Arne Gustavs
Seekrank auf bewegten Meeren – Schiffsjunge 1948-50
Band 67 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Von Hiddensee nach Hamburg
Motorschiff „HANS GEORG“
Dampfschiff „ESCHENBURG“
Hebeschiff „GRIEP“
Bericht über den Danziger Spritschmuggel
UBoot-Bergung durch GRIEP und HIEV
Hermanns Bericht über die Heimkehr der „BREMEN“
Aufgaben des Schiffsjungen auf der GRIEP
Hermann Lützow: Die Seeoffizier-Laufbahn
Aktion "Regenbogen" über der Geltinger Bucht im Mai 1945
Schrott vom Meeresgrund – Hebeschiff GRIEP weiter in Aktion
Besuch bei Onkel Fritz – Friedrich Lützow (Korvettenkapitän a. D)
Bericht von Friedrich Lützow
Zurück an Bord
Strandung der SOPHIE
Arbeitspause der Hebeschiffe wegen Sturms
Motorschiff „KLAUS LEONHARDT“
Intermezzo auf Hiddensee
Bericht über die Versenkung der THIELBEK mit KZ-Häftlingen
Über die Zonengrenze zurück nach Hiddensee
Von Hiddensee zurück nach Lübeck
Motorschiff „BUNGSBERG“
Endgültig an Land
Weitere Informatonen
Die maritime gelbe Buchreihe
Impressum neobooks
Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig bis zu 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.
Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.
Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.
Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage nach dem Buch ermutigten mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Inzwischen erhielt ich unzählige positive Kommentare und Rezensionen, etwa: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!
In diesem Band 67 können Sie wieder den Bericht eines ehemaligen Seemanns lesen, der zwar nur knapp zwei Jahre lang und nur als Schiffsjunge fuhr, jedoch in einer Zeit, in der die deutsche Nachkriegsseefahrt erst langsam wieder in Bewegung kam. Seine detaillierten Schilderungen des Bordlebens auf sehr unterschiedlichen Schiffen sind sehr aufschlussreich. Auch die eingefügten Zeitzeugenberichte vom Kriegsende im Mai 1945 sind äußerst interessant. Der Autor musste seine seemännische Ausbildung leider nach geduldigem und opfervollem Kampf mit sich selber und der See abbrechen, weil er es nicht schaffte, die Seekrankheit zu überwinden.
Hamburg, November 2013 / 2014 Jürgen Ruszkowski
Der Entschluss, Seemann zu werden, war nicht lange vorher geplant. Die Entscheidung kam fast plötzlich, denn mit dem nahenden Ende der Schulzeit, stand natürlich die Frage des beruflichen Weges unabwendbar vor mir. Es war vielleicht Ende Juni 1948. Ich besuchte die Grundschule am Frankenwall in Stralsund, die heute den Namen „Gerhart Hauptmann“ trägt, die ich im März des selben Jahres bezog, damit ich, wie meine Mutter richtig meinte, ein Abschlusszeugnis von einer ordentlichen Schule bekäme anstelle eines der Dorfschule in Kloster auf Hiddensee, die ich seit dem Beginn des Jahres 1945 mit einigen Unterbrechungen besucht hatte. Wir wohnten auf Hiddensee, nachdem wir wegen möglicher Bombenangriffe als kinderreiche Familie aus Stralsund auf das Land evakuiert wurden und bei den Großeltern im Pfarrhaus auf Hiddensee Zuflucht fanden. Großvater bekleidete dort seit 1903 das Pfarramt auf der Insel und war zu der Zeit noch im Amt, so dass wir die oberen Räume im seinem Pfarrhaus bewohnen konnten.
So wohnte meine Mutter seit dem Sommer 1943 mit ihren fünf Kindern bei den Großeltern in Kloster. Mein Vater, ein Stralsunder Tischlermeister, war seit dieser Zeit eingezogen worden und erschien hin und wieder auf Urlaub. Seit dem Herbst 1943 war ich Schüler des Stralsunder Gymnasiums, das ebenfalls ausgelagert wurde und im Gebäude des ehemaligen Pädagogikums in Putbus auf Rügen eine vorübergehende Heimstatt gefunden hatte. Wir Schüler waren auf einzelne Familien verteilt. Ich lebte mit einigen Kameraden in der kleinen Pension Schütt in Lauterbach am Greifswalder Bodden.
Alle vierzehn Tage fuhr ich nach Hause, nach Hiddensee. Ich packte jedes Mal alles, was ich besaß in einen großen Koffer. So konnte ich nichts vergessen und hatte meine Schulbücher stets bei mir. Mit diesem für meine Größe als Zehnjährigem überdimensionalen Reisebehältnis machte ich mich auf den Weg. Ich war nicht in der Lage, diesen Koffer vom Boden zu heben, ohne den Arm anzuwinkeln. So trug ich, nein, ich schleppte den Koffer mit Hilfe eines Riemens über der anderen Schulter, legte mich dann so weit auf die Seite, bis sich der Koffer vom Boden abhob. So war ich denn alle vierzehn Tage von Sonnabend früh bis Montagabend unterwegs. Dass unter solchen Bedingungen schulische Erfolge weitgehend ausblieben, braucht nicht erläutert zu werden.
Nach den Weihnachtsferien 1944 wurde uns mitgeteilt, dass die Schüler des Stralsunder Gymnasiums bis auf weiteres nicht mehr in die Schule zu gehen brauchen. Man wolle erst einmal die weitere militärische Entwicklung abwarten. Um nicht ganz ohne Schule meine Zeit zu verbringen, ging ich wieder zu Lehrer Berg in die Schule. Weder bei den Schülern noch bei Lehrer Berg kam so eine rechte Lust zum Schulehalten auf. Pfeife rauchend lief er ständig gedankenschwer vor der Tafel hin und her, bis er nach einer längeren Pause sagte: „Diesen Krieg haben wir verloren.“ Als Soldat im ersten Weltkrieg hatte er das schon einmal erlebt. Nun sah er als alter Mann sorgenvoll einem zweiten Desaster entgegen. Solche Töne waren zu dieser Zeit noch ungewohnt und auch nicht erwünscht, ja, genauer gesagt, verboten.
So nach und nach füllte sich der Klassenraum in Kloster. Immer mehr Flüchtlinge kamen auf die Insel, zunächst aus Ostpreußen, dann aus Hinterpommern. Die meisten wurden in den leerstehenden Sommerhäusern notdürftig untergebracht. Später kamen dann noch die Sudetendeutschen zu uns. Viele zogen bald weiter, aber viele von ihnen sind auf der Insel geblieben und haben dort eine neue Heimat gefunden.
