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Der Weg durch die Schöllenenschlucht
1231–1708

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Schellinenmättelibrücke (bei Göschenen)

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Häderlisbrücke

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Tanzenbeinbrücke (heute von der Galerie verdeckt)

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Stiebende Brücke (seit dem 16. Jh. Teufelsbrücke genannt)

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Twärrenbrücke (seit 1708 Urnerloch)

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Westliche Umgehung der Schöllenenschlucht über den Bäzberg
(Schnellstrecke für Läufer)

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Westliche Umgehung der Schöllenenschlucht über Rossmettlen und Spitzi
(vor 1231 und als Viehweg bis ca. 1800)

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Östliche Umgehung der Schöllenenschlucht über den Gütsch
(Viehweg bei Hochwasser bis 1708)

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Fortsetzungswege
Richtung Süden:
St. Gotthard, Airolo
Richtung Norden:
Wassen (via Pfaffensprung), Silenen, Altdorf

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SJW Nr. 2398
ISBN 978-3-7269-0597-2
SJW Schweizerisches Jugendschriftenwerk
www.sjw.ch | office@sjw.ch

Ab 13 Jahren
Historische Erzählung

Was hat der heilige Gotthard mit den Walsern und mit dem Gotthardpass zu tun? Was steckt hinter den Legenden um Teufelsb-rücke und Teufelsstein? Der Bau von Wegen und Stegen durch die Schöllenenschlucht war die Leistung namenloser Schwerarbeiter. Einer von ihnen wurde später der «Schmied von Göschenen» genannt. Ein kühnes Abenteuer aus der Zeit der Ritter und Pilger. Pirmin Meier, historischer Schriftsteller, erzählt die Geschichte
wie keiner vor ihm.

Pirmin Meier, Dr. phil., geboren 1947 in Würenlingen AG besuchte das Gymnasium bei den Benediktinern in Sarnen und studierte in Zürich Germanistik, Philosophie und Geschichte. Er unterrichtet am Gymnasium Beromünster LU und arbeitet als Schriftsteller. Er schreibt Biografien in Form grosser Erzählungen über Schweizer Persönlichkeiten wie zum Beispiel Nikolaus von Flüe, Paracelsus, Heinrich Federer oder den Pionier der Kartografie, Micheli du Crest. Pirmin Meier ist ein ausgewiesener Kenner magischer Orte der Schweiz. 1993 erschien Geheimnisvolle Landschaft im Schatten der Alpen, dem 2005 Landschaft der Pilger. Geheimnisvolle Orte der Zentralschweiz folgte. Sein Werk ist mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. 2008 mit dem Innerschweizer Literaturpreis.

Laura Jurt, geboren 1979, besuchte die Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern und studierte im Fachbereich Visuelle Kommunikation Illustration. Nach einem Ausland-semester an der Faculdade de Belas Artes in Porto, Portugal, lebt sie seit 2005 in Zürich als freischaffende Illustratorin. Laura Jurt arbeitet regelmässig für Buchverlage, Zeitungen und Magazine. Sie ist Mitbegründerin von Malhefte, einem Magazin für Halbkinder. Mehr zu erfahren ist unter: www.laurajurt.ch.

Diese Publikation konnte realisiert werden dank der Unterstützung durch:
Aargauer Kunsthaus Aarau
Dätwyler Stiftung, Altdorf
Gemeinde Wettingen
Kanton Aargau
Kanton Uri
Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur
Ulrico Hoepli-Stiftung, Zürich

Karte Vorsatz 1: Baumann & Fryberg AG, Altdorf

Karte Vorsatz 2: Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), Natur-Geschichte

des Schweizerlandes, samt seinen Reisen über die Schweizerische Gebürge,

Zweyter Theil, 2. Auflage 1746, S. 92. © Stiftsbibliothek Beromünster

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

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SJW Nr.: 2398

ISBN 978-3-7269-0597-2
E-ISBN 978-3-7269-0698-6

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Pirmin Meier: Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen
Was hat der heilige Gotthard mit den Walsern und mit dem Gotthardpass zu tun? Was steckt hinter den Legenden um Teufelsbrücke und Teufelsstein? Der Bau von Wegen und Stegen durch die Schöllenenschlucht war die Leistung namenloser Schwerarbeiter. Einer von ihnen wurde später der «Schmied von Göschenen» genannt. Pirmin Meier, historischer Schriftsteller, erzählt die Handwerkerlegende wie keiner vor ihm. Ein kühnes Abenteuer aus der Zeit der Ritter und Pilger.

Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen

PIRMIN MEIER

SANKT GOTTHARD
UND DER SCHMIED VON GÖSCHENEN

ILLUSTRATION LAURA JURT

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INHALT

Personenregister

Kapitel 1: Was ein Fahrender Schüler zu berichten weiss

Kapitel 2: Drinnen in der Schmitte und draussen an der Chilbi

Kapitel 3: «Der Gottert ist ein heillos hoher Berg!»

Kapitel 4: Ritter und Landgräfin auf der Heimreise

Kapitel 5: Zvieribrot mit Hornbläser und Schlänglein

Kapitel 6: Hoher Besuch wird angemeldet

Kapitel 7: Der Herr von Rapperswil steuert das Schicksal

Kapitel 8: Zwei Brüder auf fremden Pfaden

Kapitel 9: Intermezzo an der Limmat

Kapitel 10: «Der Schmied von Göschenen»

Epilog: Der «Klammerheinrich» und die Reichsfreiheit

Anhang

Zeittafel

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Nachwort

PERSONEN AUS DER SICHTBAREN WELT, DAVON HISTORISCHE PERSONEN*:

Heini der Schmied, als Knabe und als Mann

Bäny der Läufer, Bruder von Heini, der Junge ohne Milz

Turmwart von Hospental, freier Walser, Vater von Heini

Heinis Mutter, Leibeigene des Abtes von Disentis

Der alte Schmied von Urseren, freier Walser, Heinis Onkel und Götti

Babi, Tochter des Schmieds von Urseren

Gualfred der Walser*, Abt von Disentis, Heinis Leibherr

Heinrich Wandelber von Rapperswil*, Ritter, Jerusalempilger und Klostergründer

Anna von Homberg*, Gattin von Ritter Heinrich, und Anneli*, deren Tochter

Rudolf von Rapperswil*, Graf, Reichsvogt über Urseren

Elisabeth von Thüringen*, Landgräfin, Prinzessin von Ungarn, Rompilgerin

Konrad von Marburg*, Beichtvater der Landgräfin

Burgherr von Hospental*, Meier (Vogt) des Klosters Disentis

Albert von Sax-Misox*, Ritter, Grundherr in Mesocco, im Blenio-und Livinental

Von Moos*, Ammann von Urseren

Friedrich II.*, Kaiser aus der Familie der Staufer, in Süditalien

Heinrich (VII.)*, Sohn des Kaisers, Mitkönig in Hagenau, Elsass

Pietro Motta, Säumermeister von Airolo

Heinrich von Thun*, 1216–1238 Bischof von Basel, Bauherr der Mittleren Brücke

Stephan der Hesse, dessen Schreiber

Bruder Richard, Ziegelmeister von St. Urban, in Basel

Kuoni, Vogt des Grafen von Rapperswil in Silenen

Johannes Zapfner*, Schmiedemeister an der Storchengasse in Zürich

Katri Simmen*, sogenannte Hexe aus dem Urserental

Bauern, Säumer, Schmiedegesellen, starke Männer, Fahrende, Hofdamen,

Schiffer, Fuhrleute; Volk aus den Tälern Urseren und Uri

PERSONEN AUS DER UNSICHTBAREN WELT:

