Cover

Das Buch

Zutiefst verletzt hat Tessa ihre stürmische Beziehung zu Hardin beendet. Seit sie die Wahrheit über ihn erfahren hat, fühlt sie sich verraten und gedemütigt. Sie will ihr Leben zurück – ihr Leben vor Hardin. Doch da ist die Erinnerung an seine leidenschaftliche Liebe, seine Berührungen, die hungrigen Küsse. Ihr Verlangen nach dem unberechenbaren Mann mit den grünen Augen ist immer noch zu stark. Und sie weiß, dass er sie nicht einfach aufgeben wird. Aber kann er sich ändern? Können sie einander retten, oder wird der Sturm sie in die Tiefe reißen?

Die Autorin

Anna Todd lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann im texanischen Austin. Sie haben nur einen Monat nach Abschluss der Highschool geheiratet. Anna war schon immer eine begeisterte Leserin und ein großer Fan von Boygroups und Liebesgeschichten. In ihrem Debütroman AFTER PASSION konnte sie ihre Leidenschaften miteinander verbinden und sich dadurch einen Lebenstraum erfüllen. Anna Todd ist online zu finden unter: AnnaToddBooks.com, twitter.com/Imaginator1dx, instagram.com/imaginator1d und auf Wattpad als Imaginator1D.

ANNA TODD

AFTER

truth

Roman

Band 2

Aus dem Amerikanischen

von Corinna Vierkant und Julia Walther

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe

AFTER WE COLLIDED (The After Series, Band 2) erschien bei Gallery Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York


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Copyright © 2014 by Anna Todd, vertreten durch Wattpad

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Catherine Beck, Anita Hirtreiter, Anne Tente

Covergestaltung: Nele Schütz Design

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-16267-2
V018


www.heyne.de

Für alle Leserinnen und Leser

mit viel, viel Liebe und Dankbarkeit

Prolog

Hardin

Ich spüre weder den eisigen Asphalt unter meinen Knien, noch den Schnee, der mich bedeckt. Ich spüre nur das Loch in meiner Brust. Hilflos knie ich auf dem Parkplatz und sehe zu, wie Zed mit Tessa davonfährt.

Nie hätte ich das gedacht – nicht einmal in meinen absurdesten Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass ich mal so einen Schmerz empfinden würde, diesen brennenden Schmerz, jemanden zu verlieren. Noch nie hatte ich jemanden richtig gern, hatte nie jemanden, der nur mir gehört, mein ganzes Leben nicht. Noch nie wollte ich jemanden so sehr haben. Die Panik – diese verdammte Scheißpanik, sie zu verlieren – war so nicht geplant. Nichts von dem hier war irgendwie geplant. Es sollte ganz easy laufen: Sex haben, mein Geld kassieren und Zed zum Loser machen. Ein ganz klares Ding. Nur dass es eben so nicht gelaufen ist. Stattdessen hat sich diese blonde Frau mit den zu langen Röcken, die wie besessen To-do-Listen schreibt, in mein Herz geschlichen, bis ich irgendwann so rettungslos verliebt war, dass ich es selbst nicht fassen konnte. Wie sehr ich sie liebe, wurde mir erst klar, als ich kotzend über einem Waschbecken hing, nachdem ich meinen kranken Freunden den Beweis für ihr erstes Mal gezeigt hatte.

Ich habe es gehasst, jede einzelne beschissene Sekunde … aber trotzdem nicht damit aufgehört.

Die Wette habe ich zwar gewonnen aber dabei das Einzige verloren, was mich je glücklich gemacht hat. Außerdem habe ich das wenige Gute in mir, das wenige, das ich doch erst durch sie entdeckt habe, auch noch verloren. Während die Schneeflocken langsam meine Klamotten durchnässen, würde ich am liebsten meinem Vater, dem Säufer, die Schuld geben, weil er seine Sucht an mich weitervererbt hat. Oder meiner Mutter, weil sie zu lange bei ihm geblieben ist und mit ihm einen so abgefuckten Sohn produziert hat. Ich will Tessa die Schuld dafür geben, dass wir überhaupt je miteinander gesprochen haben. Verdammt, am liebsten würde ich die ganze Welt dafür verantwortlich machen.

Aber das kann ich nicht. Ich bin schuld, ganz allein. Ich habe sie fertiggemacht und das zerstört, was zwischen uns war.

Ich will alles tun, um meinen Fehler wiedergutzumachen.

Wo geht sie jetzt hin? Werde ich sie dort finden?

1

Tessa

»Das lief über einen Monat«, schluchze ich, nachdem Zed mir erklärt hat, wie es zu dieser Wette gekommen war. Mir ist kotzübel. Ich schließe die Augen, um mich zu beruhigen.

»Ich weiß. Er kam dauernd mit neuen Ausreden an, wollte mehr Zeit und dafür eben weniger Geld. Es war echt seltsam. Wir dachten alle, es ging ihm nur darum zu gewinnen – als ob er uns was beweisen wollte –, aber jetzt kapier ich’s.« Zed hält inne und sieht mich aufmerksam an. »Er hat über nichts anderes mehr geredet. Und dann, an dem Tag, als ich dich ins Kino eingeladen habe, ist er völlig ausgetickt. Nachdem er dich nach Hause gebracht hatte, ist er ausgerastet und meinte, ich soll gefälligst meine Finger von dir lassen, dich nicht treffen. Aber ich habe bloß gelacht, weil ich dachte, er ist besoffen.«

»Hat er … hat er dir vom Fluss erzählt? Und von … den anderen Sachen?« Ich halte den Atem an. Zeds mitleidiger Blick beantwortet meine Frage. »O Gott.« Ich verberge das Gesicht in den Händen.

»Er hat uns alles erzählt … wirklich alles …«, sagt Zed leise.

Schweigend schalte ich mein Handy aus. Seit ich die Bar verlassen habe, versucht er es pausenlos bei mir. Er hat kein Recht mehr dazu, mich anzurufen.