Angesichts der zurückliegenden schwierigen und unerfreulichen Schulzeit hatte ich keine Lust, weiter die Schulbank zu drücken. Mich zog es in die praktische Welt, in der nun ein geeigneter Beruf zu finden wäre. Aber da taten sich Schwierigkeiten auf, denn eine Lehrstelle war nicht zu finden. Da war nun guter Rat teuer. Doch der fand sich bald bei dem alten Kapitän Heyden, der mit seiner Tochter in Kloster wohnte und freundschaftlichen Umgang mit meiner Mutter pflegte. Er hatte zwei Enkel, die auch Seeleute waren, und der eine konnte berichten, dass es in Hamburg möglich sei, auf einem Schiff als Schiffsjunge anzuheuern, um die seemännische Laufbahn einzuschlagen, deren krönender Abschluss die Ausbildung zum Kapitän wäre. Das hörte sich natürlich gut an, und welcher Junge würde nicht gern mit einem Schiff in die weite Welt hinausfahren. Da sich ohnehin keine Alternative anbot, sagte ich freudig zu, und auch Mutter war glücklich, mich auf solche Weise auf den beruflichen Weg bringen zu können, der zudem so freundlich begleitet werden würde. Doch so einfach ging das nun auch nicht, wie sich das anhörte. Hamburg lag in der britischen Besatzungszone und war so ohne weiteres nicht zu erreichen. Zwar gab es immer noch die Möglichkeit, mehr oder weniger legal über die Zonengrenze zu gehen, was sehr mühsam war, weil es keine reguläre Eisenbahnverbindung für den zivilen Personenverkehr mehr gab. Man musste sich schon zu Fuß von der letzten Bahnstation vor der „grünen Grenze“ auf den Weg nach „drüben“ machen.
Doch soweit war es noch nicht. Die Schulzeit war ja noch nicht zu Ende. Immerhin wurden so nach und nach die nötigen Vorbereitungen getroffen. Kapitän Heyden gab da fachkundigen Rat, was die Aussteuer eines Seemannes betraf und machte auch auf die gesundheitlichen Voraussetzungen aufmerksam, an denen schon mancher Jüngling auf seinem Weg zur See gescheitert war. Wichtig für einen Seemann war das Sehvermögen. Er durfte keine Brille tragen und musste absolut farbentüchtig sein. So schickte mich Mutter in Stralsund zum Augenarzt, bei dem ich mich mit dem Anliegen vorstellte, ich wolle Kapitän werden, und er möge meine Augen prüfen. „Willst du nicht erst einmal Steuermann werden?“ fragte mich sogleich der Arzt. Ich nickte, und er attestierte mir einwandfreies Sehvermögen. Die Beratungen durch Kapitän Heyden wurden intensiver, die gegenseitigen Besuche häufiger, und immer wieder erzählte der alte Fahrensmann neue Geschichten aus dem Leben der Seeleute, wobei seine blauen Augen der Gegenwart entrückt in die Ferne blickten. Aber dabei blieb es nicht. Ich sollte Kapitän Schulz in Stralsund besuchen. Er residierte in der Hafenstraße und versah dort das Amt eines Prüfers für die nautischen Geräte. Da erfuhr ich, wie ein Kompass funktioniert, wie er kompensiert wird, wie man mit dem Sextanten umgeht und wie ein Barometer geeicht wird. Dann sah er mich ein wenig fragend an und meinte; „Ob du wohl seekrank wirst? Eigentlich machst du nicht so den Eindruck“, und ich lachte ihn unbefangen an, obwohl ich darum wusste und eigentlich meiner Seefestigkeit nicht sicher war. Aber ich schob solche Bedenken einfach beiseite, denn man sagte mir auch, dass sie nur in der Anfangszeit auftreten würde und man sich nach etwa einem halben Jahr daran gewöhnt hätte. So stellte ich mir immer wieder vor, auf den schwankenden Planken zu stehen, scheute mich aber auf dem Rummelplatz in ein Karussell zu steigen, das geschwinde über Berg und Tal fuhr. Ich hatte Sorge, mir würde übel werden und meinen Elan für die Seefahrt zunichte machen. Schließlich konnte ich nicht ein halbes Jahr Karussell fahren, um mich daran zu gewöhnen. So ließ ich lieber alles auf mich zukommen. Es wird sich schon alles einrichten.
Am 30. Juni 1948 kam dann die Währungsreform in den Westzonen, und die Ostzone zog mit einer eigenen Währung dagegen, indem quasi über Nacht ebenfalls alle Reichsmarkguthaben im Verhältnis 10 zu 1 abgewertet wurden. Die neue Währung wurde mit Kupons, die auf die alten Scheine geklebt wurden, notdürftig hergestellt. Auch unsere Lehrer mussten nachts Kupons kleben, damit am nächsten Tage die ersten Geldscheine verfügbar waren. Im Gefolge dieser Reformen wurden die Zonengrenzen der Ostzone zu den westlichen Zonen hermetisch geschlossen, wie es damals hieß. Es schien also nicht mehr möglich zu sein, nach „drüben“ zu kommen. Doch so unüberwindlich stellte sich dann die Grenze doch nicht heraus. Es gab immer wieder Berichte von erfolgreichen Grenzüberschreitungen. Mutter horchte überall herum, wo denn wohl die durchlässigste Stelle sei, und entschloss sich, es im Harz zu versuchen.
So machten sie sich mit mir und meiner zwei Jahre jüngeren Schwester auf den Weg nach Süden. Ihr Ziel war Ilsenburg, denn von dort sollte es zu Fuß noch möglich sein, nach Bad Harzburg auf der westlichen Seite durchzukommen. Ilsenburg machte einen friedlichen Eindruck. Viele Urlauber bevölkerten die Gegend, und Mutter erkundigte sich unbefangen nach dem Weg zur Grenze, ohne daran zu denken, womöglich an einen Falschen geraten zu können. Ein Wanderer, dem sie freudig von dem Vorhaben berichtete, mich zur See zu schicken, winkte nur ab und sagte: „Ich bin zur See gefahren, da kriegen mich keine zehn Pferde mehr hin!“ Das klang nicht sehr ermutigend, aber die auf Hiddensee vermittelten Vorstellungen erwiesen sich doch stärker. Entmutigen ließ ich mich nicht.
Auf einsamer werdenden Waldwegen wanderten wir schließlich allein der Grenze entgegen. Niemand begegnete uns, den man nach dem Weg hätte fragen können, aber auch keine Grenzer, die uns aufgegriffen hätten. Nach einer kleinen Rast im Gebüsch erreichten wir einen Abhang, der völlig kahl geschlagen war. Rechts lugte um einen Vorsprung ein Wachturm hervor. Am Fuße des Hanges floss ein kleiner Bach. Das musste die Ilse sein, die Grenze. Kurz entschlossen rannten wir den Hang hinunter, sprangen über den Bach und fühlten uns sogleich in Sicherheit. Es dauerte auch nicht lange, als ein Grenzer von der anderen Seite kam und unsere Ausweise kontrollierte. Er wies uns dann den Weg nach Bad Harzburg, wo wir uns auf der Aussiedlerstelle melden sollten. Erleichtert schritten wir frohgemut Bad Harzburg entgegen, wo man uns mit einer Fahrkarte nach Neumünster versah, denn dort wohnten Mutters Eltern, die aus Breslau zu den Schwiegereltern ihren jüngeren Tochter geflohen waren. Dort bekamen wir nun auch gleich die Auswirkungen der Währungsreform zu wissen, denn mit dem Tage der neuen Währung gab es eigentlich alles zu kaufen, was vorher nicht zu bekommen war. So erzählte Großmutter, dass sie den Großhändler, der in einem Lagergebäude auf dem Hof ständig Waren aller Art einlagerte, vergeblich gebeten hatte, er möge ihr doch einen Kochtopf verkaufen, den sie so dringend benötigte. Die Waren waren also schon ein Jahr vorher vorrätig und wurden in Erwartung der Währungsumstellung zurückgehalten, obwohl man offiziell davon gar nichts wusste. Die neue Währung kam für die meisten nämlich völlig überraschend. Doch nun fehlte das Geld. Jeder bekam 40 Mark Kopfgeld, und im Übrigen wurden alle Guthaben im Verhältnis 10 zu 1 abgewertet. Lediglich die Lebensmittelversorgung hatte sich nicht geändert. Die Nahrungsmittel blieben weiterhin bewirtschaftet und konnten nach wie vor nur auf Lebensmittelkarten bezogen werden.
