Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Leserkontaktseite
Kommentar
Nachruf Eckhard Schwettmann
Risszeichnung Terranischer Mikro-Transitions-Hyperkonverter (MTH)
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2783
Retter der Laren
Perry Rhodan will sie befreien – aber die Gefangenen haben eigene Pläne
Hubert Haensel
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.
Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande seien. Um dorthin zu gelangen, braucht es aber Atlan als Piloten und ein Richterschiff als Transportmittel.
Ein solches zu besorgen, ist die aktuelle Mission des Terraners.
Er sieht nur eine Chance, wenn er mit den lokalen Kräften zusammenarbeitet. Um dies zu erreichen, wird er zum RETTER DER LAREN ...
Perry Rhodan – Den unsterblichen Terraner gibt es zweimal.
Reginald Bull – Rhodans ältester Freund erfüllt sein Versprechen.
Gucky – Der Mausbiber muss lernen, mit seinem zweiten paranormalen Leben zurechtzukommen.
Atlan – Der Arkonide erreicht die Larengalaxis.
Warum muss ich diesen Mann begleiten?
Die stumme Ablehnung erzeugte einen bitteren Geschmack, den der Schwarze Bacctou bislang nicht kannte, zumindest erinnerte er sich an keine ähnlich unangenehme Empfindung.
Was habe ich mit ihm zu schaffen? Er ist kein Schiffbrüchiger, trotzdem soll ich ihn durch die CHEMMA DHURGA führen. Interessanter wäre es, der Spur des Artefakts zu folgen.
Zögernd ließ Bacctou die kristalline Kugelsphäre, mit der er den Terraner abgeholt hatte, zu Boden sinken. Die Kristallhülle riss auf und gab den Ausstieg frei. Die feuchtwarm einströmende Luft roch nach einem Hauch von Moder.
Geschmeidig schritt der Passagier auf den Durchgang zu, blieb jedoch vor dem Spalt stehen und wandte sich um. Mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand rieb sich Perry Rhodan das Kinn. Er zog die Mundwinkel leicht in die Höhe, die Lippen entblößten zwei Reihen heller Zähne.
Und nun?, schien der Blick aus graublauen Augen zu fragen.
»Wir sind da«, sagte Bacctou. Mehr hielt er nicht für nötig.
Außerdem ertappte er sich dabei, dass er ebenfalls das Gesicht verzog. Es war exakt die mimische Bewegung, die Rhodan vor wenigen Sekunden vorgemacht hatte. Die Nachahmung versetzte Bacctou allerdings nicht in die Lage, deren Sinn und Bedeutung zu erkennen, er konnte vorerst nur vermuten. Heiterkeit, diese glaubte er zu spüren.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte der Terraner.
»Das liegt an dir.«
Der »Gast« der Richterin Saeqaer im Globus Zwei der WIEGE DER LIEBE gab sich damit nicht zufrieden. Bacctou hatte die unverhohlene Neugierde mittlerweile erwartet, er beobachtete seinen Schützling aufmerksamer. Es war nicht einfach, Rhodans Ausstrahlung aufzunehmen.
Ein Wort gab das nächste. Während Bacctou rein mechanisch antwortete, konzentrierte er sich intensiver auf den Fremden. Sein Auftrag lautete, in Rhodans Nähe zu bleiben. Dabei hatte er die Richterin auf das Artefakt angesprochen – nein: Er hatte es versucht, war aber nicht zu Wort gekommen.
Abschätzend, mit einem gewissen Wohlwollen, dessen Ursprung aus seinem Unterbewussten zu kommen schien, taxierte er den Terraner.
Wie alt mochte Perry Rhodan sein?
Ein Hauch endloser Jugend umgab ihn. Bacctou sog die eigentümliche Aura in sich auf. Er empfand ein künstliches Nicht-Altern, allerdings anders, als er dies bei der Richterin wahrnehmen konnte.
