Die Idee zu diesem Buch verdanke ich einem beiläufigen Gespräch in der Küche. Laurence Rees war nach Manchester gekommen, um mit mir über das Konzept der späteren Fernsehserie Auschwitz. The Nazis and the »Final Solution« zu sprechen – die dritte Serie, an der wir zusammen arbeiteten –, und während wir darauf warteten, dass das Wasser im Kessel zu kochen begann, erwähnte Laurence, dass er, wenn er Historiker wäre, ein Buch über das Jahr 1941 schreiben würde, das nach seiner Ansicht folgenreichste Jahr der modernen Geschichte. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Aber es war offensichtlich, dass die tief greifenden Ereignisse von 1941–vor allem der deutsche Überfall auf die Sowjetunion (der den raschen Abstieg in den umfassenden Völkermord an den Juden auslöste), der japanische Angriff auf Pearl Harbor und der Eintritt der Vereinigten Staaten in den europäischen Krieg – die logische Folge einer Reihe von grundlegenden Entscheidungen waren, die sich aus Hitlers erstaunlichem Sieg in Westeuropa im Frühjahr 1940 ergeben hatten. In meinem Kopf nahm eine Studie der miteinander verknüpften Schlüsselentscheidungen der Führer der Großmächte in den außergewöhnlichen Monaten zwischen Mai 1940 und Dezember 1941 vage Gestalt an. Mein erster Dank gilt daher Laurence Rees für die Anregung zu diesem Buch.
Wie gewöhnlich sind im Lauf der Zeit zahlreiche Dankesverpflichtungen hinzugekommen, denen ich an dieser Stelle nur ungenügend nachkommen kann. Es ist jedoch unerlässlich, die Leverhume Foundation herauszuheben, der ich für ihre Großzügigkeit erneut tiefen Dank schulde. Ein großer Teil des Buchs wurde im letzten Jahr eines überaus großzügigen Stipendiums geschrieben, das mich von allen universitären Verpflichtungen befreite.
Die Orientierung auf dem mir weniger vertrauten Gebiet, auf das ich mich bei der Recherche und beim Schreiben begeben musste, wurde mir dadurch erleichtert, dass ich mich auf das Fachwissen von Kollegen stützen konnte. Großen Dank schulde ich David Reynolds, der sehr nützliche Anmerkungen zum Manuskript machte und mir mit seinem profunden Wissen über Churchill und die britisch-amerikanischen Beziehungen half. Patrick Higgins ließ mich freundlicherweise seinen unveröffentlichten Aufsatz über R. A. Butler lesen und machte wertvolle Anmerkungen zur Maikrise von 1940. MacGregor Knox beantwortete, über seine ausgezeichnete Studie über das faschistische Italien hinaus, nicht nur Detailfragen zu den italienischen Streitkräften, sondern stellte mir auch großzügig Fotokopien der unveröffentlichten Briefe und Tagebücher Mario Roattas zur Verfügung. In Bezug auf Stalin und die Sowjetunion waren mir der verstorbene Derek Watson (insbesondere), Robert Davies, Robert Service, Moshe Lewin und in Moskau Sergej Slutsch eine große Hilfe. Patrick Renshaw, Richard Carwardine und Hugh Wilford beantworteten Fragen über die Abläufe in der Regierung Roosevelt. In Tokio eruierten Maurice Jenkins und Iwama Owako von mir benötigtes Material. Nützlichen Rat erhielt ich auch von Ken Ishida sowie, in größerer Nähe, von Sue Townsend und Gordon Daniels. Auf vertrauterem Gebiet half mir Otto Dov Kulka in Jerusalem wie stets mit wertvollen Einsichten in Bezug auf das grauenhafte Thema der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung der Juden weiter. Außerdem profitierte ich von einem Gespräch über die Herausbildung der »Endlösung« mit dem jungen französischen Historiker Édouard Husson, dessen ausgezeichnete Arbeit sicherlich bald breiteren Kreisen bekannt werden wird. Erhellende Gespräche konnte ich während eines Aufenthalts in Freiburg auch mit Gerhard Schreiber, Jürgen Förster und Manfred Kehrig führen. Allen diesen Kollegen und Freunden bin ich zu Dank verpflichtet. Selbstverständlich sind sie in keiner Weise für etwaige Fehler oder Irrtümer in der vorliegenden Studie verantwortlich.
Ein Teil des zweiten Kapitels ist bereits in der Festschrift für Jeremy Noakes (Nazism, War and Genocide) erschienen, und ich danke deren Herausgeber, Neil Gregor, und der University of Exeter Press für die Erlaubnis, ihn hier abdrucken zu dürfen.
Bei den Kapiteln über die Sowjetunion, Japan und in gewissem Maß auch Italien (bei dem Latein und Französisch im Allgemeinen weiterhalfen, aber natürlich kein Detailverständnis ermöglichten) bildete die Sprachbarriere ein enormes Hindernis. Deshalb bin ich meinen guten Freunden Constantine Brancovan (der unter großem Zeitdruck stand) und Christopher Joyce überaus dankbar dafür, dass sie sich bereiterklärten, mir auszuhelfen und wichtige Dokumente aus dem Russischen zu übersetzen. Gleiches gilt für Darren Ashmore, der japanische Texte übersetzte, und Anna Ferrarese, die im Eiltempo einige italienische Quellen ins Englische übertrug.
Die Mitarbeiter der Bibliothek der Universität von Sheffield, insbesondere der Fernleihe, bearbeiteten meine zahlreichen Anfragen freundlich und effizient wie immer. Hilfreiche Unterstützung erfuhr ich auch im Public Record Office (jetzt National Archives), in der British Library und der Bibliothek der London School of Economics, im Churchill Centre in Cambridge, im Borthwick Insitute in York, in der Bibliothek der Universität von Birmingham, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, im Bundesarchiv/Militärarchiv in Freiburg und im Institut für Zeitgeschichte in München.
Danken möchte ich ferner meinen Kollegen, den akademischen wie den administrativen, an der ausgezeichneten historischen Fakultät der Universität von Sheffield für ihre anhaltende kollegiale Unterstützung. Ein großes Vergnügen ist es mir insbesondere, meiner langjährigen Sekretärin Beverley Eaton erneut meinen Dank auszudrücken. Sie war mir eine große Hilfe sowohl bei der Suche nach obskuren und entlegenen Texten als auch bei einer Reihe anderer, potenziell höchst zeitraubender Aufgaben, die sie mit legendärer Freundlichkeit und Effizienz (wenn auch nicht immer legendärer Geduld) erledigte. Außerdem nahm sie mir die aufwändige Arbeit ab, die Liste der zitierten Werke zusammenzustellen.
