Das Buch:
Für den Auftragsmörder John läuft alles schief. Er soll den König der Unterwelt umbringen, aber er tötet den falschen Mann. Fortan wird John verfolgt. Die Prostituierte Rosemarie O´Dowell bietet ihm Zuflucht. Gemeinsam ergründen die beiden, worum es bei Johns missglücktem Mordauftrag wirklich ging: Um sehr viel Geld. Sie machen sich auf die Suche danach, doch ein korrupter Polizist gibt dem Paar neue Rätsel auf … „Sind Sie ein Freund von Dick Tossek?“ ist eine Kriminalnovelle für Freunde des schwarzen Humors. Auftragsmörder John erzählt seine Geschichte als Ich-Erzähler. Die Leser werden direkt von John angesprochen, leiden und morden Seite an Seite mit ihm.
Der Autor:
Volker Bitzer wurde 1968 in Bremen geboren. Er lebt und arbeitet in Hamburg. Im Jahr 2011 erschien Bitzers erste Kriminalnovelle „Sind Sie ein Freund von Dick Tossek?“. Seit September 2014 liegt „Sind Sie ein Freund von Dick Tossek?“ in einer Neuauflage als E-Book im mainbook Verlag vor. Ende 2014 erscheint bei mainbook die Fortsetzung „Dick Tosseks Rache“ als Taschenbuch und E-Book. Weitere Veröffentlichungen: Kurzgeschichten „Das bunte Mädchen“ („Mordsmütter“, Anthologie) und „Der Schlaganfall“ („Die Letzte macht das Licht aus“, Anthologie).
ISBN 978-3-944124-50-6
Copyright © 2014 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Gerd Fischer
Cover: Tom Gahleitner
Weitere spannende Bücher finden Sie auf: www.mainbook.de und mainebook.de
Der Betriebsunfall
Inklusive Strom und fließend Wasser
Rosemarie O´Dowell
Eine Anleitung zum perfekten Sex
Ein Drink zu viel
Berufe ohne Zukunft
„Pack den Spaten ein, Schatz!“
Slembskis Geheimnis
Tennis im Regen
Ein Puzzle im Matsch
Nachwort
Natürlich war es besser zu lügen. Stellen Sie sich vor, ich hätte Harry Barusha die Wahrheit gesagt. Was wäre dann passiert? Vermutlich hätte er keine Sekunde gezögert und sofort geschossen. Harry hatte immer seine Achtunddreißiger dabei. Spaß verstand er auch nicht. Lügen war also die einzige Möglichkeit, lebend aus der Sache herauszukommen. Auf Harrys Frage, ob alles in Ordnung sei, antwortete ich einfach: „Ja.“ Ich gab mir Mühe, dabei möglichst überzeugend zu klingen. Kurz, verbindlich: „Ja.“
Obwohl man das als neutraler Beobachter der Szene bezweifeln durfte. Da war Blut, Blut, überall Blut. Und ich stand mittendrin. Die Ledersohlen meiner Schuhe hatten sich vollgesogen mit dieser roten Flüssigkeit. Es war heiß. Seit Wochen hatte es nicht geregnet. Ich schwitzte und stand in diesem Blut. Mein Arm war halb ausgestreckt. In meiner Hand war ein Messer. Die Klinge steckte in einem Mann, der mit weit aufgerissenen Augen leicht zu mir geneigt vor mir stand. Ich hielt ihn fest wie einen überdimensionalen Grillspieß.
„Ist er tot?“, fragte Harry. „Ja“, antwortete ich. Und dieses Mal musste ich nicht lügen. „Lass uns verschwinden“, sagte Harry. „Schnell.“
Wir wickelten den Toten in Folie ein. Die gleiche Folie, wie sie von Lagerarbeitern und Spediteuren benutzt wird, um auf Paletten gestapelte Waren festzuzurren. Sie müssen sich das wie eine Frischhaltefolie vorstellen. Es ging blitzschnell. Wir machten das nicht zum ersten Mal. Während ich den Grillspieß hielt, wickelte Harry ihn ein. „Los jetzt, in den Transporter mit ihm.“ Harry hatte es eilig.
Der Wagen war perfekt geparkt. Er stand direkt neben der großen Glasschiebewand, die das Gebäude auf der Südseite zur Terrasse hin begrenzte. Alles war ebenerdig. Wir mussten nur die Glasschiebewand und die Schiebetür des Transporters öffnen und den in Folie gewickelten Toten die sechs Meter von der Mitte des Raumes ins Auto tragen.
„Was ist mit dem ganzen Blut?“, fragte ich Harry.
„Das machen dieses Mal die Jungs. Nachher. Das Zimmer wird aussehen wie frisch renoviert, wenn sie fertig sind. Zieh deine Sachen aus und lass sie hier. Das Messer auch.“
Wir zogen die blauen Overalls an, die im Transporter lagen, und fuhren los. Wir sahen wie Arbeiter aus, die auf dem Weg zu einem Kunden waren. Ich fuhr. Raus aus der Stadt. Auf die Landstraße. Wir sprachen kein Wort.
Nach einer Weile, als sich die Anspannung gelegt hatte, ging mir die ganze Sache noch einmal durch den Kopf:
Während Harry das Schlafzimmer durchsucht, überrasche ich nebenan im Wohnraum Dick Tossek. „Überrasche“ ist wohl das richtige Wort. Denn Tossek hat nicht viel Zeit, sich auf die Situation einzustellen. Er steht in der Mitte des Raumes mit dem Rücken zur Tür, die das Schlafzimmer vom Wohnraum trennt. Als Harry im Schlafzimmer Krach macht, dreht Tossek sich um. Da bin ich schon durch die Tür, rufe: „Tossek, du Drecksau!“, und stoße ihm das Messer ins Herz.
