Anja Liedtke Reise
durch
amerikanische
Betten
ISBN 9783897333277
© projekt verlag, Bochum/Freiburg 2013
www.projektverlag.de
Cover Design: punkt KOMMA Strich, Freiburg
www.punkt-komma-strich.de
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
Cover
Titel
Impressum
Heiliger Abend in Beverly Hills
Ian Precilla der III. von Châteaularault
Damian
Sonntags in Beverly Hills
Silvester in Hollywood
Damian 2
Arbeitssuche
Stuntman Damned Man
Damian 3
Ian Precilla der III. von Châteaularault 2
Der Filmstar
Ian Precilla der III. von Châteaularault 3
Die Männer von damals – Der Filmstar 2
Damian 4
Sedona/Arizona-Cowboy
Damian The End
Weitere Bücher
Am Heiligen Abend ging sie durch die sonnigen Straßen von Beverly Hills. Allein und orientierungslos, während andere letzte Einkäufe auf dem Rodeo Drive tätigten, um sich auf das Fest vorzubereiten.
Zum Lunch betrat sie den Grill on the Alley, ein Kellerrestaurant, in dem sich die Altstars treffen, heute mit ihren Familien. Es war laut von hohen weiblichen Stimmen, und es war voll. Nur die Single-Tische waren noch frei. Etwas eingeengt durch die spanische Wand, die sie von Robert Redford und seiner Hamburger Freundin trennte, aß sie ihren Salat Niçoise mit medium gebratenen Thunfisch-Scheiben. Statt weißen Chardonnay trank sie roten Merlot. In dem von der Klimaanlage unterkühlten Raum spürte sie die Wirkung noch nicht. Der Alkohol wirkte, als sie nach draußen in die heiße kalifornische Mittagssonne trat.
Jetzt kannte sie nur zwei Gedanken: Eine Zigarette anzünden – die ihren Kreislauf vollends schwächte – und den dunkelblauen Anzug vom Leibe reißen.
Das Nikotin ließ sie Kopfschmerzen und Schwindelanfälle bekommen. Sie eilte um die Ecke Dayton und den Rodeo Drive hinauf in Richtung Santa Monica Boulevard, wo ihr weißer Van namens Phoenix mit einem kleinen Schrank voller leichter, legerer Kleidung auf sie wartete.
Wegen ihrer eleganten europäischen Kleidung hielten Passanten sie für eine reiche Französin und starrten ihr nach. Darum war sie darauf bedacht, nicht zu schwanken. Sie senkte die bleiernen Augen auf den zum Zeichen des Parkverbots gelb gestrichenen Bordstein, um entlang dieser Linie einen geraden Gang zu finden. Zwei Menschen standen ihr im Weg. Zu spät bemerkte sie die High Heels mit den pedikürten Zehen darin. Sie prallte auf einen leichten, dünnen, sanft duftenden Körper, lange weiche Haare schlugen ihr ins Gesicht, der Körper gab nach. Ihre Reaktionsfähigkeit war jedoch beinahe so schnell wie im nüchternen Zustand. Sie fing die junge Frau ab, indem sie sie fest bei den dürren Armen packte und sie so auf ihre dünnen Absätze zurückstellte, von denen sie zu kippen drohte. Alles eine Frage der Statik, dachte sie nach Vollendung ihres Werkes, das sie an das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes erinnerte. Man kann etwas so Hohes, Schlankes unmöglich auf ein noch zarteres Fundament stellen, meinte sie in Anbetracht der tannenschlanken Dame. Die große Blondine blickte sie erschrocken an. Lea entschuldigte sich. Amerikaner pflegen das mit einem besorgten Blick zu tun, da sie jederzeit Gefahr laufen, verklagt zu werden. Die deutsche Lea ahmte diesen Blick nach. Die Amerikanerin sah hilfesuchend zu ihrem Freund, Lea folgte ihren Augen. Auch er trug blonde Haare, streichholzlang, nach allen Seiten abstehend, wie sie in Beverly Hills nur Rod Stewart trägt. Sein goldener Ohrring blitzte heftig in der Sonne, blendete Lea mehr als sein Ruhm. Sein Lächeln unter der dunklen Sonnenbrille und über dem leicht eingefallenen, faltigen Kinn blieb eingefroren. Er sah die Deutsche eine Weile an, drehte sich daraufhin zum Chef des teuren Herrenausstatters auf dieser teuersten aller Straßen und verabschiedete sich von Alexander. Dies schien Lea die Erlaubnis zu sein, sich entfernen zu dürfen, ohne mit einer Anzeige rechnen zu müssen. Sie hastete den Rodeo Drive hinauf, sah noch, dass Rod und seine junge Frau die Straße überquerten und in den einzigen zitronengelben Ferrari von Beverly stiegen. Da stand sie schon an der Fußgängerampel und schmachtete ihrem Van entgegen, der im kühlen Schatten einiger Palmen wartete. Der Stoff unter ihren Achseln trocknete nicht, klebte nass und unangenehm kühl. In den Lackschuhen glitschten Schweißfüße, die Sonnenbrille rutschte über die nasse Nasenwurzel.