Meinem Agenten, dem bemerkenswerten Andrew Wylie, danke ich für seine beständige Unterstützung und seinen wertvollen Rat. Ein Dank geht auch an das wunderbare Team bei Penguin, sowohl in London als auch in New York, das es zu etwas Besonderem macht, unter diesem Verlagssignet zu veröffentlichen. Cecilia Mackay danke ich für die Suche nach den Illustrationen. Und meine Lektoren Simon Winder in London und Scott Moyers in New York seien stellvertretend genannt für all diejenigen, die am Herstellungsprozess dieses Buchs beteiligt waren; sie verdienen es, für ihre beständige Ermutigung wie ihre scharfe, aufmerksame Kritik besonders hervorgehoben zu werden.
Zum Schluss möchte ich wie immer meiner Familie danken. Ohne sie hätte das Verfassen historischer Bücher für mich keinen Wert. Also geht mein tief empfundener Dank – und natürlich meine Liebe – für alles, was sie tun und getan haben, um mir bei meiner Arbeit zu helfen, vor allem aber dafür, dass sie mich ständig daran erinnern, was wirklich wichtig ist, an Betty, an David, Katie, Joe und Ella und an Stephen, Becky und Sophie.
Ian Kershaw
Manchester/Sheffield, November 2006
Es hätte alles anders kommen können. Die britische Regierung hätte im Mai 1940 einen Verhandlungsfrieden mit Hitler anstreben können. Die deutsche Führung hätte ihre Offensive, anstatt auf die Sowjetunion, aufs Mittelmeer und auf Nordafrika konzentrieren können. Japan hätte sich aus dem Chaos in China zurückziehen und den riskanten Südvorstoß unterlassen können. Mussolini hätte die Ereignisse abwarten können, bevor er darüber entschied, ob es sich lohnte, sein Land in den Krieg zu führen, und auf jeden Fall hätte er das Fiasko in Griechenland vermeiden können. Roosevelt hätte sich auf die Seite der Isolationisten schlagen und den politischen Risiken ausweichen können, welche die Hilfe für Großbritannien und sein Kurs in Richtung Kriegsteilnahme mit sich brachten. Stalin hätte die zahlreichen Warnungen ernst nehmen und sein Land besser auf den deutschen Angriff vorbereiten können. Die Japaner hätten die Sowjetunion von Osten angreifen können, als die Deutschen im Westen noch vorrückten. Hitler hätte die Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten, einen Gegner, von dem er nicht wusste, wie er ihn besiegen konnte, unterlassen können.
Theoretisch waren dies alternative Optionen. Jede einzelne von ihnen hätte den Gang der Geschichte ändern können. Auf dieser Grundlage ließen sich viele »Was-wäre-wenn«-Szenarien vorstellen, doch das wäre eine sinnlose Ablenkung von der eigentlichen Frage, was geschehen ist und warum. In den Kapiteln dieses Buchs ist für jeden einzelnen Fall gezeigt worden, warum diese Alternativen ausgeschlossen wurden. Zu den realistischeren Annahmen gehört die Möglichkeit, dass Großbritannien im Frühjahr 1940 Friedensfühler ausgestreckt hätte. Angesichts der militärischen Katastrophe in Frankreich, der bekannten Bereitschaft einiger führender Vertreter der britischen politischen Führung – einschließlich des Außenministers Lord Halifax -, eine solche Lösung in Erwägung zu ziehen, und der damals noch relativ schwachen Stellung des neuen Premierministers Winston Churchill war diese Option nicht von vornherein unvorstellbar. Als aber nach einer dreitägigen Diskussion im Kriegskabinett der Entschluss gefasst wurde, weiterzukämpfen, geschah dies auf der Grundlage fundierter Argumente, die vor allem von Churchill vertreten, aber in Form einer kollektiven Entscheidung von allen Beteiligten, auch von Halifax, akzeptiert worden waren.
Am anderen Ende des Spektrums hatten bei Hitlers Entscheidung, die Sowjetunion anzugreifen, und bei der japanischen Entscheidung, in Südostasien zu expandieren, Alternativen kaum eine Chance, angenommen zu werden – oder auch nur Gehör zu finden. Hitler hatte nahezu zwanzig Jahre lang einen zu gegebener Zeit zu führenden Krieg gegen die Sowjetunion als unerlässlich für die Zukunft Deutschlands betrachtet. Dies war sein Krieg. Er wäre gern mit britischer Unterstützung oder wenigstens Duldung in die entscheidende Auseinandersetzung gegangen. Wie die Dinge lagen, musste er jedoch mit der anhaltenden britischen Feindschaft rechnen. Seine Entschlossenheit, den Krieg im Osten zu führen, und zwar in absehbarer Zukunft, ließ deshalb nicht nach; sie verstärkte sich vielmehr. Denn 1940/41 verschmolz seine ideologische Fixierung mit militärischen und strategischen Überlegungen zur Entscheidung für den Angriff. Jahrelang hatte er die Notwendigkeit der sofortigen Expansion damit begründet, dass die Zeit gegen Deutschland arbeite. Jetzt konnte er dieses Argument mit besonderem Nachdruck vorbringen. Denn ab 1942 würden die amerikanischen Waffen und Ressourcen aufseiten Großbritanniens zunehmend ins Gewicht fallen. Um dies zu verhindern, fehlten ihm weiterhin die Mittel. Unterdessen sah er in Mittel- und Osteuropa eine künftige sowjetische Bedrohung der deutschen Vormachtstellung entstehen (was die Äußerungen Molotows während dessen Berlinbesuch im November 1940, wie er meinte, bestätigt hatten).
Die Argumente einiger hoher Militärs, die Nordafrika und dem Mittelmeerraum Vorrang einräumen wollten, vermochten Hitler nicht zu überzeugen. Ohnehin hatten innerhalb des NS-Regimes Alternativen zur Strategie des »Führers« von vornherein kaum eine Chance. Von Hitlers Standpunkt aus wurde ihm die Entscheidung für den Angriff auf die Sowjetunion – ein Unternehmen, das er aus ideologischen Gründen wollte – strategisch aufgezwungen. Er musste im Osten den Sieg erringen, bevor Stalin seine Verteidigung aufbauen konnte und die Amerikaner in den Krieg eintraten. Ein schneller Triumph in der Sowjetunion war der Weg zum vollständigen Sieg, da er Großbritannien zur Kapitulation nötigen, die Vereinigten Staaten aus dem Krieg heraushalten und einem künftigen sowjetischen Anspruch auf Vorherrschaft in Mitteleuropa und auf dem Balkan den Boden entziehen würde.
