LEITFADEN
FÜR EINE NEUE WELT
WARUM GEGENSEITIGE FÜRSORGE
DER SCHLÜSSEL ZUR LÖSUNG DER GLOBALEN KRISE IST
WARUM GEGENSEITIGE FÜRSORGE
DER SCHLÜSSEL ZUR LÖSUNG
DER GLOBALEN KRISE IST
Original erschienen unter:
A Guide to the New World
Why mutual guarantee is the key to our recovery from the global crisis.
Copyright © 2012 by Michael Laitman
All rights reserved
Published by ARI Publishers
www.ariresearch.org hq@ariresearch.org
1057 Steeles Avenue West, Suite 532, Toronto, ON, M2R 3X1, Canada
2009 85th Street 51, Brooklyn, New York, 11214, USA
1. Auflage 2014
Cover Design: Morian & Bayer-Eynck
Innensatz: Sabine Schiche, ad department
Lektorat: Angela Contzen, Christiane Reinstrom
Editor: Eduard Yusupov
© Edition Laitman in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH,
Bielefeld 2014
info@j-kamphausen.de | www.weltinnenraum.de
Übersetzung aus dem Englischen:
Dr. Elisabeth Prelog-Igler
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Print ISBN 978-3-89901-837-0
E-Book ISBN 978-3-89901-882-0
Weitere Informationen hierzu finden Sie unter
www.weltinnenraum.de
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und
sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte
Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.
VORWORT
DIE STRUKTUR DES BUCHES
TEIL 1 – REVOLUTION DES HERZENS
KAPITEL 1: EINE NEUE WELT
Was ist eine Krise?
KAPITEL 2: DIE NATUR UND WIR
Ergänzung und Wechselwirkung
Natur und Ökologie
Die Balance wiederherstellen
Wehen
KAPITEL 3: DER PRAKTISCHE WEG
Änderung der öffentlichen Meinung
Realisierung: Internet und zwischenmenschliche Kommunikation
Information, Achtung und Heilung
Beschäftigung und Training
Die Prinzipien der Erziehung
Gemeinsam verändern
Kampagnen für unser Leben
KAPITEL 4: SOZIALE GERECHTIGKEIT
Übereinstimmung erlangen
Vorteile der gegenseitigen Fürsorge
TEIL 2 – AUFBAU EINER NEUEN GESELLSCHAFT – ASPEKTE
KRISE UND CHANCE
Neue Gesetze
Kein Ausweg in Sicht
Ein Bumerang
Exponentielle Beschleunigung
Eine gemeinsame Lösung
Warum Verbindung?
NATÜRLICHE ENTWICKLUNG
Die Natur toleriert kein Ungleichgewicht
Vorteile der Vereinigung
Weltweiter Hunger muss nicht sein
Keine neue Spezies
SOLIDARITÄT
Warum sie und nicht ich?
Was ist gegenseitige Fürsorge?
Was ist Gleichheit?
Der Möbelpacker, der Computerfreak und die Gleichheit
Eine neue soziale Leiter
ANHÄNGE
VERÖFFENTLICHUNGEN DES ARI INSTITUTES
WIR, WIR, WIR
DER WEG ZUR SOZIALEN GERECHTIGKEIT
HIN ZUR GEGENSEITIGEN FÜRSORGE
Warum Verantwortung zu übernehmen der Schlüssel zur Lösung jeglicher Krise ist
Den Wandel vollziehen
Den Veränderungsprozess anstoßen
Die Schritte des Wandels
VORTEILE DER NEUEN WIRTSCHAFT
Eine eskalierende Krise in Europa und in den Vereinigten Staaten
Die Wirtschaft braucht eine Frischzellenkur
Das Wichtigste zuerst: Das Feuer löschen
Moderne Wirtschaft unter dem Schirm der gegenseitigen Fürsorge
Vorteile der Ökonomie der gegenseitigen Fürsorge
GEGENSEITIGE FÜRSORGE – BILDUNGSPRINZIPIEN
Zehn Prinzipien der globalen Erziehung
Zusammenarbeit mit der UNESCO
ÜBER DAS ARI INSTITUT
Firmenphilosophie – Mission Statement
Was wir tun
Unsere Werte
Wie stehen wir zur Bildung?
Wie stehen wir zur Wirtschaft?