Der Gott mit den Drei Namen, Erschaffer der Alpen

Der Teufel, Gegenspieler von Gott und Versucher der Menschen

Sankt Gotthard, Abt und Bischof, Passheiliger

Sankt Stephanus, Steinheiliger

Sankt Eligius, Schmiedeheiliger

Santa Barbara, Schutzmutter der Gotthardunterwelt

Sankt Peter und Sankt Joder, Wetterheilige

Sankt Nikolaus, Schutzheiliger für Menschen unterwegs

Sankt Kolumban, Bekehrer und Patron des Urserentals

Glasscheibenhund und Gekrönte Schlange, Monster

Bergmännchen, Gletschergeister, Arme Seelen

Frage nur die Steine, du wirst erstaunen, wenn du sie reden hörst.
Ludwig Tieck: Der Runenberg

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1. Kapitel

WAS EIN FAHRENDER SCHÜLER ZU BERICHTEN WEISS

Mitten in den Alpen ragt auf einem Felsvorsprung ein elend hoher Steinhaufen himmelan. Leicht schräg, viereckig und vierstöckig, ist er zu einer Turmburg aufgerichtet. Der Burgstall von Hospental. Passfahrer mit dem Motorrad rattern unten vorbei. Wer von ihnen würde da schon einen Stopp einlegen? Auf einem der oberen Stockwerke des Uralt-Bauwerkes nisten Rotschwänzchen. Einst passierten hier die Säumer zum Sankt Gotthard mit ihren Lasttieren. Im Takt begleitet vom Klimbim des von Glöcklein behangenen Saumzeuges. Über die Berge transportierten die Säumer – je nach Richtung – Käse, Reis, Olivenöl, Weinfässchen, Wolle, Textilien, Schmuck, Waffen und schmiedeiserne Geräte. Mit dabei waren fast immer Postsachen. In einem guten Jahr der alten Zeit gab es in Flüelen und Luzern vielleicht mal 180 Tonnen kostbare Ware zu verzollen. Also weniger als die Last von fünf Schwertransportern, die heute im Autobahntunnel zwischen Göschenen und Airolo grusslos aneinander vorbeidonnern.

Oben auf den Passstrassen macht der älteste Steinheilige im Alpenraum Musik. Stephanus. Stefan. Stefano. Etienne. Istvàn. Steve. Über alle vier Winde dringt seine Stimme in den Äther. Für sein Lied braucht er keine elektronische Verstärkung. Der Held aus der Bibel fand einen gewaltsamen Tod. Seine Feinde haben Steine auf ihn geworfen, bis er sich nicht mehr bewegte. Die Steine selber haben es nicht bös gemeint. Dem biblischen Stephanus sind in Hospental und in Göschenen in Kirchen und Kapellen Altäre geweiht. Der Heilige wird vom Bergvolk gegen Steinschlag um Hilfe angerufen.

Auf der verschneiten Passhöhe SAN GOTTARDO nahmen im frühen Winter 2010 Tausende Abschied vom Sänger Steve Lee. In Amerika war der Töffpilot, als er am Strassenrand für einen Augenblick anhielt, von einem Laster über den Haufen gefahren worden. Vor den Augen seiner Freunde. Zu Hause war er im Tessin. Dort wurde seine Asche nach dem Heimtransport aus Übersee beigesetzt. Auf dem Motorrad brauste der Lebendige oftmals beim Turm von Hospental vorüber. In Göschenen hat der Leadsänger der Band GOTTHARD den Teufelsstein gewiss nicht übersehen.

Der Turm von Hospental ist für die Menschen der Nachwelt eine malerische Ruine. Steil fällt das Gelände auf drei Seiten ab. Im zweiten Geschoss springt ein überhängender steinerner Erker mit einer nach aussen führenden Abortrinne ins Auge. Einst eine Gelegenheit für ausgewählte Herrschaften, ihr Geschäft zu verrichten. Eine vornehmere Toilette war damals im Abstand einer Tagereise kaum zu finden. Später diente die nunmehr seit rund sechshundert Jahren nicht mehr bewohnte Burganlage als Schafstall. Da waren die Tiere vor Angriffen von Wölfen und Bären sicher. Auf dem Boden des befestigten Gebäudes haben sich Schweine gewälzt, bis sie von ihrem Hirten auf die Sommerweide getrieben wurden. Gewaltige Viehherden trampelten zur Herbstzeit mit Gebrüll durch das Dorf Hospental. In Como und in Mailand wartete auf sie das Beil des Metzgers.

