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1
Mal wieder eine Märchenstunde

Wenn es draußen stürmt und schneit, und der Frühling noch so weit ist, sollte man sich und seinen Kindern eine heiße Schokolade kochen, den Sessel am knisternden Kaminfeuer zurechtrücken und ein schönes, altes Märchen vorlesen. Das habe ich mir zumindest neulich so gedacht. Statt Kamin gab es aber nur eine Kerze, doch der Rest war da, und als ich die alte Familienschwarte aufschlug, dachte ich bei mir, dass wir jetzt bestimmt ein beschaulichen Anblick wären.

»Also, los geht’s!«, rief ich fröhlich. »Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster und nähte.«

»Genau!«, rief Sanne wieder dazwischen, »und gleich sticht sie sich in den Finger!«

Ich nickte. »… und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rot im weißen Schnee so schön aussah …«

»Wieso näht die am offenen Fenster bei der Kälte?«, wollte Sanne wissen.

Ich beschloss, vorerst keine Zwischenfragen mehr zu beantworten und las unbeirrt weiter. Die Mutter starb also, der König nahm sich eine neue Gemahlin, die schön, aber böse war, dann kam ich zu der bekannten Stelle mit dem Zauberspiegel, »Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«. Da schaltete sich Sanne wieder ein: »Was soll denn das für ein Spiegel sein?«

»Ein Zauberspiegel«, lispelte Samuel begeistert, und ich sah ihn dankbar an.

»So ein Quatsch!«, meckerte Sanne.

»Es ist ein Märchen«, erinnerte ich sie und las ein wenig weiter. »… da sagte die böse Königin zum Jäger: ›Du sollst das Kind töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen!‹ …«

»Ist ja ekelhaft!«, kreischte Sanne. »Wieso geht der dumme Jäger nicht zur Polizei?«

»Weil die Geschichte dann aus wäre!«, rief ich ein wenig ungehalten und las schnell weiter. Ich schaffte es bis zu der Stelle, an der die böse Königin sich als Krämerin verkleidet und bei den sieben Zwergen an die Tür klopft. »›Gute Ware feil, feil!‹ rief sie.«

»Wie? Feil? Feil?« Sanne kicherte prustend in ihre Tasse.

Ich seufzte. »Feilbieten heißt anbieten.«

»Feil, feil, feil!«, kicherte Samuel. Tapfer las ich weiter. Nachdem die Königin nun also mit dem Schnürriemen das schöne Schneewittchen nicht beseitigen konnte, kam sie wieder, um ihr einen vergifteten Apfel anzudrehen.

Sanne starrte mich erschüttert an: »Schneewittchen wird doch wohl nicht so blöd sein, der Alten ein zweites Mal zu glauben?«

»Doch!«, antwortete ich müde, »sie ist so blöd!«

Sanne schüttelte mitleidig den Kopf. »Nach dem Kamm kommt doch erst der vergiftete Apfel!«, kombinierte sie, »da ist Schneewittchen ja dreimal auf den selben Trick hereingefallen!«

Das musste ich zugeben.

»Sehr schlau ist die aber nicht«, meckerte Sanne weiter.

Energisch blätterte ich die Seite um. »Soll ich euch ein anderes Märchen vorlesen?«, bot ich an. Beide nickten zögerlich.

»Die drei Männlein im Walde«, begann ich und schaute in zufriedene Gesichter. »Es war ein Mann, dem starb seine Frau, und eine Frau, der starb ihr Mann, und …«

»Nicht schon wieder so viel Sterben und Blut und Abgehacktes!«, protestierte Sanne entsetzt.

»Gut!«, sagte ich, »ich koche mir jetzt einen anständigen Kaffee, und dann lese ich euch Aschenputtel vor.«

Wenig später ging es weiter: »Einem reichen Mann, dem wurde seine Frau krank …« Sanne räusperte sich laut, doch es kam, wie es kommen musste, die Frau starb, und der reiche Mann heiratete bald wieder und zwar eine schöne, aber böse Frau (das kam uns jetzt bekannt vor) mit zwei schönen, aber bösen Töchtern. Sanne gähnte. Und als der Vater auf Reisen gehen wollte, da frage er seine Töchter, was er ihnen mitbringen sollte. Die Stieftöchter antworteten: »Perlen und Edelsteine!« Sannes Augen leuchteten. »Genau!«, rief sie begeistert, »und schöne Kleider!«

Und Aschenputtel antwortete: »Das erste Ästlein, das Euch auf Euerem Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab!«

»Häää?«, erboste sich Sanne, »die ist ja genauso blöd wie Schneewittchen!«

Da klappte ich das Buch zu.