Die japanische Entscheidung für den Südvorstoß war ähnlich unflexibel getroffen worden und zudem mit ähnlicher Starrheit hinsichtlich des Krieges in China gepaart. Aus japanischer Perspektive gab es keine realistische Alternative. Ein Rückzug aus dem chinesischen Schlamassel erschien als nationale Demütigung, und je nachdrücklicher Washington auf seinen Forderungen in Bezug auf China beharrte, desto verfahrener wurde die Situation. Darüber hinaus hatte die Vorstellung, dass die Großmachtstellung Japans durch Expansion gesichert und durch weitere Gebietserwerbungen eine dauerhafte Basis seiner Vorherrschaft in Ostasien geschaffen werden müsse, die gesamte Führungsspitze, insbesondere Heer und Marine, durchdrungen und wurde von einer manipulierten, erregten Mehrheit der Öffentlichkeit unterstützt. Auch von dieser Position konnte man nicht abrücken. Die Expansion nach Südostasien musste zur Konfrontation nicht nur mit Großbritannien, sondern auch, was noch wichtiger war, mit den Vereinigten Staaten führen. Die extreme Abhängigkeit Japans von amerikanischen Rohstoffen, insbesondere Erdöl, erhöhte das Risiko erheblich. Doch ohne das Erdöl aus Niederländisch-Indien als Ersatz für das amerikanische war die ökonomische Selbstversorgung, die als wesentlich für die Großmachtstellung angesehen wurde, niemals zu erreichen. Japan würde auf prekäre Weise immer von den Vereinigten Staaten abhängig bleiben. Deshalb erhob keine Gruppe der Machtelite Einspruch gegen die Auffassung, dass der Krieg in Europa nach dem deutschen Sieg über Frankreich eine »goldene Gelegenheit« darstelle. Die japanische Regierung entschied sich, trotz der damit verbundenen Gefahren, kollektiv für die imperialistische Expansion nach Süden.
Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion bot sich für einen kurzen Augenblick die Expansion nach Norden gegen den russischen Erzfeind als alternative Option an. Doch auch in diesem Fall wäre der Südvorstoß nur für gewisse Zeit aufgeschoben worden. Nachdem die Alternative abgelehnt worden war, weil man einen Angriff nach Norden für verfrüht hielt und man sich seines Nutzens nicht sicher war, wurde der Südvorstoß erneut bestätigt. Die treibenden Kräfte waren dabei das Heer und die Marine. Danach war ein Zusammenstoß mit den Vereinigten Staaten unvermeidlich. Obwohl sich die japanische Führung bewusst war, dass solch ein Zusammenstoß, wenn man keinen schnellen Sieg errang, höchstwahrscheinlich mit einer Katastrophe enden würde, erlaubte die Sorge um das eigene Ansehen kein Nachgeben, weder beim Südvorstoß noch in China. Damit war der Weg nicht nur nach Pearl Harbor, sondern auch nach Hiroschima und Nagasaki beschritten.
Dass sowohl Deutschland als auch Japan bereit waren, derart gewaltige Risiken auf sich zu nehmen, hatte seinen Grund letztlich in der Vorstellung der maßgeblichen Kreise beider Länder, dass eine Expansion unerlässlich sei, um ein Kolonialreich zu gewinnen und die Stellung einer vermeintlichen »Habenichtsnation« zu überwinden. Die imperialistische Vorherrschaft Großbritanniens und die Weltmachtposition der Vereinigten Staaten (auch wenn sie formal nicht über ein Kolonialreich verfügten) stellten eine große Herausforderung dar. Die Notwendigkeit, sich der wirtschaftlichen Ungleichheit, insbesondere der zunehmenden materiellen Stärke der Vereinigten Staaten, die sich auf Dauer nur zu Ungunsten der »Habenichtse« auswirken konnte, mit aller Kraft entgegenzustemmen, bedeutete, dass der Kampf um Hegemonie als Grundlage nationaler Macht nicht hinausgezögert werden durfte. Das war im Wesentlichen die von Deutschland und Japan akzeptierte Rechtfertigung für ein derart riskantes Unternehmen, das selbst die nationale Existenz gefährden konnte. Die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands auf dem europäischen Kontinent und Japans in Südostasien hätte, wie amerikanische Analytiker erkannten, die Weltmachtstellung der Vereinigten Staaten untergraben. Das erwartete man sicherlich auch in Berlin und Tokio. Aus der Perspektive der deutschen und japanischen Führung musste man das Risiko eingehen.
In ähnlicher, wenngleich weniger grandioser Weise lag Mussolinis Ambitionen ein imperialer Traum zugrunde. Auch er war entschlossen, den Status einer »Habenichtsnation« zu überwinden. Die schicksalhaften Entscheidungen von 1940 waren von dieser Auffassung geprägt. Im Sommer 1940, als der endgültige Sieg Deutschlands unmittelbar bevorzustehen schien, ließ sich die Führungsschicht Italiens (einschließlich des Königs), trotz einiger Bedenken, von Mussolinis Kampfgeist anstecken. Die vermeintlichen Vorteile eines Eintritts in einen scheinbar bereits gewonnenen Krieg überwogen das Risiko, dass Italien in einen Krieg verwickelt würde, auf den es nicht vorbereitet war. Hinsichtlich der folgenschweren Entscheidung, Griechenland anzugreifen, waren die Eliten geteilter Meinung. Die Militärführung war zwar skeptisch, äußerte aber ihre Einwände allenfalls gedämpft. Mussolini konnte mit der Willfährigkeit des Militärs rechnen. Von Außenminister Ciano angetrieben, sah er den Balkan im Allgemeinen und Griechenland im Besonderen als eine Chance, ein italienisches Imperium zu schaffen – und Hitler zu zeigen, dass er nicht gewillt war, nur in seinem Fahrwasser zu schwimmen. Auch hier spielte das Prestige beim Gang in die Katastrophe eine Rolle. Die Entscheidung für den Angriff auf Griechenland wurde letztlich von dem seit langem bestehenden italienischen Ehrgeiz getragen, eine imperialistische Großmacht zu werden.