Aus dem Norden marschierten Wallfahrer mit Stab und Pelerine nach Rom und Jerusalem an der Burg vorbei. Auch vom Süden her kamen Pilger zugereist. Ihr Ziel war die schwarze Muttergottes von Einsiedeln. Krieger mit Lanzen und Fähnlein waren das ganze Jahr über anzutreffen. Aus warmen Ländern strömten Asylbewerber, vom Volk Zigeiner genannt, den Alpenkamm hinunter in die grünen obstreichen Landschaften des Aargaus und des Thurgaus. Hielt man sie an, kramte ihr Häuptling einen Schutzbrief des Kaisers hervor. Aus Ägypten seien sie hergereist und dürften ungestraft betteln, Kessel flicken und Scheren schleifen. Davon stehe nichts auf dem Pergament, das Dokument sei gefälscht, wehrten sich die einheimischen Schmiede. Nach spätestens sieben Jahren schickte man die dunkelhäutigen Gäste zurück ins nördliche Afrika. Zeigten sie sich nicht willig, vertrieben Landsknechte sie mit der Rute aus Europas Flüchtlingsparadies.

Von der Ausschaffung der Zigeuner berichtete vor gut fünfhundert Jahren ein Gotthard-Passfahrer vom Berg Etzel bei Einsiedeln. Der Sohn eines aus Deutschland zugezogenen Arztes und einer dem Abt von Einsiedeln zugehörigen Frau, einer sogenannten Leibeigenen, hiess Theophrastus, mit Künstlernamen Paracelsus. Man sagte ihm die Kunst des Goldmachens nach. Im Kanton Uri nannte man ihn Füster. Wie der weltberühmte Doktor Faust aus dem Schwabenland soll er mit einer Unterschrift aus Menschenblut seine Seele dem Teufel verkauft haben.

Der Füster war einer der kenntnisreichsten unter den Fahrenden Schülern, so hiessen siebengescheite junge Männer. Weil sie es zu Hause hinter dem Ofen nicht mehr aushielten, wanderten sie über das Gebirge ins Welschland, damals ein Name für das fremdsprachige Italien. Viele von ihnen hatten sich bis nach Venedig durchgebettelt, deshalb wurden sie auch Venedigermännlein genannt. Auf allen Passwegen waren sie anzutreffen. Was sie wussten und konnten, wurde beim Volk als Zauberei oder Magie angesehen. Die Hohen Schulen von Padua, Ferrara und Bologna bevorzugten sie als Stätten ihrer Ausbildung. Hier war zu lernen, wie man einer Leiche kunstgerecht den Bauch aufschlitzt. Die verschiedenen Organe, zum Beispiel die Milz, legte man auf den Seziertisch und verglich sie mit Beschreibungen aus alten Büchern. Ein Mensch ohne Milz könne so schnell laufen wie ein Gamsböcklein. Diese Venedigerweisheit wurde beim Volk von Uri noch zu Urgrossvaters Zeiten von vielen für wahr gehalten.

Auf dem Weg nach Süden betraten Fahrende Schüler bei Rapperswil einen langen hölzernen Seesteg. Danach waren in den Schweizer Alpen zwei Teufelsbrücken zu überqueren: Die erste führte in den Finsteren Wald nach Einsiedeln, die zweite von Göschenen hinauf zum Bergdorf Andermatt. Über den Berg Etzel und die talwärts über die Sihl führende Teufelsbrücke strebten Pilgerhaufen aus dem Schwabenland, manchmal zu Hunderten täglich, nach Einsiedeln. Viele von ihnen, vernimmt man in einem alten Bericht, stürzten beim Überqueren der Brücke auf die Knie und rutschten so dem ersehnten Ziel ihrer Pilgerschaft entgegen. Diesen Flussübergang liess ein Einsiedler Klostervorsteher namens Abt Gero um das Jahr 1120 anlegen.

