Marina Bohlmann-Modersohn
HAMBURG
Eine Stadt in Biographien
TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH
Herausgegeben von Norbert Lewandowski
Liebe Leserinnen und Leser,
vielen Dank, dass Sie sich für einen Titel aus unserer Reihe MERIAN porträts entschieden haben. Wir freuen uns, Ihre Meinung zu diesem Buch zu erfahren. Bitte schreiben Sie uns an merian-portraets@travel-house-media.de.
© 2013 TRAVEL HOUSE MEDIA GmbH, München
MERIAN ist eine eingetragene Marke der GANSKE VERLAGSGRUPPE.
ISBN 978-3-8342-1617-5
1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
TRAVEL HOUSE MEDIA
Postfach 86 03 66
81630 München
www.merian.de
PROGRAMMLEITUNG
Dr. Stefan Rieß
PROJEKTLEITUNG
Susanne Kronester
REDAKTION
Juliane Helf
BILDREDAKTION
Lisa Grau
SCHLUSSREDAKTION
Ulla Thomsen
REIHENGESTALTUNG
independent Medien-Design, Horst Moser, München
SATZ
h3a GmbH, München
REDAKTION E-BOOK
Juliane Helf, Katrin Uplegger
PRODUKTION E-BOOK
pagina GmbH, Tübingen
ABBILDUNGSNACHWEIS
Auf einen Blick (v.l.n.r.): VISUM : C. Keller, dpa Picture-Alliance: E. Kleinert, ddp images, mauritius images/alamy, dpa Picture-Alliance: Herzog & de Meuron
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THM 8-1617 04_2017_02
ISBN 978-3-8342-1617-5
Marina Bohlmann-Modersohn studierte Literaturgeschichte in Hamburg, London und Paris und war dann langjährige Mitarbeiterin der Pariser »Spiegel«-Redaktion.
Neben zahlreichen biographischen Essays veröffentlichte sie ein Buch über die Malerin Paula Modersohn-Becker und ist außerdem Autorin der Bände »Paris« und »London« aus der Reihe MERIAN porträts sowie von MERIAN live! »Paris« und »Hamburg«.
Es ist der Blick über Außen- und Binnenalster, der in Euphorie versetzt. Die Silhouette mit den Türmen von Rathaus, St. Nikolai und St. Petrikirche. Dann sprechen nicht nur Hamburger von der »schönsten Stadt der Welt«.
Wie jede andere Metropole wird auch Hamburg nicht nur von Bauwerken und Straßenzügen geprägt, sondern vor allem auch von den Menschen, die hier geboren und gestorben sind oder entscheidende Jahre verbracht haben. MERIAN porträts beschreibt 20 Persönlichkeiten; sie führen die Leser durch Historie und Gegenwart der Stadt.
So begegnen wir dem Bischof Ansgar, der in den Sümpfen des Mündungsgebiets der Alster in die Elbe eine Mission gründete, aus der Hamburg entstand. Und wir erleben noch einmal das schauerliche Ende des Seeräubers Klaus Störtebeker auf dem Grasbrook mit und schwelgen mit Matthias Claudius in der dörflichen Idylle von Wandsbek.
Natürlich ist es schwer, die »richtigen« 20 Personen auszuwählen, vermutlich sogar unmöglich, schließlich wurde Hamburg von mehr als 20 Menschen geprägt. Doch in der Summe soll unsere subjektive Auswahl das unverwechselbare Kaleidoskop Hamburg ergeben.
Wir nehmen teil an Glanz und Glorie der Hansezeit mit dem Aufstieg und Fall der Kaufmanns- und Reederdynastien derer von Godeffroy und Ballin, verfolgen das weitsichtige Leben und Wirken des legendären Verlegers Julius Campe und den Aufstieg zur Kunst- und Musikstadt mit Alfred Lichtwark, Ernst Barlach und Johannes Brahms. Wir lernen das Schauspiel und die Oper mit Ida Ehre und John Neumeier kennen, lassen uns von Hamburger Originalen wie Hans Albers und Heidi Kabel faszinieren und begleiten Helmut Schmidt und seine Frau Loki auf dem Weg in die hohe Politik. All diese Menschen machen Hamburg aus, die vielleicht schönste Stadt der Welt …
Ohne ihre Bewohner wäre die Stadt eine andere. Ohne Störtebeker, Heidi Kabel, Helmut Schmidt … wäre Hamburg nicht Hamburg.
