LUDWIG I.
UND DIE KUNST
C.H.BECK
Wie wirkmächtig die Leidenschaft Ludwigs I. für die Kunst war, lässt die Würdigung des Parlamentsausschusses in London im Jahr 1836 erahnen, die Bayern als „classic country of the arts“ adelte. Hatte Ludwig bereits als Kronprinz im Rahmen seiner Möglichkeiten keine Kosten gescheut, Kunstwerke zu erwerben und Künstler zu fördern, so geriet ihm als König die Kunst zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Er hatte mit einem klaren Blick für die politischen Realitäten in Europa erkannt, dass Bayern niemals im Konzert der Mächte Frankreich, England, Österreich, Russland und Preußen würde mithalten können – nicht zuletzt weil dem Königreich dafür die machtpolitische Größe und militärische Potenz fehlte. Seiner Einsicht, auf diesem Feld die Konkurrenz gar nicht erst zu suchen, sondern sich der Förderung der bildenden Künste zu verschreiben, verdanken Bayern und insbesondere München zahllose Meisterwerke der Architektur, Plastik und Malerei. Stellvertretend dafür seien an dieser Stelle nur das weltweit erste als solches geplante und gebaute Museum für Antiken – die Glyptothek –, die Ruhmeshalle mit der Bavaria-Statue auf der Theresienwiese und die Schönheitengalerie erwähnt. Die Künstler, die es aus allen Teilen Deutschlands nach München zog, dankten es ihrem Förderer mit zahlreichen Huldigungsadressen und Festen – auch wenn sie vielfach darunter litten, dass der König immer wieder höchstpersönlich in ihren schöpferischen Prozess eingriff. Denn an seiner eigenen künstlerischen Kompetenz hegte der Mäzen und Monarch keinen Zweifel. Das führte mitunter zu harten Auseinandersetzungen selbst mit renommierten Größen wie beispielsweise dem Baumeister Leo von Klenze oder dem Maler Peter von Cornelius.
Von all dem erzählt die Historikerin Hannelore Putz in ihrem gleichermaßen lebendig und kenntnisreich geschriebenen Buch, in dem sie sich auf einen König konzentriert, der den bildenden Künsten eine hervorragende Rolle in seinem Leben zubilligte – und der dafür mehr als die Hälfte seiner privaten Einnahmen aufwandte.
Hannelore Putz habilitierte sich über das Thema „König Ludwig I. von Bayern als Bauherr und Kunstsammler“, hat an der „Edition des Briefwechsels zwischen König Ludwig I. und Leo von Klenze“ mitgearbeitet und ist Mitherausgeberin des „Briefwechsels zwischen König Ludwig I. von Bayern und Johann Martin von Wagner“.
Vorwort
Einleitung
1. «Der Sinn für Kunst war in mir aufgegangen»
2. Sammeln und Bauen –
Aspekte ästhetischen Vergnügens
3. Bayern –
Monarchische Prägungen
4. Das Geld –
Der «nervus rerum» der Kunstförderung
5. Motive
Nachbetrachtungen
Quellen und Literatur
Anmerkungen
Bildnachweis
Personenregister
Für Hubert Glaser,
ohne den es dieses Buch nicht gäbe.
Seit dem Jahr 2000 hatte ich Gelegenheit, an jenem von Prof. Dr. Hubert Glaser geleiteten Forschungsprojekt mitzuarbeiten, das den Briefwechsel zwischen König Ludwig I. von Bayern und Leo von Klenze edierte. Im Rahmen dessen entstanden bis zum Abschluss des Vorhabens im Jahr 2011 meine Dissertation und die Habilitationsschrift. War der Alltag von der Kärrnerarbeit des Edierens, der Recherche in den Archiven und dem Kommentieren der Briefe bestimmt, so boten sich doch darüber hinaus in der Arbeitsgruppe immer wieder Gelegenheiten, über Ludwig I., Leo von Klenze, den damaligen Kunstbetrieb in München und die Entstehung der einzelnen Bauwerke und Kunstsammlungen zu diskutieren. Diese Stunden sind mir unvergesslich, und viele der Anregungen, die ich damals erfahren habe, haben Eingang gefunden in das vorliegende Buch. Um es zu schreiben, konnte ich – nicht zuletzt dank der Edition des Briefwechsels zwischen König Ludwig I. von Bayern und Leo von Klenze mit ihren neun Bänden, ihren vielen Kommentaren und Forschungen – aus dem Vollen schöpfen. Besondere Bedeutung gewannen in diesem Zusammenhang die Äußerungen Ludwigs zu künstlerischen Themen, die er in seinen Tagebüchern festgehalten hat. Hubert Glaser hat mit Genehmigung des Hauses Wittelsbach autobiographische Texte ausgewertet und in die Edition eingebracht. Dieser Quellenfundus ermöglicht es uns, den Bauherrn und Kunstsammler Ludwig in neuer Weise kennenzulernen. So konnte ich in den zurückliegenden Monaten noch einmal – viel freier und erzählfreudiger, als es mit gutem Grund die Erfordernisse akademischer Qualifikationsschriften erlauben – die Wege des Protagonisten nachverfolgen, die ich immer wieder abgeschritten bin, während meine Habilitation entstand.
Der vorliegende Band wurde schließlich in Rom geschrieben. Ich danke Prof. Dr. Martin Baumeister sehr herzlich dafür, dass er mir die Möglichkeiten eingeräumt hat, dieses Buch dort zum Abschluss zu bringen, und nicht minder den Archiven, vor allem dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Geheimes Hausarchiv, für vielfältige Hilfe. Eine Reihe Freunde hat mich unterstützt und den Text kritisch gelesen: Dr. Andreas Botzlar, Wolfgang Burke, Annette und Jens Horstkotte, Dr. Bettina Scherbaum, Dr. Jörg Zedler. Die Erfahrung und die sensible Anleitung durch Dr. Stefan von der Lahr vom Verlag C.H.Beck haben dem Buch gutgetan.
