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2. Auflage 2012
© 2012 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
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© 2011 John Wiley & Sons (Asia) Pte. Ltd. All rights reserved.
Authorized Translation from English language edition published by John Wiley & Sons (Asia) Pte. Ltd.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Wir danken Nina Sattler-Hovdar für die Titel-Idee.
Übersetzung: Helmut Dierlamm, Anne Emmert, Annette Wunschel
Lektorat: Ulrike Kroneck
Umschlaggestaltung: Maria Wittek
Umschlagabbildung: unter Verwendung von istock-Bildern
Satz: HJR, Jürgen Echter, Landsberg am Lech
Epub: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN Epub 978-3-86248-254-2
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.finanzbuchverlag.de
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Danksagung
Vorwort zur deutschen Ausgabe
1 In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Teil 1: Das Credo des Marktliberalismus führt in die Irre
2 Zu viel Wahl, zu wenig Zwang
Bitte den Werkzeugkasten!
Die Volkswirtschaftslehre ist keine exakte Wissenschaft
Die lange Liste der falschen ökonomischen Weisheiten
Ein DVD-Player muss mehr kosten als ein Mittagessen
Reich gewinnt, Arm verliert
3 Die marode Finanzordnung
Konsum: Rausch und Ratio
Wie hart landen wir?
Verbraucherschulden
Bankschulden
Staatsschulden
4 Die Verschwendung der Ressourcen
Wem gehören die Ressourcen der Welt?
Ihnen gefallen diese Prinzipien nicht? Hier sind noch mehr.
Den Wert der Ressourcen erkennen wir erst, wenn sie nicht mehr da sind
Unsere seltenen Erden
Wasser für sieben Milliarden Menschen
Laisser-faire – nein danke
5 Die zerstörerische Kraft des Ich
Ich, Ich, Ich
Der Konservatismus unterwegs in die falsche Richtung
Kiasu. Gesundheit!
Nein, Gier ist eben nicht gut, Mr Gekko!
Teil 2: Grassierende Blindheit: Für die Bewältigung der Aufgaben fehlt uns das Handwerkszeug
6 Können Sie Kant lesen?
Ein schlechter Anfang
Ach nee!
Der Weg zum Glück
7 Wer hat das Sagen?
Jemand muss Entscheidungen treffen
Herrschaft der Angst
Der Mensch wird frei geboren, doch überall liegt er in Ketten
Wer hat denn nun das Sagen?
8 Die Krux mit dem wachsenden Einfluss Chinas
Es kann noch schlimmer kommen
Der Drache ist wach
Von Privilegien und Prinzipien
Vergessen wir nicht die Wut
Wer wünscht sich solche Arbeitgeber?
Das Spiel um die Macht
Teil 3: Diese Mängel werden schlimme Folgen haben
9 Verknappung der Finanzmittel
Aber die Antworten liegen doch auf der Hand
Langwierige Folgen
Alles bricht zusammen
Radikale Sparmaßnahmen statt Konjunkturspritzen
Mehr Luft in der Blase ist keine Lösung
Den Gürtel noch enger schnallen
10 Wir werden anders leben
Im Kampf um Energie gibt es kein Fairplay
Gibt es Alternativen?
Die Folgen
11 Weniger Gesundheit
Und welche Rolle spielt das Öl dabei?
Dann wisch’ ich das Skalpell halt bloß noch ab
Hast du etwa gehustet?
Das Summen hört auf
12 Konfliktursachen entschärfen
Wir machen es anders, seht ihr das nicht?
Der Vorratsschrank ist bald leer
Aber ihr habt es versprochen!
Auch der Klimawandel kann zu Konflikten führen
Teil 4: Klarheit statt anti-aufklärerische »Verdunklung«
13 Wir müssen uns ändern
Du brauchst bloß einen neuen Dichtungsring, Kumpel
14 Was sonst noch zur Debatte steht
Vom Fortschritt zur Armut
Alle Macht den Blumen
Nötiger Wandel
15 Auch Sie haben jetzt eine Rolle zu spielen
Anmerkungen
Vielen Menschen schulde ich Dank: Sie haben dieses Buch möglich gemacht, indem sie mein Leben, meine Gedanken, meinen Weg beeinflussten. Andrea, Andrew, Arya, Alexina und Robin – sie alle haben besonderen Dank verdient. Und das sind nur die mit A (und einer mit R).
Andrea See hat mich nicht nur computertechnisch unterstützt, seit ich sie kenne. Andrew Vine hat mich gefördert und ermutigt. Er ist ein Freund, den ich nicht entbehren kann. Arya K. Madanmohan, manchmal in Neu-Delhi, manchmal in London, hat mich sowohl mit sehr ausgefallenen als auch mit höchst vernünftigen Ideen versorgt. Alexina and Robin Maxton sind meine Stärke.