Unsere Aktivitäten
Fernseh- und Video-Produktionen
Internationale Foren
Das Citizens of the Future Education Center und Netzwerk
Netzwerk von Kinder-Bildungszentren
NIFLA-Jugendbewegung
Über Dr. Michael Laitman, Gründer
Eine Anleitung zum Leben in einer globalisierten Welt
Quellenverzeichnis
Die sozialen Unruhen im Jahr 2011 verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in der Welt, und man rief nach Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit, gerechter Verteilung des Einkommens und in manchen Fällen auch nach Demokratie.
Warum besitzt ein Prozent der Weltbevölkerung 40 Prozent des Reichtums? Warum bringen die Bildungssysteme auf der ganzen Welt unglückliche und ungebildete Kinder hervor? Warum gibt es noch immer so viel Hunger? Warum steigen die Lebenshaltungskosten beständig, obwohl es genug Lebensmittel gäbe, um alle zu versorgen? Ja, es besteht sogar ein Überfluss. Warum gibt es noch immer Länder, in welchen der Mensch und soziale Gerechtigkeit nichts wert sind? Und die wichtigste Frage, die sich stellt: Wann und wie werden sich diese Dinge ändern?
Seit 2011 rühren diese Fragen an die Herzen von Millionen Menschen auf der ganzen Welt und brachten viele davon dazu, deswegen auf die Straße zu gehen. Der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit vereinte alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder Hautfarbe, denn wir alle sehnen uns nach einer Gesellschaft, in der wir uns sicher fühlen, in der wir unseren Nachbarn und unseren Freunden trauen können und die unseren Kindern eine gute Zukunft garantiert. In so einer Gesellschaft wird jeder für jeden sorgen. Die gegenseitige Fürsorge – jeder ist sozusagen Garant für das Wohl des anderen – wird Fuß fassen.
Doch wie können wir gegenseitige Fürsorge erreichen? Wie können Bürger darauf vertrauen und sicher sein, dass es jemanden gibt, der sich um sie kümmert, wenn sie fallen?
Die Suche nach den Antworten auf diese komplexen Fragen führte uns zur Entscheidung, dieses Buch zu schreiben. Trotz schwieriger Herausforderungen glauben wir, dass eine Veränderung möglich ist und dass wir einen Weg finden werden, diese herbeizuführen. Aus diesem Grund ist das Buch, das Sie jetzt gerade in Händen halten, ein positives und sehr optimistisches.
Wir haben jetzt die Möglichkeit, eine globale Veränderung auf friedliche und angenehme Weise zu erreichen, und dieses Buch wird uns dabei helfen, den Weg in Richtung auf das Ziel zu ebnen.
Das Buch teilt sich in zwei Teile und Verzeichnisse auf.
TEIL 1:
DAS KONZEPT DER WECHSELSEITIGEN FÜRSORGE
Kapitel 1: |
Die integrale Welt enthüllt sich |
Kapitel 2: |
Wie die Natur in das Konzept der gegenseitigen Fürsorge passt |
Kapitel 3: |
Die Prinzipien der gegenseitigen Fürsorge in der Gesellschaft |
Kapitle 4: |
Ein neuer Ansatz zur sozialen Gerechtigkeit |
TEIL 2:
„GRÜNDUNG EINER NEUEN GESELLSCHAFT“ – REKAPITULATION UND NEUE PERSPEKTIVEN ZU DEN VORGESTELLTEN PRINZIPIEN
Die Verzeichnisse beinhalten Hinweise zu Publikationen zum Thema Gesellschaft, Wirtschaft und Bildung.
„Wir sitzen alle in einem Boot, befinden uns in einer globalen Gemeinschaft. Unser Glück und unser Unglück steigen und fallen gemeinsam … Wir haben eine kollektive Verantwortung – eine stabilere und glücklichere Welt hervorzubringen; eine Welt, in welcher jeder Mensch in jedem Land sein volles Potenzial verwirklichen kann.“1
Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF)
Die globalen Unruhen im Jahr 2011 haben die Welt unwiederbringlich verändert. Millionen von Menschen gingen auf die Straße – in zahlreichen Ländern, auf allen Kontinenten, vom Arabischen Frühling bis zu Occupy Wall Street. Der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit fand eine hohe Resonanz (natürlich unterschiedlich in den verschiedenen Ländern und Kulturen). Die Menschen begannen, nach Lösungen für ihre Probleme zu suchen; sie wollten Veränderung. Oft konnten diese Menschen ihre Anliegen nicht adäquat in Worte fassen, aber das Gefühl, unwürdig behandelt zu werden, veranlasste sie dazu, auf die Straße zu gehen und zu protestieren, manchmal sogar unter Lebensgefahr.
