Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Epilog
Report
Leserkontaktseite
Kommentar
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2784
Angriffsziel CHEMMA DHURGA
Perry Rhodan und Atlan gemeinsam im Einsatz – die Aktivatorträger greifen nach dem Richterschiff
Leo Lukas
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.
Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande seien. Um dorthin zu gelangen, braucht es aber Atlan als Piloten und ein Richterschiff als Transportmittel.
Ein solches zu besorgen, ist die aktuelle Mission des Terraners. Und so heißt es nun: ANGRIFFSZIEL CHEMMA DHURGA.
Atlan – Der Arkonide will ein Richterschiff unter seine Kontrolle bringen.
Perry Rhodan – Der verurteilte Terraner kehrt zurück auf die WIEGE DER LIEBE.
Gucky und Gholdorodyn – Der kleine und der dicke Kumpel gehen auf eine gemeinsame Mission.
Sichu Dorksteiger und Avestry-Pasik – Die Ator und der Larenrebell vervollständigen das Einsatzteam.
Woo Pi Ta Äl-Khen – Der Atreopont macht die härteste Phase seines jungen Lebens durch.
»Sicherheit, also die Unmöglichkeit des gegenteiligen Ereignisses, existiert in vierdimensionalen Gefügen nur höchst selten.«
Eldhoverds beiläufige Weisheiten
Prolog:
Die Erweckung
Zwei Stimmen, unhörbar, kaum zu unterscheiden ...
»Wir gehen zum Lebenssaal.«
»So ist es.«
»Zum Weißen Bacctou.«
»Der um eine Audienz gebeten hat.«
»Bist du überrascht? Neugierig?«
»Natürlich. «
»Aber auch besorgt.«
»Weil er erwacht ist, nach so langem Schlaf. Das könnte ein Alarmzeichen sein.«
»Oder auch nicht. Bleib gelassen, meine Tochter, in Bälde wissen wir mehr.«
»Wie auch immer: Mit dem Erwachen des Weißen Bacctou endet diese Periode der Einsamkeit im Globus Eins.«
»Bin ich dir denn nicht genug? Oder zu langweilig, da zu vertraut?«
»Du scherzt wohl. Oder kokettierst du?«
»Die Antwort kennen wir beide gleich gut. – Er ist mächtig und weit mehr als nur eine Art Notfallprogramm: persönlicher Diener, Sicherheitsbeauftragter, Bordingenieur, Privatarmee, verlässlicher Informant in Zeiten der Drangsal ...«
»Es gibt keinen Getreueren.«
»Trotzdem hat er sich, nach der ersten Wachphase, noch nie aus seiner Dunklen Ruhe erhoben. Dabei befindet sich die CHEMMA DHURGA schon seit geraumer Zeit auf dieser Mission.«
»War sie denn jemals gefährdet?«
»Eben nicht. Dies stimmt mich argwöhnisch. Wenn sich der Weiße Bacctou jetzt auf einmal meldet, muss er triftige Gründe haben.«
»Wir werden sie erfahren. Gedulde dich.«
*
Während sie leichtfüßig den sanft geschwungenen Gang durchschritt, sinnierte die Atopische Richterin Saeqaer, ob sie nicht besser daran getan hätte, das Geheiß abzulehnen.
Was, wenn sie damals, in ferner Zukunft, widerstanden hätte? Wenn sie im Infinitum verblieben wäre, in der großen Chronosingularität, zu der sich die Galaxis Larhatoon entwickeln würde?
»Sich dem Geheiß zu verweigern, wäre unschicklich gewesen«, nahm das ungeborene Kind in Saeqaers Leib den telepathischen Dialog wieder auf. Es strampelte ein wenig, um dem Argument Nachdruck zu verleihen, unterstützend, vorsichtig und zärtlich.
Oder hatte sie sich bloß an den permanenten Schmerz gewöhnt?
Bis zu dieser weit entfernten Zukunft, der sie entstammte, waren es volle 70 Milliarden Jahre – eine Zeitspanne, deren immenses Ausmaß sich nicht einmal die Richterin vorzustellen vermochte. Bis dahin würde Larhatoon mehrfach umgebaut und einer Chronoarchitektur unterzogen worden sein.
