Adolescentia Aeterna
Die Neuordnung der Ewigen Jugend
Betty Kay
Zweites Buch der dreiteiligen
Mystery-Erotikromanreihe
Alle Rechte vorbehalten. Die Weiterverbreitung dieses Textes in elektronischer und anderer Form, auch von Auszügen oder Übersetzungen, ist nur mit schriftlicher Erlaubnis der Autorin gestattet.
Wenn Sie von mir vom Erscheinen einer geänderten Version des E-Books oder eines neuen Romans von mir informiert werden möchten, dann können Sie sich gerne über meine Autorenhomepage www.betty-kay.at für meinen Newsletter anmelden.
© 2014 Autorin: Bettina Kiraly
Kontakt siehe unter „Letzte Worte der Autorin“
Umschlagdesign: Tom Jay
Titelfoto: Copyright © Michael Hohmann / pixelio.de (Körper) und © JLCRESPO / Fotolia.com (Altar)
Adolescentia Aeterna-Logo: Tom Jay
Autorenfoto: Margarete Jarmer
Geboren 1979 wuchs die Autorin Bettina Kiraly in einem kleinen Ort aus dem Bezirk Hollabrunn in Niederösterreich auf und lebt hier mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern noch immer. 2006 stellte die Autorin ihr erstes Buch fertig. Ihre Bücher veröffentlichte sie bislang unter dem Pseudonym Betty Kay. Derzeit arbeitet sie an diversen neuen Projekten.
Verbrechen lernte Bettina Kiraly von der anderen Seite des Gesetzes bei der Arbeit in einem Rechtsanwaltsbüro kennen. Fasziniert von den dunklen Flecken auf der menschlichen Seele beschäftigen sich ihre Texte mit der Psyche der Hauptpersonen ihrer Geschichten. Im Mittelpunkt stehen meist außergewöhnliche, starke Frauen.
Weitere Informationen zu Bettina Kiraly alias Betty Kay und ihren Werken finden Sie auf der Autorenhomepage www.betty-kay.at.
Vielen Dank an Livi und Brigitte, die mir hilfreich zur Seite gestanden sind!
Danke auch an Herrn Martin Schenter von SMK Immo Treuhand GmbH für die Zurverfügungstellung der Informationen über die Arbeit als Immobilienmakler!
Wien, August 2012
„Vier Tage lang dachte ich, du würdest in einem Straßengraben liegen und um dein Leben kämpfen!“
„Es tut mir leid!“ Das schlechte Gewissen verursachte tatsächlich ein Brennen in Evas Herz. Die Notwendigkeit der Lügen und Heimlichkeit lag als schwere Bürde auf ihren Schultern.
Mimi schüttelte den Kopf, bis ihre blonden Haare flogen. „Das ist nicht annähernd genug, um meine Seelenqual rückgängig zu machen. Ich hatte schreckliche Angst um dich. Dabei hast du es dir einfach ein paar Tage lang gutgehen lassen.“
„Das stimmt so nicht.“ Eva schälte sich aus der Decke und erhob sich von der Couch. Sie hatte sich auf ein paar Stunden zum Nachdenken gefreut. Es gab so viel, worüber sie nachdenken wollte. Ihr schwindelte bei dem Gedanken an die Informationen, die sie in den letzten Tagen erhalten hatte. Ihre Welt war aus dem Gleichgewicht geraten. „Wie bist du überhaupt hier hereingekommen?“
„Schon vergessen?“, blaffte Mimi. „Ich habe deinen Schlüssel für den Notfall. Und der liegt offensichtlich vor.“
„Wieso denkst du das? Ich melde mich ohnehin jede Stunde bei dir, obwohl ich das übertrieben und nervend finde.“ Eva ordnete ihre Kleidung und fuhr sich mit den Fingern durch die schwarz gefärbten Haare. Sie war nicht auf Besuch eingerichtet. Schon gar nicht von ihrer überbesorgten, gluckenhaften besten Freundin. Könnte sie sie irgendwie abwimmeln?
„Ich will mich lediglich vergewissern, dass es dir gut geht.“ In Mimis Augen war Besorgnis zu lesen. „Ich weiß genau, dass du das letzte Mal, als ich bei dir angeläutet habe, in deiner Wohnung warst und mich nur nicht reinlassen wolltest. Total unhöflich.“
Eva schüttelte den Kopf und griff nach der Decke, um sie zusammenzulegen. Ein rot-schwarzer Schleier legte sich um ihr Gehirn. Ärger statt schlechten Gewissens. „Jetzt krieg dich wieder ein.“
Mimis Nasenflügel weiteten sich derart, dass Eva dachte, im nächsten Augenblick würde Rauch hervordringen. „Seit wann bist du so undankbar? Hauptsache, du hattest diese vier Tage dein Vergnügen.“
„Ich war nicht in Urlaub.“
„Wenn ich dich genauer ansehe, dann glaube ich tatsächlich, dass mehr dahinter steckt. Die gestraffte Haut, die geglättete Augenpartie. … Hast du eine Schönheits-OP machen lassen?“
„Das würde ich niemals freiwillig tun!“
Die Augen ihrer blonden Freundin wurden groß. „Dann wurdest du dazu gezwungen … vom Dunklen Lord?“
Eva seufzte. Der Dunkle Lord … Julian … ihr Freund … hatte tatsächlich indirekt mit ihrer Verwandlung zu tun. Aber das, was zwischen ihr und Julian lief, war eine andere, ziemlich komplizierte Sache. „So ein Blödsinn! Ich sehe aus wie immer.“
„Das … ist … nicht … wahr!“ Mimi schüttelte den Kopf. „Und das ist dir auch bewusst. Meinst du, mir ist nicht aufgefallen, dass du uns allen seit deinem Verschwinden aus dem Weg gehst?“
Ihre Freundin hatte sie ertappt. Ja, Eva versuchte, ein Zusammentreffen mit ihren besten Freundinnen zu vermeiden. Ja, sie hatte das Läuten an ihrer Tür ignoriert. Ja, die drei Mädels durften nicht erfahren, was in diesen vier Tagen wirklich passiert war. Noch nicht.
„Ich hatte einfach viel zu tun.“ Weshalb musste Eva sich überhaupt rechtfertigen? Sie verstand, dass ihre Freundinnen wegen ihrem Verschwinden beunruhigt gewesen waren. Aber dieses Verhör ging zu weit. Die drei sollten ihr vertrauen, auch wenn Eva nicht mehr als Andeutungen machen konnte.
