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Die Hauptpersonen des Romans
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2777
Flucht aus Allerorten
Reginald Bull in Pha Gashapar – der Terraner ist auf der Suche nach Wanderer
Michael Marcus Thurner
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.
Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande seien. Um dorthin zu gelangen, braucht es aber Atlan, den Arkoniden als Piloten und ein Richterschiff als Transportmittel.
Atlan befindet sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf Wanderer, der Kunstwelt der Superintelligenz ES. Diese aufzuspüren, Atlan zu treffen und zur Mithilfe zu bewegen, ist Reginald Bulls Aufgabe. Um Wanderer zu finden, bedient er sich eines ungewöhnlichen Kontakts. Danach folgt seine FLUCHT AUS ALLERORTEN ...
Reginald Bull – Der Terraner trifft erneut auf den Weißen Raum.
Toio Zindher – Die Tefroderin bleibt für Bull undurchschaubar.
Quick Silver – Der Androide arbeitet mit dem Unsterblichen zusammen.
Gaizka Arribachea – Ein Botschaftssekretär der LFT muss handeln.
Stapax-Neutau – Ein alter Bürge Quick Silvers wird reaktiviert.
Reginald Bull
Wanderer finden. Atlan finden. Ihn dazu bewegen, mich zu begleiten, damit er das Schiff eines Atopischen Richters übernehmen kann ... Dies war seine Aufgabe. Diesem Ziel musste er ab nun alles unterordnen, wollte er die Milchstraße von einer der größten Bedrohungen der letzten Jahrhunderte befreien.
Bull vernahm eine Stimme. Es dauerte einige Sekunden, bis er den Worten einen Sinn zuzuordnen vermochte.
»Du hast es also geschafft«, sagte Khuferchosdd mit mürrisch klingendem Unterton. »Schade. Die Stadt kann gut und gerne auf solche wie dich verzichten.«
Bull stolperte an dem Fenderchast vorbei auf den kleinen Brunnen zu, in dessen dunklem Wasser kleine Lichtpünktchen kreuz und quer schossen. Sein Kopf war leer, sein Geist erschöpft von den Geschehnissen der letzten Stunden. Hatten seine Begleiter es ebenfalls geschafft?
Er hielt sich am Rand des Brunnens fest, schöpfte Atem und beobachtete fasziniert die krebsartigen Geschöpfe bei ihrem Spiel, während er wartete. Sie bewegten sich ungewöhnlich rasch, womöglich in einer Art Ritual, an dem mehrere Hundert Krebslein teilnahmen.
Seltsam ... waren seine Begleiter so viel später in die Brevizone eingetaucht? Oder dauerten die Transporte unterschiedlich lange? Er hatte sie doch gesehen, während er das Ziel der Stadt Allerorten herbeigedacht und herbeigesehnt hatte!
Die Brevizone spuckte zwei weitere Wesen aus. Bull atmete erleichtert durch. Das Tor hinter den beiden schloss sich. Besser gesagt: Das Licht versiegte. Nichts blieb übrig von den seltsamen Leuchteffekten, die ihre Reise begleitet hatten.