70 Milliarden Jahre! Wie hätte sie ferndamals das Geheiß zurückweisen sollen?
»Und was hätte es gebracht?«, bekräftigte der Fötus.
Saeqaer erreichte das Ende des Ganges. Durch einen leise rauschenden Wasserfall, der sie nicht benetzte, betrat sie den Lebenssaal des Weißen Bacctou.
*
Wie viele Räume im Richterschiff, dem sie den Namen WIEGE DER LIEBE gegeben hatte, wirkte auch dieser schlicht, zugleich sparsam und doch mit gediegenem Geschmack eingerichtet.
Der Saal war von elfeckigem Grundriss. Jede der ungefähr drei Meter breiten und fast doppelt so hohen Wände wurde von einem schlanken Wasserfall in zwei gleich große Hälften geteilt. In manchen der Kaskaden schwammen rotgoldene Fische scheinbar schwerelos entgegen der Strömung nach oben.
Bis auf wenige, unregelmäßig verteilte, säulenartige, von Sensoren wie matt leuchtenden Pilzen überwucherten Überwachungsgeräten war keinerlei Hochtechnologie mit freiem Auge zu erkennen. Die elf am Fuße der Fälle entspringenden Bäche vereinigten sich in der Mitte des Raumes zu einem kleinen, vielleicht knietiefen Teich. Daraus erhob sich ein Wesen, das einer eigentümlichen Mischung aus Baum und Krake glich.
Der kugelförmige, an der Oberfläche stark zerfurchte Kopfteil durchmaß etwa einen Meter. Er beherbergte, wie Saeqaer wusste, das Nervenzentrum.
Aus dem Schädeldach wuchs ein Stamm, der sich nach einem Meter in 52 tentakelförmige Auswüchse verästelte – die Organkrone des Weißen Bacctou. Diese Tentakel, zwischen einem und vier Meter lang, erfüllten verschiedenste Funktionen. Vier von ihnen dienten als Beine, andere als Arme; wieder andere trugen Sinnesorgane, Nahrungsaufnahme- und Ausscheidungsorgane, Mägen und so weiter.
Ein Herz hatte der Weiße Bacctou nicht. Sein Blut wurde von einem komplexen System aus Pumpadern bewegt.
Die Krone war in unaufhörlicher, langsamer Bewegung, ein Zeichen dafür, dass der Weiße Bacctou das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Saeqaer grüßte ihn freundlich, und ebenso freundlich erwiderte das exotische Wesen die Floskel und dankte für die rasch gewährte Audienz.
Seine Stimme kam aus mehreren Tentakelorganen gleichzeitig. Sie klang recht ähnlich wie das Rauschen der Wasserfälle an den Wänden, nur tiefer, voller, energischer. »Ich wurde geweckt.«
»Ja. Wovon? Warum?«
»Vom Schiff; weil sich im submentalen Gefüge der CHEMMA DHURGA etwas geändert hat.«
»In welcher Weise?«
»Das Schiff ist unruhig. Wie du weißt, meine Richterin, bin ich so tief mit ihm verflochten, dass ich eine solche Regung nicht übersehen konnte.«
»Besteht denn Gefahr?«
»Gefahr?«, wiederholte der Weiße Bacctou mit amüsiertem Unterton. »Was oder wer sollte die WIEGE DER LIEBE gefährden können?«
»Grundsätzlich gebe ich dir recht. Allerdings kommt mir doch der eine oder andere Name in den Sinn.«
*
Sie berichtete ihm von dem relativ kurze Zeit zurückliegenden Anschlag, der zur erfolgreichen Flucht eines in Gewahrsam gehaltenen Kardinal-Fraktors von GA-yomaad, des Terraners Perry Rhodan, geführt hatte.
