Was darf die Satire? Kurt Tucholsky hat diese Frage mit einem entschiedenen „Alles!“ beantwortet, eine Antwort, die typisch ist für die Doppeldeutigkeit des Satirischen. Wir wissen, dass das Gesagte zugleich stimmt und nicht stimmt. Manche Köpfe zerreißt solche Zweideutigkeit, andere erfreut, ja erleuchtet sie. Vergnügen am Uneigentlichen ist eine intellektuelle Tugend. In Zeitungsredaktionen mag man sie in den Feuilletons vermuten, wo sich kritische Geister an Skandälchen im Stadttheater erregen. In den Wirtschaftsredaktionen, die für die wirklichen Skandale zuständig wären, wähnt man neoliberale Fliegenbeinzähler, die rechnen können, aber nicht schreiben. Dr. Ursula Weidenfeld ist die rühmliche Ausnahme.
Sie war als Redakteurin und Ressortleiterin und ist jetzt als stellvertretende Chefredakteurin immer der ökonomische Sachverstand – und sie ist eine „femme de lettre“.
Thank god, it’s Friday. Der Freitag kann aber auch in Deutschland süchtig machen. Ein wichtiger Grund: Es ist der Tag, an dem Ursula Weidenfelds Glossen erscheinen. Die satirische Kolumne der stellvertretenden Chefredakteurin des Berliner Tagesspiegels hatte zunächst für drei Jahre ihren festen Platz in der Financial Times Deutschland. Anfang Mai 2003 wechselte die „Glosse über Bosse“ zum Handelsblatt. Ursula Weidenfeld kommt aus dem Wirtschaftsressort. Sie kennt sich aus, ihr wirtschaftspolitisches Wort hat Gewicht, und sie ist eine exzellente – oft auch völlig respektlose –Beobachterin. Ihre Kolumne behandelt regelmäßig Mythen und Gewohnheiten aus dem Wirtschaftsleben, glossiert Themen wie Personalabbaupläne von Unternehmen oder Probleme im Personalmanagement. Es ist ein zweiter Blick auf das Tagesaktuelle, der tiefer geht und dessen literarische Leichtigkeit die intellektuelle Brisanz verkleidet und genau damit befördert.
In „TOP JOB BLUES“ sind ausgewählte Freitagsglossen zusammengefasst. Warum der Titel? Bei der Blues-Musik drehen sich die Texte üblicherweise um die Härten und Ungerechtigkeiten des Lebens. Daher hat sie oft den ungerechtfertigten Ruf als trübselige Musik erhalten – obwohl die Texte oft ausgelassen, humorvoll lakonisch und lustig sind. Im Englischen bedeutet „blue“ nicht nur trübselig, sondern blau ist eben auch die Farbe des Himmels und des Meeres, der Weiten gegen das Grau der Betonsilos, in denen die Computer surren. Es geht um Lupe und Fernrohr. In diesem Sinne sind Ursula Weidenfelds Texte allerfeinster „TOP JOB BLUES“.
Unter dem satirischen Brennglas erkennt man, wie sich an der Ausrichtung einer Betriebsfeier die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ablesen lässt. Besonders kritisch ist eine Feier unter der Devise „Berliner Abend“. Für Ursula Weidenfeld ist die Sache ganz klar: „Sie haben verloren. Die Firma hat wahrscheinlich mehr Schulden als bekannt ist, die Chefsekretärin hat das pauschal gebucht und für die Zusammensetzung der Buletten extra viel Brot, für die saure Sülze extra viel Gemüse geordert – und sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, das mit der wachsenden Zahl der Vegetarier in der Firma zu begründen.“ Ein Trost bleibt, jetzt kann das gesagt werden, was man schon immer sagen wollte. In einer Zeit, in der Zahlen nicht mehr zuverlässig sind, liefert Ursula Weidenfeld zuverlässige Indizien für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens – auch außerhalb von Betriebsfeiern. Teure Flüssigseife auf den Toiletten ist schlecht, weil sie ein untrügliches Zeichen ist, dass schon lange kein Unternehmensberater mehr im Haus war. Billige, glitschige, angegammelte Stückseife ist gut, weil sich die Firma offenbar Gedanken über Kostenminimierung macht. Schlecht ist eine teure Espressomaschine, gut dagegen normaler Bürokaffee, den die Firma nicht bezahlt. Ganz übel sind Unternehmen, in denen es nach Essen riecht. Betriebs- und Personalrat haben durchgesetzt, dass die Tür beim Kochen geöffnet bleibt. Vollends von Endzeit kündet der Geruch von Eintopf. Dann handelt es sich mit Sicherheit um eines der „typischen paritätisch-mitbestimmten `Mahlzeit`-Sager-Unternehmen“.