Dankbar bin ich auch Darrell Doren und Stephen Rocke in Hongkong wie auch den vielen anderen, die mir regelmäßig ihre Gedanken schickten. Auch John Wormald in Chichester werde ich für seine Güte und seine Klugheit ewig dankbar sein. Und Jay Kunkel, meinem Bruder in Shanghai oder auf irgendeinem Flughafen, der der breiten Masse mit seinen Beobachtungen und Ansichten immer so weit voraus ist. Auch Maria Hovdar in Eugendorf danke ich für ihr gewaltiges Wissen, ihr Mitgefühl mit anderen und ihr Gespür für Menschlichkeit und Weitblick. Auch für Ihre Geduld und jedes Frühstück bei Kerzenschein [im Original deutsch, A. d. Ü.] Auch ohne den guten Rat und die Unterstützung von Nick Melchior wäre dieses Buch nicht geworden, was es ist.
Was die Vergangenheit betrifft, danke ich herzlich James und Jimmy Maxton für ihre erleuchteten Gene.
Graeme Maxton
Singapur, 2011
In unseren Buchhandlungen stapeln sich Publikationen von mehr oder weniger herausragenden außereuropäischen Politikern, Ökonomen und Beobachtern. Die Inhalte sind oft spannend und interessant, doch erscheint vieles auch naiv und anmaßend, weil der Tonfall häufig so belehrend ist. Die Bücher bejubeln zu einseitig ein strikt marktliberales Wachstumsmodell und schließen jede Alternative von vornherein aus; dagegen gibt es viel Spott über Europas hochfliegende politische Ideen und Plädoyers für mehr Wettbewerb und weniger Rücksicht auf das Wohlergehen von Menschen. Klimaveränderungen werden ausgeklammert, ebenso die knapper werdenden Rohstoffe. Wollen die Europäer denn nicht verstehen?, fragen sie. Wieso sind sie nicht so wie wir? Noch provozierender sind die Bücher britischer Autoren mit ihrer EU-Kritik, die jeden Schritt in Richtung europäische Integration entsetzt zurückweisen und durch eine Europakritik von innen Zwietracht säen.
Doch keine Sorge, dieses Buch ist anders. Sein Inhalt ist in vier Teile gegliedert.
Der erste Teil wendet sich den Problemen zu, vor denen die Menschheit steht. Er geht ein auf die Schulden, die in der westlichen Welt vielfach aufgehäuft wurden, auf die vor uns liegenden Ressourcenengpässe und auf jene Fundamente der westlichen Gesellschaften, die bröckeln, weil wir nicht mehr präzise unterscheiden zwischen der relativen Freiheit, Dinge zu tun und zu lassen, und der unteilbaren Freiheit des Menschen. Ich glaube, die Verantwortung für die genannten Probleme liegt hauptsächlich bei den Ökonomen unserer Zeit – und damit meine ich ein wirtschaftswissenschaftliches und politisches Denken, wie es vor allem in den USA und in Großbritannien verbreitet ist, obgleich auch etliche Vertreter dieser Weltanschauung aus Österreich kamen. Diese Ökonomen, so der Ansatz, haben die Ideen von Adam Smith – samt den Gedanken vieler anderer Köpfe der Aufklärung – usurpiert, die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien jedoch aufgegeben. Sie übernahmen nur einige Begriffe und Formeln der Aufklärung, nicht jedoch deren Bedeutung.
Der zweite Teil behandelt die Komplexitäten, die Hürden auf unserem Weg, die Barrieren, die es uns schwer machen werden, unsere weltumspannenden Probleme zu meistern. Betrachtet werden hier die vor allem in den Vereinigten Staaten (aber auch anderswo) sinkenden Bildungsstandards, der Niedergang der politischen Kultur in diversen westlichen Staaten und der Aufstieg der Volksrepublik China. Der wachsende Einfluss Chinas droht alle übrigen Probleme zu verschärfen, da die chinesische politische und ökonomische Philosophie bewährte Leitideen der Aufklärung – etwa zu Gleichheit, Privatsphäre, Arbeiterrechten und Demokratie – schlicht ignoriert.
