Spass am ökonomischen Denken
SPASS AM
ÖKONOMISCHEN DENKEN
DIE WICHTIGSTEN KONZEPTE
EINFACH ERKLÄRT
ALEXANDER W. HUNZIKER, Dr. oec. publ., hat mehrere Jahre in Verkauf, Marketing und Erwachsenenbildung gearbeitet. Anschliessend studierte er Volkswirtschaftslehre mit Nebenfach Psychologie an der Universität Zürich und dissertierte in Betriebswirtschaftslehre zum Thema Prozessorganisation in der öffentlichen Verwaltung. Zurzeit ist er Professor an der Berner Fachhochschule und selbstständiger Berater.
4. Auflage 2009
ISBN Buchausgabe 978-3-286-50078-5
ISBN eBook 978-3-286-11701-3
© Verlag SKV, Zürich
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Lektorat: Christian Elber
Konzept und Layout: Brandl & Schärer AG, Olten
VORWORT
•«In einem kleinen Artikel fragte die NZZ kürzlich: Wer fängt den letzten Fisch? Eine interessante Frage. Sie steht vor dem Hintergrund scheinbar immer knapper werdender Ressourcen auf der Erde. Können Sie sie beantworten?» (Schweigen) «Nicht? Aber als Ökonominnen und Ökonomen könnten Sie mir vielleicht sagen, was der letzte Fisch kostet?» (Schweigen) «Nicht auf Franken und Rappen genau, einfach so ungefähr…»
•«Der letzte Fisch müsste unglaublich teuer sein!»
•«Genau, und wie teuer wäre es wohl, ihn zu fangen?» (Schweigen) «Stellen Sie sich die Weite der Weltmeere vor. Irgendwo hat es noch einen einzigen Fisch … Würden Sie sich für eine Million Dollar auf die Suche machen?» (Schweigen) «Für eine Milliarde?»
•«Nein, das ist ja völlig aussichtslos!»
•«Okay, aber das ist doch schade, wenn man sich so ein tolles Geschäft durch die Lappen gehen lassen muss. Gibt es da nicht noch eine andere Möglichkeit, vom hohen Fischpreis zu profitieren?»
•«Man könnte Fische züchten.»
•«Ja natürlich. Wie viele Fischzüchtereien gäbe es alleine in Europa, wenn sich der Fischpreis verzehnfachen würde? Wahrscheinlich ziemlich viele! Also zurück zur Frage: Wer fängt den letzten Fisch?»
•«Niemand.»
Mit solchen und ähnlichen Dialogen habe ich als unterrichtender Assistent an der Uni Zürich während sechs Jahren versucht, die Studierenden für das Fach Volkswirtschaft zu begeistern. Ein kritisches Publikum. Die meisten unter ihnen wollten eigentlich Betriebswirtschaftslehre studieren und sahen in der Volkswirtschaftslehre ein notwendiges Übel. Vermutlich habe ich gerade deshalb so viel von diesem Publikum gelernt. Als sich das Ende meiner Unterrichtstätigkeit abzeichnete, habe ich versucht, den Geist der Lektionen einzufangen, die mir gemeinsam mit den Studierenden am besten gelungen sind.
Dass wirklich ein Buch daraus entstanden ist, liegt erstens an ein paar besonderen Studierenden, die meine ersten Versuche gelesen und mir wichtige Anmerkungen und Mut gegeben haben. Zweitens liegt es am Verlag, der die Selbstsicherheit besass, ein Buch herauszugeben, das offenbar in kein Konzept passt. Und drittens liegt es wohl an meiner Einstellung zum Lernen: Egal, was man in einem Fach für Noten hatte, an eins mag man sich auch nach Jahren noch erinnern: Ob es Spass gemacht hat. Und das ist wahrscheinlich der Schlüsselfaktor dafür, ob man sich an die Inhalte noch erinnert und – wenn nicht – später einmal ein entsprechendes Fachbuch zur Hand nimmt. Natürlich braucht es für den Lernerfolg immer Konzentration und Ruhe. Aber damit fremde Gedanken zu den eigenen werden braucht es auch eine persönliche Auseinandersetzung, die über das Intellektuelle hinausgeht: Den Spass beim Lernen. Dazu einen Beitrag zu leisten ist wirklich erstrebenswert.
Bern, 2008
Der Autor
INHALT
IWAS IST ÖKONOMISCHES DENKEN?
1.Ökonomisches Denken: Was ist das?
2.Rationalität: Gar nicht so dumm
3.Diskriminierende Evidenz: Der Unterschied, der den Unterschied macht
4.Modellbildung: Die Story von der Modelleisenbahn
5.Vergleichende Argumentation: Das Nirvana kann warten
6.Ökonomisches Denken: Definierbar?
IIOPTIMIEREN
7.Grenznutzen und Grenzkosten: Wie finde ich das Optimum?
8.Optimieren Sie grafisch!