Rom, im April 2014
Hannelore Putz
Als Luxus darf die Kunst nicht betrachtet werden; in allem drücke sie sich aus, sie gehe über in’s Leben, nur dann ist, was seyn soll. Freude und Stolz sind Mir Meine Künstler. Des Staatsmannes Werke werden längst vergangen sein, wenn die des ausgezeichneten Künstlers noch erhebend erfreuen.»[1] Es war ein regnerischer Festtag, als König Ludwig I. von Bayern am 12. Oktober 1846 den Grundstein für die Neue Pinakothek legte. Bewusst hatte Ludwig sich für dieses symbolträchtige Datum entschieden, feierte man an diesem Tag doch den heiligen Maximilian und erinnerte sich sowohl an Ludwigs Vater, König Max I. Joseph, als auch an Kurfürst Maximilian I. Spätestens seit der Hochzeit Ludwigs mit Therese von Sachsen-Hildburghausen im Jahr 1810 und der Gründung des Oktoberfestes hatte sich der 12. Oktober als bayerisches Identifikationsdatum fest etabliert.
Eine nicht sehr große Festversammlung scharte sich um den König: Die verantwortlichen Architekten Friedrich von Gärtner und August von Voit sowie die Professoren der Akademie der Bildenden Künste erschienen in Frack, Stiefeln und rundem Hut; der König hatte es dezidiert so gewünscht. Er selbst kam hingegen im Gehrock. Er wollte die Feier offensichtlich in gewisser Weise privat und intim halten, schon die von ihm gewählte Kleidung sollte dies deutlich machen.
Mit der Neuen Pinakothek entstand nunmehr innerhalb von nur dreißig Jahren der dritte große Museumsneubau in München (Abb. 1). Ludwig finanzierte ihn, wie schon die Glyptothek und anders als die Alte Pinakothek, aus eigener Tasche. Mit großer Energie hatte er im Vorfeld der Grundsteinlegung die Planungen begleitet und den Bauplatz festgelegt. Und auch wenn Lola Montez, die er eben erst kennengelernt hatte und für die er nun entflammt war, seit Anfang Oktober seine Aufmerksamkeit weitestgehend in Beschlag nahm, so ist der Wunsch Ludwigs deutlich zu erkennen, den Auftakt des Baugeschehens für eine erste ständige Ausstellung zeitgenössischer Kunst zugleich zum Anlass zu nehmen, seine Sicht auf Kunst, Künstler und die Kunstförderung darzustellen. Bereits fünf Tage vor der Grundsteinlegung dachte er auf der Theresienwiese über seine Rede nach, und er hielt das Thema für so wichtig, dass er darüber sogar in seinem Tagebuch schrieb.
Man kann sich gut vorstellen, wie emotional der König in der für ihn typischen abrupten, etwas abgehackten und wegen seiner Schwerhörigkeit zu lauten Sprechweise während des Festakts sein Verständnis von Kunst und seine Motive, sie zu fördern, charakterisierte. Ludwig hielt seine Ausführungen für gelungen: Damit man sein Mäzenatentum auch künftig im rechten Licht sähe, leitete er seine kurze Rede an die Presse weiter. Tatsächlich gab ihm die Zukunft recht – gerade diese Rede wurde immer wieder zitiert, denn sie erschließt prägnant, warum sich der zweite bayerische König so intensiv für die Kunst eingesetzt hat.
Ludwig war wohl der einzige Kunstförderer und Sammler, der sein Kunstverständnis und seine Motive in nur drei Sätze zu packen wusste. Im ersten Satz postulierte er, Kunst sei nicht als Luxus zu verstehen, vielmehr gehöre sie zum Leben und müsse Teil des Lebens sein. Erst wenn sie präsent sei und das Leben des Einzelnen durchdringe, würde sie ihren Sinn erfüllen. Als Sammler stellte Ludwig an sich den Anspruch, Kunstobjekte sichtbar und für alle erfahrbar zu machen. Zu diesem Zweck sollte mit dem Bau der Neuen Pinakothek erstmals eine Dauerausstellung für zeitgenössische Malerei entstehen. Wie Ludwig sein Verhältnis zu den Künstlern definierte, das machte der Monarch im zweiten Satz durch das Possessivpronomen «Meine» sehr deutlich: Die Künstler befanden sich in einer abhängigen Position, und sie sollten das auch wissen. Als «Mäzen» freue er sich aber über die Leistungen «seiner» Künstler und sei stolz auf sie. Mit dem dritten Satz machte der Monarch schließlich klar, dass er seine Kunstförderung auch als Investition in die Zukunft begriff: Man werde sich eines Tages nicht mehr an die Taten der Staatsmänner erinnern, aber die Kunstwerke und ihre Künstler blieben in der Erinnerung – eben dieses garantiere letztlich auch ihm, dem Mäzen, ein langes Andenken.