Mutter hielt sich nicht lange in Neumünster auf. Bereits am nächsten Tag fuhren wir nach Hamburg, um mich zur See zu schicken, denn mehr als für mich war das für sie ein großes Ereignis, dem sie entgegenfieberte. Wir fuhren nach Altona und fragten uns zum Heuerbüro durch. Dort saßen einige Männer, die auf ein Schiff warteten. Wir setzten uns dazu; der Heuerbaas führte gerade ein Gespräch mit einem jungen Mann aus Bayern, dem er klarmachte, dass ein Schiff kein Bauernhof sei, und er doch lieber zu Hause bleiben solle. Im Hintergrund hörte ich dann das Wort „Mutti“. Zweifellos war das auf uns bezogen, und es war mir außerordentlich peinlich, denn Seefahrt war ja schließlich Männersache. Aber daran war nun nichts zu ändern.
Als Schiffsjunge 1948 zur See – Seekrank auf bewegten Meeren
Dann kam ein Kapitän, der einen Schiffsjungen suchte, dem ich auch sogleich vorgestellt wurde. Mit blauer Schirmmütze vom Vater, Bundjacke, blauer Arbeitshose und Schaftstiefeln hielt ich seinen kritischen Blicken Stand. Als er hörte, dass ich von Hiddensee sei, nahm er mich sofort. Er verabschiedete sich, nannte uns den Liegeplatz des Schiffes, das „HANS GEORG“ hieß, auf dem wir uns dann einfinden sollten, wenn alle Formalitäten an Land erledigt wären. Ich weiß nicht, auf wie vielen Ämtern wir gewesen sind. Zunächst musste ich zum Vertrauensarzt, der meine Seetauglichkeit bescheinigen musste. Die Untersuchungen umfassten abgesehen vom Allgemeinzustand die Lungen, die Leisten, das Hör- und vor allem das Sehvermögen. Alles war in Ordnung. Auf dem Seefahrtsamt bekam ich eine Musterungsbescheinigung. Ein Seefahrtbuch wurde noch nicht ausgehändigt. Zu viele Jungs gaben sehr bald die Seefahrt wieder auf, so dass man Bücher nicht unnötig ausstellen wollte. Wichtig war die schriftliche Einwilligung meiner Mutter, mich zur See fahren zu lassen, die sorgfältig in einem Safe deponiert wurde. Die war wichtig, weil viele Jugendliche von zu Hause wegliefen, um unerlaubt ihr Glück auf See zu versuchen.
Als wir den Liegeplatz in Altona erreichten, empfing uns ein Mastenwald. Wie sollten wir da das Schiff finden? Aber da ragte schon der Bug eines Schiffes mit dem Namen HANS GEORG über die Pier hinweg. Es war gerade Ebbe und der Abstieg zum Schiff erfolgte über eine Leiter in der Kaimauer. Schnell sprangen zwei Matrosen mit einem Lukendeckel zu Hilfe, der über die Reling in die Leiter geschoben wurde, um Mutter das Anbordkommen zu erleichtern. Der Kapitän war auch schon auf dem Schiff und lud uns zu einer Tasse Kaffee in seinen Salon ein. Er hieß Pisch, war ein Mann von etwa 50 Jahren, stammte aus Mariendorf auf Rügen und kannte natürlich Stralsund gut. Im angeregten Gespräch fand man schnell gemeinsame Bekannte, und ich fand es sehr ordentlich von meinem Kapitän, seinen neuen Schiffsjungen zum Kaffee einzuladen. Dass aber die Einladung meiner Mutter galt, kam mir nicht in den Sinn, denn schließlich fühlte ich mich als Hauptperson.
Kapitän Pisch gab nun einige Erläuterungen zum Schiff. Die HANS GEORG – alle Schiffe sind weiblich, auch wenn sie einen männlichen Namen haben – hatte 300 Ladetonnen und gehörte einer Frau Krüger, der Mutter des 22jährigen Steuermannes, die auch mitfuhr aber jetzt nicht an Bord war.
Die HANS GEORG war in der Elsflether Werft AG im Jahre 1937 für den Reeder Krüger in Stettin gebaut worden. Das Schiff hat eine Länge von 34 Metern und eine Breite von 7 Metern. Im Jahre 1940 wurde es als Versuchsschiff an die Kriegsmarine abgegeben und wurde in der Landungsflotte in der Ostsee eingesetzt. Im August 1945 erfolgte die Rückgabe an die Reederwitwe Annie Krüger in Elsfleth.
Die nächste Reise soll mit Weizen nach Düsseldorf gehen. „Nach Düsseldorf?“ erkundigte sich Mutter erstaunt. „Düsseldorf liegt doch nicht am Meer!“ – „Hamburg auch nicht“, sagte lachend der Kapitän. „Um von der Nordsee nach Hamburg zu kommen, müssen wir acht Stunden die Elbe stromaufwärts fahren. Nach Düsseldorf werden wir rheinaufwärts ein bisschen länger unterwegs sein.“ Immerhin war eine Rheinfahrt mit einem Seeschiff etwas Ungewöhnliches. Zunächst würde die Reise über die Nordsee nach Rotterdam gehen, und von dort würden wir den Fluss hinauffahren.
Dann kam er auf mich zu sprechen, nannte die Tugenden eines Seemannes, die unbedingt zu beherzigen seien. Ein Seemann, so sagte er, ist ehrlich, willig und fleißig. Dann lobte er meinen Vorgänger im Dienst, der vorzeitig zum Jungmann befördert worden sei, und ich nahm mir vor, ihm nachzueifern. Ich wollte natürlich ein guter Schiffsjunge sein. Als nächstes wollte der Kapitän wissen, ob ich auch genügend Sachen hätte. Ich zählte ihm auf: eine Arbeitshose, die ich bereits anhatte, ein Paar Schaftstiefel, eine gute Hose, ein Paar Halbschuhe, eine Schirmmütze, einige Hemden, Socken, etwas Unterwäsche und zwei Decken für die Koje. Viel war es nicht. „Und was willst du an Deck auf die Füße ziehen? Die Stiefel sind zu schwer im Sommer.“ – „Ich kann ja barfuß laufen“, meinte ich. „Nee, Junge, das geht nicht, da holst du dir Repitismus.“ Er meinte Rheumatismus. Da ich kein Geld hatte, schlug er vor, wenigstens ein Paar Holzpantoffeln zu kaufen und gab mir einen kleinen Vorschuss von 10 Mark. An Heuer bekäme ich 20 Mark im Monat bei freier Kost und Logis.
