Eine Erbse in meiner Brust!
für
Mama und Papa
und meine Mädels
Eine Erbse in meiner Brust!
Nadja Kosinski
Erfahrungsbericht
Über die Autorin:
Nadja Kosinski wurde 1980 in Kassel geboren. Sie ist ledig, arbeitet als Assistentin und lebt in Nordhessen. Nachdem sie im Februar 2012 die Diagnose Brustkrebs erhielt, schrieb sie all ihre Erlebnisse aus dieser Zeit auf, um anderen Betroffenen oder Angehörigen Mut zu machen.
Nadja Kosinski, »Eine Erbse in meiner Brust!«
© 2014 der vorliegenden Ausgabe: Edition Octopus im Verlagshaus
Monsenstein und Vannerdat OHG Münster. www.edition-octopus.de
© 2014 Nadja Kosinski
Alle Rechte vorbehalten
Einige im Buch auftauchenden Namen wurden von der Autorin geändert.
Umschlagillustration: Alexandra Bankowskaja
Korrektorat: Julia Fischer
Satz: Thorsten Hartmann, MV-Verlag
Umschlaglayout und Einband: MV-Verlag
ISBN 978-3-95645-217-8
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Inhalt
Über dieses Buch
FriendScout24
Der erste Verdacht
Die Biopsie – warten auf eine Antwort
Ich muss es meiner Familie und meinen Freunden sagen
Die nächsten vier Wochen – ein Ärztemarathon
Kinderwunsch – Eizellen, Kryokonservierung und
die lieben Kosten
Los, her jetzt mit der ersten Giftladung
Meine Haare – und sie gingen fast bis zum
BH-Verschluss
Das Kosmetikseminar und das erste Mal ausgehen
mit Perücke
Bitte fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – scheiß
Nebenwirkungen
Ich bin Single – blöd!
Wie lange denn nun noch – ich mag nicht mehr!
Einfach schön!
Hallo, na wie geht es Dir denn?
Verdammt, ich hab zugenommen
Mein Job – was, wenn ich nicht mehr gut genug bin?
Ich – ein genetischer Unfall?
Hoffentlich habe ich dann wenigstens »schicke«
Brüste
Meine Haare – HELLO AGAIN
„Waaaas – sechs Wochen nicht waschen!!!???“
„Rehaaa!!!“
Endlich – „I’m BACK“
Danke
Über dieses Buch
Warum schreibe ich dieses Buch? Eigentlich wollte ich, nur für mich, während meiner Krankheit einfach mal alles aufschreiben, was mir persönlich wichtig war. Ich wollte festhalten, wie ich verschiedene Dinge empfand und wie ich mich wann fühlte.
Das habe ich, auch vom Ausdruck her, so gemacht, wie es gerade kam, ohne auf Stil oder sprachlichen Ausdruck zu achten. Einfach frei von der Leber weg. Deshalb ist die deutsche Grammatik hier des Öfteren mal ein wenig »frei« angewendet.
Als ich diese Zeilen dann Freunden zum Lesen gab und sie so positiv darauf reagierten und mir eine sogar sagte: »Nadja, du musst das veröffentlichen!«, fing ich an darüber nachzudenken. Ja, und ich habe mich dazu entschieden, genau das zu machen.
Ich hoffe, dass mein kleines Buch insbesondere Betroffenen oder auch Angehörigen helfen kann. Ihnen eventuell zeigen kann, dass es sicher nicht immer einfach in der Therapie sein wird, aber dass es auch so viel Schönes geben kann. Natürlich kommt es auch immer auf die Person selbst an, wie man damit umgeht bzw. umgehen kann. Ich hatte das große Glück, dass ich es eben so konnte, wie ich es gemacht habe. Wenn ich hiermit nur einer einzigen Person helfen kann und diese froh ist, meine Zeilen gelesen zu haben, weil es in irgendeiner Form eine positive Wirkung hatte, dann habe ich mit meinem kleinen Buch erreicht, was ich erreichen wollte.
FriendScout24
Ja, wie soll ich das sagen!? Es ist mir irgendwie schon peinlich, aber gut, dann oute ich mich jetzt mal. Auch ich gehöre zu denen, die schon mal in einem Single-Portal nach dem Traumprinzen suchten. Was meinen speziellen Fall angeht, kann ich nur aus tiefstem Herzen sagen, DANKE FriendScout24!