Ursula Weidenfeld nimmt sie alle aufs Korn: die `Mahlzeit`-Sager-Unternehmen, die kleinen und größeren Eitelkeiten der Chefetagen, den – nicht immer ganz sauberen Kampf – um die Karriere und die Managementtrends. Networking? Die Produktion lahmt, weil zu viel geredet wird. Früher wären die Schwätzer rausgeschmissen worden, die nur auf den Gängen herumintrigierten. Nicht viel besser sieht es im aktuellen „Schweine-Zyklus in Sachen Managertyp“ (Weidenfeld) aus. Er ist bescheiden und ambitioniert. Aber macht das Spaß? Nein! Niemand möchte in einem Unternehmen arbeiten, das von einem graumäusigen und bescheidenen Chef geführt wird. „Es ist gut eitel, hochfahrend und brutal zu sein“, findet Ursula Weidenfeld. Allein schon deswegen, weil so einem Chef niemand hinterherweint. Und man selbst guten Gewissens auf dem Chefstuhl Platz nehmen kann, um dann die Sau rauszulassen.
Weidenfelds Texte stecken stets voll solcher Überraschungen. Alles beginnt vermeintlich harmlos und nimmt dann eine ungeheure Fahrt auf. Ihre Gedanken springen, sie schlägt lustvoll Haken und setzt irgendwann zum fulminanten Schlussspurt an. Und am Ende ihrer Glossen bleibt stets der Eindruck, dass es gar nicht anders sein kann. Kenntnisreich und augenzwinkernd entlarvt sie menschliche Schwächen. Wirtschaft, dieser mächtige und zuweilen undurchschaubare Gigant, wird von Ursula Weidenfeld fröhlich seziert.
Es hat schon viele Bücher, Aufsätze und Studien gegeben, die versucht haben, dem Thema Wirtschaft und der Rolle der Menschen darin auf den Grund zu gehen. Man kann sie alle lesen, hat wenig Spaß und weiß immer noch nicht viel. Oder man kann Weidenfeld lesen. Hat jede Menge Spaß und weiß hinterher so gut wie alles.
Der antike Mensch vermeinte in haarsträubenden Situationen in der Ferne das Lachen der Götter zu hören, die ihren Spaß daran hatten. Und wenn wir ganz genau hinhören, dann hören wir auch in den Freitagsglossen, wie die Götter in der Ferne lachen.
Der Herausgeber dankt den Verlegern und Redaktionen sowie Klaus Kocks, der die Idee zum Buch hatte, und natürlich der Autorin.
Dr. Axel Schnell
– Herausgeber –
Es gehört zu den wenigen Gesetzen, die angeblich auch heute noch gelten: Bloß keine Launen zeigen im Job. Wer Karriere machen will, der hat keine Launen. Der hat Substanz. Sonst nichts.
Weil der Chef einen als ausgeglichenen und immer motivierten Mitarbeiter schätzt, ist man eben ausgeglichen und immer motiviert. Weil die Kollegen lieber jeden Tag denselben Kollegen treffen wollen, liefert man doch gern jeden Tag denselben Kollegen. Und weil niemand in Verdacht geraten will, gern mal einen über den Durst zu trinken, anschließend schlechte Laune zu haben und die Umgebung zu schikanieren, übt man sich im Interesse des Betriebsfriedens doch zuverlässig in fröhlicher Gelassenheit.
