[1]
Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage
Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar
Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto
facultas.wuv · Wien
Wilhelm Fink · Paderborn
A. Francke Verlag · Tübingen
Haupt Verlag · Bern
Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn
Mohr Siebeck · Tübingen
Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden
Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel
Ferdinand Schöningh · Paderborn
Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart
UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München
Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol
vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich
Wirtschaftssoziologie
Eine Einführung
UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz
mit UVK/Lucius · München
[4]Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Dieses eBook ist zitierfähig. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Seitenangaben der Druckausgabe des Titels in den Text integriert wurden. Sie finden diese in eckigen Klammern dort, wo die jeweilige Druckseite beginnt. Die Position kann in Einzelfällen inmitten eines Wortes liegen, wenn der Seitenumbruch in der gedruckten Ausgabe ebenfalls genau an dieser Stelle liegt. Es handelt sich dabei nicht um einen Fehler.
© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014
Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Lektorat: Marit Borcherding, Göttingen
Satz und Layout: Claudia Wild, Konstanz
UVK Verlagsgesellschaft mbH
Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz
Tel.: 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98
www.uvk.de
UTB-Band Nr. 4128
ISBN(eBook) 978-3-8463-4128-5
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
[5]Inhalt
Vorwort
1 |
Einführung |
|
1.1 |
Was ist Wirtschaft? Gegenstandsbereiche |
|
|
1.1.1 |
Knappheit und Vorsorge |
|
1.1.2 |
Materielle Reproduktion der Gesellschaft |
1.2 |
Was ist Wirtschaftssoziologie? Selbstverständnisse |
|
|
1.2.1 |
Abarbeiten an der Volkswirtschaftslehre |
|
1.2.2 |
Amerikanische Arbeitsteilung |
|
1.2.3 |
Erneuerte Wirtschaftssoziologie |
1.3 |
Wie arbeitet Wirtschaftssoziologie? Werkzeuge |
|
|
1.3.1 |
Erklären durch Verstehen |
|
1.3.2 |
Erklären durch Gesetze |
|
1.3.3 |
Erklären durch Mechanismen |
|
1.3.4 |
Methoden in der Wirtschaftssoziologie |
|
1.3.5 |
Arbeiten mit Methoden |
1.4 |
Wozu Wirtschaftssoziologie? Erwartungen |
|
|
1.4.1 |
Konkurrierende Erklärungen zwecks Aufklärung |
|
1.4.2 |
Wirtschaftssoziologie als politische Wissenschaft |
|
1.4.3 |
Probleme mit Prognosen und unausweichlicher Ungewissheit |
2 |
Theoretische Grundlagen der Wirtschaftssoziologie |
|
2.1 |
Wie handeln ökonomische Akteure? Akteur- und Handlungstheorien |
|
|
2.1.1 |
Soziales Handeln |
|
2.1.2 |
Wirtschaftliches Handeln |
|
2.1.3 |
Rationales Handeln |
|
2.1.4 |
Akteurmodelle |
|
2.1.5 |
Akteure und Artefakte |
|
2.1.6 |
Arbeiten mit Akteurmodellen |
2.2 |
Was rahmt und regelt wirtschaftliches Handeln? Institutionentheorien |
|
|
2.2.1 |
Doppelte Kontingenz und Abstimmung der Akteure |
|
2.2.2 |
Individuell rationales Design von Institutionen |
|
2.2.3 |
Sozial interpretative Konstruktion von Institutionen |
|
[6]2.2.4 |
Institutionen und Organisationen |
|
2.2.5 |
Entstehung, Wandel und Funktionalität von Institutionen |
3 |
Grundlagen und Grundfiguren wirtschaftssoziologischen Denkens |