Ich lernte dort jemanden kennen und wie das eben so ist, gingen wir dann auch mal zusammen aus, um uns persönlich kennen zu lernen. Wir schrieben uns lustig hin und her und telefonierten oft. Aber sich dann gegenüber zu sitzen, war einfach noch mal etwas ganz anderes. Das erste Treffen war ein sehr schöner Abend, an dem wir stundenlang gequatscht haben. Aus dem einen Abend wurden dann viele Abende und tägliche Telefonate, so dass wir irgendwann fest zusammen waren. Wie das eben so ist, wenn man einen Partner hat, kamen wir uns natürlich irgendwann auch körperlich näher. An einem sehr »verkuschelten« Abend sagte mein Freund plötzlich zu mir: »Schatz, was hast du denn da?« Ich antwortete: »Ja, was soll denn da sein?« Ich fühlte dann aber auch direkt dieses Ding, das sich wie eine kleine Erbse anfühlte. Mein Freund drängte darauf, dass ich das ganz schnell mal untersuchen lassen sollte. So wurde mein zunächst kleines Problem entdeckt, was dann leider irgendwie zu einem ganz gewaltig großen wurde.
Mit uns zwei beiden gab es leider kein Happy-End. Nach etwa einem halben Jahr hatte es sich ausgeturtelt. Wir haben einfach nicht zueinander gepasst.
Krebs hin oder her, wenn die Gefühle nicht die richtigen sind, dann ist das zwar schade, vielleicht auch enttäuschend, aber leider nicht zu ändern. Ich wollte den mir bevorstehenden Weg lieber alleine gehen, als mit einem Partner, der nun mal leider nicht mein Traumprinz ist. Einen Platz in meinem Herzen wird er dennoch immer haben und ich werde ihm ewig dankbar sein, denn ohne ihn wäre der Krebs sicher niemals so schnell erkannt worden. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn er die Erbse nicht so früh entdeckt hätte.
Der erste Verdacht
Ich wollte an diesem Freitag besonders früh an der Arbeit sein, weil ich wusste, ich muss noch eine Kleinigkeit erledigen. Dieser Kleinigkeit, die sich wie eine kleine gefrorene Erbse anfühlte, hatte ich bis dahin keine große Bedeutung geschenkt. Ich bin also relativ früh aufgestanden und war wie geplant um Punkt 7:30 Uhr an der Arbeit.
Meine Frauenärztin war telefonisch ab 9:00 Uhr zu erreichen und somit probierte ich es pünktlich ab 9:00 Uhr auch. Was dann gegen 11:00 Uhr auch endlich klappte. Ich erklärte kurz, dass dort etwas in meiner Brust sei, was sich unbedingt mal jemand anschauen sollte. Gerade auch wegen der Krebserkrankung meiner Mama. Die Dame am Telefon sagte mir, dass ich bitte bis 12:00 Uhr vorbei kommen sollte, da die Praxis am Nachmittag geschlossen sei. Also erledigte ich an der Arbeit noch schnell das Nötigste und machte mich anschließend auf den Weg in die Praxis.
Als ich endlich im Behandlungszimmer saß, war mir dann doch ein bissel komisch zumute. Meine Ärztin machte eine Ultraschalluntersuchung und sagte mir, dass ich aufgrund meines aktuellen Zyklusstandes in einer Woche wiederkommen müsse. Es sähe aber so aus, als würde es sich nur um eine harmlose Zyste handeln. Diese könnte innerhalb einer Woche auch einfach von alleine wieder weg sein. Zysten können sich grundsätzlich immer mal wieder bilden und auch von alleine wieder verschwinden. Ganz genau könne sie mir das erst in einer Woche sagen, aber ich sollte mir erst mal keine Sorgen machen. Mit einem Zwinkern sagte sie mir noch, dass ich höchstens einmal pro Tag prüfen dürfte, ob ich noch etwas in der Brust vorfinde. Ich musste schmunzeln, weil ich sofort dachte, woher weiß sie, dass ich vermutlich mehrfach tasten würde, ob da noch etwas ist, und stimmte brav zu.