Launen sind Karrierekiller. Das lernt man am ersten Tag in der Firma. Außer es handelt sich dabei um anhaltend gute Laune. Gute Laune ist gut. Da sieht man nämlich, lehren uns die Betriebspsychologen, dass das Lachen sofort wirkt, dass man fröhlich wird im Job, und das nennt man dann Motivation. Die Betonung liegt auf anhaltend. Mal so, mal so, das geht nicht. Das ist unberechenbar – und deshalb wieder karriereschädlich.
Kein Wunder, dass sie alle immer supergut drauf sind, die Kollegen, die das Berufsleben noch vor sich haben. So gut, dass sie zuallererst gelernt haben, herbe Niederlagen mit einem Lächeln wegzustecken. Dass sie sich dann für die gute Laune in den Ferien die Zähne haben richten lassen, damit das Lächeln noch weißer, noch unbeschwerter, noch glaubwürdiger wird. Prima, die Kollegen, wie sie ganztägig herumschmunzeln, so, als sei der Vorstandsassistenten-Jour fixe mit der anschließenden Versetzung nach Ostwestfalen die wirklich allerbeste Abendunterhaltung, die ihnen jemals begegnet ist.
Schade nur, dass die gut Gelaunten gerade dabei sind, von ganz oben zu verschwinden. Zuerst haben wir nur ungläubig zugesehen, wie die Thomas und Florian Haffas ihre Bilanzen gut gelaunt in den Untergang juxten. Da sind wir zwar ein bisschen in unserem Glauben an die heilende Kraft der guten Laune ins Wanken geraten, aber irgendwie haben wir doch noch lachen können. Dann haben wir staunend beobachtet, wie es die strahlenden Helden von Bertelsmann erwischt hat, einen nach dem anderen. Und wir haben uns gedacht, hoppla, sie kommen näher, die Einschläge. Wir haben uns ein paar graue Anzüge gekauft und jedenfalls nicht mehr laut gelacht in den Büros und auf den Fluren. Und nun haben wir auch noch mitverfolgen müssen, dass auch bei Infineon die gut gelaunte Jugend gegen grau-seriöses Alter ausgetauscht wurde. Jetzt denken wir darüber nach, ob die Investition in den Kieferchirurgen nicht besser in einem Extra-Kurs Controlling angelegt gewesen wäre.
Eine ganze Armee der Lachen-verboten-Manager hat das Regiment übernommen. Sie ist wie weggeblasen, die Gute-Laune-Doktrin.
Aber seien wir ehrlich: Haben wirklich diejenigen Karriere gemacht, die immer nur gute Laune haben? Nein. Wer keine Launen hat, behält in diesen Tagen immerhin seinen Arbeitsplatz – aber nur, weil er vergessen wurde, als es darum ging, den einen oder anderen Job ins Ausland zu verlagern. Mit Karriere hat das überhaupt nichts zu tun.
Die Wahrheit ist, dass am Ende meistens diejenigen Karriere machen, die schlecht gelaunt, ungerecht, aufbrausend und gehässig sind. Weil man ihnen – und nur ihnen – glaubt, dass sie so sind, wie sie sind.
Und wenn abends dann, nach getaner Arbeit, ein grimmiges Lächeln über ihre Züge geht, dann war es ein guter Tag.
Junge, Junge, elf Millionen. Im Jahr. Und davon zehn Millionen wegen Erfolg. Nur so. Auf die Hand. Im Jahr. Im letzten Jahr! Da war Rezession. Krise. Und dann elf Millionen. Donnerwetter.
Wie macht der das bloß? Was hat er, was ich nicht habe?
Na ja, ist eben Schweizer, der Josef Ackermann. Schweizer verdienen immer mehr. Wenn sie ins Ausland gehen. Da kann man nichts machen, das ist eben so. Weil sie die Schweiz verlassen haben und hierher gekommen sind, gibt s eben eine Extra-Prämie.
