Cover
Nicholas Sparks: Das Lächeln der Sterne

Danksagung

Genau wie alle meinen anderen Romane wäre Das Lächeln der Sterne niemals ohne die Geduld, Liebe und Unterstützung meiner Frau Cathy zustande gekommen. Und von Jahr zu Jahr wird sie schöner.

Da dieses Buch meinen jüngsten drei Kindern gewidmet ist, möchte ich an dieser Stelle auch meinen beiden ältesten, Miles und Ryan, danken (denen Weit wie das Meer gewidmet war). Ich liebe euch, Jungs!

Mein Dank gilt auch meiner Agentin Theresa Park und meiner Lektorin Jamie Raab. Beide wissen immer ganz genau, worauf es ankommt, und sie sorgen konsequent dafür, dass ich am Ball bleibe. Auch wenn ich oft darüber jammere – am Ende bin ich doch jedes Mal. Und wenn Theresa und Jamie an einer Geschichte Gefallen finden, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es Ihnen genauso geht.

Larry Kirshbaum und Maureen Egen von Warner möchte ich ebenfalls danken. Wenn ich nach New York fahre, um mich mit ihnen zu treffen, ist das, als würde ich meine Familie besuchen. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass ich mich bei Warner Books so zu Hause fühle.

Denise Di Novi, die Produzentin der Filme Message in a Bottle und A Walk to Remember, ist nicht nur eine Meisterin ihres Fachs, sondern außerdem auch jemand, den ich sehr mag und dem ich vertraue. Sie ist eine gute Freundin geworden, und ich danke ihr für alles, was sie für mich getan hat – und immer noch tut.

Richard Green und Howie Sanders, meine Agenten in Hollywood, sind klasse Freunde und klasse in allem, was sie machen. Danke, Leute.

Scott Schwimer, mein Anwalt und Freund, hat immer ein Auge auf mich. Danke.

Weiterhin danke ich Jennifer Romanello, Emi Battaglia und Edna Farley; Flag und den anderen Graphikern, die an dem Buchumschlag beteiligt waren; Courtenay Valenti und Lorenzo De Bonaventura von Warner Brothers; Hunt Lowry und Ed Gaylord II von Gaylord Films; Mark Johnson und Lynn Harris von New Line Cinema – euch allen Dank für die hervorragende Zusammenarbeit.

Mandy Moore und Shane West haben beide großartige Arbeit in A Walk to Remember geleistet, und ich schätze ihre Begeisterung für dieses Projekt außerordentlich.

Nun die Familie (die garantiert begeistert ist, wenn sie ihre Namen hier entdeckt): Micah, Christine, Alli und Peyton; Bob, Debbie, Cody und Cole; Mike und Parnell, Henrietta, Charles und Glenara, Duke und Marge, Dianne und John, Monte und Gail, Dan und Sandy, Jack, Carlin, Joe, Elaine und Mark, Michelle und Lemont, Paul, John und Caroline, Tim, Joannie und Papa Paul.

Und, natürlich, wie könnte ich Paul und Adrienne vergessen?

Der Autor

Nicholas Sparks, 1965 in Nebraska geboren, lebt mit seiner Frau und den fünf Kindern in North Carolina. Mit seinen gefühlvollen Romanen, die ausnahmslos die Bestsellerlisten eroberten und weltweit in 46 Ländern erscheinen, gilt Sparks als einer der meistgelesenen Autoren der Welt. Mehrere seiner Bestseller wurden erfolgreich verfilmt, im Jahr 2004 Wie ein einziger Tag.

Alle seine Bücher sind bei Heyne erschienen: Das Schweigen des Glücks – Weg der Träume – Nah und fern – Weit wie das Meer – Du bist nie allein – Ein Tag wie ein Leben – Zeit im Wind – Das Lächeln der Sterne – Die Nähe des Himmels – Die Suche nach dem verborgenen Glück.