Soweit so gut. Ich bekam also noch keine Entwarnung, machte mir aber auch nicht im Geringsten Sorgen. Für mich war klar: da wird schon alles okay sein. Hier hatte ich das erste Mal den Gedanken: Quatsch, ICH DOCH NICHT, und das habe ich aus tiefstem Herzen auch geglaubt.
Eine Woche war vergangen und zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass ich meine Brust tatsächlich nicht täglich abgesucht hatte. Doch am Abend vor dem Arzttermin tastete und fühlte ich noch mal ausgiebig. Leider konnte ich dieses Ding, das sich wirklich wie eine kleine Erbse anfühlte, noch immer finden. Zu diesem Zeitpunkt gab es in meinen Augen aber immer noch keinen Grund zur Sorge. Im Behandlungszimmer angekommen gab es erneut eine Ultraschalluntersuchung und die Ärztin fand komischerweise gar nichts. Ich wunderte mich sehr darüber und fragte nach, wie das sein könne, denn gestern Abend war die Erbse doch noch da. Dann sollte ich selbst noch mal tasten, aber auch ich fand nichts mehr und so fuhr ich vorerst beruhigt wieder nach Hause. Aus der Ruhe wurde dann doch irgendwann Unruhe und ich machte mich nochmal auf die Suche nach der Erbse. Nach kurzem Tasten dachte ich nur: Scheiße, sie ist doch noch da und mir schossen plötzlich so viele Gedanken durch den Kopf: Warum war sie eben beim Ultraschall nicht zu sehen? Warum konnte ich sie nicht fühlen, als ich noch in der Praxis war? Warum zur Hölle ist diese kleine blöde Erbse denn jetzt doch zu spüren? Verdammt, ich muss morgen noch mal einen neuen Termin machen. Mist, ich muss noch mal von der Arbeit weg. Aber egal, das musste untersucht werden. Ich konnte es jetzt auch nicht ändern und brauchte Gewissheit.
Der neue Termin war dann am kommenden Montag. Behandlungszimmer meiner Frauenärztin die Dritte, Ultraschall der Dritte. Dann sagte sie wie aus der Pistole geschossen: »Es handelt sich definitiv nicht um eine Zyste, es ist ein Tumor.«
Das war das erste Mal, dass ich verdammt blöd aus der Wäsche geschaut habe. Die Ärztin erklärte auch, dass der Tumor genauer untersucht werden müsse, er aber zunächst gutartig ausschaue. Ich sollte aber trotzdem sofort zur Mammographie, um sicher zu gehen. Alles klar, dachte ich, du kannst durchatmen, alles halb so wild, der Tumor sah ja gutartig aus. Meine Frauenärztin vereinbarte dann sofort einen Termin für mich und ich ging am gleichen Tag noch zur Untersuchung. Mittels Mammographie war der Tumor jedoch nicht zu sehen, also folgte ein erneuter Ultraschall. Daraufhin hörte ich genau die gleichen Worte wie die meiner Frauenärztin: »Es sieht zunächst gutartig aus, um dies aber definitiv festzustellen, muss eine Biopsie der Brust gemacht werden.« Es musste also eine Gewebeprobe entnommen werden. Das wiederum wurde im Krankenhaus gemacht.
Die Biopsie – warten auf eine Antwort
Dieser Termin war am 30.01.2012. Ich überlegte mir nun einige Tage lang, wie ich mit der Situation umgehen wollte und für mich war klar: Der Tumor ist gutartig, die Biopsie können wir uns sparen, weil ich ihn in jedem Fall raus haben wollte. Somit nahm ich an, dass ich noch an diesem Tag einen OP-Termin vereinbaren würde, um die Erbse – auch wenn sie gutartig ist – entfernen zu lassen. Es kam für mich gar nicht in Frage, sie drin zu lassen, selbst wenn das möglich gewesen wäre. Da ist man doch ständig dran, man fühlt, ob sie noch da ist, man überprüft, ob sie sich größer anfühlt und, und, und. Nee, das Teil sollte unbedingt raus.
Die Ärztin im Krankenhaus machte mal wieder eine Ultraschalluntersuchung. Währenddessen habe ich ihr meine Gedanken mal offen gelegt, so von wegen, gleich operativ raus damit. Woraufhin sie mir dann aber schon mit einem Zögern in der Stimme sagte, dass sie die Biopsie schon gern machen würde. Gut, dachte ich mir, sie ist die Ärztin, dann machen wir das so und schneiden den gutartigen Tumor eben nach der Biopsie raus.