»Wenn ich zusammenfassen darf: Dein Auftrag lautet ...«
Etwas in Rhodans Stimme hatte sich verändert. Eine Nuance nur, doch Bacctou registrierte es überdeutlich. Eben war er im Begriff gewesen, den Terraner zu analysieren, sich in ihn hineinzudenken. Genauso unvermittelt fragte er sich, wie Rhodan seinerseits ihn empfinden mochte. Als unvollkommene Gestalt, die aus einem schwarzen Block herausgearbeitet worden war, grobschlächtig und unfertig, weil sein Unterleib bislang nicht anders aussah als ein rundum glatter Steinsockel?
Eine Schachfigur, die Saeqaer ins Spiel gebracht hat? Bacctou wusste plötzlich, was eine Schachfigur war. Er kannte das Aussehen einer Dame ebenso wie die Funktion eines Springers, und ihm wurde klar, dass ein Läufer diagonal bewegt wurde, ein Turm hingegen stets geradlinig. Ob es ihn reizen würde, jemals Schach zu spielen, vermochte er nicht zu erkennen.
»... mich fortan zu begleiten, während ich innerhalb von Globus Zwei der CHEMMA DHURGA tun und lassen darf, was mir beliebt?«
Für einen Moment hatte Bacctou sich ablenken lassen und nicht darauf geachtet, was der Terraner sagte. Es fiel ihm trotzdem nicht schwer, den Sinn zu interpretieren.
»Ja«, antwortete er schlicht.
Rhodan kratzte sich am Nasenflügel. Bacctou machte exakt dieselbe Bewegung, er konnte gar nicht anders, war überzeugt, wie der Terraner eine winzige juckende Narbe an der Nase zu haben.
Woher stammte diese Narbe? War sie die Folge einer Verletzung oder angeboren?
Bacctou ertappte sich dabei, dass ihn aller anfänglichen Ablehnung zum Trotz die Eigenheiten des Fremden interessierten.
Obwohl er die Spur des Artefakts verlieren würde ...
*
Perry Rhodan verschränkte die Hände im Nacken und streckte sich. Mehr denn je hatte er den Eindruck, das halbe Leben bestünde aus Warten. Sein Blick streifte Gucky. Der Mausbiber war wie in Trance versunken. Reglos, die Augen geschlossen, kauerte er in dem für ihn viel zu großen Sessel.
Rhodans Blick glitt zurück zur Bildwand, die das Geschehen im Nebenraum zeigte. Er hätte nicht zu sagen vermocht, was er dabei empfand. Eine innere Leere? Gleichgültigkeit? Eher irritierte ihn die eigene Anspannung.
Nachdenklich betrachtete er das Gesicht seines Ebenbilds. Es war keineswegs, als blickte er in einen Spiegel, der die Seiten vertauschte und damit die Realität verfälschte. Die kleine Narbe an seinem rechten Nasenflügel saß auch bei seinem Doppelgänger rechts; die dunkelblonde Haarsträhne fiel der Kopie ebenso leicht in die Stirn; die Schatten unter den Wangenknochen, dieser unverkennbare Hauch des gestoppten Bartwuchses ...
Perry Rhodan biss sich auf die Unterlippe. Der andere, seine Kopie, der Schwarze Bacctou, streckte sich. Er hob beide Arme, verschränkte die Hände im Nacken und drückte die angewinkelten Ellenbogen leicht nach außen.
Rhodan fröstelte. Sich an diese Duplizität zu gewöhnen fiel ihm schwerer als erwartet. Der Schwarze Bacctou war kein gewöhnlicher Doppelgänger. Sie glichen einander nicht nur wie ein Ei dem anderen, sie waren identisch: gleich in jeder Zelle, gleich in ihren Gedanken, ihrer Handlung, in ihren Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten.
Der eine war das vollkommene Ebenbild des anderen – wobei sich jeder Beobachter zwangsläufig fragen musste, wer das Original und wer die Fälschung war.
Ich würde es unter diesen Umständen ebenso wenig erkennen.
Rhodan fühlte sich bis auf die Seele entblößt. Den Eindruck, dass der Schwarze Bacctou auf ein bedrohliches Ziel hinarbeitete, konnte er nicht verdrängen. Nachdenklich kratzte er sich an der Nase ...
... und hielt den Atem an, als sein Ebenbild genau das ebenfalls tat. Als wären sie beide Marionetten, deren Fäden ein Unbekannter nach Belieben zog.