EINS

An einem milden Novembermorgen im Jahr 1999 war Adrienne Willis zu der kleinen Familienpension zurückgekehrt. Auf den ersten Blick schien es ihr, als ob sich nichts verändert hatte, ganz so, als wäre das kleine Haus gegen Sonne und Sand und salzhaltigen Nebel unempfindlich. Die Veranda war frisch gestrichen, und in beiden Etagen wurden die Fenster mit den weißen Vorhängen von glänzend schwarzen Fensterläden eingerahmt, sodass es wie zwei Reihen von Klaviertasten aussah. Die Wände aus Zedernholz hatten die Farbe von schmutzigem Schnee. Auf beiden Seiten des Hauses nickte Strandhafer zur Begrüßung, und der Sand bildete eine geschwungene Düne, die mit jedem Tag unmerklich ihre Form veränderte, weil die einzelnen Sandkörner unablässig in Bewegung waren.

Die Sonne schien zwischen den Wolken zu schweben, und es sah so aus, als schwirrten kleine Lichtpartikel im Dunst. Das Ganze vermittelte Adrienne einen Augenblick lang das Gefühl, eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit gemacht zu haben. Doch als sie genauer hinsah, entdeckte sie Veränderungen, die auch kleine Schönheitsreparaturen nicht zu verbergen vermochten: der Ansatz von Schimmel an den Fensterrahmen, Rostspuren am Dach, Wasserflecken unter den Regenrinnen. Die Pension war vom Alter gezeichnet, und es stand nicht in Adriennes Macht, daran etwas zu ändern. Doch heute, drei Jahre später, wusste sie noch, dass sie die Augen geschlossen hatte, als könne sie mit einem Blinzeln das Haus wieder so erstehen lassen, wie es einst gewesen war.

Adrienne hatte vor wenigen Monaten ihren sechzigsten Geburtstag gefeiert. Jetzt stand sie in der Küche ihres eigenen Hauses und legte den Hörer auf.

Sie hatte gerade mit ihrer Tochter telefoniert. Sie setzte sich an den Tisch, sann über ihren letzten Besuch in der Pension nach und ließ noch einmal die Bilder von dem langen Wochenende, das sie vor vielen Jahren dort verbracht hatte, vorüberziehen. Trotz allem, was sich seitdem ereignet hatte, hielt Adrienne an ihrer Überzeugung fest, dass es allein die Liebe war, die das Leben so wunderbar machte.

Draußen fiel Regen. Adrienne lauschte dem gleichmäßigen Geräusch und war dankbar für das Gefühl von Beständigkeit und Vertrautheit, das es ihr gab. Die Erinnerung an jene Tage weckte jedes Mal die unterschiedlichsten Empfindungen in ihr – so etwas Ähnliches wie Wehmut oder Nostalgie, aber das war es nicht allein. Wehmütige Gefühle stellten häufig die Vergangenheit in einem verklärten Licht dar, doch es gab keinen Grund, die Erinnerungen zu verklären. Adrienne teilte sie mit niemandem. Die Erinnerungen gehörten ihr, und im Laufe der Jahre waren sie ihr zu einer Art Museum geworden, in dem sie sowohl die Kuratorin als auch die einzige Besucherin war. Und in gewisser Hinsicht war Adrienne zu der Überzeugung gelangt, dass sie in den fünf Tagen damals mehr gelernt hatte als in all den Jahren davor oder danach.

Sie lebte allein. Ihre Kinder waren erwachsen, ihr Vater war 1996 gestorben, und Jack und sie waren seit siebzehn Jahren geschieden. Ihre Söhne bedrängten sie manchmal, sich einen neuen Partner zu suchen, aber Adrienne verspürte kein Verlangen danach. Nicht, dass sie mit Männern nichts mehr zu tun haben wollte – ganz im Gegenteil, gelegentlich merkte sie, dass sie sich von jüngeren Männern angezogen fühlte, zum Beispiel, wenn ihr im Supermarkt jemand über den Weg lief. Da manche dieser Männer nur wenige Jahre älter waren als ihre eigenen Kinder, fragte sie sich, was sie wohl denken würden, wenn sie ihre Blicke bemerkten. Würden sie sich sofort abwenden? Oder würden sie ihr Lächeln erwidern und ihre interessierten Blicke reizvoll finden? Sie war sich nicht sicher. Sie wusste natürlich auch nicht, ob diese Männer trotz der ergrauenden Haare und der Falten erkennen konnten, wie sie früher einmal ausgesehen hatte.