»Ich ziehe zusätzliche Erkundigungen ein.«
»Bitte.«
Saeqaer musste nur wenige Atemzüge warten, dann sagte der Weiße Bacctou: »Es steht sehr zu bezweifeln, dass dieser Anschlag, so ungewöhnlich und frevelhaft er war, eine ernst zu nehmende Bedrohung dargestellt hat. Diesbezüglich kann ich dich beruhigen. Immerhin erachtete das Schiff es auch nicht für nötig, meine Dunkle Ruhe zu stören.«
»Anders als jetzt.«
»Und die geringen, lokalen Schäden wurden längst behoben.«
»Dennoch ... Du bist erwacht. Was also spürt das Schiff? Ein sich zeiträumlich näherndes tatsächliches, kritisches Ereignis?«
»Ja.«
»Negativer Konsequenz?«
»Nein, glaube ich nicht.«
»Glaubst du.«
»Eine genauere Aussage zu treffen, ist mir noch nicht möglich. Es handelt sich um eine Ahnung, keine Gewissheit. Aber die CHEMMA DHURGA scheint mir eher freudig erregt. Ganz so, als erwarte das Schiff etwas Gutes, Großes, Schönes. Wie ...«
»Wie?«
»Wie ein ... Geschenk.«
Atlan erzählt:
Das Hypersexta-Amalgam
Eigentlich lautete mein Geburtsname Mascaren da Gonozal, auf Wunsch meines Vaters, des 207. Herrschers des Großen Arkonidischen Imperiums. Das wird dir vielleicht nichts sagen, aber für damalige Verhältnisse war es wirklich ziemlich groß.
Meine Mutter allerdings nannte mich heimlich Atlan, nach einem der zwölf sagenhaften Heroen unseres Volkes. Sie hoffte wohl, aus mir würde irgendwann ebenfalls ein Held werden.
Unser Verhältnis war nie sonderlich eng. Ab und zu frage ich mich, ob sie zufrieden wäre mit dem, was ich erreicht habe – oder nicht doch eher erbost darüber, was ich alles in Trümmer gelegt oder aufgegeben, ja hergeschenkt habe; beispielsweise besagtes Imperium.
Jedenfalls, in meinem langen, insgesamt rund dreiundzwanzigeinhalb Standard-Jahrzehntausende umfassenden Leben war ich schon allerhand. Kristallprinz, Flüchtling, Raumflottenadmiral ...
Eine ganze Weile fungierte ich, ursprünglich durchaus nicht aus eigenem Antrieb, als Entwicklungshelfer eines blutjungen, lemuroiden Völkchens. Auf dessen abgelegenen Heimatplaneten in einem unbedeutenden Seitenarm der Milchstraße hatte es mich durch Zufall verschlagen.
Glaubte ich, zu jener Zeit. In der ich mich als sehr einsam und fern der Zivilisation empfand. Obwohl ein ganzer mythischer Kontinent nach mir benannt worden war ...
Aber ich schweife ab. Wer ich bin und wie ich dazu wurde, willst du wissen; vordringlich jedoch, was mich an diesen Ort, in diese Situation gebracht hat.
Nun denn. Du scheinst mir ganz gut im Zuhören zu sein.
Also hör zu.
*
Am 10. Mai 1517 NGZ kehrte Perry Rhodan zurück auf die RAS TSCHUBAI.
Rhodan kennst du. Er ist der Mann, der die vorhin erwähnten Barbaren im wahrsten Wortsinn zu den Sternen führte.
Am Anfang stand ein lächerlicher Hüpfer vom originellerweise »Erde« genannten Planeten zu dessen einzigem Mond. Ein im Kosmos quasi alltäglicher Vorgang, scheinbar den galaktischen Chroniken nicht einmal eine Fußnote würdig.
Von da an aber hat dieser Perry Rhodan schier unglaubliches Geschick bewiesen, alles und alle, die ihm unterkommen, für sich und seine Zwecke, beziehungsweise die der »Menschheit«, zu vereinnahmen. Ein Beispiel dafür ist die RAS TSCHUBAI, ein mächtiges Trägerraumschiff – und, wenn man genauer hinsieht, ein Vehikel, das mehrheitlich aus Beutetechnologie besteht.
Zweites Beispiel: Gholdorodyn.
Die Geschichte ist so typisch, dass ich sie wenigstens stichwortartig ausführen muss. Rhodan schwindelt sich durch den Repulsor-Wall, in die Verbotene Domäne, auf den Planeten Shyor. Dort, quasi im Schatten der Residenz des Kristallinen Richters, trifft er just auf den einzigen Kelosker, dem es verwehrt ist, mental zu »sublimieren« und zu einem Teil der Kristallinen Wesenheit zu werden.