Im dritten Teil wird dargestellt, was geschieht, wenn wir so weitermachen wie bisher. Im Mittelpunkt stehen die finanzwirtschaftlichen Konsequenzen der Überschuldung im Westen sowie die weltweiten Auswirkungen der abnehmenden Verfügbarkeit von Ressourcen. Untersucht werden auch die Auswirkungen von Problemen der Rohstoffversorgung auf globale medizinische Versorgungsstandards. Hier werden sowohl ein Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung in bestimmten Weltgegenden als auch staatsinterne und transnationale Konfliktrisiken prognostiziert.
Der letzte Teil des Buchs geht schließlich darauf ein, was wir gegen diese Entwicklungen tun können, um wenigstens einige der fatalen Konsequenzen zu vermeiden und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Dieser Teil ist ein Appell an uns alle, auf wirtschaftliches Wachstum als Fortschrittsmaßstab zu verzichten und klügere Maßstäbe zu entwickeln. Gefordert werden radikale politische Veränderungen und ein Gesinnungswandel in Finanzwirtschaft, Industriekonzernen und bezüglich des sozialen Zusammenlebens.
Für amerikanische Leser waren bestimmte Gedanken im letzten Teil des Buches schwer zu verstehen; den Lesern im deutschsprachigen Raum werden sie geläufiger sein, ja, manche Vorschläge könnten hier sogar ein wenig zahm erscheinen. Ein Abschnitt über »Ordnungspolitik« empfiehlt diese beispielsweise anderen Ländern als Modell. Ich bin sicher, dass darüber in Dortmund, Hamburg oder Berlin kaum jemand eine Miene verziehen wird.
Das Fazit des Buches ist freilich einfach genug. Was wir nicht brauchen, ist eine marktliberale Volkswirtschaftslehre, die Regulierung generell ausschließt. Was wir ebenfalls nicht brauchen, sind restriktive staatliche Kontrollsysteme, mit denen individuelle Freiheiten eingeschränkt werden.
Obwohl ich es in der englischen Ausgabe nicht erwähne – um auf dem amerikanischen Markt nicht sogleich als »Sozialist« geächtet zu werden, was zur Folge hätte, dass alle meine Ideen in Bausch und Bogen verworfen würden –, glaube ich, dass wir unsere Bestrebungen noch immer essenziell auf die Verwirklichung jener Grundprinzipien richten sollten, auf denen die europäischen Sozialsysteme aufgebaut sind. Europa wollte den sozialen Ausgleich durch eine Verbindung von persönlicher Verantwortung und staatlicher Gemeinschaft sichern. Obwohl das Modell bisweilen scheiterte, liefert es uns allen eine bedenkenswerte Grundlage für die Zukunft. Das amerikanische und das britische Modell, die beide in den vergangenen dreißig Jahren dominierten, sind gescheitert, da sie divisiv, also auf wachsende Ungleichheit bei der Verteilung, ausgerichtet und folglich instabil sind. Sie leisteten Finanzblasen Vorschub und polarisierten die Gesellschaften.
Heute steht das europäische Modell unter Beschuss, und die Kritik kommt nicht nur von außenstehenden Beobachtern, die seine Stärken verkennen, sondern es spielen auch politische Gründe eine Rolle. Europas Wunsch nach Kooperation und seine Bemühungen um dauerhafte Stabilität werden in den kommenden Jahren auf eine harte Probe gestellt werden. Der Druck von außen wird zunehmen, zum Teil deshalb, weil es für Außenstehende einiges zu gewinnen gibt. Es wird neue Versuche geben, den Euro zu destabilisieren und die Europäische Union zu spalten – und die Gegner der europäischen Ideologien, die diese Errungenschaften zerschlagen wollen, werden dafür sorgen, dass dabei die einen vom Leid der anderen profitieren könnten.
Der Druck von innen wird wohl ebenfalls zu einer Zerreißprobe führen. Viele Bürger Europas, vor allem in Deutschland, werden in zwei, drei oder fünf Jahren aus gutem Grund eine Ermüdung verspüren. Nachdem sie bereits den Gürtel enger schnallen mussten, wird es für sie noch für viele weitere Jahre keine Aussicht auf Lockerung geben. Manche werden es leid sein, ständig für die Dummheit von anderen den Kopf hinzuhalten, diese Ungerechtigkeit wird sie aufbringen. Die europäischen Politiker wiederum werden unter zunehmendem Druck stehen, ihren Einigungsprozess zu stornieren und sich auf die Interessen und Belange ihrer Länder zu konzentrieren.
Um die heraufziehenden globalen Herausforderungen zu meistern, ist es notwendig, dass wir künftig den spaltenden Kräften innerhalb Europas mit – massivem – Widerstand begegnen. Europa und die Welt brauchen die europäische Einigung. Mehr denn je brauchen wir heute Menschen mit Sinn für Gerechtigkeit, Fairness und soziale Verantwortung, solche, die Prinzipien haben und die nicht nur nach schnellem Gewinn auf Kosten anderer streben.