»Weißt du was, Mama?«, Sanne pustete die Kerze aus, »jetzt lese ich dir mal was vor und zwar Pippi Langstrumpf, die wohnt allein in einer Villa und hat ein Pferd und einen Koffer voller Goldstücke, und blöd ist die auch gar nicht.«

Dankbar nahm ich einen Schluck Kaffee, stellte das Märchenbuch ins Regal zurück und es wurde noch ein richtig gemütlicher Vorlese-Nachmittag ohne Sterben und abgeschlagene Häupter.

2
Wenn Männer Schnupfen haben

Es ist doch immer wieder erstaunlich festzustellen, wie sehr Männer leiden können. Ein Schnupfen lässt sie bereits mit dem Tod ringen.

Oder zum Beispiel im Kreißsaal. »Es ist so furchtbar für mich, dich leiden zu sehen und nichts tun zu können!«, versicherte mir Robert mit blassem Gesicht, während mich eine heftige Wehe fast vernichtete. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie grausam das ist!«, fuhr er bekümmert fort und tupfte mir Schweiß von der Stirn. »Das ist eigentlich viel schlimmer, als Wehen zu haben!«, rief er schließlich verzweifelt gegen meine Schmerzensschreie an. Und er hätte dabei wohl am liebsten eine Vollnarkose bekommen.

Als ich nach der Geburt ramponiert, mit fiebrigem Milchstau, Babyblues und völlig überfordert auf dem Sofa rumheulte, da machte Robert ein trauriges Gesicht: »Du kannst jetzt gemütlich mit dem Baby zu Hause bleiben und es den ganzen Tag stillen. Hast du es gut!« Und dann eilte er schick angezogen ins Büro, und alles was er hinterließ, war eine Wolke seines Aftershaves.

Doch dieser Mann, der auch ohne Vollnarkose im Kreißsaal so tapfer gewesen war, wurde letzte Woche krank. »Richtig krank!«, informierte er mich leidend. »Nicht nur so ein Schnupfen, wie du ihn immer hast.« Er hustete. »Könntest du mich im Büro krankmelden?«, fragte er heiser und kroch unter die Decke, um dort diskret mit dem Tod zu ringen.

Kurz darauf tauchte er wieder auf. »Hühnersuppe!«, röchelte er. Ob er schon im Fieberdelirium fantasierte?

»Meine Mutter hat mir immer Hühnersuppe gekocht, wenn ich schwer krank war!«, jammerte er.

Also versprach ich dem Leidenden, eine stärkende Brühe zuzubereiten, und machte mich in der Küche ans Suppengrünschnippeln.

Mein armer Mann hatte sich in der Zwischenzeit ganz allein aufs Sofa geschleppt und zappte sich durchs Nachmittagsprogramm. »Was machst du so lange?«, rief er vorwurfsvoll. »Das Fieber könnte steigen!«

»Wie hoch ist denn deine Temperatur?«, rief ich aus der Küche zurück.

»37,3!«, antwortete er besorgt und amüsierte sich dann eine Weile köstlich mit Arabella Kiesbauer. »Komm mal schnell!«, beorderte er mich zurück ins Wohnzimmer. »Da ist einer, der will nach Neuseeland auswandern.«

»Das will ich auch manchmal«, murrte ich in den Kochtopf, in dem ein bleiches Huhn zwischen Möhren und Sellerie herumpaddelte.

»Ist die Suppe bald fertig?«, wollte Robert wenig später wissen und zwickte mich unternehmungslustig in den Oberschenkel. Ob es seiner Gesundheit zuträglich wäre, unter der Krankenschwesterntracht ein Paar weiße Strapse zu tragen? Leider klingelte in diesem Moment das Telefon, und meine besorgte Schwiegermutter erkundigte sich nach dem Befinden des lieben Sohnes.