Man könnte ja auch gehen. In die Schweiz zum Beispiel. So als Deutscher in der Schweiz, würde vielleicht auch elf Millionen bekommen. Franken natürlich, aber wäre ja auch nicht so schlecht. Aber wer will schon in der Schweiz arbeiten? Irgendwie zu klein und zu unübersichtlich. Macht man nicht, wenn man ein echter Global Player werden will. Da ist zum Beispiel die Pfalz für das mittlere Management die bessere Ausgangsbasis. Die Kosten sind einfach zu hoch, in der Schweiz.
Oder Amerika. Jeder findet da einen Job, auch im Management. Könnte prima hin, nach Amerika. Erst mal in die Niederlassung und dann mal weitersehen. Müsste mich nur bewerben für das internationale Führungskräfteprogramm. Wäre überhaupt kein Problem, da aufgenommen zu werden. Okay, erst mal Englisch lernen und so.
Anfangs sind wahrscheinlich keine elf Millionen drin. Aber da kommt man schnell drauf, wenn man wirklich gut ist. Wenn man sie einmal im Griff hat, die Niederlassung. Und dann die Firma von der Konkurrenz, dann ist mehr drin. Viel mehr. Geht rasend schnell bei denen in Amerika, wenn man’s kann. Stock-Options und so. Kann man hier nur von träumen. Zu starr, die Firmen in Deutschland. Zu sicherheitsorientiert, halten zu wenig von echter Leistung.
Aber Amerika? Nur zehn Tage Urlaub im Jahr. Wäre ja nicht so schlimm, zwei Wochen Pfalz im Jahr würden völlig ausreichen. Aber die Familie. Würde sie nicht mitmachen, nur zwei Wochen. Zu wenig Zeit. Und ansonsten Malochen. Bis spät abends. Und am Wochenende auch. Das ist schon hart. Da sind elf Millionen teuer erkauft.
Und auch kein Kündigungsschutz. Kein bisschen. Klar, wäre auch nicht so tragisch, eigentlich. Wer braucht schon Kündigungsschutz? Nur Loser. Aber die Frau. Würde sie nicht mitmachen. Ohne Kündigungsschutz und Krankenversicherung läuft gar nichts, sagt sie. Ist einfach zu sicherheitsorientiert, die Familie. Kann man nicht ändern. Allenfalls als Generationenprojekt. Die Tochter geht in der elften Klasse für ein Jahr nach Amerika. Vielleicht verdient die ja dann später mal die elf Millionen. Aber Kündigungsschutz würde sie schon auch brauchen, die Kleine. Ganz sicher.
5 113 Euro netto im Monat. Dann ist man reich in Deutschland. Hat Gesundheitsministerin Ulla Schmidt herausfinden lassen. Und glücklich ist man auch. Steht in einer Studie. Jedenfalls glücklicher als die anderen, die weniger haben als 5 113 Euro netto im Monat. So gesehen, geht s uns ja auch gut hier. Mit dem Haus. Dem Garten. Dem Hund. Und den Kindern. Könnte man nicht mitnehmen, den Hund, nach Amerika. Quarantäne und so. Hält der nicht aus. Will immer in unserer Nähe sein. Ziemlich sicherheitsorientiert, das Tier.
Japan wäre gut. Da ist man mit fünfzig immer noch jung im Management. Zwar zahlen sie nicht mehr so supersupergut, die Japaner. Und sie sind auch ziemlich fremd. Muss man ehrlich sagen. Dafür wird man aber auch nicht gefeuert, wenn es mal schlecht läuft. Der Japaner hält seinem Chef die Stange, egal, was kommt. Wie hier. So gesehen, ist Japan gut. Wenn man nicht hierbleiben will.
5 113 Euro netto im Monat. Kann man davon wirklich leben?
Wer in diesem Jahr wirklich wichtig werden will, muss rechtzeitig darüber nachdenken, wie man das anstellt. Die Antwort ist einfach: Wirklich wichtig wird man nur, wenn man rechtzeitig bemerkt wird. Aber wie wird man das, werden sich viele fragen, die seit Jahren versuchen, bedeutend zu werden. Die jeder TV-Kamera, die ihren Weg kreuzt, hoffnungsfroh zuwinken. Oder die sogar eine PR-Agentur beauftragt haben.
