cover

 

 

Töchter der Triaden

Teil 2

 

Abgezockt

Asien-Trilogie

 

 

 

Hef Buthe

 

Image

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-028-2

MOBI ISBN 978-3-95865-029-9

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

Kurzinhalt

Der Anwalt Perkin, immer noch in den Fängen zweier verfeindeter Triaden, bekommt einen vermeintlich leichten Auftrag: die Asche eines verstorbenen Mitarbeiters ins Kloster KOYASAN, in den Bergen von OSAKA zu überführen. Doch der Auftrag nimmt gefährliche Dimensionen an. Perkin wird beschattet, von einem Doppelgänger verfolgt, das Kloster ist eingeschneit und wahrlich kein Ort der Besinnung …

 

Es kommt zu einer Begegnung, die Perkin an seinem Verstand zweifeln lässt. Will ihn jemand in den Wahnsinn treiben?

1 Aufbruch – Singapur

„Wie ist er gestorben?“

Siu setzte sich auf die Hollywoodschaukel.

„Außergewöhnlich. Ti Wu, deine Köchin, hat ihn gefunden. Er lag in seinem Kräuterbeet, ist einfach mit über achtzig Jahren eingeschlafen, was in deiner Familie eher selten zu sein scheint. Oder irre ich mich?“

Nein. Sie irrte sich nicht. In meiner Familie war seit zehn Jahren niemand eines natürlichen Todes gestorben. Alle waren einem Kampf zweier Triaden zum Opfer gefallen. Das Pikante daran war, dass ich inzwischen beiden Bruderschaften angehörte. Alpha, der Fürst der Triade „Grüner Drache“, war inzwischen verstorben. Seine Erbin Siu hatte mir ihr Milliardenvermögen zur Verwaltung überlassen. Sie war Ärztin im Central Hospital, Singapur. Etwas anderes interessierte sie nicht. Geld war für sie ein Störfaktor. Es war da, und damit hatte es sich. Die sich daraus ergebenden Probleme hatte sie mir aufgeladen.

„Der Mönch hat etwas hinterlassen.“ Siu reichte mir einen versiegelten Umschlag. „Mehr hatte er nicht. Seine Kleider haben wir verbrannt. Das war es. Wir sollten jetzt wissen, was er verfügt hat. Denn länger als 48 Stunden dürfen wir die Leiche nicht aufbewahren. Dann muss sie verbrannt werden und einen Ort haben, wo sie beigesetzt werden will -. ich meine wollte.“

Ich wog den Umschlag in der Hand, der mit einem Siegel verschlossen war. Siu zog die Beine auf die Schaukel und schwang leicht hin und her.

Der Abend draußen im Garten war warm und feucht, wie immer. In Singapur gab es keine Jahreszeiten. Hier mergelte einen die Luftfeuchtigkeit aus, die zwar für eine feuchte Haut sorgte und damit Cremes und Salben ersparte, aber durch die ständigen Warm-Kalt-Duschen des Drinnen-Draußen der Klimaanlagen den Körper in einen permanenten Stresszustand versetzte. Es war für einen Fremden ermüdend, hier zu leben. Und für mich war der Tod des Mönchs kein „einfach so Dahinscheiden“. Seit ich denken konnte, war er ein Bestandteil der Familie Perkin gewesen. Ein weiser und eigenwilliger Mensch, von dem ich viel gelernt hatte, was das Leben anbetraf, aber ich wusste sehr wenig von ihm. Er hatte selten über sich gesprochen, im Gewächshaus gelebt, seine Vögel geliebt, seine Kräuter und sonstige Pflanzen gezogen und alle auf dem Markt in Chinatown und an die Apotheken verkauft. Dabei war er nicht ganz ohne Tricks gewesen, was die Steigerung seines Tagesumsatzes anbetraf.