»In welchem Wohnheim bist du jetzt?«, fragt Zed. Erst da fällt mir auf, dass wir schon fast an der Uni sind.

»Ich wohne nicht mehr auf dem Campus. Hardin und ich …« Ich kann kaum den Satz beenden. »Er hat mich überredet, dass wir zusammenziehen. Ist nicht länger als eine Woche her.«

»Er hat was?« Zed schnappt nach Luft.

»Doch. Er ist so jenseits von … er ist völlig …« Mir fällt kein passendes Wort für seine Grausamkeit ein.

»Ich hätte nie gedacht, dass er so weit geht. Ich war davon ausgegangen, sobald wir die … du weißt schon … den Beweis gesehen haben, wird er wieder normal und hat jede Nacht eine andere. Doch dann ist er einfach abgetaucht. Hat sich kaum noch bei uns blicken lassen, außer neulich abends. Da kam er auf einmal zu den Docks und wollte Jace und mich überreden, dir nichts von der Sache zu erzählen. Er hat Jace sogar einen Haufen Kohle dafür geboten, dass er die Klappe hält.«

»Kohle?« Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Das Innere von Zeds Truck scheint mit jeder neuen abartigen Enthüllung kleiner zu werden.

»Ja. Jace hat natürlich bloß gelacht und Hardin versprochen, dass er nix sagen wird.«

»Du nicht?«, frage ich, weil mir Hardins blutige Knöchel und Zeds übel zugerichtetes Gesicht wieder einfallen.

»Nicht wirklich … Ich hab zu ihm gesagt, wenn er es dir nicht bald erzählt, dann tu ich’s für ihn. Das hat ihm nicht gefallen, wie man sieht.« Er zeigt auf seine Nase. »Wenn’s dich irgendwie tröstet, ich glaube wirklich, dass ihm was an dir liegt.«

»Tut es nicht. Und selbst wenn, ist das völlig egal.« Ich lehne den Kopf an die Fensterscheibe.

Hardins Freunde wissen von jedem Kuss und jeder Berührung, jeder Augenblick wurde vor ihnen ausgebreitet. Meine intimsten Erlebnisse. Alle meine intimen Erlebnisse gehören gar nicht mehr mir allein.

»Möchtest du mit zu mir kommen? Also, nicht dass du was Falsches denkst. Aber ich hab eine Couch, auf der du übernachten kannst, bis du … bis alles geklärt ist«, bietet er mir an.

»Nein. Nein, vielen Dank. Aber darf ich kurz dein Handy benutzen? Ich muss Landon anrufen.«

Zed nickt zum Smartphone auf der Mittelkonsole, und kurz frage ich mich, wie anders alles wäre, wenn ich Zed nach dem Bonfire keine Abfuhr erteilt hätte. Dann hätte ich all diese Fehler nie gemacht.

Landon geht nach dem zweiten Klingeln ran, und wie erwartet bietet er mir an, bei ihnen zu übernachten. Obwohl ich ihm gar nicht erzählt habe, was passiert ist. Landon hilft einfach gerne. Ich gebe Zed die Adresse. Während der Fahrt quer durch die Stadt redet er wenig.

»Hardin macht mir garantiert die Hölle heiß, weil ich dich nicht in eure Wohnung gebracht habe«, meint er schließlich.

»Ich würde mich ja dafür entschuldigen, dich da mit reingezogen zu haben … aber das habt ihr Jungs euch selbst eingebrockt«, erwidere ich. Zed tut mir schon irgendwie leid, denn er hatte bestimmt nicht so miese Absichten wie Hardin, aber ich bin noch viel zu verletzt, um über so etwas überhaupt nachzudenken.

»Ich weiß. Wenn du irgendwas brauchst, ruf mich an«, sagt er, und ich nicke, bevor ich aus dem Auto steige.

Mein Atem bildet Dampfwolken in der eisigen Luft, doch ich spüre die Kälte gar nicht. Ich spüre überhaupt nichts.

Landon ist mein einziger Freund, nur wohnt er leider im Haus von Hardins Vater. Ironie des Schicksals.

»Das ist ja ein Wetter!«, meint Landon und scheucht mich ins Haus. »Wo hast du denn deinen Mantel?«, fragt er halb vorwurfsvoll, halb im Scherz. Dann zuckt er zusammen, als das Licht im Flur auf mein Gesicht fällt. »Was ist passiert? Was hat er getan?«

Während mein Blick den Raum absucht, hoffe ich, dass Ken und Karen nicht auch hier unten sind. »Ist es so offensichtlich?« Ich versuche, meine Tränen wegzuwischen.

Als Landon mich in seine Arme nimmt, habe ich keine Kraft mehr zu heulen, weder körperlich noch emotional. Diesen Punkt habe ich längst überschritten.

Landon holt mir ein Glas Wasser und sagt: »Geh am besten gleich hoch in dein Zimmer.«

Es gelingt mir zu lächeln. Oben angekommen führt mich irgendein perverser Instinkt direkt zu Hardins Tür. Als mir das bewusst wird, flammt der Schmerz wieder auf und droht mich zu überwältigen. Schnell drehe ich mich weg. Während ich die Tür gegenüber öffne, kommen die Erinnerungen an jene Nacht zurück, als ich Hardin nachts im Schlaf schreien hörte, und sie brennen wie verrückt. Unbehaglich sitze ich nun in »meinem Zimmer« auf dem Bett und weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll.

Einige Minuten später taucht Landon auf und setzt sich neben mich – nahe genug, um mir zu zeigen, dass er für mich da ist, aber trotzdem mit genügend Abstand, um nicht aufdringlich zu sein.

»Möchtest du darüber reden?«, fragt er.

Ich nicke. Als ich die ganze Geschichte noch einmal erzähle, schmerzt es fast noch mehr als in dem Moment, in dem ich davon erfahren habe. Trotzdem fühlt es sich fast befreiend an, Landon die Wahrheit zu sagen. Und es tröstet mich sogar etwas, dass wenigstens ein Mensch nicht darüber Bescheid wusste, wie ich die ganze Zeit gedemütigt wurde.