Farbige Kästchen mit Ziffern 1 und farbige Buchstaben-Ziffern-Kombinationen (▶ D 3) verweisen auf die Orientierungskarte.
ca. 801–865
Der charismatische Benediktinermönch aus Nordfrankreich kam in die Sümpfe bei der »Hammaburg«, baute die erste Holzkirche und gründete das Bistum Hamburg. Der Auftakt zu einer Erfolgsgeschichte.
Beim besten Willen heute nicht mehr vorstellbar: flaches Marschland, so weit das Auge blicken kann. Dort, wo das Flüsschen Alster in die Elbe mündet und sich in unmittelbarer Nähe jetzt die kühne Fassade der Elbphilharmonie 7 ( ▶ E 7) erhebt, nichts als Morast. Bis auf einige wenige, spärlich bekleidete Männer, die damit beschäftigt sind, ein paar Quadratmeter Land für den Ackerbau trockenzulegen und an ihren zeltartigen Wohnlagern aus Lehm und Zweigen zu bauen, nirgends eine Menschenseele. Auf dem Wasser ein paar dümpelnde Einbäume. Misstrauisch beäugen die Männer den Fremden in dem langen Gewand, der im Sommer 832 plötzlich auf ihrem Gelände erscheint und sie mit ausgebreiteten Armen im Zeichen des Kreuzes begrüßt. Der Benediktinermönch Ansgar ist gekommen, um an diesem seit Längerem schon als »Hammaburg« bezeichneten Schlickloch an der Alsterfurt seine erzbischöfliche Residenz zu errichten.
Ansgar wurde 801 in Nordfrankreich geboren; bereits als Fünfjähriger kam er nach dem frühen Tod seiner Mutter ins Benediktinerkloster von Corbie an der Somme. Als 20-Jähriger habe er eine Vision gehabt, so sein späterer Bericht, eine Stimme habe ihm befohlen: »Gehe hin. Mit der Krone des Martyriums wirst du zu mir zurückkehren.« Da brach Ansgar gen Norden auf.
Die Gründung eines Missionsbistums am nördlichen Elbufer ist nicht das erste Bauvorhaben, mit dem der Mönch betraut wird. Schließlich hat er bereits die heidnischen Dänen und Schweden erfolgreich bekehrt, und die römisch-katholische Kirche verehrt ihn wie einen Heiligen. Inzwischen gilt Ansgar als Spezialist für die Gründung von Klosteranlagen. Kein Wunder, dass Kaiser Ludwig der Fromme wieder ihn wählt, als es darum geht, an der Elbe eine Art Brückenkopf zu bauen und von dort aus die Heiden zu ordentlichen Christenmenschen zu machen. Ein waghalsiges Unternehmen! Denn noch haben die Franken das Gebiet keineswegs ganz unter ihrer Kontrolle. Nach wie vor ist es Schauplatz für heftige Fehden zwischen Sachsen, Slawen und Wikingern.
Vor allem aber: Was für Anstrengungen sind mit der Errichtung eines gut funktionierenden Missionsstützpunktes auf dem nicht nur sumpfigen, sondern auch von Trümmern und Schutt altsächsischer Festungsanlagen durchwühlten Gelände verbunden. Und dann der Wind und die immer wieder heftigen Stürme, denen Ansgar und seine Leute schutzlos ausgesetzt sind.
Ein Blick auf den heutigen Stadtplan: Im Herzen Hamburgs, dort wo die Steinstraße nach Westen in die Straße Speersort und weiter in die Große Johannisstraße führt und sich Rathaus und Börse dicht aneinander schmiegen, beginnen um 832 unter der Leitung Bischof Ansgars die Arbeiten zu einer Klosteranlage.