1 – München, Neue Pinakothek mit den monumentalen Fresken Wilhelm von Kaulbachs, Fotografie um 1870
Ludwig entwickelte 1846 keine neuen Gedanken. Vielmehr bekräftigte er einmal mehr sein Verständnis der Kunstförderung, das sich seit Jahrzehnten in ihm verfestigt hatte. Es ging ihm dabei nicht darum, die Künste allein um ihrer selbst willen zu fördern. Vielmehr verfolgte er sehr konkrete persönliche wie auch politische Ziele. Seine Vorstellungen gingen auf Erfahrungen zurück, die er als junger Kronprinz auf seinen Reisen in Italien, Frankreich, Großbritannien und den Staaten des Deutschen Bundes gemacht hatte. Es war ihm wichtig, dass Besucher seine Sammlungen und Denkmäler besichtigten und darüber berichteten. Dabei sollte immer auch er als Mäzen gewürdigt werden. Überhaupt legte Ludwig großen Wert darauf, dass er im Zentrum des bayerischen Kunstbetriebs stand. Dass die Künstler unter dieser starken Einflussnahme und Präsenz des Monarchen litten und sich oft bitter darüber beklagten, kümmerte ihn dagegen wenig. Von den Forderungen der Künstler nach Autonomie hielt Ludwig zeit seines Lebens wenig. Zwar würdigte er deren schöpferische Tätigkeit und Ideen, wies aber zugleich auch immer wieder darauf hin, dass diese ohne einen zahlungskräftigen Förderer nur Vorstellung blieben und nicht umgesetzt werden konnten. Erst die Verwirklichung ihrer Einfälle würde den Künstlern zum Ruhm verhelfen. Seine pragmatische, die Empfindlichkeiten der Künstler wenig berücksichtigende Sichtweise ist aber nur die eine Seite. Sie schloss gleichzeitig nicht aus, dass Kunstobjekte in Ludwig starke Emotionen auszulösen vermochten. Immer wieder liest man, dass er Tränen in den Augen gehabt habe, wenn er Denkmäler das erste Mal besichtigte. Auf diese Weise versicherte sich Ludwig im Tagebuch seiner Gefühle. Er zog sich gerne einmal an stimmungsvolle Orte zurück, wenn er Briefe seiner Kunstberater lesen wollte. Vor der «Hebe», der berühmten Marmorstatue Antonio Canovas, hatte er erstmals diesen besonderen Moment erlebt, in dem ihn ein Kunstwerk so sehr in den Bann zog, dass er sich erst nach geraumer Zeit wieder lösen konnte und als innerlich Veränderter wieder in die Wirklichkeit entlassen wurde.[2] Der Kunstförderer und Sammler agierte ebenso bedacht wie leidenschaftlich. Politische und persönliche Motive, die ineinandergriffen, ließen so bisweilen ein auf den ersten Blick durchaus widersprüchliches Bild entstehen.
Als Ludwig I. aus Anlass der Grundsteinlegung der Neuen Pinakothek sein Kunstverständnis erläuterte, blickte er bereits auf vierzig Jahre zurück, in denen er als Käufer von Kunstobjekten und als Auftraggeber von Werken der Skulptur, der Malerei und der Architektur tätig gewesen war. In diesen Jahrzehnten wurde der Besuch Münchens noch mehr als zuvor zu einer Pflicht für Kunstreisende aus ganz Europa und darüber hinaus. Mit der Glyptothek und der Alten Pinakothek entstanden wegweisende Ausstellungsräume. Sie wurden weit über Bayern hinaus rezipiert, diskutiert und haben die Entwicklung des Museumsbaus im 19. Jahrhundert wesentlich geprägt. Die vielen Aufträge zogen Künstler nach München, die Ateliers eröffneten und die bildenden Künste in der Stadt allgegenwärtig machten: erlebbar für Einheimische und Besucher, erfahrbar für noch weit mehr Kunstbegeisterte in ganz Europa durch Zeitungen, Publikationen und Bildmedien. Über die Hauptstadt hinaus richtete sich Ludwigs Blick auf das gesamte Königreich Bayern. Mit den Nationaldenkmälern in Kelheim und Donaustauf, den Domrestaurierungen und Überformungen in Regensburg, Bamberg und Speyer, mit den Villen in Aschaffenburg und in Edenkoben in der Pfalz, schließlich mit den vielen Personendenkmälern überall im Land: Der König wollte nicht nur in seiner Hauptstadt, der gleichwohl sein Hauptaugenmerk galt, Kunst «in’s Leben treten» lassen, sondern überall in Bayern. Die aus Ludwigs Sicht wichtigen gesellschaftlichen, künstlerischen und politischen Botschaften kamen dabei nicht nur durch die Bauwerke selbst zum Ausdruck, sondern vor allem durch ihre Ausstattung mit Malerei und Skulpturen.
2 – Wilhelm von Kaulbach, Die Erzgießerei. Guss der Bavaria unter der Leitung Ferdinand von Millers, 1854 (München, Neue Pinakothek)
Die Neue Pinakothek war der zeitgenössischen Malerei gewidmet, wobei in den großen Fresken an ihren Außenwänden, die von Wilhelm von Kaulbach geschaffen wurden, zugleich der bayerische Kunstbetrieb insgesamt monumentalisiert wurde.[3] Auch hier stand der «königliche Mäzen» im Zentrum der Darstellungen: Thematisiert wurde «die neuere Entwicklung der Kunst […], wie sie durch Seine Majestaet den König hervorgerufen, von München ausgegangen war» (Cover).[4] Maler, Bildhauer und Architekten wurden auf gewaltigen Mauerflächen im Fresko verewigt, wie sie königliche Aufträge erhalten, sich um den Thron Ludwigs scharen und dem Monarchen im Fest huldigen. Aber die Fresken dokumentierten auch die Förderung der Erzgießerei, der Porzellanmalerei und der Glasmalerei; Kunstzweige, die Ludwigs besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung erhielten (Abb. 2).
Gleichwohl wurden die Darstellungen sofort nach ihrer Präsentation von den Zeitgenossen äußerst kontrovers diskutiert. So soll Moritz von Schwind pointiert gesagt haben: «König Ludwig hat es sich Millionen kosten lassen, um die deutsche Kunst in die Höhe zu bringen, und dann 36 000 fl. um sich dafür auslachen zu lassen.»[5] Ein gewisser ironischer Ton mischte sich auch tatsächlich den Botschaften der Fresken bei. Die Spitzen trafen zunächst die Künstler: Das Tausendgüldenkraut beispielsweise zu Füßen Leo von Klenzes erinnerte dezent an dessen Wohlstand und an die Bedeutung, die der Architekt stets dem Geld beimaß (Abb. 1, Farbtafel).[6] Anspielungen dieser Art dürften Ludwig eher belustigt haben; zumindest legte er kein Veto ein. Dass man die Fresken Kaulbachs – auf einer zweiten Bedeutungsebene – auch als Kritik an der ludovicianischen Kunstförderung lesen konnte, dürfte für den König jenseits des Vorstellbaren gelegen haben. Es scheint vielmehr, als habe er seinen Anteil am Kunstbetrieb in den Fresken ins rechte Licht gesetzt gesehen; denn während seiner vielen Besuche in Kaulbachs Atelier setzte Ludwig immer wieder Korrekturen im Detail durch, änderte aber an der inhaltlichen Ausrichtung nichts. Zwar kannte er schon seit langem die Kritik an dem dominanten königlichen Einfluss auf den Münchner Kunstbetrieb.[7] Auf seine Entscheidung, diesen in Fresken monumentalisieren zu lassen, wirkte sich dies aber nicht aus. Klenze äußerte sich über die Fresken stets positiv und sprach beispielsweise am 3. August 1854 davon, dass keiner sie als beleidigend empfinden werde, «wenn es nicht eigenes schlechtes Bewußtsein, oder fremde Fein[d]lichkeit hineinlegen».[8] Und selbst dann: Entscheidend für Ludwig war, dass der Zyklus ihm selbst zusagte und dass er ihn auf seine spezifische Weise verstand. Kritik von außen belastete ihn wenig; es gibt eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass er an einer einmal für richtig befundenen Entscheidung beharrlich festhielt.
