Dass die bürgerliche Emanzipation der Kunst von Kirche und Adel keineswegs nur Autonomie, sondern auch einen paradoxen Markt des Unmarktförmigen mit eigenen Herr/Knecht-Verhältnissen hervorgebracht hat, ist nichts Neues. Doch mit der Herausbildung einer globalisierten Kunstbörse erhält diese Dialektik eine neue, durch immer krudere Kurzschlüsse von Kunstgeld und Geldkunst geprägte Qualität. Markus Metz und Georg Seeßlen kartographieren, analysieren und kommentieren diese Entwicklung in den Werken, Institutionen, Diskursen und Akteuren der Gegenwartskunst – und kontern mit der Gegenfrage: Wie und wo kann Kunst trotz allem mehr sein als die schickste Form der Steuerhinterziehung?
Markus Metz, geb. 1958, Studium der Publizistik, Politik und Theaterwissenschaften an der FU Berlin, freier Journalist und Autor, lebt in München.
Georg Seeßlen, geb. 1948, Studium der Malerei an der Kunsthochschule München, freier Journalist und Autor, lebt in Kaufbeuren.
Ute Richter, geb. 1964, Studium der Malerei und Grafik in Berlin, Dresden und Paris, Bildende Künstlerin, lebt in Leipzig.
Markus Metz/Georg Seeßlen
Geld frisst Kunst
Kunst frisst Geld
Ein Pamphlet
Mit einer Bilderspur
von Ute Richter
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2675.
© Suhrkamp Verlag Berlin 2014
Originalausgabe
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Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt
eISBN 978-3-518-73352-3
www.suhrkamp.de
Für Christoph Schlingensief,
wo immer du jetzt bist.
Vorneweg
I. Diskurswechsel Kunst
Das Kunstwerk im Zeitalter des totalen Kapitalismus. Ein erstes Erschrecken
II. Ökonomie, Politik & Kunst
Wie sich eine Kultur für Neoliberalismus und Postdemokratie organisiert. Eine Agenda
III. Kapitale Kunstfehler
Rund um den Kunstmarkt kommt es zu tieftraurigen Phänomenen, die uns lachen machen. Eine Anamnese
IV. Schmiermittel
Die geschmeidige Verbindung von Politik und Ökonomie durch die Kunst. Eine Abfuhr
V. Die innere Landnahme
oder Kunst und Kapital als schöne Weltuntergangsmaschinen betrachtet. Ein Theorem
Anhang: Occupy Art!
Ein Manifest
Hau' mich um!
Popeye der Seemann
Man könnte sagen: Jede Gesellschaft hat die Kunst, die sie verdient. Und jede Kunst findet die Gesellschaft, die sie verdient. Man könnte sagen, die Kunst suche sich ihre Realisierung und ihre Verbreitung immer in genau den Kanälen und Medien, die die jeweilige Gesellschaft oder das Ineinander von Gesellschaften ihr bieten. Man könnte sagen, dass die Kunst einer neoliberalen und postdemokratischen Gesellschaft gar nicht anders könne, als Spiegel und Teil von Neoliberalismus und Postdemokratie zu sein. Man könnte sagen, dass die vom Betrieb enttäuschte Liebe zur Kunst keine gute Grundierung für eine Kritik der Kunst sei. Man könnte sagen, die Kunst, von Ewigkeit zu Ewigkeit besehen, sei so sehr menschliche Natur und Kultur, dass ihr keine Korruption und keine Enteignung ernsthaft etwas anhaben könne. Man könnte sagen, die Kunst sei es schließlich, die uns helfe, die kalten und immer noch kälteren Zeiten zu überstehen. Man könnte sagen, das wahre Verständnis der Kunst spiele sich ohnehin in einem Jenseits, einer Transzendenz zu Zeit und Raum ab, was kümmere uns da momentane und soziale »Verschmutzung«? Man könnte sagen: Wo Teile der Kunst sich korrumpieren und enteignen ließen, da wüchsen andere Teile nach, die sich dem radikal und energetisch entgegenstellten. Man könnte sagen, auch in einer neoliberalen und postdemokratischen Gesellschaft fände die richtige Kunst noch immer die richtigen Adressaten. Man könnte sagen, die subjektive Freiheit der Künstler, auch wenn diese sich mit dem Kapital und dem Markt noch so innig einließen, tauche früher oder später immer wieder als subversive Energie auf. Man könnte sagen, die Super-Kunstmarkt-Kunst sei das eine, mein Besuch in einer kleinen, selbstausbeuterisch geführten Galerie, mein Genuss im Museum, sei etwas ganz anderes. Man könnte sagen, die Kunst sei, wie immer sie sich gesellschaftlich kontrollieren und manipulieren lasse, am Ende doch auf der Seite des autonomen Individuums. Man könnte sagen, die subjektive Freiheit, welche durch nichts so wie durch Kunst ausgedrückt werde, überlebe doch immer politisches und ökonomisches Ordnen. Man könnte sagen, die Kunst sei ein dermaßen selbstreflexives System, dass sie immer auch darüber nachdenke, was aus ihr gerade werde. Man könnte von den Selbstreinigungskräften dieser besonderen Art des »Kreativen« sprechen. Das alles und noch viel mehr könnte man sagen. Wir sagen etwas anderes.
Und wir sagen es im Folgenden in zwei verschiedenen Modi: einmal, wie gewohnt, von vorn nach hinten und in ganzer Breite.
Darin eingelagert aber auch nochmal kompakt, als Spur von seitlich angestrichenen Thesen oder (Quint-)Essenzen. (Sei es als Smalltalk-Party-Service oder um in diesem Leben noch zu einer Praxis zu gelangen.)