Die Prosa von Hans Augustin besticht durch stilistische Sicherheit und sprachliche Genauigkeit. Knapp und reduziert auf das Wesentliche sind seine Erzählungen voll Emotion und Engagement.
Grosnyj und andere Erzählungen vereint fünf Prosatexte, die einen Einblick geben in das literarische Schaffen eines Autors, der zu den vielseitigsten und engagiertesten des Landes zählt.
Die Geschichten sind aus dem wirklichen Leben gegriffen, breit recherchiert und die subjektiv ausgewählten Aspekte literarisch aufgearbeitet.
Ungekürzte E-Book-Ausgabe
HAYMON Verlag, Innsbruck-Wien 2014
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ISBN 978-3-7099-7349-3
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Als sie in der Dämmerung geduckt an einem Zaun entlang lief, mußte sie sich unwillkürlich ein Lächeln verbeißen. Sie sah sich in einem Film an diesem Zaun entlang hasten, und das Ende wäre in jedem Fall ein glückliches. Unerwartet wäre sie Grigorij begegnet. Der Krieg wäre zu Ende gewesen, sie hätten die Gewehre weggeworfen und wären nach Hause gegangen, um zu heiraten.
Aber die Sache war zu ernst. Heckenschützen lächeln nicht.
Im Garten, das sah sie durch die Zwischenräume der faulenden Latten, lag die Ruine eines Einfamilienhauses. Die Fenster waren herausgerissen, die Außenmauern trugen deutlich die Spuren eines Brandes. Das Innere war schwarz, der Kamin lag umgestürzt auf Resten von Dachschindeln. Das Gras kroch über die Treppe zur Haustür, und der Marillenbaum erfaßte einen kleinen Balkon unter dem Giebel.
Ihr Atem flog. Das Gewehr lag schwer mit seinem Schaft in ihrer Achselhöhle eingeklemmt und das Zielfernrohr, das sie in der Innentasche ihres Mantel verborgen hatte, schlug mit jedem Schritt an ihre Brust.
Sie war vollkommen anwesend. Es gab kein gedankliches Abschweifen an Zuhause, an die Fahrt hierher, an die Freunde, an Grigorij. Vielleicht eine Sekunde Nachdenklichkeit über diese „Arbeit“, die zu erledigen sie sich bereit erklärt hatte.
Die Hocke, in der sie verharrte, klemmte ihr das Blut in den Kniekehlen ab, und machte die Beine taub. Jetzt einen kurzen Augenblick aufstehen, dachte sie.
Sie lauschte angestrengt auf jeden Laut, denn das Pochen des Blutes im Ohr machte ihr zu schaffen.
Das oberste Gebot der Heckenschützen, sagte die Mitarbeiterin des Waffenhändlers, die ihr das Gewehr aushändigte, ist die Geduld. Stundenlang in einer Position zu verharren. Auf den Moment des Schusses hinwartend. Darin sich die Geduld in Genugtuung entspannen würde.
Irgendwann tritt Langeweile auf, und Langeweile mache unvorsichtig. Ein Auftrag ist ein Befehl, den es auszuführen gilt. Gleichgültig wie lange man dazu braucht. Egal ob einem der Druck in der Blase den Schweiß auf die Stirn treibt, oder ob einen der Hustenreiz quält oder der Durst.
Es geht um Präzision. Um die perfekte Beherrschung der Technik von Zieloptik und Schießvorrichtung.
Allmählich floß das Grau der Dämmerung mit der Dunkelheit des Inneren der Ruine ineinander. Sie brachte das Gewehr in Anschlag, stellte auf Dauerfeuer und kroch durch ein Loch im Zaun in den Garten. Man mußte auch darauf gefaßt sein, daß ein anderer Heckenschütze sich bereits in diese Ruine zurückgezogen hatte und darauf wartete, seiner Geduld die Spannung zu nehmen. Aber sie verspürte durch das eiserne Ding in ihrer Hand eine seltsame Art von Sicherheit.