 

Der achtzig Zentimeter messende Clown ChiChi, ein Produkt des chinesischen Staatszirkus, Zauberer und Spieler der Extraklasse, kroch zu mir auf die Liege. Er war Sius Halbbruder. Beide hatten den verstorbenen Triadenboss Alpha als Vater. An Siu war für mich als Mann nicht heranzukommen. Sie mochte mich aus irgendeinem Grund nicht. Sie sah mich als ihren Vermögensverwalter, wohnte hier, aß mit uns und das war es. Dafür hatte mich der Clown als seinen Freund erkoren.

„Hab’ schon gehört“, murmelte er. „Der Mönch ist tot. Was machen wir jetzt mit den Vögeln?“

„Das, was man mit Vögeln macht. Freilassen“, seufzte Siu.

„Schwesterchen, du hast keine Ahnung vom Vögeln, ähm, ich meine von Vögeln. Der Mönch hat sie an Touristen für fünf Dollar verkauft, damit sie die Viecher freilassen können. Die Käufer hatten ein Erfolgserlebnis und nach fünf Minuten waren die Tiere wieder in ihren Käfigen, um sich noch ein paar Mal verkaufen zu lassen. Die kann man nicht einfach fliegen lassen. Die kommen immer wieder in ihren Käfig zurück. Und wer kümmert sich dann um sie? Sie sind Lebewesen.“

Siu winkte ab. „Dann kümmert sich die Küche darum. Ich habe einen Toten, den ich loswerden muss. Perkin, mach endlich den Umschlag auf. Ich bin müde.“

Ich riss das Siegel auf.

„Ihr seid doch alles Ignoranten“, knurrte der Clown. „Keine Tierliebe. Und wer keine hat, der kann auch keine Menschen lieben.“

Der Umschlag enthielt ein weiteres Couvert, das an den Abt des Klosters Koyasan adressiert war und ein offenes Schreiben an „die Familie Perkin“. Es war das Testament des Mönchs, in dem er alles genau festgelegt hatte. Bestätigt war sein Letzter Wille von meinem Vater, der vor zehn Jahren bei einem Anschlag ums Leben gekommen war. Siu las und atmete tief durch. „Dann kann ich seinen Leichnam morgen wenigstens zur Einäscherung freigeben. Er transportiert sich so auch leichter. Brüderchen“, sie reichte dem Clown das Testament, „Du organisierst den Transport der Urne, damit du hier nicht zu fett wirst und dich nur noch von Vögeln ernährst. Wie viele sind das eigentlich?“

ChiChi zuckte mit den Schultern. „Hundert. Vielleicht auch mehr. Aber sie kehren alle in ihren Käfig zurück.“

„Ja, wie wir alle irgendwohin zurückkehren müssen.“ Siu schüttelte den Kopf. „Wir sprechen beim Frühstück darüber. Aber die Idee mit den wiederkommenden Vögeln ist gut.“ Siu hauchte mir einen Kuss auf die Wange.

Es war das erste Mal, dass sie sich mir körperlich näherte. Meine bisherigen Annäherungsversuche hatte sie im Ansatz abgewürgt. Ich tat es damit ab, dass sie als ehemalige Leibärztin des in Südchina residierenden Triadenfürsten Dr. Stanley Ho die Sünden ihres Vaters Alpha aushalten musste, und momentan nicht das geringste Interesse am anderen Geschlecht hatte.

„Vielleicht ist mir dein Käfig noch nicht sympathisch genug.“ Sie fuhr mir durchs Haar. „Also streng dich an.“

„Ich fasse es nicht“, murmelte der Clown. „Meine Schwester scheint dich zu mögen. Ihr solltet heiraten. Dann seid ihr mit ihren Milliarden das reichste Paar in Singapur.“ Der Clown lutschte am Daumen und zog die Stirn in Falten. „Na ja, dann ist für mich vielleicht auch mal was drin. Familie und so. Ich hätte da schon eine Frau, die mir gefällt. Sie ist zwar zwanzig Zentimeter größer als ich, aber ... sie kommt auch aus dem Zirkus. Und letztendlich kommt es auf die inneren Werte an. Oder, was meinst du?“