»Er hat nur einen Schnupfen«, versuchte ich sie zu beruhigen, doch davon wollte sie nichts hören. Sie erzählte mir ausführlich von Roberts schwachem Bronchialsystem und den quälenden Hustenattacken und davon, dass eine selbst gekochte Hühnerbrühe schon immer wahre Wunder bei ihm bewirkt hätte.

»Die steht doch schon auf dem Herd!«, unterbrach ich stolz die Schwiegermutter. »Selbst gemacht?«, forschte sie unerbittlich.

»Natürlich!«, antwortete ich.

»Mit Petersilienwurzel?«, forschte sie weiter, und mein Mut sank. »Natürlich!«, log ich kleinlaut.

»Na, ein Glück!«, fuhr sie fort. »Ohne Petersilienwurzel bringt die beste Hühnersuppe nichts!«

Dieser Meinung war Robert kurz darauf auch. »Mein Hals kratzt!«, jammerte er weiter. »Und wie schnell entwickelt sich aus so etwas eine Lungenentzündung!«

»Ach, mein armer Robert!«, schnurrte ich, »es ist so furchtbar für mich, dich leiden zu sehen und nichts tun zu können!«

Er nickte betrübt. »Ich weiß, wie das ist, aber du könntest mir die Zeitung bringen und ein Täfelchen Vollmilchschokolade mit ganzen Haselnüssen. Das wird mich kräftigen.«

»Mach’ ich!«, versprach ich, »und dann wollte ich dir noch sagen, dass ich heute Abend mit ein paar Leuten essen gehe. Du kannst dir ja die Hühnersuppe noch mal warmmachen.«

»Ich weiß nicht«, murmelte er skeptisch, »Hühnersuppe so ganz ohne Petersilienwurzel? Und wo gehst du überhaupt hin?«

»Chinesisch essen.«

»Obwohl es sehr unvernünftig wäre, sollte ich vielleicht mitkommen?« Unschlüssig zerrupfte er ein Taschentuch.

»Nein!«, rief ich streng. »Aus so einem Halskratzen wird ganz schnell eine Lungenentzündung! Du gehst ins Bett!«

Er nickte bekümmert. »Und wenn es mir schlechter geht, kann ich ja den Notarzt anrufen. Geh du nur und amüsier dich!« Er lächelte gequält und hustete dann eine Weile. »Ich komme schon über die Runden!«

Mit zitternden Knien wankte er, die Decke hinter sich her ziehend, ins Schlafzimmer, um sein Testament zu schreiben. Am nächsten Tag ging es ihm ein wenig besser, und mit eisernem Uberlebenswillen erlebte er auch noch den dritten Tag. Inzwischen ist er vollständig geheilt und nimmt wieder aktiv am Leben teil, und wenn er das nächste Mal Halsweh hat, dann kriegt er von mir gleich eine Petersilienwurzel im Stück verpasst. Das wird mir eine Menge Arbeit ersparen.

3
Kennen Sie Tupper-Partys?

Sind Sie auch das, was man als »zugetuppert« bezeichnen könnte? Wenn Ihnen aus jedem Küchenfach Plastik-Döschen in Pastell entgegenkommen, dann dürfte dies der Fall sein. Bei mir ist es jedenfalls so. Das meiste habe ich von meiner lieben Schwiegermutter im Laufe der Jahre geschenkt bekommen. Deshalb war ich auch nicht besonders begeistert, als meine beste Freundin Marie mich neulich zu einer »Tupper-Party« einlud. »So was gibt es noch?«, fragte ich entgeistert, »das klingt wie amerikanischer Hausfrauentreff anno 1965 mit Erma Bombeck!«

»Sehr richtig!«, antwortete Marie, die sonst eigentlich eine ausgesprochen emanzipierte Persönlichkeit ist, »Tupper-Ware gibt es seit über 50 Jahren und begeistert Hausfrauen in 100 Ländern der Erde, kein moderner Haushalt könnte heute ohne …!«

»Mariiiiie!«, unterbrach ich sie, denn langsam machte sie mir Angst. »Alle 2,5 Sekunden findet irgendwo auf der Welt eine Tupper-Party statt …«, flüsterte sie verschwörerisch.