Doch Adrienne bedauerte es keineswegs, dass sie älter wurde. Die Menschen sprachen fortwährend von dem Reiz der Jugend, aber sie sehnte sich nicht danach, wieder jung zu sein. Mittleren Alters vielleicht, aber nicht jung. Sicher, manches vermisste sie: Sie würde gern immer noch die Treppe zwei Stufen auf einmal nehmend hinaufrennen oder mehrere Einkaufstaschen gleichzeitig tragen können, und sie hätte gern noch ausreichend Energie gehabt, um mit ihren Enkeln Schritt halten zu können. Doch letzten Endes waren die Erfahrungen, die sie gemacht hatte, wertvoller, und die kamen nur mit dem Alter. Wenn sie auf ihr Leben zurückblickte, erkannte sie, dass sie kaum etwas anders machen würde, wenn sie noch einmal die Gelegenheit dazu hätte, und das war der Grund, warum sie nachts ruhig schlief.

Außerdem brachte das Jungsein viele Probleme mit sich. Adrienne erinnerte sich nicht nur an ihre eigene Jugend, sie hatte auch ihre Kinder begleitet, als diese mit den Ängsten der Pubertät und den Unsicherheiten und dem Chaos des frühen Erwachsenenlebens zu kämpfen hatten. Obwohl zwei von ihnen jetzt schon über dreißig waren und der Dritte fast dreißig, fragte sie sich manchmal, ob es wohl je eine Zeit geben würde, die nicht mehr von ihrer Rolle als Mutter bestimmt war.

Matt war zweiunddreißig, Amanda einunddreißig, und Dan war gerade neunundzwanzig geworden. Alle drei waren zum College gegangen, und darauf war Adrienne stolz, denn es hatte eine Zeit gegeben, als sie daran zweifelte, ob auch nur eines ihrer Kinder es schaffen würde. Sie waren ehrlich, freundlich und genügsam, und im Grunde genommen waren sie so geraten, wie sie es sich gewünscht hatte. Matt war Steuerberater, Dan Sportberichterstatter bei den Abendnachrichten, die aus Greenville gesendet wurden, und beide waren verheiratet und hatten schon eigene Kinder. Als ihre Söhne zu Thanksgiving bei ihr gewesen waren, hatte sie, so erinnerte sie sich, ein wenig abseits gesessen und zugesehen, wie die beiden von ihren Kindern auf Trab gehalten wurden. Adrienne hatte eine große Befriedigung verspürt bei dem Gedanken, wie gut sich das Leben ihrer Söhne entwickelt hatte.

Für ihre Tochter war alles – wie immer schon – ein wenig komplizierter.

Als Jack auszog, standen die Kinder am Anfang der Pubertät, und jedes hatte die Scheidung auf seine eigene Art verarbeitet. Matt und Dan hatten ihre Aggressionen auf dem Sportplatz rausgelassen und waren hin und wieder in der Schule aus der Rolle gefallen. Doch Amanda hatte es schwerer. Als das mittlere Kind zwischen zwei Brüdern war sie schon immer besonders empfindlich, und als Teenager hätte sie den Vater gebraucht, und sei es nur als Gegengewicht zu den besorgten Blicken der Mutter. Sie begann, sich in Lumpen zu kleiden – so empfand Adrienne es zumindest –, und schloss sich einer Gruppe von jungen Leuten an, die abends nur in der Gegend herumlungerten. Im Laufe der nächsten zwei Jahre behauptete Amanda mindestens ein Dutzend Mal, über die Maßen in irgendeinen Jungen verliebt zu sein. Wenn sie von der Schule nach Hause kam, hörte sie in ihrem Zimmer so laut Musik, dass die Wände wackelten, und ignorierte es, wenn ihre Mutter zum Essen rief. Es gab Phasen, da sprach Amanda tagelang kaum ein Wort, weder mit ihrer Mutter noch mit ihren Brüdern.