IIIANGEBOT UND NACHFRAGE
9.Das Nachfragegesetz: Eine reine Preisfrage
10.Das Gesetz des Einheitspreises
11.Das Angebot: Auch eine reine Preisfrage
12.Das Null-Gewinn-Theorem oder Warum Konkurrenz für Konsumenten gut ist
13.Das Gesetz von Angebot und Nachfrage: Wie hoch ist der Preis?
14.Das Wertparadoxon: Ein Problem?
15.Das Gesetz von Angebot und Nachfrage anwenden
IVEFFIZIENZ
16.Effizienz: Die ökonomische Messlatte
17.Warum sind Märkte effizient?
VKONZEPTE
18.Opportunitätskosten: Sie verzichten immer auf irgendetwas
19.Trade-Off: Kein Nirvana, aber möglichst nahe
20.Versunkene Kosten: Atlantis spielt keine Rolle
21.Komparative Kosten: Bestimmen der Arbeitsteilung
22.Moral Hazard: Warum Versicherungen schlecht sind
23.Das öffentliche Gut: Winkelried war (k)ein Idiot!
24.Negative externe Effekte: Das Umweltproblem
25.Positive externe Effekte sind negativ
26.Agency-Problem: Wer kontrolliert die Kontrolleure?
27.Transaktionskosten: Wenn der Weg zum Restaurant zu weit ist
28.Zum Schluss
VIFRAGEN UND ANTWORTEN
29.Übungsfragen
Anmerkungen
Literatur
ZUM AUFBAU
Im ersten Teil werden Sie mit den Annahmen und Vorgehensweisen der Ökonomie vertraut gemacht, insbesondere mit der Annahme der Rationalität.
Wenn wir die Welt als einen Ameisenhaufen betrachten, dann entspräche dieser erste Teil der Frage:
Wie wollen wir den Ameisenhaufen untersuchen?
Im zweiten Teil wird der Prozess der Optimierung dargestellt, die Erklärungsgrundlage für das Verhalten von Individuen darstellt.
In der Ameisenforschung wäre die entsprechende Frage:
Wie verhält sich eine einzelne Ameise?
Im dritten Teil wird, basierend auf dem Optimierungsprozess, die Idee von Angebot und Nachfrage erklärt, welche die Erklärungsgrundlage für das kollektive Verhalten darstellt.
Hier kommen wir zur Frage:
Wie verhalten sich Ameisen als Gesellschaft?
Im vierten Teil wird der Begriff Effizienz erklärt, der den zentralen Massstab für die ökonomische Beurteilung von Situationen und Massnahmen darstellt.
Der Ameisenforscher würde fragen:
Welche Ameisenhaufen sind besser als andere?
Im fünften Teil werden Konzepte, also die für Ökonomen typischen Denkfiguren, anhand von Beispielen erklärt.
Dies entspricht folgenden Fragestellungen:
Welches sind typische Verhaltensmuster der Ameisen?
Welche Gesetze liegen ihnen zugrunde?
Kann man das Verhalten prognostizieren?
Im letzten Teil finden sich ein paar Fragen und Antworten, mit denen Sie testen können, wie viel vom ökonomischen Denken Sie bereits intus haben.
Und hier stellt sich die ultimative Frage:
Bestehen Sie die Aufnahmeprüfung in den Club der Ameisen freunde?
I
WAS IST ÖKONOMISCHES DENKEN?
Einfache Fragen sind oft schwer zu beantworten. Das gilt auch hier. Um Ihnen den Einstieg leicht zu machen, lernen Sie eine einfache Definition kennen. Dann schliessen Sie persönlich Bekanntschaft mit den vier Fachausdrücken «Rationalität», «diskriminierende Evidenz», «Modellbildung» und «vergleichende Argumentation». Diese Bekanntschaften werden Sie dann dabei unterstützen, wenn es am Schluss darum geht, die präzisere Definition zu bewältigen.
1.
ÖKONOMISCHES DENKEN:
WAS IST DAS?
Was würden Sie tun, wenn Sie auf einer menschenleeren Strasse eine Hundert-Franken-Note auf dem Boden liegen sehen? – Mag sein, dass Ihnen Gedanken durch den Kopf gehen wie «Ist das eine Falle?», «Wo ist die versteckte Kamera?» und so weiter. Aber würden Sie es ausschliessen, dieses hübsche Papierstückchen aufzuheben und einzustecken? – Aus ökonomischer Warte lautet die Frage nicht, was Sie tun würden, sondern, was würde irgendein Mensch tun, der in «gesundem Mass egoistisch und nicht dumm» ist.
Diese Frage ist so zentral, dass die Ökonomen diesem Menschen einen Übernamen gegeben haben. Zwar hätten Sie ihn auch Jack oder Freddy nennen können, aber das war ihnen zu einfach, sie nannten ihn HOMO OECONOMICUS, das ist lateinisch und klingt viel gescheiter. Diesen Homo Oeconomicus hat nie jemand gesehen, da er eine Abstraktion ist. Was man von ihm weiss, ist lediglich, dass er eben in gesundem Mass egoistisch ist und nicht dumm. Da diese Eigenschaften beide gleichzeitig zutreffen müssen, genügt auch ein einziger Ausdruck: RATIONAL. Im obigen Beispiel würde unser Homo Oeconomicus die Hunderternote sicher aufheben und das heisst, dass wenn Sie das auch tun würden, dann sind Sie rational (Bravo!).
