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KOPFJÄGER

Tim Curran

übersetzt von

Nicole Lischewksi

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com

Title: HEADHUNTER. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2013. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

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Vielleicht eine Woche nach dem Scheißerlebnis mit der Vierten im Plei Trap Tal stand ich auf dem Landefeld in Dac To, als die Chinooks mit den Überlebenden der 173. Airborne aus einem Einsatz an Hügel 875 zurückkamen. Es war dort übel hergegangen, und die 173. hatte Hunderte von Verletzten und noch mehr Getötete zu verdauen. Ich beobachtete, wie die Hubschrauber landeten, die Toten entladen wurden und die Überlebenden – genauso tot – die Landebahn mit glasigem Blick entlanggingen.
Quinn hatte mir Bescheid gegeben, dass er einen Fallschirmspringer der 173. getroffen hatte, mit dem ich reden sollte. Ein Mann namens Bridges. Und so wartete und beobachtete ich, hielt mich in einiger Entfernung, da diese Jungs fertig aussahen, wirklich fertig, als ob etwas Großes und Hungriges sie durchgekaut, runtergeschluckt und da auf der Landebahn ausgeschissen hatte.
Andere Journalisten umschwärmten sie wie Fliegen eine Leiche, schossen Bilder, stellten Fragen und wurden mit eisiger Stille konfrontiert. Eine hibbelige Tussi von Life lief auf einen Soldaten zu, einen großen weißen Typen mit Narben im Gesicht und der Ausstrahlung eines aggressiven Hundes vom Schrottplatz, und begann, ihn mit Fragen zu befeuern. Er zog den Reißverschluss seiner Hose auf und begann zu ihrem Erstaunen, auf ihr Kleid zu pinkeln.
Später, als ich mir im Offiziersclub einen antrank, kam derselbe große Soldat auf mich zu. »Sind Sie Mac?«, fragte er und ich bejahte. »Hören Sie zu, ich erzähle das nicht noch mal. Ich war in der Nähe von Khe Sanh am Xe Cong Fluss mit einem Spähtrupp, Charlie am anderen Ufer beobachten. Laos. Bevor wir wussten, wie uns geschah, kamen wir von einer NVA-Einheit unter Feuer. In Kompaniestärke. Ein Sappeur musste es auf uns abgesehen haben, weil Granaten genau in unserer Position einschlugen. Etwa die Hälfte von uns fiel sofort, der Rest war im Dschungel in einen gottverdammten Hinterhalt gelaufen. Im nächsten Moment war ich allein. Hab also zugesehen, dass ich da rauskam, bin gerannt und gerannt, hab gedacht, dass sie mich vielleicht in Ruhe lassen, wenn ich mich tief genug im Busch verstecke.«
»Und, haben Sie das?«
Er nickte. »Klar. Nur hatte ich mich inzwischen völlig verlaufen. Ich war in diese kleine Senke geraten. Der Boden war ganz matschig und nass und der Dschungel so dicht, dass man sich den Weg freischneiden musste. Bald kam ich dann auf eine Lichtung. Und wissen Sie, was ich da gesehen hab?«
»Was?« Ich zündete mir eine Zigarette an, fragte mich, warum mir Quinn diesen Typen aufgehalst hatte. »Was haben Sie gesehen?«
»Köpfe.«
Ich sah ihn an. Seine harten grauen Augen zwinkerten nicht.
»Köpfe?«
»Sie haben mich gehört. Köpfe, verdammt noch mal. So klar wie der Tag. Hunderte davon auf diesen über zwei Meter langen Bambuspfählen aufgespießt. Ich bin zwei Meter zehn groß, also ja, zwei Meter dreißig, würde ich sagen. Manche waren da schon seit langer Zeit, das waren nur noch blanke Schädel. Andere waren frischer. Manche ganz frisch. Viets. Amerikaner. Lauter Köpfe. Ein Wald davon auf Pfählen, so weit ich in alle Richtungen sehen konnte.«
Ich starrte ihn nur an.
»Ich hab was Großes gehört, Mister, was Großes, das durch den Dschungel lief. Etwas, das furchtbar gestunken hat. Ich rannte und rannte, bis ich vielleicht drei, vier Stunden später auf eine Einheit der Marines gestoßen bin. Die haben mich rausgebracht. Aber diese ganzen Köpfe werde ich nie vergessen. Wie sie aussahen.«
Ich schluckte. Etwas Kaltes rutschte in meinem Bauch umher. »Wie sahen sie aus?«
»Wie die Felder der Toten.«