Landon hört mir wie gelähmt zu, und ich habe keine Ahnung, was er denkt. Was hält er jetzt von seinem Stiefbruder? Von mir? Aber als ich fertig bin, springt er sofort wütend auf.

»Ich fass es nicht! Was ist bloß los mit ihm, verdammt! Gerade dachte ich noch, dass er langsam fast … vernünftig wird … und dann bringt er so was! Das ist doch krank! Und dass er ausgerechnet dir das antut. Warum zerstört er das Einzige, was er hat?«

Kaum hat er seinen Satz beendet, hält er abrupt inne.

Da höre ich es auch: Eilige Schritte auf der Treppe. Nein, nicht nur Schritte: schwere Boots, die die Holzstufen hinaufpoltern.

»Er kommt hoch«, sagen wir beide gleichzeitig, und für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich tatsächlich, mich im Kleiderschrank zu verstecken.

Landon blickt mich ernst an und sieht plötzlich sehr erwachsen aus. »Willst du ihn sehen?«

Heftig schüttele ich den Kopf. Gerade als Landon die Tür schließen will, schneidet Hardins Stimme wie ein Messer durch mich.

»Tessa!«

Landon hat die Hand nach der Klinke ausgestreckt, als Hardin schon hereinstürmt, direkt an ihm vorbei. Er bleibt in der Mitte des Zimmers stehen. Ich stehe vom Bett auf. Landon ist einen Moment lang fassungslos, er ist so etwas bestimmt nicht gewöhnt.

»Tessa, Gott sei Dank. Gott sei Dank bist du hier.« Seufzend fährt Hardin sich durch die Haare.

Bei seinem Anblick brennt es in meiner Brust, sodass ich mich schnell zur Wand drehe.

»Tessa, Baby. Hör mir zu. Bitte, hör mir einfach …«

Stumm drehe ich mich um und mache einige Schritte auf ihn zu. Hoffnung blitzt in seinen Augen auf, und er streckt die Hand nach mir aus, aber als ich wortlos an ihm vorbeigehe, sehe ich, wie die Hoffnung erlischt.

Gut so.

»Rede mit mir«, bettelt er.

Doch ich schüttele den Kopf und stelle mich neben Landon. »Nein. Ich werde nie wieder mit dir reden!«

»Das meinst du nicht so …« Hardin kommt näher.

»Lass mich in Ruhe!«, schreie ich, als er nach meinem Arm greift.

Sofort tritt Landon zwischen uns und packt seinen Stiefbruder an der Schulter. »Hardin, du solltest jetzt gehen.«

Die Muskeln in Hardins Kiefer zucken, während sein Blick zwischen uns hin und her wandert. »Landon, verpiss dich«, warnt er ihn.

Doch Landon weicht nicht vor ihm zurück. Ich kenne Hardin gut genug, um zu wissen, dass er sich gerade überlegt, ob er Landon vor meinen Augen eine reinhauen soll.

Offensichtlich entscheidet er sich dagegen, denn er holt tief Luft und sagt beherrscht: »Bitte … lass uns kurz allein.«

Landon sieht das Flehen in meinen Augen und erwidert: »Sie will aber nicht mit dir reden.«

»Du erzählst mir nicht, was sie will, verdammt!«, brüllt Hardin und schlägt mit der Faust so heftig gegen die Wand, dass die Gipsplatte knackt.

Erschrocken zucke ich zusammen und fange wieder an zu weinen. Nicht jetzt, bitte nicht jetzt, bete ich stumm vor mich hin, während ich versuche, meine Gefühle unter Kontrolle zu kriegen.

»Hardin, hau ab!«, brüllt Landon. In dem Moment tauchen Ken und Karen in der Tür auf.

O nein. Ich hätte nicht hierherkommen dürfen.

»Was, zum Teufel, ist hier los?«, fragt Ken.

Niemand antwortet. Karen betrachtet mich voller Mitgefühl, während Ken seine Worte wiederholt.

Hardin starrt seinen Vater an. »Ich will mit Tessa reden, und Landon soll sich gefälligst um seinen eigenen Scheiß kümmern!«

Ken sieht zuerst Landon und dann mich an. »Hardin, was hast du getan?« Sein Tonfall ist nicht länger besorgt, sondern … wütend? So genau kann ich es nicht sagen.

»Nichts! Verdammt!« Hardin hebt abwehrend die Arme.

»Von wegen nichts. Er hat alles kaputt gemacht, und jetzt weiß Tessa nicht, wo sie hin soll«, erklärt Landon.

Ich möchte gerne auch etwas sagen, ich weiß nur nicht, was.

»Sie weiß sehr wohl, wo sie hin kann. Sie kann nach Hause kommen, wo sie hingehört … zu mir«, widerspricht Hardin.

»Hardin hat die ganze Zeit nur mit Tessa gespielt – er hat ihr etwas Grausames angetan!«, platzt Landon heraus, worauf Karen erschrocken Luft holt und zu mir kommt.

Ich fühle mich plötzlich so klein. Noch nie habe ich mich so nackt und klein gefühlt. Ken und Karen sollten nicht davon erfahren … aber wahrscheinlich macht das jetzt auch keinen großen Unterschied mehr, weil sie mich nach heute Abend sicher nicht mehr wiedersehen wollen.

»Möchtest du denn mit zu ihm?«, will Ken von mir wissen und unterbricht meine Gedankenspirale.

Verwirrt schüttele ich den Kopf.

»Aber ich werde nicht ohne dich gehen«, fährt Hardin mich an. Als er einen Schritt auf mich zu macht, zucke ich zurück.

»Hardin, ich glaube, du gehst jetzt besser«, erklärt Ken. Damit habe ich nicht gerechnet.