Ludwig dominierte den Münchner Kunstbetrieb, er setzte hohe Summen persönlicher Gelder ein, und zwar über einen sehr langen Zeitraum, nämlich über ein halbes Jahrhundert – all das hat schon seine Zeitgenossen fasziniert. Dementsprechend porträtierten frühe Biographen ihn vor allem als Förderer der bildenden Künste. Sie stellten den König in eine Reihe mit Augustus und Leo X. und griffen damit Zuschreibungen auf, die Ludwig seit dem Künstlerfest 1818 in der Villa Schultheiß auf dem Monte Parioli begleitet hatten und die nach seiner Abdankung 1848 in Künstlerfesten noch einmal verstärkt betont wurden. Sie folgten damit aber auch der Selbstsicht des Monarchen: Ludwig hatte sich sowohl in der Glyptothek als auch in der Alten und der Neuen Pinakothek im Skulpturenprogramm und in den Freskenausstattungen bewusst in die Tradition dieser antiken und frühneuzeitlichen Mäzene gestellt. Auch die europäische Perspektive kommt in frühen Darstellungen der Kunstförderung Ludwigs I. häufig zur Geltung.
Diese starke Betonung seines mäzenatischen Handelns ist noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein zu verfolgen, auch wenn in der Forschung seit dem Ende der wittelsbachischen Monarchie in Bayern 1918 verstärkt die politische Geschichte Ludwigs I. in den Vordergrund rückte. Einen Meilenstein setzte Heinz Gollwitzer 1986 mit seiner monumentalen Biographie zu Ludwig I. Er konzentrierte sich auf das monarchische Verständnis des Königs und stellte ihn und sein Regierungshandeln in den Mittelpunkt. Mit Ausnahme eines vergleichsweise kurzen, aber präzisen Ausblicks ließ er die Kunstförderung unberücksichtigt. Seitdem aber ist eine große Zahl von Studien und Untersuchungen entstanden, die sich mit dem «Kunstkönigtum» Ludwigs I. und den von ihm geförderten Künstlern beschäftigte. Historische und kunsthistorische Ausstellungen stellten die vom König mit Aufträgen bedachten Künstler und ihre Werke ins Zentrum. Winfried Nerdinger etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, widmete sich den Architekten und den Bauprojekten Ludwigs I. in den großen Ausstellungen zu Friedrich von Gärtner, Leo von Klenze und zur Regierungszeit Ludwigs I. und beurteilte dabei den Bauherrn und Sammler vor allem aus der Perspektive der Künstler. Aufgrund der starken Orientierung an ihrer Blickrichtung ist es gerade in Bezug auf die Bewertung der Kunstförderung Ludwigs I. zu gewissen Verzerrungen gekommen. Johannes Erichsen auf der anderen Seite setzte sich mit dem Geschichtsverständnis und der Kunstpolitik Ludwigs I. 1986 in einer großen Ausstellung auseinander, Hans-Michael Körner in seiner Habilitationsschrift mit den geschichtspolitischen Motiven seiner Kunstförderung. Hubert Glaser gab mit der Edition des Briefwechsels zwischen König Ludwig I. und Leo von Klenze einen der zentralen Schriftwechsel heraus, das Bearbeiterteam beschäftigte sich in den Kommentaren ausführlich mit den politischen und persönlichen Motiven seiner Kunstförderung.
Der vorliegende Band wird aus der Perspektive der Historikerin zunächst Ludwig I. als Bauherrn und Kunstsammler und die Entstehung seiner Sammlungen und Bauten betrachten. In einem zweiten Schritt steht die Frage nach der Finanzierung im Mittelpunkt. Schließlich waren die jeweiligen finanziellen Modalitäten nicht nur für die Eigentumsfrage relevant, sondern wirkten sich auch auf den Entwurfsprozess, den Bauvorgang, die Auswahl der Künstler und schließlich auf die zeremoniellen Eröffnungsfeiern und die Aussagekraft des vollendeten Werks aus. Im Anschluss daran geht es dann um die Motive des Königs und die Bewertung seiner Rolle für das kreative Milieu in München. Der Monarch ermöglichte offensichtlich die Herausbildung eines besonderen kreativen Klimas: Es entstanden soziale, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Bedingungen, die Kunstschaffende und Kunstkäufer auch weit über die Lebenszeit Ludwigs I. hinaus anregten, München zu einem außergewöhnlich lebendigen und weit über die Grenzen des Königreichs hinaus strahlenden Kunstplatz zu machen.