„Ich verlange eine Erklärung“, stellte Mimi klar. „Ich will wissen, wo du gesteckt hast. Jetzt sofort!“
„Das geht dich nichts an!“
„Dieser Julian. Er ist nicht der Mann, für den du ihn hältst. Seit du ihn kennst, bist du nicht mehr du selbst. Er tut dir nicht gut.“ Mimi stockte. „Was … Was ist mit deinen Augen? Sie sind ganz schwarz!“ Ihre Stimme klang schockiert.
Verflixt. Eva hatte vergessen, dass sich ihre grünen Augen in absolute Finsternis verwandelten, sobald sie in Rage geriet.
„WARUM SIND DEINE AUGEN PLÖTZLICH SCHWARZ?“
„Ich bin krank“, murmelte Eva widerwillig. Sie musste Mimi etwas erzählen. Und diese Behauptung traf es wohl am ehesten. „In den vier Tagen musste Julian sich um mich kümmern.“
Mimi nahm mit erschrockenem Gesichtsausdruck neben Eva auf der Couch Platz. „Krank? Warum hast du nichts gesagt?“
„Ich wollte euch nicht damit belasten.“
„So eine schwachsinnige Ausrede. Uns wäre wohler gewesen, wenn wir gewusst hätten, dass du nicht in einen Harem verschleppt wurdest. … Was ist passiert?“
„Nach eurer Intervention bin ich zusammengebrochen. Ein Schwächeanfall. Gott sei Dank war Julian in der Nähe. Ich leide anscheinend unter einem Virus oder etwas in der Art. Vielleicht auch nur unter einer Lichtüberempfindlichkeit.“
„Hat er dich ins Krankenhaus gebracht?“
„Nein“, gab Eva zu.
Ihre Freundin riss die Augen auf. „Aber …“
„Einer der Brüder ist Arzt. Er hat mich durchgecheckt.“ Eva erhob sich und machte einen Schritt Richtung Küche. „Willst du etwas trinken?“
„Im Moment habe ich andere Probleme“, verkündete Mimi trocken, folgte Eva aber in den kleinen Raum. Sie beobachtete Eva beim Kramen in den Schränken. „Und was sagt der Arzt?“
„Er weiß nicht genau, was der Grund für den Kollaps war …“ Als Eva bemerkte, dass Mimi wieder Einspruch erheben wollte, bastelte sie an einer Lüge. „Er lässt ein paar Bluttests machen. Dann sehen wir weiter.“
„Wehe, du hältst etwas vor mir geheim“, schimpfte die Blondine.
Eva nickte mit hochgezogenen Augenbrauen. „Das würde ich niemals tun. Ich will nicht riskieren, dass du auch nur eine einzige Kleinigkeit aus meinem Leben verpasst. Heute Morgen habe ich übrigens gemerkt, dass meine Haare nicht gleichmäßig zu wachsen scheinen.“
„Kleine, wage es nicht …“
„Super. Halte mich nur weiter bei deinen Gefühlen auf dem Laufenden!“ Eva bemerkte, dass neuerlich Ärger in ihr hochwallte.
„Verschwindet dieses Symptom wieder?“, erkundigte sich Mimi und deutete zu Evas Augen. „Oder gibt es noch andere Nebenwirkungen?“
Sie lehnte sich an die abgenutzte Arbeitsplatte und versuchte, die Wut aus ihren Augen zu löschen. In der Öffentlichkeit würde dieses Phänomen auffallen. Sie musste lernen, es zu unterdrücken. „Meine Haut verändert sich ein wenig, wirkt glatter, jünger. Das hast du richtig bemerkt. … Aber du musst dir keine Sorgen machen. Vielleicht verschwinden diese Anzeichen. Ich fühle mich nicht krank. Ich bin trotz allem fit.“
„Spiel deinen Zusammenbruch nicht runter“, forderte Mimi. „Es hat einen Grund, dass es dir tagelang so schlecht gegangen ist.“
Den gab es tatsächlich. Aber den konnte sie Mimi nicht verraten. „Vielleicht bin ich ja schwanger“, meinte Eva.
„Das ist nicht witzig, Eva! Ich hoffe, du hast dich geschützt, als du mit diesem … diesem …“
„Frauenhelden? Sadisten? Teufel?“, half Eva aus.
Mimi verdrehte die Augen. „… mit diesem verantwortungslosen Mann in die Kiste gesprungen bist. Schlimm genug, dass du es nach der kurzen Zeit überhaupt schon mit ihm getan hast. Nach allem, was du über ihn erfahren hast, habe ich gehofft, ihr hättet es nicht so eilig damit.“
Mimi kannte als einzige von Evas Freundinnen zumindest einen Teil der Wahrheit. Sie glaubte, dass Julian und seine Brüder die Tradition der Bruderschaft Ewige Jugend fortführen wollten. Sie glaubte, dass sie das als Ausrede benutzten, um mit möglichst vielen Frauen zu schlafen. Aber Mimi ahnte nicht, dass Julian tatsächlich seit mehr als zweitausend Jahren lebte. Sogar Eva hatte lange gebraucht, um diese Behauptung als Wahrheit akzeptieren zu können. Was würde Mimi sagen, wenn der Tag der Offenlegung gekommen war?
„Ich liebe ihn“, gestand Eva, um Mimis Litanei zu stoppen. „Ich weiß, dass ihr eine schlechte Meinung von ihm habt, weil ihr ihn falsch einschätzt, weil ihr ihn nicht kennt. Aber mir ist dieser Mann unheimlich wichtig.“
In Mimis Gesicht war der Schock über diese Eröffnung zu lesen. Durchaus verständlich. Die Mädels hatten für Julian nichts übrig. Doch dass Eva in dieses Gefühlschaos ohne Rückkehr hineingeschlittert war, dürfte einen sensiblen Menschen nicht überraschen.
„Es tut mir leid“, murmelte Eva. Weshalb nur hatte sie mit einem Mal ein schlechtes Gewissen?
„Ich verstehe.“ Mimi richtete ihren Blick auf Eva, trat zu ihr und ergriff ihre Hand. „Dann ist das alles, was ich wissen muss.“
Tränen traten in Evas Augen. Sie spürte Dankbarkeit, überschäumend und eigentlich unangebracht.
„Wir lieben dich“, meinte Mimi und strich mit dem Daumen über Evas Handaußenseite. „Wenn er der Mann ist, den du willst, werden wir damit zurechtkommen. Du darfst uns allerdings nicht verbieten, dass wir uns Sorgen um dich machen.“
„Das kann ich akzeptieren.“ Eva spürte Tränen auf ihren Wangen, obwohl sie lachte. Mimi, Ellen, Marianne … die drei Frauen waren ihre Familie. Eva hätte nicht gewusst, wie sie ohne ihre Zustimmung mit der Situation hätte umgehen sollen. Sie brauchte den Rückhalt der Frauen, um nicht die Verbindung zur Realität zu verlieren.
