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THOMAS VON AQUIN (ca. 1225–1274) trat gegen den Widerstand seiner Verwandtschaft in den Dominikanerorden ein. Vor allem in Paris und Neapel wurde er bald zum bedeutendsten Theologen und Philosophen. Ausgehend von Aristoteles schuf er eine neue Synthese von Philosophie und christlichem Glauben und wurde damit ein Wegbereiter neuzeitlichen Denkens.

Der Herausgeber

DR. BRUNO KERN, geboren 1958, studierte Theologie und Philosophie in Wien, Fribourg, München und Bonn; er lebt zurzeit in Mainz und arbeitet als selbstständiger Lektor und Übersetzer. Im marixverlag sind von ihm bereits erschienen: Die bedeutendsten Grabreden, Die großen Gebete der Menschheit, Marguerite Poretes Der Spiegel der einfachen Seelen, Karl Kraus’ Weltgericht u. a.

Die Übersetzerin

EDITH STEIN, 1891–1942, war als Philosophin Meisterschülerin Edmund Husserls, des Begründers der Phänomenologie. Eine Habilitation blieb ihr nur aufgrund ihres Geschlechts verwehrt. Nach Konversion zum Christentum trat die als Jüdin aufgewachsene Edith Stein in den Kölner Karmel ein, wo sie sich vor allem philosophischen und theologischen Studien widmete. 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Schwester nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Zum Buch

»Ihr nennt ihn den stummen Ochsen; ich sage euch,
dass dieser stumme Ochse einmal so laut brüllen
wird, dass sein Gebrüll die Welt erfüllt.«
ALBERTUS MAGNUS

Innerhalb des imposanten Gesamtwerks des Thomas von Aquin ist dieser kleine Traktat leicht zu übersehen – und dennoch ist De ente et essentia wahrscheinlich die meistgelesene Schrift des großen mittelalterlichen Theologen. Und dies zu Recht, bietet sie doch in äußerst prägnanter Form die metaphysischen Grundlagen, das Grundgerüst der aristotelischen Metaphysik, das uns das Werk des Thomas von Aquin zuallererst erschließt.

Während Thomas von Aquin von seinen Mitschülern belächelt wurde, erkannte sein Lehrer Albertus Magnus schon früh das Talent des ruhigen Schülers. Albert sollte recht behalten, Thomas von Aquin ist bis heute einer der bedeutendsten christlichen Denker des Mittelalters. In seiner kurzen, aber präzisen Schrift De ente et essentia setzt er sich mit der Metaphysik des Aristoteles auseinander, diskutiert deren Interpretation durch die arabischen Philosophen Avicenna und Averroes und bringt in einer beeindruckenden Synthese christliche und arabische Erkenntnisse über das Wesen und das Sein zusammen. Die vorliegende Übersetzung stammt von Edith Stein.

Thomas von Aquin

Über das Seiende und das Wesen

Thomas von Aquin

Über das Seiende
und das Wesen

Lateinisch und Deutsch

Deutsche Übersetzung von Edith Stein
Herausgegeben von Bruno Kern

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0440-0

www.marixverlag.de

Dem lateinischen Text wurde folgende Ausgabe zugrunde gelegt: Thomas de Aquino, Sermo seu Tractatus „De ente et essentia“. Ad undecim codicum manu scriptorum (saec. XIII et XIV) nec non editionis pianae fidem in usum scholarum. Ed. L. Baur (Opuscula et textus historiam ecclesiae eiusque vitam atque doctrinam illustrantia – Series scholastica 1), Monasterii 21933.

Die Orthografie des mittelalterlichen Latein wurde der besseren Lesbarkeit halber dem klassischen Latein angepasst, ebenso wurde die Interpunktion heutigen Gepflogenheiten entsprechend geändert. Die Kapiteleinteilung orientiert sich an der heute allgemein akzeptierten.

Deutsche Übersetzung von Edith Stein, zugänglich im Intranet des Edith-Stein-Archivs, Köln. Orthografie und Interpunktion wurden den heute geltenden Regeln angepasst. Die Wiedergabe lateinischer Termini in Klammern wurde weggelassen.