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Mehr Horrorgeschichten.
Wenn man zu viel daran denkt, graben sie sich einem unter die Haut, machen einem das Hirn weich.
Ein paar Monate vorher war ich mit den SEALs und ihren vietnamesischen Gegenstücken, den LDNN, im Delta in der Nähe von Can Tho gewesen. Wir kamen durch den Sumpf und die Reisfelder zu diesem Dorf, das von der NVA angegriffen worden war. Niemand hatte überlebt. Die Hütten waren alle niedergebrannt, das Vieh abgeschlachtet worden. Frauen waren zwischen den Beinen auf Pfähle aufgespießt worden, sodass das spitze Ende durch ihre Münder oder Kehlen herausragte. Ihre Brüste waren abgeschnitten und an Bäume genagelt worden. Männer waren am Hals erhängt, ihre Genitalien abgesäbelt und in ihre Münder gestopft worden. Andere Dorfbewohner waren zu formlosen Klumpen geprügelt worden, denen Knochen aus zu vielen Rissen in der Haut stachen. Wir fanden Finger und Hände und Beine und Köpfe und was man sich nur denken kann. Ich hatte mir nie vorgestellt, dass es in einem Krieg solche Untaten geben konnte. Ich übergab mich mehr als einmal.
Sinnlos? Nein, das Ganze hatte einen Sinn; einen sehr kranken, verdrehten Sinn. Unter den Toten fanden wir amerikanische Zigarettenstummel, Papier von amerikanischen Süßigkeiten, eine weggeworfene M-16 und ein Marine K-Bar Messer in der Kehle eines alten Mannes stecken. Der Sinn war also, es so aussehen zu lassen, dass die Amerikaner es gewesen waren. Wir begruben die Toten. Ein paar Tage später – so erfuhr ich – holten die SEALs die Nordvietnamesen ein, die diese kleine Party veranstaltet hatten. Die, die sie nicht gleich töteten, häuteten sie mit ihren Tauchmessern.
An dem Tag im Dorf aber war der Boden mit Blut vollgesaugt und es durchdrang die Sohlen meiner Stiefel. Noch Wochen später sickerte aus meinen Stiefeln Blut, wenn ich im Nassen ging oder in Regen geriet. Ich warf sie schließlich weg.