„Willst du immer noch nichts trinken?“, erkundigte Eva sich schniefend. Sie kramte nach einem Taschentuch und schnäuzte sich trötend.
„Ich glaube, jetzt könnte ich ein Glas Wein vertragen.“
Eva nickte und füllte zwei Gläser mit Rotwein. „Auf unsere Freundschaft“, prostete sie Mimi zu. Nach dem Glasklirren nahm sie am Küchentisch Platz und schüttete die Flüssigkeit in einem Zug hinunter.
Ihre Freundin beobachtete sie mit seltsamem Gesichtsausdruck. „Ich muss dir zum Thema Julian abschließend noch etwas gestehen“, murmelte Mimi. „Ich habe etwas getan, von dem du nicht begeistert sein wirst.“
Ihr Herz wurde in einen eisigen Klammergriff genommen. Welche Probleme kamen nun auf Eva zu?
„Als ich erfahren habe, dass Julian dich angelogen hat, wollte ich ihn überprüfen. Ich wollte nach dunklen Flecken in seinem Leben graben. Dafür habe ich mich nach dem Besitzer des Clubs AA Dark Passion informiert. Und dabei handelt es sich nicht um Julian.“
„Du willst mir also erzählen, dass Julian das AA Dark Passion nicht gehört?“, fasste Eva zusammen.
Mimi nickte.
„Das wusste ich bereits. Im Grundbuch ist als Inhaber eine Stiftung angegeben?“
„Exakt“, meinte ihre überrascht wirkende Freundin. „Julian ist allerdings kein Stiftungsmitglied und auch nicht der Geschäftsführer des Clubs.“
Wie sollte sie Mimi nur erklären, dass Julian trotzdem die Entscheidungen traf? Es würde zwangsläufig nach einer neuen Lüge klingen, die Mimis Befürchtungen weiter schürte. Eva musste sich eine Ausrede einfallen lassen. „Er hat mir schon vor Wochen gebeichtet, dass er mich damals im Club angelogen hat. Der Schwindel gehörte zu seiner Anmachmasche.“
Die Blondine wirkte nicht überzeugt. Mehr noch: sie wirkte verärgert „Wie viele Lügen willst du dir noch auftischen lassen? Wie viele Rechtfertigungen willst du noch suchen?“
Eva hatte Schwierigkeiten, ihre Wut unter Kontrolle zu halten. „Ich nehme ihn nicht in Schutz! Das muss ich gar nicht. Er ist durchaus in der Lage, für sich selbst zu sprechen.“
„Vermutlich sollte ich deinem Urteil vertrauen. Aber das ist verdammt schwer.“
„Ihr werdet ihn kennenlernen. Vielleicht beschwichtigt das eure Besorgnis.“ Und danach konnte Eva ihnen endlich die Wahrheit über Adolescentia Aeterna verraten. Der Druck würde nachlassen.
„Kann er ein paar von seinen Freunden mitnehmen?“, erkundigte sich Mimi ohne zu lächeln. „Es könnte möglicherweise ganz nett werden.“
„Die Brüder sind nichts für eine von euch.“
„Schon klar. Wir sind nicht gut genug.“
Eva schüttelte den Kopf. „Jetzt sei nicht eingeschnappt. Ich würde für die guten Manieren der Männer im Angesicht von schönen Frauen meine Hände nicht ins Feuer legen. Zuerst sollt ihr Mädels mit Julian reden.“
„Dann beim nächsten Mal. Ich dachte nur, es könnte ihm recht sein, wenn die Kräfte ausgeglichen wären. Leicht werden wir es ihm nicht machen.“
„Seid nur nicht zu streng.“
Ihre Freundin zuckte mit den Schultern. „Ich wüsste nicht, womit der Dunkle Lord sich Rücksichtnahme verdient hätte.“
„Bei ihm handelt es sich um kein Monster.“
„Wenn ich die Anzeichen richtig verstanden habe, dann steht er auf Sado-Maso“, schnaubte Mimi. „Und vermutlich nicht auf die harmlosen Hausfrauenspielchen.“
„Es ist kompliziert. Aber … Ich kann es nicht erklären. Julian wird diese Aufgabe übernehmen.“
„Du wirkst von ihm besessen.“
„Ich dachte, du wolltest meinem Urteil vertrauen.“ Eva hörte selbst, dass ihre Stimme verärgert klang.
Ihre Freundin hob die Hände. „Natürlich. Doch …“
„Es reicht, Mimi“, verkündete Eva. „Entweder lassen wir das Thema fallen, oder du gehst.“
„Eva! Aber …“ Mimi schüttelte den Kopf und schien ihren Widerstand aufzugeben. „Schon gut. Ich habe verstanden. Themenwechsel fürs Erste. Ich möchte trotzdem mehr über den Dunklen Lord erfahren.“
„Der Name ist ab jetzt auch tabu.“
„Wenn du meinst“, seufzte Mimi. „Vielleicht verschieben wir den Frauenplausch, bis ich mich mit Julian angefreundet habe.“
Eva nickte. Allerdings hegte sie Zweifel, dass dieser Tag nach der Enthüllung des Geheimnisses Der Ewigen Jugend kommen würde.
„Verdammt! Es reicht nicht.“
Eva hörte Julians Stimme aus dem Wohnzimmer. Besorgnis war inzwischen ihr steter Begleiter, aber sie hatte sich angewöhnt, Julian diese Unruhe nicht zu zeigen. Sie stellte den abgetrockneten Topf in den Oberschrank und legte das Geschirrtuch zur Seite. Dann verließ sie die Küche. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich an den Türrahmen gelehnt. Selbst aus der Entfernung konnte sie die tiefen Runzeln auf seiner Stirn erkennen.
„Das Geld … Für die Feier brauchen wir mehr.“
Mit langsamen Schritten ging sie weiter in den Raum hinein. Julian trug eine seiner typischen schwarzen Anzughosen, doch statt den bis vor kurzem üblichen gleichfarbenen Hemden spannte sich jetzt ein weißes Hemd über seine breite Brust. Nur für sie. Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit würde sie ihm die schmale, schwarze Krawatte abstreifen. „Du wirkst nervös“, meinte sie mit einem warmen Lächeln. „Bist du vor jedem Fest aufgeregt?“
Er wandte sich zu ihr um. „Daran liegt es nicht. Inzwischen weiß ich ziemlich genau, welche Kosten anfallen werden. Dieses Mal werden die Einnahmen des AA Dark Passion nicht genügen.“
„Bis zu dem Abend sind noch zwei Monate hin. Die Zeit reicht vielleicht, um mehr Geld heranzuschaffen“, versuchte sie ihn zu beruhigen.