Nun ja. Seien wir ehrlich, wenigstens an dieser Stelle. Keine der Bemühungen, auf ehrliche Art wichtig zu werden, wird erfolgreich sein. Denn entscheidend für die Frage, wie wichtig man wird, sind nicht Qualifikation, Soft Skills oder gar das Produkt. Entscheidend ist das Timing.
Und da ist es wie in der Futterkette, die überall, selbst im popligsten Eifel-Maar, gültig ist. Sie sagt: Großer Fisch frisst kleinen Fisch, kleiner Fisch schluckt Kaulquappe, Quappe frühstückt Alge. So schlicht ist das. Anders ist es nur, wenn es gar keine großen Fische gibt. Da kann schon die Quappe eine große Klappe riskieren – und wird erhört.
Wer schlau ist, macht sich das zunutze. Indem er handelt, wenn die großen Fische gerade schlafen. Oder zum Skifahren mit der Familie verreist sind. Der Bundespräsident hat uns den Weg gewiesen, wie es geht. Seine Weihnachtsansprache war noch nicht gesendet, da wurde sie schon in Radionachrichten besprochen. Ausländische Staatsoberhäupter stellten fest, dass der Präsident mit seinen zeitlos nachdenklichen Anmerkungen nichts als Recht hat. Und nachlesen konnte man sie auch schon.
Der Trick: Die Ansprache, die – bei allem Respekt – sonst allenfalls für einen Verdauungsseufzer nach dem Weihnachtsessen gereicht hätte, wurde einfach ein paar Stunden vor dem Sendetermin veröffentlicht. Weil die Nachrichtenlage auch am Abend vor dem Heiligen Abend dünn ist – und weil es dann noch einen gibt, der im Büro sitzt und die Sache bemerkt.
Der Präsident ist schlau. Hans-Dietrich Genscher ist es auch. Von dem legendären Außenminister ist bekannt, dass er sich als Jungpolitiker nicht scheute, am frühen Morgen die Radiosender anzurufen, um zu sagen, dass er schon wach sei. Und bereit sei, etwas zur Sache zu sagen. Was auch immer die Sache gerade war. Weil in der Futterkette der Politik im Morgen-grauen die ganz großen Fische noch nicht unterwegs sind.
Von solchen Leuten lernen heißt, wichtig werden lernen: Wenn niemand da ist, werden auch Pförtner zu Entscheidern. Hinterlassen Sie Spuren: Sie sind da, die anderen nicht. Halten Sie Abteilungsversammlungen mit schwächeren Mitgliedern Ihres Teams ab und fassen Sie Beschlüsse. Welche? Am besten solche, die schon tausendmal beschlossen wurden. Aber Sie machen jetzt ein Memo daraus. Zum Jahresende. Der Zeitpunkt ist die Autorität.
Ihr Chef plant zu Jahresbeginn eine wichtige Rede? Halten Sie sie jetzt. Es gibt Dinge, die keinen Aufschub dulden. Okay, Sie haben Ihre Kompetenzen überschritten. Aber nur zum Wohl der Firma. Sie werden sich wundern, wie viele zuhören. Und wie viel mehr von ihrer Heldentat gehört haben und darüber reden.
Sie wollen ganz nach oben? Sitzen Sie jetzt Probe, solange Ihr Chef im Urlaub ist. Und bleiben Sie morgens ruhig im Auto sitzen, bis der Aufsichtsrat auf den Firmenparkplatz einbiegt und sich wundert, dass niemand mehr zwischen Weihnachten und Neujahr kommen will. Soll der doch sehen, wer wirklich hart arbeitet.
Denn: Ab dem fünften Januar sind die Chefs wieder da, und Sie werden nicht mehr bemerkt. Wie immer. Es sei denn, die Quappe hat bis dahin die Klappe aufgerissen, wurde ein riesengroßer grüner Frosch – und dann geküsst.