Die westliche Gesellschaft muss sich in den kommenden Jahrzehnten zu einem ganz erheblichen Teil neu erfinden. So muss neu bestimmt werden, was überhaupt wichtig, wertvoll und brauchbar ist. Die Ökonomie braucht ein neues Modell, für Teile der Bevölkerung sollten neue Aufgaben definiert und auseinanderbrechende Sozialstrukturen müssen gekittet werden.
Wir werden uns damit abfinden müssen, dass alle Versprechen eines grenzenlosen Wachstums nicht nur an der Wirklichkeit vorbeigehen, sondern dass es Lügen sind: Lügen, die falsche Hoffnung wecken, da sie uns in einer Zeit, in der es weder möglich noch nachhaltig ist, glauben machen, wir könnten einfach weitermachen wie bisher. Mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Erde werden künftig einen neuen Richtungssinn und ein Gespür für nachhaltige Formen des Lebens entwickeln müssen. Gleichzeitig müssen wir auf den Klimawandel reagieren und mit möglichen neuen Ursachen zwischenstaatlicher Konflikte umgehen.
Europa und besonders dem deutschsprachigen Teil Europas kommt in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu. Die Heimat der wohl erfolgreichsten Wirtschaft der vergangenen sechzig Jahre sollte im Zentrum der Debatte über unsere Zukunft stehen. In den kommenden Jahren werden wir in einen Mahlstrom von guten und schlechten Ideen geraten, und es werden zahlreiche radikale und erschreckende politische Konzepte vorgebracht werden. Genaues, klares Denken ist gefordert, wenn Einsicht siegen soll.
Vor knapp 250 Jahren war Europa die Wiege der Aufklärung. Heute hat es oft den Anschein, als überschatteten gewisse Alterssymptome den seither angehäuften riesigen Schatz an Erfahrung und Wissen. Europas Stimme ist schwächer geworden, zu unser aller Schaden.
Heute hat Europa die Chance, erneut zu einem Brennpunkt der Veränderung zu werden, die Chance, eine sozial verantwortliche und ökologisch nachhaltige Weise des Denkens und Lebens hervorzubringen. Europa könnte eine zunehmend geteilte Welt vereinen und ihr durch das Ethos und die Werte der Denker der historischen Aufklärung neue Impulse geben.
Graeme Maxton, Singapur, im Februar 2012
Und ganz sicher kann keine Nation blühen und gedeihen, deren Bevölkerung weithin in Armut und Elend lebt.
Adam Smith
Es ist beschämend: Die Menschheitsentwicklung hat einen Umkehrpunkt erreicht, wir fallen zurück. Menschen zerstören heute mehr als sie erschaffen. Zwar wächst die Weltwirtschaft jährlich um 1,5 Billionen Dollar, doch verwüsten wir den Planeten gleichzeitig jährlich in einer Größenordnung von 4,5 Billionen Dollar.1 Die Menschheit hat demnach offiziell den Rückwärtsgang eingelegt, wir vernichten mehr als wir produzieren.
Und doch nehmen die meisten von uns solche Zahlen gelassen zur Kenntnis.
Natürlich weiß man, dass die Menschheit eine Menge Probleme hat. Wie auch nicht: die Tatsache, dass weltweit sieben Milliarden Menschen leben, muss sich ja auf den Zustand unseres Planeten auswirken. Aber viele von uns wollen diese Auswirkungen nicht wahrhaben und starren zum Trost auf den Gegenbeweis, unseren Fortschritt.
Es ist wahr, wir haben im Laufe der letzten Jahrzehnte viel erreicht. Heute genießen mehr Menschen mehr Freiheit und können ihr Leben und ihren Konsum freier gestalten als in jeder früheren Epoche. In manchen Weltgegenden ist der Ernährungsstandard heute höher als je zuvor, ganz ähnlich die Lebenserwartung. Der Handel der Völker untereinander ist offener geworden. Generationen von Menschen durften die Früchte eines unerhört schnellen und anhaltenden Wirtschaftswachstums ernten. Gegenwärtig hat auch eine größere Zahl von Personen einen höheren Bildungsgrad als in der Vergangenheit, und Millionen Menschen wurden aus absoluter Armut befreit. Die Rechte der Frauen wurden in vielen Weltregionen massiv erweitert, sie sind dort wesentlich besser in der Gesellschaft verankert und durchgesetzt als früher. Auch die Menschenrechte wurden gestärkt: Nach der weitgehenden Abschaffung der Sklaverei wurde unser Recht, zu sagen und zu tun, was und wie wir es wollen, in fast allen Ländern der Welt in den vergangenen 30 Jahren erheblich ausgeweitet.
