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Die Hauptpersonen des Romans
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Kommentar
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2782
Duell auf Everblack
Die KRUSENSTERN in geheimer Mission – sie tritt gegen den Posbi-Wahn an
Susan Schwartz
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.
Die beiden Atopischen Richter der Milchstraße können allerdings auf ein Heer an Helfern zurückgreifen. Ihr militärisch-exekutiver Arm sind die Onryonen, die es verstehen, die Ordo durchzusetzen. Ein militärisches Hilfsmittel dazu sind Linearraumtorpedos, ein politisches die Aufteilung der Galaxis in Sektoren, und ein weiteres die Ordischen Stelen, die zur Rechtsprechung eingesetzt werden und das Vertrauen in die Atopische Ordo stärken sollen.
In der Milchstraße profitieren die Tefroder unter Vetris-Molaud von den neuen Verhältnissen und weiten ihr Einflussgebiet und ihre Macht immer mehr aus. Ausgerechnet die Posbis, bislang treueste Verbündete Terras, wenden sich aus dubiosen Gründen von der LFT ab und Vetris-Molaud zu. Nicht alle Terraner sind bereit, dies einfach hinzunehmen, und so kommt es zum DUELL AUF EVERBLACK ...
Viccor Bughassidow – Der Multimilliardär muss Entscheidungen hinnehmen.
Marian Yonder – Der Kommandant der KRUSENSTERN muss erleben, wie die Posbis unter fremde Kontrolle geraten.
Jatin – Die Ara muss sich ihrer Verantwortung stellen.
Peo Tatsanor – Der Báalol muss seine eigenen Entscheidungen treffen.
Tetoon – Ein Neuer Posbi wird gefangen gehalten.
18. März 1517 NGZ
In den Anlagen Everblacks
»Verdammt!«, schrie Soco Dukam, »verdammt, verdammt!«
Er schrie immerhin nicht laut über das Außenmikro, sondern auf der abgeschirmten internen Funkverbindung. Und dass er dabei rannte, so schnell er nur konnte, sah niemand, da er im Schutz des Deflektors unterwegs war. Zusätzlich war der modifizierte Individualabsorber aktiviert, damit die Posbis keinesfalls in der Lage waren, das »Fleischleben« aufzuspüren.
Allerdings bestand seit einiger Zeit ohnehin kaum mehr die Gefahr einer Entdeckung, denn die Posbis waren hauptsächlich mit sich beschäftigt: Eine Seuche hatte sie befallen, die bei ihnen Paranoia erzeugte, jedenfalls stellte es sich für ihn so dar. Zudem waren die Posbis noch mit irgendwelchen unerklärlichen Dingen beschäftigt, deren Sinn herauszufinden die Aufgabe von Dukams Team war.
Die ausdrückliche Anweisung lautete dabei, unter keinen Umständen entdeckt zu werden oder auch nur den Hauch einer Spur zu hinterlassen.
Der Grund war ebenso schlicht wie haarsträubend: Die Terraner galten den Posbis seit Neuestem als der Feind.
Insofern achtete Soco Dukam selbst während seiner Flucht darauf, jeglichem Hindernis großzügig auszuweichen, was bei seiner panischen Geschwindigkeit nicht einfach war.
»Wo seid ihr?«, erkundigte sich der auf Technik spezialisierte Leiter der kleinen Erkundungstruppe nach seinen Begleitern. Er hatte keine Zeit, auf die Ortungsanzeige zu blicken. Sie war ohnehin minimalisiert und hätte nicht mehr als drei sich schnell bewegende Pünktchen angezeigt.
»Dir voraus, wie immer«, kam es von Mira Aljaso, die zumeist vorneweg war.