Nach dem Imbiss machten wir eine Schiffsbesichtigung. Neben dem Salon war die Kammer von Frau Krüger. Dann sahen wir die Kammer des Steuermanns, warfen einen Blick von oben in den Maschinenraum, gingen an der Kammer des Kapitäns vorbei und beendeten unsere Rundgang durch das Achterschiff in der Kombüse, meinem künftigen Tätigkeitsfeld, denn ich hatte für die siebenköpfige Mannschaft zu kochen, Backschaft zu machen und alles sauber zu halten.
Dann verabschiedete sich Mutter mit den Worten: „Auf Wiedersehen in sieben Jahren.“ Das war die Mindestzeit, um Kapitän zu werden, und das erwartete – wenn auch scherzhaft gemeint – sie von mir.
Nun war ich allein auf dem Schiff. Meine Sachen musste ich ins Ruderhaus stellen, weil meine Koje im Vorschiff noch von einem Leichtmatrosen belegt war, der erst am nächsten Tag von Bord gehen würde. Dann kam der Kapitän mit einem Auftrag. Ich musste ihn zur Post begleiten und ein großes Paket tragen. Es war wirklich schwer und zerrte an meinen Armen. Dann nahm ich es auf eine Schulter und wälzte es bald von der einen auf die andere Seite. Dabei musste ich mit dem Kapitän Schritt halten. Meine erste Arbeit, dachte ich. Hoffentlich ist nicht die ganze Seefahrt so schwer. Eine dunkle Ahnung beschlich mich. Doch, noch bevor wir die Post erreichten, wurde ich von der Last erlöst und eilte zurück an den Hafen, wo ich mir in einem der vielen kleinen Läden, die an der Hafenstraße lagen, um die Seeleute mit dem Nötigsten zu versorgen, ein Paar Holzpantoffeln kaufte.
Zurück an Bord, lernte ich weitere Besatzungsmitglieder kennen, die sich inzwischen eingefunden hatten. Da war Frau Krüger, die Witwe des Schiffseigners, deren 22jähriger Sohn auf dem Schiff als Steuermann fuhr. Er sollte dann später das Schiff als Kapitän fahren. Frau Krüger bewohnte die Kapitänskammer neben dem Salon. Der Steuermann die Steuermannskammer und der Kapitän die Maschinistenkammer. Alle Räume waren durch einen Korridor verbunden, der um den Maschinenschacht herumführte. Ein Maschinist fuhr das Schiff nicht, die nötigen Arbeiten an der Maschine besorgte der Matrose Eugen, der Bestmann. Im Übrigen wurde die Maschine vom Ruderhaus aus bedient.
Den inneren Korridor erreichte man durch die Kombüse, wie man an Bord die Küche nennt. Sie unterschied sich eigentlich nicht von einer Küche an Land – bis auf die schwere Eisentür, die mit zwei kräftigen Riegeln wasserdicht verschlossen werden konnte. Von Deck stieg man über eine etwa kniehohe Schwelle auf eine Stufe in der Kombüse, die etwas tiefer als das Deck lag. Kam man hinein, so befand sich zur Linken ein großer Kohleherd mit mehreren Feuerstellen, die mit Herdringen abgedeckt waren. Dahinter befand sich an der Bordwand ein Spülbecken mit einer Geschirrablage zum Abtropfen des Geschirrs. Daneben an der Bordwand war ein Küchenschrank mit Türen und Schüben, wie er in den Küchen üblicherweise verwendetet wurde. An der Wand gegenüber der Eingangstür war die Tür zur Maschinistenkammer. An der vierten Wand waren neben der genannten Kammertür der Zugang zum inneren Korridor und ein tischhohes Schränkchen, an dem die Matrosen ihre Mahlzeiten einnahmen. Der Fußboden war mit schwarzen und weißen Fliesen belegt und die Wände mit elfenbeinfarben gestrichenen Brettern verkleidet. Dies war nun mein Revier, in dem ich nun unter der Regie von Frau Krüger zu wirtschaften hatte. Man lobte den Jungmann Manfred, der alles schön sauber und ordentlich gehalten hatte, und ich versprach, es gleichfalls zu tun. Dann fragte mich meine Küchenregentin, wie ich denn hieße. Als ich ihr meinen Namen nannte, sagte sie: „Nun haben wir auch einmal einen Arne.“ So, wie sie die Antwort formulierte, hatte ich den Eindruck, dass hier die Schiffsjungen sehr häufig wechselten. Schließlich wurde man ja erst nach einem Jahr befördert. Dass dieser schwache Hinweis sich zu einem schwerwiegenden Umstand entwickelte, sollte ich dann bald erfahren.
Doch zunächst war alles neu und interessant für mich, und ich überlegte auch gleich, wo ich mich denn am besten aufhalten könne, wenn ich Freizeit hätte, um möglichst viel von der Welt zu sehen. So schaute ich erst einmal aus der Kombüsentür nach vorn. Das Vorschiff ragte hoch hinauf, denn das Schiff war leer. Über dem Bug konnte man nur den Himmel sehen. Lediglich zur Seite war der Blick frei. Auf der rechten – auf dem Schiff spricht man von Steuerbord – war die Kaimauer, und auf der linken – Backbord genannt – lagen weitere Schiffe, die zu fünfen oder sechsen ein Päckchen bildeten. So wurde unser Schiff zum Durchgang für alle Besatzungsmitglieder der benachbarten Schiffe, die munter über Deck und Luken das Schiff überquerten, teils mit Seesäcken bepackt, wenn sie ab- oder anheuerten. Sogar eine Seekiste habe ich gesehen, die zu zweit über die Schiffe bugsiert wurde. Unser Schiff war unter den vielen anderen noch das größte, ein recht modernes Küstenmotorschiff, während die anderen altmodische Motorsegler waren.
Die Nacht musste ich im Kartenhaus verbringen, weil meine Koje noch nicht frei war. Eine schwach gepolsterte schmale Bank war meine bescheidene Lagerstatt. Lange lag ich wach, die vielen neuen Eindrücke ließen keinen Schlaf aufkommen. Selbst im Dunkeln auf dem Schiff gab es immer wieder Neues wahrzunehmen. Das Schiff schaukelte leicht auf den kleinen Wellen im Hamburger Hafen, die ständig gegen das Achterschiff platschten. Dann fuhr ein Schiff vorbei. Man hörte deutlich die Maschinengeräusche näherkommen und wieder verschwinden. Die Bugwelle schlug kräftig gegen das Schiff. Wieder und wieder fuhren Schiffe vorbei, mal näher, mal ferner. Signalhörner tuteten, und Dampfpfeifen heulten über die Elbe. Doch endlich überkam mich die Müdigkeit, und ich schlief ein.
Am anderen Morgen war ich zeitig wach, erhob mich leise von meinem spartanischen Lager und sah mich um. Das Kartenhaus mit seinem Kartentisch lag hinter dem Ruderhaus, in das ich hinüber ging. Bewegte etwas das Ruderrad, betrachtete den Kompass und stellt mir vor, das Schiff zu steuern. Wann würde ich wohl das erste Mal hier meinen Dienst tun?
