014, Altenau (Deutschland)
© 2014 Hallenberger Media GmbH, Altenau
Umschlagabbildung: Nicolaus Copernicus, Isaac Newton, Galileo Galilei und Johannes Kepler. Unter Verwendung der Bilder 27456792 (© VIPDesign) sowie 37313264, 37313249 und 37564455 (© nickolae) von Fotolia.com.
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sie haben zu einem der wichtigsten Dramen des zwanzigsten Jahrhunderts gegriffen und wollen sich mit Dürrenmatts „Die Physiker“ auseinandersetzen. Kaum ein Drama wurde in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts so oft auf deutschen Bühnen gespielt wie „Die Physiker“.
Ich möchte Sie beim Eindringen in den Sinn und bei der Auseinandersetzung mit dem Gehalt des Stückes unterstützen.
Zunächst fasse ich den Gesamtinhalt knapp zusammen um einen Überblick über den Gesamtablauf zu gewährleisten.
Anschließend wird der Inhalt der einzelnen Szenen ausführlicher dargestellt. Dabei ist zu bemerken, dass die Szeneneinteilung von mir vorgenommen wurde. Dürrenmatt selbst gibt bei den einzelnen Auftritten nur neue Regieanweisungen. Im Zusammenhang mit dieser ausführlichen Inhaltsangabe finden Sie auch erste Anmerkungen zum Inhalt und erste Ansätze zu einer Deutung.
Im dritten Kapitel werden die wichtigsten Figuren des Stückes vorgestellt. Dabei werden ihre Eigenschaften benannt und ihr Konzept erläutert. In der Konfrontation der Figuren miteinander wird herausgearbeitet, was sie zur Gesamtaussage des Textes beitragen.
Ein weiteres Kapitel setzt sich mit der Frage auseinander, was es nun mit „Salomo“ auf sich hat. Wir gehen dabei davon aus, dass sich hinter dieser Nennung des König Salomo mehr verbirgt als nur der vordergründige Anlass, einen Menschen als verrückt wegzusperren.
Das zentrale Thema des Textes, die Verantwortung der Naturwissenschaftler und der Naturwissenschaft, wird in einem eigenen Kapitel behandelt.
Schließlich biete ich noch eine Beispielklausur zu einem Thema an, das immer wieder auftaucht: Der Psalm, der in dem Stück eine eigene Größe darstellt und auf den ersten Blick nicht so recht in das Stück passen will, der aber dann doch ein wichtiges Element darstellt, das bei einer Gesamtdeutung nicht vernachlässigt werden darf. Er soll interpretiert und hinsichtlich seiner dramatischen Funktion untersucht werden.
Ich hoffe, ich kann ihnen ein wenig weiterhelfen, wenn es um die Frage geht: „was soll das überhaupt?“.
Und vergessen sie nicht, was Dürrenmatt betont: eine Geschichte ist erst dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmste mögliche Wendung genommen hat.
Ich wünsche ihnen viel Erfolg bei der Auseinandersetzung mit dem Stück!
Friedel Schardt
Die Komödie „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt, 1962 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt und im gleichen Jahr im Diogenes Verlag erschienen, hatte wie kaum ein anderes deutschsprachiges Stück der Nachkriegszeit Wirkung entfaltet. Mit knapp 1600 Aufführungen war sie das am meisten inszenierte Stück auf deutschen Bühnen. Auch in London und Paris wurde das Stück gefeiert (in den USA und der Sowjetunion weniger).
Das Thema, das dürfte unumstritten sein, ist die Verantwortung der Naturwissenschaftler und der Naturwissenschaft für die Ergebnisse naturwissenschaftlichen Forschens. Zwar wird die Atombombe selbst nur am Rande erwähnt, doch dürfte sie wesentlich an Dürrenmatts Überlegungen beteiligt gewesen sein. Der Wissenschaftsoptimismus, den Brecht in seiner ersten Bearbeitung seines Galilei - Stückes bereits gedämpft, wenn nicht gar zurückgenommen hatte, ist einem deutlichen Pessimismus gewichen. Die zentrale Figur des Dramas, der Physiker Möbius, versucht, die Frage nach der Verantwortung damit zu lösen, dass er selbst sich freiwillig in ein Irrenhaus zurückzieht und der Welt verweigert. Er hat damit alles, was eine tragische Figur eigentlich braucht, zumal sein Konzept eben am Ende doch nicht aufgeht und sein Opfer umsonst war. Allerdings: einer Welt, die „am Zusammenpacken ist wie die unsere“ (so sagt Dürrenmatt im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zu Komödie und Tragödie), kann man nur noch mit einer Komödie beikommen. Möbius ist zwar eine tragische Figur, seine Tragik aber erwächst aus dem Zufall, der Überraschung, ja sogar dem Grotesken. Er kann nicht mehr von irgend einem Maß ausgehen (Verantwortung würde ein solches Maß voraussetzen), und so wird seine Forderung nach Verantwortung von seinen Kollegen zwar erfüllt, von der Geschichte, die das Drama mit der schlimmstmöglichen Wendung zu Ende denkt, aber ins Absurde verlängert: Fräulein von Zahnd macht alle Bestrebungen von Möbius zunichte, verkehrt sie gerade in ihr Gegenteil.
Möbius erklärt sich für verrückt, um der Welt zu entgehen. Zwei weitere Wissenschaftler spielen verrückt, um Möbius in die Welt zurück zu holen. Die Ärztin aber, die diese „Verrückten“ behandelt, durchschaut alles, macht sich die Gutgläubigkeit und Naivität der Naturwissenschaftler zunutze und beutet am Ende Möbius und sein Konzept schamlos aus. Es wäre wohl falsch, diese Ärztin als verrückt zu bezeichnen. Sie ist das wohl keineswegs, vielmehr stellt sie genau diejenige Figur dar, die, kalten Rationalismus einsetzend, alle gutgläubigen Überlegungen zu Verantwortung und Ähnlichem ins Absurde führt. So werden wir uns nicht nur mit der Frage nach Verantwortung der Naturwissenschaften wie der Naturwissenschaftler auseinander zu setzen haben, angesichts der Irrenärztin und ihrer Machenschaften wird auch zu fragen sein, ob es nicht doch noch Wege gibt, Verantwortung einzufordern und umzusetzen, auch wenn die Welt so grotesk sein sollte, wie Dürrenmatt das annimmt.
Es wird also nicht ganz einfach, den gutgläubigen Möbius als tumben Tor zu entschuldigen bzw. sein ehrenwertes Tun positiv zu bewerten. Ebenso wenig einfach darf man es sich machen, wenn es um eine Bewertung der Irrenärztin geht. (Sie ist wohl keineswegs so verrückt, wie sie in vielen Interpretationen im Anschluss an Möbius genannt wird.)
Unabhängig vom Stück ist zu fragen, ob nicht doch die Idee vom hippokratischen Eid der Naturwissenschaftler, die Brechts Galilei entwirft, Beachtung finden sollte.