Stalins Optionen wurden durch seine eigene verblüffende Fehleinschätzung der deutschen Absichten erheblich eingeschränkt. Aufgrund seiner unumstrittenen Führungsrolle im Sowjetregime waren seine Fehlurteile systemimmanent. Sein paranoider Argwohn, seit langem ein wesentliches Element seiner Herrschaft, hatte zur Folge, dass er fundierten Informationen misstraute, während er paradoxerweise (da sie seine subjektiven Ansichten bestätigten) deutschen Desinformationen aufsaß. Zudem wurde er in dem Klima von Furcht und Misstrauen, das sein Regime durchzog, von denjenigen, die für die Sichtung der hereinkommenden Informationen verantwortlich waren, mit verzerrten Einschätzungen versorgt – nicht zuletzt deshalb, weil diese Funktionäre ihrerseits Opfer der ideologischen Annahme waren, dass die westlichen Demokratien einen Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion entfachen wollten, ein Gedanke, in dem sie durch die erfolgreiche deutsche Desinformationskampagne bestärkt worden waren. Stalins Überzeugung, dass einem deutschen Angriff auf jeden Fall ein Ultimatum mit gravierenden Forderungen – vielleicht nach einem neuen »Brest-Litowsk« – vorausgehen werde und dass er die Zeit gewinnen könne, die für den Wiederaufbau der Roten Armee (die er selbst durch die brutalen »Säuberungen« der vorangegangenen Jahre erheblich geschwächt hatte) nötig war, verleitete ihn dazu, alle Warnungen in den Wind zu schlagen und seine von zunehmender Sorge erfüllten Militärberater abzukanzeln. Diese wiederum waren sich, laut ihren nach dem Krieg erschienenen Rechtfertigungsschriften, sicher, dass Stalin selbst auf die Gefahr hin, Deutschland zu provozieren, und trotz des noch nicht abgeschlossenen Rüstungsprogramms, die sowjetische Verteidigung hätte mobilisieren können, sodass sie einem Angriff gewachsen gewesen wäre. Aber auch das strategische Denken der sowjetischen Militärführung, auf das sich Stalin stützte, war mangelhaft. Wären die Verteidigungskräfte nicht an der Grenze konzentriert, sondern tiefer gestaffelt aufgestellt worden, wäre die schnelle Zerschlagung der Frontverbände durch den deutschen Angriff vermieden worden und die Grundlage für einen organisierten Gegenangriff vorhanden gewesen. Auf diese Weise wäre der anfängliche riesige Durchbruch der Wehrmacht verhindert worden. Aber die sowjetische Militärstrategie beruhte seit langem auf dem Prinzip, dass die Offensive die beste Form der Verteidigung sei. Zusammen mit Stalins ruinösen Fehleinschätzungen führte dies zum Debakel des 22. Juni 1941.
Auch Roosevelts Optionen erscheinen in der Theorie weit unbeschränkter, als sie in Wirklichkeit waren. Bereits in den späten dreißiger Jahren, als die deutsche und japanische Aggressivität den Weltfrieden – und amerikanische Interessen – bedrohte, war seine frühere Neigung zum Isolationismus in der Außenpolitik schwächer geworden. Allerdings musste er auf die Einstellung im Land und noch viel mehr im Kongress Rücksicht nehmen. Die isolationistische Minderheit machte sich schrill und lautstark bemerkbar. Aber sie hatte keine Anhänger in der Regierung. Unter den Präsidentenberatern gab es solche, die kämpferischer und solche, die vorsichtiger waren, aber sie alle waren sich darin einig, dass die amerikanischen Streitkräfte rasch aufgerüstet und ausgebaut werden mussten. Bald wurde auch weithin anerkannt, dass es – in Amerikas eigenem Interesse – notwendig sei, die britische Kriegsanstrengung zu unterstützen und gegenüber der japanischen Aggression im Fernen Osten eine feste Haltung einzunehmen. Unter diesen Voraussetzungen waren der Zerstörerhandel, das Leih- und Pachtgesetz, die Atlantikcharta, der »unerklärte Krieg« im Atlantik und Cordell Hulls unnachgiebige »Zehn Punkte« – die in Japan als Ultimatum verstanden wurden – logische Schritte, die der Stoßrichtung der amerikanischen Politik entsprachen. Im Herbst 1941 war abzusehen, dass die USA in naher Zukunft, ob nun nach förmlichen Kriegserklärungen oder ohne sie, sowohl gegen Japan als auch gegen Deutschland Krieg führen würden.
Nachdem Japan Roosevelt die Entscheidung, ob er das Risiko einer Kongressabstimmung über eine Kriegserklärung eingehen sollte, abgenommen hatte, war es unwahrscheinlich, dass die offene Konfrontation mit Deutschland – das Washington weiterhin als die größere Bedrohung betrachtete – lange auf sich warten lassen würde. Wiederum wurde Roosevelt die schwierige Wahl zwischen politischen Taktiken abgenommen, diesmal durch Hitlers schnelle Entscheidung, den Vereinigten Staaten den Krieg zu erklären. Dabei handelte es sich keineswegs um eine impulsive irrationale Reaktion. Vielmehr war sie, von Hitlers Standpunkt aus gesehen, durchaus logisch. Amerika war in seinen Augen seit langem ein Widersacher, mit dem sich Deutschland eines Tages würde auseinandersetzen müssen. Im Herbst 1941 waren seine Wahlmöglichkeiten auf die Frage zusammengeschmolzen, wann er die Feindseligkeiten eröffnen sollte, und Pearl Harbor gab ihm, wie ihm schien, eine einmalige Gelegenheit. Nachdem kurz zuvor die Bindungen zu einem scheinbar unbezwingbaren Verbündeten bekräftigt worden waren, konnte er nun mit vermeintlicher Sicherheit das Unvermeidliche vorwegnehmen und den Krieg erklären, um im Atlantik das Blatt zu wenden, solange die Vereinigten Staaten im Pazifik alle Hände voll zu tun hatten.
In den Monaten zuvor hatte Hitler den Auftrag für die »Endlösung der Judenfrage« gegeben. Nachdem sich der Krieg ausgeweitet hatte, ohne dass die Aussicht auf einen baldigen deutschen Sieg bestand, hatte dieses Ziel als unvermeidliches Ergebnis einer eskalierenden Verfolgung mit zunehmend genozidalem Charakter zunehmende Priorität erhalten. Der jüdischen Tragödie lag die – am fanatischsten von Hitler vertretene – fixe Idee der Nationalsozialisten zugrunde, dass die Juden »entfernt« werden müssten, um die deutsche Nation zu »säubern« und den Weg zu einer »rassereinen« neuen Ordnung in Europa zu ebnen, welche die jahrhundertealte Vorherrschaft der jüdisch-christlichen Werte und Glaubensvorstellungen überwinden würde. In diesem Zusammenhang ging es 1941 nur noch um Methoden und Tatorte. Die Alternativen waren zu diesem Zeitpunkt auf die Techniken und Organisationsformen des Massenmords zusammengeschrumpft.