»Wie bitte?« Hardins Gesicht hat inzwischen eine tiefrote Farbe angenommen, so wütend ist er. »Du kannst froh sein, dass ich dein Haus überhaupt betrete – und dann wagst du es, mich rauszuschmeißen?«

»Mein Sohn, ich bin sehr froh darüber, wie sich unsere Beziehung in letzter Zeit entwickelt hat, aber heute Abend musst du leider gehen.«

»Bullshit! Ist sie dir jetzt wichtiger als ich?«

Ken wendet sich zuerst mir, dann wieder seinem Sohn zu. »Was auch immer du ihr angetan hast, ich hoffe, es war wert, das einzig Gute zu verspielen, was du hattest.« Er senkt den Kopf.

Ich weiß nicht, ob es der Schock über Kens Worte ist, oder ob er einfach den Punkt erreicht hat, an dem seine ganze Wut in sich zusammenfällt, jedenfalls steht Hardin nur da, sieht mich kurz an und verlässt dann tatsächlich das Zimmer. Stumm lauschen wir seinen regelmäßigen Schritten auf der Treppe.

Als das Knallen der Eingangstür durch das nun stille Haus dröhnt, wende ich mich schluchzend an Ken: »Es tut mir so leid. Ich gehe jetzt. Ich wollte das alles nicht.«

»Nein, Tessa, bleib bitte hier, so lange du magst. Du bist immer bei uns willkommen«, versichert er mir. Karen und er nehmen mich in den Arm.

»Ich will eure Beziehung nicht zerstören.« Ich fühle mich schlecht, weil Ken wegen mir seinen Sohn rausgeworfen hat.

Karen greift nach meiner Hand und drückt sie sanft, während Ken mich müde ansieht. »Tessa, ich liebe Hardin, aber wir wissen doch beide, dass wir ohne dich gar keine Beziehung hätten.«

2

Tessa

Ich blieb so lange wie möglich unter der Dusche und ließ das Wasser an mir hinabfließen. Ich wollte mich reinigen, mich irgendwie beruhigen. Doch die heiße Dusche entspannte mich nicht. Ich weiß wirklich nicht, was diesen Schmerz in meinem Innern lindern könnte. Er fühlt sich grenzenlos an. Endgültig. Wie ein Organismus, der sich in mir eingenistet hat, aber gleichzeitig auch wie ein Loch, das immer größer wird.

»Das mit der kaputten Wand tut mir wirklich leid. Ich würde den Schaden bezahlen, aber das will Ken nicht«, sage ich zu Landon, während ich meine nassen Haare bürste.

»Mach dir keine Gedanken deswegen. Du hast ganz andere Sorgen.« Tröstend streichelt er mir über den Rücken.

»Ich begreife einfach nicht, was passiert ist. Wie konnte es so weit kommen?« Ich starre ins Leere, weil ich meinem besten Freund nicht in die Augen sehen kann. »Vor drei Monaten ergab alles noch Sinn. Ich hatte Noah, der mir so etwas niemals antun würde. Meine Mutter und ich waren uns nah. Und ich wusste genau, wie mein Leben ablaufen würde. Jetzt habe ich gar nichts mehr. Ich habe nichts. Gar nichts. Ich weiß nicht mal, ob ich noch zur Arbeit gehen soll, denn entweder wird Hardin dort aufkreuzen, oder er überredet Christian Vance, mich zu feuern, einfach nur, weil ihm danach ist.« Ich nehme das Kissen vom Bett und vergrabe die Finger in den weichen Daunen. »Er hat nichts zu verlieren, ich schon. Ich habe zugelassen, dass er mir alles nimmt. Früher war mein Leben einfach, geregelt und klar. Jetzt … nach ihm, nach der Wahrheit … ist alles … ganz anders.«

Landon sieht mich mit großen Augen an. »Tessa, du darfst dein Praktikum nicht sausen lassen! Er hat dir schon zu viel weggenommen. Nicht auch noch das, bitte«, fleht er mich an. »Das Gute an dem Leben nach ihm, das ist doch gerade, dass du machen kannst, was immer du willst. Du kannst noch mal ganz neu anfangen.«

Ich weiß, dass er recht hat, aber so einfach ist es nicht. Inzwischen ist alles in meinem Leben mit Hardin verbunden, selbst die Farbe meines verdammten Autos. Irgendwie wurde er zum Faden, der alle Teile in meinem Leben zusammenhielt. Ohne ihn stehe ich vor einem Trümmerhaufen.

Als ich schließlich nachgebe und halbherzig nicke, sagt Landon: »Jetzt ruh dich erst mal aus.« Dann umarmt er mich zum Abschied.

»Glaubst du, er hört jemals wieder auf?«, frage ich.

An der Tür dreht er sich um. »Wer?«

Meine Stimme ist nur noch ein Flüstern. »Dieser Schmerz.«

»Ich weiß es nicht … aber ich glaube schon. Die Zeit heilt … die meisten Wunden«, antwortet er mit einem tröstenden Gesichtsausdruck, halb Lächeln, halb Stirnrunzeln.

Ich weiß nicht, ob die Zeit es heilen wird oder nicht. Aber eins weiß ich: falls nicht, werde ich es nicht überleben.

Etwas ungeschickt, aber auf seine typisch höfliche Art scheucht Landon mich am nächsten Morgen rechtzeitig aus dem Bett, damit ich auf jeden Fall zur Arbeit gehe. Ich schreibe noch eine Nachricht an Ken und Karen, um mich zu bedanken und mich noch einmal für den Riss zu entschuldigen, den Hardin in ihrer Wand hinterlassen hat. Landon ist ziemlich schweigsam, schaut mich aber während der Fahrt zu meinem Wagen, der immer noch bei der Bar steht, in der ich gestern die grausame Wahrheit erfuhr, immer wieder aufmunternd an und versucht, mir ein paar Tipps mit auf den Weg zu geben, damit ich durchhalte.

Als wir auf den Parkplatz einbiegen, kommen die Erinnerungen wieder hoch: Hardin auf den Knien im Schnee. Zed, wie er mich über die Wette aufklärt. Schnell schließe ich mein Auto auf und steige ein, um der kalten Luft zu entkommen. Als ich im Rückspiegel mein Gesicht sehe, zucke ich erschrocken zusammen: Dunkle Ringe unter meinen immer noch geröteten Augen, die geschwollenen Tränensäcke vervollständigen den Horrorfilm-Look. Ich brauche definitiv mehr Make-up, als ich dachte.