Selbstverständlich sind wir über von Menschen verursachte Umweltzerstörungen besorgt, besonders dann, wenn sich dadurch unser Klima verändert. Doch was erwartet man? Ist es denn keine logische Folge der menschlichen Evolution, dass die Erde heute einen anderen Anblick bietet als früher? Begleiterscheinungen des Rohstoffabbaus wie Luftverschmutzung, Entwaldung und verwüstete Landschaften sind eben die Kehrseite des Fortschritts der Menschheit.
Wahrscheinlich wird außerdem ein großer Teil der menschengemachten Zerstörung gar nicht von Dauer sein. Nehmen wir Europa: Einst bedeckten Wälder riesige Flächen des Kontinents. Sie wurden vor vielen Jahrhunderten gerodet, aber davon ging die Welt nicht unter. Oder werfen wir einen Blick nach England: Dort wurde die Lebensdauer von Millionen Menschen noch in der jüngeren Vergangenheit durch giftige Gase aus Kohleheizungen in Wohnungen und Fabriken verkürzt – aber da wir mittlerweile mit dem Problem umgehen können, hat sich die Qualität der Luft bis heute erheblich verbessert. Oder betrachten wir die Vereinigten Staaten: Industrieabwässer hatten in mehreren amerikanischen Flüssen alles Leben vernichtet. Gleichwohl haben sich die Flüsse wieder erholt. Und obwohl die Menschheit Tausende von Arten ausrottet, bemerken wir keine negativen Auswirkungen auf uns selbst. Wir haben den Dodo von Mauritius nicht gebraucht. Weshalb soll es bei Tigern anders sein?
Und haben wir denn eine Alternative zum Ressourcenabbau? Wachstum basiert auf Rohstoffen. Durch den Abbau von Metallen und fossilen Brennstoffen sichern wir unseren Fortschritt. Stoppen wir hingegen die Förderung dieser Rohstoffe, so verwehren wir dem weitaus größten Teil der Menschheit die Chance, jemals zu Wohlstand zu kommen und in einer gesunden, modernen Gesellschaft zu leben. Es genügt schon, wenn wir das Tempo des Kohleabbaus oder der Ölgewinnung drosseln, um Milliarden Menschen zum Leben in dauerhafter Armut zu verurteilen. Und bis die Ölreserven endgültig verbraucht sind, haben wir außerdem längst ein Ersatzmodell entwickelt, ein auf Wasserstoff oder Sonnenenergie basiertes, komplett schadstofffreies soziales Zusammenleben. Der Mensch ist von Natur aus erfinderisch.
Wir sind auch gut informiert über die in vielen Regionen der Welt herrschende Nahrungsmittel- und Wasserknappheit. Über eine Milliarde Menschen sind chronisch unterernährt. Doch wir sind der Überzeugung, dass auch dieses Problem lösbar ist, und dass wir uns also nicht von den Ideen eines Thomas Malthus infizieren lassen sollten, der als Prediger mit allerlei düsteren Vorhersagen über weltumspannende Hungerkatastrophen an die Öffentlichkeit trat: Der Mann irrt, heute so gut wie vor zweihundert Jahren. Mit Hilfe unserer Gentechnik können wir Saatgut optimieren, Ernten erhöhen und sogar Meerwasser entsalzen.
Es stimmt wohl, dass wir mehr vernichten als wir erzeugen. Das liegt in unserem Wesen. Wir finden aber auch diesmal bestimmt eine Lösung – so wie stets in der Vergangenheit, nicht wahr? Doch leider ist die Zerstörung unseres Planeten nicht die einzige große Herausforderung der Gegenwart.
Wir haben enorme Finanzprobleme. Wegen der Finanzkrise von 2007 sind viele der weltgrößten Volkswirtschaften so gut wie pleite; es ist unwahrscheinlich, dass sie ihre Schuldenberge jemals zurückzahlen können. Selbst Billionen Dollar an Nothilfen konnten nicht verhindern, dass die Weltwirtschaft seither gefährlich instabil ist. Und vor ihr liegt ein steiniger Weg.
Es gibt Anzeichen schwelender sozialer Konflikte. Die finanziell bedingte Ungleichheit der Menschen nimmt zu. In den meisten Ländern war die Kluft zwischen Arm und Reich in Jahrzehnten nicht so groß wie heute. In den Vereinigten Staaten klafft die Schere weiter auseinander als in den 1920er-Jahren. Weltweit werden Milliarden Menschen immer dicker, was ihrer Gesundheit schadet. In den entwickelten Ländern sinken häufig die Bildungsstandards.