Sie wühlte in ihrer Marina Duck Handtasche nach dem Schlüssel und stieg mit letzter Kraft die steilen Aluminium-Stufen zum Wohn-Schlaf-Küchen-Dusch-und-Toilettenraum hinauf. Sie zerrte sich die Sachen vom geschwollenen Leib, riss die Vorhänge zu und warf sich hinten ins Bett, gebaut aus Sitzgelegenheiten und Esstisch, die sie nie benutzte. Der Alkoven war als Bett nicht hoch genug, sie konnte sich nicht darin aufsetzen. Folglich verwendete sie ihn als Ablage für Bücher, Koffer und Kram. Obwohl sie von dort oben im Liegen über den Stillen Ozean hätte blicken können, wenn der Wagen auf seinem Platz auf dem Malibu Beach RV-Park – einem Park für die sogenannten Recreational Vehicles – stand. Ergreifend schön empfand sie es dann, bei Sonnenaufgang mit der ersten Tasse Maxwell, die gegen die Windschutzscheibe dampfte, auf dem Fahrersitz zu hocken, die Beine unters T-Shirt geklemmt, weil es noch kalt war. An solchen Morgenden beobachtete sie gerne die Fontänen der Wale und die Bögen der Delfine nicht weit vom Strand entfernt und dachte währenddessen vielleicht daran, dass sie ihr Leben und ihren Beruf verfehlt hatte, als sie ihr Biologiestudium nach den ersten vier Wochen aufgegeben hatte. Weil ein Professor in das überfüllte Auditorium gerufen hatte: »Bis zur Zwischenprüfung werden Sie um die Hälfte dezimiert sein.« So als sei er darauf aus, die darwinsche Theorie auf seine Studenten anzuwenden. Lea war dem Konkurrenzdruck gewichen, noch bevor sie ihn zu spüren bekommen hatte. Wo sie unerwünscht war, mochte sie nicht bleiben. – Inzwischen fragte sie sich beizeiten, ob sie überall auf dem Planeten unerwünscht war. Die Wale und Delfine dort draußen bemerkten sie nicht. Doch wenn sie sie bemerkten, wäre sie auch unter ihnen unerwünscht. Wie jeder von Leas menschlichen Artgenossen. Menschen schienen diesen Planeten nur zu bevölkern, um ihn verschmutzen zu können.
Leas derzeitige Aussicht, wenn sie die Gardine einen Spalt öffnete, bestand aus parkenden Lincolns, Buicks, Chevrolets, Cadillacs, Jaguars, Mercedes und BMWs, der Fortführung des Rodeo als Allee, den frisch gesprengten Rasen vor den alten weißen Villen im Kolonialstil und aus den neuen, doch dem Alten gut angepassten architektonischen Kunstwerken. Ein Haus fiel wegen seiner Tiffany-Fenster auf. Es war asymmetrisch gebaut und schien als Filmkulisse für Alice im Wunderland gedient zu haben. Eine berühmte Schauspielerin wohnte darin, deren Namen Lea vergessen hatte. Jetzt vergaß sie alles, indem sie ihren schweren Kopf aufs Kissen legte.
Als sie erwachte, verschwand die Sonne. Lea sah auf ihre Armbanduhr, sie zeigte fünf Uhr nachmittags. Zeit für einen Cappuccino im Schwulen-Café Roma, dachte sie, weil sie dort in Ruhe unter den steinernen Arkaden sitzen konnte, auf weißen, schmiedeeisernen Stühlen, während die sportlichen, durchtrainierten und geschmackvoll gekleideten Herren im mittleren Alter sowie ihre Barbiere an Lea vorbei flanierten.
Sie hatte vergessen, dass Heiliger Abend war. Die Barbiere hatten geschlossen, das Café Roma war leer, ebenso wie der gesamte Canon Drive. Sie schlenderte einsam, übriggeblieben, als alle anderen zur Party gingen, die Straße hinab zum Wilshire und den Beverly Drive hinauf.
Die Sonne war inzwischen, zum letzten Mal an diesem christlichen Tag, herausgekommen und heizte Leas Hintern in der dunklen warmen Jeans sowie den Rücken unter dem blauen Pullover auf. Lea hatte sich leger, aber warm angezogen.
Die heiße Wintersonne stand so tief, dass der Dayton Avenue im Schatten lag, wohinein Lea flüchtete und die Sonnenbrille abnahm. Plötzlich sagte eine Stimme in Höhe ihrer Hüfte: »Guten Tag.« Das war in Beverly Hills ein außergewöhnlicher Gruß. Er konnte kaum jemand anderem als Lea gelten.
Sie drehte den Kopf und sah drei dunkle, junge Männer beim Drink und Kaffee an einem Tisch unter den roten Schirmen des Il Fornaio sitzen, einem der beliebtesten Italiener in Beverly Hills.
»Woher wissen Sie, dass ich Deutsche bin«, fragte sie verwundert angesichts der Tatsache, dass sie bisher für eine Französin gehalten worden war. – Allerdings hatte sie die Kleidung gewechselt, und die Los Angelies schienen die Weisheit »Don’t charge a book by it’s cover« noch nie gehört zu haben.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei jenem jungen Mann auch gar nicht um einen Los Angeler handelte, sondern um einen Perser, der in San Diego lebte und einst einen Freund in Hamburg besucht hatte. Und, bemerkte er, Lea besäße die blauen Augen der Hamburger.
