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Die Hauptpersonen des Romans
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2776
Störfaktor Gholdorodyn
Er könnte Perry Rhodan retten – aber die Tolocesten verlangen seinen Tod
Uwe Anton
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.
Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande seien. Um dorthin zu gelangen, braucht es aber Atlan als Piloten und ein Richterschiff als Transportmittel.
Ein solches zu besorgen, ist die aktuelle Mission des Terraners. Dabei gelangte er ins Khochd-System und begegnete den letzten Keloskern Larhatoons. Einer von ihnen erweist sich als STÖRFAKTOR GHOLDORODYN ...
Perry Rhodan – Der Terraner sucht nach Informationen über die Heimstatt des Atopischen Tribunals.
Velleshy Pattoshar – Die Onryonin begreift, dass es Wünsche gibt, die nie erfüllt werden sollten.
Loitmahd – Der Spochane hofft auf einen Sieg gegen einen gefährlichen Feind.
Gholdorodyn – Der Kelosker erweist sich als begabter Kranführer.
25. März 1517 NGZ
Im Urwald von Shyor
Die Dämmerung senkte sich schnell über den Wald, dessen erste Baumriesen sich in kaum zweihundert Metern Entfernung zum Himmel reckten. Perry Rhodan wusste nicht genau, wo sie sich befanden, nur, dass sie irgendwo einige Tausend Kilometer entfernt von Ghavd herausgekommen waren, der einzigen Stadt des Planeten Shyor. Gholdorodyns »Kran« hatte sie an diesen Ort gebracht.
»Kran« war dabei eine Bezeichnung, die den Möglichkeiten des Geräts in keiner Weise entsprach: Es war ein Fiktivtransmitter, der sich selbst mittransportierte, ein Wunderwerk der Technik, das in dieser Form vielleicht nicht einmal Superintelligenzen zur Verfügung stand. ES hatte der Menschheit vor langer Zeit »normale« Fiktivtransmitter überlassen, aber bewusst nie für Ersatz gesorgt, als sie zerstört worden waren. Wahrscheinlich, weil das Geisteswesen befürchtete, sie würden seine Schützlinge überfordern oder zu Missbrauch verleiten.
Der Kelosker Gholdorodyn bezeichnete seine Erfindung als »kleine Bastelei«. Schon diese Einschätzung war ein Beweis dafür, wie unverständlich seine Denkweise für Menschen war. Und wie überlegen. Es wunderte Rhodan nicht, dass er sich eigentlich nie in einen Kelosker hatte hineinversetzen können, weder gegenwärtig noch in früheren Zeiten, nach der Besetzung der Milchstraße durch die Laren, deretwegen er dem »Konzil der Sieben« auf die Spur gekommen und mit der SOL in die Galaxis Balayndagar geraten war. Ihre Denkweise war einfach viel zu fremdartig.
Der Waldrand kam Rhodan wie eine undurchdringliche Wand aus Grün und Braun vor. Gerade hatte er noch einzelne Pflanzen erkennen können, zwanzig oder dreißig Meter hohe Bäume, schmal und mit einer Vielzahl unterschiedlich geformter Blätter. Im nächsten Augenblick schien ihr Laubwerk miteinander zu verschmelzen, sich zu einer Einheit zu verbinden, die mit dem schwindenden Licht immer undurchschaubarer und geheimnisvoller wurde.
Der rote Himmel färbte sich schnell dunkler. Hatte der Kran sie in Äquatornähe gebracht? Oder lag das an der höheren Rotationsgeschwindigkeit des Planeten?
Khochd schien tatsächlich fast senkrecht unterzugehen. Und ziemlich schnell. Die prachtvollen Regenbögen, die Rhodan vor wenigen Minuten bewundert hatte, lösten sich im schwächer werdenden Licht vollkommen auf.
Der Terraner atmete tief durch. Gholdorodyn hatte ihn und seine Begleiter – neben dem Kelosker Eldhoverd waren das Sichu Dorksteiger, Gucky und das Venus-Team – in letzter Sekunde dem Zugriff der Onryonen entzogen und vorerst in Sicherheit gebracht.
Der bei seinen Artgenossen als geistig behindert geltende Kelosker sah sich um, als wolle er herausfinden, wohin es sie verschlagen hatte. Mit seinen drei Metern Körpergröße war er verhältnismäßig klein. Völlig typisch für die Kelosker war seine für menschliche Begriffe mürrische Mimik. Die Hautlappen, die in seinem Gesicht die Mundöffnung bildeten, waren so verwachsen, dass der Mund leicht nach unten gebogen war und ihm einen permanent übellaunigen oder gar aggressiven Ausdruck verlieh.