|
3.1 |
Ungewissheit und Koordination |
|
|
3.1.1 |
Akteur und Ungewissheit |
|
3.1.2 |
Soziale Kontexte und Koordination |
3.2 |
Einbettung und Entbettung |
|
|
3.2.1 |
Soziale Einbettung wirtschaftlichen Handelns |
|
3.2.2 |
Gesellschaftliche Entbettung der Wirtschaft und ihre Wiedereinbettung |
3.3 |
Performanz von Akteuren, Gütern und Märkten (Eva-Maria Walker) |
|
|
3.3.1 |
Performanz als Akt der Rahmung und Formatierung |
|
3.3.2 |
Steuerungsprobleme: die »Eigenwilligkeit« der Akteure und der Dinge |
3.4 |
Geld und Zahlung |
|
|
3.4.1 |
Geldwirtschaft und Geltung des Geldes |
|
3.4.2 |
Geldnexus, Kapitalismus und Ungleichheit |
|
3.4.3 |
Standardgeld und multikulturelle Gelder |
|
3.4.4 |
Medium der Knappheit, der Befriedung und der Gewalt |
3.5 |
Konkurrenz und Kooperation |
|
|
3.5.1 |
Konkurrenz auf Märkten und in Organisationen |
|
3.5.2 |
Konkurrenten als Kollaborateure |
|
3.5.3 |
Konkurrenz in der Gesellschaft |
4 |
Formen der Koordination in der Wirtschaft |
|
4.1 |
Unternehmen und Netzwerke |
|
|
4.1.1 |
Unternehmen und Unternehmer |
|
4.1.2 |
Netzwerke von Unternehmen |
4.2 |
Märkte und Preise |
|
|
4.2.1 |
Soziologie der Märkte |
|
4.2.2 |
Ungewissheit und soziale Stabilisierung |
|
4.2.3 |
Sozialstruktur, Macht und Preis |
|
4.2.4 |
Politische Konstrukte und soziale Konstrukteure |
[7]4.3 |
Arbeitsmärkte |
|
|
4.3.1 |
Arbeit und Markt |
|
4.3.2 |
Hierarchie, Netzwerk und Markt |
|
4.3.3 |
Interessen und Arbeitspolitik |
5 |
Wirtschaft und Gesellschaft |
|
5.1 |
Marktgesellschaft und Ökonomisierung |
|
|
5.1.1 |
Marktfreiheit und Marktutopie |
|
5.1.2 |
Marktvergesellschaftung |
|
5.1.3 |
Ökonomisierung |
5.2 |
Kapitalismus und Finanzmärkte |
|
|
5.2.1 |
Privateigentum, kapitalistischer Geist und Akkumulation |
|
5.2.2 |
Freie Lohnarbeit und kapitalistische Herrschaft |
|
5.2.3 |
Kapitalistische Vielfalt und Politik |
|
5.2.4 |
Finanzmarktkapitalismus als Steigerungsform |
|
5.2.5 |
Kapitalismuskritik |
Literaturverzeichnis
Sach- und Personenregister
[8]Abbildung 1: |
Haushalten und Erwerben nach Max Weber |
Abbildung 2: |
Knappheit, Reproduktion und Institution als Kern von »Wirtschaft« |
Abbildung 3: |
Das »1920er-Gebietskartell« von Soziologie und Volkswirtschaftslehre |
Abbildung 4: |
Handlungsorientierungen bei Max Weber |
Abbildung 5: |
Das Spielfeld menschlichen Handelns |
Abbildung 6: |
Wirtschaftliches Handeln nach Weber |
Abbildung 7: |
Institutionenökonomisches und wirtschaftssoziologisches Akteurmodell |
Abbildung 8: |
Stilisierter Vergleich von deterministischen und konstruktivistischen Institutionenkonzepten |
Abbildung 9: |
Sozialkonstruktivistisches Grundverständnis von Institution |
Abbildung 10: |
Handlungen koordinierende institutionelle Arrangements |
Abbildung 11: |
Unterscheidung und Einbettung der »Wirtschaft« und des »Ökonomischen« |
Abbildung 12: |
Unternehmen im Fokus von Markt, Netzwerk und Hierarchie |
Abbildung 13: |
Untereinbettung und Übereinbettung im Netzwerk |
Abbildung 14: |
Vielfache Organisationsformen von Arbeit |
Abbildung 15: |
Arbeitsbeziehung und Konventionen im Unternehmen |
Abbildung 16: |
Arbeitsmarkteffekte verschiedener herrschender Gruppen |
Abbildung 17: |
Woher kommt die Profitorientierung im Kapitalismus? Ein Vorschlag zur Systematisierung |
Abbildung 18: |
Konstitutive Elemente des modernen Kapitalismus |
Fall 1: |
Die soziologische Parabel eines Bankenkrachs |
Fall 2: |