In zwei, drei Sprüngen erreichte sie die Haustür. Sie stand offen. Sie zögerte hineinzugehen. Aus dem Raum daneben hörte sie das heftige wie erschreckte Aufflattern eines Vogels. Sie dachte, ihr Kopf würde vor Schrecken zerspringen, und das Herz raste wie verrückt. Aber danach war es still.
Es war noch niemand da.
Sie prüfte sorgfältig alle Räume. In einem Zimmer standen noch die Betten, und an der Wand hing das Bild einer Gebirgslandschaft. Es roch nach erkaltetem Brand. Eine Kommode war offenbar mit einem Feldspaten völlig zerhackt worden. Das Holz war grob zersplittert.
Sie war darauf vorbereitet, eine Leiche zu finden. Aber auch die gab es nicht. Manchmal knarrte der Holzfußboden unter ihren Füssen, dann zuckte sie unwillkürlich zusammen. Oder in uneinsehbaren Ecken vermutete sie die Anwesenheit einer Person.
Dann nahm sie allen Mut, den sie in ihrem Herzen finden konnte, und sprang wie im Reflex auf jene Stelle zu.
Die Treppe in den Keller nahm sie nur mit äußerster Konzentration und Überwindung der Angst, unten Auge in Auge mit einem Überlebenden zu stehen.
Aber im Keller lagen nur Flaschen. Zerschlagen, geöffnet und halb ausgetrunken. Teller mit Resten einer Mahlzeit. In einer Ecke Damenblusen und Unterwäsche.
Der Fußboden war mit Steinen gepflastert und unerwartet trocken. Und plötzlich schien ihr diese Dämmerung einladend und das sicherste Versteck zu sein. Denn der einzige Zugang über die Treppe war am leichtesten zu beobachten und zu verteidigen.
Über die Technik der Eroberung von Kellern wußte sie nichts.
Mit dem Packen Damenwäsche richtete sie sich ein Lager. An die Wand gelehnt, das Gewehr neben sich, das Schwarz vor Augen, erwartete sie die erste Nacht. Sie sah auf die Uhr. Ihre Armbanduhr leuchtete stark und tickte verräterisch laut. Und sie zog ihren Arm weit in den Ärmel ihres Mantels zurück.
Sie fröstelte bis ins Herz.
Dann plötzlich, ging jemand mit unglaublicher Unbekümmertheit auf der Straße vorüber. Es war deutlich zu hören. Wie früher. Aber es war nicht früher. Die Schritte knirschten auf dem geschotterten Weg, und in regelmäßigen Abständen befiel ein tuberkulöses Husten den Vorübergehenden.
Millimeter um Millimeter streckte sie den Arm vor, um auf die Uhr zu sehen. Es war knapp vor eins. Ihr Körper und ihr Arm zitterten. Die Schritte und das Husten verloren sich allmählich und blieben wie eine Fiktion in ihrem Kopf zurück. Und sie war nahe daran zu glauben, alles nur geträumt zu haben.
Doch wie als Beweis roch sie den Rauch einer brennenden Zigarette.
An dieser Stelle geriet die Situation ins Absurde. Warum machte man so etwas? Warten, um aus dem Hinterhalt zu töten? Nicht aus Haß, ideologischem, nationalem oder religiösem Fanatismus. Nein, sondern aus Gründen des Gelderwerbs. Um mit diesem Geld eine Hochzeit finanzieren zu können. Vielleicht eine Wohnung zu bekommen. Eine Wohnung; schäbige zwei Zimmer. Mit kaputten Fenstern, defekter Installation oder Feuchtigkeit in den Wänden.
Müll im Stiegenhaus und Brandanschlägen nachts an der Haustür.