Rhodan störte sich nicht daran. Es handelte sich nur um eine körperliche Ausprägung. Gholdorodyn war vom Charakter aufgeschlossen und freundlich, wenn nicht sogar etwas naiv.
Schmunzelnd korrigierte Rhodan sich, als ihm terranische Topwissenschaftler wie Kalup oder Kantor einfielen. Der naive Kelosker hätte sie bei jeder mathematischen Frage aussehen lassen wie Schulkinder.
Er ließ den Blick über ihre gar nicht so kleine Gruppe gleiten.
Gholdorodyns Ziehvater Eldhoverd stand einfach da, ein drei Meter dreißig großes, plumpes Geschöpf mit paarweise in der Mitte und am unteren Ende des Rumpfs angeordneten vier Stummelbeinen, fast bis zum Boden reichenden tentakelähnlichen Armen mit Greiflappen an den Enden und einem über einen halben Meter hohen Kopf, der ohne erkennbaren Übergang auf den zwei Meter breiten Schultern saß. Rhodan konnte nur Mutmaßungen anstellen, in welchen Sphären der Geist des Keloskers schwebte. Vielleicht dachte er über fünf- oder sechsdimensionale Zusammenhänge nach oder berechnete sogar siebendimensionale Probleme. Jedenfalls wirkte er geistesabwesend, schien seine Umgebung kaum zur Kenntnis zu nehmen.
Im Gegensatz zu Gholdorodyn waren die vier höckerartigen Knochenwülste, die sich in unregelmäßigen Abständen kegelförmig aus seinem Schädel erhoben, für einen Unendlich-Denker normal ausgeprägt. Bei seinem Pflegesohn war der hintere Paranormhöcker ungewöhnlich flach. Das war ein Zeichen dafür, dass das darin beheimatete Nebenhirn unterentwickelt und nach hinten »verrutscht« war, sodass der Höcker am Hinterkopf, ja schon fast im Nacken saß. Dieser körperliche Defekt musste für seine Behinderung verantwortlich sein, die die anderen Kelosker ihm konstatierten.
Mausbiber Gucky spähte aufmerksam und ein wenig besorgt in die hereinbrechende Dunkelheit. Seit dem Verlust seiner alten Psifähigkeiten war er nicht mehr der Alte, selbst wenn er sich langsam an die neu erworbenen gewöhnte. Rhodan vermutete, es machte ihm noch immer zu schaffen, dass seinetwegen junge Menschen gestorben waren. Seine Berührung hatte sie getötet und gleichzeitig ihre Psifähigkeiten an ihn »überführt«. Dass er das alles nicht absichtlich getan hatte, relativierte seine Schuldgefühle kaum.
Sichu Dorksteigers Reaktion auf den rettenden Ortswechsel erinnerte Rhodan am stärksten an seine eigene. Die attraktive Ator mit der hellgrünen Haut und den langen silbernen Haaren hatte die Überraschung am besten verkraftet. Der Terraner vermutete, dass die brillante Wissenschaftlerin einerseits zu verarbeiten versuchte, was geschehen war, und andererseits bereits sämtliche neuen Eindrücke sammelte.
Die Überlebenden des Venus-Teams blieben nach außen gelassen-professionell. Bruce Cattai und Tacitus Drake waren an die Seiten getreten, bildeten die Flanken und sicherten nun nach einer leichten Verzögerung die Umgebung. Der Swoon Benner befand sich in seinem Tornister, den der Oxtorner auf dem Rücken trug, und hielt das Gelände hinter ihnen im Blick. Die Elitesoldaten nahmen mit den Instrumenten ihrer SERUNS erste Ortungen vor und konnten mit ihren Waffen die grasbewachsene Ebene bis zum Waldrand abdecken. Auch ohne Baucis Fender, die in der RAS TSCHUBAI auf der Krankenstation lag, und den vor Kurzem ums Leben gekommenen Patrick St. John wussten sie genau, was sie zu tun hatten.
»Der Kran als autoportabler Fiktivtransmitter!«, stellte Perry Rhodan seine Planung vor, »könnte uns zurück auf die RAS TSCHUBAI bringen. Dazu müssten wir das Schiff aber viel näher heranholen. Ist seine Reichweite wirklich auf wenige Tausend Kilometer begrenzt, Gholdorodyn?«
»Sie ist ein wenig oh, là, là«, gestand der Kelosker ein.