»Gut!«, sagte ich resigniert, »bevor ich dafür noch nach Neu-Delhi reisen muss, komme ich besser zu dir.«

»Genau!«, freute sich Marie, und ich war gespannt auf die erste Tupper-Party meines Lebens. Robert, der liebste Ehemann, lachte mich aus. »Dank meiner Mutter platzt unsere Küche doch aus allen Nähten«, rief er.

»Ich werde ja auch nichts kaufen«, verteidigte ich mich.

»Was willst du dann auf der Party?«, forschte Robert.

Ich zuckte mit den Schultern. »Nur mal gucken. Außerdem kriegt jeder Gast was geschenkt, und Marie macht ihren leckeren Kräuterdipp.«

Eine Woche später war es soweit. Marie hatte für die Tupper-Damen ein Büfett vorbereitet, und ich konnte ihren Kräuterdipp in einer flotten lindgrünen »Frischi-Schüssel« ausmachen. »So praktisch!«, schwärmte Marie, die sonst eigentlich nur bei unverheirateten Männern mit Waschbrettbauch ins Schwärmen geriet, »mit Deckel zum Wiederverschließen!«

Eine freundliche Dame, die aussah wie die »Klementine« aus der Ariel-Werbung, räusperte sich und stellte sich als die »Tap-per-Wär«-Beraterin vor. Ich konnte mir ein Kichern gerade noch verkneifen, als ich bemerkte, mit was für hingerissenen Gesichtsausdrücken die Frauen dasaßen und begehrliche Blicke auf das aufgebaute Tupper- (pardon: »Tapper«-) -Sortiment warfen.

»Ein ganz besonderes Sonderangebot für Sie, meine Damen, die ganz besonders hohe Ansprüche an Qualitätsprodukte stellen!« Wir Damen nickten. Klementine hielt drei blaue Plastikdosen in die Höhe, und ihre Stimme zitterte vor Ergriffenheit, als sie sagte: »Dieses Dreier-Set ›Klippi-Box‹ in Himmelblau kann ich Ihnen heute mit 20 Prozent Preisnachlass anbieten!« Na, aber hallo! Wenn das kein Wort war. Dann fuhr Klementine fort: »Ganz neu entworfen für die ordnungs- und trendliebende Hausfrau: der ›Maxi-Platz‹ in aerodynamischer Hightech-Form!«

Triumphierend hielt sie ein knallrotes Gebilde in die Luft, dessen Funktion ich nicht sofort deuten konnte. Ich wollte es aber nicht zugeben. Auf jeden Fall sah das Ding hochgradig praktisch aus. Und irgendwie auch ganz chic. Ich könnte es vielleicht als avantgardistische Designer-Handtasche benutzen und behaupten, es wäre ein Einzelstück aus London. Klementine riss mich aus meinen Grübeleien und stellte weitere »Tapper«-Artikel vor: ovale Schüsseln mit Deckel, viereckige Schüsseln ohne Deckel, Deckelhalter und Halterdeckel, Minis und Maxis … Und immer wieder war ich fasziniert von der umwerfenden Nützlichkeit all dieser formvollendeten Gegenstände. Ich besaß zwar schon den »Super-Schüsselsatz« in mittelgroß, aber der »Super-Schüsselsatz« in groß würde meinen Haushalt ungemein bereichern und noch dazu im Farbton »Brombeer«! Um mich herum schwirrten die Stimmen kaufwütiger »Tapper«-Damen, ich sah sogar, wie Marie ihrer Nachbarin das letzte Dreier-Set »Klippi-Box« aus der Hand riss, um es selbst zu kaufen. Glücklich streichelte ich verstohlen meine »Klippi-Box«, denn ich war am allerschnellsten gewesen. Doch dann präsentierte Klementine die brandneuen »Zwergenschätzchen«: vier winzige Döschen mit bunten Deckeln, entzückend anzusehen. »Einfach omnipotent!«, schnaufte Marie.