„Das wird nicht funktionieren.“
„Das AA Dark Passion ist doch gut besucht. Es gilt sogar als Geheimtipp!“
Julian schüttelte den Kopf. „Mit den Einnahmen aus dem Lokal müssen die Lebenserhaltungskosten von einigen der Brüder bestritten werden. Solange sie noch keine neuen Identitäten haben, müssen frisch angeworbene Mitglieder ihren Job aufgeben, sobald ihre Verwandlung sichtbar wird.“
„Kannst du ihnen keine Papiere besorgen? Wie lange behalten sie ihre ursprüngliche Identität?“
„Ich will ihnen Zeit geben, sich an ihr neues Leben zu gewöhnen. Manchen von ihnen wird ihr modifiziertes Gesicht fremd. Dann bleibt ihnen wenigstens noch ihr alter Name.“
„Und später?“
„Die Zeiten haben es schwieriger für uns gemacht. Besonders, da wir alle so lange wie möglich in Wien situiert bleiben möchten. Auch noch, nachdem wir eine falsche Identität erhalten haben. Wir Brüder dürfen uns nicht trennen. Ist einer von uns gezwungen, sein Leben hinter sich zu lassen, müssen es auch die anderen tun.“
Sie kam auf ihn zu. So viel Aufwand, um nicht entdeckt zu werden. So viel Unveränderlichkeit und gleichzeitig so wenig Stabilität. „Es gibt sicher eine Lösung für das finanzielle Problem. Irgendwelche Rücklagen, Notfallreserven …“
„Nein, so klappt das nicht!“ Seine Stimme klang angespannt.
„Könnt ihr die Feier nicht verschieben?“, fuhr sie trotz seiner ungeduldigen Reaktion fort. „Vielleicht steht Adolescentia Aeterna dann finanziell besser da?“
„Ich kann nicht warten. Die Macht reicht nicht.“
Eva runzelte die Stirn. „Wie meinst du das? Ich dachte, durch mich würde die Kraft Der Macht anwachsen?“
„Du verstehst es nicht, und es geht dich auch nichts an“, verkündete er durch zusammengebissene Zähne.
Diese Frechheit ließ Ärger in ihr überkochen. Die Aggressivität, die immer unter der Oberfläche ihrer Seele brodelte, fand einen Weg in die Freiheit.
Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Sie hob die Hand und versetzte ihm eine Ohrfeige.
Sie hörte den Knall und spürte den Schmerz in ihrer Handinnenfläche. Die finstere Wolke, die vorübergehend über ihrem Herzen geschwebt hatte, musste dem grellen Blitz des Entsetzens weichen. „Oh, mein Gott! … Ich … Es tut mir leid!“
Julian erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung. „Schon in Ordnung. Ich hatte nicht das Recht, so mit dir zu sprechen.“ Er nahm sie in die Arme.
Ein Schluchzen löste sich aus Evas Kehle. Die Dunkelheit wuchs an und verschlang ihre Seele. Auch wenn Julian wieder einmal die Schuld auf sich nahm, rechtfertigte das nicht ihren Ausrutscher. Sie hasste diese Wut, ihre dunkle Seite, die Die Macht in ihr geweckt hatte. Sosehr sie ihre neu gewonnene Kraft, ihre anwachsende Energie und die Konservierung ihrer Jugendlichkeit liebte, überlegte sie doch manchmal, ob sie sich und andere nicht irgendwann in Gefahr bringen würde.
„Ich will nicht so sein“, erklärte sie unter Tränen. „Ich bekomme vor mir selbst Panik.“
„Das kann ich nachvollziehen. Setz dich nicht unter Druck. Niemand verurteilt dich für deine Ausraster.“
Sie lachte auf. Ein trockenes, kurzes Lachen, das sofort wieder in Schluchzen überging. „Sprich nur für dich. Bald werde ich jemandem so viel Angst einjagen, dass er die Polizei ruft. Meine Freundinnen werden mich zerreißen, und dann fliegt alles auf.“
„Sie werden die Wahrheit ohnehin bei dem geplanten Essen erfahren. Mach dir keine unnötigen Sorgen.“
Seine Ruhe war für sie nicht verständlich. Vielleicht hatte er diese Entwicklung oft genug miterlebt. Vielleicht musste das jeder Bruder durchmachen, sobald er mit Der Macht in Berührung kam. „Ich hasse es, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren.“
„Das ist wohl der Grund, weshalb es dir Spaß macht, mich zu züchtigen.“
Sie errötete. Das Wort züchtigen klang viel zu harmlos. „Ich mache mir Sorgen, dass ich dich irgendwann dabei verletze.“
„Wenn du in dieser energischen, leidenschaftlichen Stimmung bist, fühle ich mich manchmal unwohl“, gestand er. „Dann hast du diesen aggressiven Ausdruck in deinen Augen. Aber du hast sofort mit den Schlägen aufgehört, als du mir beim letzten Mal Schmerzen zugefügt hast. Ein Wort von mir, und du hast von mir abgelassen. Der Grund für meine Verunsicherung liegt hauptsächlich darin, dass ich an die mir zugedachte Rolle nicht gewöhnt bin.“
„Ich bin keine Domme und du kein Sub.“
Er lächelte. „Da war wohl jemand im Internet unterwegs.“
„Ich habe Fachliteratur gekauft. Das zwischen uns ist komplizierter als das, was in diesen Büchern steht.“
„Vermutlich hast du Recht“, stimmte er zu. „Solange für uns in Ordnung ist, was zwischen uns läuft, brauchen wir keine Bezeichnung dafür.“
Sie nickte und empfand tatsächlich Erleichterung. Ihre Stirn runzelte sich. Wandte er etwa seine Fähigkeiten an, um sie zu beeinflussen? Das würde er nicht wagen. Und sie konnte Misstrauen ihm gegenüber nicht gebrauchen. „Dann kehren wir zum ursprünglichen Thema zurück. Wie kann ich dir helfen?“ Sie löste sich von ihm, griff jedoch nach seinen Händen.