»Das Schiff«, ergänzte Sichu Dorksteiger, »oder eines seiner Beiboote.«
Rhodan nickte. »Aber zuvor müssen wir uns weitere Informationen beschaffen. Deshalb sind wir hier.«
»Und wir müssen die beiden Haluter finden«, warf Sichu ein. »Falls sie noch leben.«
»Icho Tolot und Avan Tacrol sind nicht tot.« In Rhodans Stimme schwang nicht der geringste Zweifel mit. Die Haluter hatten beim Sturm auf das Keloskerhaus einen Ausfall unternommen und einen Angriff auf die Neypashi gestartet. Dann hatte Rhodan der Goldene Schlag getroffen, jener mentale Schock, der mit der Benutzung des Krans einherging. Die Welt um Rhodan war in intensives Gold getaucht worden und hatte sich allmählich verändert. Aus ihrer Umgebung war eine andere Welt gewachsen, die dann plötzlich fest und klar vor ihnen stand.
Der Ortswechsel hatte Rhodan zuerst fassungslos gemacht, obwohl er gewusst hatte, was ihn erwartete.
Über das weitere Schicksal der beiden Haluter wusste Rhodan nichts. Er ging davon aus, dass sie sich im Schutz der HÜ-Schirme und Deflektoren ihrer Kampfanzüge vom Ort der Schlacht entfernt hatten und ihnen die Flucht gelungen war.
»Hey!« Guckys hohe Stimme drohte sich zu überschlagen. Der Ilt zeigte auf den Waldrand. »Das ist wohl kaum das Gold am Ende des Regenbogens ... und auch nicht eine goldene Leuchterscheinung von Gholdos Kran!«
Rhodan kniff die Augen zusammen. Nun sah er es auch. Die Dämmerung war fast der Nacht gewichen, und in der Dunkelheit schienen goldene Lichter in der Wand zu schweben, die die Baumgrenze darstellte.
Schmale, längliche, geschlitzte Lichter, die immer wieder erloschen und dann neu aufflammten.
»Augen!«, sagte Rhodan. »Das sind Augen von Tieren!«
»Von Raubtieren«, ergänzte der Mausbiber. »Und sie scheinen ziemlich hungrig zu sein.«
*
»Kannst du etwas espern?«, fragte Rhodan.
»Alle Eindrücke sind unscharf.« Nachdem Gucky im September 1514 NGZ zuerst bar jeglicher Psifähigkeit aus dem Koma erwacht war, verfügte er dank seines unseligen neuen Talents des »Pararaubmords« wieder über die Gabe der Telepathie. Allerdings konnte er sich nur noch in den Geist eines anderen Wesens hineinversetzen und sah dessen Gedanken wie Bilder, denen er erst noch Bedeutungen zuordnen musste. »Nur die visuellen nicht. Ihre Augen sind sehr empfindlich und perfekt auf das Sehen bei Dämmerung und Dunkelheit ausgerichtet.«
»Was nimmst du wahr?«
»Den Wald in einer Deutlichkeit, wie ich sie noch nie erlebt habe. Der Blick ist völlig zielgerichtet darauf, Beute zu machen.«
»Ich habe eins im Visier!« Bruce Cattai projizierte das Bild als Holo auf die Ebene.
Unwillkürlich bewunderte Rhodan das Spiel gewaltiger Muskeln in einem lang gezogenen, schlanken Körper. Das entfernt katzenähnliche Raubtier hatte eine Schulterhöhe von gut einem Meter. Sein schwarzes, grau gesprenkeltes Fell fügte sich perfekt in die nächtliche Umgebung ein, war ohne technische Hilfsmittel kaum auszumachen. Der Terraner bemerkte, dass die Hinterläufe des Tiers wesentlich länger als die Vorderbeine waren. Ein typisches Anzeichen für Sprungkraft. Wahrscheinlich konnte der Räuber mehrere Meter weit springen, um in die Nähe seiner Beute zu gelangen und sie überraschend anzugreifen, bevor sie reagieren und sich zur Flucht wenden konnte.
Das Tier drehte den Kopf, schien Rhodan direkt anzusehen. Aus dem wuchtigen Schädel sprossen zwei lange, schlanke Ohren, an deren oberen Enden Haarpinsel wuchsen, die sich nun auffächerten und langsam drehten. Dunkelgraue, lange Haare bildeten einen Backenbart, der sich gemächlich aufblähte.
