INHALT
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ÜBER DIE AUTOREN
Gerhard Polt, geboren am 7. Mai 1942 in München, studierte in Göteborg und München Skandinavistik. Seit 1975 brilliert er als Kabarettist, Schauspieler, Poet und Philosoph auf deutschen und internationalen Bühnen. 2001 wurde er mit dem Bayerischen Staatspreis für Literatur (»Jean-Paul-Preis«) ausgezeichnet. Sein gesamtes Werk erscheint bei Kein & Aber.
Volker Kriegel, geboren am Heiligen Abend 1943 in Darmstadt, wurde vor allem als Jazzmusiker bekannt und hat zahlreiche Schallplatten veröffentlicht. Neben seiner Arbeit als Gitarrist und Komponist hat sich Volker Kriegel auch als Cartoonist, Illustrator, Rundfunkautor, Dokumentarfilmer, Übersetzer und Erzähler einen Namen gemacht. Er starb im Juni 2003 im Alter von 59 Jahren.
ÜBER DAS BUCH
Mit einzigartigem Scharfsinn legt der bayerische Satiriker die seelischen Abgründe seiner Mitmenschen frei und inszeniert seine Beobachtungen treffsicher, immer komisch, manchmal derb, aber nie zynisch. Abfent, Abfent! versammelt Polts beste Geschichten rund um die vorweihnachtliche Zeit und das heilige Fest.
»Aber was ist schon ein Jahr? Gerade noch war der Nikolaus da mit seinem Gabensack, da steht schon wieder der Gerichtsvollzieher vor der Tür.«
Gerhard Polt
»Für Weihnachtsmuffel ist Gerhard Polt die stärkste Ersatzdroge.«
Die Welt
INHALTSVERZEICHNIS
Nikolausi
Meine erste Revolution
Weihnachten steht vor der Tür
Sankt Nikolaus
Das Geständnis
Kindermodenschau
Satisfaction
Der Einsame
Rückblickserwartung
Abfent
Mein schönstes Weihnachtserlebnis
Eddi Finger oder Advent
Single Bell
Der Weihnachtsneger
Schöne Bescherung
Der Rauschgoldengel
Die Weihnachtsgratifikation
Vorsicht, Neujahr!
NIKOLAUSI
SOHN Nikolausi …
VATER Hehehe, der Kleine, hehe, nein, das ist nicht Nikolausi, das ist Osterhasi, hehehe, hehe.
SOHN Nikolausi …
VATER Hehehe, nein, das ist nicht Nikolausi, weißt du, jetzt ist ja Frühling. Es ist ja jetzt nicht mehr Winter, hehehehe.
SOHN Nikolausi …
VATER He, nein, he, das ist Osterhasi, weißt du, Osterhasi mit den Ohrli, hehehe, der bringt Gaggi für das Bubele, hehehehe, jaja.
SOHN Nikolausi …
VATER He, nein, also, nein, nein, weißt du, das handelt sich hier nicht um, äh, um, um Nikolausi, das ist Osterhasi, net, das ist ein Osterhasi, kein Nikolausi, gell?
SOHN Nikolausi …
VATER Ja, also, nein, jetz hör doch mal zu, net, wenn ich’s dir scho sag, das ist, es handelt sich hier nicht um ein Nikolausi, sondern um ein Osterhasi, net. Jetzt sieh das doch mal endlich ein.
SOHN Nikolausi …
VATER Ja, also, ja, Rotzbub frecher, ja, wie soll ich’s dir denn noch erklären, also so was nein, gleich schmier ich dir eine, net.
SOHN Nikolausi …
VATER Ja Herrschaftseitenmalefiz, jetzt widerspricht er ständig, net. Jetzt, jetzt hör doch amal zu, wenn ich schon sag, äh, äh, Nik … äh, O … äh, äh, das ist Osterhasi, net …
SOHN Nikolausi …
VATER Naa, das ist kein Nikolausi, net, jetzt, also, wenn einer mal sich in einen Gedanken förmlich hineinverrennt, dann ist er ja wie vernagelt, net.