Sinnbildung in der Federal Reserve |
Fall 3: |
Der Arbitragehandel von Banken aus Sicht der Finanzsoziologie |
Fall 4: |
Unsicherheit und Autonomieverlust in der Spätmoderne |
Fall 5: |
Selbstregulierung an der Chicagoer Warenterminbörse |
Fall 6: |
Entbettung der Wirtschaft zur Marktwirtschaft |
Fall 7: |
Die unsichtbar gemachte Dramaturgie der Preisbestimmung |
Fall 8: |
Geld sortieren |
Fall 9: |
Liberalisierung der Telekommunikation |
Fall 10: |
Tauschgeschäft und Investition, Beziehung und Bindung in der Bekleidungsindustrie |
Fall 11: |
Gewissheit der Preisbildung, Ungewissheit der Preise |
Fall 12: |
Cliquen auf Wertpapiermärkten |
Fall 13: |
Preis und Wert von Kindern |
Fall 14: |
Der revolutionäre Übergang zur Marktgesellschaft |
[9]Position 1: |
Eine pluralistisch integrative Wirtschaftssoziologie |
Position 2: |
Wirtschaftssoziologie als Gesellschaftstheorie |
Position 3: |
Kultur als Kerndifferenz der Handlungstheorie |
Position 4: |
Fiktive Waren und ihre Folgen |
Position 5: |
Einbettung als statisches, strukturalistisches Konzept |
Position 6: |
Landnahme, ursprüngliche Akkumulation und Gewalt |
Position 7: |
Die vergesellschaftende Wirkung des Wettbewerbs |
Position 8: |
Einheit der Marktwirtschaft oder Divergenz der Kapitalismen? |
Position 9: |
Die Absurdität und der Geist des Kapitalismus |
Position 10: |
Die Sozialstruktur des idealen kapitalistischen Vermögensmarktes |
Position 11: |
Finanzmärkte als effiziente Informationsmaschinen? |
Position 12: |
Der mächtige mechanisierte Kosmos des Kapitalismus |
Begriffe 1: |
Erleben, Verhalten, Handeln, Handlung |
Begriffe 2: |
Die Bestimmungsgründe sozialen Handelns bei Max Weber |
Begriffe 3: |
Wirtschaftliches Handeln |
Begriffe 4: |
Interpretative Rationalität |
Begriffe 5: |
Rationalität in theoretischer Perspektive |
Begriffe 6: |
Der Homo culturalis fordert den Homo oeconomicus heraus |
Begriffe 7: |
Eingelebter Glaube an die Rationalität des Alltags |
Begriffe 8: |
Einrahmen (framing), Entbettung und Überfließen |
Begriffe 9: |
Geld als Selbstreferenz des Wirtschaftssystems |
Begriffe 10: |
Unternehmen als Interessen-Organisation |
Begriffe 11: |
Das kapitalistische Unternehmen |
Begriffe 12: |
Ökonomische Koordinationsformen im stilisierten Vergleich |
Begriffe 13: |
Max Weber über den Markt |
Begriffe 14: |
Arbeitsmärkte |
Begriffe 15: |
Zwei gegensätzliche Typen der Kapital-Arbeit-Beziehung |
Begriffe 16: |
Marktvergesellschaftung und Ökonomisierung |
Begriffe 17: |
Moderner Kapitalismus |
Begriffe 18: |
Dichotomisch stilisierter Vergleich von liberalem und koordiniertem Kapitalismus |
Begriffe 19: |
Vier Konfigurationen des Kapitalismus |
Methoden 1: |
Erklären durch Verstehen |
Methoden 2: |
Erklären durch Annahmen über die Rationalhandlung |
Methoden 3: |
Pragmatisches Verstehen |
[10][11]Vorwort
Wirtschaftliche Phänomene, Prozesse und Probleme erfreuen sich in der Öffentlichkeit bereits seit Längerem einer beträchtlichen Aufmerksamkeit, sie gelten als politisch und lebenspraktisch besonders relevant. Auch die Soziologie wendet sich seit mehr als 20 Jahren verstärkt »der Wirtschaft« zu, die Zahl wirtschaftssoziologischer Veröffentlichungen wächst und wächst, zunächst im englischen Sprachraum, dann auch in Französisch und Deutsch. Zugleich kann die Wissenschaft auf eine lange Tradition zurückblicken, die bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht und bis heute wirkt.