Das Ganze dauert nur ein paar Sekunden.
Was dann passiert, dauert länger. Viel länger. Sehr viel länger als üblich. Tossek starrt mich an. Völlig erstaunt. Er sieht den Griff des Messers in meiner Hand und sein Blut. Es fließt unaufhörlich. Immer mehr. In Filmen sieht das immer einfach aus, wenn jemand erschossen oder erstochen wird. Da sieht man oft nur einen kleinen roten Fleck auf dem Hemd des Toten. Wenn überhaupt. Das müssen Sie nicht glauben. Es ist falsch. In Wirklichkeit sprudelt das Zeug nur so aus einem raus. Mich beeindruckt das allerdings nicht mehr. Ich mache diesen Job schon eine ganze Weile. Ich sage es Ihnen nur, damit Sie beim nächsten Film Bescheid wissen.
Was mich viel mehr beeindruckt, sind Tosseks letzte Worte, die er gurgelt. Es fällt ihm schwer und ehrlich gesagt, bin ich erstaunt, dass er überhaupt noch etwas sagen kann. Es ist auch nur ein Satz. Genauer gesagt sind es vier Worte. Aber diese vier Worte reichen aus, um mich bis heute nicht ruhig schlafen zu lassen. Sie versetzen mich in eine ähnliche Starre wie ihn.
Er sagt: „Ich bin Jim Slembski.“
Es gab für diesen Mann keinen Grund zu lügen. Es waren seine letzten Worte. Das wusste er. In diesem Augenblick, der eine Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen bei ihm hervorrief, sagte mir dieser sterbende Mann mit letzter Kraft die Wahrheit.
Das war ein Problem. Ein großes Problem. Denn wenn Dick Tossek nicht hinten tot im Transporter lag, hieß das, dass etwas schiefgelaufen war. Wer auch immer Jim Slembski war. Es spielte keine Rolle. Dick Tossek lebte. Das war ein Problem.
Oder sind Sie ein Freund von ihm?
Während wir weiter auf der Landstraße fuhren, dachte ich darüber nach, wann und wie ich Harry die Neuigkeit überbringen sollte. Harry war, um es vorsichtig auszudrücken, gelegentlich etwas impulsiv. Hätte ich ihm in dem Haus die Wahrheit gesagt, wäre er ausgerastet. Jetzt, eine ganze Weile später und mit einiger Entfernung von der Stadt, war das Risiko geringer.
Ich musste es ihm sagen. Ich brauchte jemanden, der mir beim Denken half. Und in seinen klaren Momenten konnte Harry ein wohlüberlegter Typ sein. Er mochte nur keine Überraschungen. Jedenfalls nicht in dieser Größenordnung. Dann war er nicht zu kontrollieren.
Ich versuchte also, mir die Worte gut zurecht zu legen, um Harry nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das aber geschah noch, bevor ich etwas sagen konnte. Wie von einem Schlag getroffen, flog Harry mit dem Kopf voran von der Beifahrerseite in meine Richtung.
Ich hatte den Schuss gar nicht gehört. Ein Schalldämpfer? Gut möglich. Auch den hinter uns fahrenden Geländewagen empfand ich bis dahin nicht als besorgniserregend. Wir waren auf dem Weg von der Stadt aufs Land. Da sieht man schon mal den einen oder anderen Geländewagen auf der Straße. Dachte ich. Aber dieser tauchte plötzlich rechts neben uns auf. Da war bereits alles zu spät.
Harrys Kopf knallte gegen meinen. Ich verriss das Lenkrad. Der Transporter war für solche Manöver nicht gebaut. Der Wagen brach nach links aus und wir überschlugen uns.
Ich war trotz Harrys ungewollter Kopfnuss hellwach und brauchte keine Sekunde, um zu realisieren, dass ich noch in einem Stück war. Von Harry konnte man das nicht sagen. Sein Kopf war von der Kugel zerschmettert und lag auf meinem Schoß.
In einer anderen Situation, mit einer quicklebendigen Frau, hätte das Ganze für mich eine gewisse erotische Note gehabt. Aber es war Harry. Und er war tot.
Der Transporter lag auf der linken Seite. Ich kletterte über Harry hinweg, stieß die Beifahrertür auf und sprang aus dem Wagen. Dann rannte ich los.
Wohin?
Das sage ich Ihnen nicht.
Ich bin doch nicht verrückt.
Ich bin eine ganze Weile gelaufen. Wie weit, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Aber ich spürte, wie mir der Schweiß den Rücken herunterlief und wie mir das Atmen schwerer fiel. Ich war fix und fertig. Die Strecke, die ich zurücklegte, war allerdings abwechslungsreich. Zunächst rettete ich mich in einen Wald. Danach kämpfte ich mich durch ein riesiges Maisfeld. Schließlich kam ich an einer Landstraße wieder heraus. Meilenweit lief ich darauf weiter.
Irgendwann fühlte ich mich sicher. Bis zu der einen Sekunde, zwischen dem harten Schlag auf meinen Hinterkopf und der Bewusstlosigkeit, in der ich dachte: „Scheiße!“