Mitten in ihrer gedanklichen oder geträumten Besichtigung der Wohnung, schlurfte etwas die Stiege abwärts. Sie riß die Augen weit auf, als ob sie dadurch besser sehen könnte und biß sich in die Zunge, um vor Angst nicht laut aufzuschreien. Die Schritte hielten inne. Die rechte Hand tastete sich an das Gewehr heran. In ihrem Hals entstand ein Stau. Im Mund spürte sie etwas Warmes, schluckte und merkte, daß es Blut war. Schweiß rann ihr den Rücken hinab. Hatte sie sich die Zunge abgebissen? Vorsichtig führte sie die Zunge an die vorderen Zähne. Sie war zwar noch ganz, brannte aber wie Feuer. Ihr Mund füllte sich unentwegt mit Speichel und Blut, die sie schluckte.
Aus ihren Augen schossen die Tränen.
In diesem Schmerz vernahm sie das die Treppe weiter abwärts Schlurfen. Sie erwartete das Aufblitzen einer Taschenlampe. Das Geblendetwerden. Erschöpft lehnte sie den Kopf zurück an die Wand, schloß die Augen und wartete. Das Schlucken mußte zu hören sein. Sie atmete durch den Mund, denn die Nase war durch Tränen und Rotz völlig verstopft.
Irgendwann hörte sie von oben ein leises Quicken und daraufhin eilten die Schritte nach oben davon.
Als sie erwachte, war es schon Morgen. In der Nähe des Ortes waren dumpf Schüsse zu hören. Von da an bestand der kommende Tag für sie nur noch aus der Hälfte.
Sie kroch von ihrem Sitz hoch, fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und spürte getrocknetes Blut. Sie rieb es mit dem Finger ab. Dann ging sie, fast angstlos, zur Treppe und stieg vorsichtig nach oben. Da bemerkte sie den Kot eines Igels. Sie erinnerte sich an die nächtlichen Schritte und seufzte erleichtert. Im Hintergrund eines Zimmers, das ein Fenster auf die Straße hatte, wollte sie warten.
Das Dröhnen von Abschüssen kam näher. Der Hunger meldete sich. Wie auch die Müdigkeit. Der Druck im Unterleib wuchs. Sie sollte auf die Toilette gehen.
Draußen fuhr wie aus heiterem Himmel ein gepanzertes Mannschaftsfahrzeug vorüber. Wie aus einem Reflex heraus duckte sie sich unterhalb die Fensteröffnung.
Ihre Spannung stieg an. Sie sollte hinaussehen. Sie mußte. Sie würde dafür bezahlt.
Dahinter fuhr eine schwerbewaffnete Patrouille im halboffenen Wagen vorbei. Es war gefährlich, auf ein zu großes und zu vielfältiges Ziel das Feuer zu eröffnen. Am besten immer nur auf Einzelpersonen, ohne Begleitung. In Städten von einem Dachfenster aus, wahllos auf eine Menge von Menschen, die über einen freien Platz gingen. Irgendjemanden traf es immer.
Die ausbrechende Panik mußte dann zum Wechsel des Standorts genutzt werden.
Aber hier? Hatte sie sich eigentlich schon um einen Fluchtweg gekümmert?
Ihre Blase meldete sich wieder. Wenn sie nicht das Gewicht der Waffe in ihrer Hand gespürt hätte, sie wäre auf den Gedanken gekommen, daß es sich um ein Spiel handeln könnte. Das Ding einfach zur Seite legen, um auf die Toilette zu gehen.
Von diesem Augenblick an ging alles sehr schnell.
Sie wurde von zwei Körpern besprungen, die sie zu Boden rissen, die Arme wurden ihr auf den Rücken gedreht, und einer schlug ihr die Faust in die Nieren, daß sie für kurze Zeit das Bewußtsein verlor. Als sie zu sich kam, lag sie im Gras des Gartens. Die Hände an die Beine verschnürt. Ein Offizier neben ihr rauchte nervös. Sie spürte Müdigkeit und Schmerzen. Dann sagte eine Stimme, daß sie die Augen geöffnet hätte.
Der Offizier sah sie an. Es war der Blick eines Mannes. Auf die Frage, wie lange sie schon hier sei, antwortete sie wahrheitsgemäß. Warum sie das tue.