So ging das ein paar Jahre, aber schließlich fand auch Amanda ihren Weg und gestaltete sich ein Leben, das Adrienne merkwürdig an ihr eigenes früheres Leben erinnerte. Im College lernte Amanda Brent kennen. Die beiden heirateten nach dem Abschluss und bekamen in den ersten Ehejahren zwei Kinder. Wie bei vielen anderen Paaren auch war ihre finanzielle Lage angespannt, aber Brent plante alles mit Bedacht, was Jack nie getan hatte. Als das erste Kind zur Welt kam, schloss Brent vorsorglich sofort eine Lebensversicherung ab, obwohl keiner von beiden damit rechnete, sie in nächster Zeit in Anspruch nehmen zu müssen.

Sie hatten sich geirrt.

Brent war seit acht Monaten tot. Er war einer besonders bösartigen Form von Hodenkrebs zum Opfer gefallen. Adrienne hatte mit ansehen müssen, wie Amanda in eine tiefe Depression versank, aus der sie sich bisher nicht befreit hatte. Als sie am Tag zuvor ihre Enkelkinder, die ein paar Tage bei ihr gewesen waren, zu Amanda zurückbrachte, waren die Vorhänge im Haus ihrer Tochter zugezogen gewesen. Das Licht auf der Veranda brannte, und Amanda saß im Bademantel im Wohnzimmer und hatte den gleichen leeren Blick wie am Tag der Beerdigung.

In dem Moment wusste Adrienne, dass es an der Zeit war, ihrer Tochter von ihrer Vergangenheit zu erzählen.

 

Vierzehn Jahre. So lange war es inzwischen her.

In all den Jahren hatte Adrienne nur einem einzigen Menschen davon erzählt, aber ihr Vater hatte das Geheimnis mit ins Grab genommen.

Als Adrienne fünfunddreißig war, starb ihre Mutter. Zwar hatte sie eine gute Beziehung zu ihr gehabt, aber ihrem Vater hatte sie sich immer besonders nahe gefühlt. Er war einer von den beiden Männern, so dachte sie noch immer, die sie je richtig verstanden hatten, und sie vermisste ihn schmerzlich. Sein Leben war typisch für das Leben vieler Männer seiner Generation verlaufen. Er war nicht zum College gegangen, sondern hatte ein Handwerk gelernt und dann fünfzig Jahre in einer Möbelfabrik gearbeitet. Dort bekam er einen Stundenlohn, der sich jedes Jahr im Januar um wenige Pennys erhöhte. Er trug stets einen Filzhut, auch in den warmen Sommermonaten, und er hatte immer seine Brotdose mit den quietschenden Scharnieren dabei. Jeden Morgen verließ er pünktlich um Viertel vor sieben das Haus, um die anderthalb Meilen zur Arbeit zu gehen.

Abends nach dem Essen zog er sich eine Wolljacke über sein langärmeliges Hemd. Wegen der zerknitterten Hosen sah er immer etwas unordentlich aus, was sich mit den Jahren noch verstärkte, besonders nach dem Tod seiner Frau. Er saß gern in seinem Lehnstuhl, im gelben Lichtkegel der Lampe, und las Wildwestromane oder Bücher über den Zweiten Weltkrieg. In den letzten Jahren, bevor er mehrere Schlaganfälle erlitt, sah er wegen seiner altmodischen Brille, der buschigen Augenbrauen und der tiefen Falten im Gesicht eher wie ein pensionierter College-Professor aus und weniger wie der Fabrikarbeiter, der er gewesen war.

Am beeindruckendsten war die große innere Ruhe, die er besaß, und Adrienne hatte sich oft gewünscht, ihm in diesem Punkt ähnlicher zu sein. Er wäre ihrer Meinung nach ein guter Priester oder Geistlicher geworden. Den Menschen, die mit ihm zu tun hatten, vermittelte er den Eindruck, dass er mit sich und der Welt im Reinen war. Er war ein guter Zuhörer – er stützte das Kinn in die Hand und ließ den Blick nie von dem Menschen weichen, der sich ihm anvertraute. In seiner Miene spiegelten sich Mitgefühl und Geduld, Freude und Traurigkeit. Adrienne wünschte sich, dass er in dieser Zeit für Amanda da sein könnte. Auch er hatte den Ehepartner verloren, und Adrienne glaubte, Amanda würde ihn an sich heranlassen, ihm zuhören, und sei es nur, weil er wusste, wie hart ein solches Schicksal war.

