VALENTIN WALLNER
DER BÄR AM FENSTER UND DU HAST NUR NOCH EIN PAAR TAGE ZU LEBEN
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Bär am Fenster und Du hast nur noch ein paar Tage zu leben
Impressum
Der Bär am Fenster und Du hast nur noch ein paar Tage zu leben
Ich habe dieses Buch nach den Tagebucheintragungen meiner geliebten Frau Gertrude Maria geschrieben. Nur der letzte Abschnitt ist von mir; er berichtet von den Begebenheiten nach ihrem Tod. Vier Jahre nach ihrem Ableben hatte ich beschlossen, ihr [unser] Leben niederzuschreiben für unsere Nachkommen, speziell für die in Kanada Geborenen. Später hatte ich mir überlegt: Warum sollte es nicht jedermann lesen können? Es ist ja ein unvorstellbares Erlebnis von Niedernsill (mein Heimatdorf ist Walchen, eine Nachbargemeinde von Niedernsill) nach Britisch-Kolumbien – in die Wildnis Kanadas – auszuwandern, wo von zehn Besuchern sieben Bären sind.
Ich, Gertrude Maria Gassner, geboren in Niedernsill im Pinzgau, war gerade 16 Jahre alt, als ich meinen Ehemann Valentin kennenlernte. Es war Liebe auf den ersten Blick, ich wusste einfach, das ist der Richtige – und all die vielen Jahre haben mir recht gegeben. Mit 18 bin ich dann zu ihm gezogen, in das Nachbardorf Walchen.
Kurze Zeit später wurde unser erster Sohn Günter geboren. Valentin war gelernter Maler von Beruf; er wollte aber immer Tiere und etwas Land besitzen. Als unser zweiter Sohn Markus das Licht der Welt erblickte, siedelten wir nach Zell am See über auf einen kleinen Bauernhof im Schmittental. Für Valentin war das natürlich sehr praktisch, er arbeitete ja seit einigen Jahren bei der Seilbahn.
So brauchte er nicht mal ein Auto, um zur Arbeit zu kommen, denn das sogenannte Hinterfalleggut lag nur etwas oberhalb der Talstation.
Der Anfang war gemacht, aber wir mussten natürlich erst lernen, wie man mit Tieren umgeht, was bei Pflege und Fütterung zu beachten ist usw. Wir sprachen oft von Kanada, aber mit der Arbeit bei der Seilbahn und mit der Landwirtschaft und ich war zudem Köchin in der Pension nebenan, da hatten wir nicht viel Zeit miteinander. So vergingen zehn Jahre mit dem Traum, selbst mal Land zu besitzen.
Den Wendepunkt für unsere erste Reise nach Kanada war der Tod von Valentins Mutter. Noch im selben Jahr machten wir eine vierwöchige Reise in den Osten von Kanada, in die Provinzen Quebec und Ontario – etwa 5000 Kilometer weg von unserem Zuhause. Wir wussten damals noch nicht, dass wir noch einmal 5000 Kilometer weiter weg siedeln würden, also 10000 Kilometer entfernt von der Heimat. Im Juli: Ankunft am internationalen Flughafen Montreal-Mirabel. Wir hatten gleich mit den Flügen auch einen Leihwagen gebucht. Das Auto war fast neu, aber leider mit Automatikschaltung – na gut, ich war ja nicht der Fahrer. Valentin hatte kein Problem damit, gleich hinaus auf den Highway, so nennt man die Landstraßen in Kanada, zu fahren und quer durch die Vier-Millionen–Einwohnerstadt Montreal. Wir fuhren nach Norden, Richtung Hauptstadt von Quebec – Quebec City. Wir wussten, dass entlang des mächtigen Lawrence Stroms viele Bauernhöfe und sehr fruchtbares Land liegen.
Die Leute sprechen fast alle Französisch in Quebec; die älteren Einwohner sprechen auch Englisch. In der nächsten kleineren Stadt, Drummondville, kauften wir uns eine Campingausrüstung mit Zelt usw. Wenn man das erste Mal die Größe des Landes sieht, ist das schon etwas überwältigend. So verging die Zeit am ersten Tag mit all den neuen Eindrücken dieses Landes so schnell und es war schon Abend, als wir uns nach einem Campingplatz umsahen. Na endlich, da war ein „Provincialpark“, so nennt man die Campingplätze, die vom Staat zur Verfügung gestellt werden. Der Platz kostete fünf Dollar für eine Nacht; die Plätze sind aber ziemlich groß. Als wir dann endlich unseren Lagerplatz fanden, war es bereits stockfinster. Wo ist die Taschenlampe? Wir hatten natürlich keine gekauft, aber „no problem“, unsere Nachbarn, nette Leute von Britisch-Kolumbien – unserer späteren Heimat –, kamen sogleich rüber mit Licht. Und da die Kanadier richtige Camper sind, hatten wir im Nu die Zelte aufgebaut, ein Lagerfeuer angezündet und sogar Bohnen mit Speck als Abendessen.