„Danke für dein Angebot“, meinte er mit einem Lächeln. „Ich fürchte, deine Rücklagen würden selbst dann nicht reichen, wenn du seit deinem vierten Geburtstag etwas zur Seite gelegt hättest.“
„Mit Geheimvermögen kann ich nicht dienen. Aber muss denn alles so exklusiv ausfallen?“
„Wir haben einen gewissen Standard zu halten.“
Eva runzelte die Stirn, wandte sich ab und nahm auf dem Lehnstuhl neben dem Schreibtisch Platz. „Seht ihr das nicht zu streng? Mit ein paar Kürzungen und Änderungen ließe sich bestimmt Geld einsparen.“
„Eine interessante Sichtweise. Und dabei hast du die Feuershow bei der letzten Feier versäumt.“
„Eine Feuershow?“
Er nickte. „Du und ich waren … anderweitig beschäftigt. Durch die schalldichten Wände hast du nichts davon mitbekommen.“
Sie lehnte sich zurück und legte die Beine an den Knöcheln übereinander. Wie angenehm, sich von ihrem Wutanfall von vorhin abzulenken. „Bist du einverstanden, diese Attraktion zu streichen?“
Mit rechts hochgezogenem Mundwinkel wiegte er den Kopf. „Wir könnten sie zumindest verkürzen.“
„Und mir ist aufgefallen, dass beim letzten Fest ununterbrochen Kellner mit vollen Tabletts durch den ersten Raum gewandert sind. Wenn du an zwei gegenüberliegenden Enden einfach eine Bar aufstellt, kann mehr als die Hälfte des Personals gespart werden.“
„Du hast Recht.“
„Warum klingst du so überrascht?“
Er setzte sich auf seinen Drehstuhl und rollte damit zu ihr. „Tut mir leid. Ich habe die Abläufe nie hinterfragt, weil es eben immer so gehandhabt worden ist.“ Er ergriff ihre Hand. „Ich bin froh, dass du mir hilfst.“
Wie schnell er sie beschwichtigen konnte! Wieder machte sich seine Übung im Umgang mit Frauen bemerkbar. Kein schöner Gedanke. „Ich hätte noch ein paar andere Ideen“, meinte sie vorsichtig.
„Nur heraus damit.“
„Wirklich?“
Er lachte. „Natürlich. Meine Ohren sind gespitzt.“
„Da die Feier exklusiv bleiben soll, würde ich die Gäste die Drinks an der Bar bezahlen lassen. Das schreckt bestimmt nicht ab. Je teurer der Abend, umso exklusiver bleibt er in Erinnerung. Und hinter den Tresen stellt ihr Frauen in Dessous. Das lockert die Börse der Männer.“
Als ein Widerspruch auf sich warten ließ, fuhr sie fort. „Die Frauen, die die hinteren Räume besuchen wollen, lassen sich dieses Privileg sicherlich etwas kosten. Ihr könntet ein … Treffen mit einem der Brüder versteigern. Mit diesem Image spielt ihr ohnehin, und die Männer wollen mit möglichst vielen Frauen …“
„Jaaa?“ Seine Augen blitzten.
„Na, du weißt schon … Sex haben.“ Sie spürte die Hitze über ihren Hals bis zu ihren Wangen ausstrahlen. Die Vorstellung, was Julians Brüder wirklich mit Frauen machten, war ihr unangenehm. Eva hatte Erregung empfunden, als sie sie beobachtet hatte. Dennoch wunderte sie sich, dass sich so viele Frauen darauf einließen. Auf das Fesseln, die Peitschen, die anderen Gerätschaften … die Unterwerfung. Mit einem völlig Fremden.
Hatte sie das Recht, sich über die Brüder zu mokieren, nachdem sie es selbst genoss, Julian zu schlagen?
„Vielleicht ist es Zeit für eine Neuordnung der Abläufe. Ihr könntet auch Männer nach hinten lassen. Es wird trotzdem genug für euch übrig bleiben. Und die Lokation“, murmelte sie. „Da kann ich sicherlich eine billigere Lösung organisieren. Nicht umsonst habe ich in einem Immobilienbüro gearbeitet.“
„Hast du dort gekündigt?“
„Ich habe mich für die letzten Wochen krank gemeldet. Meine Stunden musste ich durch mein Studium ohnehin reduziert. Meine Abwesenheit wird nicht groß aufgefallen sein.“ Vielleicht ließe sich Eva Arbeitszeit wieder aufstocken. Mit dem Zusatzverdienst könnte sie Julian unter die Arme greifen. Das musste sie ihm jedoch nicht auf die Nase binden. Männer waren in dem Punkt manchmal etwas eigen.
„Willst du das Studium beenden?“
„Nein. Der Abschluss macht nach der Vision mit meiner Mutter keinen Sinn mehr. Das Studium hat seinen Zweck erfüllt.“
„Weil es dich zu mir geführt hat.“
Sie nickte. Wie seltsam, sich mit ihm über diese Dinge zu unterhalten. Schicksal, Vorsehung oder schlicht die Planung von Evas Eltern. Ihr Zusammentreffen war jedenfalls kein Zufall gewesen.
„Du scheinst damit immer noch nicht recht glücklich“, stellte er fest.
„Na, hör mal! Ich die Tochter Des Ältesten, der dich als Mitglied von Adolescentia Aeterna aufgenommen hat. Meine Mutter, die mir die Identität meines Vaters verheimlicht hat. Die mich außerdem vor ihrem Tod versprechen ließ, ein Studium zu beginnen, das mich nicht die Bohne interessiert, durch das ich aber auf Die Ewige Jugend stoßen würde. … Ich glaube, außer dem Gefühl, manipuliert worden zu sein, dürfte ich noch etwas ganz anderes empfinden.“
„Wie wäre es mit Dankbarkeit für die Voraussicht deines Vaters, Freude über unsere Beziehung, Liebe zu mir …?“
„Du bastelst dir mal wieder die Wahrheit so, dass sie zu deiner Vorstellung der Realität passt“, beschwerte sie sich.
Unter lautem Lachen stand er auf und riss sie mit sich hoch. „Wenn mir und meinen Brüdern doch offensichtlich die Welt zu Füßen liegt! Die Zeit kann uns nichts anhaben! Und mit dir an meiner Seite kann ich sie auch wieder genießen.“
Wenn es nur so einfach wäre! Wenn mit der Nutzung Der Macht keine strengen Gesetze verbunden wären! Wenn Julians Leben durch ihre Beziehung bloß keine Gefahr drohen würde! Weshalb konnte er die Bruderschaft keiner Neuordnung unterziehen? Wieso musste es sich bei Julian bloß um Den Ältesten handeln?