Gholdorodyn wird von anderen Keloskern als körperlich und geistig behindert angesehen. Er sagt auch selbst von sich, dass er schon mit der sechsdimensionalen Mathematik seine Schwierigkeiten habe und an komplexeren sexta- oder gar septadimensionalen Berechnungen fast immer scheitere.
Was nicht heißt, dass seine intellektuelle Kapazität nicht immer noch turmhoch über jener der allermeisten anderen Lebewesen dieser Existenzebene läge. Wie zum Beweis hatte Gholdorodyn, und zwar eher nebenbei, zum Zeitvertreib, eine Maschine gebaut, die er bescheiden »Kran« nennt.
Bei dieser »kleinen Bastelei« handelt es sich um nichts weniger als einen Fiktivtransmitter – der sich noch dazu selbst mit versetzt! Gholdorodyns Kran kann über die beachtliche Entfernung von zwölf Lichtminuten oder 216 Millionen Kilometer zugreifen, also sich selbst und etliche weitere Objekte transportieren.
Anders gesagt: Die verbesserte Version eines Geräts, von dem sämtliche Völker der Milchstraße seit Jahrtausenden vergeblich träumen, fiel Perry Rhodan in den Schoß.
Einfach so.
Bloß, weil er zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Worte fand.
*
Gholdorodyn und sein Ziehvater Eldhoverd mochten für unsere Verhältnisse unerreichbare Genies sein. Zaubern konnten aber auch sie nicht, und nicht alles aus ihrer Werkstatt funktionierte perfekt.
Auch Perry Rhodans jüngste Mission war nur teilweise von Erfolg gekrönt. Ihm und seinem Einsatzteam war zwar plangemäß gelungen, Kontakt zu Proto-Hetosten und über sie zu deren Anführer Avestry-Pasik herzustellen. Allerdings hatten sie den Selbstmord-Anschlag im Praveniosystem weder rechtzeitig erkannt noch vereiteln können.
Die beiden Kelosker wiederum hatten, unterstützt vom Bordrechner ANANSI, die mit speziellen, »Winker« genannten Peilbojen versehenen Laren per Kran auf die RAS TSCHUBAI geholt. Jedoch waren die zwölf eigentlichen Attentäter vollkommen entstellt angekommen. Ihre Leichname waren deformierte, in verschiedenen Rhythmen pulsierende, Hyperenergie emittierende Massen, die nur noch wenig Ähnlichkeit mit humanoiden Körpern hatten.
Reginald Bull hatte Gholdorodyn befohlen, die potenziell gefährliche Fracht unverzüglich per Kran von Bord zu schaffen. Worauf der Kelosker hatte zugeben müssen, dass ihm dies nicht möglich war.
Die Leichname seien »in ihrem momentanen Zustand unfassbar«, hatte Gholdorodyn erklärt. Sie seien »sechsdimensional-hyperenergetisch verschmiert.«
*
Mittlerweile waren die Überreste der zwölf Proto-Hetosten von TARA-Robotern isoliert, sicher gelagert und mit aller gebotenen Vorsicht untersucht worden.
Einen Tag nach seiner Rückkehr ließ sich Perry Rhodan die Ergebnisse der Analysen präsentieren. Auf mich machte er einen etwas gereizten und übernächtigten Eindruck, obwohl er behauptete, ausgiebig geschlafen zu haben.
Sichu Dorksteiger fasste zusammen: »Im Moment des Todes der Laren und der Zerstörung der fünf Stelen von Tshoctar muss sich aus diesen etwas gelöst haben, das ich als ein ÜBSEF-Äquivalent bezeichnen möchte. Fragmente davon haben sich mit den Überlagernden Sextabezugs-Frequenz-Konstanten der Laren amalgamiert.«
»Laienhaft ausgedrückt, sie sind mit ihnen verschmolzen?«, fragte Rhodan nach. »Wie? Warum? Und zu ... was?«
»Wodurch der Vorgang initiiert wurde und auf welche Weise er genau ablief, lässt sich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nachträglich nicht eruieren«, sagte die Chefwissenschaftlerin kühl.