Bei Walmart, dem einzigen Laden in der Nähe, der um diese Zeit schon geöffnet hat, kaufe ich alles Nötige, um meine Gefühle zu überschminken. Allerdings habe ich weder die Kraft noch die Energie, mir wirklich Mühe mit meinem Aussehen zu geben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt wirklich besser aussehe.

Und es stimmt: Bei Vance Publishing bleibt Kimberly die Luft weg, als sie mich sieht. Zwar ringe ich mir ein Lächeln ab, aber sie springt trotzdem von ihrem Schreibtischstuhl auf.

»Tessa, Liebes, ist alles in Ordnung?«, erkundigt sie sich besorgt.

»Sehe ich so schlimm aus?«

»Nein, natürlich nicht«, lügt sie. »Du wirkst nur so …«

»Erschöpft. Ich weiß. Die Abschlussprüfungen haben mich echt geschafft«, erkläre ich.

Sie nickt verständnisvoll, doch als ich den Flur entlang zu meinem Büro gehe, spüre ich bei jedem Schritt ihren Blick im Rücken. Der Tag zieht sich endlos in die Länge, bis am späten Vormittag plötzlich Mr. Vance an meine Tür klopft.

»Hallo Tessa«, begrüßt er mich freundlich.

»Hallo«, erwidere ich mühsam.

»Ich wollte nur mal kurz reinschauen und Sie wissen lassen, wie beeindruckt ich von Ihrer Arbeit bisher bin.« Er lacht verschmitzt. »Sie machen Ihren Job besser und gründlicher als so manche meiner echten Angestellten.«

»Vielen Dank, das bedeutet mir sehr viel«, antworte ich. Die Stimme in meinem Kopf erinnert mich aber sofort daran, dass ich dieses Praktikum nur Hardin verdanke.

»Deshalb würde ich Sie gerne zur Seattle-Konferenz kommendes Wochenende einladen. Oft sind diese Veranstaltungen ziemlich langweilig, aber diesmal geht es um digitales Publizieren, um ›die Zukunft des Buches‹ und diesen ganzen Kram. Sie werden viele Leute kennenlernen und bestimmt das eine oder andere erfahren. In einigen Monaten will ich eine Zweigstelle in Seattle aufmachen, auch darum wird es in einigen Meetings gehen.« Er lacht. »Also, was sagen Sie? Der Verlag übernimmt sämtliche Kosten, Freitagnachmittag geht es los. Hardin ist natürlich ebenfalls herzlich eingeladen. Nicht zur Konferenz, aber nach Seattle«, erklärt er und zwinkert mir zu.

Wenn er wüsste!

»Natürlich komme ich da gerne mit! Und ich weiß die Einladung sehr zu schätzen.« Ich bin begeistert und erleichtert, dass mir endlich wieder etwas Gutes passiert.

»Wunderbar! Kimberly soll mit Ihnen die Einzelheiten besprechen und Ihnen erklären, wie das mit der Reisekostenabrechnung funktioniert …« Er redet noch eine Weile weiter, aber meine Gedanken schweifen ab.

Die Aussicht, an dieser Konferenz teilzunehmen, lindert den Schmerz ein wenig. Ich werde weiter weg von Hardin sein, aber gleichzeitig denke ich bei Seattle auch daran, dass Hardin mit mir dorthin fahren wollte. Er hat wirklich jeden Teil meines Lebens vergiftet, und noch dazu ganz Washington. Auf einmal scheint mein Büro zu schrumpfen, und ich ringe nach Luft.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigt sich Mr. Vance besorgt.

»Äh, ja. Ich bin nur … ich habe heute noch nichts gegessen und letzte Nacht nicht so gut geschlafen«, antworte ich.

»Na, dann gehen Sie doch lieber nach Hause. Was Sie da gerade bearbeiten, können Sie auch zu Hause fertig machen.«

»Es ist schon –«

»Nein, fahren Sie nach Hause. Im Verlagswesen geht es nicht um Leben und Tod. Wir kommen schon ohne Sie klar«, versichert er mir und verlässt mit einem freundlichen Winken mein Büro.

Ich packe meine Sachen zusammen, werfe auf der Toilette einen letzten Blick in den Spiegel – ja, immer noch ziemlich übel – und will gerade im Aufzug verschwinden, als Kimberly meinen Namen ruft.

»Gehst du?«, erkundigt sie sich, und ich nicke. »Na, dann pass bloß auf. Hardin hat schlechte Laune.«

»Was? Woher weißt du das?«

»Weil er mich gerade runtergemacht hat, als ich ihn nicht zu dir durchstellen wollte.« Sie lächelt. »Auch bei seinem zehnten Anruf nicht. Ich hab mir gedacht, wenn du mit ihm reden wolltest, hättest du das sicher schon auf dem Handy getan.«

»Danke dir.« Ich bin wirklich froh, dass sie so aufmerksam ist. Hardins Stimme am Telefon hätte die qualvolle Leere in mir nur vergrößert.

Ich schaffe es gerade noch zu meinem Auto, bevor ich wieder zusammenbreche. Wenn ich mit meinen Gedanken und Erinnerungen alleine bin, ohne Ablenkung, wird der Schmerz noch heftiger. Und natürlich auch, wenn ich die fünfzehn verpassten Anrufe von Hardin auf meinem Handy sehe und den Hinweis, dass ich zehn neue Nachrichten bekommen habe, die ich alle nicht lesen werde.

Nachdem ich mich so weit zusammengerissen habe, dass ich fahren kann, tue ich das, wovor mir schon die ganze Zeit graut: Ich rufe meine Mutter an.

Sie nimmt nach dem ersten Klingeln ab. »Hallo?«

»Mom«, schluchze ich. Das Wort fühlt sich komisch an in meinem Mund, aber ich brauche jetzt ihren Trost.