Rhodan kaute auf seiner Unterlippe. Es lag an ihm, die unsichtbaren Fäden zu kappen und dem Spuk an Bord der RAS TSCHUBAI ein Ende zu setzen. Doch bislang sträubte sich alles in ihm dagegen, dass er den Schwarzen Bacctou so vollständig isolierte und nach außen abschirmte, wie es dafür nötig war. Denn dann würde er die Wahrheit womöglich nie erfahren.
Wer steht hinter dir?, fragte er in Gedanken. Allein die Richterin Saeqaer? Oder ist sie ebenfalls nur ein Werkzeug?
Der Schwarze Bacctou hob den Kopf. Die schnelle, ruckartige Bewegung überraschte Rhodan. Sein Doppelgänger blickte ihn durchdringend an, als wäre er sich erst in der Sekunde bewusst geworden, dass er permanent überwacht wurde.
Perry Rhodan versuchte in den Augen des anderen zu lesen und wenigstens eine Gefühlsregung zu erkennen. Es fiel ihm schwer, weil es seine eigenen Augen waren, in die er blickte – ein stummes Kräftemessen zweier ebenbürtiger Gegner.
Ich werde ihn nicht besiegen können und er mich ebenfalls nicht.
Der Schwarze Bacctou starrte auf einen der optischen Sensorpunkte in seinem Quartier, von denen kaum einer zufällig zu entdecken war.
Er kann die Überwachung nicht kennen, überlegte Rhodan. Als Bacctou in der CHEMMA DHURGA meine Identität annahm, war mir die Ankunft der RAS TSCHUBAI in Larhatoon noch unbekannt. Und seit jenem Zeitpunkt entwickeln wir uns auseinander ...
Oder nicht? War diese Annahme falsch, weil der Schwarze Bacctou den Kopiervorgang keineswegs abgeschlossen hatte? Perry Rhodan löste die Hände im Nacken, zog sie aber nicht zurück, sondern bohrte sich die Fingernägel in die Haut. Wenn er sich in diesem Moment blutige Striemen kratzte, würde sein Ebenbild diese Wunden gleich darauf ebenfalls aufweisen?
Bacctou wandte den Blick zur Seite und schaute hinüber zur Nasszelle. Er hatte den zweiten Sensor aufgespürt.
Perry Rhodan kannte die Position der winzigen Spione selbst nicht. Seine Erfahrung und die Logik verrieten ihm jedoch, wo sie installiert sein konnten. Der Schwarze Bacctou verfügte ebenfalls über diese Erfahrung.
Die Bildwiedergabe wechselte zum zweiten Sensor. Der Doppelgänger schritt auf den Durchgang zum Hygienebereich zu, blieb unmittelbar davor stehen und streckte sich. Die Übertragung zeigte, dass Bacctou mit Daumen und Zeigefinger zugriff. Das Bild wurde düster, ließ nur kurz die Hautstruktur einer Fingerkuppe erkennen, dann fiel die Wiedergabe aus.
Jäh schreckte Gucky aus seiner Anspannung auf. Als Rhodan sich ihm zuwandte, sah der Ilt ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Das Entsetzen war ihm anzumerken.
Mit beiden Händen stemmte Gucky sich gegen die Armlehnen, zugleich entblößte er den Nagezahn. Auf Rhodan wirkte es wie die instinktive Abwehrgeste eines in die Enge Getriebenen. Spontan hob er beide Arme und zeigte dem Ilt die leeren Handflächen. Gleichzeitig traf ihn eine unsichtbare Faust und stieß ihn zurück.
»Wie hast du das geschafft?«, rief Gucky schrill. »Du bist der Falsche, die Kopie! Hast du erwartet, ich würde das nicht merken?«
Ein zweiter telekinetischer Hieb trieb Rhodan rückwärts gegen die Wand und ließ ihm nicht die geringste Bewegungsfreiheit. Bevor er überhaupt hätte antworten können, packte ihn eine unwiderstehliche Faust unter dem Kinn und hob ihn hoch.
Der Mausbiber schwang sich aus dem Sessel. Heftig schlug er mit zwei Fingern auf den Multikom, den er am linken Kragenaufschlag trug, und aktivierte das Gerät.