Sie gefiel mir ausnehmend gut. Ein hochintelligenter, etwas spröder Geist in einem bildhübschen Körper. Hüftlanges Silberhaar, das reizvoll mit der hellgrünen, von goldenen Linien und Punkten gesprenkelten Haut kontrastierte ...
Eine schwierige Frau, somit genau dein Typ, spöttelte mein Extrasinn prompt. Gib Acht, Narr, dass du nicht nach langer Entrückung in Höheren Diensten allzu gierig wieder die Freuden niedrigerer Ebenen suchst!
Ich ignorierte meine innere Zweitstimme und konzentrierte mich darauf, was Dorksteiger weiter sagte.
»... würde ich daher anregen, von einem Hypersexta-Amalgam zu sprechen«, schloss sie. »An diesem Punkt stößt meine Weisheit an ihre Grenzen. Die exakten Analysedaten sind für euch selbstverständlich jederzeit via ANANSI abrufbar, falls ihr sie überprüfen wollt.«
Reginald Bull winkte ab. »Danke. Niemand hier zweifelt an deiner Expertise. – Wir tappen also im Dunklen, was diesen armen, verblendeten Teufeln wirklich widerfahren ist.«
»Nicht ganz.« Die kurzen Arme und Beine verschränkt, schwebte Gucky von seinem Stuhl hoch und setzte sich, kaum ruckelnd, telekinetisch mitten auf dem Besprechungstisch ab. »Vergiss nicht, Dicker, dass das Hyperspektrum mein zweites Zuhause ist. Wo die besten Geräte versagen, findet der Ilt eures Vertrauens immer noch einen Weg.«
»Du hast versucht, das Amalgam zu espern?« Wie immer, wenn er aufgeregt war, fummelte Rhodan an der Narbe auf seinem rechten Nasenflügel herum.
Gucky grinste, wobei sich sein einziger Zahn hervorschob. Er wurde aber gleich wieder ernst. »Eine schöne Erfahrung war das nicht, Leute, das kann ich euch flüstern.«
Mythologisch interpretiert, meldete sich erneut mein Logiksektor: Der Kleine hat versucht, Einblick zu nehmen in das Reich des Todes.
Ich merkte, dass meine Augen zu tränen begannen. »Was hast du gesehen?«
»Telepathische Rest-Bilder. Verschwommene Überbleibsel. Schatten von Schatten. Die Szenerie war äußerst fremdartig, eine Art stillstehende, außerzeitliche Abwesenheit. Schwer zu beschreiben, geschweige denn zu ertragen. Aber nicht ganz blind, nicht ganz dunkel ... Ich hielt das nur kurz aus, musste mich bald zurückziehen.« Ihn schauderte bei der Erinnerung.
Rhodan räusperte sich. »Irgendwelche bleibenden Eindrücke?«
»Ich bin mir nicht sicher. Es war, als schaute ich in einen unendlich tiefen Brunnenschacht, aus dem faulige Schwaden aufstiegen ... Nein, Quatsch. Kein Gestank, überhaupt kein Geruch, auch keinerlei Farben oder Formen. Das hat bloß mein dummes, beschränktes Gehirn so versinnbildlicht.« Er schluckte mehrfach hintereinander und fuhr sich über das putzige, pelzige Gesicht, als wollte er Spinnweben abwischen.
Niemand von den um den Tisch Versammelten sprach ein Wort. Wir alle warteten, bis der sichtlich erschütterte Ilt so weit war, seinen Bericht fortzusetzen.
»Wie gesagt, ich bin mir nicht sicher«, piepste Gucky schließlich. »Aber ich habe eine Vermutung.« Erneut stockte er. »Mir scheint, das ... ÜBSEF-Äquivalent der vergehenden Ordischen Stelen hatte die Absicht, die zwölf Proto-Hetosten zu retten.«
Perry Rhodans Augen weiteten sich. »Das Gefünft der Stelen von Tshoctar wollte die Attentäter, seine Zerstörer, seine Mörder ... retten?«
»Ja. Klingt verrückt, nicht?« Der Ilt lächelte zaghaft und hob die schmalen Schultern. »Trotzdem. Das war der dominierende Eindruck, den ich gewonnen habe.«
»Danke, Kleiner.« Rhodan legte die flachen Hände auf den Tisch und blickte in die Runde. »Freunde, dies sollte uns zu denken geben.«
Der Einsilber
Woo Pi Ta Äl-Khen verknotete sich in so ruckartigen Spasmen, dass sich die unwillkürlichen Bewegungen auf die Kratztiere übertrugen, auf die Ruhemulde, ja auf seine gesamte Jugendhöhle.