Als »Apostel des Nordens« hat man Ansgar bezeichnet. Dem hingebungsvollen Kirchenmann ist auf der Trostbrücke ein Denkmal 1 ( ▶ F/G 5) errichtet worden. Die steinerne Brücke, 1881 neu gebaut, führt über das Nikolaifleet. Ursprünglich verband sie die erzbischöfliche Altstadt mit der 300 Jahre später gegründeten Neustadt: Gold ziert das Gewand des Missionars, der in seiner linken Hand den Bischofsstab trägt, in der rechten ein Kirchenmodell. Ihm gegenüber der Sachsenherzog Adolf III. zu Schauenburg, Stormarn und Holstein, unter dem sich Hamburg mit der Neustadt und dem Hafen als Handelszentrum entwickelte.
In dem historischen Klinkerbau mit der Adresse Trostbrücke 4 hat eine Hamburger Institution ihren Sitz, die es seit 1765 gibt: Die Patriotische Gesellschaft wurde als gemeinnützige »Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe« gegründet. Eines ihrer Ehrenmitglieder: der Bankier Salomon Heine, wohlhabender Onkel des berühmten Dichters Heinrich Heine.
Gleich nebenan beeindruckt der Laeiszhof, das Kontorhaus des Reeders Ferdinand Laeisz. Ferdinand Laeisz und sein Sohn Carl gehören zu den Gründervätern der Hamburger Schifffahrt und wurden zu Symbolfiguren hanseatischen Mäzenatentums. Ihnen ist der Bau »einer würdigen Stätte für die Ausübung und den Genuss edler und ernster Musik« zu verdanken. Die Musikhalle heißt wieder Laeiszhalle 19 ( ▶ D 3) und steht am Johannes-Brahms-Platz.
Aber zurück zu Bischof Ansgar und seiner schlichten kleinen Marienkirche aus Holz, die von einem hohen Erdwall umschlossen ist. Im Schutz dieser »Gottesstadt« fühlen sich die Siedler sicher, und es kommen immer mehr, vorwiegend Fischer und Handwerker, vor allem aber Schiffskaufleute, die als Begleiter für Missionare wie Ansgar auf ihren Reisen in ferne Länder unentbehrlich sind. Nicht nur, dass sie Schiffe bauen können. Die Männer sind auch exzellente Nautiker. Zielsicher verstehen sie es, ihre Boote und Schiffe durch die Küstengewässer zu steuern, egal ob bei Ebbe oder Flut, seichter oder stürmischer See.
Zu Füßen der Hammaburg macht immer mal wieder eine Kogge an der hölzernen Kaimauer fest. Dann belebt sich der kleine Siedlungsplatz. Waren werden entladen. Mehr und mehr entwickelt sich ein reges Markttreiben. Doch Kontinuität ist Hamburgs erstem Hafen, der im Bereich des Alten Fischmarkts lag, noch lange nicht gesichert. Gefahr droht dem eben gegründeten Bischofssitz von allen Seiten.
Es ist ein später Abend im Frühjahr 845, die Flut setzt gerade ein, als sich, von den Bewohnern völlig unbemerkt, dänische Wikinger der Hammaburg nähern und Dutzende von Schiffen die Siedlung umzingeln. Nach einem eisigen Winter hat Dänemarks König sein Heer zum Raubzug auf die Elbe geschickt. Zwei Tage lang nisten sich die Piraten in der Burg ein, plündern, rauben und stecken Ansgars Kirche in Brand, bevor sie bei ablaufendem Morgenhochwasser mit ihren beladenen Booten wieder davonsegeln.
Auf der Hammaburg tobt ein Feuersturm. Im Nu ist die gesamte Klosteranlage in Flammen aufgegangen, die Bibliothek mit den alten Abschriften und Büchern niedergebrannt, die Kaiser Ludwig dem Benediktinermönch als Geschenk mit auf den Weg an die Elbe gegeben hat, sind alle weiteren kirchlichen Schätze und Utensilien geraubt oder zerstört.