Zu meiner großen Überraschung ging es dann auch direkt los. Sie betäubte die Brust oberflächlich, stach mir anschließend mit einer Nadel in die Brust und entnahm ein Stück Tumorgewebe. Ach herrje, tat das weh! Ich dachte schon bei der ersten von insgesamt vier Proben, die reißt mir die ganze Brust ab – trotz Betäubung. Ich muss allerdings an dieser Stelle zugeben, dass ich sehr, sehr, sehr schmerzempfindlich bin. Glücklicherweise, aber auch zu meiner Überraschung, taten die restlichen drei Proben nicht mehr ganz so weh. Damit war das schon mal geschafft. Mein Ergebnis würde ich in zwei Tagen bekommen. Ich sollte dann einfach im Krankenhaus anrufen. Noch immer machte ich mir keine großen Sorgen. Ich war nach wie vor fest davon überzeugt, dass der Tumor gutartig ist und dachte immer noch: ICH DOCH NICHT!
Zwei Tage später rief ich gegen 10:30 Uhr vom Büro aus im Krankenhaus an, um mein Ergebnis zu erfahren. Leider war meine Ärztin nicht zu sprechen, weil sie gerade einen Termin hatte. Die Dame im Sekretariat sicherte mir einen Rückruf zu. Das klang für mich in keinster Weise nach einem Vorwand, sondern einfach nur ehrlich. So machte ich mir auch nach diesem Telefonat noch immer keine Sorgen.
Der erwartete Rückruf aus dem Krankenhaus kam dann schließlich auch. Am Telefon war wieder die Dame aus dem Sekretariat, die mir sagte, dass meine Ärztin noch immer im Termin sei und fragte, ob ich am Nachmittag nicht persönlich vorbeikommen könne. Da ist mir dann absolut alles aus dem Gesicht gefallen. Für einige Sekunden konnte ich gar nichts sagen, weil ich wusste, was das zu bedeuteten hatte und antwortete nur: »Das klingt irgendwie nicht so gut.« Die Frau am Telefon wiederholte nur ihre Frage, ob ich am Nachmittag kommen könne. Ich sagte ihr, dass ich natürlich kommen könne, wann ich denn da sein solle?
Mein Chef stand in diesem Moment direkt neben mir. Er wusste natürlich, auf was für eine wichtige Information ich wartete. Es war mir peinlich, aber ich konnte es nicht verhindern: Mir schossen direkt die Tränen in die Augen. Er sagte daraufhin sofort, dass ich selbstverständlich hinfahren könne und sprach mir tröstend zu.
Als es dann schließlich soweit war und ich am Nachmittag bei der Ärztin im Zimmer saß, konnte ich kaum erwarten, dass sie mir nun endlich sagte, was los war. Das erste, was sie sagte, war: »Hmmmm, jaaa«. Dabei bekam ihr Gesicht so einen ganz unschönen Ausdruck und dann sagte sie: »Es tut mir leid, aber der Tumor ist bösartig.«
Diesen ersten Moment nach der Diagnose kann ich gar nicht richtig beschreiben. Ich saß da, aber es fühlte sich irgendwie nicht an, als ob ich dort wirklich sitzen und hören würde, was mir gerade gesagt wurde. Es war irgendwie sehr irreal. Ich war da – und irgendwie doch nicht. Dann musste ich so stark mit meinen Tränen kämpfen und damit, mich wieder zu sammeln, dass das ganze Gespräch irgendwie an mir vorbei zog. Mir schossen so dermaßen viele Fragen durch den Kopf: Wie kann das jetzt sein? Ich doch nicht! Kann ich während der Chemotherapie weiterarbeiten? Wenn nicht, ab wann werde ich krankgeschrieben? Wie regele ich das alles an der Arbeit? Was werden meine Kollegen sagen? Wer kann mich vertreten? Wie kann ich alles Wichtige gut übergeben? Was ist mit meinem Job, wenn ich wiederkomme? Was, wenn sie jemand anderen dafür finden?