SOHN Nikolausi …
VATER schreit Ja, also, so, ja also, du Rotzbub, net, das ist ein Osterhasi, das ist kein Nikolausi, Osterhasi, verstanden, Osterhasi …
SOHN Nikolausi …
MEINE ERSTE REVOLUTION
(für meinen Sohn Martin)
Es dauert manchmal doch geraume Zeit, bis man erkennt, dass der Nikolaus kein Heiliger, sondern ein Mensch, und der Krampus (Knecht Ruprecht, Schmutzli) ein Arschloch ist – aber ganz bestimmt kein Dämon! Die Angst vor jenen Herrn ist ein Stück guter alter Tradition und auch die Wirkung dieser Angst, die Generationen von Bettnässern erzeugte.
Ich war klein, und die Macht der Nikolaustradition ungebrochen. Die Krampusse klirrten mit Ketten. Sie waren in Felle gehüllt. In ihren rußigen Gesichtern spiegelte sich das tierische Vergnügen, mit dem Ochsenfiesel sauber zuhauen zu können. Hämisch fragten die Erwachsenen: »Und? War er schon da, der Nikolaus? Bist du auch immer brav gewesen? Weil sonst kummst nei in ’n Sack!«
Ich hätte es nicht geglaubt, dass man wirklich in einen Sack hineinkommt wegen Unbravheit, aber der Ismeier Manfred, mein Kindkollege, hatte es eigenhändig berichtet.
Auf dem Land wussten wir noch nichts von devoten Kaufhausnikoläusen und von der pädagogischen Einbahnstraße, die der Krampus als Erziehungsparameter darstellt.
Es war der sechste Dezember neunzehnhundertneunundvierzig gegen neunzehn Uhr, als sich ein Stiergehörnter auch meiner bemächtigte – obwohl ich die donnernde Frage des heiligen Nikolaus: »Bist du auch immer brav gewesen?« eindeutig und wahrheitsgemäß mit »ja« beantwortet hatte – und mich in seinen Sack stopfte.
Ketten klickten, klackten und rasselten, Schweine grunzten und Ratten pfiffen, als ich im Sack an einem Haken im Saustall aufgehängt wurde. Ich schrie eine Ewigkeit in dieser finsteren Hölle des Onkel Hieronymus Bosch. Und manchmal wache ich heute noch auf in der Nacht, schwitzend, sehe den Krampus auf mich zukommen … und ich weiß, ich habe eine Kindheit gehabt, die kann mir keiner mehr nehmen!
Umständehalber verließ ich das Land und kam in die Großstadt zur Zeit, als wiederum die Existenzfrage: »Bist du auch immer brav gewesen?« im Raum stand.
Ein zirka achtjähriger Robespierre forderte mich, den Neuling vom Land, auf:
»Und? Gehst mit, am Nikolo an Bart anzünden?«
Mir wurde schwindlig. »Einem Nikolaus den Bart anzünden«? Was heißt da »einem«? Es gibt doch nur den Nikolaus. Den heiligen St. Nikolaus! Und ihm den Bart anzünden? – Ein ungeheures Vorhaben! Vor kurzem noch vom Krampus gejagt, frisch einem noch feuchten Bett entwichen, überrollte mich die Frage des Großstadtrevolutionärs aufs Neue. Sie wirkte jetzt eine Spur gleichgültiger.
»Oiso, was is? Gehst jetza mit oder net?«
»Sowieso!«, hörte ich mich antworten. Mein Herz war in der Unterhose angelangt.
Kurz darauf standen wir schon vor unserer »Bastille«, der Türken-/Ecke Schellingstraße. Hundert bis zweihundert Kinder, bis an die Zähne mit Latten, Stöcken, Zwisteln und Steinen bewaffnet, harrten vor dem Portal des Studentenschnelldienstes der Nikoläuse.
Schon kam einer heraus. Aus allen Kehlen erscholl ein Pfuiii, ein Pfeifkonzert, kreischendes Hohngelächter. Ein Gewitter von Wurfgeschossen entlud sich in Richtung Nikolaus, welcher unwürdig behende auf einem Fahrrad das Weite suchte.
Ein neuer Schnelldienstheiliger wurde auf die Straße gespuckt, um Tradition zu verbreiten.
»Da is scho wieder oana!«, jauchzten die jungen Revoluzzer im Kampfesrausch. »Den machma fertig!«, schrien sie.