Aus der Traum, Hamburg zu einer Missions-Metropole machen zu wollen. Nun, da seine Klosteranlage restlos zerstört ist, sieht Ansgar keine Möglichkeit mehr für sich, den kirchlichen Dienst auf der Hammaburg jemals wieder aufnehmen zu können – viel zu sehr ist die Region von den Verwüstungen dänischer Wikinger bedroht. Daran wird sich auch im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte nichts ändern. Erzbischof Ansgar bleibt nichts anderes übrig, als diesen unglücklichen Ort zu fliehen.
Natürlich hat das Kirchenrecht für solche Fälle Lösungen parat. Was läge näher, als Ansgar zum Nachfolger des kürzlich verstorbenen Bremer Bischofs zu ernennen. Kaum 130 Kilometer liegen zwischen dem Bistum Bremen und dem Erzbistum Hamburg. Einleuchtend, die beiden kleinen Städte 845 zum Erzbistum Bremen-Hamburg zu vereinigen und sich von hier aus weiterhin um die Bekehrung der Nordländer zu bemühen.
In Bremen lässt Ansgar Krankenhäuser bauen, kauft Gefangene frei, setzt sich gegen den Sklavenhandel ein und gründet drei Klöster. Heute erinnert die Kirche St. Ansgarii im Stadtteil Schwachhausen an den angesehenen Erzbischof von Bremen. Sein Nachfolger Rimbert sagte über ihn: »Er wollte den Blinden Auge, den Lahmen Fuß und den Armen ein wahrer Vater sein.«
Niemals hätte sich Ansgar vorstellen können, dass eines Tages an genau jener Stelle ein Mariendom errichtet würde, wo er einst seine Marienkapelle bauen ließ. Es gibt diesen Dom nicht mehr, der um 1400 vollendet wurde. Der Hamburger Senat beschloss 400 Jahre später, ihn wegen Baufälligkeit abreißen zu lassen.
Im Hamburgmuseum 11 ( ▶ C 4) steht ein Modell des Mariendoms. Es zeigt die fünfschiffige Hallenkirche, die nach der Reformation verwahrloste und im Laufe der Zeit verfiel, bis Staub und Spinnweben Altar und Bänke überzogen. Nach und nach suchten etliche Händler im Innern des Gemäuers Schutz vor Regen und Kälte und nutzten die Kirche als Marktplatz mit Ständen für Brot, Gemüse, Leinen und Bücher. Handwerker boten ihre Waren und Dienste an. Zu einer Pilgerstätte wurde der Mariendom um die Weihnachtszeit, wenn zahlreiche Buden mit duftendem Gebäck lockten.
So erinnert nicht nur ein Straßenname, nämlich die Domstraße, heute noch an Hamburgs älteste Kirche, sondern auch ein großer Jahrmarkt. »Auf den Dom gehen«, sagen die Hamburger und feiern mit dem Hamburger Dom 9 ( ▶ C 3) auf dem Heiligengeistfeld nahe der Reeperbahn dreimal im Jahr, im Frühjahr, Sommer und Winter, ein riesiges Volksfest mit Feuerwerk, Karussells, Doppel-Looping-Bahnen, Bratwurstbuden und gebrannten Mandeln. Tausende von Knallern und Böllern krachen, wenn die Hansestadt alljährlich im Mai den Hafengeburtstag feiert, das »größte Hafenfest der Welt«. Es soll an jenen Tag im Mai 1189 erinnern, an dem Graf Adolf I. von Schauenburg beim Kaiser Friedrich Barbarossa den Hamburgern freien Handel und Zollfreiheit auf der Niederelbe bis zur Elbmündung gewährte. Das waren Privilegien, die der Hansestadt entscheidende Vorteile im Wettbewerb mit den anderen Hafenstädten an der Elbe verschafften – und Hamburgs Aufstieg zur blühenden Hafen- und Handelsstadt sicherten.