Mitte November 1804 begab sich der bayerische Kurprinz Ludwig zum Abschluss seiner Ausbildung auf eine ausgedehnte Bildungsreise über Österreich und Oberitalien nach Rom. Unter der Aufsicht seines Erziehers Joseph Anton von Kirschbaum und in Begleitung des Freundes Karl Graf von Seinsheim absolvierte er eine straff organisierte Besichtigungstour, die sowohl kulturelle als auch technisch-informative Programmpunkte umfasste. In Traunstein etwa sah er sich die Soleleitung an und ließ sich über die Salzgewinnung in Kenntnis setzen. In Salzburg nahm er ein ausgedehntes Besichtigungsprogramm wahr, auf Schloss Ambras beeindruckte ihn die dortige Harnisch-Sammlung. In seinem Tagebuch schrieb der Kurprinz regelmäßig über seine Eindrücke. Erst mit dieser Reise begann eine kontinuierliche Selbstreflexion im Tagebuch, die der Monarch bis in seine letzten Lebensjahre mit nur sehr wenigen Unterbrechungen fortsetzte. Aus den sehr zeitnahen Bemerkungen ist zu entnehmen, dass ihn die technischen Vorführungen interessierten, er den Aufenthalt in Salzburg als sehr «vergnügt» empfand und die Sammlung im Ambraser Schloss wiederum vor allem als «Geschichtszeugnis» wahrnahm.[1] Gedanken über Künstler und Kunstobjekte als solche sucht man dagegen vergebens. Anfang Dezember 1804 erreichte die Reisegruppe endlich Venedig. Die Tage waren angefüllt mit Besichtigungen: des Caffè Florian, des Palazzo Grimani, Tintorettos Gemälde in Madonna dell’Orto. Schließlich, am Nachmittag des 13. Dezember 1804, stand die Kunstsammlung im Palazzo Albrizzi am Campiello Albrizzi in der Nähe des Campo S. Polo auf dem Programm des gerade 18-jährigen Ludwig. Es handelte sich dabei wohl zunächst um einen Termin unter vielen. Doch dann betrat Ludwig den Raum, in dem die «Hebe» des damals in ganz Europa gerühmten Bildhauers Antonio Canova gezeigt wurde. Die Skulptur zeigt die Tochter des Zeus und der Hera, die ewige Jugend schenkte, in einem Moment, in dem sie schwebend über die Wolken gleitet und den Göttern Ambrosia und Nektar reicht (Abb. 3).
Unerwartet veränderte sich der Charakter dieses Besuches. Im Tagebuch rang Ludwig, noch unter dem Eindruck dieses Erlebnisses stehend, mit den Worten: «Der Graf Albrizzi besitzt eine schöne Engl. Kupferstichsammlung, Gypsabgüsse von Statuen und Bareliefs von Canova, eine nicht sehr große aber mit trefflichen Werken geschmückte Büchersammlung; aber was ist dieses alles gegen seine Hebe von Canova; sehen, hingerissen erhoben in die geistig ‹schönen› Regionen war nur eines bei mir. Eine ½ Stundte konnte ich mich nicht von ihr entfernen; selbst nach dieser Zeit als ich in die Bibliothek gegangen war konnte ich nichts mit Aufmerksamkeit in ihr betrachten. Wie ein Magnet zog mich dieses Ideal an sich; ich mußte umkehren ich konnte mich nicht verweilen wo Hebe nicht war […] ich mußte zu ihr, und staunen was der Mensch vermag; o wahr ist es, das[s] er Gottes schönstes Geschöpf ist. Ein solches Wesen wie diese Hebe hat auf dieser Erde nie gelebt, ist gegenwärtig nicht auf ihr, zu finden und wird es nie in der Zukunft sein. Der sich bei dem Anblick dieser Statue nicht von der Erde erhoben fühlt, der noch im Stande ist an sinnliche Sachen zu denken; o der ist nicht würdig einen einzigen Blick auf sie zu werfen. Mit Mühe riss ich mich von dem Anblick dieses Ideals, daß so sehr gemacht ist, das Irdische vergessen zu machen los, um wegzugehen.»[2] Das Kunsterlebnis scheint den 18-Jährigen innerlich zutiefst angerührt und verändert zu haben. So zumindest will er es in seinem Tagebuch erinnert wissen. Dabei fällt auf, dass Ludwig zu beschreiben versuchte, welche «Wirkung» das Kunstwerk in ihm hervorgerufen habe. Er sah sich zunächst außerstande, die «Hebe» zu verlassen, konnte sich auf die anschließend besichtigte Bibliothek nicht konzentrieren und musste noch einmal zurückkehren. Die «Hebe» erschien ihm als so jung, rein und makellos, dass er es für unmöglich hielt, in ihrer Gegenwart an etwas allein Menschlich-Sinnliches zu denken. Nur mit größter Kraftanstrengung schaffte er es schließlich, in die Realität zurückzukehren. Canovas «Hebe» vermochte es, so Ludwig, in ihm einen Verschmelzungsprozess von Geistigem und Sinnlichem auszulösen, «in dem die Seele des Betrachters in die höheren Sphären des Kunstwerks emporgehoben und so geläutert wird».[3] Und tatsächlich fühlte sich Ludwig nach diesem Besuch verändert; sein ganzes Leben lang berief er sich auf die Begegnung mit diesem Kunstwerk, sie verlor sich nie mehr aus seiner aktiven Erinnerung.
3 – Antonio Canova, Hebe, 1796 (Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie)
Es ist nicht zu klären, ob Ludwigs Blick bereits vorgeprägt war, er dieses Kunsterlebnis sozusagen erwartete und damit zumindest unterbewusst beförderte. Künstler und Kunstschriftsteller wie Gottfried Seume hatten die «Hebe» Canovas bereits hymnisch gefeiert. In Ludwigs Besitz befand sich mit der Schrift von Vittorio Barzoni aus dem Jahr 1803 eine ausführliche Beschreibung des Werks. Es kann also sehr gut sein, dass er den Palazzo Albrizzi schon mit einer gewissen Erwartungshaltung betreten hatte. Gleichwohl war keineswegs vorauszusehen gewesen, dass die Begegnung des 18-jährigen Kurprinzen mit der Schöpfung Canovas zum lebensverändernden Kunsterlebnis geraten würde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Künstler und Kunstobjekte, mithin das Leben mit der Kunst keinen wesentlichen Raum in Ludwigs Leben eingenommen. Vielmehr waren Erfahrungen von Revolution, Krieg, Flucht, persönlichen Schicksalsschlägen und politischer Instabilität dominierend gewesen. Nichtsdestoweniger geriet gerade dieses Erlebnis in Venedig zum dauernden Bezugspunkt seiner Begeisterung für die Kunst. So ließ er in den ersten Band seiner Gedichte, der 1829 erschien, das Sonett aufnehmen, in dem er seine Begegnung mit der «Hebe» reflektierte. Darin heißt es programmatisch: «Der Sinn für Kunst war in mir aufgegangen.» Auch in dem Manuskript seiner Autobiographie, die er in den 1830er Jahren zu schreiben begann, reflektierte er einmal mehr jenes Erlebnis in Venedig.