»Was hat er getan?«

Dass alle ähnlich reagieren, zeigt mir, wie klar es jedem um mich herum war, dass Hardin gefährlich ist, nur ich war blind.

»Ich … er …« Ich kriege keinen Satz zustande. »Kann ich nach Hause kommen, nur für heute? Jetzt?«

»Natürlich, Tessa. Dann bis in zwei Stunden«, sagt sie und legt auf.

Besser als befürchtet, aber nicht so herzlich, wie ich gehofft hatte. Ich wünschte, sie wäre mehr wie Karen, liebevoll und nachsichtig gegenüber den Schwächen anderer. Ich wünschte, sie wäre ein bisschen sanfter, wenigstens manchmal. Dann hätte ich das tröstliche Gefühl, eine Mutter zu haben, und zwar eine liebende, eine, die mir Mut macht.

Als ich den Highway erreiche, schalte ich das Telefon aus, bevor ich etwas Dummes tun kann, zum Beispiel Hardins Nachrichten zu lesen.

3

Tessa

Die Fahrt nach Hause ist vertraut und einfach, sodass ich mich nicht groß konzentrieren muss. Ich zwinge mich, meinen Schmerz herauszuschreien – im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich brülle so laut, wie ich kann, bis mein Hals wund ist. Es fällt mir schwerer, als ich gedacht hätte, vor allem weil mir eigentlich nicht nach Schreien zumute ist. Lieber würde ich weinen und mich verkriechen. Ich würde alles dafür geben, die Zeit noch einmal bis zum ersten Tag am College zurückzudrehen. Dann würde ich den Rat meiner Mutter befolgen und das Zimmer tauschen. Dabei hat meine Mutter ja befürchtet, dass Steph einen schlechten Einfluss auf mich haben würde. Wenn wir doch nur geahnt hätten, dass der seltsame Typ mit den Locken das Problem sein würde. Dass er alles in mir auf den Kopf stellen, mich in winzige Stücke reißen und sie dann in alle Himmelsrichtungen und unter die Füße seiner Freunde verstreuen würde.

Die ganze Zeit über war ich nur zwei Stunden von ihr entfernt, aber nach allem, was passiert ist, kommt es mir viel weiter vor. Seit Semesterbeginn bin ich kein einziges Mal zu Hause gewesen. Hätte ich mich nicht von Noah getrennt, wäre das sicher anders gewesen. Als ich an seinem Haus vorbeifahre, zwinge ich mich, nach vorn auf die Straße zu blicken.

Ich parke in unserer Einfahrt und steige aus. Als ich vor der Haustür stehe, weiß ich plötzlich nicht, ob ich anklopfen soll. Einerseits fühlt es sich komisch an, aber irgendwie ist mir auch nicht wohl dabei, einfach hineinzugehen. Wie kann sich in den paar Wochen so viel verändert haben?

Schließlich öffne ich dann doch die Tür. Meine Mutter steht perfekt geschminkt neben der braunen Ledercouch, in Kleid und High Heels. Alles sieht aus wie immer: sauber und sehr ordentlich. Der einzige Unterschied zu vorher ist, dass mir die Räume kleiner vorkommen, vielleicht durch die Besuche bei Ken und Karen. Aber auch wenn das Haus meiner Mutter von außen klein und nicht besonders schön wirkt, ist es auf jeden Fall hübsch eingerichtet. Meine Mutter wollte das Chaos ihrer Ehe immer mit schönen Farben, Blumen und Sauberkeit kaschieren. Selbst nachdem mein Vater uns verlassen hatte, hielt sie an dieser Dekostrategie fest, vermutlich weil sie schon so daran gewöhnt war. Im Haus ist es warm, und der vertraute Zimtgeruch steigt mir in die Nase. Meine Mutter war nämlich schon immer verrückt nach Duftkerzen, sodass in fast jedem Raum eine steht. Noch an der Haustür ziehe ich die Schuhe aus, weil ich weiß, dass sie keinen Schneematsch auf ihren gebohnerten Holzdielen mag.

»Hallo Theresa, möchtest du einen Kaffee?« Sie umarmt mich zur Begrüßung.

Meine Kaffeesucht habe ich von ihr geerbt. Ich muss über diese Gemeinsamkeit lächeln. »Ja, bitte.«

Ich folge ihr in die Küche und setze mich an den kleinen Tisch, unschlüssig, wo ich beginnen soll.

»Also, willst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragt sie ganz direkt.

Ich hole tief Luft und trinke einen Schluck Kaffee, bevor ich antworte. »Hardin und ich haben uns getrennt.«

Sie lässt sich nichts anmerken. »Warum?«

»Weil sich herausgestellt hat, dass er nicht der ist, für den ich ihn gehalten habe.« Um mich von meinem inneren Schmerz abzulenken und mich auf die Reaktion meiner Mutter vorzubereiten, umfasse ich den kochend heißen Becher.

»Und für wen hast du ihn gehalten?«

»Für jemanden, der mich liebt.« Ich weiß selbst nicht genau, was ich darüber hinaus für ein Bild von Hardin hatte, als Mensch, als Einzelperson.

»Und das glaubst du jetzt nicht mehr?«

»Nein, ich weiß, dass es nicht stimmt.«

»Was macht dich da so sicher?«, fragt sie kühl.

»Weil ich ihm vertraut habe und er mich verraten hat, auf ziemlich grausame Weise.« Die Details lasse ich aus, denn irgendwie will ich immer noch nicht, dass sie schlecht von Hardin denkt, will ihn vor ihrem Urteil schützen. Wie dumm von mir, wo er das für mich ganz sicher nicht täte!