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Der Hubschrauber, der mich am Khe Sanh Stützpunkt der Marines absetzte, landete nicht mal richtig. Ich sprang heraus, stolperte, lief auf den Graben zu. Marines lagen dort und feuerten mich an, als der Luftwirbel des Propellers sich über mich hinweg hob und ich das größte Objekt auf dem Landestreifen war. Die Marines brüllten: »Komm schon, Baby! Du schaffst es! Lauf! Lauf dir den Arsch ab!« Und dann sprang ich neben sie in den Graben und sie lachten und ich atmete schwer und fragte mich, warum zum Teufel ich meinen Arsch immer wieder ins Kreuzfeuer brachte.
Denn der Landestreifen am Khe Sanh Stützpunkt – gerade elf Kilometer von Laos entfernt – war das ständige Ziel von NVA-Granaten und Raketen und großen Gewehren, die in den bewaldeten Hügeln versteckt waren. Der Stützpunkt war ständig belagert, aber der Landestreifen war der schlimmste Platz. Viele Marines waren bei Truppentransporten ums Leben gekommen, und über die Landebahn selbst lagen oft die Wrackteile eines Hubschraubers oder Flugzeugs verstreut. Es war so schlimm, so gefährlich, dorthin zu fliegen, dass Versorgungsmittel (wann immer möglich) aus fünfhundert Metern Höhe per Fallschirm abgeworfen wurden. Mehr als ein Marine hatte sich am Ende seiner Tour entschieden, lieber noch einen Einsatz dranzuhängen, statt das Wagnis einzugehen, zu seinem Flugzeug oder Hubschrauber zu rennen.
So ein Ort war das.
Der Stützpunkt lag auf einem als ›zu verteidigendem‹ klassifizierten Plateau, aber wenn man die Zahlen zusammenrechnete, wurde einem Angst: Ganze fünf Divisionen der NVA hatten sich in dem Labyrinth der Hügel und Tälern verbarrikadiert und nur um die 8.000 Marines waren da, um ihnen Einhalt zu gebieten. Wenn es richtig krachte – also, mehr als normal, denn es krachte immer in Khe Sahn – kam Unterstützung aus Feuerstützpunkten um die entmilitarisierte Zone herum von einer ungefähr 250.000 Mann starken Gegenstoßtruppe, die sich aus Marines, der 1. Air Cavalry Division und der 101. Airborne Division, zahllosen Piloten und Crew und Bodenpersonal zusammensetzte. Aber wenn man dort lag und die Kugeln flogen, war das wenig Trost.
Ich kam kurz vor Sonnenuntergang an, und als es Nacht wurde, war ich mit ein paar Soldaten, die ich kannte, Smokes und Bayonne und Street-Fighting Man, in einem der Bunker, kiffte und erzählte beim trüben Licht einer Coleman-Laterne Geschichten, während Artilleriefeuer innerhalb und außerhalb des Stützpunkts einschlug. Nach einer Weile gewöhnte man sich daran und der Beschuss wurde ein Teil des natürlichen Rhythmus. Man bekam nicht richtig Angst, bis der Beschuss aufhörte – dann war es ruhig, still und unheimlich.
Wir saßen jedenfalls da und die Soldaten erzählten von Patrouillen und Hinterhalten und all so was. Bald kam das Gespräch auf seltsame und kranke Dinge, und Geschichten wurden erzählt und wiederholt: Die gefangenen amerikanischen Einheiten, die von den Chinesen einer Gehirnwäsche unterzogen worden waren und nun mit den Vietcong kämpften. Die unbekannte, monströse Version des Trippers in Saigon, die einem die Genitalien schwarz werden ließ. Bayonne sagte, dass er gehört hatte, der Ärztestab hätte auf den Philippinen ein Camp, wo sie die Soldaten festhielten, die sich das eingefangen hatten.
»Wie eine Leprakolonie«, sagte er. »Die Jungs werden nie nach Hause kommen, die fallen völlig auseinander.«
Smokes erzählte uns von den NVA-Massengräbern außerhalb von Hue und von einem Spähtrupp der Marines, die mit einem komischen Entlaubungsmittel besprüht worden waren und Blut trinkend herumliefen, ihre Augen hellgelb und in der Dunkelheit glitzernd.
»Die sind irgendwo da draußen, Mann«, behauptete er, »immer auf der Jagd, und denen ist scheißegal, ob du ein Ami oder Viet bist, solange du Blut in dir hast.«