Adrienne hatte sanft versucht, mit Amanda über die schwierige Zeit zu sprechen, die sie durchmachte, doch ihre Tochter war vom Tisch aufgestanden und hatte verärgert den Kopf geschüttelt.

»Es ist nicht wie bei dir und Dad«, hatte sie gesagt. »Ihr konntet keine Lösung für eure Probleme finden, deswegen habt ihr euch scheiden lassen. Aber ich habe Brent geliebt! Ich werde ihn immer lieben, und er ist mir genommen worden. Du weißt gar nicht, wie es ist, wenn einem so etwas passiert.«

Adrienne hatte nichts darauf erwidert, doch als Amanda aus dem Zimmer gegangen war, hatte Adrienne den Kopf gesenkt und ein einziges Wort geflüstert.

Rodanthe.

Adrienne empfand Mitleid mit ihrer Tochter, und gleichzeitig war sie besorgt um deren Kinder. Max war sieben und Greg vier, und in den vergangenen acht Monaten hatte Adrienne deutliche Veränderungen im Verhalten der Kinder beobachtet. Beide waren ungewöhnlich verschlossen und still. Im Herbst hatten sie nicht am Fußballtraining teilgenommen, und Max weinte jeden Morgen, wenn er in die Vorschule gehen sollte, obwohl er dort eigentlich gut zurechtkam. Greg nässte wieder das Bett ein und bekam bei der kleinsten Verärgerung einen Wutanfall. Einige dieser Veränderungen, das war Adrienne klar, hatten mit dem Tod des Vaters zu tun, aber sie waren auch eine Reaktion auf Amandas Verhalten, das sich seit dem letzten Frühjahr stark gewandelt hatte.

Weil Amanda durch die Lebensversicherung abgesichert war, brauchte sie nicht zu arbeiten. Aber Adrienne war in den ersten zwei Monaten nach Brents Tod trotzdem jeden Tag bei Amanda gewesen, hatte dafür gesorgt, dass die Rechnungen bezahlt wurden und die Kinder zu essen bekamen. Währenddessen hatte sich Amanda in ihr Zimmer zurückgezogen, wo sie entweder schlief oder weinend wach lag. Adrienne nahm Amanda in den Arm, wenn ihre Tochter es brauchte, sie hörte zu, wenn Amanda sich aussprechen wollte, und sie bestand darauf, dass ihre Tochter wenigstens ein oder zwei Stunden am Tag nach draußen ging. Sie hoffte, an der frischen Luft würde Amanda erkennen, dass auch für sie das Leben weiterging.

Adrienne war voller Hoffnung gewesen, dass ihre Tochter langsam über den Verlust hinwegkam. Als es Sommer wurde, hatte Amanda wieder gelächelt, erst selten, dann immer öfter. Sie machte einige Stadtbummel und begleitete die Kinder ab und zu auf die Rollschuhbahn, und allmählich zog sich Adrienne von den Aufgaben zurück, die sie bis dahin für ihre Tochter erledigt hatte. Sie wusste, wie wichtig es war, dass Amanda wieder die Verantwortung für ihr eigenes Leben übernahm. Man konnte im gleichförmigen Ablauf des Alltags Trost finden, das hatte Adrienne selbst erfahren, und sie hoffte, dass Amanda dies auch erkennen würde.

Doch im August, an dem Tag, der ihr siebter Hochzeitstag gewesen wäre, öffnete Amanda die Tür zum Kleiderschrank im Schlafzimmer und sah, dass sich auf den Schultern von Brents Anzügen Staub gesammelt hatte. Von da an ging es nicht mehr weiter voran. Nicht, dass die Trauer sie wieder überwältigt hätte – es gab Momente, da war sie fast wie früher –, aber die meiste Zeit wirkte sie eigentümlich erstarrt. Sie war weder deprimiert noch glücklich, weder angeregt noch lethargisch, weder interessiert noch gelangweilt von dem, was um sie herum geschah. Amanda, so kam es Adrienne vor, war offenbar zu der Überzeugung gelangt, dass die Erinnerung an Brent verblassen würde, wenn sie nach vorn blickte, und hatte entschieden, das nicht zuzulassen.

