Frank Kreisler
Knochenmühle
Thriller
Dieses eBook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Knochenmühle
Impressum
Knochenmühle
Alt und unheimlich ist das Haus und es steht mitten in der wuchernden Wildnis des Stadtgehölzes. Am knorrigen Baumbestand enden spärlich bebaute Straßenzüge und verschlungene Waldwege beginnen. Gestrüpp konnte sich ungehindert entfalten, die Wege werden selten benutzt. Mal kippt jemand seinen Abfall ins Unterholz, mal verirrt sich ein Jogger hierher, manchmal ein schnüffelnder Hund.
Das Haus hier im Herzen der Wildnis ist bis von ein paar Jahrzehnten eine Mühle gewesen, das sieht man noch. Die Fenster- und Türeinfassungen bestehen aus rotem Porphyr, der nichts von seiner Leuchtkraft eingebüßt hat. Das Dach ist hoch und spitz und hinterlässt zwar einen intakten Eindruck, ist aber fast flächendeckend mit Moos bewachsen. Die Dachgaupe für den Flaschenzug, mit dem die Getreidesäcke auf den Boden unters Dach gehievt wurden, ist an den aufklappbaren, grünen Flügeltüren zu erkennen, die ein wenig nach innen gedrückt sind.
Krawallke ist mit seiner Perle Yvonne, die sich bis zuletzt gesträubt hat, hier her gekommen und wundert sich über das Wasserrad.
"Seltsam neu, das alte Ding", meint er nachdenklich zu Yvonne, der das herzlich egal ist. Zweige haben ihr die Beine zerkratzt. Jetzt fürchtet sie sich vor Blutegeln, die sich an der samtweißen Haut festsaugen. Krawallke bekommt davon nichts mit.
"Passt eigentlich gar nicht zu der bröckelnden, verwitterten Mauer, dem moosbewachsenen Dach und der langsam verfallenden Erscheinung."
Wasser plätschert hier irgendwo. Der Boden ist feucht und modrig.
"Los komm, Krawallke, lass uns gehen. Die Mücken fangen an zu nerven."
Doch Krawallke fängt gerade erst an. Er ist nicht zu seinem Vergnügen hierhergekommen, auch wenn Yvonne das vermutet hat und sie das Vergnügen angesichts dieser Ruine ohnehin zweifelhaft findet. Die Tür am Haus ist nur angelehnt. Sie lässt sich mit einem schaurigen Seufzer öffnen. Krawallke tritt zögernd ein.
Das Haus ist bis auf Schuttberge und Abfall leer. Irgendwie deprimierend das Ganze. Alles ist ausgeräumt, was zum Innenleben einer Mühle gehört. Wellen, Getriebe, Trichter und so weiter. Nichts mehr da, schon lange nicht mehr. Auch nicht das kleinste Getreidekorn. Eine Maus oder ein Besen hat sich das geholt. Bis vor ein paar Jahren hat hier ein Einsiedler gehaust. Ein seltsamer Mensch, der in der Einsamkeit seine Sprache und später dann seinen Verstand verloren hat. Seit die Familie oder ein Amt den alten Mann ins Pflegeheim verfrachtet hat, stand das Haus lange leer.
Dann entdeckten Globetrotter den abgelegenen Ort, an dem sie vor Polizei und prügelnden Gangs halbwegs sicher waren, für sich. Fast jede Nacht schlüpften Schlafgäste unters Dach: durch die Welt irrlichternde Punks, andere Stadt- oder Landstreicher, Wandermusiker, auch zwielichtige Gestalten. Davon hörte Krawallke immer wieder, er sah die Leute gelegentlich, wenn er hier vorbeikam. Feuerschein des Nachts: im Haus oder auf der angrenzenden Lichtung, wildes Gegröhle, Saufgelage und alles was dazu gehört, sogar von bengalischen Feuern und kalten blauen Lichtern und solchen Sachen war die Rede.