»Gucky in Quartier 27. Ich brauche zwei Kampfroboter – sofort!«
*
Ein kaum wahrnehmbares Geräusch ließ Bacctou aufmerken. Es erweckte den Eindruck, als folgte ihm jemand durch den Morast – jemand, der fähig war, sich vor ihm zu verbergen. Bacctou hatte die Stelle eben erst passiert. Außer weit verzweigtem Dornengestrüpp wuchs nichts auf dem nährstoffarmen Boden, es gab also kaum ein brauchbares Versteck.
Er schwebte eine Handbreit über dem weichen Untergrund. Im Wurzelbereich der Sträucher stiegen Gasblasen auf. Ohnehin lastete ein fauliger Chemiegeruch über der Stätte Dreinullneun.
Die in dem Bereich angesiedelte Gruppe Schiffbrüchiger hatte sich allem Anschein nach selbst ausgelöscht. Mehr wusste Bacctou nicht darüber. Dreinullneun war eines der wenigen gesperrten Areale, die eines Tags zur Regeneration anstehen würden. Solange die CHEMMA DHURGA ausreichend Platz für Hilfsbedürftige bot, bestand jedoch keine Eile.
Bacctou hatte den Weg durch Dreinullneun eingeschlagen, um schneller zu den Vagabunden aufzuschließen, die von dem Relikt gesprochen hatten. Handelte es sich tatsächlich um eine Hinterlassenschaft der Laren? Ihrer Ersten Zivilisation? Jedenfalls etwas Besonderes, und dieses »Besondere« interessierte ihn. Dabei hätte er nicht einmal zu sagen vermocht, warum das so war. Jedes Volk in Globus Zwei hatte eigene Mythen und Legenden, und viele klammerten sich daran, als wäre genau dies das letzte Stück ihrer einstigen Identität.
Wusste Saeqaer von dem angeblichen Überrest der Ersten Larenzivilisation?
Da war das Geräusch wieder. Dichter hinter ihm als noch vor einem Moment. Ein zähes Schmatzen drängte sich zwischen die platzenden Gasblasen, als stapfte jemand durch den Morast.
Nicht nur hinter ihm, auch seitlich versetzt. Bacctou konzentrierte sich darauf. Er registrierte Furcht, sogar ein Hauch von Panik mischte sich hinein.
Furcht um das mühsam den Bedürfnissen angepasste Revier ...
Panik, weil jede neue Veränderung den Fortbestand gefährdete ...
Die Empfindungen sprangen ungewohnt schnell auf ihn über. Bacctou wandte sich um, aber bereits im Ansatz der Bewegung spürte er einen heftigen Schlag im Rücken.
Was immer sich da an seiner Schulter festsaugte, verströmte starke Hitze. Er wollte danach greifen, doch zwei weitere Klumpen trafen ihn, der eine an der Hüfte zwischen Oberkörper und glattem Sockelbereich, der andere wickelte sich um seinen linken Unterarm.
Diese Gebilde hingen an fingerdicken Fäden, die sofort ruckartig gestrafft wurden.
Bacctou bemerkte mehrere halb transparente Schemen. Sie wirkten auf ihn wie feingliedrige Insekten. Eines dieser Wesen, das sich auf zwei dürren Beinen aufrichtete, wippte langsam vor und zurück. Drei Armpaare im vorderen Körperbereich zuckten unruhig und scheinbar willkürlich, und noch während Bacctou sein Gegenüber interessiert musterte, griffen zwei wesentlich längere Fangarme nach ihm. Verhornte Greiffinger gruben sich in seine Schulter – die Berührung ließ schreckliche Szenen in Bacctous Gedanken explodieren, als wären sie längst seine eigene Erinnerung ...
Der Untergang hatte mit einer kurzzeitigen Überlastung im Triebwerksbereich begonnen. Kurz darauf war Feuer ausgebrochen, das sich mittlerweile von Deck zu Deck fraß. Durch die Versorgungsschächte quellende giftige Dämpfe ...