Warum gab es diese Proteste? Warum zu dieser Zeit? Warum traten sie so synchron auf, als würden sie sich gegenseitig entzünden? Um zu verstehen, wie die Dinge im globalen Zeitalter funktionieren, müssen wir den Zustand der Menschheit aus einem weiteren Blickwinkel betrachten und nicht jeden Aspekt einzeln untersuchen.
„Geschichtsschreiber werden zurückblicken und sagen, dass dies keine normale Zeit, sondern ein einschneidender Moment war: Eine unvorhersehbare Periode des globalen Wandels, eine Zeit, da ein Kapitel endet und ein anderes aufgeschlagen wird – für Völker; für Kontinente; für die ganze Welt.“2
Gordon Brown, Historiker, ehemaliger Premierminister von England (2008)
Seit dem Ausbruch der globalen Krise im Jahr 2008 wird immer klarer, dass wir an einem historischen Wendepunkt stehen. Die Scheidungsraten steigen ständig, und viele Menschen haben überhaupt keinen Wunsch mehr, sich zu binden oder eine Familie zu gründen.3 Der Drogenkonsum erreicht ungeahnte Ausmaße, und Gewalt und Verbrechen nehmen trotz der Tatsache zu, dass sich die Anzahl der Häftlinge in den USA in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt hat.4 Das Bildungssystem kollabiert,5 indem Institutionen entweder schlechte Bildung oder aber Unterrichte anbieten, die für die meisten Menschen nicht erschwinglich sind.6 Die Menschen fühlen sich heute so unsicher, dass es in Amerika bereits mehr Schusswaffen als Bürger gibt,7 und der Trend ist steigend.8 Angesichts dieser Tatsache ist es keine Überraschung, dass „nahezu 40 Prozent der Menschen an psychischen Störungen leiden.“9
Bis zum heutigen Tag haben wir Menschen uns von Generation zu Generation in dem Glauben weiterentwickelt, dass unsere Kinder ein besseres Leben haben würden als wir selbst. Das gab uns Kraft und Hoffnung. Doch heute scheint die Zukunft nicht so glänzend.10 Es sieht aus, als habe sich die Menschheit hoffnungslos verirrt.
Die wirtschaftliche Situation zeigt deutlich unsere Verwirrung in Bezug auf die Zukunft. Seit 2008 steckt die Welt in einer Wirtschaftskrise. Und noch schlimmer sind die Aussichten, hier eine Lösung zu finden. Nouriel Roubini, ein führender Ökonom, der die globale Krise vorhersagte, warnte davor, dass wir einer neuen großen Depression gegenüberstünden. „Die Dinge verschlechtern sich, und der große Unterschied zwischen heute und vor einigen Jahren besteht darin, dass uns heute langsam die Strategien ausgehen.“11
Der Investor George Soros behauptet ebenfalls, dass wir am Abgrund eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs stünden.12 Und Sir Mervyn King, derzeitiger Gouverneur der Bank von England, zieht die Schlussfolgerung, dass dies die ernsthafteste Finanzkrise seit 1930 sei, wenn nicht gar eine noch schlimmere.“13
Der kontinuierliche Verfall der globalen Wirtschaft ist deswegen so irritierend, weil er nicht nur unser Geld betrifft. Die Wirtschaft ist kein neutrales Netzwerk aus Industrie, Handel und Bankwesen. Sie reflektiert zusätzlich unsere Ambitionen, Wünsche und Beziehungen und auch die Richtung, in die wir gehen. Daher stellt eine Wirtschaftskrise ein ernsthaftes Problem für die Gesellschaft dar – vor allem für die menschlichen Beziehungen.
Webster‘s Dictionary definiert eine Krise als „Umkehrpunkt zum Besseren oder Schlechteren.“ Auch als „Entscheidungsmoment“, „eine instabile oder wichtige Zeit oder Zustände, welchen eine große Veränderung bevorsteht“ oder „eine Situation, welche in eine kritische Phase geraten ist.“
Auf Griechisch bedeutet Krise „Entscheidung“
(von „krinein“ – „entscheiden“).