Am eindrucksvollsten waren die goldenen Augen. Sie übten eine Faszination aus, der Rhodan sich kaum entziehen konnte. Er schien in diesem Gold zu versinken.
Der Terraner schaute zum Waldrand, über den sich mittlerweile völlige Dunkelheit gesenkt hatte, und schaltete auf Nachtsicht um. Nun konnte er wieder einzelne mächtige Stämme wahrnehmen, sah die Vegetation nicht mehr als geschlossene dunkle Wand, sondern differenzierter, in jeder Einzelheit.
Die goldenen Augen waren überall. Er zählte zehn Paare, zwölf, vierzehn, und schätzte die Entfernung ab.
Die Raubtiere näherten sich. Trotz der technischen Hilfsmittel bekam er ihre eigentlichen Bewegungen kaum mit, so geschmeidig und unauffällig bewegten sie sich durch die Dunkelheit.
Er blieb ganz ruhig. Die Beutereißer waren keine ernsthafte Bedrohung für sie, nicht bei den SERUNS, die sie trugen, und den Waffen, die sie mit sich führten. Doch es widerstrebte ihm, auch nur eines der Tiere zu verletzen oder gar zu töten. Sie kamen ihm majestätisch vor, urwüchsig in ihrer Kraft und Wildheit. Sie waren die Herren dieses Urwalds. Vielleicht rotteten sie sich nur zusammen, um die Eindringlinge aus ihrem Revier zu vertreiben.
Eines der katzenähnlichen Wesen stieß einen Schrei aus, der verblüffend nach einem menschlichen »Ja!« klang.
Das war nur eine Täuschung. Rhodan projizierte seine Erinnerungen und Erfahrungen auf eine völlig fremdartige Spezies, die in einer völlig fremden Welt lebte. Es war nur ein Ruf gewesen, mit dem die Tiere sich untereinander verständigten, kein Ausdruck irgendeiner Intelligenz.
Vielleicht das Zeichen zum Angriff? Im Holo sah er, wie die Raubkatze die Haarpinsel auf den Ohren in ihre Richtung drehte.
Damit nimmt sie die kleinste Bewegung wahr. Und mit dem Backenbart können sie die Luft fächeln und ihre Fähigkeit verstärken, Witterungen aufzunehmen. Wahrscheinlich hätten die Tiere längst angegriffen, wenn die Eindringlinge in ihr Revier nicht fast bewegungslos stehen geblieben wären.
»Das ist nicht schön«, sagte Gholdorodyn. »Gar nicht schön.«
»Kennst du diese Viecher, Goldi?« Der Ilt verbesserte sich sofort. »Entschuldigung, Gholdo. Goldi ist zwar zu verlockend, aber es passt nicht zu dir.«
Außerdem klingt es falsch, dachte Rhodan. Zumindest für mich. Gholdorodyn mag ja vieles sein, aber ein »Goldi« ist er nicht.
»Mag sein, Spurdenker.«
Rhodan merkte auf. Zahlte der Kelosker es dem Mausbiber mit gleicher Münze heim? Er durfte sich nichts vormachen, was dessen Behinderung betraf. Nur Kelosker sahen ihn als geistig minderbemittelt an. Sein Manko bestand darin, dass er lediglich fünfdimensional normal rechnen konnte, bei der sechsdimensionalen Mathematik seine Schwierigkeiten hatte und an der siebendimensionalen vollständig scheiterte. Nur gelegentlich hatte er einen Geistesblitz, der ihm auch komplexere sexta- und septadimensionale Berechnungen erlaubte.
Was seine mathematischen Fähigkeiten und sein weiteres logisches Denken betraf, stand er so hoch über einem Menschen wie der Mensch über der berühmten Ameise im Garten.
»Wie heißen diese Tiere?«
»Swiatlo.«
»Und was weißt du über sie?«
»Sie sind nicht gefährlich. Ich kam mit ihnen bislang immer gut klar.«
»Du kennst sie?« Der Ilt warf Gholdorodyn einen skeptischen Blick zu. So ganz schien er ihm nicht zu glauben.
Mittlerweile hatten sich noch mehr Katzenartige bis zum Waldrand vorgearbeitet. Rhodan sah dort mindestens fünfzehn schmale goldene Augenpaare, während die Körper trotz des Nachtsichtgeräts nur als Wärmeumrisse erkennbar waren. Die Tiere, von Stämmen und Zweigen mit Laubwerk bedeckt, hatten sich perfekt an ihre Umgebung angepasst.