Mit geschwellter Brust und voller Inbrunst sprechen die Hamburger von »unserem Hafen«, und niemand will das gigantische Fest verpassen, zu dem das »Tor zur Welt« ans Ufer der Elbe einlädt: Wenn der Eröffnungsgottesdienst in der St. Michaeliskirche 27 ( ▶ D 5) vorbei ist, füllt sich die knapp vier Kilometer lange »Hafenmeile« zwischen dem neuen Stadtteil HafenCity 8 ( ▶ G 7) und dem Museumshafen Oevelgönne mit über einer Million Menschen, die »ihrem Hafen« mit viel Bier und Wein zuprosten.
Trostbrücke, Hamburg-Altstadt
▶ U-Bahn: Rathaus
www.hafengeburtstag.de
Heiligengeistfeld, St. Pauli
www.hamburgerdom.de
▶ U-Bahn: St. Pauli
Holstenwall 24, Neustadt
www.hamburgmuseum.de
▶ U-Bahn: St. Pauli
ca. 1370–1401
Woher dieser legendäre Seeräuber kam, weiß heute niemand so genau. Sein blutiger Tod auf dem Großen Grasbrook im Hamburger Hafen machte ihn unsterblich – und zu einem Mythos der Hansestadt.
Es ist die Pest! Kein Handelsschiff ist mehr vor ihnen sicher. Schon seit Langem treiben die Piraten ihr Unwesen auf der Ost- und Nordsee, inzwischen haben sie bereits die Mündung von Elbe und Weser erreicht. Gnadenlos überfallen sie die Mannschaften der Hansekoggen auf Kurs nach England oder Skandinavien, und wenn ein angegriffenes Schiff sich nicht umgehend ergibt, scheuen die Ganoven auch Mord und Totschlag nicht. Als Kopf der Bande ist ein Mann bekannt, der Klaus Störtebeker heißt. Seitdem sein blutrünstiges Geschwader aus den Wattengebieten der Nordsee heraus operiert und den Kaufleuten fässerweise Bier und Heringe raubt, leidet die Hansestadt unter einer schweren Wirtschaftskrise. Denn schließlich beruht Hamburgs Reichtum vor allem auf dem Export von Bier.
Mit 460 Brauhäusern, die vorwiegend an den Fleeten liegen, wird die Stadt als »Brauhaus der Hanse« gerühmt: Gerste und Hopfen gedeihen prächtig in den umliegenden Marschen, der Getreidehandel an der Oberelbe sorgt für die Produktion von reichlich Malz. Aber es ist nicht nur das Bier. Auch der Hering bringt Hamburg dank des Transithandels mit Ländern wie Skandinavien und Holland gutes Geld und hohes Ansehen. Kaum hat Mitte August die Fangzeit begonnen, herrscht im Heringhaus am Alten Fischmarkt in der Innenstadt Hochbetrieb. Mit Stichproben auf ihre Qualität geprüft – schließlich geht es Hamburg darum, beim heiß umkämpften Heringshandel seinen Monopolanspruch zu verteidigen – werden Tonnen von Fisch gewaschen, gesalzen und für den Transport ins Binnenland vorbereitet.
Inzwischen ist der kleine silbrige Fisch als Nahrungsmittel höchst populär, und mancher isst ihn am liebsten sogar »grün«, also frisch. Getrocknet, leicht gesalzen und geräuchert wird er bald als »Bückling« auf den Tellern der Bürger liegen, eine Spezialität, die dem Holländer Johannes Böckel zu verdanken sein soll.
»Heringsbändiger« haben die Binnenländer Hamburgs Kaufleute oft abschätzig genannt und das Meerestier als »Fisch kleiner Leute« verpönt. Vermutlich ohne zu wissen, dass der Handel mit dem Hering viele Menschen ernährte. Außerdem erblühte das Handwerk der Böttcher, die alle Hände voll zu tun hatten, die hölzernen Heringstonnen anzufertigen.