Damit lag er zwar falsch, aber doch nicht gänzlich, und wer wusste schon, wie die Menschen im Ruhrgebiet aussahen? Nicht einmal diese Region kannte man in den USA, sodass Lea zu langen Umschreibungen der »Ruhr-Area« gezwungen war. Düsseldorf lag in der Nähe, ach ja, da waren sie einmal gelandet, falls sie zufällig den Beruf des Stewards ausübten, Frankfurt lag zwei Stunden entfernt, ja, das hatte ihnen gut gefallen. Unbegreiflicherweise, wie Lea fand. Nein, Heidelberg, Schwarzwald und das Hofbräuhaus sind meilenweit entfernt, wehrte sie sich gegen die bayerische und überhaupt die süddeutsche Nähe. Das war ein anderes Land! Sie warf schließlich auch nicht Kanada und Kalifornien in einen Topf.
Der junge Perser namens Magid, nein, nicht Magic, obwohl er bald verrückt nach ihr werden sollte, lud sie zum Kaffee auf dem Beverly Drive ein. Sie verstand zunächst nicht, warum er sie nicht gleich hier Platz nehmen ließ, sollte jedoch bald herausfinden, dass er dann auf die weitere Einladung seines reichen Freundes angewiesen wäre, der leger in seinem Stuhl hing und das goldene Armband baumeln ließ. Bei Starbucks gab es suchtsteigernden Cappuccino in Pappbechern für 3 Dollar und einen Quarter, im Il Fornaio kostete er das Doppelte.
Zu diesem Zeitpunkt wollte Magid die anderen noch nicht abhängen. Lea glaubte sich später erinnern zu können, dass er sie fragte, ob sie nachkämen. Ihre Namen hatte sie nicht behalten. Nein, Magid plante nichts, dazu war er nicht der Typ. Er war ein hübscher, androgyn wirkender, lieber junger Mann, vielleicht 25 Jahre alt, zehn jünger als sie. Abgesehen vom Altersunterschied entsprach er genau dem Typ Mann, der immer bei ihr landete. Sie aber hatte vor Monaten beschlossen, ihr ewiges Schema zu durchbrechen, weil es ihr nicht gut bekommen war …
Magid ging neben ihr den Dayton entlang. Ihr war heiß und sie fürchtete, dass sich unter ihrem Pullover Geruch entwickelte. Bei Starbucks war es eiskalt und voll. Sie standen in der Schlange und reckten die Hälse, um auf der großen Tafel zwischen Cappuccino, Frappuccino, Café Latte, tall, grande oder venti, mit Soja-, non fat-, low fat-, half and half oder mit normaler Milch auszuwählen. Die Kombinationsmöglichkeiten konnte nur jemand mit mathematischer Begabung errechnen.
Magid bestellte eine der vielen Formen von eisgekühltem Kaffee, Lea einen heißen Cappuccino, lowfat and dry. Als sie an einem der kleinen Holztische Platz nahmen, kamen Magids Freunde herein und setzten sich dazu. Ihr Anführer erklärte bald, er brauche jetzt etwas Richtiges zu trinken. Dafür gäbe es nur einen Ort. Offensichtlich wussten die Freunde Bescheid, denn sie fragten nicht nach dem Namen des Ortes. »Kommst du mit auf einen Drink?«, wollte er von Lea wissen. Sie nickte. Magid lächelte sie erfreut an. Draußen vor der Tür verabschiedete sich einer der Männer, sodass sie nur mehr zu dritt den Beverly hinunter spazierten.
Da sie nun Führer in dieser fremden Stadt gefunden hatte, fragte sie nach Ausgeh-Tipps für den Abend.
»Dort«, sagte der größere, kräftigere und etwa 35-jährige Mann, der sich souverän durch Beverly bewegte, als gehöre die Stadt ihm, »dort auf der anderen Straßenseite siehst du den dunklen gläsernen Eingang mit dem grausilbernen Marmor drum herum? Wir kommen gleich daran vorbei. Das Jago ist der In-Club in Beverly Hills. Viele Privatpartys, aber du kommst da hinein.«
»Wieso?«
»Weil du ein Mädchen bist.«
»Ach«, wunderte sie sich, »herrscht dort Mädchenmangel?«
»Immer«, lachte er.
Bald sollte Lea annehmen, der Mädchenmangel liege am hohen Verschleiß. Wenn die Herren von Beverly langsamer wären, verbrauchten sie weniger und hätten länger etwas vom Vorrat an Mädchen. Hier gälte dasselbe Prinzip wie beim Sustainable Development, der Nachhaltigkeit in allen ökonomischen, ökologischen und sozialen Bereichen.
Als die Dreiergruppe an der Fußgängerampel des Wilshire Boulevards stand, fragte Lea, wohin sie gingen.
»Ins Regent Beverly Wilshire Hotel«, erklärte der starke, große und souveräne Perser, den Lea in Gedanken Macho nannte.
»Ah.« Sie hob den Kopf.
»Du kennst es?«
Die Frage klang erstaunt.
»Ich bin da gewesen.«
Magid erklärte und wies auf Macho: »Er kennt den Barkeeper, sonst gingen wir da nicht hin. Zu teuer.«
Das hatte auch Lea festgestellt.