»Meinst du nicht, du hättest dir das überlegen sollen, bevor du mit ihm zusammenziehst?«

»Ja, ich weiß. Sag mir ruhig, wie bekloppt ich bin. Sag mir, dass du mich gewarnt hast.«

»Ich habe dich gewarnt. Immer wieder habe ich dich vor Typen wie ihm gewarnt. Von Männern wie ihm und deinem Vater hält man sich besser fern. Ich bin bloß froh, dass es vorbei ist, bevor es richtig angefangen hat. Jeder macht mal einen Fehler, Tessa.« Sie nimmt einen Schluck Kaffee und hinterlässt dabei einen rosafarbenen Lippenstiftabdruck am Tassenrand. »Ich bin sicher, er wird dir verzeihen.«

»Wer?«

»Noah natürlich.«

Warum kapiert sie das nicht? Ich will einfach nur mit ihr reden, von ihr getröstet werden. Stattdessen drängt sie mich zu Noah zurück. Das kann doch nicht ihr Ernst sein. »Nur weil es mit Hardin nicht funktioniert hat, bedeutet das noch lange nicht, dass ich wieder was mit Noah anfangen werde!«

»Warum denn nicht? Tessa, du solltest dankbar sein, dass er bereit ist, dir noch eine Chance zu geben.«

»Was? Warum kannst du nicht damit aufhören? Ich will im Moment mit niemandem zusammen sein, schon gar nicht mit Noah.« Ich stehe auf. Ich weiß vor Wut gar nicht, wohin mit mir.

»Wie meinst du das, schon gar nicht mit Noah? Wie kannst du so etwas sagen? Von klein auf war er immer anständig zu dir.«

Seufzend setze ich mich wieder hin. »Mutter, ich weiß. Und ich mag Noah auch unheimlich gern. Aber nicht so.«

»Du weißt doch gar nicht, wovon du sprichst.« Sie steht auf und schüttet ihren Kaffee in den Ausguss. »Es geht nicht immer um Liebe, Tessa. Es geht um Verlässlichkeit und Sicherheit.«

»Ich bin aber erst achtzehn.« Ich kann doch nicht mit jemandem zusammen sein, den ich nicht liebe, nur weil ich mich auf ihn verlassen kann. Ich will mir selbst Stabilität und Sicherheit geben. Ich möchte einen Mann lieben und von ihm geliebt werden.

»Fast neunzehn. Und wenn du jetzt nicht aufpasst, will dich bald keiner mehr haben. Jetzt geh und bring dein Make-up in Ordnung, Noah wird jeden Moment hier sein«, sagt sie und verlässt die Küche.

Ich hätte wissen müssen, dass es sinnlos ist, bei ihr Trost zu suchen. Da wäre es besser gewesen, im Auto zu schlafen.

Wie angekündigt, steht fünf Minuten später Noah vor der Tür. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, mich neu zu schminken. Als er die kleine Küche betritt, fühle ich mich noch mieser als zuvor. Dass das überhaupt geht.

Er lächelt sein herzliches, perfektes Lächeln. »Hey.«

»Hey Noah.«

Ich stehe auf, um ihn zu umarmen. Er fühlt sich warm an, und sein Sweatshirt riecht so gut, genau wie ich es in Erinnerung habe. »Deine Mom hat mich angerufen«, sagt er.

»Ich weiß.« Ich versuche zu lächeln. »Es tut mir echt leid, dass sie dich da immer wieder mit reinzieht. Ich weiß nicht, was ihr Problem ist.«

»Ich schon. Sie will, dass du glücklich bist«, verteidigt er sie.

»Noah …«, warne ich.

»Sie weiß nur leider nicht, was dich wirklich glücklich macht. Sie will unbedingt, dass ich es bin. Und das ist ja nicht der Fall.« Er zuckt leicht mit den Schultern.

»Es tut mir leid.«

»Tess, hör auf, dich zu entschuldigen. Ich wollte wirklich nur sehen, wie’s dir geht«, versichert er mir und umarmt mich noch einmal.

»Nicht gut«, gebe ich zu.

»Das sehe ich. Willst du darüber reden?«

»Ich weiß nicht … bist du sicher?« Ich darf ihm nicht wieder wehtun, indem ich über den Mann spreche, wegen dem ich ihn verlassen habe.

»Ja, bin ich.« Er schenkt sich ein Glas Wasser ein und setzt sich mir gegenüber an den Tisch.

»Na gut …« Ich erzähle ihm so ziemlich alles mit Ausnahme der Sexdetails, denn die sind privat.

Wobei … das sind sie ja nicht wirklich. Aber für mich schon. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Hardin seinen Freunden alles erzählt hat … das ist das Schlimmste daran. Schlimmer, als ihnen die Bettlaken zu zeigen. Wie kann er zu mir sagen, dass er mich liebt, nachdem wir miteinander geschlafen haben, und sich dann genau darüber mit allen anderen lustig machen?

»Ich wusste, dass er dir wehtun würde. Ich hatte nur keine Ahnung, wie sehr.« Ich spüre, wie wütend Noah ist. Es ist seltsam, ihn so zu sehen, weil er normalerweise immer so ruhig und zurückhaltend ist. »Du bist zu gut für ihn, Tessa. Er ist der letzte Dreck.«

»Wie konnte ich nur so bescheuert sein?! Ich habe alles für ihn aufgegeben. Aber das Allerschlimmste ist, jemanden zu lieben, der einen nicht liebt.«

Noah dreht sein Glas zwischen den Händen hin und her. »Mir brauchst du das nicht erzählen«, sagt er leise.

Am liebsten würde ich mich schlagen. Wie kann ich so etwas zu ihm sagen? Ich öffne den Mund, aber noch bevor ich mich entschuldigen kann, unterbricht er mich.

»Schon okay.« Er streicht mit dem Daumen über meine Hand.

Wie sehr ich mir wünsche, ich würde Noah lieben. Mit ihm wäre ich so viel glücklicher, und er würde mir nie so etwas antun wie Hardin.

Dann erzählt mir Noah, was alles zu Hause passiert ist, seit ich weggezogen bin. Es ist nicht viel. Aber er wird zum Studieren nach San Francisco gehen statt an die WCU, wofür ich dankbar bin. Dass wir uns getrennt haben, hat immerhin auch eine positive Seite: Er brauchte einen Anstoß, Washington zu verlassen, und nun hat er ihn. Er erzählt mir, was er über die Uni herausgefunden hat, und als er schließlich aufbricht, ist es draußen bereits dunkel. Mir wird bewusst, dass meine Mom während seines ganzen Besuchs in ihrem Zimmer geblieben ist.