Aber die Muster waren auf vielen Welten ähnlich, und Rhodan wusste sie zu deuten. »Sie werden gleich angreifen«, flüsterte er. »Infrarotsicht an. Wenn sie nicht wechselwarm sind, müssten wir sie sehen können. Sobald sie sich in Bewegung setzen, schaltet ihr die Scheinwerfer ein. Vielleicht verwirrt das Licht sie und schlägt sie in die Flucht. Aber seid vorsichtig. Sie sind wahrscheinlich wesentlich schneller, als wir glauben. Wenn ihr schießt, beschränkt euch anfangs auf Warnschüsse. Und nur Paralyse.«
Rhodan wollte unbedingt vermeiden, diesen beeindruckenden Geschöpfen Schaden zuzufügen.
»Klar doch!«, erwiderte Gucky genauso leise. »Ich ...«
Weiter kam der Mausbiber nicht. Eins der Tiere stieß wieder ein lautes »Ja!« aus, und die Gruppe der Swiatlo stürmte los.
Im Urwald von Shyor
Mit gewaltigen Sprüngen von jeweils acht oder zehn Metern überwanden die Swiatlo die freie Strecke zwischen dem Waldrand und den Angreifern.
»Scheinwerfer!«, rief Rhodan und aktivierte das Gerät auf seinem Helm. Der breite Lichtstrahl entriss die springenden Raubtiere der Dunkelheit. Die Scheinwerfer der anderen SERUNS flammten auf und rissen die dunkle Wildnis in gleißende Helligkeit.
Einen Moment lang geriet der Angriff der Katzenartigen ins Stocken. Verwirrt blieben sie stehen, kniffen die Augen zusammen, um sie vor dem grellen Licht zu schützen.
Sie sind tatsächlich nachtaktiv!, dachte Rhodan. Wieder bewunderte er das Spiel der Muskeln unter dem dunklen Fell, als sie sich bewegten, die Kraft, die in den länglichen Körpern, den Hinterläufen und den wuchtigen Köpfen mit den großen Raubtiergebissen wohnte.
Dann schien das vorderste der Tiere die Überraschung abzuschütteln. Es riss das Maul auf, brüllte »Ja!« und setzte zu einem weiteren Sprung an.
Er trug den Swiatlo acht Meter weit. Noch drei, vier Sprünge, und die Fleischfresser hätten ihre Beute erreicht.
Nun gab es keine Wahl mehr, Ortungsgefahr hin oder her!
Rhodan entsicherte den Kombistrahler, riss ihn in die Höhe und schoss. Ein Finger aus gebündeltem Licht, dessen eigentliche Energie aus ultraheißer Infrarotstrahlung bestand und der noch heller war als das der Scheinwerfer, jagte in den nächtlichen Himmel.
Wieder stoppte der Angriff der Tiere. Rhodan hatte erwartet, dass sie Angst vor Feuer hatten, und sah sich nicht getäuscht. Er konnte deutlich sehen, wie sich das Fell des vordersten Swiatlo sträubte. Er riss einen Vorderlauf hoch und schlug nach dem Strahl, den er nicht erreichen konnte und der schon wieder erlosch, nach dem Licht, nach allem, was er als Bedrohung empfinden mochte.
Der Fleischfresser stieß ein weiteres »Ja!« aus, und diesmal antwortete ihm eine Vielzahl anderer Stimmen. Sie klangen aggressiv, wurden mit jeder Sekunde aufgeregter.
»Licht und Feuer reizen sie erst recht zum Angriff!«, rief Rhodan, senkte die Waffe und richtete sie auf die Tiere. »Es geht nicht anders, wir müssen gezielt schießen!«
Er hoffte, dass er nur einen der majestätischen Swiatlo paralysieren musste und die anderen dann endlich die Flucht ergriffen.
»Nein! Nicht!«, erklang neben ihm eine Stimme, und Rhodan machte aus dem Augenwinkel eine Bewegung aus.
Gholdorodyn!
Hatten den Kelosker alle guten Geister verlassen? Das große, ungeschlacht wirkende Geschöpf trat vor, mitten ins grellste Licht, den Tieren entgegen.