»Für Handcreme, Smarties, ein Schnäpschen oder …« Klementine kicherte schulmädchenhaft, »… Kondome! Diese Döschen sind wahre Schätzchen!«

Die Tupper-Damen kicherten eine Runde mit, ich zugegebenermaßen auch, und obwohl ich weder Kondome benutze, die Handcreme bei mir aus der Tube kommt und ich unterwegs weder Smarties noch Schnäpschen konsumiere, kaufte ich begeistert ein Set »Zwergenschätzchen«.

Als ich mit einer langen Bestell-Liste und großen Tüten voller »Tapper-Wär« nach Hause kam, feixte Robert: »Oh! Du hast aber viel geschenkt bekommen.«

Ich versuchte gar nicht erst, mich zu erklären. Auf die nächste »Tupper«-Party gehe ich besser nicht. Marie plant demnächst eine »Dessous-Party«, und ich bin eingeladen. Ich werde vielleicht hingehen, aber nur zum Gucken!

4
Ein Tag voller Missgeschicke

Als Sanne sagte: »Du, Mama! Ich habe vergessen, dir zu erzählen, dass mir deine Zahnbürste gestern früh ins Klo gefallen ist …« – da machte ich ein betroffenes Gesicht.

Angeekelt rechnete ich nach, dass ich diese keimüberflutete Bürste seitdem ganze 4-mal wieder im Mund gehabt hatte. Nein, sogar 5-mal, denn gestern wollte ich es mit der Zahnhygiene ganz besonders gründlich halten.

So begann der Tag, an dem sich so viele Missgeschicke häuften, dass mir eigentlich bis zum Ende des Jahres überhaupt nichts Unangenehmes mehr passieren dürfte. Nachdem Sanne in der Schule war, machte ich mich mit meinen Jungs auf, ein bisschen einzukaufen. Ganz zuoberst auf der Liste, die ich auf dem Küchentisch vergaß, stand in großen Buchstaben »ZAHNBÜRSTEN«, an den Rest konnte ich mich, im Supermarkt angekommen, nicht mehr so recht erinnern. »Konzentrier dich!«, schimpfte ich halblaut mit mir, während Max aus dem Einkaufswagen heraus- und Samuel in den Einkaufswagen hineinklettern wollte.

»Hilf mir lieber beim Einkaufen«, sagte ich zu Samuel und riss hastig eine Packung Zwieback auf, um Max ruhig zu stellen. Dabei fiel mir die Hälfte auf den Boden, was meine Söhne rasend komisch fanden. Nur Zwieback fanden sie nicht komisch, sondern unlecker und staubig. Ihnen gelüstete nach Schoko-Keks und Vanillepudding, was mir Samuel beides schwungvoll in den Wagen schmiss. »Einkaufen helfen!«, kreischte er strahlend, und das Letzte, was ich von ihm sah, war sein geringelter Schal, der unternehmungslustig hinter ihm herwehte, als er zwischen den Süßigkeitsregalen verschwand.

Ich nutzte die Gelegenheit, um scharf nachzudenken und einen Eisbergsalat in den Wagen zu legen. Dazu kamen ein paar Weintrauben und … dann war Sam wieder da und wuchtete 2 Liter Erdbeereis, 10 Tafeln Nougatschokolade und drei Dosen Cola auf meine Trauben. Max jubelte, als er all diese Schätze erspähte und begann, unverzüglich zu quengeln, weil er sofort davon naschen wollte. »Ruhe jetzt, ihr Banditen!«, schimpfte ich und fing den Eisbergsalat auf, den mir Samuel sportlich entgegen warf. Dann hielt ich ihn am Ringelschal fest, bevor er mir weiter beim Einkaufen »behilflich« sein konnte und setzte ihn zu den zermatschten Trauben in den Wagen. Einigermaßen zügig beendete ich die Einkaufsrunde und stellte diskret Coladosen und 8 Tafeln Schokolade zurück ins Regal.

Schließlich stellte ich mich an der Kasse an, wo natürlich die Papierrolle umständlich gewechselt werden musste und pausenlos »Du, Frau Schulz, was kosten die Gewürzgurken?« gerufen wurde. Vor mir stand eine kleine Omi, die überfordert Pfennige und Centstücke aus ihrem Portemonnaie zählte. Und als ich endlich, endlich an der Reihe war, wusste Frau Schulz auch nicht, was der Kräuterfrischkäse kostet, und Samuel hatte spitzgekriegt, dass es keine Cola mehr in unserem Wagen gab. »Coooolaaaaa!«, kreischte er aufs Unerzogenste, und mir lief der kalte Schweiß den Rücken runter.