Dass die hier untersuchten schicksalhaften Entscheidungen ausfielen, wie sie es taten, war weder vorbestimmt noch zwangsläufig. Aber es spiegelte die Art des politischen Systems wider, in dem sie getroffen wurden. Die faschistisch-autoritären Systeme trafen die dynamischsten, aber auch katastrophalsten Entscheidungen. Sowohl in Deutschland als auch in Italien waren stark personale Herrschaftsformen errichtet worden, in denen die Entscheidungsbefugnis bei allmächtigen Führern lag, die sich auf die Unterstützung – oder wenigstens gehorsame Einwilligung – aller führenden Kreise verlassen konnten. Ihre Machtstellung stützte sich außerdem auf die plebiszitäre Akklamation durch Massen, die durch unablässige Propaganda und rücksichtslose Unterdrückung abweichender Meinungen künstlich zusammengeführt und manipuliert wurden. In diesen Systemen konnten die Führer nach eigenem Gutdünken Ratschläge annehmen oder nicht. Das Recht, Entscheidungen zu fällen – auf das allein sie Anspruch zu haben glaubten –, behielten sie sich jedenfalls vor. Die Regierenden besaßen ein außergewöhnliches Maß an Freiheit – die allerdings mit einem ebenso außergewöhnlichen Risiko behaftet war, nämlich der ständigen Möglichkeit von schwer wiegenden Fehlentscheidungen.
Hitlers Handlungsspielraum wurde nach seinem Machtantritt im Jahr 1933 immer weniger von institutionellen Zwängen eingeschränkt. Bei Kriegsausbruch war seine Herrschaft so gut wie absolut. Nicht einmal Reste eines kollektiven Entscheidungsgremiums waren geblieben. Das Kabinett trat nicht mehr zusammen. Die Streitkräfte unterstanden Hitlers direktem Befehl. Alle wesentlichen Behörden des Regimes, vor allem der Unterdrückungsapparat, wurden von treuen Anhängern geleitet. Sogar jene Kreise, die Hitlers Weltanschauung nicht vollständig teilten, unterstützten Expansion, Eroberung und deutsche Vorherrschaft in Europa auf Kosten brutal unterdrückter Völker insbesondere im Osten. Sie hatten Hitlers Triumphe gefeiert, vor allem den bemerkenswerten Sieg über Frankreich im Jahr 1940. Trotz aller Bedenken, die sie insgeheim gehabt haben mochten, waren sie nicht in der Lage, gegen die in Hitlers Gedankenwelt logische Ausweitung dieses Glücksspiels Einspruch zu erheben: den Krieg zunächst gegen die Sowjetunion und dann gegen die Vereinigten Staaten.
Mussolinis Stellung war dem italienischen System gemäß weniger stark als diejenige Hitlers, und die Streitkräfte waren (was sich 1943 als entscheidend erweisen sollte) letztlich nicht ihm, sondern dem König verpflichtet. Gleichwohl war seine Führungsrolle unumstritten. Er kontrollierte alle wichtigen Ministerien. Die Partei sorgte für Loyalität ihm gegenüber und war das Hauptinstrument des »Duce«-Kults, der, ähnlich wie der Führerkult in Deutschland, mit dazu beigetragen hatte, eine persönliche Machtstellung zu schaffen, durch die eine willkürliche Entscheidungsfindung im faschistischen System strukturell verankert wurde. Mussolinis schicksalhafte Entscheidungen, zunächst in den Krieg einzutreten und dann mit völlig unzulänglichen Mitteln Griechenland anzugreifen, waren ebenso wie die Entscheidungen Hitlers, mit denen er am Ende enormes Leid und Blutvergießen über das deutsche Volk – und die Welt – brachte, sowohl freie Entschlüsse allmächtiger Einzelner als auch systemimmanent vorprogrammierte Katastrophen.
Das japanische System hatte viele Ähnlichkeiten mit den Regimes des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus. Aber es gab auch wichtige Unterschiede. In Japan war es unmöglich, dass ein Einzelner willkürliche Entscheidungen traf. Tatsächlich war das japanische von den sechs hier untersuchten Systemen in vieler Hinsicht die am deutlichsten kollektive Regierungsform. Der Kaiser war zwar nicht nur eine Galionsfigur, besaß aber keine diktatorische Macht oder Weisungsbefugnisse, die ihn in die Lage versetzt hätte, seinem Land Entscheidungen aufzuzwingen. Die kaiserliche Majestät wurde lediglich als letztes Mittel zur Sicherung des Konsenses ins Spiel gebracht, und nicht um eine Konfrontation mit der Regierung oder sogar mit dem Militär heraufzubeschwören. Die Achillesferse des Systems war in der Tat die Stellung des Militärs. Laut Verfassung direkt dem Kaiser unterstellt und nicht der Zivilregierung, genossen die Streitkräfte ein hohes Maß an Autonomie, die ihnen großen Einfluss auf die Politik verschaffte. Minister, die sich beim Militär unbeliebt machten, wurden bald entlassen – oder fielen einem Attentat zum Opfer. Der Ministerpräsident war daher genötigt, weitgehend auf Geheiß der in Heer und Marine vorherrschenden Kräfte zu handeln. Diese wiederum waren, und dies bildete eine Besonderheit des japanischen Systems, stark durch Auffassungen beeinflusst, die ihnen von den mittleren Rängen des Offizierskorps nahegebracht wurden.
In der Praxis hielt sich Druck von unten freilich im Rahmen fester ideologischer Parameter wie das Streben nach nationaler Größe durch Expansion, Eroberung und Kolonialherrschaft. Über die Strategie und die Taktiken, mit denen dieses Ziel erreicht werden sollte, konnten leidenschaftliche Debatten entbrennen. Das Ziel selbst war indessen unumstritten. Die kollektive Regierung war daher denselben starren Zwecken verpflichtet. Und wie bei Deutschland und Italien spielte bei wichtigen Entscheidungen das nationale Prestige eine bedeutende Rolle. Alles, was nach Gesichtsverlust aussah, stieß auf einhellige Ablehnung. Deshalb funktionierte die kollektive Entscheidungsfindung letztlich ähnlich wie die individuelle in Deutschland und Italien. Es gab eine immanente Neigung, sich eher auf ein höchst riskantes Glücksspiel einzulassen, als einen vermeintlich demütigenden Kompromiss zu schließen, der die zentralen ideologischen Ziele untergraben und, anstelle von nationaler Stärke, Schwäche signalisiert hätte.