Allerdings hatte die Soziologie zu dem, was man gemeinhin Wirtschaft nennt, ein widersprüchliches und wechselhaftes Verhältnis. In der deutschen soziologischen Einführungsliteratur der 1990er-Jahre findet sich oft nichts oder wenig zu den Themenbereichen Wirtschaft oder Wirtschaftssoziologie. Andererseits erschienen seitdem zahlreiche wirtschaftssoziologische Publikationen, etwa theoretische Analysen und empirische Untersuchungen über Auktionen, Börsen und Finanzmärkte, über Netzwerke von Unternehmen, von Managern und von Beschäftigten, über Industriedistrikte, regionale Ökonomien und globale Warenketten, über die Vielfalt der Kapitalismen, die Konkurrenz der kapitalistischen Systeme oder den neuen Geist des Kapitalismus im 21. Jahrhundert.
Blickt man weiter in die Vergangenheit, brachten vor allem die 1970er-Jahre viele soziologische Arbeiten zu wirtschaftlichen Themen hervor, die von der marxistischen Politischen Ökonomie inspiriert sind. Und wenn man eine »typisch soziologische« Bewegung macht und zu den Klassikern der Soziologie zurückgeht, erweist sich Wirtschaft als seit mehr als einem Jahrhundert selbstverständlicher Gegenstand der Soziologie. Zu den weiterhin aktuellen wirtschaftssoziologischen Klassikern gehören Karl Marx, Max Weber, Werner Sombart, Joseph Schumpeter oder Karl Polanyi, um nur einige zu nennen.
Mit ihren Forschungsergebnissen trägt die Wirtschaftssoziologie wesentlich zur Aufklärung über die Wirtschaft in der Gesellschaft bei. Sie belegen, dass auf Wirtschaft gerichtete Politik wirtschaftssoziologische Erkenntnisse benötigt, denn die Wirtschaftssoziologie liefert mithilfe soziologischer Denkweisen eigenständige Beschreibungen und Erklärungen der Wirtschaft. Das will dieses Buch belegen und zugleich zeigen, dass wirtschaftssoziologisch angelegte Konzepte die besseren Ansätze sind. Besonders gilt dies für die Phänomene, die als Kern der Wirtschaft gelten, etwa Märkte, Preise und Geld.
Wirtschaftssoziologie beschäftigt sich heute beispielsweise mit der großen Diversität wirtschaftlichen Handelns; seinen unterschiedlichen Rationalitäten und spezifischen Praktiken; mit der Frage, wie Akteure mit der ungeheuren Ungewissheit, vor der sie stehen, fertig werden; was individuelles Handeln wechselseitig koordiniert; wie [12]Märkte hergestellt, gestaltet und stabilisiert werden; wie Unternehmen Aktivitäten auf Märkten und in Netzwerken kombinieren; warum Geld gilt und was die sozialen Grundlagen der Geldwirtschaft sind; wie Geld und Gewalt zusammenhängen; wie voraussetzungsvoll die Konstruktion eines gemeinsamen Güterverständnisses auf einem Markt ist; wie Preise und Profit von sozialen Konstellationen abhängen; wie sich wirtschaftliche Konkurrenz und Kooperation miteinander verschränken; was wirtschaftliche Institutionen wie Haftungsrecht oder Arbeitsmärkte entstehen, bestehen und sich wandeln lässt und nicht zuletzt wie sich Marktwirtschaften und Kapitalismen in der Gesellschaft entwickeln und wie sie darauf zurückwirken.
Zu den weiteren Feldern wirtschaftssoziologischer Forschung zählen beispielsweise Interesse und Macht, Klassen und Kapital, Unternehmensstruktur und Unternehmenskontrolle, Staat, Verbände und (Wirtschafts-)Politik, Eigentum und Recht, Gender, Ethnien und Migration, Globalisierung und Wirtschaftskulturen sowie Haushalte und Konsum.