Doch den Kindern gegenüber war es nicht fair. Sie brauchten die Führung und Liebe ihrer Mutter, sie brauchten ihre Zuwendung. Sie brauchten eine Mutter, die ihnen versicherte, dass sich alles zum Guten wenden würde. Ein Elternteil hatten sie bereits verloren, und das war schwer genug. In letzter Zeit kam es Adrienne oft so vor, als hätten sie auch ihre Mutter verloren.

 

Im sanften Schein der Küchenlampe sah Adrienne auf die Uhr. Auf ihre Bitte war Dan mit den beiden Jungen, Max und Greg, ins Kino gegangen, sodass Adrienne den Abend mit Amanda verbringen konnte. Wie Adrienne waren auch ihre beiden Söhne um Amandas Kinder besorgt. Sie hatten sich nicht nur bemüht, eine aktive Rolle im Leben der Jungen zu übernehmen, sondern Adrienne immer wieder um Rat gefragt, wie sie sonst noch helfen konnten. Heute hatte Adrienne Dan beruhigt und gesagt, sie werde mit Amanda sprechen. Dan hatte darauf skeptisch reagiert – hatten sie das nicht schon oft versucht? –, aber sie wusste, dass dieser Abend eine andere Wirkung haben würde.

Adrienne machte sich kaum Illusionen darüber, wie ihre Kinder sie sahen. Natürlich, sie liebten und respektierten sie als Mutter, aber Adrienne wusste, dass sie sie nicht wirklich kannten. In den Augen ihrer Kinder war sie gutherzig und durchschaubar, liebenswürdig und zuverlässig, eine freundliche Seele aus einer anderen Zeit, die ihren Weg ging und dabei ihre naive Weltsicht beibehalten hatte. Ihr Äußeres entsprach inzwischen dieser Sichtweise – die Fingerknöchel wurden mit der Zeit dicker, ihre schlanke Taille hatte sie eingebüßt, und die Brillengläser waren im Laufe der Jahre auch stärker geworden –, aber wenn sie bemerkte, wie ihre Kinder sie mit nachsichtigen Blicken ansahen, musste sie manchmal ein Lachen unterdrücken.

Zum Teil, das war Adrienne klar, lag der Irrtum ihrer Kinder in dem Wunsch begründet, dass sie ein bestimmtes Bild von ihrer Mutter haben wollten und Adrienne diesem Bild von einer Frau in ihrem Alter auch entsprechen sollte. Es war leichter – und auch bequemer, um ehrlich zu sein –, wenn sie ihre Mom für eine unauffällige ältere Frau halten konnten statt für eine wagemutige Frau; für eine Frau, deren Leben in normalen Bahnen verlief, statt für eine mit Erfahrungen, die sie, die Kinder, in Staunen versetzen würden. Und als die gutherzige, durchschaubare, liebenswürdige und verlässliche Mutter, die sie in den Augen ihrer Kinder war, hatte Adrienne nicht den Wunsch, diese Vorstellung zurechtzurücken.

Adrienne wusste, dass Amanda jeden Moment eintreffen würde, deshalb ging sie zum Kühlschrank und holte eine Flasche Pinot Grigio heraus. Da es seit dem Nachmittag im Haus kühler geworden war, drehte sie auf dem Weg ins Schlafzimmer den Thermostat hoch.

Früher hatte sie dieses Zimmer mit Jack geteilt, jetzt war es ihres, und seit der Scheidung war es bereits zweimal neu gestrichen worden. Adrienne trat an das Himmelbett, das sie sich schon seit ihrer Jugend gewünscht hatte. Unter dem Bett, nahe der Wand, stand eine kleine Briefschachtel, die sie jetzt hervorholte und auf das Kissen neben sich stellte.

Darin befanden sich lauter Dinge, die sie von damals aufbewahrt hatte: das einzelne Blatt Papier, das er in der Pension für sie zurückgelassen hatte, ein Foto von ihm, das in der Klinik aufgenommen worden war, und der Brief, den sie damals wenige Wochen vor Weihnachten erhalten hatte. Darunter lagen zwei zusammengebundene Stapel Briefe, Botschaften, die zwischen ihnen hin und her gegangen waren, und dazwischen eine Schneckenmuschel, die sie damals am Strand gefunden hatten.