Er fluchte lautlos und versteifte den Körper, aber es war zu spät, er hatte sich verraten. Jemand klopfte bereits ans Schleusenschott.
»Sohn? Lass mich ein!«
Bitteren Schleim absondernd, gehorchte Woo Pi Ta Äl-Khen und betätigte den Öffnungsmechanismus. Sein Vater glitt herein und baute sich über der Mulde auf.
»Ich hatte einen sehr schlechten Traum ...«
»Blödsinn. Mach mir nichts vor. Du hast weiter gestöbert. Trotz unseres Verbots!«
Er überlegte kurz, ob er auf seiner wackligen Verteidigung beharren sollte, und entschied sich dagegen. Seine Eltern waren unvorstellbar alt, aber noch nicht senil. Sie vermochten sehr wohl zwischen Schlafzuckungen und einem spontanen Lachanfall zu unterscheiden. Schon gar, wenn dieser das halbe Quartier in Vibrationen versetzt hatte.
»Was war so lustig?« Der Vater lehnte den Vorderkörper zurück und entspannte sich ein wenig.
Er war offenbar in ver-söhn-licher Stimmung. Sollte heißen, er würde nicht gleich loszischeln, sondern suchte eher das Gespräch zwischen den Generationen.
Ebenfalls übel, weil es unweigerlich in Peinlichkeiten ausarten würde; aber allemal besser, als wenn er auf seine Autorität gepocht und nächtliches Strafexerzieren verordnet hätte.
»Ich habe kurz in den Schrägen Dateien geblättert«, gab Woo Pi Ta Äl-Khen zu. »Da stieß ich auf eine phantastische Erzählung in einem einzigen Satz.«
Nun schleimte sein Vater salzig. »Lass hören!«
»Ehrlich, es handelt sich um ein wahres Meisterwerk. Noch dazu von einem Autor, von dem sonst nichts überliefert ist, keine einzige weitere Silbe.«
»Wie heißt er?«
»Pip.«
»Pip der Kurze.«
»Du kennst ihn?«
»Niemand kennt ihn, Söhnchen. Das ist ja seine Masche. Und, wie du gerade entdeckt hast, dass er der atreopontischen Literatur bislang nur diesen Satz hinzugefügt hat.«
»Aber der ist gewaltig.«
»Unbenommen.« Der Vater rieb quietschend die Kieferzangen aneinander. »Ein Klassiker. Ich weiß nicht, ob ich ihn noch vollständig hin bekomme. Hilf mir. ›Snodak ...‹«
»›Sohn des Nodak ...‹«
»›Enkel des Odak, den Dak adoptiert hatte ...‹«
»›Die Stiefmutter von Ak, der Verfemten aus K ...‹«
»›Sagte zu Wiredilfrump, Erbin des Reichs von Iredilfrump ...‹«
»›Schwippschwägerin des Redilfrump ...‹« Der Vater stülpte die Augen um. »Und so weiter und so fort. Genug. Lass uns das überspringen. Komm zur Pointe.«
»›Wir sollten dringend etwas unternehmen wegen dieser elendiglich langwierigen Namen.‹ – Harr!«
»Harr!«
Beide prusteten los, dass die Speichelflocken flogen, die Kratztiere schepperten und die Wände erzitterten.
Von draußen erklang die schneidend zarte Stimme der Mutter: »Seid ihr jetzt beide endgültig wahnsinnig geworden?«
»Alles in Ordnung«, gab der Vater zurück, immer noch über die volle Länge schlotternd. »Unser Junge war unfolgsam. Ich weise ihn soeben in seine Schranken.«
»Hm. Das fühlt sich eher nach tumber Männersolidarität an.«
»Bleib geschmeidig, Liebste. Er hat gerade Pip den Kurzen entdeckt.«