Darauf wollte sie keine Antwort geben. Denn alles schien ihr jetzt ziemlich lächerlich. Verzerrt.
Sie hätte keinen einzigen Schuß abgegeben. Sie wolle jetzt zurück. Wohin, fragte der Offizier.
Nach St. Petersburg.
Aber dorthin gibt es kein Zurück mehr, sagte er.
Sie verstand ihn nicht.
Ein paar umstehende Soldaten grinsten und banden sie los.
Erst jetzt bemerkte sie, daß es ungefähr zehn waren. Mehr oder weniger in ihrem Alter.
Sie war froh, daß sie stehen durfte. Sie hatte große Schmerzen im Bereich der Nieren. Der Gedanke an eine Vergewaltigung war ihr völlig fremd.
In der Nähe standen zwei Panzer. Der Offizier gab mit dem Kopf ein Zeichen in deren Richtung.
Sie führten sie dorthin, warfen sie erneut zu Boden und banden jedes Bein an einen der Panzer.
Vielleicht verstand sie immer noch nicht. Oder sie verstand und war über das Kommende wie gelähmt.
Sie sah, wie die beiden Fahrer in ihre Kabine stiegen und die Motoren starteten ...
In seinem Gedächtnis herrschte eine große Leere. Mit zwanzig schon staatlicher Invalide. Die Armee handelt aus Notwehr. Es geht um Öl, um Land, um Einfluß in einer Region. Die Mörder sind immer die anderen.
Als er aus der Schule ging, war die Frage nach der Zukunft leicht zu beantworten. Der Traum von der Freiheit kostete Geld.
Jung genug für Abenteuer, winkte die Armee mit lukrativen Geschäften. Für eine Ausbildung zum Piloten stand es doch dafür, seine Haut im Süden zu Markte zu tragen. Im Süden war Krieg. Kein echter Krieg, sondern nur die Wiederherstellung von Recht und Ordnung. Und wer Glück hatte, war ein gemachter Mann. Legal oder noch besser illegal. Für das Glück sollte man sich nicht zu schade sein.
Ein Teil seines Glückes hieß Tatjana.
Die Narbe an der rechten Schläfe schmerzte ihn leicht. Hier war das Geschoß eingedrungen, und zwischen Schädeldecke und Großhirn steckengeblieben. Als er den Schlag spürte, dachte er nur, warum man jetzt mit einem Mal das Licht abgeschaltet habe.
Von da an wußte er nichts mehr. Irgendjemand mußte ihn nach Grosnyj gebracht haben. Dort entfernten die Militärchirurgen, in solchen Dingen erfahren, den Fremdkörper. Die Blutungen wurden gestillt. Als Grigorij aus der Narkose aufwachte, war er nicht mehr im Kriegsgebiet, sondern in Moskau und lag nackt auf einer Flugzeugpritsche. Auf seine jugendliche, unbehaarte Brust hatte jemand mit Filzstift seinen Namen und seine Adresse geschrieben. Wie ein Schwein mit Schlachtstempel.
Seither war seine linke Seite taub.
Fortwährend versuchte er gedanklich an die Zeit vor diesem Zwischenfall in Grosnyj anzuknüpfen. Aber das war sehr schwer. Im Kopf ging er geduckt durch eine Landschaft, in der die Grillen zirpten und morgens, mit Anbruch des Tages, die Lerchen aufstiegen. Von dort besangen sie das Kriegsgebiet, sahen die Truppenbewegungen, die Flüchtlingskolonnen, die Reste von Dörfern und die Toten liegen.
Die Sonne brannte herab. Nein, es brannte keine Sonne, es regnete in Strömen. In den Wasserlachen spiegelten sich die abgebrannten Dachstühle.
Dazwischen standen Obstbäume. Nur nie stillstehen, um wieder zu Atem zu kommen. In jedem Augenblick des Stehens konnte man im Fadenkreuz eines Heckenschützen sein. Das Ding in der Brust tobte, die Lungen blähten sich.