Stalins Vabanquespiel aufgrund der Annahme, dass Hitler 1941 nicht angreifen würde, war von anderer Art. Aber auch in seiner gravierenden Fehleinschätzung spiegelte sich das Herrschaftssystem wider. Wie in Hitlers Deutschland war die Person des Herrschers eine Determinante des Systems selbst geworden. Terror und die sogenannten Säuberungen hatten bürokratische Stabilität und militärische Effektivität untergraben. Wie in Deutschland waren die Institutionen der kollektiven Regierung seit langem erodiert. Die wichtigste von ihnen, das Politbüro, war in den letzten Jahren immer seltener zusammengetreten, und wenn es tagte, war es nicht mehr als ein Machtinstrument Stalins. Selbst auf den höchsten Ebenen des Regimes herrschten Furcht, Einschüchterung und Speichelleckerei – mit der Folge, dass niemand Stalins Ansichten zu widersprechen wagte. Auch hier besaß der Diktator bei seinen Entscheidungen eine Autonomie, die selbst für autoritäre Regierungssysteme außergewöhnlich war.
Der Gegensatz zu den beiden demokratischen Systemen, denjenigen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, war augenfällig. In ihnen waren selbstherrliche irrationale Entscheidungen kaum möglich; vielmehr entschieden die Führungen auf der Grundlage von Ausarbeitungen eines eingespielten bürokratischen Regierungsapparates, die ihnen eine rational begründete Einschätzung der Risiken und Vorteile der vorhandenen Optionen ermöglichten. Gleichwohl gab es Unterschiede zwischen Großbritannien und den USA. Das britische Kriegskabinett vom Mai 1940 war ein durch und durch kollektives Organ, auch wenn seine Mitglieder nicht alle das gleiche politische Gewicht besaßen. Churchill konnte seine Ansichten mit dem Gewicht seines Amts als Premierminister vorbringen. Aber er war neu in dieser Position, und ihm schlug in dieser Phase von manchen Mitgliedern seiner eigenen Partei (deren Vorsitz er noch nicht innehatte) Skepsis, wenn nicht sogar offene Ablehnung entgegen. Er konnte die Politik nicht diktieren und musste die weiterhin herausragende Rolle zweier Schwergewichte der vorigen Regierung, Chamberlain und Halifax, hinnehmen, während die beiden Labourminister, Attlee und Greenwood, noch wenig zu sagen hatten. Churchill setzte sich mit vernünftigen Argumenten und der Kraft seiner Persönlichkeit durch. Trotz der äußerst ernsten Situation wurde die Entscheidung nicht emotional, sondern rational getroffen. Sowohl Halifax und Chamberlain als auch Churchill hatten in der Diskussion begründete Einschätzungen abgegeben. Die ideologischen Parameter waren ebenso klar wie in den autoritären Systemen und wurden von allen anerkannt. Aber sie waren defensiver Art: Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Großbritanniens und Bewahrung seines Empires. Nur die Wege zu diesen Zielen trennten Churchill und Halifax. Am Ende der Diskussion begehrte Halifax nicht gegen die gefällte Entscheidung auf, obwohl sie seinem eigenen Vorschlag zuwiderlief. Churchills Position wurde jetzt, aufbauend auf der propagandistischen Ausbeutung des »Wunders von Dünkirchen«, immer stärker. Bald nahm er im Kabinett eine beherrschende Stellung ein. Da er auch das Verteidigungsministerium übernommen hatte, neigte sich die Waage zuungunsten einer wirklich kollektiven und zugunsten einer vom Premierminister dominierten Regierung. Es entsprach Churchills Persönlichkeit, dass er, sehr zum Ärger der Stabschefs und Kommandeure, in militärische Belange eingriff (oder sie störte). Aber sein Sinn für die kollektive Verantwortung der Regierung blieb bestehen. Auf der Atlantik-Konferenz in der Placentia Bay im August 1941 war Roosevelt erstaunt, dass Churchill es für nötig hielt, seine Kabinettskollegen in London telegrafisch um ihre Zustimmung zu bitten. Manche Mitglieder seines eigenen Kabinetts wussten nicht einmal, wo der Präsident sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt.
Das Präsidialsystem in den Vereinigten Staaten beruhte im Gegensatz zur britischen Regierungsform nicht auf kollektiver Verantwortung. Roosevelts Kabinett war ein Beratergremium. Einige Mitglieder seiner Regierung besaßen viel Erfahrung, und Roosevelt maß ihren Ansichten großes Gewicht bei. Hull und Welles im Außenministerium, Morgenthau im Finanzministerium, Stimson und Marshall im Heer, Knox und Stark in der Marine, jeweils von einem Expertenstab unterstützt, waren prominente Vertreter derjenigen Berater, auf deren Meinung der Präsident etwas gab. Aber die Entscheidungen traf er allein. Die von der Verfassung vorgesehene Kontrolle geschah nicht in der Exekutive, sondern in der Legislative. Roosevelt wurde durch den Kongress in einem Ausmaß eingeschränkt, wie es Churchill im britischen Parlament nie erlebte.
Neben dem Kongress war die Öffentlichkeit zu beachten. Von den hier betrachteten Systemen stellte die Meinung des normalen Staatsbürgers nur in den Vereinigten Staaten einen Faktor von höchster Bedeutung beim Entscheidungsprozess dar. In Großbritannien hatte die öffentliche Meinung keinen Einfluss auf die grundlegenden Fragen vom Mai 1940. Danach wurde sie stark von der Regierung gelenkt, während sie weiterhin wenig oder keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hatte. Die Moral war wichtiger als die Meinung. Und dafür, dass sie gut blieb, sorgten neben den äußeren Anzeichen des nationalen Durchhaltevermögens, der Abwehr der deutschen Luftwaffe in der »Schlacht um England« und der ausgebliebenen deutschen Invasion Churchills aufrüttelnde Reden des Sommers 1940. In den vier hier betrachteten Varianten autoritärer Herrschaft in Deutschland, Italien, Japan und der Sowjetunion wurde die öffentliche Meinung durch Propaganda und Indoktrination vorgegeben und geprägt. Ihre Rolle bestand darin, dem Regime eine plebiszitäre Unterstützung zu verschaffen und davon abzuschrecken, eine oppositionelle Haltung einzunehmen. Gelegentlich diente sie auch dazu, die Führung durch öffentlichen Druck zu ermuntern, in die Richtung zu gehen, in die sie ohnehin gehen wollte. Nur in den Vereinigten Staaten hatte die öffentliche Meinung spürbaren Einfluss auf das Regierungshandeln. Vom Sommer 1940 bis zu Pearl Harbor und sogar noch bis zur deutschen Kriegserklärung vier Tage später fühlte sich Roosevelt verpflichtet, die Öffentlichkeit auf seine Seite zu bringen. Er konnte sich in seinen »Kaminplaudereien« und anderen öffentlichen Ansprachen an sie wenden. Aber er konnte sie nicht ignorieren. Seine Politik in diesen entscheidenden Monaten war in großem Maß von der Notwendigkeit bestimmt, die Öffentlichkeit auf etwas vorzubereiten, was sie nicht wollte und was zu verhindern er feierlich versprochen hatte, nämlich amerikanische Truppen in einen weiteren Krieg in Europa zu schicken.