Die Herren staunten nicht schlecht, als Lea sich vom Portier durch die Drehtür hofieren ließ und ohne Zögern durch das Rondell des goldenen, von Stuck, Schnitzereien und Malereien verzierten Foyers an der überdimensionalen Vase mit den riesigen Gladiolen, Christsternen, Chrysanthemen und dem Hibiskus vorbei nach links in die Bar steuerte.
Der Tresen war meistens leer bis auf einen einzelnen Reisenden in großen Geschäften, einen Adeligen oder einen Altstar. Am Heiligen Abend saß niemand allein, also saß heute niemand an der Bar. Doch von den besetzten Tischen schaute man auf, als die drei wie ein Trupp Arbeiter in den Buckingham Palace oder eben ins Regent Beverly Wilshire stürmten. Die beiden Männer wurden von einem kleinen Mann begrüßt und umarmt, auf dessen Brust ein Schild Auskunft über seinen Namen ›Fredy‹ gab. Lea hatte ihn bei ihrem letzten Besuch für einen Mexikaner gehalten. Anlässlich ihres Geburtstages hatte sie sich vor ihm mit zwei Gläsern Merlot betrunken. Sie hatte vergessen, dass Mexikaner in der Regel keine so hohen Berufe ausübten wie den eines Kellners im Regent. Mexikaner nahmen Jobs für einen Dollar an, während die Schwarzen zu stolz dazu waren und sagten: »Wir haben lange genug den Dreck der Weißen gekehrt.« Heute zogen sie das Leben der Obdachlosen am Strand von Santa Monica vor.
Auf Perser war Lea nicht gekommen, obwohl es einige in dieser Stadt gab. Vor zehn Jahren hatte sie eine beängstigende Begegnung mit einem persischen Maler, aus dessen Galerie auf dem Rodeo sie glaubte, nicht wieder herauszukommen. Vielleicht hätte sie auf sein Angebot eingehen sollen, hatte sie erst gedacht, als sie sich gerettet und gealtert sah. Der alte Mann hatte das junge Mädchen nicht mit Schokolade, sondern mit Champagner, einer schwarzen Limousine und einem Apartment auf Hawaii gelockt, sein Nacktmodell zu werden. Damals dachte Lea gedemütigt und stolz: »Was denkt der Kerl, wer ich bin?«
Die Frage stellte sich ihr heute noch: »Wer bin ich?«– In der Zwischenzeit klang sie lediglich ein wenig müder.
Fredy begrüßte sie herzlich und erinnerte sich an die Europäerin mit der für LA unüblichen wilden Mähne. Die Herren fragten, was sie trinken wollte, sie entschied sich für Merlot statt für Margarita, um bei dem zu bleiben, was sie zum Lunch getrunken hatte. Um einen Ausgleich zu schaffen und um das Abendessen zu sparen, hielt sie sich an Oliven und Cracker. Der Wein würde so teuer wie ein Dinner, dachte sie, da sie mit Machos oder Fredys Großzügigkeit noch nicht vertraut war. – Allerdings sollte man in der Stadt der Engel stets nach dem Preis fragen, auch nach dem für Großzügigkeit. Es gab bestimmte Regeln, die Lea noch nicht kannte.
Welche Rolle sie spielen sollte, teilte ihr Macho bald schmeichelhaft mit. Sie würde das Tablett sein, von dem er und Magid Vanille- und Himbeer-Eis schleckten.
»Zu klebrig«, konterte sie. Sie befanden sich in einem schnellen, hitzig-witzigen Gespräch, das die Spannung in der kühlen, edlen Halle hochlud und Lea aufregte, sodass sie Sodbrennen bekam. Ihre kleine Gesellschaft nahm sich wie eine Enklave innerhalb der großen aus, die erbaut und still ihr Weihnachtsfest beging, an dem Lea nicht teilhaben durfte.
Trotz kam in ihr auf, als sie sich auf ihrem hohen Hocker umdrehte und über die Schulter hinweg die langweilige Interessengemeinschaft von frisch frisierten, duftigen Damen und Herren in Anzügen betrachtete und beneidete. Sie wahrten die gesellschaftlichen Regeln, wollten oder mussten es, obwohl die ein oder andere viel lieber mit ihr, der jungen, freien Frau getauscht hätte, die von zwei hübschen Männern umgarnt wurde. Die älteren Männer wollten mit dieser natürlichen, einfachen, leichten und leichtsinnigen Frau schlafen, während die älteren Damen gerne zwei direkte, simple und grobe junge Männer zu Weihnachten beschert bekommen hätten, malte sich Lea aus. Und immerhin sah einer von ihnen wohlhabend aus, und sie bewegten sich schließlich im Regent. Die Reichen projizierten ihre heimlichen Träume auf Lea und ihre Perser, ebenso wie Lea ihre Träume auf sie projizierte, glaubte sie zu entdecken. – Vielleicht bedauerten sie Lea auch. Wahrscheinlich waren die Damen froh, ein besseres Los getroffen zu haben.
Nachdem Macho vorerst bei ihr abgeblitzt war, stellte er den Kontakt zu einem Paar her, das an der Bar auf einen Tisch wartete und an anderen Tagen eine Fotoagentur betrieb. Bevor die zwei einen Platz zugewiesen bekamen und Macho sich Magid und Lea zuwandte, fragte Magid bescheiden in ihr Ohr, ob sie beide woanders hingehen sollten.