Der Dritte im Bunde, Telek Deh, ergänzte: »Ich hänge dir auf den Fersen. Kann deinen Angstschweiß selbst durch das geschlossene System riechen.«
»Wie konnte das nur passieren?«, rief Soco, ohne darauf einzugehen. »Warum haben wir es nicht schneller erkannt?«
»Wer rechnet denn mit so etwas?«
»Hätte nie gedacht, dass ausgerechnet die derart durchknallen.«
»Wir hätten die Entwicklung vorhersehen müssen!«
»Nützt uns jetzt nichts mehr.«
»Haben es trotzdem gleich geschafft.«
»Nur die Ruhe!«
Genau. Was sollte schon geschehen? Gewiss, der Komplex, in dem sie sich aufgehalten hatten, um »herumzuschnüffeln«, wie sie es salopp bezeichneten, war ziemlich groß: geschätzt dreißigtausend Quadratmeter Bodenfläche, dazu noch einmal gut zwanzig Meter Höhe. Eine Fertigungshalle mit mehreren Produktionsaufbauten mit teilweise durchaus drangvoller Enge an Maschinen und Lagerstätten, aber es gab durch fehlende Abtrennungen dennoch so gut wie keine Deckung.
Außenstehende wie etwa die Schiffsführung der KRUSENSTERN, die in der Zentrale auf einen holografischen Plan starren mochte, hätten annehmen können, dass die »Schnüffler« durch die ausgedehnte Höhe der Halle im Flug schneller vorankämen. Das war in der Praxis leider ein Irrtum, denn die Maschinenarme und Kräne veränderten sich permanent, wuchsen in die Höhe und in die Breite und bewegten sich derart schnell – teilweise mit peitschenartiger Geschwindigkeit –, dass Ausweichmanöver zu viel Zeit gekostet hätten und die Gefahr der Entdeckung sehr hoch war.
Am Boden war es tatsächlich am sichersten, dort gab es so gut wie keine Veränderungen und ausreichend Platz für die vergleichsweise kleinen Menschen. Aber dadurch geriet der Weg faktisch länger, denn normale Menschenbeine kamen niemals an die Geschwindigkeit der Flugaggregate heran.
Also rannten sie trotz der gegenseitigen Beruhigungsversuche um ihr Leben; gewisse Ereignisse trieben den Adrenalinpegel nun einmal in die Höhe, selbst wenn man einen SERUN trug.
Wie viel Zeit blieb ihnen noch?
Genug, sollte man meinen. Der Schutzschirm eines SERUNS konnte eine Menge aushalten. Er gehörte zum besten, was die galaktische Technik aufzubieten hatte. Hieß es zumindest immer.
Damit konnten sie ein Inferno wohl überstehen.
Getestet hatte Soco Dukam das allerdings nie. Zum Glück, musste hinzugefügt werden. Und ob er und seine Leute nun tatsächlich der Technik letzten Schrei auf dem Leib trugen, war keinesfalls gesagt. Der Schiffseigner war ein schwerreicher Typ, der als Menschenfreund galt und ein guter, zu gewissen Gelegenheiten durchaus leutseliger Arbeitgeber war. Aber mit großzügiger Verschwendung bis in die untersten Chargen wurde man gewiss nicht zum Multimilliardär. War schon möglich, dass an dem einen oder anderen Eckchen ein bisschen gespart worden war. Wussten sie, ob es nicht gerade bei ihnen der Fall war?
In der Theorie sah alles beruhigend und gut aus, in der Praxis aber blieb ein Rest Unsicherheit des Waswärewenn.
Ach was, nicht verrückt machen. Sie konnten es schaffen. Die Möglichkeit bestand! Sie waren jung, sie waren körperlich fit, und das Schott befand sich in sichtbarer Nähe.
Soco schickte wiederholt ein Signal ab, versuchte die Führung der KRUSENSTERN zu warnen. Aber bei den vorherrschenden Störungen konnte er nicht sagen, ob sein Ruf überhaupt ankam und identifiziert werden konnte. Das hatte bereits in den letzten Wochen kaum funktioniert, am besten klappte es von der Planetenoberfläche aus. Wer zur Erkundung ausgeschickt worden war, operierte allein und konnte sich nur auf seine eigene Geschicklichkeit verlassen.