Julians Lippen senkten sich auf ihre und löschten jeden Gedanken aus ihrem Gehirn. Die Macht schoss durch ihre Adern, wirbelte durch ihren Körper und füllte sie mit Kraft und Selbstbewusstsein. Ihre Finger krallten sich in seine Schultern.
Als er aufstöhnte, spürte sie das wohlbekannte Aufwallen der aggressiven Leidenschaft, die sie Julians Unterwerfung genießen ließ. Ahhh, welch köstliches Gefühl. Berauschend, aufputschend, unvernünftig.
Die Gier ließ keine Geduld mehr zu. Eva zerrte an Julians Hemd. Knöpfe flogen nach allen Seiten. Stoff zerriss, wurde nur mehr von Julians schmaler, schwarzer Krawatte zusammengehalten. Eva öffnete den komplizierten Knoten und warf das Ding zur Seite. Endlich konnten ihre Finger über Julians nackte Haut fahren.
Er schrie auf.
„Tut mir leid“, murmelte sie und starrte auf die von ihr verursachten, blutigen Kratzer. Weshalb war sie von diesen Verletzungen fasziniert?
„Du hattest einige gute Ideen für die Feier“, meinte Julian. „Mal sehen, ob dir gleich noch mehr einfällt.“ Er schlang ihre Arme um seinen Hals und hob sie hoch, bevor er sie Richtung Schlafzimmer trug.
Sie schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals und sog seinen Geruch ein. So stark, so männlich. Ihr Herz begann zu rasen.
Mit einem empörten Krachen des Lattenrosts landeten sie in Julians großem Bett. Julian verhinderte, dass sie aus dem Bett rollten, indem er sich auf Evas Körper legte.
Julian begann sie mit hastigen Bewegungen zu entkleiden. Er und Eva gerieten sich in die Quere, als sie versuchte, seine Hose hinunterzuzerren. Eva zwang sich zu warten, damit Julian ihr Bluse und Jeans abstreifen konnte. In Unterwäsche starrten sie sich an.
Eva genoss den Anblick seiner Stärke, seiner Selbstsicherheit. Es kam immer öfter vor, dass diese Seite von Julian verschwand. Er wirkte grüblerisch, beunruhigt. Doch in Momenten wie diesen war er ganz der Alte - bis sie ihm ihren Stempel aufdrückte.
„Ich liebe sie“, murmelte Julian.
Eva stockte der Atem. „Wen?“
„Deine Augen. Deine wunderschönen, intensiv-grünen Augen.“
Sie schluchzte auf. Einen Moment hatte sie Angst gehabt, schreckliche Angst, ihn an andere Frauen zu verlieren. Diese Sinne umnebelnde Panik war erschreckend. Was machte er nur mit ihr? Weshalb fühlte sie sich so aggressiv und gleichzeitig so unsicher? Sie war froh, bald das Gespräch mit ihren Freundinnen hinter sich bringen zu können. Die Reaktion der Mädels auf die Wahrheit würde entscheiden, was als nächstes zu tun war.
Was als nächstes zu tun war … Sie musste nicht überlegen, was jetzt im Moment zu tun war.
Sie schubste ihn zur Seite und rollte sich auf ihn. „Wirst du mir gehorchen?“, erkundigte sie sich mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Hastig nickte er.
Diese schnelle Reaktion ließ sie lächeln. Sie kletterte aus dem Bett und griff nach einem der Geräte, das sie brauchen könnte. Eine Brustwarzenklemme und eine Peitsche, die Riemenpeitsche, deren Form und Farbe ihr so gefiel. Langsam kehrte sie zum Bett zurück und wog die Gegenstände in ihrer Hand.
„Können wir uns bitte etwas mehr Zeit lassen?“
„Ich dachte, du wolltest brav sein“, keuchte Eva und kniete sich auf das Bett. „Jetzt muss ich dich wohl bestrafen.“
„Ernsthaft: Können wir es bitte langsam angehen lassen?“ Sein Blick war schwer zu deuten.
Eva krabbelte neben ihn und legte den Kopf schief. „Alles in Ordnung?“
„Ich will dich genießen. Uns bleibt genug Zeit.“
„Meine mangelnde Geduld hat nichts damit zu tun, dass ich die Zeit nutzen will, …“
„… bevor ich sterbe?“
„… die uns bleibt. Die Macht … sie macht mich rastlos, hungrig nach dir.“ Sie streichelte seine Wange. „Die Gier ist für mich schwer zu kontrollieren.“
Julian legte seine Hand auf ihre. „Es wird mit der Zeit leichter.“
„Bis ich mich daran gewöhnt habe, könnte es zu spät sein“, murmelte sie. „Ich beginne zu glühen, sobald du mich küsst. Es fühlt sich an wie Raserei. Mein Verstand …“ Sie schüttelte den Kopf.
„Durch diese Gier fühlst du dich lebendig.“ Sein Daumen strich über ihre Unterlippe. Eva schloss stöhnend die Augen. „Dass ich diese Reaktion bei dir auslöse, erfüllt mich mit Stolz“, flüsterte er.
„Es ist Die Macht“, korrigierte Eva.
„Diese Beurteilung schmerzt. Ich werde mich bemühen müssen, deinen Eindruck zu korrigieren.“ Er ließ die Spitze seines Daumens über die Innenseite ihrer Lippe gleiten.
Noch einmal stöhnte Eva auf. Sie öffnete die Augen und starrte ihm direkt in die Seele. Wie immer stand zu viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. „Das wird harte Arbeit.“
„Dann mache ich mich besser gleich ans Werk“, antwortete er und zog sie rasch zu sich herunter.
Überrascht schrie Eva auf, doch der Laut wurde von seinen Lippen erstickt. Der Kuss vertiefte sich, bis ihre Münder zu einem verschmolzen, bis Evas Atem Julians war, bis die Zeit stillzustehen schien.
Sie kannte seine Absichten. Er lockte sie. Er wollte, dass sie sich in ihm verlor. Für sie sollte nichts anderes zählen als er. Nichts anderes und niemand anderes. Er hatte sein Ziel bereits erreicht. Sie brauchte ihn in ihrem Leben. Egal was passieren mochte.
Durch den Kuss verblasste Evas gerade erst ausgesprochenen, geheimsten Ängste. Sie genoss den Rausch der Gefühle, bis Die Macht ihren Anteil einforderte. Eine leise Stimme in ihr flüsterte, dass es zu wenig war, dass die Zeit der Zurückhaltung vorbei war. Und diese Stimme wurde immer lauter.