Sie waren voneinander angezogen, konnten sich kaum enthalten, sich zu berühren und auf Ohren und Wangen zu küssen, doch begnügte er sich damit, seine Lippen flüsternd ihrem Ohr zu nähern und sein Gesicht in ihre Haare zu stecken. Im Kontrast zu Macho fand Lea seine Zurückhaltung rührend. Sie dachte über seinen Vorschlag nach. Ja, sie wollte ihn. Sie war überreizt, hatte seit Monaten keinen Mann mehr gehabt, heute war Weihnachten, und sie fühlte sich grauenhaft einsam. Sie wünschte sich aus lauter Verzweiflung ein Familienfest, lieber jedoch hätte sie Stunde um Stunde in den wärmenden Armen eines zärtlichen Mannes gelegen, der seine Ruhe in sie fließen ließ. Menschliche Wärme brauchte sie. Sie wollte nicht mehr durch die Straßen von Beverly irren.
Aber genau das war das Problem.
»Wo sollen wir hin?«, fragte sie.
»Ins Beverly Reeves Hotel?«, flüsterte er.
»Ich habe keine Lust mehr zu laufen.«
Ihr waren die Beine schwer vom Hin- und Herirren, von der Sonne und vom Wein. Aber es machte sich auch der köstliche Gedanke breit, eine Nacht in einem Zimmer des Regent Beverly Wilshire Hotels zu verbringen. Falls sie den Kompromiss des Machos einginge. Kein Eis, stattdessen ein heißes Bad in einem der Zimmer über ihnen. In einem richtigen, frischen, weißen Bett zu schlafen, in einem großen, kühlen, stillen Raum, ein Bad in einer Wanne zu nehmen, mit Schaum … Sie schimpfte sich aus: ›Kaum hast du einen Monat lang die freiwillig gewählte Bescheidenheit eines Wohnmobils genossen, da sehnst du dich nach Luxus wie ein Beverly Baby.‹ Aber da war schließlich noch der Reiz, mit zwei Männern gleichzeitig zu schlafen. Geträumt hatte sie davon in ihren vielen unbefriedigten Nächten. David Bowie und Mick Jagger hatten die zweite und dritte Hauptrolle gespielt, und vielleicht würde sie hier und jetzt in den Genuss kommen, zwei Männer miteinander spielen zu sehen. Ob es ihr Genuss bereitete, das musste sie erst herausfinden. Vielleicht hegte sie allzu zärtliche, romantische Vorstellungen davon.
Macho machte tatsächlich den kleinen Magid an, streichelte ihm über die Wange und küsste ihn auf dieselbe, aber Magid entzog sich ihm und erklärte, er sei nicht schwul. Eine Spur Unmut mischte sich in seinen Ton, weil es ihm nicht gelungen war, Lea für sich allein zu gewinnen. Obwohl dieses offene, ehrliche, zarte Mädchen viel besser zu ihm passte als zu dem großen, oberflächlichen Bruder, der mehr seine Macht und Möglichkeiten von Besitz genoss als diese schöne Frau.
Lea nahm Magids Gefühl nicht als solches wahr, sondern als einen Stich ins eigene Gewissen. Zu leise, um sich Zeit zum Fühlen und Überlegen zu lassen.
Als Lea dem Angebot zustimmte, bestellte Macho den beiden noch Wein, Fredy leerte die Flasche in die Gläser, während Macho in die Lobby ging, um ein Zimmer zu nehmen. Es dauerte lange, bis er zurückkam. Er sagte, es wäre nicht ganz einfach gewesen, weil er auf eines im alten Flügel bestanden hatte. Später sollte Lea sehen, dass er die Zeit gebraucht hatte, um Zimmer 712 zu präparieren.
***
Der Liftboy fuhr sie schweigend, aber neugierig musternd – was Lea nicht zur Diskretion eines High-Society-Hotels passend schien, sie jedoch kaum störte – hinauf. Als sie in 712 trat, gefiel es ihr, hier fühlte sie sich zu Hause.
Macho legte seine Jacke ab und eine kleine Digitalkamera auf den niedrigen Couchtisch. Lea hatte gar nicht bemerkt, dass er eine bei sich trug. Doch jetzt wurde sie zum Fenster gezogen. Wie immer galt ihr erster Weg und Blick dem Fenster. Sie kniete auf dem goldweiß gepolsterten antiken Sofa, legte den romantischen Kopf auf die Rückenlehne und schwärmte das sagenhafte Bild an.
Es war dunkel geworden. Nur über den fast schwarzen Hügeln von Hollywood schimmerte noch ein rosaroter Streifen Licht, vor dem sich die Hügelkämme wie ein Schattenriss abzeichneten. »Christkindchen backt«, flüsterte sie und dachte an ihre Mutter, die zur Winterzeit mit ihr vorm Fenster gesessen hatte. Wüsste die Mutter, was Lea hier tat! Lea kamen die Tränen. Zu Hause saßen sie jetzt … nein, sie hatte die Zeitverschiebung vergessen. Abstraktes Denken fällt Frauen angeblich schwerer als Männern, hatte sie im Wartezimmer eines Arztes, beim Friseur oder im Fitnessstudio gelesen. Gerade in diesem Moment fühlte sie sich sehr fraulich. In jeder Hinsicht. Dabei war sie sich nicht ganz sicher, ob das nicht auch bloß eine Projektion war. Ob sie nicht nur die Frauenrollen aus den Zeitschriften spielte. Aber wie oder was wäre sie dann selbst, und was würde sie fühlen und wollen?