Ein bisschen haben wir sie schon vermisst in den letzten Wochen und Monaten. Ganz ehrlich. Zuerst wurden sie ja nur weniger. Man sah sie halt nicht mehr jeden Tag, wie sie in das Zimmer des Chefs und in die Räume der Controller einfielen. Da haben wir uns noch nichts dabei gedacht. Dann aber standen ihre dunklen Leihwagen nur noch sporadisch auf dem Firmenparkplatz, und wir fingen an, uns ein bisschen Sorgen zu machen. Und dann waren sie eines Tages ganz verschwunden. Sie sind abgetaucht. Die Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer. Einfach herausgegangen aus unserer Firma. Und nie wiedergekommen.
Natürlich schafft so etwas schwere Verunsicherung in der Firma. Wenn die Berater verschwinden, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die Firma ist gesund. Oder sie ist zu krank, um ihre Beraterrechnungen noch bezahlen zu können. Gesunde Firmen aber kommen nie ohne Berater aus. Und sie können sich immer Berater leisten. Tja, und die anderen? Die sind richtig arm dran.
Nur: Wohin sind die Berater verschwunden? Wo sind sie hin, all die netten, intelligenten jungen Männer in ihren dunklen Anzügen mit den schwarzen Piloten-Koffern? So viele gesunde Firmen gibt es nicht. Sie haben sich unsichtbar gemacht. Vermutlich haben sie sich in kühle Räume zurückgezogen, wo sie sich bei reduziertem Grundumsatz ganz lange ganz frisch halten. Dort sammeln sie sich, machen neue Erfahrungen, motzen ihre Power-Point-Präsentationen auf, erfinden neue Beratungsfelder, entwickeln neue Consulting-Theorien. Probehalber beraten sie sich gegenseitig. Und sie erzählen sich Beraterwitze. In den Witzen kommen die McKinseys immer schlecht weg. Deshalb ist Witzeerzählen zu einer der Lieblingsbeschäftigungen der Berater geworden, wenn sie nichts zu tun haben. Wenn sie nicht gerade von früher erzählen. Klar, dass dieses Vor-sich-hin-Reden auf die Dauer alle langweilig finden. Deshalb haben die Berater jetzt etwas ganz Neues erfunden. Statt in ihren kühlen Räumen zu bleiben und sich gegenseitig zu beraten oder Witze zu erzählen oder von früher zu erzählen, gehen sie wieder heraus. Und beraten andere. Für lau. Damit sie in Übung bleiben.
Und so sieht man nun die schwarzen Pilotenkoffer, wie sie in Schulen verschwinden. Man sieht dunkle Anzüge, die Hundekäfige und Mitarbeiter in städtischen Tierheimen zählen. Man sieht entschlossene, kantige Mienen, die an den Chefzimmern von Bischöfen klopfen und an den Stühlen von Generalvikaren sägen. Berater stromern neuerdings durch die Ministerien und sagen, dass Politikberatung ganz wichtig geworden ist für sie. Und für die Politik natürlich auch. Weil die doch immer noch so unprofessionell ist. Die Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel, was wäre die ohne Unternehmensberater? Es gäbe vermutlich keine Job-Rucksäcke und keine Personal-Service-Agenturen. Die Bundesanstalt für Arbeit hätte immer noch mufflige Sachbearbeiter und genervte Anspruchsberechtigte statt Service-Teams, die sich endlich um ihre Kundenbeziehungen kümmern. Berater kümmern sich um die Rentenversicherung, die Wirtschaftsförderung, die Qualität der Schulen. Um die Verfassung der Universitäten, um das Hundekotmanagement im Tierasyl, um das Devotionaliengeschäft bei Kirchentagen.
Wir ahnen es: Sie werden nicht ruhen und rasten, die Berater. Bis auch die dunkelsten Nischen im Land erhellt sind. Erst, wenn auch Bischöfe und Tierfreunde, Minister und Studenten Dunkel tragen und ihr Wissen in Pilotenkoffern herumtragen, erst dann ist die Welt beratungstechnisch zivilisiert. Und dann ist sie entweder gesund. Oder ganz arm dran.