Schüsse zerrissen diese Idylle. Mit jedem Schuß fiel jemand. Blieb verwundet liegen oder schleppte sich an einen sicher scheinenden Ort. Verlor Blut und versuchte die Ahnung, daß es kein Davonkommen mehr gäbe, mit gespieltem Heroismus zu verscheuchen.
Dann beginnen die verdammten Träume. Eine Art Friede kehrt plötzlich ein. Langsam sickert Schwäche durch. Die Spannung zerrinnt im Körper zu Hitze. Schweiß perlt und rinnt rücklings ab. Der Mund ist trocken. Der Blick heftet sich an einem entfernten Punkt fest und ist nicht mehr loszukriegen. Wasser. Eine handvoll Wasser.
Auf dem Boden bildet sich eine kleine Lache Blut. Das könnte man verschmerzen. Eine Hand versucht mit den Fingern das Indiz der Verwundbarkeit aufzuwischen. Aber es wird nur verschmiert. Und von irgendwo sickert dieses Naß immer wieder durch. Plötzlich ist diese ganze Sauerei überall.
Wenn sich das taube Gefühl löst, taucht aus dem Hinterhalt der Schmerz auf. Das Blut pocht am Ort des Geschehens. Als begehrte es immer heftiger, nach draußen gelassen zu werden. Weit entfernt sind Detonationen zu hören. Es sind bloße Geräusche. Warum wird eigentlich geschossen? Es fehlt der Anlaß zur Freude über Treffer. Es herrscht eine nie zuvor gekannte Gleichgültigkeit. Das Drehen des Gesichts strengt ungeheuer an. Besser ist es, die Augen zu schließen. Und zu warten. Man gibt die Hoffnung nicht auf, im letzten Moment entdeckt und gerettet zu werden. Sich dem Sterben zu entziehen. Zurückzukehren aus dem Blickfeld des Todes. Wie leicht man doch dessen Nähe vergißt.
Und wie aus einer ungeheuren Entfernung betet etwas.
Vermeintlich von vorne streicht ein Maschinengewehr über die Straße. Zwei, drei krümmen sich in die Nische eines Hauseingangs. Schotter und Sand spritzen auf. Die Wasserlachen zittern. Einer der Soldaten brüllt. Seine Hose färbt sich in Sekunden oberhalb des Knies. Der Funker ersucht dringend um Unterstützung und um einen Sanitäter.
In den Kopf nistet sich Haß ein. Breit und klebrig. Der Feind ist da und doch nicht da. Er trägt keine Uniform. Man weiß nichts über seine Bewaffnung. Über seine Bewegungen. Man spricht in diesem Fall von einem Guerillakrieg. Gefangene sind sprachlos. Sie reden nicht auf Drohen und Schläge. Sie sind schuldig und unschuldig. Beteiligt und unbeteiligt. Bei wem eine Waffe gefunden wird, wird sofort erschossen. Das ist die Anweisung. Auch Kinder.
Es gibt keine Männer in den Dörfern. Die Frauen, Kinder und Alten flüchten in der Dämmerung in die Berge. Die Häuser sind zerstört, die Gärten umgewühlt, die Obstbäume umgehauen, die Brunnen zugeschüttet.
Dann trug es einen Schuß an Grigorij heran. Und von diesem Augenblick an war alles anders.
Liebes,
ich habe lange nichts mehr von Dir gehört; bist Du wohlauf und gesund? Ich weiß nicht, ob Du von meiner Verwundung gehört hast, es ist nun mal passiert, ich bin Invalide und habe ein Recht auf Rente.
Bei einem Gefecht mit den tschetschenischen Monstern unmittelbar vor Grosnyj erwischte mich ein Kopfschuß. Aber Du siehst, ich lebe noch, wenn auch bloß zur Hälfte. Meine linke Seite rührt sich nicht mehr. Der Neurologe hat Hoffnung, daß sich das im Laufe der Zeit gibt.