An den Fingern zählte sie ab, dass sie zu Hause noch neun Stunden Zeit bis zum Gänseessen warten müssten. Sie errechnete, dass, wenn sie die Nacht durchwachte, oder – wie so oft schon – um fünf Uhr erwachte, sie die Familie beim Weihnachtsessen ertappen könnte. Sie würden sich freuen, ihre Stimme zu hören, bedauern, dass sie nicht da war, aber so tun, als hätten sie Verständnis für ihre »Reiselust«, weil sie wussten, dass Lea sonst ein schlechtes Gewissen bekam, nicht bei ihnen sein zu wollen.
Lea war nicht sicher, ob ihre Familienmitglieder sich inzwischen bewusst geworden waren, dass das, was sie »Reiselust« nannten, purer Euphemismus war. So beschönigten sie die ewigen Fluchten aus einer Heimat, die keine war, wo Lea versuchte, sich ihren Erwartungen und ihrem Leben anzupassen, obwohl es niemand ausdrücklich verlangte, sondern weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, wer sie war und wer sie werden wollte. In ihrem Umfeld gab es keine Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten, weder eine Stadt der Weihnachtsengel noch eine Stadt der Wölfe. LA war beides zugleich.
Von den Hollywood-Hügeln floss Dunkelheit bis zum erleuchteten Stern, den die Straßen Beverly, Rodeo und Canon bildeten, in dessen Mitte das Herz direkt unter Leas Fenster lag. Es war ein leuchtend blaues Herz aus strömendem Wasser, welches sich angeleuchtet in das Marmorbecken ergoss. Darüber ging hell die spanische Treppe hinauf zu den Straßen, und auf ihrem höchsten Absatz stand ein zehn Meter hoher Weihnachtsbaum, geschmückt mit Lichtern und roten Schleifen. Menschen waren fast keine zu sehen, bis auf eine Gruppe Japaner, die sich gegenseitig vor dem Baum fotografierten. »Wenn die wüssten, was ich hier tue«, dachte Lea. Es irritierte sie, dass sie den Brunnen nicht hörte. Dass der Verkehrslärm abgeebbt war, wunderte sie nicht. Wenigstens einmal im Jahr mussten die Amerikaner stehen bleiben und aus ihren Wohnautos steigen. Da die meisten kaum noch ein anderes Zuhause besaßen, weil sie unentwegt im Stau standen und zwischen ihren zwei bis drei Jobs pendelten, hatten sich viele ihre Adventkränze an die Kühler gehängt. Über ihren Dächern wehte das Sternenbanner und am Heck klebte der Spruch: »Proud to be an American.«
Sie hatte die Flagge für eine Weihnachtsdekoration gehalten, bis sie den Aufkleber sah und daran dachte, dass sich Amerika in einem seiner Kriege befand. Zurzeit suchte es die Terroristen von Ground Zero und beschoss gemeinsam mit Europa Afghanistan. Über eines der Hochhäuser war eine Leinwand gespannt, auf der eine sinnliche Mulattin mit Stahlhelm über den gezupften Augenbrauen ein Maschinengewehr in der Hand hielt. Darüber schwebte der kampfbereite amerikanische Adler, darunter der Spruch: »United we stand. Liberty and Justice.«
Angestrahlt wurde auch die goldene Verzierung der Bank of Israel, deren weiße Architektur so tat, als wäre sie ein Gebäude in der Wüste. Wie in der Wüste, so still war es im Zimmer. Nur das Badewasser rauschte, während es von Macho abgemischt wurde. Magid kniete neben Lea und flüsterte: »Like in Pretty Woman.« Der Film war in diesem Hotel gedreht worden und sie versuchte, sich an die Badewannenszene zu erinnern.
Magid und sie waren in weiße Bademäntel gehüllt. Der Stoff des Bademantels lag angenehm weich und flauschig auf Leas nackter brauner Haut und ließ so viel Luft, dass sich ihre Erregung ausbreiten konnte. Magid nahm sie zärtlich in seinen Arm und küsste sie warm und feucht. Eine Gänsehaut lief ihr die Schenkel hinauf, und als hätte sich dies ihm mitgeteilt, suchte seine zarte Hand den Weg unter ihren Mantel. Sie fühlte, wie sie sich im Voraus öffnete und dachte: ›Na, vielleicht wird es ja diesmal etwas. Wie bedeutungsvoll und passend, schlicht schön wäre es, den ersten Orgasmus des Lebens an Weihnachten zu genießen. Mit Jesus Geburt offenbarte sich Gott in der Welt –, das Ideal der Menschen, die Vollendung ihrer Natur. Und Jesus nahm die Erbschuld auf sich, so dass wir wieder frei und unbelastet von Konflikten früherer Generationen leben und genießen können. Wenn das kein Geschenk wäre!‹
Sie fühlte, wie sie wenige Minuten, Sekunden davor stand, wenige Sekunden, bevor Magids Hand ihre nasse Scheide erreichte – als Macho hereingestürmt kam und versuchte, sie zu trennen. Sie wollten nicht. Sie wehrten sich. Lea sah kommen, dass es später zu spät für sie wäre. Wenn der Zeitpunkt überschritten wäre, käme er nicht zurück.