Ich hatte von Kannibalismus und Folter gehört, geheimen CIA-Gefängnislagern drüben in Kambodscha, wo gefangen genommene NVA und Vietcong grausamen Experimenten unterzogen wurden. Wie der eine verrückte Marine, der sich einen Körper aus toten Vietcong baute, sie wie Doktor Frankenstein zusammennähte. Zuletzt hatte man gehört, dass er nach einem Paar Beinen suchte, um sein Werk zu vollenden. Und so ging es weiter; Trophäenjagd, Hinrichtungen und biologische Kampfführung, geheime Camps und durchgedrehte Green Berets Einheiten, die wie Ureinwohner in Lendentüchern, mit Speeren und Schutzschildern aus Menschenhaut im Dschungel Charlie jagten.
Ich dachte mir, dass der Zeitpunkt für meine Geschichte über den Kopfjäger gekommen war.
Vielleicht hätten sich Typen in der echten Welt darüber lustig gemacht, aber nicht hier; nicht in Vietnam und besonders nicht in Khe Sanh, wo alle fanatisch abergläubig waren und Geschichten über Geisterheere und Monstertiger, die Männer in den Dschungel zerrten, so regelmäßig wie der Regen waren.
Bayonne sagte: »Ja, Scheiße auch, die hab ich schon mal gehört. Das ist nichts Neues, Mac, das ist alt. Viets erzählen die. Irgendein gigantisches, drei Meter großes Arschloch stapft umher und sammelt Köpfe. Absoluter Schwachsinn, aber wenn man nachts im Busch ist und da draußen was hört, was Großes, Scheiße auch, dann fragt man sich schon.«
Street-Fighting Man sprach nicht viel, aber wenn, dann hörten die Jungs zu. Er sagte: »Bei diesem Gigantenkram bin ich mir nicht sicher, aber ich hab auch eine für euch.« Rauch kam aus seinen Nasenlöchern, als er langsam an seinem Joint zog. Im Laternenlicht wirkte sein Gesicht dunkel und grimmig. »Vor ungefähr sechs Monaten waren wir auf Hochlandpatrouille und sind auf dieses Long-Range-Assistance-Patrol-Team gestoßen. Vier davon, an den Füßen im Dschungel aufgehängt. Waren nicht verstümmelt, wie's die Gelbhäute manchmal machen. Nur ihre Köpfe fehlten. Im Matsch waren Spuren … große Spuren. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.«
Obwohl es heiß und feucht war, die Luft wie nasse Gelatine, rann mir ein Schauder den Rücken herunter. Wir saßen da, ganz still, und horchten. Der Beschuss kam unregelmäßig, und ab und zu konnte man das hohle Knallen einer Pistole hören. Nur ein Soldat, der eine Ratte tötete. In Khe Sanh waren die Ratten sehr groß; waren durch unseren Müll, diverse Abfälle und die vielen Leichen richtig fett geworden. So groß wie Katzen, manche davon. So fett, dass sie kaum laufen konnten.
Bayonne zündete sich eine Zigarette an. »Ja, da draußen ist Zeugs, an das man nicht mal denken will. Scheiße, bei der dir eiskalt wird.«
Wir kamen aus dem Bunker heraus, und auch wenn meine Augen geschlossen gewesen wären, hätte ich gewusst, dass ich in Khe Sanh war – der Geruch von brennender Scheiße und nassem Leinen, altem Blut und zerschossenem Metall hatte seinen eigenen, besonderen Gestank, der exklusiv in Khe Sanh war.
Es war schwarz da draußen. Leuchtraketen stiegen in einem Regen weißer Funken auf, trieben auf die Erde herunter und warfen ein steriles Elfenbeinlicht über die Landschaft; ein Licht, das wilde, flackernde Schatten schuf. Leuchtkugeln wurden von 60mm-Mörsern innerhalb der Umzäunung abgefeuert. Sie explodierten in orangen Magnesiumfeuerbällen, beleuchteten die NVA-Gräben und umrissen die Bäume mit einem geisterhaften Glanz wie in einem unheimlichen Spukwald. Ab und zu hörte man das Rattern von .50-Kaliber-Maschinengewehren, wenn Bewegung im zerbombten Niemandsland mit seinen Kratern gesichtet wurde. Man hörte Handfeuerwaffen schießen, sah Scharfschützen ihre Waffen über die Sandsäcke heben, hörte Kugeln widerhallen und das Echo der Schreie von NVA-Soldaten, wenn sie getroffen wurden.
Smokes und ich saßen mit dem Rücken zur sandsackverstärkten Wand, während es da draußen immer heißer herging. Leuchtbomben und Granaten gingen los und Männer brüllten, dass hinter dem Zaun Aktivität war. Der rollende, donnernde Knall von schwerer Artillerie erreichte uns, aber wir wussten, dass das von den Feuerstützpunkten der Marines in den Hügelkuppen entlang der entmilitarisierten Zone kam und sich gegen NVA-Truppenbewegungen im Dschungel richtete.