»Schneller, schneller!«
Sie spornten sich gegenseitig an.
Bisher war immer alles gut ausgegangen.
Weil wir bisher nicht diese verdammte Entdeckung gemacht hatten ...
Vierzig Meter bis zum Ausgang.
Der Teamleiter traf eine Entscheidung entgegen des Befehls: Er musste zwischen der Sicherheit seines Teams und der Gefahr der Entdeckung wählen. Sie hatten die Zielgerade erreicht, wo gerade keine durchgeknallten Maschinen herumhampelten. Was immer an Energieemissionen angemessen werden konnte, war in wenigen Sekunden ohnehin Makulatur. Priorität hatte es, das Team in Sicherheit zu bringen und Bericht zu erstatten.
»Flugaggregat und Antigrav aktivieren, sofort beschleunigen!«, erteilte Soco Anweisung. Ihnen blieben nur wenige Sekunden.
Dreißig Meter.
Die Schleuse rückte in greifbare Nähe. Mira sendete den Öffnungsimpuls, den ein Kollege mithilfe von Madame Ratgeber Ende Februar ertüftelt hatte und der bislang überall funktioniert hatte.
Sie hoben ab und schossen mit angelegten Armen wie Torpedos auf die sich weitende Öffnung zu.
Zehn Meter! Gleich geschafft!
Aber ...
Da ...
Der Deflektor flackerte.
Der Schutzschirm knisterte.
Der Antigrav fiel aus.
Sämtliche Anzugsysteme versagten.
Für einen Sekundenbruchteil verharrten die Menschen in der Luft, während sie gleichzeitig sichtbar wurden und sich gegenseitig in die erschrockenen Gesichter starrten. Eine subjektiv nicht messbare Zeit, die eigentlich keine bewusste Wahrnehmung zulassen dürfte, und doch sahen sie einander in diesem letzten Moment, der ihr Gehirn zu höchster Leistung antrieb.
Dann stürzten sie wie Steine zu Boden.
Die Sehnerven registrierten den grellen Blitz, dann schmolzen die Augäpfel.
Die Detonation hörten sie nicht mehr.
*
»Chef!«, schrie Marian Yonder, der sonst so besonnene, zurückhaltende Mann, in heller Aufregung, als Viccor Bughassidow die Zentrale der KRUSENSTERN betrat.
Bughassidow war der Eigner der KRUSENSTERN und betitelte sie manchmal auch als »Privatjacht« – eine humorige Bezeichnung für einen Giganten mit 2500 Metern Kantenlänge. Sofort identifizierte er Yonders Tonlage als ungewöhnlich und hob erstaunt die Brauen.
Der Kommandant kam ohne Verzögerung auf den Grund seiner außergewöhnlichen Aufregung: »ADAM ... hat da etwas geortet!« Yonder deutete mit leicht zitterndem Zeigefinger auf eine Anzeige, die gleichzeitig auf Großformat hochfuhr.
Bughassidows Lippen wurden zu schmalen Strichen, seine hellen Augen verengten sich. »Wo?«, erkundigte er sich knapp.
»In Sektor 8/24/356«, lautete die Antwort.
In einem Einsatzgebiet also. Sie hatten die Tiefen Everblacks, die bereits für Erkundungen kartografiert waren, in Sektoren eingeteilt und einen Plan aufgestellt, in dem Zeit, Ort, Dauer und Zusammensetzung der Teams festgehalten wurden. Bedingt durch die häufigen Funkstörungen bei dem Chaos, das zusehends in den oberirdischen und subplanetaren Anlagen herrschte, und um die Entdeckungsgefahr möglichst gering zu halten, operierten die jeweiligen Gruppen nahezu autark.
»Befand sich dort eine unserer Einheiten?«, fragte Bughassidow, ohne eine Miene zu verziehen. Wie zu Marmor versteinert stand er da.