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Chefs immer oben sitzen und Sie immer unten? Wahrscheinlich fragen Sie sich das jeden Tag. Wenn Sie in die Firma fahren, morgens. Dann schauen Sie hoch und Sie sehen die ganzen vielen Etagen, die sich über Ihrem Büro in den Himmel stapeln, und Sie verzweifeln ein bisschen.
Sie machen sich klar, dass es Lichtjahre braucht, bis Sie oben ankommen werden. Wenn Sie es jemals schaffen. Oder wenigstens mal zu Besuch dahin dürfen. Zum Beispiel ein Gedanke von Ihnen, ein Papier, das in einer Mappe nach oben befördert würde und da, ganz oben, gelesen und goutiert werden könnte. Einer könnte Sie anrufen lassen, und Sie dürften einen Moment lang die Luft atmen da oben. Wo Visionen entstehen und verwehen. Wo Ihr Papier gewordener kleiner Gedanke für einen kleinen Moment Vorstandswelt spielen darf. Wo es licht ist. Wo die Sonne wohnt. Ihre Sonne. Ihr Chef. Oder der Chef Ihres Chefs.
Und weil Sie wissen, dass die da oben alles im Blick haben, laufen Sie morgens ein bisschen hurtiger über den Parkplatz. Wenn die nämlich runtergucken, dann wollen sie junge, aufgeräumte, ehrgeizige und dynamische Menschen sehen. Also sind Sie auf dem Weg zum Empfang jung, aufgeräumt, ehrgeizig und dynamisch. Sie wollen, dass die da oben denken: Guck mal an, der Müller-Mierscheid. So früh schon, und gut drauf. Und keine Spur von einer Glatze. Den Mann werden wir uns merken.
Nur dass die da oben natürlich nicht dran denken, runterzugucken. Wozu sollten sie auch. Unten, das ist dort, wo die da oben nie wieder hin wollen. Nur wer den Kopf und den Blick frei hat, kann weit gucken. Die Chefs lümmeln sich in ihren Sesseln herum, lassen die Blicke schweifen und bekommen Visionen. Wo der Laden in fünf oder in 500 Jahren stehen soll. Wer bis dahin geschluckt werden muss. Wie der Aktienkurs nach oben geht, wenn die Restrukturierung abgeschlossen ist.
schäftsfreunde glauben werden, dass der Besitzer sie von seinem Großvater zum Examen bekommen hat. Ein Cashmere-Pullover etwa weitere zehn Jahre, bis ihn der Herrenausstatter anerkennend als „Familienstück“ bezeichnen würde. Dasselbe gilt für Tweed, Barbour-Jacken, Cognac, Weinkeller.
Und das alles will nicht nur gekauft, es will auch gepflegt werden. Das macht Mühe. Aber am Ende haben Sie Charisma, Ausstrahlung und Eleganz. Versprochen.
Nur: Charisma, Ausstrahlung und Eleganz und Charme nützen Ihnen leider gar nichts, wenn sie ganz nach oben wollen. Im Gegenteil. Während Sie gelernt haben, Ihre Bauchbinde zum Smoking zu wickeln, haben andere die Firmenmenüs mit Damen gestrichen. Während Sie Ihren Wagen für den Chefparkplatz poliert haben, wurde die Tiefgarage vermietet. Während Sie gelernt haben, sieben Gänge mit Anstand aufzuessen, haben andere bei einer Pizza den Businessplan für die Firma neu erfunden.
Und die stehen jetzt da oben. Und starren ratlos auf die Skulptur von Giacometti, an die sich nicht einmal eine Jacke hängen lässt. Sie schmeißen das Warhol-Original aus dem Büro, um ein Flipchart davor aufzustellen. Denn: Erfolgreiche Manager, die Charisma, Eleganz und Ausstrahlung suchen, heiraten. Oder sie suchen sich einen neuen Pressesprecher. Keiner von ihnen, wirklich keiner von ihnen, käme auf die Idee, sich diesen Zirkus selbst anzutun. Kehren Sie also um. Machen Sie sich ’ne Dose Bier auf. Das hilft.