„Ach ja“, lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Milliarden zu haben, bedeutet nicht, dass man sie hat. Das Geld ist irgendwo gebunden. Fest angelegt in Immobilien, Beteiligungen und was es sonst noch so gibt. Du kannst nur über das Geld verfügen, wenn du es beleihst. Und das kostet wieder Geld.“

Der Clown wog den Kopf hin und her. „Aber Helen und du habt doch eure Provision, um Sius Vermögen namhaft zu machen, von dreihundert Millionen in bar kassiert. Also habt ihr doch Bargeld. Oder?“

Ja, wir hatten von Siu 300 Millionen bekommen, die ich mit Helen geteilt hatte. Aber, das war nicht mein Problem. Das bestand darin, dass es mir nicht gelang, eine Familie zu gründen und ein normales Leben zu führen.

„Warum bringst du deine zwanzig Zentimeter größere Freundin nicht mal mit?“

ChiChi blies die Backen auf und ließ die Luft über vibrierende Lippen entweichen. „Mit was soll ich ihr denn imponieren? Dass ich in der Hütte eines verstorbenen Mönchs lebe, die in einem Gewächshaus steht? Oder, dass meine Halbschwester Milliardärin ist, die sich selbst nur verwalten lässt? Das klingt alles nicht sehr sexy. Ich dachte, dass du da mehr Erfahrung hast. Der Mönch war da besser.“

Ja, der Mönch, mit bürgerlichem Namen Cho Li, war in vielem besser gewesen. Und im Testament hatte er darauf bestanden, dass ihn ein Perkin in seiner Heimat beisetzen musste. Und die war das Kloster Koyasan, auf dem Berg Koya in Japan. Das Kloster, in dem auch Alpha seine letzte Ruhe gefunden hatte. Es war das Zentrum der Shingon Sekte.

„Die Wohnung meiner Eltern ist frei, nachdem du Xantia und meinen Fahrer in die Luft gesprengt hast. Reicht das als Imponiergehabe?“

Der Clown wedelte mit dem Finger. „Nein, nein. Es ist nie geklärt worden, wer die Explosion ausgelöst hat. July hatte auch ein Handy meiner Schwester Siu. Beide konnten die Explosion auslösen.“

Das stimmte. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren auch bald eingestellt. Wer Xantia letztendlich getötet hatte, interessierte niemand mehr. Nicht einmal ihr Vater Stanley Ho hatte irgendwelche Vorwürfe erhoben. Er schwieg einfach. Für ihn hatte sich ein Problem in Rauch aufgelöst.

„Du meinst ...?“, kam mir eine Idee.

„Ich meine überhaupt nichts“, wehrte der Clown ab. „Ich weiß, dass Ho an alle seine Leute solch ein Handy verteilt hat. Damit können mindestens tausend Leute Xantia angerufen und die Explosion ausgelöst haben. Also Schluss mit deinen Selbstvorwürfen. Ho hat das geschickt eingefädelt, und er wird sich auch weiterhin etwas einfallen lassen, um seine Gegner aus dem Feld zu räumen.“ ChiChi quälte sich mit seinen kurzen Beinen von der Liege. „Ho wird dich nicht aus seinen Klauen lassen. Jetzt, nachdem ihm Siu finanziell ebenbürtig ist, schon dreimal nicht.“ Der kleine Mann streckte sich und gähnte. „Du hast mir mal versprochen, einen Zirkus zu kaufen. Stehst du noch dazu?“

Ja, das hatte ich und ich nickte. Der Clown wackelte mit dem Kopf. „Dann habe ich ja etwas, mit dem ich meiner Freundin imponieren kann. Eine alte Wohnung kommt bei ihr nicht so gut an. Aber ein Zirkus auf Sentosa ... ich glaube, das würde ihr imponieren“, schnalzte er mit der Zunge.