Mein Genosse und Animator reichte mir feierlich sein Sturmfeuerzeug. »Jetzt zündma eam an Bart o! Mia gebm da Rückendeckung!«
Fest entschlossen, meine jahrelange Demütigung mit einem Bartbrand zu rächen, laufe ich mit weichen Knien über die Straße, das Sturmfeuerzeug wie eine Fackel erhoben haltend. Schlachtengesänge wie »Nikolo, scheiß ins Klo!« tragen mich vor das entsetzte Gesicht des heiligen Mannes. Wieder verdunkelt sich der Himmel vor lauter Zaunlatten und Haken, Pfeilen … Wasserbomben … Eiern – es herrscht Krieg. Der Nikolaus duckt sich, macht zwei, drei schnelle Schritte und verschwindet in der Sicherheit des nahen Gemüseladens … Wumm! Ktschschk! Duiiiing! Das Schaufenster birst, ein Volltreffer! Johlen! Der Nikolaus liegt auf dem Boden, umgeben von Glas. Ein Splitter hat sein Gesicht verletzt. Rotes Blut tropft auf seinen weißen Bart. Er reißt ihn sich vom Kinn und drückt ihn auf die Wunde. Ich sehe ein junges Gesicht voller Panik.
Jetzt rollt, nach überwundener Schrecksekunde, der Gemüsehändler mit seiner enormen Wampe auf den Nikolaus zu und bespeit ihn mit einem Potpourri von Unflätigkeiten, worin er dem Wort »Drecksau« eindeutig den Vorzug gibt. Der Nikolaus entwindet sich dem Griff des Fetten und flieht aus dem Laden. Zum Glück trifft ihn sein eigener, wie ein Speer nachgeschleuderter Krummstab nicht mehr.
Das Kinderheer auf der anderen Straßenseite aber hat sich blitzschnell aufgelöst. Und ich, ich stehe da, den blutleeren Daumen auf dem Sturmfeuerzeug.
Dann geh ich heim als Sieger. Sieger einer Revolution, deren Errungenschaften unumkehrbar sind!
PS: Sachzwänge nötigen mich seit Jahren am sechsten Dezember in ein eindrucksvolles, stilechtes Nikolausgewand. Ich versuche, ein fairer, aufgeschlossener, geschenkbereiter, psychologisch hieb- und stichfester Heiliger zu sein. Nur wenn ich frage: »Bist du auch immer brav gewesen?«, beschleicht mich so ein Gefühl …
Trotzdem. Schwamm drüber! Im nächsten Jahr bin ich schon wieder voll ausgebucht.
WEIHNACHTEN STEHT VOR DER TÜR
Aus dem Leberkäse quillt der Käse wie ein Eiter
Der Kevin mamft ihn runter und spricht heiter
Was gut ist, das ist gut, dafür hab ich ein Gespür
Und Weihnachten steht schon vor der Tür
Der Gerichtsvollzieher harrt ratlos vor des Hauses Tor
Hätt gern noch mal vollzogen
Jedoch die Schuldnerbrust ist ausgeflogen
Der Vollzieher ist unzufrieden
Denn ab morgen dreut der Weihnachtsfrieden
Ein Schlumpf auf einem Schlitten hat einen Fusel mitgebracht
Mit viel Prozent aus der Destille
Heilig Abend, der wird stille
Nach langer Abstinenz
Grausig war die Insolvenz
Manche Rechnung bleibt noch offen
Doch das neue Jahr lässt hoffen
In dieser sternehagelvollen Nacht grölt leis ein Chor
Auch unser Kevin tritt hervor
Dulce dulce jubilo
Frieden auf Erd
Und kein Inkasso nirgendwo
SANKT NIKOLAUS
Straße in einer Trabantenstadt – Häuserflucht. Ein Auto kommt zügig angefahren, Vollbremsung. Ein zweites Auto muss ebenfalls scharf bremsen. Allmähliche Staubildung. Ein gestürzter Nikolaus sammelt auf der Straße seine Utensilien zusammen.
FAHRER DES I. WAGENS zum Fenster raus Herrgottsakrament, du Klätzn, kost du net aufpassn?! Geh weida, schleich di mit dein Graffe, du Huastnguatl, du windigs!
FRAU aus dem 1. Wagen raus, kaum zu sehen Aso laaft ma ja aa net auf da Straßn umanand, des is ja verkehrswidrig!
Der Nikolaus gibt sich sichtlich Mühe, seine Sachen schnell und unbürokratisch von der Fahrbahn zu transportieren.