Wirtschaftssoziologie im doppelten Sinne des Wortes zu studieren ist also nicht nur gesellschaftlich und politisch relevant, sondern auch interessant. Dieses Buch will der Leserin eine in mehrfacher Hinsicht besondere Beschäftigung mit wirtschaftssoziologischen Themen anbieten (die weibliche Form verwendet der Text als mit der männlichen synonym).
Zunächst erfordern der endliche Raum des Buches und die begrenzte Zeit der Leserin ein exemplarisches Vorgehen. Diese Einführung konzentriert sich deshalb zum einen auf die theoretischen und konzeptionellen Grundlagen der Wirtschaftssoziologie. Zum anderen greift sie besonders relevante wirtschaftssoziologische Felder und Themen auf, die sie vertieft behandelt. Vollständigkeit beansprucht sie also nicht.
Das Buch verfolgt dezidiert einen offenen und pluralistischen Ansatz, der zu einer eigenständigen Auseinandersetzung anregt. Für jemanden, der sich sozialwissenschaftliche Denkweisen aneignen oder sie anwenden will, ist das ein absolutes Muss. Wissenschaftlicher Pluralismus ist ein Grundmerkmal der Sozialwissenschaften. Auch für jemanden, der über angemessene Beschreibungen und mögliche Lösungen wirtschaftlicher Probleme nachdenken will, ist es unumgänglich, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und ihre Leistungsfähigkeit zu prüfen. Ganz abgesehen davon verbürgt die Multiperspektivität in Theorien, Modellen und Methoden die Freiheit des wissenschaftlichen und politischen Denkens. Und schließlich macht das Selbst-Denken in Vielfalt auch mehr Spaß als das Nach-Denken in Einfalt.
Diese Überlegungen schlagen sich zum einen in der Vielfalt der hier präsentierten Programmatiken und Positionen nieder. Der Rahmen dieses Buches bedingt, dass es die paradigmatische, theoretische und thematische Breite nur exemplarisch verdeutlichen und nicht vollständig vortragen kann.
Zum anderen soll die Form der Präsentation die selbstständige Leserin motivieren und unterstützen. Die Einführung versteht sich insofern auch als Studienbuch. Der wichtigste Punkt betrifft die wissenschaftliche Literatur: Es gibt differenzierte Lektürevorschläge[13] für jeden größeren Abschnitt sowie häufige und genaue Referenzen im Text, die ein eigenständiges Nachprüfen und Vertiefen durch die Leserin erlauben und sie so weniger vom Autor des Buches abhängig machen. Weiter legt das Buch Wert darauf, Positionen – auch in längeren Passagen – wörtlich zu zitieren, um damit im kleinen Rahmen Originalbegegnungen mit wirtschaftssoziologisch einschlägigen Autorinnen zu arrangieren. Um diesen Einstieg zu erleichtern, sind alle umfangreicheren Zitate in Deutsch wiedergegeben; ein Studium der Wirtschaftssoziologie verlangt allerdings gute Englischkenntnisse.
Die Leserin findet im Übrigen immer wieder Einladungen zu »Denk-Pausen«, die sie anregen, über wirtschaftssoziologische Probleme und eigene Antworten auf Fragen nachzudenken. Auch die aus dem Fließtext herausgehobenen Elemente mit den Überschriften »Begriffe«, »Methoden«, »Abbildung«, »Fall« und »Position« motivieren zu Selbststudium und Reflexion. Sie werden durch »►« hervorgehoben; »>« kennzeichnet die zahlreichen Querverweise auf andere Kapitel oder Abschnitte.
Als Lehrbuchautor sehe ich mich einerseits zu Pluralismus und einer gewissen Distanznahme verpflichtet. Andererseits – und dies sei vorab vermerkt, auch wenn es sich im Laufe der Lektüre sicher erschließt – soll klar erkennbar sein, dass ich als Wissenschaftler eher Positionen einer verstehend vorgehenden Soziologie, die Sinn-orientierte Akteurperspektiven in ihren handlungstheoretischen Zugängen – beides im Plural zu verwenden! – ernst nimmt und konsequent konstruktivistischen Denkweisen nahesteht. Das Buch bewilligt ihnen deshalb gelegentlich mehr Raum und Resonanz als anderen. Meine Offenheit gegenüber Alternativen belegt, hoffentlich, die Gesamtdarstellung im Buch. Mir scheint, dass die Wirtschaftssoziologie insbesondere das Potenzial in den Werken von Karl Marx und Max Weber bisher nicht hinreichend aufgearbeitet hat.