Das war keine schlechte Idee. Auf der Singapur vorgelagerten Insel Sentosa, die über eine Seilbahn zu erreichen war, hatte die Verwaltung vor Jahren ein Vergnügungsviertel für Familien eingerichtet. Jedes Wochenende strömten hunderttausend Menschen in dieses künstliche Paradies, um ein paar Stunden Entspannung zu finden -. und einen Zirkus gab es dort noch nicht. „Wieviel soll er kosten?“

ChiChi grinste. Er hatte sich schon auf diese Frage vorbereitet. „Wenn wir die Vögel mitnehmen, die ja jeden Tag Geld bringen, einen Eis- und Popcornstand hinzunehmen, das Zelt, die Konzession, ein paar Tiere, und natürlich nur die besten Artisten.“ Er kratzte sich am Kopf und schwang mit dem Körper hin und her. „Fünf Millionen könnten reichen. Nur für den Anfang natürlich.“

„Für den Anfang, natürlich“, versuchte ich ein Grinsen. „Vergiss es. Wenn das nicht vom Staat subventioniert wird, brauchst du die gleiche Summe jedes Jahr als Zuschuss. Lass dir was anderes einfallen. Sieh zu, dass die Urne des Mönchs nach Osaka kommt. Das liegt dem Kloster am nächsten. Gute Nacht.“

Der Clown setzte sich wieder zu mir auf die Liege und kratzte sich am Kopf. „Alpha ist doch dort beigesetzt. Ich fliege mit. Ich möchte wissen, warum mein Erzeuger ausgerechnet in einem buddhistischen Kloster beigesetzt wurde.“

Der Zwerg fehlte mir noch. Das interessierte mich selbst und das, was in dem versiegelten Umschlag des Mönchs an den Abt war. Cho Li hatte viele Jahre viel im Haus mitbekommen. Warum dann ein verschlossener Umschlag?

„Das Kloster liegt über tausend Meter hoch und es liegen dort über fünfzig Zentimeter Schnee. Was willst du da mit deinen achtzig Zentimetern? Dir ständig die Eier im Schnee abfrieren?“, versuchte ich ihn davon abzuschrecken mitzukommen. „Das wird deiner Freundin nicht gefallen.“

ChiChi stand auf und knurrte etwas, das sich wie ein Fluch anhörte. „Na schön. Tiefgekühlte Eier sind wirklich nichts. Aber das ist auch nichts für dich.“ Er zog ein Papier aus der Jacke, das ich kurz überflog. „Woher kommt das?“ ChiChi zuckte mit den Schultern. „Hat Helen im Büro vorgefunden, und sie ist vorsichtshalber zu diesem deutschen Journalisten gezogen. Ich glaube Ho braucht dich ... und diesmal lässt er sich nicht wieder von dir aufs Kreuz legen.“

„In einer Woche ist Siu bei mir.“ Unterschrieben war es mit Blut. Es war nur ein blödes Blatt Papier, das keinerlei rechtliche Handhabe bot. Einfach nur ein Satz, eine Feststellung oder eine Einladung. Jeder Polizist oder Staatsanwalt würde das in die Kategorie der freundlichen Mitteilungen einordnen. Aber, es war mehr. Ho erklärte mir den Krieg, wenn Siu nicht zu ihm zurückkam.

„Wo willst du hin?“

„Das Geflügel des Mönchs füttern, bevor es im Topf landet“, knurrte der Clown, „Und mir etwas einfallen lassen, womit ich meiner Angebeteten noch imponieren kann, nachdem du so geizig bist. Vielleicht erregt es bei ihr Aufmerksamkeit, dass ich die Asche eines Mönchs verschwinden lassen kann. Oder ich zaubere ihr etwas. Einen zweiten Perkin, mit dem man reden kann. Oder eine weitere Leiche hier im Garten. Mal sehen. Mir fällt schon etwas ein.“ Der Clown trippelte Richtung Gewächshaus und drehte sich im Dunkel der Nacht kurz um. „Ich könnte ja auch mal wieder auf dich wetten. Fünf Millionen bist du mir wert. Lebend oder tot.“

„Und, auf was setzt du? Du sollst doch auf mich aufpassen“, rief ich ihm hinterher.