»Ich fürchte, ja«, sagte Yonder leise, blass im Gesicht. »Insgesamt drei Leute, ein kleines, bewährtes Team, angeführt von Soco Dukam.«
»Und sie haben sich nicht gemeldet.«
»Nein. Es könnte natürlich sein ...«
»Wir gehen da runter und sehen nach«, unterbrach Bughassidow mit herrischer Geste. »Ich selbst«, fügte er düster hinzu.
Experiment ... misslungen
Bughassidow schaltete eine Verbindung zu der Ara, die offiziell als seine Leibärztin fungierte. Nach kurzem Nachdenken erweiterte er die Adressliste um einen jungen Báalol, der vor nicht allzu langer Zeit Helfershelfer eines Jaj gewesen war und seitdem im Grunde seinen Gefangenenstatus nie formal verloren hatte.
»Jatin, Tatsanor, in meinen Besprechungsraum!«
Die beiden trafen kurz darauf bei ihm ein, und Bughassidow kam ohne Umschweife zur Sache: »Es hat eine gewaltige Explosion in Sektor 8/24/356 gegeben. Es steht zu befürchten, dass dabei ein dreiköpfiges Team von uns dr... verloren gegangen ist. Wir drei wiederum werden herausfinden, was dort geschehen ist.«
»Du schickst kein anderes Team?« Die Ara schüttelte ihr langes, schwarzes Haar, das völlig untypisch für ihr sonst kahlköpfiges Volk war und sie auf den ersten Blick wie eine fragile Terranerin erscheinen ließ. Jedenfalls, solange man die albinotisch roten Augen und die porzellanweiße Haut ignorierte.
»Nein, das sehen wir uns selbst an. Das ist eine große Sache, und unsere Posbifreunde hier an Bord sollen das auch sehen.« Bughassidow zeigte ADAMS Aufzeichnungen und fügte hinzu: »Aktuell scheint unser Bordgehirn wie bisher in Ordnung zu sein, korrekt?«
Jatin machte eine zustimmende Geste. »Er scheint nicht von der Paranoia infiziert zu sein.«
Noch waren sie nicht dahintergekommen, was genau die Posbis befallen hatte. Jatin hatte vor allem an den Balpirol-Halbleitern programmierte Prionen identifiziert, infektiöse Eiweißpartikel. Die Balpirol-Halbleiter bestanden teils aus biologischer Materie und teils aus anorganischen Stromleitern; sie waren der Kern jeder hypertoyktischen Verzahnung und in allen Biopositroniken und Hyperinpotroniken enthalten.
Das bedeutete, es handelte sich durch den infektiösen Aspekt um eine verheerende, hochansteckende Seuche. Wer sie gezielt einsetzte, konnte sie als Waffe gegen die Terraner nutzen – und zwar mit durchschlagendem Effekt innerhalb weniger Minuten. Bughassidow und seine Leute hatten das live auf der Dunkelwelt erlebt. Konnten bis heute die Auswirkungen nicht exakt vorausberechnen und wussten keine Lösung, wie eine weitere Ansteckung verhindert werden konnte.
Immerhin war die KRUSENSTERN momentan noch gut isoliert, denn keiner der Posbis, einschließlich des Plasmakommandanten ADAM, zeigte bisher Anzeichen einer »Bewusstseinsstörung«, wenn er es dezent ausdrücken wollte. Doch dieses Bedürfnis empfand er nicht: Was seinen Freunden drohte, war eine groteske, aggressive Paranoia, die sich ausschließlich gegen die Terraner richtete. Die einstigen besten Freunde wurden nach Jahrtausenden zum Feind erklärt und mit dem eindeutigen Ziel verbunden eliminieren, eliminieren.
So eine Seuche kam nicht von irgendwoher, und sie sollte garantiert nicht dem Zufall überlassen werden.
Die Urheber waren die Tefroder. Und das war keine Annahme, sondern erwiesene Tatsache. Allerdings wollte Bughassidow nicht ausschließen, dass die Onryonen bei der Entwicklung der Erreger die Finger mit im Spiel gehabt hatten.