Ludwig war am 25. August 1786 in Straßburg zur Welt gekommen.[4] Dort stand sein Vater Max Joseph, ein nachgeborener Prinz aus dem Haus Zweibrücken, als Kommandeur eines Regiments in französischen Diensten (Abb. 4). Als der glückliche Vater seinen Erstgeborenen präsentierte, jubelten die Offiziere dem Neugeborenen begeistert zu und schenkten dem Vater eine Matratze für den Säugling, die mit den Barthaaren der Soldaten gefüllt war. Ludwig XVI. von Frankreich übernahm die Patenschaft für den kleinen Prinzen und schickte großzügige Geschenke: Für den Täufling gab es ein Bouquet erlesener Brillanten im Wert von 80.000 Livres. Der Vater erhielt das Oberstenpatent mit einem Jahresgehalt von 12.000 Livres, die Mutter Auguste Wilhelmine das begehrte Medaillon de France an einer goldenen Kette. Da der Knabe am Tag des heiligen Ludwig geboren wurde, sollte er nach dem Wunsch des Taufpaten auch nach diesem benannt werden. Nach dem regierenden Herzog von Zweibrücken gab man ihm außerdem die Namen Karl und August bei. Überall in Altbayern und in der Pfalz feierten die Menschen den Sprössling aus dem Hause Wittelsbach. Denn nur er garantierte die wittelsbachische Erbfolge, waren doch die beiden regierenden Fürsten des Hauses, Kurfürst Karl Theodor von Pfalz-Bayern und Karl August, der Herzog von Zweibrücken, kinderlos geblieben. In Zweibrücken, Mannheim, Heidelberg und München fanden Dankgottesdienste, Jubelfeiern und Feste statt. Ludwig stellte die Hoffnung des Kurfürstentums Bayern dar, mit ihm sollte die Integrität des Landes erhalten bleiben – gegen alle Überlegungen Karl Theodors, Teile des Landes an Österreich zu verkaufen oder diese möglichst günstig zu tauschen.
4 – Moritz Kellerhoven, Kurfürst Max IV. Joseph, um 1820 (München, Stadtmuseum)
Die Französische Revolution 1789 und ihre Folgen brachen unmittelbar auch in das Leben des kleinen wittelsbachischen Prinzen ein. Als das Militär Max Joseph im August 1789 in Straßburg verhaften wollte, entkamen er und seine Familie nur knapp. Für die folgenden Jahre ließ sich die Familie in Mannheim nieder. Doch diese vermeintlich ruhige Phase darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der kleine Prinz dennoch die allgemeine Erregung und Instabilität dieser Jahre in sich aufnahm – die Auswirkungen der Revolution in Frankreich, die Hinrichtung Ludwigs XVI. und der Königin Marie Antoinette, die der Pfalzgräfin Auguste Wilhelmine in Freundschaft verbunden gewesen war, und nicht zuletzt die Gefahr des Verlustes der zweibrückischen und der kurpfälzischen Gebiete durch die vorwärtsdrängenden Franzosen.
Bis zu seinem siebten Lebensjahr wurde der Prinz von seiner Erzieherin Luise Weyland umsorgt, der er bis zu ihrem Tod verbunden blieb. Dieser mütterlichen Zuneigung und Liebe, die er bei ihr erfahren hatte, versuchte er sich später immer wieder zu erinnern; noch als König suchte er Luise Weyland regelmäßig auf und sprach mit ihr über seine Kindheit. Als er 1837 von ihrem Tod erfuhr, notierte er in sein Tagebuch: «Meine älteste Bekanntin, so lange Zeit als ich lebe, demnach über ein halbes Jahrhundert u. wie hing ich an ihr, die mit mütterlicher Liebe mich gepflegt u. mich geliebt.»[5] Der Prinz war schwerhörig, hatte daher Probleme beim Spracherwerb und dazu noch mit einem Sprachfehler zu kämpfen; häufig sprach er zu laut, manchmal auch stolpernd und stotternd. Darüber hinaus hatte er sich in jungen Jahren mit den Blattern infiziert – die Narben im Gesicht zeichneten ihn sein Leben lang. Aus einem gewissen Misstrauen heraus, das sicher aus seiner Schwerhörigkeit resultierte, und wohl auch aus Unsicherheit beschäftigte sich der Knabe in seinem ersten Lebensjahrzehnt vor allem mit sich selbst; in seiner Umgebung erweckte er mitunter den Eindruck eher schwächlicher geistiger Anlagen.
Die Phase einer prekären Ruhe endete zum Weihnachtsfest 1794 mit einem Paukenschlag: Als die Franzosen am Vorabend des Festes Mannheim beschossen, retteten sich Max Joseph und seine Familie in den Keller des Hauses. Anschließend floh der achtjährige Ludwig mit der Familie nach Schwetzingen, später nach Rohrbach. Dort traf das Schicksal den Knaben erneut hart, als seine Mutter 1796 starb. Auguste Wilhelmine hatte ihm in seinem ersten Lebensjahrzehnt Sicherheit und Geborgenheit gegeben; seine enge Verbundenheit mit der Mutter bewahrte sich Ludwig sein ganzes Leben lang. Die vom Schicksal arg gebeutelte Familie musste kurz darauf erneut ausweichen, diesmal ins preußische Ansbach.