„Ich denke nicht mehr daran, mir wegen dir tief gefrorene Eier und einen kalten Arsch zu holen. Ich wette auf deinen Tod“, kam es zurück.

„Und, was macht dich da so sicher?“

Es folgte ein Lachen. Ein Lachen, das nur Künstler auf Kommando beherrschten, um das Publikum zu animieren. Es klang so abgrundtief echt und gleichzeitig doch so verschlagen, wie die Schönheit einer fleischfressenden Pflanze, wenn sie sich um ihre Beute schloss.

„Weil du dir mit Siu schon wieder eine Schlange angelacht hast. Wieder eine Shuairan, bei der du nie weißt, welches Ende giftiger ist. Gib Ho das, was er will und nimm dir, was du brauchst. Onkel Ho ist finanziell momentan nur etwas unpässlich. Die paar Milliarden meiner Schwester interessieren ihn nicht, und du kannst ihm damit auch nicht drohen. Er will dich und Siu. Überlege dir das.“

„Und wer setzt dagegen?“, rief ich ihm nach. Bekam aber keine Antwort.

 

 

Eine Woche später

 

„Wie siehst du denn wieder aus?“ Helen schüttelte den Kopf. „Wann merkst du dir mal, dass zu einem gestreiften Hemd keine karierte Krawatte passt? Zieh das Ding sofort aus. Das kann ich nicht ertragen, und sag mir nicht, dass du damit schon die ganze Zeit herumläufst.“

„Wie geht es dir? Ich wollte dir nur die Umschreibung des Mietvertrags für das Büro auf dich bringen“, lenkte ich ab. Die letzten Tage hatten mir gezeigt, welchen Schaden mir Ho zugefügt hatte. Alte Kunden boten mir einen Tee an und komplimentierten mich unter Vorgabe eines dringenden Termins hinaus. Ich war zwar reich, hatte aber in der Gesellschaft mein Gesicht verloren. So hatte ich mich anderweitig beschäftigt. Hatte an der Börse gepokert, und war somit nicht besser als mein Vater. Wenn schon kein Gesicht mehr, dann sollte es wenigstens der Neid der anderen sein, der mir Achtung verschaffte.

„Mir geht es gut“, versuchte Helen ein Lächeln. „Mir fehlt eine Lu, die alles im Griff hat. Aber danke, die Geschäfte laufen gut.“

„Und dein Zustand. Wie fühlst du dich?“

Helen faltete die Hände und beugt sich über den Schreibtisch, der mal meiner gewesen war. „Diese schwachsinnige Frage kann auch nur ein Mann stellen. Wie soll sich eine Frau fühlen, die nie wieder ein Kind bekommen kann? Würdest du jetzt bitte gehen? Ich habe zu tun. Kümmere dich um Sius Vermögen und dein eigenes Leben. Ho wird mir zu gefährlich. Und dich noch einmal zu betreuen, macht mir keinen Spaß mehr. Das wird mir zu heiß. Da bleibe ich lieber bei meinen kleinen Börsianern. Von denen hat jeder Hundescheiße durch Insidergeschäfte an den Schuhen.“

Ich verstand. „Schon gut. Ich belästige dich nicht mehr. Wenn du Hilfe brauchst ... du weißt ...“

Helen nickte. „Ich weiß, ich weiß. Danke für die Erinnerung. Hast du dir endlich eine Sicherheitsanlage einbauen lassen?“ Ich nickte stumm und schloss die Tür hinter mir. Harrys Bar, meine Stammkneipe, war auch kein Erfolg. Mein Stammplatz war besetzt und Jean, der Inhaber, nahm mich nicht zur Kenntnis. Die Gesellschaft war auf Distanz gegangen, hatte mich kollektiv schuldig gesprochen, mit den Triaden zusammenzuarbeiten. Ich war keiner mehr von irgendwem. Ein Anwalt, dem man nicht mehr trauen konnte, der draußen im Naturschutzgebiet lebte, und sich sein Gelände inzwischen zu einer Festung hatte ausbauen lassen. Drei Wachleute schoben vor den Monitoren Schichtdienst. Ich hatte einen neuen Fahrer, den mir der Commander als ehemaligen Polizisten empfohlen hatte. Und ich war diese Woche durch eben diese Insidergeschäfte und Sius Kapital um fünfzig Millionen reicher geworden. Nein, Siu war reicher geworden. Mein Anteil von zehn Prozent würde reichen, um ChiChi für seine Freundin sexy zu machen.