Damals zogen Ritter manchmal mit dem Pilgerstab in der Hand, oftmals aber haufenweise mit Schwert und Kreuzesschild nach Jerusalem. Dort wollten sie das Heilige Grab von den Ungläubigen zurückerobern. Zu diesen Kreuzrittern zählten die edlen Herren von Rapperswil. Auf der Südseite und auf der Nordseite des Zürichsees sassen sie auf ihren Burgen, genannt Alt-Rapperswil und Rapperswil, auch der Name des von ihnen gegründeten schmucken Städtchens am See. Als begüterte Grundbesitzer im Urnerland hatten sie ein Interesse daran, den Weg durch das Herz der Alpen mit dem Bau von Stegen und gepflästerten Pfaden gangbar zu machen.

Die zweite Teufelsbrücke, die stiebende Brücke über die Reuss, war der am meisten gefürchtete Flusssteg in den Schweizer Alpen. Von da führte der Weg hinauf bis an den Sant Gothart. Das Bauwerk wird in einem für die Schweizergeschichte wichtigen Güterverzeichnis, dem habsburgischen Urbar (1303), erwähnt. In diesem Dokument ist der Trümmeliberg oder Berg Tremolus erstmals mit seinem heiligen Namen genannt. Die Brücke galt als ein Bau des Teufels. Sie verband das Dorf Göschenen im Urnerland mit dem dahinterliegenden Urserental, Andermatt, Hospental, Realp und anderen Dörfern.

Eine Urner Sage behauptet, man habe das Kloster Einsiedeln ursprünglich im Bergnest Göschenen erbauen lassen wollen. Weil jedoch die Bäche jäh ins Tal stürzten, die Felswände zu steil abfielen, habe man sich mit der St.-Niklausen-Kapelle auf der Göscheneralp begnügt. An solchen Geschichten ist manchmal mehr wahr, als man auf erstes Hören hin glauben würde. In Göschenen besassen die Schutzherren über das Kloster Einsiedeln, die Ritter von Rapperswil, einen Turm und einige Berghöfe. Ausserdem war es auf der Göscheneralp im Mittelalter ähnlich warm, vielleicht noch wärmer als in den Jahren des neuesten Klimawandels. Auf den sommerlichen Alpweiden wimmelte es von Schlangen und Kröten:

Da habe sich ein Fahrender Schüler anerboten, das Ungeziefer zu vertreiben, wenn er von jeder Haushaltung eine Geiss bekomme. In Göschenen, Abfrutt und Wyggen nahm er jeweils sein silbernes Pfeiflein aus der Tasche, tat dreimal einen Pfiff, und alle Schlangen, Kröten, Ratten, Maulwürfe und Schnecken kamen hervor und folgten seinen Schritten bis weit zur St. Niklausenkapelle. Hier hielt er still und verbannte sie in die «Wuragänd» hinauf, ein unwirtliches sumpfiges Gelände, und sie kehrten nie mehr zurück.

Dem verhassten Gewürm wurde auch später noch der Krieg erklärt. Im Namen Gottes und der Heiligen gegen das Ungeziefer wurde es feierlich gebannt. Tobte ein schreckliches Unwetter oder marschierte ein Gletscher in die falsche Richtung, nämlich vorwärts, schrieb man es der bösen Katri Simmen zu. So hiess die erste Schweizer Hexe, auf die nördlich des Gotthards der Prozess wartete.