Ich sah durch das Fenster auf das Schiff; sah die hintere und die vordere Ladeluke, zwischen denen der Mast stand. Ganz vorne führten auf jeder Seite Treppen zur Back hinauf, unter der das Mannschaftslogis war. Eine Niedergangkappe deckte die Treppe nach unten ab. Aber da öffnete sich schon die Tür, und Manfred erschien an Deck. Er sah mich und winkte mich sofort mit gebieterischer Geste nach unten in die Kombüse. Mein Dienst begann. Manfred machte mich nun mit meinen täglichen Pflichten vertraut. Morgens um 6 Uhr hatte ich mich von einem Wecker wecken zu lasen, aufzustehen und in der Kombüse Feuer zu machen. Dazu öffnete er eine Kiste, die als Stufe am Kombüseneingang diente, entnahm ihr eine Konservenbüchse, in der im Dieselöl Kleinholz stand. Er öffnete den Herd, legte das dieselgetränkte Holz hinein, gab Steinkohle darauf und zündete das Holz an. Es dauerte nicht lange, da brannte im Herd ein kräftiges Feuer. Nun wurde Kaffeewasser aufgesetzt und zum Kochen gebracht. Aus einer Büchse holte er Kaffee, der sich als richtiger Bohnenkaffee erwies. Er war damals an Land noch eine Köstlichkeit, die auf dem Schwarzen Markt nur mit viel Geld zu haben war. Der Tisch wurde mit Messern, Brettern und Muggen gedeckt. Im Schrank hatte jeder seinen Teller mit seinem Proviant, der ihm regelmäßig zugeteilt wurde. Butter, Käse, Wurst, Marmelade. Brot gab es reichlich, so dass es nicht zugeteilt zu werden brauchte. Jeden Morgen wurde ein ganzes Brot mit der Hand in gleichmäßige Scheiben aufgeschnitten. Ich bekam soviel Übung darin, dass eine Scheibe der anderen glich. Der Kapitän wurde von mir nicht geweckt. Er kam nur, seinen Kaffee zu brühen und verschwand damit im Salon. Ich bekam nur sein Geschirr zum Abwaschen.
Manfred wies mich in die weiteren Aufgaben ein. Zunächst war Backschaft zu machen, so nennt man das Abwaschen, und Aufklaren der Kombüse. Der Tagestank war mit Frischwasser vollzupumpen. Im Maschinenschacht war eine Schwengelpumpe, mit der das Wasser aus dem großen Tank im Schiffsboden in den über der Kombüse gelegenen Tagestank zu pumpen war, bis das überlaufende Wasser unten in die Bilge plätscherte. Dann waren Kartoffeln zu schälen. Hinter dem Ruderhaus war das so genannte Kartoffelhuk, eigentlich ein Niedergang, der aber mit Brettern verschlossen war, auf denen nun die Kartoffeln lagerten. So setzte ich mich in der Kombüse auf einen Hocker, nahm eine Pütz zwischen die Beine, legte die Unterarme auf die Knie und begann mit dem hinteren Ende der Messerklinge meine Arbeit. Der Kapitän sah das und sagte: „Beim Kartoffelschälen legt man nicht die Arme auf die Knie, man sitzt gerade.“ Ich setzte mich gerade hin. Nach einer Weile kam er wieder und sah das Messer. „Mit diesem Messer werden keine Kartoffeln geschält. Du nimmst dieses hier!“ In meinem Eifer, alles zur Zufriedenheit auszuführen, sagte ich nicht einfach „ja“ sondern „ja, ja“. – „Du sollst nicht immer ja, ja sagen, und außerdem hältst du das Messer falsch. Du musst mit der Spitze schälen. Hörst du?“ – „Ja, ja“, antwortete ich. „Du sagst ja schon wieder ja, ja! Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht immer ja, ja sagen sollst!“ Mir war unklar, warum ich nicht ja, ja sagen sollte, war es doch in bester Absicht geschehen. Aber da er es wünschte, bemühte ich mich, mit einem einfachen Ja zu antworten. Nach einer Weile hatte ich die Kartoffeln geschält, und der Kapitän gab Anweisung, die Kartoffeln zu waschen. „Du nimmst dir jetzt eine Back und stellst sie auf die Back.“ Er stutzte einen Augeblick und meinte: „Bei uns heißt alles Back. Die Schüssel hier ist eine Back, dieser Tisch ist eine Back, und da vorne ist auch eine Back.“ Dabei zeigte er auf den erhöhten Teil des Vorschiffes. Ich kannte die Begriffe bereits und sagte im Eifer ja, ja. „Du sagst ja schon wieder ja, ja! Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht immer ja, ja sagen sollst!“ Ich nahm mir nun vor, besser auf mein ja, ja zu achten, damit nicht wieder so etwas passierte. „So, nun wäschst du die Kartoffeln dreimal.“ Aber das Unglück wollte es, dass ich, durch die Arbeit abgelenkt, wieder ja, ja sagte. „Mann, wat büst du dämlich!“, fuhr mich der Kapitän an. „Jetzt sagst du schon wieder ja, ja! Weißt du nicht, was das heißt?“ – „Nein“, sagte ich leise. „Na, dann will ich es dir sagen“, und er zitierte die bewusste Stelle aus dem „Götz von Berlichingen“. Nun war ich im Bilde und hütete mich jetzt ganz besonders vor einem nochmaligen ja, ja. Es ging wirklich eine Zeitlang gut, bis es mir dann doch wieder einmal im Eifer über die Lippen rutschte. Der Kapitän sah mich mitleidig an und sagte: „Ach Moses, wat büst du doch dämlich!“ Nun hörte ich zum ersten Mal das Wort „Moses“. Ich kannte die Bezeichnung für Schiffsjungen nicht und glaubte, es wäre eine Bezeichnung für Doofe. Ich sah zwar keinen Zusammenhang mit dem biblischen Propheten, aber bei volkstümlichen Bezeichnungen war man sich ja nie ganz sicher. Nun redete er mich fortan mit Moses an, was mich jedes Mal kränkte, da ich mich ja nun doch nicht für so doof hielt.
Nun war ich mit Schälen fertig und warf die Kartoffelschalen einfach Über Bord. Doch der Kapitän belehrte mich: „Über Bord darf im Hafen nichts geworfen werden. Das kostet 10 Mark Strafe, wenn man dich erwischt.“ Ich kümmerte mich aber nicht darum, denn ich wusste ja nicht, wo ich mit den Schalen bleiben sollte. Darüber gab mir der Kapitän keine Auskunft. Also blieb ich bei meiner Über-Bord-Methode. Das galt natürlich für alles andere, wie Asche und sonstige Abfälle auch.
Die Kartoffeln wurden aufgesetzt, und ein Topf wurde mir gezeigt, in dem Fleisch geschmort wurde. Meine Aufgabe war es nun, das Fleisch nicht anbrennen zu lassen. Alles Übrige machte der Kapitän.