Adrienne legte das Blatt zur Seite und zog einen Umschlag aus dem Stapel. Und gleich stellte sich die Erinnerung an das Gefühl wieder ein, das sie damals empfunden hatte, als sie den Brief bekam. Sie nahm ihn aus dem Umschlag. Er war dünn und brüchig geworden, und die Tinte war in den Jahren, seit er den Brief geschrieben hatte, verblichen. Dennoch waren die Worte deutlich lesbar.

 

Liebe Adrienne,

ich war nie ein guter Briefeschreiber, und ich hoffe, du verzeihst mir, wenn ich mich nicht sehr gut ausdrücke.

Ich kam heute Morgen auf einem Esel an, ob du das glaubst oder nicht, und nahm den Ort in Augenschein, an dem ich die nächste Zeit verbringen werde. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass es besser ist, als ich es mir vorgestellt habe, aber wenn ich ehrlich bin, kann ich das nicht. In der Klinik mangelt es an den meisten Dingen: an Medikamenten, Geräten und ausreichend Betten, aber ich habe mit dem Direktor gesprochen, und ich glaube, ich werde wenigstens einen Teil der Probleme lösen können. Es gibt zwar einen Generator, der Strom liefert, aber keine Telefone, sodass ich erst anrufen kann, wenn ich nach Esmeraldas komme. Es liegt zwei Tagesfahrten von hier entfernt, und die nächste Versorgungsreise findet erst in ein paar Wochen statt. Es tut mir Leid, aber in Wahrheit wussten wir wohl beide, dass es so sein würde.

Mark habe ich noch nicht gesehen. Er ist in einer Sozialstation in den Bergen und kommt erst heute Abend zurück. Ich werde dir berichten, wie es mit ihm läuft, aber am Anfang erwarte ich nicht allzu viel. Wie du schon gesagt hast, ich glaube, wir müssen uns erst einmal kennen lernen, bevor wir uns den Problemen zwischen uns zuwenden können.

Ich kann nicht einmal aufzählen, wie viele Patienten ich heute behandelt habe. Über hundert, nehme ich an. Es ist schon lange her, dass ich Patienten auf diese Weise und mit dieser Art von Beschwerden behandelt habe, aber die Schwester war eine große Hilfe, auch dann noch, wenn ich nicht mehr weiterwusste. Ich glaube, sie ist dankbar, dass ich überhaupt da bin.

Seit ich abgereist bin, denke ich die ganze Zeit an dich. Ich weiß, dass meine Reise noch nicht vorüber und dass das Leben ein gewundener Pfad ist, und ich kann nur hoffen, dass er sich irgendwie zurück zu dem Ort schlängelt, an den ich gehöre. Zurück zu dir.

So denke ich jetzt darüber. Ich gehöre zu dir. Während der Fahrt und auch, als das Flugzeug in der Luft war, habe ich mir vorgestellt, ich würde dich bei meiner Ankunft in Quito erblicken. Du würdest in der Menge auf mich warten. Ich wusste, dass das nicht sein konnte, aber irgendwie war es so ein wenig leichter, dich zu verlassen. Fast, als wäre ein Teil von dir mitgekommen.

Ich möchte gern glauben, dass das wahr ist. Nein, falsch – ich weiß, dass es wahr ist. Bevor wir uns kennen lernten, war ich so verloren, wie ein Mensch nur sein kann. Und doch hast du etwas in mir gesehen, was mir eine neue Richtung gegeben hat. Wir wissen beide, warum ich nach Rodanthe gekommen war, aber ich kann mich nicht von dem Gedanken losmachen, dass größere Kräfte am Werk waren. Ich bin dorthin gefahren, weil ich ein Kapitel in meinem Leben abschließen wollte, in der Hoffnung, dass es mir helfen würde, meinen Weg zu finden. Doch ich glaube, du warst es, nach der ich die ganze Zeit Ausschau gehalten habe. Und du bist es auch, die jetzt hier bei mir ist.