Der Herzenswunsch vieler Bergbewohner nach wärmerem und trockenerem Wetter scheint bald nach dem Jahre 1000 in Erfüllung gegangen zu sein. Im urnerischen Sisikon seien kräftige Rebstöcke mit nussgrossen Beeren emporgewachsen. Im Wallis bekamen einst grüne Gebirgswüsten märchenhafte Namen wie Hohlaubgletscher und Weingartengletscher. Bis hinauf gegen 2000 Meter Höhe, geht die Kunde, seien Obstbäume und Reben gewachsen. In den Kantonen Uri und Glarus berichten Blüemlisalpgeschichten von einem einstigen Paradies auf Bergeshöhen. Gemäss der Geschichte des Landes Uri von Hans Stadler-Planzer befand sich die Baumgrenze im Berggebiet um zweihundert bis dreihundert Meter über dem späteren Niveau.

Gegen das zunehmend trockene Klima halfen sich die Bergler im Wallis mit hölzernen Wasserleitungen. Technisch gekonnt wurden dieselben in die Felsen hineingehängt. Mit diesen Leitungen, Suonen genannt, bewässerten sie Bergwiesen. Familien mit gegen fünfzehn Kindern, die das Erwachsenenalter erreichten, waren keine Seltenheit. So viele Menschen konnte das sonnige Bergtal nicht ernähren. Immer mehr Tallüt verliessen ihre Heimstätten. Aussiedler aus dem Wallis gelangten schon früh ins Tal Urseren und in unzählige weitere Bergregionen in den Süd-und Ostalpen. Diese Migranten des Mittelalters, Walser genannt, fielen für die Besiedelung des Berggebietes stärker ins Gewicht als jede andere Volksgruppe. Mit grossem Geschick stellten sie landwirtschaftliche Geräte her, darunter «ergonomisch» konstruierte, dem menschlichen Körper angepasste hölzerne Rückentragbahren. Damit konnte man im Gebirge in hohen und steilen Lagen heuen. In den Siedlungsgebieten gewährte man den Walsern viel Freiheit. Sie durften ihren Ammann selber wählen und waren von mancherlei Steuern und Abgaben befreit. Wohl schon im 11. Jahrhundert gelangten sie über die Furka hinunter in ein breites bergumsäumtes Wiesland, das sie An der Matt nannten. Ein schlichter Name für die eines Tages bekannteste Ortschaft des Tales. Sie mussten mit den altheimischen Rätoromanen ein Auskommen finden.

Im Langen Acker bei Oschpidaal, wie sie für Hospental sagten, hielten die freien Walser Gemeindeversammlungen ab. An einem unwirtlichen Ort jenseits des Zusammenflusses von Furkareuss und Gotthardreuss, Tennlen, errichteten sie eine längst wieder verlassene Dorfschaft. Von hier führte ein Bergpfad auf den Bäzberg. Nach dem Zeugnis von Funden haben dort oben schon Kelten und Römer einen Durchpass nordwärts gefunden. Wollte man in der Mitte dieses verschollenen Weges ein Loch bohren, man könnte geradewegs hinunter zum St.-Gotthardstrassentunnel steigen.

Auch ihre Heiligen brachten die Walser in die neuen Ansiedlungen mit. Dazu gehörten Sankt Joder mit der Wetterglocke und der mit Schwert und Schild dargestellte Märtyrer Mauritius, Patron der Krieger und Waffenschmiede. Zu Dank verpflichtet fühlten sich die Siedler aus dem Wallis ihrem lieben Sankt Gotthard. Seinem Schutz waren der Simplonpass und noch andere Übergänge anvertraut. Nicht extra mitnehmen mussten die Aussiedler Sankt Nikolaus, den kraftvollen Stützer schroffer Felswände. Der volkstümliche Kinderfreund war an den Seen, an Fluss-und Bergübergängen allgegenwärtig. Der Glaube an den Schutz unsichtbarer Mächte verstand sich von selbst: Ohne Seeheilige, Steinheilige und Passheilige war den Gefahren des Reisens nicht beizukommen. Das Böse lauerte überall. Einmal waren es Räuber, ein andermal Geld heischende Beamte, öfters Naturgewalten und dämonische Mächte, die den Gotthardreisenden das Weiterkommen auf Teufel komm raus schwermachten.

GlasscheibenhundGrindUntoteArme Seelen