Nach einigen Minuten konnte ich wieder sprechen und ich stellte die Frage, die mich in dem Moment am aller-, allermeisten beschäftigte. Ich wollte wissen, ob ich meine Haare verlieren würde und die Antwort kam kurz, knapp und sehr direkt: »Ja.«
Das stand schon ganz sicher fest aufgrund der Zusammensetzung der Chemo, die ich bekommen sollte. Da ging das Weinen von vorne los. Ich war nicht mehr wirklich aufnahmefähig an diesem Tag. Wir sprachen nur noch kurz den Ablauf ab: Chemo, die OP, die Bestrahlung und als letztes, Reha. Dann fragte mich meine Ärztin, ob bei mir das Thema Kinderplanung schon abgeschlossen sei. Denn falls nicht, müsse ich mir über Alternativen Gedanken machen, da meine Eierstöcke durch die Chemotherapie Schaden nehmen würden und es sein könne, dass ich später auf natürlichem Wege keine Kinder mehr bekommen könne. Diesbezüglich könne ich mich an ein Reproduktionszentrum bzw. eine Kinderwunschklinik wenden. Sie gab mir eine Internetadresse, unter der ich entsprechende Ansprechpartner finden könne. Dann musste ich wieder ins Sekretariat, um die ersten Termine festzulegen, da vor Beginn der Chemo noch einige Voruntersuchungen nötig waren. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie habe ich in dem Moment einfach funktioniert und die Termine vereinbart. Allerdings habe ich dabei die ganze Zeit geweint. Die Dame im Sekretariat holte direkt eine Tempopackung hervor. So im Nachhinein dachte ich, auch nicht schön, das hat sie sicher öfter, dass da Frauen sitzen und nur noch weinen.
Ich muss es meiner Familie und meinen
Freunden sagen
Als ich aus dem Sekretariat kam, lief ich wie benommen zum Auto. Der Weg schien Stunden zu dauern. Endlich angekommen, ist es so richtig aus mir raus gebrochen und ich habe nur noch geheult. Ich kann nicht mehr sagen, wie lange ich dort einfach nur saß, geweint und vor mich hin gestarrt habe. Nachdem es wieder einigermaßen ging, rief ich als erstes Sandra an. Sie ist eine meiner wichtigsten Freundinnen. Der verschlug es, wie eigentlich allen anderen auch, erst mal die Sprache. Sie sprach mir dann aber ganz lieb zu und versicherte mir, dass wir das schaffen würden und sie immer für mich da sei!
Für mich stand fest, ich konnte jetzt auf gar keinen Fall schon nach Hause fahren. Ich brauchte erst mal etwas Zeit, um selbst damit klar zu kommen. Zu Hause würden meine Eltern auf mich warten und für sie würde eine Welt zusammenbrechen. Meine Mama erkrankte selbst vor 16 Jahren an Brustkrebs und seit circa zwei Jahren hat sie erneut mit Krebs zu kämpfen. Sie wusste also ganz genau, was auf mich zukommen würde und ich hatte Angst davor, dass sie vor mir in Tränen ausbricht. Dann der arme Papa; Frau Krebs, Tochter Krebs – ganz toll. Also beschloss ich, meine Eltern ebenfalls schon mal kurz anzurufen, um sie über das Ergebnis zu informieren und bis ich dann nach Hause käme, wäre die Reaktion hoffentlich nicht mehr ganz so schlimm. Ich saß noch immer im Auto und rief den Rest meiner wichtigen Freunde und meiner Familie an. Ehrlich gesagt, bin ich heute noch überwältigt von der Flut an lieben Worten, die mir da entgegen kam. Nicht, dass ich dachte, meine Freunde und Familie lassen mich im Stich, aber ich hatte schon irgendwie Angst. Viele meiner Freunde schrieben mir an diesem Abend nochmal eine SMS, um mir zu sagen, dass sie für mich da seien, wann immer ich sie bräuchte. Ich hatte so große Angst alleine zu sein, doch in dem Moment wusste ich, dass ich es nicht sein würde.