Tote und Sterbende, die schillernden Flügel im Todeskampf zerfetzt, lagen bald überall. Ein bitteres Ende des Fruchtbarkeitszyklus, der das Volk weit zu den Sternen hinausgetragen hatte. Die aufgequollenen Leiber ein bitteres Mahnmal für die wenigen Hundert, denen es vergönnt war, die Schutzanzüge für Außeneinsätze zu erreichen. Doch gegen den Tod, das gierig um sich greifende atomare Feuer, halfen sie nicht.
Urplötzlich war das fremde Raumschiff da: eine riesige Kugel und eine sehr viel kleinere, die einander berührten und von einem schmalen Gürtel zusammengehalten wurden.
Aus den Helmlautsprechern der Schutzanzüge erklang eine sanfte Stimme. Sie brachte Hoffnung zurück.
»Ich bin Saeqaer, Richterin des Atopischen Tribunals. Ich bin glücklich, wenigstens einige Dutzend Überlebende retten und an Bord meiner WIEGE DER LIEBE nehmen zu können. Ihr werdet künftig ohne Bedrohungen leben ...«
*
Gucky blickte ihn durchdringend an. Der Ilt hatte den Nagezahn halb entblößt und klopfte mit dem Mittelfinger der rechten Hand dagegen. Es war eine hastige Bewegung, die Guckys Unsicherheit verriet.
Wenigstens lockerte er den telekinetischen Griff um Rhodans Kinn ein wenig.
»Hat er dich beeinflusst?«, fragte Rhodan.
»Wer?«
»Der Schwarze Bacctou!«
Gucky schwieg dazu, doch waren ihm die Zweifel deutlich anzusehen.
»Dein Verdacht ist absurd, selbst wenn du ihn nicht aussprichst«, stellte Rhodan fest. »Du kennst mich.«
Der Ilt zögerte. »Eben«, rang er sich ab.
»Außerdem kennst du die Eigenheiten meiner Kopie«, versetzte Rhodan. »Ich öffne mich für deine Telepathie so gut ich kann. Entdeckst du eine Spur des Wesens-Rohlings in mir, den du bei Bacctou aufgespürt hast?«
Gucky hob den Kopf. Flüchtig schaute er zum Schott der Kabine, dann stemmte er sich beide Fäuste in die Hüfte. »Da ist nichts, was ich so bezeichnen könnte«, antwortete er.
»Dann ist es gut.« Rhodan atmete auf.
»Gar nichts ist gut! Bei ihm ...« Mit einem zornigen Nicken deutete der Ilt auf die Trennwand beider Quartiere. »Bei ihm finde ich den Rohling auch nicht mehr. Ihr seid euch vollends ähnlich!«
»Bis auf die Erinnerungen an die CHEMMA DHURGA. Seit wir uns kennen, Leutnant Guck ...«
»Lass den alten Schmus!« Gucky winkte ab. Sein telekinetischer Griff wurde erneut härter. »Ihr habt verdammt identische Erfahrungen, die keine brauchbare Unterscheidung zulassen.«
»Vergiss nicht, Kleiner, wer mit dir im Kosmoglobus war und an Bord der HAND VOLLER LICHT.«
Gucky verzog das Gesicht zu einem wehleidigen Lächeln. Als stellte er mittlerweile infrage, dass er wirklich das Original begleitet hatte.
»Dann such nach Bildern aus der Zeit, bevor ich Saeqaers Richterschiff erreichte!«, verlangte Rhodan.
»Da hatte ich eben einige Eindrücke, die vielleicht die Wahrheit auf den Kopf stellen – oder das, was die Wahrheit zu sein schien.«
»Sie kamen nicht von mir, oder?«
»Willst du mir das unbedingt einreden?«
Rhodan seufzte. »Sobald Bully von seiner Mission zurückkommt, werde ich ihm Abbitte leisten. Er hat bereits vor drei Jahrtausenden erkannt, dass es nichts Stureres geben kann als einen Mausbiber, der sich in Spekulationen verrennt. Wenn du schon Bilder esperst, die nur der Schwarze Bacctou kennen kann ...«
Gucky grinste herausfordernd. »Was hältst du von einer Beeinflussung des Originals und der Blockade entsprechender Erinnerungen bei der Kopie?«
Er blickte zum Schott, das soeben aufglitt. Zwei TARA-Kampfroboter schwebten herein.