Quick Silver wirkte unbeeindruckt von den Gefahren, die sie eben erst überstanden hatten. »Pha Gashapar ...«, sagte der Androide andachtsvoll. »Das Mysterium des Omniversums. Qu'd-froc-dheyla. Das Glitzernde Allessein. Unser Aller Heim. Das-was-nebenan-liegt. Jhvava, das Unendliche Juwel.« Er schüttelte den Kopf. »Es gibt mehr als zweitausend Bezeichnungen für die Stadt Allerorten. Sie hat den Ruf, Sitz der Götter zu sein. Manchmal werden die Namen heimlich geflüstert, in manchen Regionen des Universums sucht man nach Zugängen zur Stadt wie nach einem Schatz. Sie ist ein Leitstern für die einen und ein Fluch für andere, die ihr ein Leben lang hinterherjagen.«
»Ist schon gut, Silberner.« Toio Zindher wischte sich imaginäre Staubkörnchen von der Kleidung. »Wir haben verstanden. – Und nun? Wie geht es weiter? Hast du hier Freunde, mit denen wir uns über unsere Aufgabe unterhalten können?«
»In erster Linie erwarte ich, dass ihr die Direktiven der Stadt Allerorten beachtet«, mischte sich Khuferchosdd in die Unterhaltung ein. Die Kettenglieder seiner Rückenbekleidung rasselten lautstark, als er seinen Körper kräftig durchschüttelte. Mit den Mundfingern deutete er in Toios Richtung. »Dieses Wesen durfte lediglich aufgrund eurer Bürgschaften die Reise durch die Brevizone mitmachen. Ich verlange, dass ihr auf das Weiblein Acht gebt und Pha Gashapar keinen Schaden zufügt.«
»Selbstverständlich«, sagte Quick Silver und deutete ein Kopfnicken an. »Ich stehe mit meinem Namen dafür ein.«
»Mit einem Namen, der nicht den allerbesten Ruf genießt.« Khuferchosdd zog mit zwei Mundfingern an einem jener fast unsichtbaren Drähte, die das Kettenhemd auf seinem Rücken mit der metallenen Kopfbedeckung verbanden. »Ich habe eben dein Stammdatenblatt begutachtet, Sammler. Du hast dir in letzter Zeit viele Feinde in der Stadt gemacht. Es ist nicht gut, in deiner Nähe angetroffen zu werden.«
»Ich war stets loyal.«
»Aber du begehst Fehler. Deine Funde entsprechen nicht jener Qualität, die man von einem Reliktesammler erwartet. Und die Mitarbeiter des Protokolls Defensive haben einige Fragen an dich. Es geht um die illegale Nutzung eines Tors zur Brevizone.«
»Ich werde mich dafür rechtfertigen, sollte es notwendig werden.«
»Tu das. Und bete, dass ich nicht in diese Verhandlungen mit eingebunden bin.«
»Das werde ich tun. Schließlich sind Fenderchasts kaum für ihren Mut bekannt.«
»Fenderchasts sind dafür bekannt, sich aus schwierigen Situationen rauszuhalten. Und wir fahren gut damit.«
»So gut, dass ihr von anderen Stadtbewohnern geächtet werdet, kaum soziale Kontakte untereinander pflegt und man immer weniger von euch zu Gesicht bekommt? Man munkelt, dass ihr vom Aussterben bedroht seid?«
Das Kettenhemd des Gürteltierähnlichen rasselte erneut. Das exotische Wesen fühlte sich angegriffen. Er machte sein Unbehagen und seinen wachsenden Zorn deutlich.
»Wir danken dir für deine Hilfe«, griff Bull in das Streitgespräch ein. »Wenn du uns nun bitte entschuldigst?«
Khuferchosdd richtete sich auf den hinteren Krallenbeinen auf. Auf seinem weichen und faltigen Bauch klebten eng beschriebene Schreibfolien. Er riss sie ab und steckte sie in eine Art Reißwolf an seiner linken Seite, der das Zettelwerk augenblicklich vernichtete. – Oder verarbeitete er es etwa?
»Verschwindet gefälligst und lasst euch hier nicht mehr blicken!«, sagte Khuferchosdd laut. »Ich muss Berichte schreiben und Statistik-Holos formatieren. Das PD erwartet, dass ich so rasch wie möglich die Vorgänge auf der Sigolatwelt in die Stadtspeicher lade.« Er zog die Luft durch große Nüstern ein. »Eure Gegenwart wird mir immer unerträglicher. Und ihr riecht streng, einer wie der andere. Warum behandelt ihr eure Leiber mit künstlichen Duftstoffen, wenn es doch anregender ist, den Körpergeruch mit Drüsenöl zu verstärken?«
Toio Zindher trat nahe an Khuferchosdd heran. Das Wesen reichte ihr etwa bis zur Brust. »Du bist so leicht zu durchschauen, Fenderchast. Du leidest an den Folgen körperlicher Degeneration, nicht wahr? Fast alle Mitglieder deines Volkes sind von einer Form genetischer Verunreinigung betroffen, die auf eine einzige schlechte Kreuzung von Blutlinien zurückgeht. Hm.«
»Woher weißt du ...?«
»In-vitro-Fertilisation lehnt ihr Fenderchasts ab, stimmt's? Du verabscheust alles, das auch nur im Entferntesten nach Künstlichkeit riecht. Denn der Befruchtungs- und Geburtsprozess ist meiner Vermutung nach die letzte natürliche Domäne eines sonst durch und durch technisierten Lebens.«
Khuferchosdd fiel auf alle viere. Sein Kettenhemd klirrte, die Oberfläche bekam mit einem Mal einen grünlichen Stich. Der Fenderchast wich zurück, Schritt für Schritt. So, als fürchtete er Toio Zindhers Worte mehr als alles andere und wollte die Flucht antreten.