Evas Hand tastete nach der Peitsche, die unbeachtet auf den Boden gerutscht war. Sie musste sich noch etwas mehr strecken, um sie zu erreichen. Vielleicht wenn sie von Julian herunterrollte. Dann fühlte Eva die raue Oberfläche des Leders an ihren Fingerspitzen.
„Kannst du nicht darauf verzichten? … Ausnahmsweise?“
Sie legte den Kopf schief. „Du kannst nicht verhindern, dass ich es will.“
Während Julians Blick sie verfolgte, kletterte sie aus dem Bett und ging an das Oberteil des Bettes. Die Fesseln waren unter der Matratze versteckt. Sie holte die Manschetten hervor und fixierte seine Handgelenke. „Du gehörst mir“, stellte sie klar. Dann fesselte sie auch seine Beine.
„Wo gehst du hin?“, erkundigte sich Julian mit besorgter Stimme, als sie Richtung Tür ging.
„Ich habe Hunger“, antwortete sie lachend.
In Julians Küche öffnete sie den Kühlschrank. Sie glaubte, zuvor ganz hinten eine Dose Sprühschlagobers entdeckt zu haben. Damit ließe sich bestimmt etwas Spannendes anstellen. Grinsend und die Dose schüttelnd kehrte sie ins Schlafzimmer zurück.
Julian wand sich. „Was hast du damit vor?“
„Spaß haben.“ Sie prüfte, ob das Schlagobers bereits in fester Konsistenz aus der Düse kam. Sie ließ etwas davon in ihren Mund gleiten. „Köstlich.“
Die Augen ihres Opfers verengten sich zu Schlitzen.
„Auch mal?“, zog sie ihn auf. Sie setzte sich neben ihn und spritzte eine Herzform auf seinen Oberkörper. Dann leckte sie die fluffige Süßigkeit ab. Als Julian stöhnte und an den Fesseln zerrte, fühlte sie ein wohliges Kribbeln in der Magengegend. „Sag, dass du mir gehörst“, forderte sie.
„Ich gehöre dir.“
Eva schüttelte den Kopf. „Und weiter?“
„Ich gehöre dir allein, Gebieterin!“
Zufrieden knabberte sie an seinen Brustwarzen. „Braver Junge. Dafür hast du dir eine Belohnung verdient.“ Sie griff noch einmal zur Sprühdose und bedeckte mit dem Schlagobers seine Männlichkeit.
Noch bevor sie zu schlecken begann, wimmerte Julian auf. Sie ließ sich Zeit mit dem Erstkontakt. Ihr Herz klopfte. Die Vorfreude ließ Hitze durch ihren Magen schießen. Das hier war perfekt. Dieser wundervolle, kräftige, einzigartige Mann sehnte sich nach ihr. Er konnte nicht genug von ihr bekommen und war bereit, sich ihr unterzuordnen, sich ihr zu unterwerfen. Was konnte sie mehr verlangen?
Ihre Zunge wanderte von seinem Knie über die Innenseite seines Oberschenkels bis zu seinem Schwanz, der ihre Zärtlichkeit zuckend willkommen hieß. Sie fuhr von der Wurzel die Länge hoch, nahm ihn in den Mund.
„Ich finde es toll, dass du überall so braun bist“, verkündete sie.
„Irgendwann entschied ich mich, regelmäßig das Solarium zu besuchen. Gesunde Farbe auf meinem ganzen Körper schien mir ästhetischer.“
„Dann profitiere ich wohl davon, dass du anderen Frauen gefallen wolltest.“ Sie hätte seine Vergangenheit gerne ausradiert. Aber wie löschte man die hunderte Leben aus, die er hinter sich hatte? Sie bemerkte, dass er sie beobachtete, und sah auf.
„Ich liebe dich“, verkündete er mit bedeutungsschwangerem Tonfall.
Anscheinend konnte sie sich sparen, bei einem Pokerturnier mitzumachen. „Ich dich auch.“
Sie senkte den Kopf und setzte ihre Bemühungen um die Erforschung seines Körpers fort. Der Geschmack des Schlagobers wurde von einem salzigen Tropfen überdeckt. Die samtige Härte seiner Haut versetzte sie ein ums andere Mal in einen überraschten Rausch. Nun schien es dennoch genug.
Jetzt war sie an der Reihe.
Jetzt würde sie ihre Fantasie ausleben.
Jetzt konnte Die Macht ihren Anteil erhalten.
Mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen griff sie nach der Peitsche und ließ die dünnen Lederstreifen prüfend über ihre Handinnenfläche gleiten. Es fühlte sich rau und gleichzeitig zart an. Ein bittersüßer Genuss.
Sie ließ die Peitsche ohne weitere Vorwarnung auf seine Oberschenkel niedersausen. Ein leises Schnalzen war zu hören. Julians Körper wurde von einem Zucken erschüttert. Er schrie auf.
Die Macht begann verstärkt zu fließen, füllte Eva von den Zehen bis zum Scheitel an, steigerte sich zu einer intensiven Kraft. Die Zweifel von vorhin waren vergessen.
Eva rang nach Luft und hob die Peitsche neuerlich. Der Schlag verursachte ein Klatschen und hinterließ einen hellroten Streifen auf seiner Haut. Sie leckte sich über die Lippen, stöhnte auf, als sie wieder auf ihn einhieb.
Ein Strudel von Farben explodierte hinter ihren Augenlidern. Ihr ganzer Körper prickelte. Von ihren Brustwarzen ausgehend breitete sich ein Ziehen in ihrem Oberkörper aus. Die Erregung löschte jeden vernünftigen Gedanken aus. Das Spannen in ihrem Becken zwang sie dazu, ihre Hüften ruckartig zu bewegen.
Mehr! Mehr!
Sie wusste, sie schlug zu fest zu. Doch sie war nicht in der Lage, ihren Gewaltausbruch zu kontrollieren. Ihre Hände zitterten so sehr, dass ihr die Peitsche beinahe aus den Fingern glitt. Sie ließ das Leder seine Haut zeichnen. Erst als sich Julians Schreie veränderten und von seinem Schmerz zeugten, sah sie hoch in sein Gesicht.
Anstrengung zeichnete sein Gesicht. Sein gesamter Körper hatte sich verkrampft. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Eine Ader an seiner Schläfe zuckte. Und der Blick in seine Augen ließ sie innehalten.
„Schluss für heute?“, wollte sie wissen.
„Das würde ich bevorzugen“, presste er hervor.
Sie legte die Peitsche zur Seite. Schade, dass sie nicht dazu gekommen war, die Brustwarzenklemmen zu benutzen.