Apropos Heringe: Nach durchzechter Nacht zieht es Hamburger am frühen Sonntagmorgen nicht ins häusliche Bett, sondern auf den St. Pauli Fischmarkt. Ob im Sommer oder Winter, bei Nieselregen oder Sturm, ab sechs Uhr in der Früh treffen auf Hamburgs ältestem Wochenmarkt südlich des Pinnasbergs, wo die Große Elbstraße beginnt, Schwärme von Menschen ein, um sich nach einem St. Pauli-Vergnügen noch ein erfrischendes Bier zu gönnen und den Biss in ein herzhaftes Brötchen mit Hering, Zwiebelringen und Gewürzgurke zu genießen. Oft übertönt der »Frische Fische«-Ruf der Händler noch das Kreischen der Möwen, wenn die Männer an ihren Ständen Krabben und Krebse, Schollen und Schellfisch feilbieten, aber auch Obst und Gemüse, Kaninchen und Kakteen, Kitsch und Kunst und viel Trödelkram.
Hamburg, 1401. Jetzt reicht es! Hamburg, Lübeck, Bremen, Wismar, Rostock – die gesamte Hanse ist von den Überfällen der Piraten betroffen. Bei jedem Versuch, sie zu fangen, sind die beiden kühnen Haupträuber Klaus Störtebeker und Goedeke Michels immer wieder entwischt. Laut klagen die hanseatischen Kaufleute über hohe finanzielle Verluste und schwören Rache. Es muss unbedingt etwas geschehen, um weiteres Unheil abzuwenden. Eine bewaffnete Aktion scheint unvermeidlich. Im April tauchen die Piratenanführer wieder auf der Nordsee auf. Mehr als 40 Koggen begleiten Störtebeker und sein Boot »Roter Teufel«. Ihr Ziel ist die Felseninsel Helgoland. Für Hamburg ist der Augenblick gekommen, zum entscheidenden Schlag auszuholen.
Unter dem Kommando des Schiffshauptmanns Simon van Utrecht verlässt das Flaggschiff »Bunte Kuh von Flandern« am 22. April 1401 mit einer Flotte den Hamburger Hafen. Der Trick: Die Kriegsschiffe sind als Handelsschiffe getarnt. Sie sollen die kapernden Seeräuber um Störtebeker – die Vitalienbrüder – endlich in die Falle locken.
Tatsächlich geht Störtebekers Rechnung dieses Mal nicht auf: Seinem Angriff auf die vermeintlichen Frachtschiffe folgen erbitterte Kämpfe auf offener See, bei denen mehr als 40 Piraten umkommen und er selbst mit 70 seiner Leute gefangengenommen wird. Was für ein Erfolg für die Hansestadt Hamburg! Er war möglich geworden durch die Hilfe eines Verräters, erzählt die Legende. Als Fischer verkleidet soll ein Sympathisant der Hanse unbemerkt flüssiges Blei in die Steueranlage der Kogge »Roter Teufel« gegossen und Störtebekers Schiff manövrierunfähig gemacht haben.
Auf dem Großen Grasbrook in Hamburgs neuem Stadtteil HafenCity 8 ( ▶ G 7), dort, wo 2007 die Grundsteinlegung der Elbphilharmonie 7 ( ▶ E 7) erfolgte, steht auf einem Sockel ein kleiner Mann 28 ( ▶ H 6) aus Bronze mit Bart, die Hände vor dem Bauch gefaltet, den Blick über die Schulter in Richtung Innenstadt gewandt. Kaum vorstellbar, dass dieses schmächtig wirkende Kerlchen jener Klaus Störtebeker sein soll, der vor 600 Jahren die reichen Hansestädte an der Ost- und Nordsee das Fürchten lehrte.
Wie der legendenumwobene Freibeuterkapitän zu seinem Namen und wo er überhaupt herkam, ob er Klaus und nicht etwa Claas oder wohlmöglich Nikolaus hieß und am Ende gar kein Pirat, sondern ein Kaufmann aus Danzig war – kein Mensch kann es genau sagen. Genauso wenig wie erwiesen ist, ob Störtebeker tatsächlich so trinkfest war, wie sein Name, der so viel wie »Becher-Herunterstürzer« heißt, nahelegt.