»Ich sehe dunkle Flecken in dir, die auf ein degeneratives Genom zurückzuführen sind. Ich bräuchte bloß einige Stunden oder Tage, um dir und deinem Volk einen Zuchtplan zu erstellen. Ich könnte euren Genpool auffrischen und dafür sorgen, dass es zu keiner weiteren Degeneration kommt. Binnen weniger Generationen wärt ihr gerettet. Oh ja, das könnte ich.« Zindher lächelte. »Aber ich werde es nicht tun.«
»Warum nicht?«, fragte Khuferchosdd, der vergessen zu haben schien, wo er sich befand und was er zu tun vorhatte. Er wirkte völlig konsterniert.
»Ihr seid hochintelligent. Und ihr tragt den Glauben an eine göttergegebene Überlegenheit in euch. Das macht euch gefährlich. – Ich habe mit der Stadt Pha Gashapar nichts zu schaffen und es interessiert mich nur wenig, ob sie bestehen bleibt oder fällt. Aber ich möchte nicht für den Ausbruch von Kampfhandlungen verantwortlich sein.« Sie blickte Bull an. »Krieg ist stets eine hässliche Sache.«
»Oh ja, das ist er.« Bull betrachtete die tefrodische Mutantin von oben bis unten, bis er sich an den Fenderchast wandte: »Danke nochmals, dass du uns hierher gebracht hast. Aber wenn du uns nun bitte entschuldigst ...«
Bull schob Toio Zindher vor sich her, auf den einzigen Ausgang des Raumes zu. Quick Silver kam hinterher mit seinem leisen, kaum wahrnehmbaren Schritt.
»Musste das denn sein?«, fragte Bull, kaum, dass er in ein Treppenhaus gelangt war und den Weg nach oben nahm. »Wir sind ohnedies schon gebrandmarkt, werden womöglich vom Protokoll Defensive verfolgt. Und du spielst nun mit der Psyche dieses Fremdwesens?«
»Vielleicht wollte ich ja Aufmerksamkeit erregen?« Zindher lächelte ihn an. »Der Feind meines Feindes ist mein Freund – ist das nicht ein altes terranisches Sprichwort? Und nach all der Zeit auf Terra und an Bord der RAS TSCHUBAI, die ich unter strenger Bewachung stand, muss ich wohl davon ausgehen, dass du mich als Feind betrachtest.«
»Ich habe dich auf diese Mission mitgenommen, weil ich hoffte, dass du mir bei der Suche nach Atlan helfen würdest. Du hast zugesagt, mich zu unterstützen.«
»Habe ich das? Wusstest du denn nicht, dass ich lüge? Dass ich ein zutiefst verwerfliches Geschöpf bin? Dass ich keinerlei Moral kenne? Dass ich bereit bin zu töten, um meine Ziele zu erreichen?«
»Ich ... Ach, verdammt! Wir reden später weiter. Zuerst müssen wir uns orientieren.«
»Ich unterhalte mich jederzeit und gerne mit dir, Reginald.«
Toio Zindher ging vorneweg und nahm dabei jeweils zwei Stufen, mit federnden Beinen, einem Rhythmus folgend, der leicht und kraftsparend wirkte, während Bull allmählich ins Keuchen kam.
Quick Silver glitt an ihm vorbei und gesellte sich zu Zindher. »Stimmte das, was du über genetische Verunreinigungen der Fenderchasts sagtest?«, hörte Bull ihn leise fragen.