Sie hatten sich gleich selbst geoutet, als kurz nach dem Ausbruch der Seuche Vetris-Molauds Flaggschiff VOHRATA mit einem kleinen Verband weiterer Schiffe am Horizont der geheimen Dunkelwelt aufgetaucht war und von den Posbis wie ein Erlöser euphorisch begrüßt worden war. Der Tamaron des Neuen Tamaniums hatte sich nicht gezeigt oder sonst wie offenbart, sodass undurchsichtig blieb, ob er sich persönlich an Bord befunden hatte, und sein Schiff war bald darauf wieder abgeflogen. Vermutlich hatte der Auftritt nur einem einzigen Zweck gedient – festzustellen, ob der Plan klappte.
Dafür waren allerdings kurze Zeit darauf zwei neue tefrodische 770-Meter-Raumer der ASALLUC-Klasse, die BOPHON und die TYAMANIS, auf dem Planeten gelandet. Die hatten garantiert einen aktiven Auftrag!
Bisher hatten die Erkundungsteams der KRUSENSTERN nicht herausfinden können, was die Tefroder auf Everblack trieben. Diese wiederum kümmerten sich nicht um das geparkte, wieder als uralte BOX getarnte Schiff. Nach einem kurzen Funkaustausch mit ADAM, der sie offenbar mit seinen Antworten zufriedengestellt hatte, herrschte Stille zwischen ihnen. Die Tefroder gingen nicht zu Unrecht davon aus, dass auch die Posbis dieser BOX infiziert waren.
Darin täuschen sie sich, dachte Bughassidow voller Ingrimm.
»Marian wird mitgehen wollen«, wandte Jatin ein, nachdem Viccor nur von den drei Anwesenden in diesem Raum gesprochen hatte. Niemand kannte sich mit den Posbis besser aus als Kommandant Yonder, er war geradezu besessen von ihnen.
»Abgelehnt«, sagte Bughassidow kurz angebunden. »Er muss auf ADAM aufpassen. Und auf unseren Gefangenen – Tetoon.«
Das allerdings war brisant. Tetoon war quasi ein jüngerer »Bruder« von Jawna Togoya, der »Super-Posbi« und ehemaligen Kommandantin der JULES VERNE. Er sah aus wie ein Mensch, von angenehmem Äußeren und mit wohlklingender Stimme. Durch die Ansteckung hasste er nun nichts mehr als ausgerechnet jene Hülle, die er einst als die höchste Entwicklung seines Volkes genossen hatte, und in der sein mit überragenden kognitiven Fähigkeiten ausgestatteter Verstand gefangen saß.
»Was wird Marian dazu sagen?«
»Er weiß es schon. Und es ist ihm recht. Er möchte die Bewachung ADAMS keinem anderen überlassen. Von Tetoon ist er ja überaus angetan und will nichts unversucht lassen, in dessen kranken Verstand vorzudringen und ihm begreiflich zu machen, was mit ihm geschehen ist. Als Kyberpsychologe ist er genau der richtige Mann für beide Aufgaben – und als Kommandant sollte er ebenfalls unter den gegenwärtigen Umständen an Bord bleiben.«
»Falls ein Notstart erforderlich sein sollte. Selbst, wenn wir noch nicht zurück an Bord sind.«
»Mhm.«
Der Báalol Peo Tatsanor hatte sich bisher still verhalten. Er gab sich nie als Beteiligter, sondern als Außenstehenden, der die Dinge aus einer gewissen Distanz betrachtete. Er trug eine für sein Volk untypische Haarmähne. An der Seite des Jaj hatte er sie für einige Zeit zu braunroten Stoppeln gekürzt, sie aber nach dem Verrat seines Partners, der Gefangennahme und dem entwürdigenden Glasfrost-Entzug wieder wachsen lassen. Mittlerweile sah er fast wieder so aus wie der, der er einst gewesen war. Bevor das alles geschehen war, bevor er sich hatte ver- und von seiner Heimatwelt entführen lassen.