Während die Kartoffeln kochten, fegte ich das Mannschaftslogis aus und brachte es in Ordnung. Meine Koje war inzwischen frei geworden und wurde von mir hergerichtet. Ich bezog die obere Querschiffskoje. Die beiden unteren Kojen blieben Älteren Dienstgraden vorbehalten. Jede Koje hat nämlich ihren Wert und damit auch einen Rang. Der beste Schlafplatz war die untere Längsschiffskoje, die schlechteste die obere Querschiffskoje. Querschiffskojen haben den Nachteil, dass man beim Krängen des Schiffes, d. h., wenn es zur Seite geneigt war, was im Hafen beim Be- und Entladen vorkam, zuweilen mit dem Kopf nach unten lag, was nicht sehr angenehm war. Auch wurde auf bewegter See das Schlingern stärker empfunden. Die Frage, ob nun eine obere Längsschiffskoje oder eine untere Querschiffskoje besser sei, wird meistens zugunsten der unteren entschieden. Unten zu schlafen ist vornehmer. So war denn die Rangfolge bei der Mannschaft an der Kojenbelegung abzulesen. Der 25jährige Eugen war der Älteste und fuhr als Bestmann, der gleichzeitig die 300 PS starke Maschine zu warten hatte. Hein war der Leichtmatrose, von Beruf Bäcker und etwa gleichaltrig mit Eugen. Manfred als frischgebackener Jungmann schlief in der oberen Längskoje.
Mein Kojenzeug war bescheiden. Eine dünne grüne Friesdecke bildete die Unterlage auf einer Matratze, die auf Brettern lag. Zum Zudecken hatte ich eine graue Militärdecke mit dem roten Streifen an einem Ende und einem blauen am anderen Ende. Als Kopfkissen diente eine Schwimmweste, die in jeder Koje lag. Geschlafen wurde im Unterzeug. Die anderen hatten keine bessere Ausstattung, denn in „weißem Kojenzeug“ schlief niemand, die Bettwäsche wäre auch zu aufwendig an Bord gewesen.
Nach dem Mittagessen wurde wieder Backschaft gemacht und anschließend die Kombüse gescheuert. Das geschah mit einem Leuwagen, den man an Land Schrubber nennt. Damit ging ich mit etwas Ata den schwarzen und weißen Fliesen zu Leibe. Aber dem Kapitän gefiel meine Arbeitsweise nicht. „Du hast wohl bei deiner Großmutter scheuern gelernt? An Bord macht man das so.“ Er nahm mir den Leuwagen aus der Hand und tanzte wie eine aufgezogene Puppe mit dem Leuwagen in Windeseile von einer Fliese zur anderen. Ich musste es genauso machen und kam dabei ganz schön ins Schwitzen.
Anschließend war etwas Zeit, meine Sachen in den Schrank zu ordnen. Es war nicht viel, das meiste vom Vater, der als vermisst galt und für tot erklärt worden war. So nach und nach wollte ich mir einiges von der Heuer kaufen.
Hein und Manfred waren unterdessen mit Malen beschäftigt. Das Schiff war grau gestrichen, und die Verschanzung bekam einen neuen Anstrich. Das Malen ist überhaupt eine ständige Tätigkeit an Bord, denn das Schiff konnte nur stückchenweise von der Mannschaft gestrichen werden. Ein Anstrich in der Werft wäre zu teuer gewesen.
Am nächsten Tag verholten wir in den Roßhafen. Zunächst mussten wir aus dem Päckchen herausmanövrieren. Dabei wurde das Päckchen von fünf oder sechs neben uns liegenden Schiffen in das Hafenbecken hinausgeschoben, bis wir einen freien Ausgang hatten. Das unmittelbar neben uns liegende Schiff holte danach das Päckchen wieder an die Kaimauer zurück.
Mitten im Roßhafen lag ein großes amerikanisches Schiff, ein sogenanntes Liberty-Schiff, das 10.000 Tonnen Weizen geladen hatte, der von vier schwimmenden Getreidehebern, die auf jeder Seite vorne und achtern ihre Saugrüssel in die Laderäume gesenkt hatten, in die kleinen Schiffe umgeladen wurde. Der Weizen kam im Rahmen der Marshall-Plan-Hilfe aus Amerika, die 1948 in Kraft gesetzt wurde. Diese Liberty-Schiffe nannte man auch 99-Tage-Schiffe, weil sie während des Krieges in 99 Tagen gebaut wurden, um die großen Tonnageverluste durch den UBootkrieg auszugleichen. Schiffe solcher Größe besaß Deutschland nicht mehr. Alle Schiffe mit mehr als etwa 1.000 bis 2.000 Ladetonnen gingen im Rahmen der Reparationsleistungen vorwiegend nach England.
Der Weizen strömte nun unablässig in den Laderaum, den die Mannschaft zu trimmen hatte. Längs der Mitte des Laderaumes war aus Bohlen eine Trennwand eingezogen worden, um ein seitliches Verrutschen der Ladung zu verhindern, denn das Schiff könnte dadurch in Schieflage geraten und dabei kentern. Das große Segelschiff „PAMIR“ ist auf diese Weise im Sturm auf dem Atlantik gekentert und untergegangen. Mit Schaufeln und Händen wurde diese kostbare Fracht in alle Winkel verteilt, um möglichst viel in das Schiff aufnehmen zu können. Es war ein ungewöhnliches Gefühl, in so viel Weizen zu sitzen, wo die Leute an Land für eine Tüte voll schon dankbar gewesen wären. Es wurde auch viel mit Weizen schwarz gehandelt, der auf solchen Transporten gestohlen wurde, und auch unsere Mannschaft hatte bei früheren Ladungen einen ganzen Sack voll Weizen an Land gehen lassen. Polizei und Zoll hatten viel zu tun, um das kostbare Gut aus Amerika auf den gesetzlichen Wegen zu halten.
Am Abend war das Schiff voll beladen, und wir machten uns sogleich auf die Reise elbeabwärts. Es war auslaufender Strom, denn wir hatten den Höhepunkt der Tide überschritten, und das Wasser strömte zurück in die Nordsee. Die Schiffe richten sich beim Ein- und Auslaufen immer nach dieser recht starken Strömung, um schneller den Hafen oder das offene Meer zu erreichen.
Während der Fahrt wurden die Luken geschlossen. Schwere Holzbohlen wurden auf die quer zum Schiff liegenden Scherstöcke gelegt. Dann wurde eine Persenning, das ist eine Plane, über die Luken gelegt, deren Ränder mit Eisenlatten und Keilen verschalkt wurden. Schließlich wurde das Deck gefegt, und unser Schiff war seeklar. Ruhig lag das Schiff auf der Elbe, deren Wasser seitlich durch die Speigatten auf das Deck spülten. Wie mag das wohl bei Seegang aussehen?