Seit 1793 erhielt Ludwig eine schulische Ausbildung, doch erst als Zehnjähriger begann er sich stärker für schulische Dinge zu interessieren. Zum Hofmeister des jungen Prinzen wurde Joseph Franz Anton von Kirschbaum bestellt: Der Mann, der an den Kriegsschulen in Vendôme unterrichtet und während des französischen Angriffs auf Mannheim das Leben des kleinen Prinzen geschützt hatte, war sicherlich ein pflichtbewusster, wohl aber auch ein eher übergenauer Erzieher. Ein enges Vertrauensverhältnis zu Ludwig konnte er jedenfalls nicht aufbauen; der Prinz fühlte sich bald schon am Gängelband gehalten. Gerade volljährig geworden, nutzte er denn auch die Italienreise 1804/1805, um sich nach über zehnjähriger Erziehungszeit zu befreien. Noch während Ludwig in Italien weilte, berief Max Joseph auf dessen dringliche Bitten hin Kirschbaum ab. Seit 1797 bemühte sich darüber hinaus der Pfarrer und spätere Geistliche Rat Joseph Anton Sambuga, ein alter Bekannter Kirschbaums, um die religiöse und sittliche Formung des bayerischen Kurprinzen. Sambuga stand in diesen Jahren den Gedanken der Aufklärung nahe und vertrat wie viele katholische Aufklärer die Auffassung, dass sich Glaube und Vernunft in Einklang bringen ließen. Ihm gelang es im Gegensatz zu Kirschbaum, ein gutes Verhältnis zu Ludwig aufzubauen. Von ihm lernte der Prinz, dass es richtig sei, im Gehorsam gegenüber der römisch-katholischen Kirche die religiösen Pflichten beständig zu erfüllen. Aber Sambuga vermittelte Ludwig auch Grundlinien eines Herrschaftsverständnisses, das den Fürsten als den ersten Diener eines aufgeklärten Staatswesens verstand, der nur Gott, nicht aber dem Volk oder einer Konstitution verantwortlich war und der auf eine starke Verbindung zwischen Staat und Kirche baute.
Beim Sprachunterricht des Kronprinzen wurde vor allem Wert auf die französische Sprache gelegt. Mit dem Lateinischen tat er sich schwer; erst als Erwachsener gewann er eine Neigung für die Alten Sprachen. Über den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht und auch über den Musikunterricht ist wenig bekannt; zumindest lernte der Kurprinz Klavier zu spielen. Obwohl schwerhörig, setzte er sich bis ins hohe Alter regelmäßig ans Instrument. Ludwig wurde höfisch erzogen; er lernte reiten, fechten, schießen und jagen. Unterwiesen wurde er auch in den höfischen Umgangsformen und im Tanzen. Darüber hinaus begann er schon früh, das Theater zu besuchen. Vor allem August Wilhelm Iffland, der häufiger Gast im Haus Max Josephs gewesen war, beeindruckte ihn. In Mannheim schwärmte der gut sechsjährige Prinz zum ersten Mal für eine Frau: Die damals etwa 16-jährige Sängerin und Schauspielerin Caroline Jagemann, die eine der berühmtesten Sängerinnen im deutschsprachigen Raum und 1802 zur offiziellen Geliebten des Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach werden sollte, sang dem kleinen Prinzen bei passender Gelegenheit dessen Lieblingslieder vor. Ludwig erinnerte sich noch lebhaft an seine kindliche Verliebtheit, als er Caroline Jagemann, inzwischen Freifrau von Heygendorff, über 30 Jahre später im Hause Johann Wolfgang von Goethes wiedersah.[6]
Seine künstlerisch-ästhetische Ausbildung hingegen ließ wohl zu wünschen übrig. Dies zumindest legt die Aussage des späteren bayerischen Hofbauintendanten Leo von Klenze nahe: «Eben so ist es mit der Kunstliebe und den Kunstkenntnißen des Königs beschaffen: er ist darin von der Natur auf das allerglücklichste und freigebigste ausgestattet, aber eine verfehlte und vernachläßigte Erziehung hat diesen Naturgaben in vieler Beziehung eine falsche, verderbliche Richtung gegeben. Der König sagte mir oft selbst, daß, durchaus ohne jede technische Anlage und Fähigkeit für Ausübung der Kunst, seine früheren Lehrer und namentlich der alte Herr von Kirschbaum ihn mit der größten Gewalt zum Zeichnen angehalten habe. Statt ihm Unterricht in Kunstgeschichte, Archäologie u. s.w. zu geben, habe man ihm alle Kunst durch den fortgesetzten Zwang zum praktischen Zeichnen im höchsten Grade zuwider gemacht, und er erinnere sich aus seinen früheren Kunsteindrücken nur einiger Freude, welche ihm der runde Apollotempel im Garten zu Schwetzingen und das Besehen eines Bilderbuches gewährt habe, worin die vorzüglichsten Werke antiker Plastick dargestellt gewesen wären.»[7] Die Aussagen Klenzes beinhalten sicher einen wahren Kern. Gleichzeitig aber sind sie auch mit einer gewissen Vorsicht zu lesen, lag dem Architekten in seinen über weite Strecken zur Abrechnung geratenen Memorabilien doch auch daran, Ludwigs Kunstkennerschaft und Urteilsfähigkeit eher abzuwerten. Immerhin erteilten ja doch Georg von Dillis und später Philipp Le Clerc dem jungen Ludwig Zeichenunterricht; Letzterer war auch zum Zeichenmeister der Prinzessinnen berufen worden. Aus dem Jahr 1795 haben sich beispielsweise Landschaftszeichnungen erhalten, aus dem Jahr 1803 eine «Ansicht von Landshut gegen Morgen nach der Natur» und verschiedene Akt- und Kopfstudien. Auch ein Venus- und ein Bacchuskopf von Ludwigs Hand sind überliefert.[8]