»Ja.«
»Ich dachte, du könntest lediglich die Vitalbilder anderer Wesen sehen und interpretieren. Aber du wusstest weitaus mehr über Khuferchosdd.«
»Ich bin nicht dumm, Quick Silver. Ich verstehe mich unter anderen auf Xeno-Psychologie. Und ich erkenne sehr wohl, wenn ein Wesen unter Stress steht. Wenn sich physische Probleme auf die Psyche auswirken und umgekehrt. Andernfalls hätte ich wohl meinen Beruf verfehlt.«
»Ich verstehe. Du bist sehr interessant.«
»Soll das etwa ein Kompliment sein?« Zindher lachte kurz.
Bull keuchte. Diese Rennerei war nichts für ihn. Natürlich hätte er die Unterstützung des SERUNS in Anspruch nehmen können. Aber was die Tefroderin kann, kann ich schon lange!, dachte er und folgte ihr.
»Wir sind nicht allein«, sagte Quick Silver mit einem Mal. »Es befinden sich etwa dreißig Mos-Chuks im Treppenhaus.«
»Mos-Chuks?« Bull aktivierte die Ortungseinrichtungen seines Anzugs. Sie zeigten nichts. Im Treppenhaus, das über sechzig Absätze zu jeweils fünfzehn Stufen zum Ausgang führte, maßen sie lediglich Toio, Quick Silver und ihn an. Und unten, nahe der Breviatur, machte sich eben der Fenderchast an den langen, beschwerlichen Aufstieg.
»Mos-Chuks sind kleine, unbedeutende Plagegeister. Sie sind gewissermaßen Verwandte von mir.«
»Also Roboter?«
»Sie sind semimaschinell.«
Bull ließ es dabei bewenden. Quick Silver war nicht bereit, verständliche Auskünfte zu geben. Er stieg weiter, von Absatz zu Absatz.
Ein leises Klingeln war zu hören, und als er sich umdrehte, entdeckte Bull ein vierflügeliges Wesen, etwa handgroß, das vor ihm zurückwich und sich in tiefer in den Schatten zurückzog. Er ließ den Brustscheinwerfer grell aufleuchten und suchte nach dem mutmaßlichen Mos-Chuk. Erfolglos.
»Was hast du herausgefunden?«, fragte er die SERUN-Positronik.
»Nichts.«
»Wie bitte?«
»Meine Außensinne werden gestört. Es liegt eine Art Beeinflussung vor, die es mir unmöglich macht, Daten und Informationen zu sammeln oder gar zusammenzufassen.«
»Du bist also blind und taub allen Einflüssen von außen gegenüber? Fühlst du dich angegriffen?« Bull tastete nach seiner Waffe und blieb stehen. »Sind es diese Mos-Chuks, die dich lahmlegen?«
»Nein.« Die Stimme des SERUNS klang monoton. »Ich bekomme eben einen Hinweis. Er stammt von einer ... Intotronik. Sie sagt mir, dass sie mich als Störfaktor einstuft und mich vorerst bloß die Grundversorgungen meines Trägers sicherstellen lässt.«
Intotroniken ... Bull kannte diesen Begriff seit seinem ersten Besuch auf Wanderer. Seit dieser ersten Begegnung mit der Superintelligenz ES. Auch Wanderer wurde von Intotroniken gesteuert. Homunk, einer seiner Helfer, dachte und funktionierte aufgrund eines halborganisch-intotronischen Gehirns.
Pha Gashapars Intotroniken beschränkten also die Funktionstüchtigkeit seines SERUNS und wohl auch die Toio Zindhers. Sie ließen nicht zu, dass die Geheimnisse der Stadt enträtselt wurden.
»Toio?«, rief er nach oben.
»Ich habe es bereits bemerkt«, antwortete die Tefroderin. Sie wartete gemeinsam mit Quick Silver auf Höhe des nächsten Treppenabsatzes. »Wir tragen zig Kilogramm nutzlosen Zeugs mit uns.«
»Wir werden die SERUNS dennoch nicht ablegen«, beschloss Bull. »Mag sein, dass sie uns hier nichts nützen. Doch die Stadt ist nicht unser eigentliches Ziel.«
»... Gentliches Ziel. Gentliches Ziel. Gentliches Ziel ...«
Es waren seine Stimme und seine Worte, die Bull da hörte. Doch sie stammten nicht von ihm. Eine Art Echo prellte sie aus mehreren dunklen Ecken zurück, verschliff die Töne, veränderte Konsonanten und zog die Worte in die Länge. So, als wollte sich jemand über Bulls Aussprache lustig machen.