***
Sie hätte sich nachdrücklicher wehren sollen gegen Machos Gezerre, das sie in die Wanne bewegen sollte, dachte sie zu spät. Als Frau und Opfer hätte sie die Macht gehabt. Stattdessen wartete sie darauf, dass sich Magid gegen den viel mächtigeren Macho durchsetzte. Wieder überließ sie einem anderen die Entscheidung, die Führung ihres Lebens. Das hatte ihr gesamtes bisheriges Dasein ruiniert, und nicht nur alle möglichen Orgasmen, erkannte sie.
Magid hätte es geschafft, wäre er sich sicher gewesen, und hätte Lea gewusst und deutlicher gezeigt, was sie wollte und was sie nicht wollte. Aber statt ihm ein Zeichen zu geben, ließ sie sich von Macho ins Bad führen, aus purer Neugierde, was als Nächstes passierte. Magid folgte, anstatt für das Gute und Richtige zu kämpfen, das er doch klar erkannt hatte. Aber wenn die Frau es nicht wollte, konnte es wohl doch nicht das Gute und Richtige sein. Oder die Frau sah es nicht.
Diese Neugierde, was hinter der nächsten Ecke des Lebens auf sie wartete, hatte ihr noch jeden Genuss verkürzt. Jedes Landschaftsbild, jede stille Minute, jede Konzentration auf Arbeit und Kunst, jeden Kaffeehausbesuch, jede schöne Atmosphäre. Morgen sollte sie schwören, dass es das letzte Mal gewesen war. Sie musste sich zur Ruhe erziehen. Sonst verpasste sie auch den Rest des Lebens – und alle ihre Orgasmen.
So herrlich es war, ihre vom Badeschaum gleitenden weichen vier Hände auf ihrer Haut zu spüren, von Kopf bis zu den Beinen gestreichelt und verwöhnt zu werden, so wenig konnte es sie erneut erregen.
»Sie ist schwer zu bekommen«, raunte Magid, wissend und fühlend.
Sie beide hofften es noch einmal beim letzten Akt in bequemer Lage auf dem kuschelig luxuriösen Bett zu erreichen, bis Macho das Feld, das Schlachtfeld des Bettes eroberte. Lea spürte, dass die Matratze neben ihr nachgab von dem dritten, viel schwereren Körper. Magid, der sich sanft auf ihr wiegte, war dünn, glatt und leicht wie ein Junge, sein Atem war noch rein und unverbraucht und seine Schulter roch nach Schaumbad.
Macho schoss Fotos von dem Liebespaar unter dem goldenen Licht auf dem gelben Satinlaken, Lea schloss die Augen, um das nicht sehen zu müssen.
Als sie die Augen öffnete, weil sich neben ihr nichts mehr regte und sie überprüfen wollte, was der Andere tat, schaute sie geradewegs auf Machos übergroße Männlichkeit, die erschreckend nah vor ihrem Gesicht hing. Es war ihr absolut schleierhaft, es entzog sich ihrer Analysefähigkeit, warum sie ihn nicht fortstieß, sondern stattdessen bereitwillig den Mund öffnete. Weil sie nicht wusste, was sie wollte? Den freien Willen zum Wohle ihres Körpers und ihrer Seele hatte man ihr schon gebrochen, als sie noch in die Windeln schiss. Daher hatte er sich gar nicht erst entwickelt.
Magid schaute sich das Ergebnis eine Weile an, daraufhin gab er sein Werk auf, weil ihn das unromantische Bild herunterbrachte. Er zog sich auf die Couch zurück und ließ sich von Macho nicht mehr ins Bett locken. Nur ungeschickt verbarg er seine Enttäuschung unter einem kaum wahrnehmbaren Lachen, als er kommentierte: »Like animals.«
Das traf sie wie ein Dartpfeil aus den Händen des Dukes. Nein, nicht zum Tier hatte sie sich gemacht, das wäre naturnah gewesen, sondern zur Prostituierten, die nicht freiwillig gab. Nur zwang sie nicht das Überleben, sondern ihre verletzte Seele, die ihrem Körper keinen Egoismus erlaubte und ihn auf ewig verdammte, nach Befriedigung zu suchen und alles zu tun, um endlich zu finden, was auch die Seele heilen sollte, sie in Wirklichkeit aber mehr und mehr verletzte, bis sie abgestumpft war.
»It was just another brick in the wall«, sang sie Pink Floyd im Rhythmus von Machos Stößen nach, die ihre für ihn viel zu kleine Vagina malträtierten.
»Like a dog«, kommentierte Magid Machos Tun vom goldweißen Sofa aus. Das Angenehmste, was sie fühlte, war das große kuschelige Bett unter ihrem Bauch, der sich gegen Macho zu wehren begann, lange bevor sie es tat.
Magid hatte ihn leise ermahnt ein Kondom zu benutzen wie er, aber Macho hatte ihn mit einer heftigen Handbewegung zur Ruhe befohlen und das antike Schubfach geschlossen, in dem er sie deponiert hatte. »Mach Fotos von uns«, befahl er Magid, um ihn sinnvoll zu beschäftigen und zum Schweigen zu bringen.