INHALT

Ein »Opusculum« als Schlüssel zu
Thomas von Aquin

Prooemium

Einleitung

Capitulum primum

Erstes Kapitel

Capitulum secundum

Zweites Kapitel

Capitulum tertium

Drittes Kapitel

Capitulum quartum

Viertes Kapitel

Capitulum quintum

Fünftes Kapitel

Capitulum sextum

Sechstes Kapitel

Epilogus

Schlusswort

EIN »OPUSCULUM« ALS SCHLÜSSEL
ZU
THOMAS VON AQUIN

Innerhalb des imposanten Gesamtwerks des Thomas von Aquin ist dieser kleine Traktat leicht zu übersehen – und dennoch ist De ente et essentia wahrscheinlich die meistgelesene Schrift des großen mittelalterlichen Theologen. Und dies zu Recht, bietet sie doch in äußerst prägnanter Form die metaphysischen Grundlagen, das Grundgerüst der aristotelischen Metaphysik, das uns das Werk des Thomas von Aquin allererst erschließt.

Das 13. Jahrhundert, das Zeitalter des Thomas von Aquin*, war in vieler Hinsicht eine Umbruchszeit. Zu den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen jener Tage gehörte nicht nur die aufkommende Führungsrolle der Städte und des Geldwesens, sondern auch die Etablierung der Intelligenz als einer relativ eigenständigen gesellschaftlichen Kraft durch die Universitäten. Für die Laufbahn des Thomas waren zwei denkwürdige Begegnungen entscheidend: In Neapel kam der Student der »freien Künste« mit dem Bettelorden der »Predigerbrüder« (Dominikaner) in Kontakt. Der spanische Kanoniker Dominikus Guzmán (1170 / 71–1221) hatte als Reaktion auf die unerbittliche Verfolgung der Katharer durch die Kirche diese Ordensgemeinschaft gegründet, die – wie die zeitgleich entstandenen Franziskaner – ein evangeliumsgemäßes Leben ohne Besitz anstrebte. Der kirchlichen Verfolgung häretischer Bewegungen setzten die Dominikaner allerdings die intellektuelle Auseinandersetzung entgegen. Bewusst gingen sie an die jungen Universitäten jener Zeit, um ihren Beitrag zu einer denkerischen Durchdringung des christlichen Glaubens zu leisten. Gegen den heftigen Widerstand seiner Familie schloss sich Thomas dem »Ordo praedicatorum« an, wo er bald zum überragenden Theologen seiner Zeit aufsteigen sollte.

Die zweite denkwürdige Begegnung in Neapel war die mit dem großen antiken Philosophen Aristoteles (im Werk des Thomas stets als »Der Philosoph« tituliert). Erst über den Umweg arabischer Intellektueller wurde dem Abendland das Werk des Aristoteles neu erschlossen. Bislang war wenig mehr als die Logik bekannt gewesen. Insbesondere Averroes (Ibn Rushd, 1126 –1198), der eine Reihe von Kommentaren zu den aristotelischen Schriften verfasst hat (und von Thomas schlicht »Der Kommentator« genannt wird), und Avicenna (Ibn Sina, 980 –1037) sind hier zu nennen. Das rationale Weltbild des Aristoteles wurde für eine »fides quaerens intellectum«, eine intellektuelle Glaubensverantwortung jener Tage, zur eigentlichen Herausforderung.

Bald schon wurde der junge Thomas von seinem Orden nach Paris geschickt, um hier seine akademische Laufbahn zu beginnen. Den Gepflogenheiten der damaligen Zeit entsprechend begann er zuerst als baccalaureus biblicus – heute würde man sagen: als wissenschaftlicher Assistent, der biblische Vorlesungen zu halten hatte –, um sich dann als baccalaureus sententiarum den damals als Kernstück des theologischen Kanons geltenden »Sentenzen« des Petrus Lombardus zu widmen. Die Krönung seiner wissenschaftlichen Laufbahn war schließlich die Ernennung zum »Magister« (was heute einem ordentlichen Universitätsprofessor entspricht) im Jahr 1257.

De ente et essentia hat Thomas (etwa im Zeitraum von 1252 bis 1254) als »wissenschaftlicher Assistent« verfasst. Es ist also ein Frühwerk. Adressat dieses kleinen Traktats waren seine Mitbrüder im Orden, denen er die philosophischen Grundlagen seiner Theologie darlegte. Freilich setzt De ente et essentia bereits einiges an Kenntnissen voraus, etwa die aristotelische Logik.