Auch demokratische Grundvorstellungen lösen sich auf. Anscheinend sind für eine ganze Reihe unserer Politiker persönlicher Profit und Macht Hauptanreize für ihre Beschäftigung. Nur wenige von ihnen haben den redlichen Wunsch, das Leben ihrer Mitmenschen zu verbessern und ihnen Hoffnung für die Zukunft zu geben; und nur wenige ermuntern uns zu höheren Zielen. Ihre mit Nachrichtenfetzen gespickte Talkshow-Rhetorik soll kaschieren, dass sie moralische oder soziale Grundsätze weitgehend verloren haben. Deshalb gibt es im Westen mittlerweile Millionen gelangweilter, apathischer Wähler, die sich weder um die weltbewegenden Systeme noch um die Wahrung irgendwelcher notwendigen Prinzipien scheren. Mehr noch, wie schon vor Jahrhunderten stehen wir heute wieder auf einer Stufe, auf der wir Religionskriege führen.
Noch alarmierender ist, dass wir mittlerweile auch an den Grundfesten der Freiheit rütteln. Wenn heute das Schnüffeln in privaten Daten vielfach staatlich sanktioniert wird, höhlen wir unsere ältesten Begriffe individueller Freiheit aus.
Doch das Beunruhigendste ist, dass kaum ernst zu nehmende Vorschläge zur Lösung dieser Probleme gemacht werden. Es grassiert die unsinnige Hoffnung, dass viele der erwähnten Probleme nur jetzt auftreten und am Ende alles wieder gut wird. Dass unser Erfinder- und Entdeckergeist uns schon irgendwie aus der Patsche hilft. Dass wir einen Ersatz für das Erdöl finden, wenn es verbraucht ist. Dass wir irgendwie alle Schulden zurückzahlen können. Dass wir neue Möglichkeiten finden, die Weltbevölkerung zu ernähren. Und dass wir unsere hart erkämpften Rechte schon wiederherstellen werden, sobald der Krieg gegen den Terror gewonnen ist.
Doch es gibt wenig konkrete Anlässe zu solchen Hoffnungen. Uns fehlt ein klares Schema, ein Fahrplan, mit dem wir die Vielzahl der vor uns liegenden Aufgaben angehen können. Statt an materielle Fortschritte, denken wir nur an finanzielle Gewinne.
Was noch schlimmer ist, wir ignorieren einen zentralen Aspekt: Die genannten Probleme sind oft eng verknüpft, denn sie haben die gleichen Ursachen. Rohstoffknappheit, Finanzierungsengpässe, politische und soziale Unruhen, all das gründet auf unserer veränderten Wahrnehmung der Welt. Wir denken die Welt heute anders als früher, und unsere neuen Rationalisierungsmuster haben sich nahezu alle in den letzten dreißig Jahren verfestigt. In dieser Zeitspanne haben wir fast unmerklich viele Zukunftsentwürfe und Leitvisionen aufgegeben, die uns vorher lange Zeit überaus wichtig gewesen waren.
Der Preis dafür sind Umweltzerstörung, Schulden und Hunger.
Um besser zu verstehen, was heute geschieht und weshalb es geschieht, empfiehlt es sich, zweihundert Jahre zurückzugehen, in die Zeit der Aufklärung und zu den Theorien von Adam Smith, dem Gründervater der modernen Nationalökonomie und einem der wichtigsten Protagonisten seiner Zeit. In den meisten westlichen Gesellschaften genießen insbesondere seine Ideen über den freien Markt und die »unsichtbare Hand« höchste Wertschätzung. Auf ihnen beruht unsere ökonomische Welt und zugleich ein Großteil unserer Probleme.
Wir haben Smiths Prinzipien in den vergangenen dreißig Jahren gründlich verwässert und sie durch neue, paradoxe Ideen ersetzt, die unsere Wirtschaft in Gang halten sollten. Das sind die Ursachen der meisten unserer Schwierigkeiten.
Schon seit den späten 1970er-Jahren reden uns schlaue Politiker und akademische Wirrköpfe ein, wir könnten mehrere Grundgedanken in Smiths Theorien ruhig vergessen. Damals empfahl man uns, an seinen Begriffen festzuhalten – aber gleichzeitig war es gar nicht so wichtig, dass wir sie richtig verstanden. Folglich entstellten wir Smiths ursprüngliche Ideen, so wie wir auch andere Prinzipien der Aufklärung – einschließlich Demokratie, soziale Verantwortung und Gerechtigkeit – verfälschten, bis sie für unsere Zwecken brauchbar wurden. Wir benutzten die gleichen Wendungen wie die Denker der Aufklärung, legten sie jedoch anders aus. Ähnlich wie mutierte Gene entdeckten wir Lesarten weit über den ursprünglichen Entwurfsplan hinaus.