Ich nahm dann das Angebot von Karolina und Sven an, erst mal zu ihnen nach Hause zu kommen, um mich zu beruhigen. Die beiden sind neben Arbeitskollegen auch sehr gute Freunde. Sie wollten mich gar nicht mehr Auto fahren lassen, aber ich sagte, das ginge schon. Ich blieb für ein oder zwei Stunden dort und tauschte meine ersten Gedanken mit ihnen aus. Denn neben der allgemeinen Sorge um die ganze Situation, kam sehr schnell die Sorge um meinen Job. Da die beiden auch meine Arbeitskollegen waren, konnten wir sehr gut über diese Situation sprechen. Karolina und Sven machten mir Mut, dass mich sicher auch an der Arbeit keiner im Stich lassen würde, dass das alles kein Problem sei und eine Lösung gefunden werden würde. Wichtig sei jetzt erst mal, dass ich wieder auf die Reihe käme und gesund würde.
Dann machte ich mich auf den Weg zu meinen Eltern. Davor hatte ich echt Angst. Meiner Mama konnte ich ansehen, dass sie die letzten Stunden geweint hatte. Papa macht so was grundsätzlich eher mit sich aus und ließ sich fast nichts anmerken. Trotzdem sah auch er mitgenommen aus. Das erste, was meine Mama sagte, war, »Warum diese Krankheit?« Ich unterbrach sie direkt und sagte, dass ich mir selbst diese Frage bisher für keine Sekunde gestellt hätte und dies auch nicht tun würde. Warum ich und warum diese Krankheit? Das waren Fragen, auf die mir niemand eine Antwort geben würde und an denen ich mich nur aufreibe, aufhalte und Kraft verschwende. »Es ist jetzt einfach so und ich muss da durch!« sagte ich mir. Ich habe mir diese Fragen bis heute niemals gestellt.
Am Abend versuchte ich noch meinen Chef zu erreichen, um ihn zu informieren, was los war. Da die Ärztin mir versichert hatte, dass das ganze Jahr 2012 für mich gelaufen sei, erklärte ich ihm das auch gleich so. Mein Chef stand in dem Moment so unter Schock, dass er wirklich fast gar nichts mehr sagen konnte. Außer, dass er geschockt sei und er mich unbedingt morgen nochmal im Büro sehen wolle.
Am nächsten Tag sagte mir mein Chef unter anderem, es tue ihm sehr Leid, dass ich einen solchen Weg vor mir hätte. Aber dass ich mir auf keinen Fall Sorgen um meinen Job machen solle. Wenn ich zurück sei und den Job noch machen könne und wolle, warte er auf mich. Ich war ihm in diesem Moment unendlich dankbar dafür.
Außerdem gab es da noch meine Gruppe im Karnevalsverein. Ich trainierte gemeinsam mit Sandra ein Männerballett von siebzehn Männern und ich fand es nur richtig, dass sie von mir persönlich von der Krankheit erfahren sollten und nicht über irgendeinen Buschfunk. Ich nahm mir vor, sie schnellstmöglich zu informieren. Denn Karneval stand ja zu diesem Zeitpunkt direkt vor der Tür und wenn ich nicht dabei wäre bzw. nur von der Empore aus zuschauen würde, würde das dem einen oder anderen sicher auffallen. So beschloss ich, beim nächsten Training, allen zu sagen, was los war. Das war für mich ein richtig, richtig schlimmer Moment. Da standen plötzlich siebzehn Männer vor mir, weil ich darum gebeten hatte, dass mir mal bitte eben alle zuhören sollten. Meine Hände haben noch niemals so gezittert, wie in diesem Moment und ich konnte nichts dagegen machen. Dann schossen mir wieder die Tränen in die Augen und ich versuchte, möglichst normal zu sprechen und erklärte kurz und knapp, was los war. So im Nachhinein betrachtet, glaube ich, dass alle ziemlich geschockt waren, da in diesem Moment keiner ein Wort sagte. Ich musste dann auch erst mal aus dem Raum gehen – heulen. Später fand dann der eine oder andere noch mal einige liebe Worte und eine liebevolle Umarmung. Das war auch echt ganz lieb und hat mich sehr gefreut.
Ich war irgendwie sehr erleichtert, als alle, die es meiner Meinung nach erfahren sollten bzw. wissen mussten, informiert waren. Komischerweise hatte ich nie das Gefühl, erst mal selbst einige Tage mit dieser Nachricht verbringen zu müssen. Warum? Ich weiß es nicht. Es war einfach so und es musste raus.