Als wir wieder zu Hause waren, konnte ich auf der Liste nachlesen, was ich alles vergessen hatte – und das war eine ganze Menge. Nicht mal einen schönen Kaffee würde ich mir auf den ganzen Ärger kochen können, denn der war leider alle.

Dann rief ich die Schwiegermutter an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren, und als sie mir säuerlich mitteilte, dass sie doch erst im nächsten Monat Geburtstag habe, da beschloss ich, mich für den Rest des Tages äußerst unauffällig zu verhalten, denn sonst würde ich mich noch in Lebensgefahr begeben.

Ich wollte weder kochen, noch telefonieren und schon gar nicht das Haus verlassen. Dieser Tag sollte nur zu Ende gehen. Am späten Nachmittag ließ ich mir ein Bad ein, testete die Temperatur, bevor ich vorsichtig in die Wanne kletterte. »Schööön!«, schnaufte ich behaglich, »das habe ich mir wirklich verdient!« Ein wenig zuversichtlicher trug ich meine dunkelbraune Meeresschlick-Gesichtsmaske auf. Dass Samuel ein paar Legosteine in der Wanne versenkte, und Sam einen Stapel Handtücher hinterherwarf, konnte mich schon gar nicht mehr schrecken. So gut tat dieses Bad, und bald würde dieser verhexte Tag vorüber sein.

Doch dann stand Robert, der liebste Ehemann, plötzlich da.

»Ich habe wohl ganz vergessen, dir zu sagen, dass heute ein paar Geschäftsfreunde zum Abendessen kommen«, sagte er und sah fragend in mein meerverschlicktes Gesicht. Aufheulend versank ich in der Wanne und wollte nie wieder auftauchen.

Robert verschob an diesem denkwürdigen Tag sein Geschäftsessen, brachte die Kinder ins Bett und mir eine Portion Erdbeereis. Nur aufs Zähneputzen musste ich verzichten, denn leider hatte ich vergessen, mir eine neue Zahnbürste zu kaufen …

5
Mögen Sie auch Glühwein?

Glühwein ist ein Getränk der großen Gnade. Es wärmt unterkühlte Gliedmaßen wieder auf, macht einen warmen Bauch – und ganz fröhlich im Kopf.

Umso kälter einem ist, umso fröhlicher macht es im Kopf! So ist es mir jedenfalls am letzten Sonntag ergangen.

Mit meiner Freundin Marie schlenderte ich bei MinusGraden über den Flohmarkt auf der Straße des 17. Juni. Es schneite leicht, doch dank Pudelmütze und dicken Socken konnte mir die Kälte noch nichts anhaben. Wir bewunderten antike Kommödchen und gewaltige Öl-Schinken. Da entdeckte Marie plötzlich ein Nachttischlämpchen, das ihr sehr gut gefiel, doch der Preis war hoch, das Feilschen begann, und während Marie dem Verkäufer in den Ohren lag, bemerkte ich, dass meine Füße doch ziemlich kalt geworden waren. Auch meine Finger hatten eine bläuliche Verfärbung angenommen und ließen sich nicht mehr strecken. Unruhig stampfte ich auf der Stelle herum und blies weiße Dampfwolken aus der roten Nase. »Marie!«, quengelte ich, »mir ist so kalt!«

»Mir auch«, antwortete sie abwesend und drehte konzentriert das Lämpchen in ihrer Hand.

Um nicht zum Eiszapfen zu erfrieren, wanderte ich ein paar Stände weiter. Obwohl der schneidende Winterwind in den Augen stach, erspähte ich in einem Haufen Plunder eine wundervolle Schale, und als ich sie mit klammen Händen umdrehte, lachte mich ein dicker Silberstempel an. »Ist nur Blech!«, sagte die Verkäuferin, »für fünf Euro ist es Ihre!«

Von wegen! Und obwohl die Erfrierungsschmerzen langsam in eine erschreckende Gefühllosigkeit der äußeren Gliedmaße übergingen, freute ich mich wie eine Schneekönigin, bezahlte und humpelte dann auf tauben Füßen zurück zu Marie, die sich endlich mit dem Verkäufer geeinigt hatte. »Darauf stoßen wir an!«, jubelten wir beide und machten uns auf zum Glühweinausschank.