Smith selbst dachte bei der Abfassung seiner Prinzipien keineswegs nur in ökonomischen Kategorien; ihm ging es um wesentlich mehr als den bloßen Marktmechanismus. In gewisser Hinsicht verkörperten seine Gedanken und Ansichten die Essenz der Epoche der Aufklärung.
Die Aufklärung brachte dramatische intellektuelle, soziale und politische Fortschritte. Sie fiel ins 18. und frühe 19. Jahrhundert und betraf hauptsächlich Europa und Amerika. Die Revolutionen in Amerika und Frankreich ermutigten die Menschen dazu, sich gegen ihre alte Gesellschaftsordnung aufzulehnen und überkommene Autoritäten infrage zu stellen. Wie Immanuel Kant, einer der wichtigsten zeitgenössischen Denker, es ausdrückte, lautete der Wahlspruch der Aufklärung: »Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.«2
Die Aufklärung brachte uns die moderne Wissenschaft; sie brachte uns das vernunftgeleitete Denken. Nach Jahrhunderten, in denen Kirche, Monarchie und Aberglaube die Herrschaft über die westliche Welt unter sich aufgeteilt hatten, entfachte die Aufklärung eine lebhafte Debatte darüber, was persönliche Freiheit und Demokratie für uns bedeuten können. In Amerika führten Vorstellungen der Republik zur Unabhängigkeitserklärung. Spätere, ebenfalls von der Aufklärung inspirierte Ideen kreisten um Liberalismus oder Geschlechtergleichheit, Meritokratie oder das Recht auf Privatsphäre. Die Aufklärung war der fruchtbare Boden, auf dem neue Ideen zu einem riesigen Wald von Gedanken heranwuchsen, der uns über Generationen mit aller notwendigen Nahrung versorgte.
Die Aufklärung erschöpfte sich jedoch nicht in reinen Ideen. Ihr substanzielles Motiv war ein Wertewandel, der allen Menschen Chancen auf ein besseres Leben eröffnen sollte; dieser Gedanke führte zu Erziehungsreformen und zur Gründung von Bibliotheken, in denen Menschen ohne Ansehen ihres Standes auf Bücher, Magazine und Zeitschriften zugreifen konnten; öffentliche Lesungen feuerten die Debatte weiter an. In Frankreich erschien eine 35-bändige Enzyklopädie, die nichts Geringeres zum Ziel hatte, als das Denken der Menschen zu verändern. Mit ihren über 70 000 Artikeln, die von einigen der einflussreichsten zeitgenössischen Philosophen und Schriftsteller verfasst wurden, stehen diese Bände für den Versuch, den Menschen der Bürgergesellschaft ein neues Bewusstsein ihrer Bestimmung, ihrer Welt und ihrer Existenz zu vermitteln. Die Autoren wollten Aberglauben durch Vernunft bekämpfen; wissenschaftliches Denken und moderne Ideen sollten in Zukunft allen Menschen offenstehen.
Die Aufklärung führte zu einem eminenten Wandel des Denkens, dessen Bedeutung kaum zu überschätzen ist, denn auf ihm gründet fast alles, was westliche politische und intellektuelle Kultur seither ausmacht.
In dieser Welt des Wandels entwickelte Smith seine Ideen. Seine theoretischen Grundlagen bezog er nicht etwa aus der Volkswirtschaftslehre, sondern aus der Moralphilosophie. In seinem Denken waren die Prinzipien der Gerechtigkeit, Toleranz und Fairness allgegenwärtig: Diese galt es hochzuhalten.
In den vergangenen drei Jahrzehnten haben wir nicht wenige der Prinzipien, für die Smith eingetreten war, entweder beiseite gewischt oder verfälscht. Wir haben Kernsätze seiner Lehre in den Wind geschrieben, haben Vorstellungen von Gerechtigkeit und Fairness gering geachtet und trivialen Modellen der Individualität und der uneingeschränkten Handelsfreiheit den Vorzug gegeben.