Als Lea unwillig das schöne Bett verließ, lagen noch drei unbenutzte Kondome in der Schublade von dunklem, dickem Holz. Macho nahm sie nicht heraus, sondern bot ihr an, hier zu bleiben, während sie zum Weihnachtsessen bei seiner Mutter eingeladen waren. Um elf kämen sie zurück.
Sie hätte das Angebot gerne angenommen, wäre in dem schönen großen Bett geblieben mit der Aussicht auf den Weihnachtsbaum, die orientalische Bank, die dunklen Hügel von Beverly Hills und Hollywood, hätte sich rauchend auf das Sofa gekniet, um dem leuchtend blauen Wasser nachzusehen und wäre sanft wie ein Weihnachtsengel eingeschlafen in dieser wohligen Stille, sieben Stockwerke über dem Wilshire und in der kuscheligen Daunendecke, die ihren Träumen Flügel verliehen hätte. Ruhe wollte sie und allein sein. Darum stand sie, wenn auch unwillig, auf, suchte ihre Zigaretten und Socken und ging. Magid und Macho sammelten alles ein bis auf die Kondome. Zuletzt griffen sie die Kamera. »Was macht ihr mit den Fotos?«, wollte Lea wissen. »Nichts. Nur für den Hausgebrauch«, lachte Macho.
Der Liftboy war verschwunden, sie fuhren allein und nicht mehr schweigsam die sieben Etagen hinab. Die beiden stellten fest, was andere Liebhaber vor ihnen bemerkt hatten, dass Lea jetzt noch schöner, weil entspannter aussah. Obwohl sie nie die vollendete Befriedigung fand, entspannte sie Sex doch ungemein. »Sogar deine Haare sehen jetzt noch schöner aus«, fanden beide und streichelten ihren Kopf.
Die Lifttür öffnete sich lautlos und das goldene, warme Licht der Lobby ergoss sich auf Lea, als wäre sie der lang erwartete Weihnachtsengel. Der gefallene – fühlte sie, als sie einen Fuß in die rotgoldenen Farben des Foyers setzte und es zügig durchschritt, indem sie das Fußbodenmosaik durcheinanderbrachte. Macho fotografierte die Reihe der Angestellten hinter der Rezeption, die den Dreien mit vor Sensationsgier offenen Mündern nachsahen. Während Macho die Kamera vor das Auge hielt, winkte er ihnen mit der anderen in einer ausladenden Geste, die als Siegerpose zu bezeichnen war.
Lea fragte sich, ob Zimmer 712 eine Institution sei, ob das Personal daran gewöhnt war, regelmäßig Mädchen an sich vorbeiflanieren zu sehen und neugierig auf das diesmalige war. War sie anders als die anderen oder genauso? Auch glaubte sie einen Funken von Neid in ihren Gesichtern zu lesen, der allein Macho und Magid gelten konnte, oder träumten diese weiblichen Manager in Uniform von zwei jungen Persern im Bett?
Sie sah die letzten Familien an den von Kerzen beleuchteten Tischen der teuren Restaurants, still und vergnügt, in sich gekehrt, in sich ruhend, sich gegenseitig und vertraulich anlächelnd, in Dankbarkeit dafür, dass sie nicht allein waren wie die vielen Obdachlosen da draußen in der Stadt und die wenigen übriggebliebenen Singles, die sich den Abend mit Alkohol, Sexfilmen, Kokain und Prostituierten verdarben. Überlebensstrategie nannte man das.
An der Fußgängerampel fragten die beiden, in welcher Richtung ihr Wagen stände, sie zeigte bergauf zum Santa Monica Boulevard.
»Dann haben wir denselben Weg.«
Sie überquerten gemeinsam den Wilshire und schlenderten den Canon hinauf.
»Wo musst du hin?«, fragten sie weiter.
»Malibu Beach Park.«
»Dann haben wir fast denselben Weg. Meine Mutter wohnt in den Pacific Palisades.«
Einen Moment lang wünschte sich Lea, sie lüden sie zum Familienessen ein. Sie hätte zwar abgelehnt, hätte aber das Gefühl bekommen, dass sie ein Gefühl für sie hegten.
»Wartet am Wagen«, befahl Macho, »ich muss den Schlüssel besorgen.«
Als er außer Sichtweite war, nahm Magid Lea in die Arme und fragte, was sie sonst mache. Sie redeten hin und her, nur weil er nicht gleich wagte zu fragen, ob sie sich allein treffen könnten. Sie wich ihm aus, indem sie daran erinnerte, dass sie morgen zum Frühstück im Regent verabredet waren. Danach könnten sie weitersehen.
Sie wollte jetzt schlafen gehen. Sie dachte jetzt nicht an eine zweite Chance, wog nicht ab, ob diese besser wäre als das Erlebte; sie beurteilte das Erlebte noch nicht. Würde sie es wiederholen wollen oder bereuen?
Die Männer stiegen in Machos Mercedes. „Morgen um zehn im Regent.“ Sie nickte und vertrat sich die Beine. Einen Moment überlegte sie, ob sie gleich hier unter den Palmen am Santa Monica Boulevard schlafen sollte. Stattdessen schaltete sie die Innenbeleuchtung ab, die Scheinwerfer an und ließ den Motor die Stille zerstören.