»Einsperren!«, befahl Gucky und zeigte auf Rhodan. »Ihn und sein Ebenbild im Nebenraum. Bis wir eindeutig wissen, wer der Richtige ist.«
Endlich wich der telekinetische Druck von Rhodan. Der Mausbiber hatte ihn losgelassen. Leicht in den Knien federnd, kam er auf dem Boden auf.
»Du machst einen Fehler, Gucky«, sagte er. »Die Situation wird keinesfalls besser ...«
»Das finde ich ebenfalls!«, erklang eine helle Stimme vom Schott her. »Stand nicht eindeutig fest, welcher der beiden mein Großvater ist und welcher die Kopie?«
Die TARAS schwebten auf Rhodan zu und flankierten ihn. Gucky hatte Befehlsgewalt. Da Rhodan selbst schwieg, gab es keine Zugriffskollision. Außerdem war das Problem des Schwarzen Bacctou allen relevanten Positroniken der RAS TSCHUBAI und ihrer Beiboote bekannt.
Farye Sepheroa kam schnellen Schrittes näher. Rhodan reagierte mit einer entschuldigenden Geste, als sie ihn forschend ansah. Sie lächelte ihm zu und wandte sich an den Ilt.
»Den Falschen findest du im angrenzenden Quartier!«, sagte sie heftig. »Ich kann jeden seiner Schritte an Bord nachvollziehen. Falls du glaubst, dass mein Großvater und der Schwarze Bacctou in den letzten Tagen die Rollen getauscht haben, irrst du dich.«
»Davon rede ich gar nicht ...« Gucky rümpfte die Nase. Mit zwei Fingern deutete er auf Rhodan. »Ist er dein Großvater?«
»Natürlich«, bestätigte Farye.
»Wie sicher bist du dir?«
»Der Schwarze Bacctou befindet sich nebenan. Seit Stunden hat er seine Unterkunft nicht verlassen.«
»Und wenn wir beide nebeneinanderstellen?«, beharrte Gucky. »Würdest du den Richtigen erkennen?«
Rhodan biss sich auf die Unterlippe. Farye Sepheroa blickte ihn an, ihre braungrünen Augen verengten sich leicht, um ihre Mundwinkel gruben sich Falten ein.
»Äußerlich sind sie nicht zu unterscheiden«, gestand Farye ein.
»Innerlich ebenso wenig«, behauptete der Ilt.
»Unsinn!«, widersprach die junge Pilotin heftig. »Vielleicht macht dein hohes Alter dich oberflächlich, und du findest die Feinheiten nicht mehr.«
»Was ist los mit dir, Kleiner?«, fragte Rhodan. »Bist du echt?«
Gucky schnappte nach Luft. »Bewacht ihn!«, wies er die Kampfroboter an. »Keiner verlässt diesen Raum ohne meine Zustimmung!« Er bedachte Farye mit einem schrägen Seitenblick. »Das gilt auch für dich.«
Farye Sepheroa lachte hell. »Ich lasse meinen Großvater ohnehin nicht im Stich. Schließlich bin ich froh, dass wir uns gefunden haben.«
Sie kam zu ihm und griff nach seinem Arm. Rhodan legte seine Hand auf ihre und drückte sie sanft.
Die Berührung tat ihm selbst gut. Auch wenn die Atopen ihm vorwarfen, er würde für die Ekpyrosis von GA-yomaad – den Untergang der Milchstraße – verantwortlich sein, er war und blieb der Mensch, der er immer gewesen war. Ein Mensch mit Gefühlen und Hoffnungen, Wünschen und Sehnsüchten.
Nur für einen Moment, für den Bruchteil einer Sekunde, hatte er sich insgeheim selbst gefragt, ob er womöglich doch nicht das Original war. Aber woran sollte er das erkennen?
*
Immer mehr der Fremden kamen. Bacctou gewann den Eindruck, dass sie sich aus dem feuchten Boden hervorwühlten wie Würmer – glasige Schemen, die sich erst an der Oberfläche zu voller Größe streckten.