Die Vernetzung zwischen den Menschen auf der ganzen Welt wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend enger. Die Globalisierung brachte eine Fülle von Gütern, Dienstleistungen, Informationen und Reisenden hervor und machte die Welt tatsächlich zu einem globalen Dorf. Ian Golding, Direktor der Oxford Martin School an der Universität von Oxford und ehemaliger Vizepräsident der Weltbank, sagte in einem Vortrag: „Die Globalisierung wird immer komplexer, und dieser Wechsel vollzieht sich immer schneller. Die Zukunft wird zunehmend unvorhersehbar. Was an einem Ort auf der Welt geschieht, wirkt sich unmittelbar und rasend schnell auf andere Orte aus. Dies gleicht einem Systemrisiko.“14
Durch die Globalisierung erkennen wir, dass wir alle verbunden und voneinander abhängig sind – gleichsam wie Zahnräder in einer Maschine. Ein Ereignis an einem Ort auf dem Planeten hat unmittelbare Auswirkungen auf einen anderen, wie ein Dominoeffekt, welcher seine Kreise über die ganze Welt zieht.
Die Handelsbeziehungen in der Automobilindustrie zwischen den USA und Japan sind beispielhaft dafür, wie wechselweise abhängig wir wirklich voneinander sind. Das zerstörerische Erdbeben und der Tsunami, welche Japan am 11. März 2011 trafen, wirkten verheerend auf die Produktionskette und den Import von Autos und Autoteilen aus Japan in die USA. Während die Herstellungslinie der japanischen Autohersteller in den USA negativ davon beeinflusst wurden, profitierten andere Autohersteller davon und holten sich Marktanteile. Sie waren die Profiteure der Katastrophe in Japan.
Der Finanzmarkt ist wahrscheinlich das beste Beispiel für eine internationale Interdependenz. Anleihen, die von anderen Regierungen gekauft werden, fesseln die Ökonomien und auch die einzelnen Staaten durch ein unzerreißbares Netz. Die chinesische Regierung beispielsweise muss amerikanische Anleihen kaufen, damit Amerika im Gegenzug in der Lage ist, chinesische Güter zu kaufen, um so das rapide Wachstum Chinas aufrechtzuerhalten und Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Fareed Zakaria, Herausgeber von Newsweek International, sagte in seinem Artikel Get Out the Wallets: The world needs Americans to spend dazu: „Wenn mir der Wirtschaftsgott einen Wunsch gewährte …, würde ich fragen, wann der amerikanische Konsument endlich wieder anfangen wird, sein Geld auszugeben.“15 Tatsächlich ist die Welt heute ein globales Dorf, in dem jeder Einwohner in puncto Lebensunterhalt vollkommen von allen anderen Einwohnern abhängt.
Ein etwas neueres Beispiel der globalen Abhängigkeit betrifft die Schuldenobergrenze in Amerika, die im Juli 2011 angehoben werden musste. Durch die anhaltenden politischen Streitereien zwischen Republikanern und Demokraten wurde beinahe die Deadline für den entsprechenden Beschluss verpasst. Die Welt fürchtete einen Kaufstopp Amerikas, da es bereits die Schuldenobergrenze überschritten hatte. In der Folge verfielen die Aktienmärkte rund um die Welt. Obwohl keiner wirklich erwartet, dass Amerika seine gewaltigen Schulden je zurückzahlen wird, welche nun etwa 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts16 betragen und somit die Marke von 16 Billionen Dollar überschritten haben17, wartete jeder unruhig darauf, dass Amerika seinen politischen Disput beilegen werde und die Welt sich weiter drehen könne. Wäre Amerika mit seinen Schulden in Verzug, wären innerhalb weniger Tage weltweit Millionen Menschen arbeitslos.