 

„Irgendwelche Vorkommnisse?“ Der Wachmann schloss das Tor hinter mir. „Nein, Sir. Wir sollten nur eine Liste haben, welche Lieferanten täglich kommen. Ihre Köchin weigert sich, uns die zu geben. Außerdem bekommen wir morgen Hunde, die nachts das Gelände zusätzlich sichern.“ Ich nickte. Langsam trieb mich Hos Sicherheits- und Überwachungswahn in die gleiche Richtung. Geld machte sicherer, aber nicht glücklich, wenn man es behalten wollte. Entweder gab man es für Ärzte, Anwälte oder für die eigene Sicherheit aus. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich es für alle Berufssparten brauchte.

„Wer ist momentan auf dem Gelände?“ Der Wachmann zückte seinen Block und leuchtete ihn mit der Lampe an. „Es fehlt niemand. Mrs. Siu ist im Pavillon. Mr. ChiChi im Glashaus und der Rest da, wohin er gehört. Fahren Sie heute noch einmal weg? Sonst kann ich das System scharf schalten.“

Das System scharf schalten. Wie sich das anhörte! Als befände ich mich mitten in einem Krieg. Hunde auf dem Gelände. Irgendwer kam bestimmt noch auf die Idee, meine Zäune zu verminen. Dann war es Zeit, dass ich mich mit einer Angel auf das Gelände nach Langkawi zurückzog.

 

Siu hatte das Handy auf der Brust liegen und schlief. Die Fackeln im Pavillon flackerten im Abendwind und beleuchteten sie wie eine Lotosblühte, die ihre Blätter für die Nacht geschlossen hatte. Ich zündete eine Zigarre an und streckte mich in meinem knarrenden Sessel aus.

Siu hob die Lider. „Hast du mal eine Zigarette für mich?“ Seit wann rauchte sie? Und eine Zigarette hatte ich auch nicht. „Schon gut“, winkte sie ab. „Ich habe heute in der Klinik gekündigt. Ich muss doch verrückt sein, noch Schichtdienst als Angestellte zu schieben. Ich habe gerade mit Helen telefoniert. Sie sagt, dass du nicht gut aussiehst. Und sie ist auch nicht damit glücklich, wie es ist.“ Sie richtete sich in der Liege auf. „Ich gehe zu Ho zurück. Dann ist wieder Ruhe. Helen und du könntet ja ein Kind adoptieren. Dann seid ihr doch noch eine Familie. Ihr gehört zusammen. Sie ist Europäerin, du bist kein ganzer Asiat und kein ganzer Europäer. Du musst dich entscheiden, wohin du gehörst. Mehr kann ich nicht für euch tun.“

Entscheiden, wohin ich gehörte. Die Entscheidungen hatten bisher immer andere für mich getroffen, ohne mich zu fragen. Und ich hatte es geschehen lassen. Jetzt musste Schluss damit sein.

„Was ist das?“, besah sich Siu den Umschlag. „Meine Entscheidung. Du besitzt jetzt zehn Prozent an der Stanley Ho Corporation. Du bist somit Mitteilhaberin an ihm und hast sofort fünfzig Millionen an seinem Börsengang verdient ... abzüglich meiner Provision. Wo ist ChiChi?“

Siu sah sich kopfschüttelnd den Aktiendepotstand an. „Wie hast du das gemacht, mal eben fünfzig Millionen zu verdienen?“

Das fragte man mich besser nicht. Es war weit außerhalb der Legalität und nur durch die Zusammenarbeit mit einem Börsenmakler zustande gekommen, der noch eine Rechnung bei mir offen hatte.