»Die Mos-Chuks sind bereits an der Arbeit«, sagte Quick Silver.
»Könntest du uns ein wenig mehr über diese Wesen erzählen?«
»Ich dachte, das wäre dir bereits klar geworden? Die Mos-Chuks sind eine Plage, die sich aus dem Stadtteil Vawn-Anders kommend über große Teile Pha Gashapars ausbreiten. Sie verfügen über einen Gruppenintellekt und werden durch ... hm ... Sinneseindrücke dazu gebracht, sich zu vermehren. Treffen sie auf Wesen, die sie interessant finden, nehmen sie an ihrem Leben so lange Anteil, bis sie eine Art maschinelle Erregung erfahren und in einen Baurausch verfallen. Dann schaffen sie Nachkommen. Abkömmlinge ihrer selbst.«
Quick Silver tat einen überraschenden Luftsprung und schnappte mit der Hand nach oben, mindestens zwei Meter über dem Treppenabsatz. Als er wieder landete, federleicht und ohne Lärm zu machen, hielt er etwas in der Hand. Eines dieser vierflügeligen Geschöpfe, das Bull eben erst entdeckt hatte.
»Ein Mos-Chuk jüngerer Generation«, sagte er, ohne auf die Bemühungen des Wesens zu achten, sich aus der Umklammerung zu befreien. »Offensichtlich weiblich bestimmten Geschlechts.« Er hielt den Mos-Chuk seitlich an seinen Kopf, als wollte er einer Stimme lauschen, die nur er hörte.
»Sie beschwert sich über mich. Und sie lässt dir ausrichten, dass sie dich liebt.«
»Mich liebt?«
»Wie ich bereits sagte: Die Mos-Chuks sind trotz ihrer maschinellen Normierung darauf getrimmt, Gefühle zu imitieren.«
»Sie soll das bleiben lassen und einen anderen belästigen.« Bull fühlte eine sachte Berührung am Halsteil seines SERUNS und schlug reaktionsschnell zu. Er verfehlte. Ein Kichern ertönte, gefolgt von einigen leise gesungenen Worten.
»Es dürfte zu spät dafür sein. Du bist auserkoren, Stammvater einer neuen Generation Mos-Chuks zu werden.«
»Du solltest dich geehrt fühlen«, mischte sich Zindher ein. Sie klang amüsiert. »Soviel ich hörte, ist es mit Nachwuchs bei dir ohnedies nicht weit her. Du hast eine einzige Tochter, nicht wahr?«
»Du weißt nichts über mich«, sagte Bull bitter und wehrte ein weiteres der vierflügeligen Winzwesen ab. »Es gibt noch andere Nachkommen. Solche, die mich darum baten, nicht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden.«
Warum erzählte er diese alten Geschichten? Warum redete er über diesen privaten Bereich seines Lebens ausgerechnet im Beisein einer mörderischen Tefroderin und eines Androiden, dessen Motive nach wie vor ungeklärt waren?
»Dennoch fällt es auf, dass die vermeintlich Unsterblichen keine sonderlich große Lust haben, sich zu vermehren.«
Bull stieg zu seinen beiden Begleitern hoch und deutete ihnen, den Weg fortzusetzen. Zwei weitere Mos-Chuks gesellten sich zu jenem weiblichen Exemplar, das Quick Silver eben wieder in Freiheit entließ. Sie kamen auf ihn zugeflattert und umringten ihn. »Unsterblich!«, sirrten sie mit leiser Stimme. »Unsterblich!«
Gaizka Arribachea
»Die Spediteure sind im Anflug«, sagte der Botschaftsprotokollar mit weithin tragender Stimme. »Sie benötigen Landekoordinaten und wollen wissen, ob es sich diesmal für sie lohnt, auf Tann Zwischenstation zu machen.«
»Es lohnt sich wie immer, Johaas«, gluckste Keylor Aloshad vergnügt und schöpfte eine weitere Schale Wein. »Sie sollen ihre Lagerhangars leer räumen und sich darauf vorbereiten, die unglaublichsten Waren zu bekommen. Aber natürlich nur, wenn der Preis stimmt.«
»Ja, Botschafter Aloshad.« Johaas wandte sich um und ging steifen Schrittes davon, langsam und würdevoll. So, wie er es immer tat.