Wir wissen beide, dass ich für eine Weile hier bleiben muss. Es ist ungewiss, wann ich zurück sein werde. Obwohl wir noch nicht lange getrennt sind, wird mir bewusst, dass ich dich mehr vermisse, als ich je einen Menschen vermisst habe. Ein Teil von mir würde am liebsten sofort in ein Flugzeug steigen und zu dir fliegen. Doch wenn das, was uns verbindet, so wahrhaftig ist, wie ich glaube, dann bin ich mir sicher, dass wir es schaffen werden. Und ich komme zurück, das verspreche ich dir. In der kurzen Zeit, die wir miteinander verbracht haben, ist uns das zuteil geworden, wovon die meisten Menschen nur träumen, und ich zähle die Tage, bis ich dich wiedersehen kann. Vergiss nie, wie sehr ich dich liebe.

Paul

 

Als Adrienne zu Ende gelesen hatte, legte sie den Brief zur Seite und griff nach der Muschel, die sie an jenem Sonntag vor langer Zeit gefunden hatten. Noch immer roch sie nach Seetang, nach der Zeitlosigkeit, dem ursprünglichen Geruch des Lebens selbst. Die Muschel war mittelgroß, perfekt geformt, ohne einen Riss – so etwas nach einem Sturm in der rauen Brandung an den Outer Banks zu finden, war fast unmöglich. Ein Omen, hatte Adrienne damals gedacht, und sie erinnerte sich, wie sie die Muschel ans Ohr gehalten und gesagt hatte, sie könne das Rauschen des Ozeans hören. Und wie Paul darauf gelacht und erklärt hatte, dass es in der Tat der Ozean sei, den sie da hörte. Er hatte seine Arme um sie gelegt und geflüstert: »Es ist Flut, ist dir das nicht aufgefallen?«

Adrienne strich mit den Fingern zart über die anderen Dinge in der Schachtel und nahm das heraus, was sie für ihr Gespräch mit Amanda brauchte. Sie wünschte, sie hätte noch mehr Zeit, sich den Rest genauer anzuschauen. Vielleicht später, dachte sie. Sie verstaute die Sachen in der untersten Schublade, weil sie wusste, dass Amanda sie nicht zu sehen brauchte. Dann nahm sie die Schachtel, stand vom Bett auf und strich sich den Rock glatt.

Gleich musste ihre Tochter kommen.

ZWEI

Adrienne hörte von der Küche aus, wie die Haustür auf- und zuging und wie Amanda das Wohnzimmer durchquerte.

»Mom?«

Adrienne stellte die Schachtel auf den Küchentisch.

»Ich bin hier!«, rief sie.

Als Amanda durch die angelehnte Tür in die Küche trat, sah sie ihre Mutter am Tisch sitzen, vor sich eine geschlossene Flasche Wein.

»Was ist denn los?«, fragte Amanda.

Adrienne lächelte und stellte wieder einmal fest, wie hübsch ihre Tochter doch war. Mit ihrem hellbraunen Haar und den haselnussbraunen Augen, die ihre hohen Wangenknochen betonten, war sie schon immer hübsch anzusehen gewesen. Obwohl sie zweieinhalb Zentimeter kleiner war als Adrienne, hatte sie die Körperhaltung einer Tänzerin und wirkte größer. Außerdem war sie dünn – ein wenig zu dünn, fand Adrienne, aber sie hatte gelernt, darüber keine Bemerkungen zu machen.

»Ich möchte mit dir sprechen«, sagte Adrienne.

»Worüber?«

Statt zu antworten, wies Adrienne auf einen Stuhl.

»Setz dich doch.«

Amanda ließ sich am Tisch nieder. Aus der Nähe sah sie angespannt aus, und Adrienne ergriff ihre Hand. Sie drückte sie schweigend und gab sie dann langsam wieder frei, während ihr Blick zum Fenster wanderte. Einen Moment lang war es ganz still in der Küche.

»Mom?«, fragte Amanda schließlich. »Geht es dir gut?«

Adrienne schloss die Augen und nickte. »Mir geht es gut, ja. Ich überlege nur, wie ich anfangen soll.«

Amanda wurde abweisend. »Hat es wieder mit mir zu tun? Wenn ja, dann ...«

Adrienne unterbrach sie mit einem Kopfschütteln. »Nein, es hat mit mir zu tun«, sagte sie. »Ich will dir etwas erzählen, das sich vor vierzehn Jahren zugetragen hat.«

Amanda legte den Kopf zur Seite, und in der vertrauten kleinen Küche begann Adrienne ihre Geschichte.