„Wozu gehöre ich beiden Bruderschaften an? Ich habe mit unseren beiden Vermögen gepokert und gewonnen. Wo ist ChiChi. Ich habe hier den Grundstein für seinen Zirkus.“

Siu schob die Augenbrauen zusammen. „Hat er dich auch für diesen Zirkus angepumpt?“ Ich nickte und spielte mit dem fünf Millionen Umschlag. „Vergiss es. Er hat mich gerade zu einer zwanzig Millionen Bürgschaft überredet. Und jetzt trainiert er die Vögel auf Hitchcock. Wenn sie fressen wollen, dann müssen sie es in seinen Kleidern und in seinem Mund finden. Der spinnt komplett. Das soll die Sensation werden. Oder steckt da eine Frau hinter?“

„Woher soll ich das wissen?“, schmunzelte ich. „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wie weit ist er mit der Überführung des Mönchs?“

Siu seufzte. „Du spielst in Zukunft nicht mehr mit meinem Vermögen, wenn das nicht vorher mit mir abgesprochen ist. Haben wir uns verstanden?“ Sie wartete meine Reaktion nicht ab. „Die Asche des Mönchs muss in den Zentralzoll nach Tokio. Da wird sie erst auf Seuchen untersucht. Und wenn sie freigegeben wird, dürfen wir sie dort abholen. Vorher geht bei den Japanern nichts. Die spinnen doch. Als würde Asche noch Viren oder Bakterien enthalten. Und, wie bringen wir die Urne nach Koyasan? Im Einkaufskorb? Wie sieht das denn aus? Das ist keine würdige Bestattung. Kannst du da nicht was machen?“ Siu schüttelte wieder den Kopf. „Männer spinnen doch alle. Trotzdem DANKE für ein paar Millionen mehr. Das lässt mich darüber nachdenken, ob ich Hos Aufforderung annehme. Hast du noch ein paar Tipps, wie ich ihn und seine Geschäfte übernehmen kann?“ Sie winkte mit dem Zeigefinger und ich verstand. Keine Geschäfte mehr ohne ihre Genehmigung.

Nein, ich hatte keine Tipps, wie man Ho überwinden konnte. Es war wie die Frage des Baches, wie viel Wasser er noch fließen lassen musste, um den Berg über ihm, der seinen Lauf zu Umwegen zwang, abzutragen. Es würde unendlich viel sein. Mehr, als eine Generation von Flüssigkeit imstande war zu transportieren.

„Wir werden Ho nur dadurch stoppen, indem er sich nicht und wir uns stattdessen vermehren. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht“, atmete ich tief durch. „Er kennt keine Grenzen. Und wenn es welche gibt, dann kauft er sich die Grenzposten, oder eliminiert sie. Ganz, wie es die Situation erfordert.“

Siu spielte mit den Lippen. „Du bist ja fast weise. Und was machen wir nun? Er will mich zurück, kann dich aber aus geschäftlichen Gründen nicht umlegen ... noch nicht.“

„Nein, das kann er noch nicht“, überlegte ich. „Es sind noch acht Monate, bis endgültig über die Spiellizenzen entschieden wird. Und du hältst dich da besser raus. Er wird eine andere Frau finden, der er zwischen die Beine greifen kann. Aber niemand in der Zeit, der ihm hilft, wenn es finanziell klemmt. Und es scheint bereits zu klemmen. Die Las-Vegas-Gruppe hat anscheinend mehr geboten, als er momentan flüssigmachen kann. Du bleibst hier. Ich fliege morgen nach Tokio, um den Mönch aus dem Zoll zu befreien, und ich muss July vor dem sicheren Tod bewahren.“

„Kommt nicht infrage“, murmelte Siu. „Hier bin ich inzwischen durch die ganzen Sicherheitsanlagen genauso gefangen, wie bei Ho. Es ist wohl sicherer, in deiner Nähe zu bleiben. Dein Wissen um Geschäfte scheint dich unangreifbarer zu machen als all mein Geld.“