Nach dem Abendbrot legte ich mich in meine Koje und schlief ein. Etwa um Mitternacht wurde ich geweckt. Ich sollte ins Ruderhaus kommen. „Wir haben jetzt Cuxhaven achteraus“, sagte der Kapitän, blieb mir aber eine Erklärung für meine Anwesenheit dort oben schuldig. Immerhin war es für mich neu, nachts auf einem fahrenden Schiff im Ruderhaus zu stehen, und so freute ich mich an den Lichtern der vielen ein- und auslaufenden Schiffe. Es war dunkel, und es wurde kaum gesprochen. Manfred stand am Ruder, er ging die erste Wache. Das Schiff fuhr ganz ruhig, aber nach einiger Zeit kam etwas Bewegung in das Schiff, bis es in ziemlich regelmäßigem Auf und Nieder seinen Kurs auf die Nordsee nahm. Mich überfiel eine starke Müdigkeit, die ich zunächst mit der nächtlichen Stunde zu erklären suchte. Meine Glieder wurden schwerer und schwerer, es machte mir Mühe die Augen offen zu halten. Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich. Es lag später zwischen Müdigkeit und Übelkeit. Die Bewegung des Schiffes wurde stärker. Anfangs konnte ich sie noch durch Gegenbewegung des Körpers ein wenig ausgleichen. Doch nun gewannen sie die Oberhand und schaukelten meinen müde und schlaff gewordenen Körper hin und her. „Darf ich jetzt wieder schlafen gehen?“ fragte ich. Der Kapitän erlaubte es und trug mir auf, Eugen zu wecken, damit er die nächste Wache antrete. Der Steuermann war auch schon auf der Brücke, um den Kapitän abzulösen. Es war 12 Uhr nachts. Ich eilte nach vorn, die auf- und niedergehende Schiffbewegung war dort viel stärker als achtern zu spüren, und ich merkte, dass mir sehr übel wurde und ich sogar einen Brechreiz verspürte. Mein einziger Gedanke war: Schnell in die Koje! Aber Eugen musste noch geweckt werden, doch als ich ihn ansprechen wollte, kam statt der Worte das Abendbrot aus meinem Munde. Ich war seekrank! Nun war mir alles egal. Eugen war wach, der Fußboden beschmutzt, und ich lag apathisch in der Koje. Man nahm aber keinen Anstoß daran.
Am nächsten Morgen wurde ich geweckt. Eugen stand an meiner Koje. Das Wasser tropfte ihm von der Mütze, und seine Öljacke war nass. „Wir haben schlechtes Wetter bekommen“, sagte er. Das Schiff war unablässig in Bewegung. Das Stampfen und Rollen war noch viel stärker als am Abend zuvor. Im Logis stand das Wasser fußhoch über dem Fußboden und schwappte ständig von einer Ecke in die andere. Mein Abendbrot war längst in den Fluten versunken. Auf Bank und Back turnend kleidete ich mich an und stieg den Niedergang hinauf an Deck. Das Wetter war wirklich sehr schlecht. Der Himmel dicht mit Wolken verhangen, der Sturm fegte über das Wasser und peitschte die Wellen hoch, die Brecher kamen über die Niedergangskappe, spülten über das Deck und verwandelten es samt der Luken in einen brodelnden Kessel, aus dem nur noch der Mast und das Achterschiff herausragten. Wie sollte man da nach achtern kommen? Nach ein paar Sekunden hob sich das Vorschiff wieder, das Wasser lief von den Luken herunter. Doch das Deck blieb unter Wasser, denn nun setzte der nächste Brecher wieder die Luken unter Wasser, ehe das Wasser des vorhergegangenen durch die Speigatten abgeflossen war. Es gab keine andere Möglichkeit nach achtern zu kommen, als den Moment abzupassen, in dem die Luken wasserfrei waren. Und mir blieben nur wenige Sekunden, über die Luken nach achtern zu gelangen.
In der Kombüse war ich allein. Das Feuer brannte im Herd, der Kaffee war gekocht. Hein hatte Wache und stand am Ruder. Frau Krüger ließ sich nicht sehen. Frühstücksappetit hatte ich auch nicht. Übelkeit und Brechreiz stellten sich wieder ein und forderten ihren Tribut an die bewegte See, ein Ereignis, das das Befinden für einige Zeit etwas besserte. Die Holzkiste vor der Tür erwies sich als bequemer Sitzplatz. Apathisch betrachtete ich das Wasser, das mit jedem überkommenden Brecher vor der Kombüsentür über das Deck spülte und von Zeit zu Zeit meinen Mageninhalt, der sich darin ergoss, in das Meer mitnahm. Mir wurde immer elender zumute. Immer wieder musste sich der Magen entleeren, was nun unter heftigen Krämpfen geschah. Etwas Magensaft und Galle forderten unerbittlich den Weg ins Freie. Der Geschmack auf der Zunge war widerlich. Nachdem sich der Krampf gelöst hatte, sackte ich wieder apathisch auf die Kiste zurück und lehnte mich ermattet an die Wand, bis der nächste Anfall kam. Mein Befinden war unbeschreiblich schlecht, ich dachte an nichts, und die Zeit verging.
Mittags kam der Kapitän in die Kombüse, sah zum Herd und grunzte mich böse an: „Sitzt hier in der Kombüse und lässt das Feuer ausgehen!“ Nun musste ich wieder das Feuer in Gang bringen. Es ging eigentlich besser als ich dachte. Die scharfe Ansprache hatte mich aufgemuntert, und bald brannte wieder das Feuer im Herd. Aber nach getaner Arbeit stellte sich wieder die Apathie ein, und ich war versucht, mich wieder auf die Holzkiste zu setzten. Blieb aber an die Back gelehnt stehen, um von Zeit zu Zeit nach dem Feuer sehen zu können. Das Aufstehen bedeutet bei Seekrankheit eine ungeheure Willensanstrengung. Dagegen verfällt man im Stehen nicht so schnell in Lethargie. Nach einiger Zeit kam der Kapitän zurück, sah mich böse an und sagte: „Gibt es bei dir immer so flaue Bissen?“ Ich verstand nicht recht, was er meinte. „Willst du uns kein Mittag kochen, du Dösbüdel?“ schnaubte er und verschwand. Ich muss mich ja um das Essen kümmern! In Hamburg hatte mir Frau Krüger gesagt, was zu tun sei. Nun lag sie seekrank in der Koje und ließ sich nicht sehen. Ich muss ja Kartoffeln kochen! schoss es mir durch den Kopf. Nahm eine Pütz und ging auf das Achterdeck, um Kartoffeln zu holen. „Nun brauchst du kein Mittag mehr zu machen“, rief der Kapitän, indem er seinen Kopf aus der Tür des Ruderhauses steckte, „die Mittagszeit ist jetzt vorbei!“ Dann verschwand er wieder im Ruderhaus.
Mir war diese Mitteilung sehr willkommen. Ich blieb auf dem Achterdeck, setzte mich auf die dort aufgeschossenen Festmacher hinter den Schornstein, wo ich windgeschützt frische Luft atmete, die mir sehr gut tat. Nur hin und wieder musste ich an die Reling, um dem bewegten Meer meinen Tribut zu zollen. Man ließ mich dort auch in Ruhe. Nachmittags schlief der Kapitän. Der Steuermann hatte Wache. Er kam zu mir hinter den Schornstein und meinte mitfühlend: „Na, bist du seekrank?“ Ich nickte müde. „Wirst dich noch daran gewöhnen. Viele werden anfangs seekrank, aber das gibt sich mit der Zeit.“ Gegend Abend kam Manfred und befahl mich mit strenger Miene in die Kombüse, wo ich unter seiner Regie Bratkartoffeln zu machen und Kaffee zu kochen hatte, und war danach froh, mich wieder in die Koje legen zu können.