Nachdem sie seine Fesseln gelöst hatte, stemmte Julian sich halb hoch. In seinen Pupillen meinte sie Hoffnung auf Gnade zu erkennen. Heute sollte sie ihren Teil wohl nicht beenden dürfen. Vermutlich war sie zu weit gegangen. „Was also dann?“
„Tu nicht so, als könnten wir anders keinen Spaß haben“, brummte er mit Missmut in der Stimme und schnappte sich ein Kondom.
„So habe ich es nicht gemeint, aber …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Mir gefällt, wenn du vor mir zitterst.“
„Dazu brauchst du nicht unbedingt eine Peitsche, Schätzchen. Benutz einfach deine Hände.“
„Nenn mich nicht so! Außerdem dachte ich, du wärst für die Fähigkeiten deiner Hände berühmt“, stichelte sie.
„Es hat sich noch keine Frau bei mir beschwert.“
Eva schnaubte. „Kling nicht so selbstgefällig. Und jetzt halt endlich die Klappe.“ Sie schubste ihn zurück auf die Matratze und nahm auf seinem Schoss Platz. Sie ließ ihre Hüften kreisen.
Julian stöhnte, und sie lächelte zufrieden. Sein Laut war eine Mischung aus Schmerz und Erregung. Ihr Puls begann zu rasen. Das hier war, was sie wollte. Das hier schenkte ihr Genugtuung. Das hier war perfekt.
„Warte“, flüsterte er. Er drehte sich mit ihr herum, sodass sie beide auf der Seite lagen. Danach half er ihr, rasch aus ihrem Slip zu schlüpfen. Sekunden später landete Evas BH auf dem Boden.
Sollte nicht sie bestimmen, wo es langging? Weshalb hatte er die Kontrolle über die Situation an sich gerissen? Ihre Irritation löste sich langsam in Erregung auf, als er sie neuerlich bedächtig küsste. Er ließ sich Zeit, was Evas Begehren zum Vibrieren brachte. Sie öffnete den Mund ein Stückchen weiter, ermöglichte ihm besseren Zugang. Es wäre ihr nicht aufgefallen, hätten sich die Minuten in Stunden verwandelt.
Als seine Zunge ihre Wangeninnenseite berührte, wimmerte sie und grub ihre Fingernägel in seine Schulter. Mehr! Mehr! Sie strich mit ihrer Zunge über seine, lockte ihn. Nur beiläufig bemerkte sie, dass ihre Nägel ihn verletzten. Erst als aus seinem Stöhnen Schmerz statt Verlangen zu hören war, strich sie über das Haar in seinem Nacken.
„Leg dein Bein über meine Hüfte“, bat er.
Eva folgte seinem Wunsch. Plötzlich war er in ihr. Überrascht von diesem Überfall auf ihre Sinne schrie sie auf und biss dabei beinahe auf seine Zunge. Als hätte sie ihn nicht genug verletzt. Sie schob ihr Becken näher. Der Kontakt schien nicht auszureichen.
„Nicht so stürmisch“, murmelte er. „Wir wollen nicht riskieren, dass etwas kaputt geht.“
Das Lachen entschlüpfte ihr, obwohl sie die Situation nicht einmal ansatzweise als witzig empfand.
Seine ihre Taille umfassenden Hände. Langsame Stöße. Berührungen an einer besonders empfindlichen Stelle. Intensiver Blickkontakt. Die Macht sandte warme Wellen durch ihren Magen. Ein wirbelnder Rausch an Emotionen. Unendliche Energie. Nur beim Sex zeigte Die Macht die gesamte Palette der Auswirkungen ihrer Kraft.
Trotzdem reichte es nicht. Ganz und gar nicht.
„Können wir nicht …“, setzte sie an.
„Später, Schatz.“ Er strich mit dem Handrücken über ihre Brust.
Ihre Nervenenden waren sensibilisiert, sehnten sich nach Nähe, vibrierten vor sehnsüchtiger Anspannung. In diesem Zustand nahm sie seine sanfte Zärtlichkeit überdeutlich wahr. Ihr gesamter Körper begann zu zittern.
„Ist dir kalt?“, erkundigte er sich mit einem Lachen in der Stimme.
„Biest“, murmelte Eva. Sie nahm einen tiefen, langsamen Atemzug, um das Beben zu unterdrücken. Ihre Haut glühte, hungerte nach mehr. Doch Julian schien sie absichtlich warten zu lassen. Wollte er sie quälen? Wollte er sie herausfordern? Wollte er sie süchtig nach seinen Liebeskünsten machen? Er war auf dem besten Weg.
Sie versuchte jedoch nicht herauszufinden, welche Tricks er anwendete, um sie wahnsinnig zu machen. Für den Augenblick ließ sie sich darauf ein. Es würde sich die Gelegenheit ergeben, sich zu rächen. Auf ihre Art.
Seine Hand strich liebkosend über ihren Oberkörper, hielt dann an ihrer Hüfte inne. Als sein Daumen wiederholt über die Grube neben ihrem Beckenknochen strich, fühlte sie sich wie hypnotisiert von der gleichmäßigen Bewegung. Die Haut an dieser Stelle wurde überempfindlich. Sie konnte sich dem Streicheln nicht entziehen.
Ihr gesamtes Bewusstsein, ihr ganzes Sein konzentrierte sich auf seine bedächtigen, kontrollierten Stöße. Ihr Becken spannte sich an. Sie schloss die Augen und leckte über ihre trockenen Lippen.
Julian knurrte. Seine Hand krallte sich in ihr Nackenhaar und zog sie näher. Sein Mund bedeckte ihren. Die Finger seiner freien Hand schoben sich ihren Bauch hinunter und stimulierten sie zusätzlich.
Der Höhepunkt umspülte ihren Körper abrupt, zog sie unter Wasser, riss sie mit sich und warf sie dann luftschnappend an den Strand.
Von Evas Lippen löste sich ein heiserer Schrei. Der Laut überraschte sie. Ihre Versunkenheit überraschte sie. Die Intensität ihrer Erfüllung überraschte sie. Sie war immer wieder neu, immer wieder anders. Die Macht brachte ihr Blut zum Kochen, um ihr dann Ruhe und Kraft zu schenken.
Sie gähnte wenig damenhaft mit weit geöffnetem Mund.
„Müde?“ Er umarmte sie fest.
Rasch schloss sie ihren Mund und nickte. „Du hast mich fertig gemacht.“
„Dann habe ich mein Ziel erreicht“, erklärte er. „Heute Abend gehst du nicht mehr nach Hause.“