Heiß und würzig, wie ein Lebenselixier, rann die dunkelrote Flüssigkeit durch vereiste Kehlen in gefrorene Mägen und verströmte sofort ein wohliges Wärmegefühl.

»Blech hat sie gesagt«, freute ich mich und zeigte Marie den Silberstempel, und Marie hielt triumphierend ihr Lämpchen in die dicker werdenden Schneeflocken. Mit froststarren Fingern prosteten wir uns mit dampfendem Glühwein zu, der bald ausgetrunken war. »Meine Füße sind noch so kalt«, bemerkte Marie, »ich brauche noch einen Becher!«

»Ich auch!«, rief ich, denn vor lauter Kälte begann es in meinem Kopf zu kreiseln. Auch der zweite Glühwein tat uns sehr gut. Ich verbrannte mir sogar die Zungenspitze, was ich in Anbetracht des über uns hereinbrechenden Schneegestöbers sehr amüsant fand. Die darauf landenden Schneeflocken schmolzen noch viel schneller als die, die auf Maries Zungenspitze landeten. Wirre Gedanken, Silberstempel und Schneewehen wirbelten um mich herum, und in einem kurzen, aber klaren Moment fragte ich mich, ob wir vielleicht ein wenig beschwipst waren. Von drei kleinen Bechern heißem Wein? Wenn ich mir Marie so anschaute, die eingeschneit, aber glücklich vor mir stand und grinsend ihr Nachttischlämpchen an- und ausknipste, drängte sich diese Frage doch auf. Aber egal! Hauptsache, Silber statt Blech, mit Stempel für fünf Euro und so schön warm war mein Bauch, und wie hübsch Marie im Neuschnee aussah. Wie eine Schneegans! Ich kicherte und sagte es ihr, und sie kicherte zurück und konterte: »Und du siehst aus wie ein Schneebesen«, und wieder krümmten wir uns vor Lachen.

Die ersten Flohmarktverkäufer räumten ihre Sachen zurück in die Kisten, und schunkelnd machten Marie und ich uns auf die Suche nach unserem eingeschneiten Auto. »Sieht alles gleich aus!«, bemerkte Marie. »Kannst sowieso nicht mehr fahren!«, rief ich und warf ihr einen Schneeball an den Kopf, der postwendend zurückgeflogen kam. Nach einer fröhlichen Schneeballschlacht endeten wir müde und ausgetobt in einem Taxi, das uns sicher nach Hause fuhr. Marie, deren Wangen wie kandierte Äpfelchen aus der Dunkelheit glühten, musste als Erste aussteigen, und wir verabschiedeten uns.

Mein liebster Ehemann Robert und die Kinder sahen mich erstaunt an, als ich schneeverweht im Wohnzimmer stand. »Ist was passiert?«, fragte Robert. »Nö!«, nuschelte ich. »Mir war nur kalt!«

»Ein Glühwein hätte euch aufgewärmt«, ließ mich mein kluger Mann wissen, und während ich mich noch vor Lachen ausschütten und von Marie, der Schneegans, erzählen wollte, fiel mir siedend heiß ein, dass ich meine Silberschüssel im Taxi liegen gelassen hatte. Nun war mir eher zum Heulen.

»Bestimmt war der Silberstempel bloß ein Blechstempel!«, tröstete ich mich später in der heißen Badewanne.

Und wenn ich mich das nächste Mal auf dem Flohmarkt aufwärmen muss, dann trinke ich lieber heiße Milch mit Honig.

6
Kindermund tut Wahrheit kund

Oder haben sich nur meine Kinder darauf spezialisiert, mich in unmögliche Situationen zu bringen? Wie neulich an der Wurst-Theke im Supermarkt.