Diese veränderten Denkmuster hatten nicht nur entscheidenden Anteil an der Entstehung der europäisch-amerikanischen Finanzkrise von 2007, sie sind auch der Grund für die tiefer werdenden Gräben, die viele Gesellschaften durchziehen. Nach der modernen Wirtschaftsrationalität ist es schlüssig, wenn wir den Wert unserer materiellen Umwelt gering ansetzen; dadurch zerstören wir den Planeten noch schneller. Wir schürfen in der Erde, damit Fabriköfen geheizt und Automobile betankt werden können, und damit in unseren Häusern die Lampen brennen. Sobald es aber darum geht, die Preise für die globalen Ressourcen zu bestimmen, denken wir nur noch daran, dass die Förderkosten gedeckt sind und die Dividende hoch ist. Uns kümmern nicht die Kosten, die, nachdem die Weltressourcen verbraucht sein werden, auf künftigen Generationen lasten werden, uns kümmern nicht die Umweltschäden, die wir mit ihrer Ausbeutung und Nutzung verursachen. Indem wir für die Nutzung tellurischer Rohstoffe Billigpreise veranschlagen, wälzen wir den größten Teil der Zeche auf spätere Generationen ab. Was uns heute interessiert, ist in erster Linie schneller Profit – und wesentlich weniger der langfristige soziale Ertrag unseres Handelns. Das wird weder Adam Smiths politischen Ideen gerecht, noch entspricht es seinen wirtschaftlichen Prinzipien.
Aus der gleichen Kurzsichtigkeit heraus haben heute aber auch andere Prinzipien der Aufklärung ihre Geltung verloren.
Statt die Ambitionen und höheren Ziele unserer Mitmenschen zu fördern, was noch die französischen Enzyklopädisten gewollt hatten, lassen wir es heute zu, dass Massenphänomene wie der alberne Kult um Prominente und Markennamen und unsere irrtümliche Annahme, dass Information und Wissen identisch und gleichwertig seien, unseren geistigen Horizont einengen. Dadurch, dass wir Smiths Ideen über soziale Fairness ausgeklammert haben, sind wir zu dem Glauben gelangt, wachsende Einkommensunterschiede wären bedeutungslos. Sie sind aber nicht nachhaltig, und sie sind gefährlich – der Stoff, aus dem Revolutionen gemacht werden.
Wenn wir heute nicht den Kurs ändern, droht uns bald das Ende unserer Sozialsysteme und wir treten stattdessen in eine Ära schwindender Überschüsse, abnehmender Rechte und verschärfter Konflikte ein.
Wenn wir heute nicht aufhören, unsere wertvollsten Ressourcen zu verschwenden, können viele arme Länder auch in Zukunft niemals eine eigene Industrie aufbauen – denn China und die westlichen Industrieländer werden sie immer schon geplündert und der Mittel für ihre eigene Entwicklung beraubt haben: Ihre Ölfelder werden leer gepumpt, ihre Wälder gerodet und ihre Kohleflöze leer geschürft sein. Viele Ressourcen dieser Welt wird auch der größte menschliche Erfindungsgeist nicht wiederbeschaffen können, wenn sie verbraucht sind. Wenn heute optimistisch denkende Wirtschaftswissenschaftler daran irgendwelche Zweifel hegen, sollten sie sich einmal mit ihren Kollegen aus den »harten« Wissenschaften, der Physik oder der Chemie, unterhalten. Im Gegensatz zu den Gesetzen des Marktes ändern sich die Naturgesetze nie. Wir können keine neuen Kupfer-, Zink- oder Ölressourcen generieren, wenn die natürlichen erschöpft sind.
Die moderne Wirtschaftsrationalität hat falsche Ziele definiert: Weil wir Wachstum als Selbstzweck denken, haben wir den Konsumwahn und somit die Plünderung der Erde gefördert, um ein bequemes Leben zu haben. Zum Ausgleich, so ließen wir uns einreden, bekämen wir Fortschritt. Und wir erlebten wirklich ein schnelles Wirtschaftswachstum, schufen aber zugleich eine instabile Welt. Heute beobachten wir in mehreren Ländern seit Jahrhunderten erstmals wieder eine sinkende Lebenserwartung. Kämpfe um Nahrungsmittel, Wasser und Öl werden umso wahrscheinlicher, je weiter der Raubbau an den Ressourcen fortschreitet. Die Politik muss sich mit widerstreitenden politischen Ideologien und erstarkenden nationalistischen Strömungen auseinandersetzen.
Wir ließen uns einreden, es gebe keine Grenzen des Wachstums. Wir meinten, wir bräuchten uns um die Folgen unserer Taten nicht zu kümmern, andere wären dazu da, unsere unbegrenzten Kreditaufnahmen zu verantworten, und andere – nur nicht wir – hätten die Pflicht, die globalen Ressourcen respektvoll zu nutzen.
Wie wir jetzt einsehen müssen, war das falsch.