Rhodans erster Schreck verging sofort wieder. Auch wenn Gholdorodyn mit drei Metern klein für einen Kelosker war, bot er doch eine imposante Gestalt. Er war gut drei Mal so groß wie die Fleischfresser, und seine Tentakel mochten in einem Nahkampf beeindruckende Waffen sein, die tödliche Schläge austeilen konnten.
Mit seinen »Fingern« konnte er sogar einen Angreifer packen, wenn er schnell genug war. An beiden Armenden wies jeweils ein Greiflappen zwei tiefe Einschnitte auf. Rhodan kamen sie vor wie drei durch Schwimmhäute verbundene Finger. Wenn er den zweiten Greiflappen jedes Arms als Daumen ansah, verfügte Gholdorodyn also über vier Quasi-Finger. Das verlieh ihm zwar nicht die Geschicklichkeit eines Menschen, erleichterte ihm aber zumindest die Arbeit an seinen kleinen Basteleien und ermöglichte ihm, einen Swiatlo am Hals zu greifen und ihm das Genick zu brechen.
In der nächsten Sekunde lachte Rhodan heiser auf. Der Kelosker als Kämpfer? Wie hatte er sich nur diesem Hirngespinst hingeben können? Die Raubtiere würden über Gholdorodyn herfallen, ihre Reißzähne in seine zähe, lederartige Haut schlagen, ihm schwere, wenn nicht sogar tödliche Bisswunden zufügen und ihn dann zerreißen ...
»Feuer!«, rief Rhodan.
»Nein!« Gholdorodyns Befehl ließ keinen Widerspruch zu. Er ging weiter auf die Tiere zu, und fing an zu ... singen?
»Wiat o, wiat o«, kamen dumpfe, singsangartige Worte über seine Lippen, »wiat o, wiat o«. Seine Laufstummel stampften im Rhythmus dieser drei Silben vorwärts, die er immer wieder von sich gab, »wiat o, wiat o«. Schließlich schaukelte sein massiger Körper im Gleichklang mit dem Gesang.
Der vorderste Swiatlo verharrte. Aus seinem gerade noch wie eine Feder gespannten, sprungbereiten Körper schien jede Aggressivität zu weichen. Das Tier ließ sich auf alle viere hinab und senkte den Kopf.
Aus der Nähe sah Rhodan, dass es die Krallen der riesigen, breiten Tatzen einzog.
Lammfromm lag es da.
Weiter singend ging Gholdorodyn zu ihm. Ungläubig sah Rhodan den Kelosker mit seinem Greiftentakel über den massigen Schädel des Swiatlo fahren.
Er streichelt ihm den Kopf!, dachte der Terraner fassungslos.
Schließlich stieß der Kelosker einige Wörter hervor, die Rhodan nicht verstand, und das Tier erhob sich, drehte den Kopf zu Rhodan, sah ihn aus diesen unglaublich beeindruckenden goldenen Augen an und trabte langsam zurück zum Waldrand.
Die anderen Angehörigen seines Rudels folgten ihm, verschwanden wieder in der dunklen Wand der Bäume.
Ungläubig sah Rhodan den Kelosker an. »Wie hast du das gemacht?«
»War ganz einfach«, antwortete Gholdorodyn.
»Das war nicht gerade das typische Verhalten für einen Kelosker«, kommentierte Gucky trocken und ließ seinen Nagezahn aufblitzen.
*
Gholdorodyn ging mit keinem Wort auf den Angriff der Swiatlo und seine Lösung des Problems ein. Er begab sich ohne weiteres Wort zu seinem Kran.
Der Fiktivtransmitter versetzte sich selbst und nahm seine Passagiere mit, so viel war Rhodan klar. Also musste der Kelosker eine Möglichkeit gefunden haben, ihn mit sich zu führen. Die nebensächliche »kleine Bastelei« war viel zu wertvoll, um sie nach einer Ortsversetzung einfach zurückzulassen.
Zumindest in Rhodans Augen. Aber wer konnte schon sagen, wie ein Kelosker diesbezüglich dachte?
Gholdorodyn berührte wieder die große Sensortaste auf der Plattform, mit der er den Kran aktiviert hatte. Der drei Meter hohe zylindrische Sockel fuhr ein, die Plattform knickte in der Mitte und faltete sich ebenfalls zusammen. Die Kugeln, die schwerelos neben dem Gebilde schwebten, schoben sich darunter und öffneten und schlossen sich wieder um die Bestandteile des Krans. Nach wenigen Sekunden war von dem portablen Fiktivtransmitter nur eine einzige, kaum einen Meter durchmessende Kugel übrig geblieben.