Professor Tim Jackson, Kommissionsmitglied der Abteilung für nachhaltige Entwicklung in der englischen Regierung, sagte über Globalisierung: „Wir Menschen wurden von Marketingexperten davon überzeugt, Geld, das wir nicht haben, für Dinge auszugeben, die wir nicht brauchen, um Eindrücke, die nicht von Dauer sind, bei Menschen zu hinterlassen, die uns nichts bedeuten.“18
Die Krise der Eurozone, in der Deutschland und Frankreich für die Rettungsprogramme der PIIGS-Länder (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) bürgen müssen, ist ein anderes Beispiel für wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit. Obwohl es unfair erscheint, dass deutsche Bürger für Griechenlands Verschwendungssucht der Vergangenheit haften müssen, muss man doch eingestehen, dass in Wahrheit viele Griechen ihr Geld in deutsche Produkte investiert hatten, was wiederum die Beschäftigungszahlen in Deutschland konstant hielt und Steuern einbrachte. Dies ist sozusagen ein wechselseitiger Gewinn, wobei die Griechen Deutschland dabei halfen, ihre wirtschaftliche Stärke zu behaupten, und im Gegenzug Deutschland den Griechen aus dem Schlamassel half, in das sie geraten waren.
In der Vergangenheit war die Welt ein Konglomerat aus Einzelteilen, doch als das Netzwerk der globalen Verbindungen immer dichter wurde, fanden wir uns in einer neuen, unberechenbaren und unvorhersehbaren Welt wieder. Der bekannter Soziologe Anthony Giddens drückte diese Fassungslosigkeit kurz und bündig und dennoch sehr treffend aus: „Ob es nun zum Besseren oder Schlechteren ist, wir werden in eine globale Ordnung getrieben. Wir alle verstehen sie nicht so richtig, spüren aber bereits sehr deutlich ihre Effekte.“19
Ohne es zu planen, wurden wir von unabhängigen Ruderern im eigenen Boot zu einer Gesellschaft, welche sich nun auf einem gemeinsamen Boot auf dem Ozean des Lebens befindet, wie es Christine Lagarde im obigen Zitat so treffend bemerkte. Und solange wir nicht alle zustimmen, in welche Richtung gerudert werden soll, werden wir überhaupt nicht vorankommen, wie wir bereits an der globalen Verlangsamung erkennen. Stellen Sie sich vor, dass Millionen Menschen sich gleichzeitig in Millionen Richtungen fortbewegen. Das Ergebnis ist offensichtlich, dass wir uns in einem Zustand der Lähmung befinden, welcher den derzeitigen Zustand der Welt widerspiegelt.
Stellen Sie sich, um diese Lähmung besser zu verstehen, ein Paar vor, dessen Ehe in die Brüche geht. Auf dem Gipfel der Krise hassen sich die beiden so, dass sie es nicht länger aushalten, Seite an Seite zu leben. Sollten sie noch im selben Haus leben müssen, können sie es kaum erwarten, getrennte Wege zu gehen. In so einer gespannten Lage fällt ihnen die Decke auf den Kopf, und sie ekeln sich voreinander. Wie dieses verheiratete Paar sind auch wir Erdenbürger von Hass aufeinander erfüllt. Doch anders als das Paar können wir nicht einfach auseinandergehen, da es keine andere Erde gibt, auf der wir leben könnten.
„Da die gegenseitige Abhängigkeit jeden Menschen auf der Welt auf unvorhersehbare Weise beeinflusst, besteht die große Herausforderung der Menschheit nun darin, globale Risiken zu managen. Man denke nur an den Klimawandel, die Risiken einer nuklearen Katastrophe, terroristische Bedrohungen, Kollateralschäden der politischen Instabilität, die ökonomischen Auswirkungen der Finanzkrise, Epidemien und plötzliche, von den Medien hochgespielte Paniken, wie zum Beispiel Europas Gurkenkrise aus dem Jahr 2011 (Auf der Suche nach der Herkunft des EHEC-Erregers galten zeitweise Gurken aus Spanien als mögliche Träger des Bakteriums.). All diese Phänomene bilden die dunkle Seite der globalisierten Welt: Verschmutzung, Infektion, Instabilität, Abhängigkeit, Turbulenzen, Zerbrechlichkeit. Wechselbeziehungen und gegenseitige Abhängigkeit – eine geteilte Risikoexposition. Niemand ist vollständig isoliert, und „eigene“ Angelegenheiten existieren nicht länger. Die Probleme der anderen Menschen wurden zu unseren Problemen und wir können sie nicht ignorieren oder hoffen, irgendeinen persönlichen Gewinn daraus zu ziehen.“
Javier Solana, ehemaliger Generalsekretär der NATO20