Ohne die Einzelpersonen, deren Namen die vorangegangenen Seiten beherrscht haben – Hitler, Stalin, Mussolini, Konoe und Tojo sowie Churchill und Roosevelt –, wäre die Geschichte anders verlaufen. Aber wie anders? Die Rolle des Einzelnen gegenüber den unpersönlichen äußeren Determinanten der Veränderung ist ein ewiges Rätsel bei der Interpretation von Geschichte. In einer Hinsicht enthält es jedoch eine falsche Dichotomie. Wie die vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, ist der Einzelne nicht von den unpersönlichen Kräften zu trennen, die sein Handeln bedingen. Die relative Stärke und das Potenzial der Wirtschaft waren eine dieser Kräfte, die der Mobilisierung von Ressourcen und Menschen Beschränkungen auferlegten. Das Verhalten des Gegners war eine andere. Es konnte nur antizipiert werden, indem man Informationen sammelte und auswertete. Doch in allen hier untersuchten Fällen verfügten die Regierungen entweder nicht über genügend Informationen, oder sie zogen nur begrenzten Nutzen aus ihnen, oder beides. Und selbst die besten Erkenntnisse wie diejenigen, die durch die amerikanische Entschlüsselung des japanischen Codes ermöglicht worden waren (also durch MAGIC), vermochten Pearl Harbor nicht zu verhindern. Daher waren alle Regierungen gezwungen, auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren. Dies traf insbesondere für jene zu (die britische, die amerikanische und die sowjetische), die defensiv auf die strategischen Initiativen Deutschlands, Italiens und Japans reagierten.
In jedem der betrachteten Regierungssysteme wirkte noch eine weitere unpersönliche Kraft: die Bürokratie. Durch die bürokratische Vorbereitung und Einschätzung politischer Vorschläge wurden Entscheidungen – häufig als Ergebnis von internen Kämpfen um Einfluss und Ressourcen – vorsortiert und vorbestimmt. Das Ausmaß dieses Vorgangs war in den unterschiedlich strukturierten demokratischen Systemen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten sowie in der Sonderform des »kollektiven Autoritarismus« in Japan größer als in Deutschland, Italien und der Sowjetunion, wo die Bürokratien als Instrumente der Diktatur funktionierten.
Aber trotz solcher inneren und äußeren Determinanten waren die im Zentrum dieser Studie stehenden Einzelnen keine bloßen Nummern oder »Frontmänner«. Sie waren auf eine Art beteiligt, die sich nicht einfach auf die personalisierte Repräsentation solcher Kräfte reduzieren lässt. Historische Veränderungen resultieren, zumindest kurzfristig, stets aus der Wechselwirkung zwischen äußeren Determinanten und individuellem Handeln. Dafür bieten die vorangegangenen Kapitel viele Beispiele. Die größte politische Autonomie besaßen die Diktatoren in Deutschland, Italien und der Sowjetunion. Andere politische Führer hätten an ihrer Stelle möglicherweise andere Entscheidungen getroffen und ihre verhängnisvollen Fehleinschätzungen vermieden. Hätte ein Reichskanzler Göring den Angriff auf die Sowjetunion beschlossen? Hätte ein Ministerpräsident Badoglio den Entschluss gefasst, Griechenland anzugreifen? Hätte ein Generalsekretär Malenkow die Flut von Warnungen vor einem deutschen Angriff außer Acht gelassen? Allein schon, indem man diese Fragen stellt, bringt man nicht nur unwahrscheinliche Szenarien ins Spiel, sondern betritt das Reich der Mutmaßungen, in dem es keine Antworten gibt. Es unterstreicht jedoch, dass die Persönlichkeiten von Hitler, Mussolini und Stalin eine unentbehrliche Voraussetzung ihres Handelns waren. Ihre schicksalhaften Entscheidungen waren direkt davon bestimmt, wer sie waren. Gleichzeitig wurden sie freilich nicht in einem luftleeren Raum als willkürliche persönliche Launen getroffen. Es waren Entscheidungen, die unter Bedingungen und äußeren Einschränkungen gefällt wurden.
Dabei spielten ideologische fixe Ideen ebenso eine wichtige Rolle wie das Handeln von Personen, die nicht unter ihrer Kontrolle standen. Hitler ahnte, dass die Zeit gegen Deutschland arbeitete, und sah sich zu der Entscheidung für das »Unternehmen Barbarossa« und die Kriegserklärung an Amerika genötigt. Auch Mussolini verspürte einen großen Druck auf sich lasten, in seinem Fall den, im Mittelmeer und auf dem Balkan ein eigenes Reich zu schaffen, bevor es zu spät wäre und Deutschland ihn völlig in die Statistenrolle gedrängt hätte. Stalins Spielraum war durch den Zustand der Streitkräfte und sein Wissen, dass er Deutschland erst 1942 mit ausreichenden Kräften würde entgegentreten können, eingeschränkt. Deshalb fühlte er sich gezwungen, jede mögliche Provokation zu vermeiden, die Hitler zu einem Angriff vor diesem Datum verleiten könnte. In jedem Fall machten diese Einzelnen Geschichte – wenn auch nicht, um einen Gedanken von Karl Marx aufzugreifen, unter von ihnen gewählten Umständen. Am anderen Ende der Skala standen die japanischen Ministerpräsidenten. Sie waren für die Entscheidungsfindung nicht von herausragender Bedeutung. Konoe und Tojo waren sicherlich sehr unterschiedliche Charaktere. Im Herbst 1941 wäre Konoe bereit gewesen, den Vereinigten Staaten weit entgegenzukommen, während Tojo starr an der Ablehnung jeglicher Konzessionen an die Amerikaner festhielt. Aber beide hatten sich zuvor auf dieselbe Politik der Expansion nach Südostasien bei gleichzeitiger Fortführung des Zermürbungskrieges in China festgelegt. Konoe wurde entbehrlich, als er sich bereit zeigte, erheblich von dieser Linie abzuweichen. Matsuoka, die dynamischste Persönlichkeit in der japanischen Politik, war bereits von der Bühne abgetreten, nachdem er seinerseits durch den Versuch, die bestehenden Prioritäten zu ändern, den bestehenden Konsens aufgekündigt, aber keine Unterstützung für seinen Vorschlag gefunden, sondern mächtige Feinde auf den Plan gerufen hatte, die nur auf eine Gelegenheit gewartet hatten, ihn zu stürzen. Die Konsensnatur der Entscheidungsfindung schränkte den Spielraum einzelner Akteure notwendigerweise ein.