Die hier vorgelegte Auslegung der Metaphysik des Aristoteles, seines »Hylemorphismus« – ein Seinsverständnis, das sich am Werden des naturhaften Seienden orientiert –, bleibt die Grundlage für das spätere Werk des Thomas. Zu nennen sind hier vor allem die Summa contra gentiles, in denen sich Thomas nicht, wie der Titel vermuten ließe, mit den »Heiden« im Sinne unseres Sprachgebrauchs auseinandersetzt, sondern mit seinen Professorenkollegen, die der Interpretation des Aristoteles durch die arabischen Denker folgten, die Quaestiones disputatae de veritate* und die imposante Summa theologiae, an der Thomas bis zum Ende seines Lebens arbeitete.

Als Theologe war Thomas auch in seiner sehr eigenständigen Aneignung der aristotelischen Philosophie den Vorgaben der christlichen Offenbarungsbotschaft verpflichtet, die sich alles andere als problemlos in das rationale Weltbild des Aristoteles fügte. Die jüdisch-christliche Schöpfungstheologie, die Auffassung von der Endlichkeit der Zeit, die spezifisch christliche Auferstehungshoffnung etc. bildeten hier besondere Schwierigkeiten, die denkerisch zu bewältigen waren. Gerade aus dieser intellektuellen Herausforderung aber ging eine großartige Synthese hervor, die den christlichen Glauben nicht einfach in ein vorgegebenes philosophisches Denkraster einfügte, sondern zu entscheidenden Denkfortschritten führte. Bekannt ist die These von Johann Baptist Metz, der bei Thomas bereits jene »anthropozentrische Denkform« am Werk sah, die in der Neuzeit zum Durchbruch kam.* Genau mit dieser Anthropozentrik – so Metz – käme das Erbe der christlichen Offenbarungsreligion zur Geltung. Im kleinen Traktat De ente et essentia ist die eigenständige Aneigung des Aristoteles durch Thomas, wie sie in seinem großen Gesamtwerk sichtbar wird, bereits ansatzweise nachzuvollziehen. Hervorzuheben ist hier etwa der Realunterschied zwischen Sein und Wesen, die »Participatio-Lehre«, das heißt die Auffassung von der Partizipation der geschaffenen Seienden am Sein Gottes sowie die absolute Potenzialität der Materie. Die Schrift eröffnet in diesem Sinne tatsächlich das Verständnis des thomasischen Werkes.

Die Wirkungsgeschichte des Thomas von Aquin ist atemberaubend. Nachdem er im Mittelalter zunächst im Schatten des dominierenden, vor allem in der franziskanischen Schule gepflegten nominalistischen Denkens stand, erlebte er im 16. Jahrhundert durch die großen Theologen des Jesuitenordens eine erstaunliche Renaissance. Papst Leo XIII. (1878–1903) schließlich erklärte den Thomismus zur verbindlichen philosophischen Grundlage des katholischen Glaubens – was allerdings zur Entwicklung eines allzu engstirnigen Thomismus beitrug. Nicht zuletzt Karl Rahners »Transzendentaltheologie« hat diesen Thomismus überwunden und Thomas mit neuzeitlichen philosophischen Denkansätzen (Kant, Maréchal, Heidegger etc.) versöhnt. Er hat damit genau das für die Gegenwart geleistet, was Thomas für seine eigene Zeit intendiert hatte.

Ein Zeugnis für eine davon völlig unabhängige Aneignung des thomasischen Denkens im 20. Jahrhundert gibt nicht zuletzt die an der Phänomenologie Edmund Husserls geschulte Philosophin Edith Stein. Der deutsche Text ist hier in ihrer ebenso sprachlich eleganten wie präzisen Übersetzung wiedergegeben. Neben De ente et essentia hat Edith Stein eine bis heute unübertroffene Übersetzung der Quaestiones disputatae de veritate (s. Anm. 12) vorgelegt. Steins Beschäftigung mit diesem kleinen Traktat des Thomas findet ihren Niederschlag im philosophischen Hauptwerk der Märtyrerphilosophin aus dem Karmeliterorden, Endliches und ewiges Sein. Sie legt nicht zuletzt im Anschluss an Thomas‘ kleine Schrift das Sein im Sinne der Analogielehre ihres jesuitischen Mentors Erich Przywara aus. Die Aktualität des Thomas von Aquin für heutiges philosophisches und theologisches Nachdenken könnte kaum besser dokumentiert werden.

Bruno Kern

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