Nun aber machte er sich bemerkbar. »Und mich willst du dabeihaben, weil ...?«, fragte er mit leicht hochgezogenen Brauen. Wie Bughassidow wusste, hatte er in den vergangenen Wochen bereits einige Male versucht, Jatin darauf hinzuweisen, dass seine Hilfe eventuell angebracht wäre; er hatte dies auf ihre Art getan, ein wenig kokettierend, ein wenig devot. Das alles hatte nichts gebracht – scheinbar. Denn nun saß er nach Tagen der Untätigkeit und Langeweile auf einmal vor dem Eigner der KRUSENSTERN.
»Das weißt du doch genau«, sagte Viccor finster, der für diese Art »Spielchen« nichts übrighatte. »Beweise dich!«
»Du forderst einen weiteren Ausdruck meiner Loyalität. Die Probezeit für den zu verdienenden Vertrauensbonus beträgt vermutlich meine Lebenszeit.« Peo zeigte ein freudloses Lächeln. Er warf einen anzüglichen Seitenblick auf Jatin. »Und nebenbei trage ich noch zum Amüsement an Bord bei.«
Das Verhältnis des jungen Báalol zu der Medikerin konnte man nicht anders als kompliziert bezeichnen. Die beiden umtanzten einander, wie Bughassidow fand: Sie ließ kaum eine Gelegenheit aus, ihn zu demütigen, während er offenbar von ihr fasziniert war. Welche Gefühle mochten da, offen oder unerkannt, im Spiel sein? Hasste Peo die Medikerin als seine Peinigerin, die des Spiels nie müde wurde, ihn daran zu erinnern, dass sie sein Leben gerettet hatte? Die Báalols waren ein stolzes Volk, und diese Charaktereigenschaft schien bei dem jungen Mann zur Halsstarrigkeit perfektioniert worden zu sein. Es wäre interessant zu beobachten, was bei ihm letztlich überwiegen würde ...
Viccor Bughassidow grinste flüchtig, aber immerhin so deutlich, dass Peo es wahrnehmen musste. Wie so viele andere vermutete der Báalol eine besonders intime Freundschaft zwischen dem Schiffseigner und dessen Leibärztin, aber wie die anderen würde er mit der Ungewissheit leben müssen. Dass ihm dies nicht gefiel, konnte der terranische Multimilliardär dem jungen Mann ansehen. Ja, eindeutig: Peo war verschossen in die Ara, womöglich sogar verliebt.
Aber welcher gesunde junge Mann wäre das nicht?
*
Sie trafen sich am gewohnten Ausstieg, wie bei jeder Exkursion mit leichten SERUNS ausgestattet, in denen Vorräte für drei Tage integriert waren, und nahmen ihre Plätze ein. Madame Ratgeber hatte sich bereit erklärt, Peo Tatsanor wieder zu »übernehmen«, und dafür war er dankbar. Er hatte sich an den einigermaßen bequemen Kontursitz im Inneren des um einiges aufgemotzten Posbispezialisten für Aufklärung, Translation und Dechiffrierung gewöhnt, wie auch an den Gastgeber selbst. Madame Ratgeber war ebenso eine Ausnahme wie Jawna Togoya – wer hatte von anderen Posbis gehört, die sich einer speziellen Geschlechterrolle zuwandten?
Viccor und Jatin nahmen in zwei neuen, speziell für sie konstruierten Posbi-Schatullen Platz, die sich spröde als Esther-48 und Tazzo vorstellten und ansonsten große Schweiger waren. Zum Ausgleich waren sie mit den neuesten Defensiv- und Offensivwaffen ausgestattet. Damit machten sie gewissermaßen dem Mini-Waffenmonster namens Getupfter Fernand Konkurrenz, der zusammen mit Vescer-67 ebenfalls mit von der Partie war. Die beiden Waffenbrüder ließen keinen »Ausflug« aus.
Dank der Individualabsorber bestand keine Gefahr für die Organischen, als Terraner und damit als der Feind