Quebec hat die meisten Milchfarmen in Kanada und es ist für einen Landwirt ein Erlebniserster Klasse, so eine Region mit den schönen Bauernhöfen zu sehen. Nach zwei Tagen erreichten wir Quebec City, eine sehr schöne alte Stadt. Wir fuhren noch einige Tage nach Norden, dort gab es keine Farmen mehr, die Wiesen wechselten in Wälder über. Wo ist die nächste Tankstelle? Der Tank zeigt 0! Kilometer um Kilometer nur Wald, kein Verkehr und um die nächste Kurve Wald, soweit das Auge reicht. Zum Verzweifeln! Da, endlich eine Tankstelle. Das Auto hatte genug von der mageren Verpflegung und stoppte zehn Meter vor der Zapfsäule. Wenn man das dichter besiedelte Gebiet verlässt, kann es schon mal passieren, dass für 200 Kilometer oder noch länger keine Tankstelle und keine Geschäfte kommen. Diese Nacht waretwas gruselig: Wir hörten nicht allzu weit entfernt Wölfe heulen, ein ganzes Rudel. Ich hoffte, dass sie nicht allzu hungrig sind. Die nächsten zwei Wochen fuhren wir durch Ontario. Ontario hat wie Quebec auch viele Farmen, im Süden ist es dicht besiedelt und im Norden herrscht die absolute Wildnis. Wir fuhren auch entlang der großen Seen. Der Lake Superior, also der Obere See, wird so genannt, weil er der letzte in der Kette von fünf Seen ist. Er so groß wie Österreich – fast schon ein Meer. Die nächste Reise brachte uns auch in den Westen Kanadas bis nach Vancouver Island in Britisch-Kolumbien. Die Insel liegt imPazifischen Ozean, etwa 10000 Kilometer hin und retour. Wir hatten dieses Mal auch ein Auto gemietet, aber leider nur 200 freie Kilometer pro Tag und wir fuhren im Schnitt 1200 Kilometer.
Na mit der Nachzahlung, da hätten wir das Auto gleich kaufen können. Bei unserer darauffolgenden Reise kauften wir uns ein Auto und ließen es dann bei einer auch vor einigen Jahren eingewanderten österreichischen Familie in der Nähe des Flughafens Mirabel in Montreal stehen. Die Eindrücke von unserer ersten Reise waren gewaltig. Wir bereisten Kanada noch acht Mal bis wir dann die letzte Reise antraten.
Die nächsten Schritte: Ansuchen für die Immigration, in Salzburg Gesundheitstest und dann nach Wien zur kanadischen Botschaft. Endlich war es dann soweit: Alles war in einen Schiffscontainer verladen. Dann ging es übers Meer. Drüben angekommen mieteten wir eine Wohnung und begannen mit der Suche nach einer Farm. Nach einigen Wochen hatten wir eine passende gefunden, nördlich von Ottawa. Ottawa ist die Hauptstadt von Kanada. Die zwei Besitzer waren Brüder wollten verkaufen, da sie beide schon über 70 Jahre alt waren und keine Nachkommen hatten. Die Farm war wunderschön gelegen an einem mächtigen Fluss, dem Richelieu, und 640 Acres [1 ha = 2,2 Acres] groß. Die Farm schaute aus wie ein kleines Dorf mit den vier Ställen und den hohen Silos, der Maschinenhalle usw. Wir brauchten einige Monate, um uns über den Verkaufspreis einig zu werden.
Da ist ja alles dabei: Rinder, Maschinen und das Land, so an die 80 Kühe und noch mal so viele junge Rinder und an die fünf Traktoren mit allen kleineren Maschinen; da war alsoviel zu kalkulieren.
Aber welch böse Überraschung beim Notar! Wir hatten bei einem englisch sprechenden Botschafterum die Einreise angesucht und Ontario als unser Ziel angegeben. Deshalb verlangte Quebec, dass wir uns in Ontario ansiedelten. Sollte die ganze lange Nervenanspannung umsonst gewesen sein? Was nun? Valentin kaufte einen Pick-up (so nennt man die kleinen Fahrzeuge, die Lastwagen ähnlich sind, sie haben nämlich eine kleine Ladefläche) und einen Wohnwagen. Dann fuhren wir nochmals über ganz Kanada von Ottawa bis nach Vancouver Island in Britisch-Kolumbien.
Vancouver Island liegt im Pazifischen Ozean, etwa 5000 Kilometer entfernt von Ottawa. Wir waren schon in Britisch-Kolumbien bei unseren früheren Reisen, aber es ist dort viel teurer, Land zu kaufen. Wir hatten jetzt Ende März, in Quebec hatte es noch -20, nördlich von Ontario -30 Grad Celsius. Der NordenOntarios ist geprägt von Seen und Wäldern; es gibt dort viele Raststellen mit Toilettenanlagen und auch viele Plätzezum Campen. Zeitig am Morgen kann man neben dem Highway viele Elche sehen. Nach zwei Tagen erreichten wir Manitoba, die erste der drei Prärieprovinzen; auch dort war es noch ziemlich kalt und Schnee lag auf den Feldern. In Saskatchewan, die nächste Provinz, stürmte es fürchterlich; man konnte kaum die Straße sehen. In Alberta war dann das Wetter schon etwas besser, auch wenn es immer noch kalt war und Schnee lag.