Vor uns stand eine – wie soll ich mich ausdrücken? – eine etwas korpulente Verkäuferin, die freundlich nach meinen Wünschen fragte. »Boooah!«, rief Sanne, mein Töchterchen, beeindruckt, »ist die aber fett!«

Und bevor ich im Erdboden versinken konnte, krähte Samuel, der neuerdings als Sannes Privatpapagei fungiert: »Boooah, ist die aber wirklich fett!« Und damit hatte es dann die ganze Warteschlange hinter uns mitbekommen. Mit hochrotem Kopf blickte ich in amüsierte Gesichter und schließlich in das weniger amüsierte der korpulenten Wurstverkäuferin. »Ich hätte gern 100 Gramm Putensalami«, stammelte ich tapfer.

»Mager oder fett?«, donnerte mein molliges Gegenüber, und hinter mir kicherte ein junger Mann.

»Feeett!«, jubelten meine Kinder. Ich murmelte etwas in der Art von »muss ich mir noch mal in Ruhe überlegen« und schob den Einkaufswagen mitsamt meinen ungezogenen Kindern um die nächste Ecke.

»Seid ihr verrückt?«, herrschte ich sie im Schutze zahlreicher Konservendosen an. »Ihr seid unhöflich und gemein. Man beurteilt einen Menschen doch nicht nach seinem Äußeren!«

»Haben wir ja nicht!«, verteidigte sich Sanne, »wir haben nur gesagt, dass sie fett ist, und du hast gestern auch gesagt, dass die Frau von Papas Chef eine dicke, dumme Kuh ist!«

Manchmal frage ich mich, woher sie diese Widerborstigkeit hat. Von mir jedenfalls nicht. Und sie ist ja nicht allein damit.

»Deine Mama hat aber mehr Falten als meine«, stellte Sannes kleine Freundin Karin letzte Woche knallhart fest. In meinem Beisein, wohl bemerkt.

Sanne schaute mich kritisch an. »Stimmt!«, sagte sie dann abtrünnig, »dafür hat meine Mama einen größeren Busen!« Wieder nahmen mich vier Kleine-Mädchen-Augen unter die Lupe. »Stimmt!«, sagte Karin, und nun wusste ich, woran ich war. Karins Mutter kam am Abend zum Abholen, und ich konnte mich diskret von der Richtigkeit der Angaben überzeugen.

Als unser guter, alter Onkel Karl zu Besuch war, saß Sanne neben ihm auf der Couch und sagte mit nachdenklichem Gesicht: »Onkel Karl riecht aus dem Mund wie Omas ungeputzter Vogelkäfig!« Und damit schmollte nicht nur Onkel Karl, sondern auch die Oma, und der nette Nachmittag war gelaufen.

»Du kannst die Kinder nicht zur Lüge erziehen!«, verteidigte Robert, mein liebster, toleranter Ehemann, seine Nachkommenschaft, als die säuerlichen Gäste gegangen waren.

»Nein!«, antwortete ich genervt, »aber zum Mundhalten! Sie müssen doch lernen, dass sie nicht immer alles hinausposaunen dürfen.«

»Kinder sind eben spontan und grausam ehrlich. Sie haben einen enormen Mitteilungsdrang und …!« Robert, neuerdings Kinderpsychologe und Erziehungsratgeber, hob den Zeigefinger, doch ich wollte nichts mehr hören.

»Wie nett Ihre neue Frisur ist!«, sagte ich meiner rot gefärbten Nachbarin gestern im Treppenhaus. »Wieso?«, blökte Sanne fröhlich, »du hast doch noch heute morgen gesagt, sie sieht aus wie …« Schnell hielt ich ihr den Mund zu, doch Samuel war so freundlich, ihren Satz zu beenden: »… wie Pumuckl!«, rief er und nickte eifrig. Die Nachbarin lächelte gequält. Ich lächelte dunkelrot zurück und verabschiedete mich hastig. Während ich die Kinder die Straße entlangzerrte, moserte Sanne: »Der Pumuckl ist doch aber wirklich nett!« Und der Papagei krähte: »Wirklich nett!«

»Ja!«, rief ich außer mir, »aber er ist hässlich!«

»Gar nicht!«, verteidigte Sanne ihre erste, große Liebe.