Die geistige, körperliche und künstlerische Ausbildung des Prinzen wurde jedoch immer wieder durch die Zeitereignisse gestört. Als Karl Theodor im Februar 1799 starb, ging das Kurfürstentum Bayern an Ludwigs Vater, den nunmehrigen Kurfürsten Max IV. Joseph, über. Die bayerischen Untertanen wähnten sich angesichts des Herrschaftswechsels in der ernsten Gefahr, doch noch dem Kaiser und damit Österreich zugeschlagen zu werden, und so empfingen sie den neuen Herrscher begeistert, als er in München einzog und das Territorium in Besitz nahm. Aber schon bald darauf zwang die französische Armee die nun kurfürstliche Familie erneut zur Flucht, dieses Mal nach Landshut. Von dort aus ging es, nach einer kurzen Atempause, weiter nach Amberg, von wo aus die Familie untätig zusehen musste, wie Bayern zum Aufmarschgebiet wurde und die kaiserlichen und bayerischen Truppen bei Hohenlinden schließlich von der französischen Armee geschlagen wurden. 1801 gingen die pfälzischen Gebiete links des Rheins an Frankreich, später diejenigen rechts des Rheins an Baden. Die Säkularisation der Hochstifte und Klöster 1802/1803, die als Ausgleich für diesen Aderlass diente, hielt der Kurprinz zwar im Sinne der Durchsetzung der inneren staatlichen Integrität für richtig, das bisweilen rigide und respektlose Vorgehen der bayerischen Beamten und die Vernichtung vieler Kulturgüter hingegen für verwerflich. Vor allem aber verabscheute Ludwig den sich am Horizont abzeichnenden engen Schulterschluss zwischen Bayern und Frankreich. 1805 wurde er im Vertrag von Bogenhausen und der daraus resultierenden französisch-bayerischen Allianz Wirklichkeit.
Bereits 1803 war Ludwig zu Universitätsstudien nach Landshut und Göttingen geschickt worden.[9] Der 17-Jährige blieb freilich nur von Mai bis Ende Juli 1803 und absolvierte auch kein reguläres Studium. Vielmehr erhielt er Einführungsvorlesungen in die Moralphilosophie, die Geschichte, die Rechtswissenschaften, die Nationalökonomie, die Mathematik und die Naturkunde. Der Sohn des Kurfürsten musste sich auch nicht in den Studienalltag eingliedern, sondern wurde von den Professoren in «Privatissima», exklusiven Privatstunden, unterrichtet. Vor allem der Jurist und Staatsrechtler Nikolaus Thaddäus Gönner und der Theologe Johann Michael Sailer hinterließen den größten und nachhaltigsten Eindruck – dabei wurden auch Ludwigs Staatsverständnis und seine religiöse Einstellung, deren Grundlagen in beiden Fällen auf Sambuga zurückgingen, weitergeformt und im engen Kontakt zu den Professoren nachhaltig bestärkt. In Göttingen, der zweiten Studienstation des Kurprinzen, nahm vor allem der Historiker und Publizist August Ludwig von Schlözer Einfluss auf die Gedankenwelt des jungen Prinzen. An der damals renommiertesten Hochschule im deutschsprachigen Raum unterrichtete er ihn in «Regierungswissenschaft». Der Aufenthalt an den Universitäten hatte für Ludwig aber auch eine weit über die fachliche Ausbildung hinausgehende Bedeutung: In Landshut und Göttingen lernte Ludwig den katholischen, konservativen Karl Graf Seinsheim und den protestantischen, durchaus liberalen Heinrich von der Tann kennen. Sie berieten ihn und wurden zu seinen Vertrauten. Nach seinem Studienaufenthalt in Göttingen brach Ludwig zum Abschluss seiner Studien zur Italienreise auf.
Angesichts des bisherigen Bildungsgangs des Kurprinzen deutete also wenig darauf hin, dass die «Hebe» Canovas eine so tiefe sinnliche und emotionale Erfahrung in ihm auslösen würde. Dieses Erlebnis im Dezember 1804 ist in seiner Bedeutung gleichwohl kaum zu überschätzen, denn es hat die Praxis von Ludwigs Kunstförderung bis zu seinem Lebensende wesentlich geprägt: Für Ludwig war entscheidend, wie ein Kunstwerk auf ihn wirkte, welche Emotionen es in ihm hervorrief, inwieweit er selbst durch das Kunstwerk angesprochen wurde. Dieser sehr starke Selbstbezug wurde schon in Venedig ein weiteres Mal sichtbar. Denn kurz nach dem Besuch der «Hebe» betrachtete er im Palazzo Mangilli Canovas Statue der Psyche (Abb. 5).[10] Dieses Mal ging er allerdings der Begegnung mit dem Kunstobjekt mit so großen Erwartungen entgegen, dass er nur enttäuscht werden konnte. Der Bericht darüber in seinem Tagebuch wirkt auch ernüchtert: «War es daß ich erst die Hebe sah oder war sonst eine Ursache vorhanden die Psyche machte bei weitem denselben Eindruck nicht auf mich; […] dieses Gesicht in dem der höchste Grad von Würde ruhigem Nachdenken und Erhabenheit liegt; versezte mich ganz in die Stimmung, in die mich Hebes Idealische Gestalt brachte; alles Irdische lag weit unter mir, von meinem Klagen schien ich befreiet, in einem reinen tugendhaftern Aufenthalt schien ich mich zu befinden.» Erst gleichsam mit Anlauf konnte Canovas «Psyche» ähnlich starke Empfindungen in Ludwig hervorrufen, wie es bei der «Hebe» unmittelbar der Fall gewesen war.
5 – Antonio Canova, Psyche mit dem Schmetterling, 1793/1794 (Bremen, Kunsthalle)
Von Venedig aus reiste Ludwig zum ersten Mal nach Rom, wo er am 12. Januar 1805 ankam. Der Aufenthalt in der Ewigen Stadt verfestigte in ihm den Wunsch, sich verstärkt der Kunst zuzuwenden. Von dem