Im Übrigen kann ich zwar nachvollziehen, dass manche auf eine Einheit der Sozialwissenschaften etwa in Form einer gemeinsamen Handlungstheorie von Soziologie und Wirtschaftswissenschaften hinarbeiten wollen. Allein, mir fehlt die Einsicht, welchen Nutzen dies haben soll. Dagegen erscheint es mir fruchtbarer, mit einer begrenzten Vielfalt von theoretischen Ansätzen zu arbeiten, weil erst sie analytische und pragmatische Perspektivenwechsel ermöglicht.
Nicht zuletzt enttäuscht mich der eher funktionalistische und in politischer Hinsicht optimistische Grundton, der heute in vielen Bereichen der Wirtschaftssoziologie herrscht. An seiner Stelle wünsche ich mir eine auch distanzierte, politische und kritische Wirtschaftssoziologie, eine öffentliche Wirtschaftssoziologie, eine public economic sociology.
Medien, Politik und Wirtschaft schreiben den Wirtschaftswissenschaften und insbesondere der Volkswirtschaftslehre meist ein Alleinvertretungsrecht für die Analyse, Erklärung und Prognose wirtschaftlicher Erscheinungen zu. Die Besetzung von Beiräten in der Politik oder von Talkrunden in den Medien möge dies illustrieren. Wissenschaftsintern herrschen vor allem in der Volkswirtschaftslehre der Alleinvertretungsanspruch[14] samt dem faktischen Monopol der institutionenökonomisch erweiterten neoklassischen Orthodoxie – ein paradoxer Zustand für eine Disziplin, die in ihrer Theorie Markt, Wettbewerb und das freie Spiel der Kräfte über alles stellt.
Dieses politisch-wissenschaftliche Doppelmonopol mindert massiv die Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Aufklärung und daran anschließender politischer und gesellschaftlicher Optionen und Gestaltungschancen. Es fordert und fördert den Ökonomismus in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Eine selbstbewusste und leistungsfähige Wirtschaftssoziologie kann dem in allen einschlägigen Feldern eine ernsthafte wissenschaftliche Alternative entgegensetzen – mit einer Ausnahme, dem engeren Bereich der Makroökonomik. Das kann alternative Politiken freisetzen, zunächst mental, später auch material.
Neben ihrer Kernaufgabe, der Weiterentwicklung und Vertiefung der soziologischen Denkweise für das ökonomische Feld, liegt eine Doppelaufgabe für die Wirtschaftssoziologie darin, das angedeutete ökonomistische Monopol sowohl in der Wissenschaft als auch in Öffentlichkeit und Politik zu brechen. Durch eine kritisch reflektierende und zu selbstständigem Denken ermutigende Einführung in die Wirtschaftssoziologie möchte dieses Werk in aller Bescheidenheit ein wenig dazu beitragen.
Wesentlich zu dessen Zustandekommen beigetragen hat meine Mitarbeiterin Eva-Maria Walker, die nicht nur einen wichtigen Textteil zu diesem Buch beigetragen hat, sondern der auch ich zahlreiche kompetente und kritische Kommentare sowie höchst hilfreiche Hinweise verdanke. Für die unermüdliche Begleitung des Gesamtprozesses möchte ich ihr deshalb sehr herzlich danken. Ohne die sorgfältige Lektüre und das präzise professionelle Korrekturlesen von Gabi Schulte hätte der Text nicht die Form, die man erwarten kann; auch ihr meinen ganz herzlichen Dank. Nicht zuletzt möchte ich kollektiv allen, die in der langen, immer wieder unterbrochenen Schreibphase auf professionelle oder persönliche Zuwendung verzichten mussten, meine große Dankbarkeit für ihre Geduld aussprechen.