»Wir haben kaum etwas anzubieten, Keylor«, flüsterte ich meinem Botschafter zu. »Du bringst die Apukamuy noch mehr gegen uns auf, wenn du ihnen weitere Lügen erzählst. Du weißt doch, in welchem Chaos ihr letztmaliger Besuch geendet hat.«
»Ach, zerbrich dir bloß nicht deinen hübschen Kopf, Gaizka.« Aloshad nahm einen weiteren Schluck. Roter Saft troff über sein Kinn und platschte auf das Hemd des Botschafters. »Du weißt doch: Im modernen Geschäftsleben geht es nicht darum, Ware zu verkaufen. Wir bieten Ideen an. Verpackungen. Schein statt Sein. Nur damit hat man heutzutage Erfolg. – Mehr Wein! Siehst du nicht, dass ich verdurste?«, rief er einem der einheimischen Diener zu, um sich gleich darauf wieder mir zuzuwenden. »Wenn es nach dir ginge, Freund, würden wir heute im selben Elend wie die Laameres dahindümpeln und müssten auf jeglichen Komfort verzichten.«
Ich verzichtete auf einen Einwand. Es gab Dinge, über die man mit dem Botschafter der Liga Freier Terraner besser nicht diskutierte.
»Unsere Besucher werden Sklaven verlangen, wie immer.« Ich kramte meine Liste hervor und legte sie vor Aloshad auf den Throntisch. »Leider haben die Laameres kaum brauchbares Material geliefert. Auch das wird man uns vorhalten.«
»Ach, verflucht, Gaizka!« Aloshad schleuderte den Kelch an mir vorbei, Teile der Flüssigkeit spritzten über mein Gesicht. »Es sind noch drei oder vier Tage, bis die Herren von Andro-Gamma auf diesem grässlichen Erdklumpen landen, nicht wahr? – Heute sprechen Würdenträger der Nordwest-Kalamanen bei uns vor, morgen erwarten wir Dampfkutschen mit Vertretern des Parsenreichs und aus Sonawyz, das sich seine Neutralität wie immer mithilfe von Ablasszahlungen erhalten möchte. Und übermorgen ... merde, sind es die West- oder die Ostbarenaten, die uns ihre Aufwartung machen? Ich verwechsle sie immer wieder. Sie sind sich auch gar zu ähnlich.«
»Die Ostbarenaten pflegen eine konstitutionelle Monarchie, während die Westbarenaten auf einen Oligarchenrat hören ...«
»Wir haben doch gewiss unsere Leute in den jeweiligen Regierungen sitzen?«
»Selbstverständlich.«
»Und sie legen Störfeuer, bevor das Pflänzlein der Demokratie zu gedeihen beginnt?«
»Wie immer, Botschafter.«
»Na also! Gewiss werde ich mir in den nächsten Tagen genügend Gewinsel der jeweiligen Regierungsvertreter anhören müssen. Man wird mich anbetteln, für das eine oder das andere Land Partei zu ergreifen. Und man wird mir irgendwann eine Offerte machen, der ich nicht widerstehen kann. Oder mehrere.« Er winkte larmoyant mit seiner Rechten, ein Laameres reichte ihm einen weiteren Kelch mit Wein. »Was haben denn zum Beispiel die Ostbarenaten an Handwerkskunst anzubieten?«
»Schmiedearbeiten, Botschafter. Handgeschmiedete Ziergitter, Geländer oder Zäune, die in manchen Teilen Kams als Ausdruck besonderer Extrovertiertheit gelten und entsprechend teuer gehandelt werden.«
»Na also! Ich werde zusehen, dass diese Westbarenaten ...«
»Es sind die Ostbarenaten, Botschafter ...«
»Meinetwegen! Also, dass diese Westbarenaten tonnenweise ihre Kunstwerke heranschleppen. Gegen kleine Gefälligkeiten, die ihnen im drohenden Konflikt gegen nachbarliche Feinde einen geringen Vorteil verschaffen.« Aloshad nahm einen tiefen Schluck. »Ich habe eine Bitte, teurer Freund.«
»Ja?« Ich beugte mich zum Botschafter hinab.