In den beiden Demokratien war die Rolle des Einzelnen bei den Schlüsselentscheidungen einerseits größer als in Japan, andererseits aber geringer als in den Diktaturen. Wie die Diktatoren handelten die demokratischen Führer auf der Grundlage eines allgemein anerkannten ideologischen Wertesystems – in diesem Fall von demokratischen Freiheiten sowie den darauf basierenden politischen und sozialen Strukturen –, und höchstwahrscheinlich waren sie sogar tiefer verankert und weiter verbreitet als die faschistischen und militaristischen Werte in Deutschland, Italien und Japan oder die kommunistische Weltanschauung in der Sowjetunion.
Ohne Churchill hätte sich das britische Kabinett im Mai 1940–mit ungewissen Konsequenzen – möglicherweise für einen anderen Kurs entschieden. Halifax und Churchill hatten dasselbe Ziel: das Überleben und die Bewahrung der Unabhängigkeit des Landes. Aber Halifax’ politische Wahl hätte der Entwicklung möglicherweise oder, besser gesagt, wahrscheinlich eine andere Richtung gegeben, die Großbritannien mehr geschadet hätte. Es war für das Land also ein außergewöhnlicher Glücksfall, dass nicht Halifax, sondern Churchill Premierminister wurde. Die Persönlichkeit zählte, ebenso aber auch stichhaltige Argumente. Denn Churchill war noch nicht der Nationalheld, zu dem er in der Folgezeit werden sollte, als seine Persönlichkeit ganz gewiss zu einem Faktor von überragender Bedeutung für die britische Kriegführung wurde.
Auch die persönliche Rolle Roosevelts ist kaum zu überschätzen. Doch vor dem Dilemma, in dem er sich befand, hätte jeder andere Präsident ebenfalls gestanden. Sein Gegenkandidat in der Präsidentenwahl von 1940, Wendell Willkie, eine kraftvolle Figur und attraktive Persönlichkeit, war kein Isolationist, sondern ebenso fest wie Roosevelt von der Notwendigkeit überzeugt, dass die Vereinigten Staaten die Gefahren bekämpfen müssten, die für amerikanische Interessen von Deutschland und Japan ausgingen. Und er trat nachdrücklich für die Unterstützung Londons ein. Damals dachten manche in Großbritannien, dass er die amerikanische Industrie möglicherweise besser mobilisieren könnte als Roosevelt. Doch Willkie hätte wie Roosevelt einen Drahtseilakt zwischen der Hilfe für Großbritannien und der Beschwichtigung von Öffentlichkeit und Kongress vollführen müssen. Ob er dies so gut wie Roosevelt getan hätte; ob er die Erfahrung – und die politische Gerissenheit – besessen hätte, es durchzuziehen, wie der Präsident es tat; ob er sich weit genug vom Einfluss der Isolationisten in der Republikanischen Partei (die ihn dazu gedrängt hatten, den Zerstörerhandel abzulehnen) hätte freimachen können; ob er die gedankliche Wendigkeit gehabt hätte, um auf die Leih- und Pachtidee zu kommen; ob er den persönlichen Draht zu Churchill gefunden hätte, der für die Schaffung der »großen Allianz« so wichtig war: In all diesen Fragen ist Skepsis berechtigt. Für den Regierungsstil, für die schicksalhaften Entscheidungund für die Art, wie sie getroffen wurden, war die Persönlichkeit in Roosevelts Fall ebenso wichtig wie in Churchills.
Diese Männer waren um die Entscheidungen, die sie zwischen Mai 1940 und Dezember 1941 zu treffen hatten, nicht zu beneiden. In jedem Fall stand enorm viel auf dem Spiel. Was der Nachwelt als unausweichlicher Kurs erscheint, sah damals ganz anders aus. Die schicksalhaften Entscheidungen, welche die Führer Deutschlands, der Sowjetunion, Italiens, Japans, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten in jenen neunzehn Monaten trafen, veränderten die Welt.
Der weltweite Krieg dauerte nach den hier untersuchten Ereignissen noch fast vier Jahre. Die Verluste in den militärischen Kämpfen und durch den Genozid erreichten ein enormes Ausmaß. Zwei Jahre lang, von Sommer 1940 bis zum Herbst 1942, war der Ausgang des Krieges keineswegs sicher. Sowohl Hitler als auch die japanische Führung waren sich im Klaren darüber, dass die Chancen in einem langen Krieg schlecht für sie stehen würden. Sie behielten recht. Aber es war eine knappe Angelegenheit – knapper, als häufig angenommen wird. Schließlich, aber erst ab 1943, war die Niederlage der Achse abzusehen, zuerst nur vage, dann klarer und am Ende überdeutlich. Die unwahrscheinliche Kombination der unermüdlichen sowjetischen Kampfmaschine mit den unbegrenzten Ressourcen und der Entschlossenheit Amerikas sorgte schließlich für den Sieg sowohl in Europa als auch im Fernen Osten. Die Streitkräfte Großbritanniens und seines Empires leisteten mit ihrer Tapferkeit und Hartnäckigkeit ebenfalls einen unentbehrlichen Beitrag zum Sieg über Nationalsozialismus, Faschismus und japanischen Militarismus. Aber es war der letzte Auftritt eines ramponierten und bankrotten Großbritannien als Weltmacht. Es folgte – schrittweise zwar, doch unaufhaltsam – die Auflösung des britischen Empires. Die nächsten Jahrzehnte gehörten den neuen Supermächten, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, den Gewinnern des Krieges. In dem Durcheinander, das nach Kriegsende im Fernen Osten herrschte, wurden darüber hinaus die Fundamente einer potenziellen Weltmacht der Zukunft gelegt – der Volksrepublik China. Deutschland und Japan hatten eine Welt hervorgebracht, die das diametrale Gegenteil dessen war, was sie angestrebt hatten. Dass sie sich nicht hatten durchsetzen können, war den gewaltigen Preis wert, den es gekostet hatte.