Vielleicht weckt der Ausdruck «rational» bei Ihnen nicht so viele positive Assoziationen wie bei einem Ökonomen. Vielleicht denken Sie manchmal: «Warum auch immer so rational sein, Dummheiten machen doch viel mehr Spass!» – Nun, die Erfahrung dürfte Ihnen nicht fremd sein, dass wenn die Dummheit einmal begangen ist, die Welt eben anders aussieht. Und warum sieht die Welt anders aus? Weil Sie nicht unendlich viel Geld haben, um Bussen zu zahlen, weil Sie nicht unendlich viel Zeit haben, um sich langweilige Kinofilme anzusehen, weil Sie nicht unendlich viele Nerven haben, sich mit Ihren wütenden Nachbarn herumzuärgern. Diese Tatsache nennt der Ökonom schlicht KNAPPHEIT. Wenn Sie es sich genau überlegen, merken Sie, dass eigentlich alles, was Spass macht, knapp ist: Honigbrote, gute Kinofilme, Karibikferien usw. Und was macht man in so einer Situation? Man probiert, mit dem was man hat, das Beste zu machen: Man OPTIMIERT. Und genau mit diesem Prozess, wie Menschen mit Dingen umgehen, die nicht im Überfluss vorhanden sind (wie beispielsweise Hunderternoten auf menschenleeren Strassen), damit befasst sich die Ökonomie. Wie erwähnt unter der Annahme von Rationalität. – Oder anders gesagt:
ÖKONOMIE IST DIE FRAGE DANACH, WIE MENSCHEN, SOWEIT SIE RATIONAL SIND, MIT KNAPPEN MITTELN UMGEHEN.
Wenn Sie die obigen Zeilen verstanden haben, so haben Sie den zentralen Kern der Ökonomie begriffen. Der Grund, warum Sie vielleicht doch noch weiterlesen sollten, ist, dass aus diesem Kern ganz interessante Pflänzchen spriessen und dieses Spriessen, dieses systematische Ableiten aus wenigen Grundannahmen, dies ist das ÖKONOMISCHE DENKEN. Wie Sie gleich sehen werden, ist auch das keine Hexerei, aber es braucht eine gewisse Übung, in praktischen Problemen die Ansatzpunkte für die ökonomischen Konzepte zu erkennen. Dieses kleine Werk will Ihnen zeigen, wie die Welt durch die Brille des Ökonomen aussieht. Am Ende sollten Sie in der Lage sein, Probleme selbstständig ökonomisch zu analysieren.
Falls Sie nun finden, der ökonomische Ansatz sei ein bisschen gar einfach erklärt worden, dann haben Sie recht. Deshalb wird in einem späteren Kapitel (nämlich Nummer 6) dieses Thema nochmals aufgenommen.
In einem einzigen Punkt ist Vorsicht geboten, wenn Sie trainieren, die Welt durch die ökonomische Brille zu sehen: Denken Sie bitte daran, hin und wieder zu testen, ob Sie in der Lage sind, diese Brille auch wieder auszuziehen. Wenn nicht, sollten Sie dieses Buch sofort weglegen und entweder einen Psychiater konsultieren oder Professor für Ökonomie werden.
Ökonomie ist die Wissenschaft von der optimalen Verwendung knapper Ressourcen.
2.
RATIONALITÄT:
GAR NICHT SO DUMM
Manchmal wird gegen die Rationalität eingewendet, dass es eben Menschen gäbe, die nicht so intelligent seien. Ein Ökonom kann diesen Einwand entkräften: Es genügt, wenn die Menschen so gescheit wie Ratten sind.
•Einer Laborratte wird beliebig viel Wasser zur Verfügung gestellt. Mit der Betätigung eines Hebels kann sie zusätzlich eine Portion Bier «kaufen». (Übrigens: Ratten haben Bier lieber als Wasser … wer will ihnen das übel nehmen?) Nachdem die Ratte den Zusammenhang zwischen Hebeldruck und Bierausschank begriffen hat, verändert der Versuchsleiter die Bedingungen: Die Ratte muss den Hebel MEHRMALS drücken, damit die gleiche Portion Bier ausgeschüttet wird. Und was stellt der Versuchsleiter fest? Je öfter die Ratte für eine Portion Bier drücken muss – je «teurer also das Bier» – desto weniger Bier trinkt die Ratte. Also: Ratten sind rational.1
Natürlich sind Ratten sehr intelligente Tiere, aber wer würde sich selbst als weniger intelligent als eine Ratte einstufen? – Dies ist vielleicht kein endgültiger «Beweis» für die Rationalität aller Menschen. Für unsere Zwecke genügt es jedenfalls zu wissen, dass Rationalität nicht etwas Utopisches ist, sondern ETWAS VÖLLIG ALLTÄGLICHES, nahezu Banales.