Am anderen Morgen war das gleiche Wetter. Der Himmel war mit Wolken verhangen, und die Brecher schlugen über das unentwegt auf und ab stampfende Schiff. Mein Zustand war alles andere als rosig. Etwas weich in den Knien lief ich über die Luken nach achtern, um mich um die Kombüse zu kümmern. Im Gesicht sah ich grau und elend aus. Es war wie am Vortage. Kein Appetit, keine Kraft, eine Arbeit ordentlich zu verrichten. Dazu die Übelkeit, Schwindelgefühl und Kopfschmerzen. Der Magen meldete sich wieder, der mich die Nacht über in Ruhe gelassen hatte und krampfte sich von Zeit zu Zeit zusammen, um die letzten Tropfen Galle auszupressen, die in zähen Tropfen über die Zungen glitten.
Wenn ich einen Augenblick saß, verfiel ich gleich in völlige Apathie, schloss die Augen und träumte wie in Trance irgendwelche Dinge. Meist waren es Arbeiten, die ich zu verrichten hatte, aber zu denen ich mich nicht aufraffen konnte. Ich war recht unglücklich über meinen Zustand, denn die Seefahrt hatte ich mir doch ein wenig anders vorgestellt. An die Seekrankheit hatte ich nie ernsthaft geglaubt. Dafür packte sie mich jetzt umso heftiger, und meine einzige Hoffnung war, dass ich mich bald daran gewöhnen würde.
Der Kapitän war mit mir unzufrieden. „Das ist doch keine Seefahrt, das ist eine Salonfahrt! Sieh mal raus, was da für schönes Wetter ist! und du stehst hier und kotzt!“ Gehorsam sah ich durch das Bullauge auf die stürmisch bewegte See. Die Wolkendecke war ein wenig aufgerissen, und die Sonne ließ das Wasser grünlich hell erscheinen, auf dem die mit leuchtend weißen Schaumkämmen verzierten Wellen lustig tanzten. Sie leckten mit ihren Spitzen am Bullauge und verschlossen es zuweilen für einen Augenblick mit einem hellgrünen Vorhang. Es war wirklich ein schöner Anblick, den ich selbst bei meinem Zustand so empfand. Dass es wirklich eine Salonfahrt war, begrifflich erst später, als von den nassen Arbeiten auf den kleinen Segelschiffen hörte, wo die Matrosen bis an die Hüften im Wasser stehend, sich mit den Füßen unter dem Schotwagen haltend vor dem Mast die Segel setzten.
Ich hatte mich mal wieder aufgerafft, um nach dem Feuer zu sehen. Für kurze Arbeiten konnte ich meine Kräfte noch sammeln und die Trägheit überwinden, ermattete aber sehr bald und sank wieder auf meine Kiste an der Tür zurück. Meine Hände waren schmutzig, die Haut merkwürdig klebrig, das Gesicht schmal und grau, die Mütze saß schief auf dem Kopf, kurz, mein Äußeres war mir völlig gleichgültig geworden. Da kam der Kapitän in die Kombüse und scheuchte mich auf: „Moses, wie siehst du bloß aus! Wir haben jetzt Höck von Holland achteraus. In einer halben Stunde kommt der Lotse an Bord. Was sollen die Holländer von uns Deutschen denken, wenn sie dich sehen! Dieses Schiff ist ein Stück deutscher Boden, und damit wollen wir einen guten Eindruck im Ausland machen!“
Ich nahm mir das sehr zu Herzen. Nun kam ich schon mal ins Ausland und musste dort gleich einen schlechten Eindruck machen. Natürlich wollte ich Deutschland keine Unehre antun und hielt es für das Beste, mich erst gar nicht sehen zu lassen. Der Platz hinter dem Schornstein schien mir geeignet zu sein, mich zu verbergen, denn ich glaubte, der Lotse käme unten bei der Kombüse an der niedrigsten Stelle des Schiffes an Bord. Aber das war ein Irrtum. Nach einer Weile kam Eugen, warf ein bereitliegendes Fallreep über die Reling, und gleich darauf erschien der Lotse an Deck, und sein erster Blick fiel genau auf mich! Ich schämte mich in Grund und Boden. Meine seelischen Kräfte waren erschöpft; ich fühlte mich in diesem Moment als die personifizierte Schande Deutschlands und hoffte nur, der Lotse möge dem Kapitän nichts sagen.
Wir näherten uns jetzt der holländischen Küste, die See wurde ruhiger, bis sie sich glättete, als wir auf beiden Seiten die Ufer der Rheinmündung sahen und Kurs auf Rotterdam nahmen. Mein Unwohlsein verschwand, und der Appetit stellte sich gleich so stark ein, dass ich mich, ohne die nächste Mahlzeit abzuwarten, über meinen Proviant hermachte. Ich hatte viel nachzuholen, und bald war die Seekrankheit vergessen. Die Kräfte kamen wieder und glücklich blickte ich auf die in der Ferne auftauchende Silhouette von Rotterdam. Der Wind legte sich, die Sonne kam durch die Wolken, und bei herrlichem Sonnenschein liefen wir in Rotterdam ein. Ein Motorboot kam, nahm den Seelotsen von Bord und brachte den Rheinlotsen, der uns nun die ganze Reise nach Düsseldorf und zurück begleiten sollte.
Nun gab es viel Arbeit, denn der Mast musste umgelegt werden, damit das Schiff unter den Rheinbrücken durchfahren konnte. Wir machten dazu an einem Kai in der Nähe der Stadt für kurze Zeit fest, und mich überkam doch ein wenig Stolz, holländischen Boden zu betreten, wenn auch nur für einen Augenblick, als ich an Land sprang, um die Augen der Festmacher über die Poller zu legen. Bald kam auch ein Lieferwagen und brachte Proviant. Feiner holländischer Käse, Butter, Büchsenmilch und viele andere schöne Dinge, die ich noch nie gesehen hatte.
Gegen Mittag fuhren wir durch Rotterdam. Ich war in der Kombüse beschäftig und hatte nur wenig Gelegenheit, einen Blick durch das Bullauge über dem Spülbecken zu werfen oder an Deck zu gehen, um ein paar Eindrücke von dieser Stadt zu erheischen, von der ich schon einiges gehört hatte. Die Straße führte am Rheinufer entlang, an der alte Häuser mit schönen Fassaden standen. Hin und wieder konnte ich einen Blick in eine der vielen Grachten werfen, die wie Querstraßen vom Rhein in die Stadt führten. Auffallend waren die vielen Radfahrer, die in besonders großer Zahl auf den Rheinbrücken zu sehen waren; es sah aus, als wäre ganz Holland auf Rädern unterwegs. Ich wusste auch, dass Rotterdam im Krieg durch Bombenangriffe starke Schäden erlitten hatte, aber vom Schiff aus waren keine zerstörten Häuser zu erkennen. Die Stadt machte einen unzerstörten Eindruck, einen ganz anderen als Hamburg.
Bald lag Rotterdam hinter uns, und außer den grünen Deichen, die links und rechts den Blick übers Land versperrten, gab es nichts Sehenswertes.
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