Nachdem wir uns verabschiedet haben, gehe ich nach hinten in den Garten hinaus und zum Gewächshaus hinüber, wo ich den Großteil meiner Kindheit verbracht habe. Ich betrachte mein Spiegelbild in der Scheibe. Dann spähe ich hinein. Sämtliche Pflanzen und Blumen sind verwelkt, und es herrscht ein ziemliches Chaos, was ja gerade ziemlich gut zur Situation passt.

Ich muss so viel tun, so vieles für mich klären. Ich muss mir eine neue Bleibe suchen und irgendwie meine Sachen aus Hardins Wohnung holen. Am liebsten würde ich einfach alles dalassen, aber das geht nicht. Ich habe sonst nur noch die Klamotten, die hier bei meiner Mutter sind, und vor allem brauche ich meine Bücher fürs Studium.

Ich hole mein Handy aus der Tasche und schalte es ein. Innerhalb von Sekunden ist die Inbox voll, und das Voicemail-Symbol leuchtet auf. Die Nachrichten auf der Mailbox ignoriere ich, aber ich scrolle kurz durch die Absenderliste der Texte. Bis auf einen sind alle von Hardin.

Kimberly hat mir geschrieben: Christian lässt ausrichten, dass du morgen zu Hause bleiben sollst. Um 12 Uhr gehen sowieso alle, weil der Boden im ersten Stock neu eingelassen wird, also bleib zu Hause. Lass mich wissen, falls du was brauchst.

Ich bin erleichtert, dass ich morgen frei habe. Ich liebe meinen Job, aber vielleicht sollte ich versuchen, die Uni zu wechseln oder sogar Washington State verlassen. Der Campus ist nicht groß genug, um Hardin und allen seinen Freunden aus dem Weg zu gehen, und ich will nicht pausenlos an das erinnert werden, was ich mit Hardin hatte. Beziehungsweise, was ich dachte zu haben.

Als ich schließlich ins Haus zurückkehre, sind meine Hände und mein Gesicht ganz taub vor Kälte. Meine Mutter sitzt in der Küche und blättert in einer Zeitschrift.

»Kann ich heute Nacht hierbleiben?«, frage ich.

Sie blickt kurz auf. »Ja. Und morgen schauen wir, wie wir dir einen neuen Platz im Wohnheim besorgen können.« Dann wendet sie sich wieder ihrer Zeitschrift zu.

Da ich annehme, dass von ihr heute Abend nichts mehr kommt, gehe ich hinauf in mein altes Zimmer, in dem noch alles genauso ist, wie ich es zurückgelassen habe. Sie hat nicht das Geringste verändert. Ich mache mir nicht die Mühe, mein Make-up zu entfernen. Obwohl es mir schwerfällt, zwinge ich mich zu schlafen und träume von meinem alten schönen Leben. Dem Leben vor Hardin.

Mitten in der Nacht klingelt mein Handy. Ich gehe nicht ran, aber ich frage mich, ob Hardin überhaupt noch schläft.

Bevor meine Mutter am nächsten Morgen zur Arbeit geht, sagt sie nur, dass sie am College anrufen und dafür sorgen wird, dass ich wieder ins Wohnheim zurück kann, aber in ein anderes Gebäude als das alte. Auch ich mache mich auf den Weg. Eigentlich will ich zum Campus, beschließe dann aber spontan, zuerst zu unserer Wohnung zu fahren. Bevor ich es mir anders überlegen kann, nehme ich die entsprechende Ausfahrt.

Zweimal lasse ich den Blick über den Parkplatz vor dem Apartmentblock schweifen, bis ich ganz sicher bin, dass Hardins Auto nicht da ist. Dann gehe ich schnell über den verschneiten Platz zur Eingangstür. Bis ich das Foyer erreiche, sind meine Jeans bereits durchweicht, und mir ist eiskalt. Ich versuche, an alles zu denken, bloß nicht an Hardin, aber es klappt nicht.

Er muss mich sehr hassen, sonst hätte er nicht Stück für Stück erst mein Leben zerstört und mich dann auch noch in eine Wohnung gelockt, die so weit weg von allen meinen Freunden ist. Bestimmt ist er gerade ziemlich stolz auf sich, weil er mir so wehgetan hat.

Während ich mit zitternden Händen versuche, die Wohnungstür aufzuschließen, erfasst mich plötzlich die Panik wie eine Welle und zwingt mich fast in die Knie.

Wann hört das auf? Oder wird wenigstens besser?

Drinnen steuere ich zielstrebig aufs Schlafzimmer zu, wo ich meine Taschen aus dem Schrank zerre und achtlos meine Klamotten hineinstopfe. Mein Blick wandert kurz zum Nachttisch hinüber, wo in einem kleinen Rahmen das Foto von Hardin und mir bei Kens Hochzeit steht. Unsere lächelnden Gesichter sehen mich an.

Nur blöd, dass nichts davon echt war. Ich beuge mich übers Bett, schnappe mir das Bild und werfe es auf den Steinfußboden, wo das Glas in tausend Stücke zerspringt. Dann laufe ich ums Bett herum und reiße das Foto in so viele kleine Fetzen, wie ich nur kann. Erst als ich keine Luft mehr bekomme, merke ich, wie heftig ich schluchze.

Eilig stapele ich meine Bücher in einen leeren Karton und aus irgendeinem Instinkt heraus packe ich noch Hardins Ausgabe von Sturmhöhe dazu. Er wird sie nicht vermissen und, ganz ehrlich, nach dem, was er mir genommen hat, steht sie mir zu.

Weil sich mein Hals so wund anfühlt, gehe ich in die Küche und hole ein Glas Wasser. Damit setze ich mich an den Tisch und erlaube mir, ein paar Minuten lang so zu tun, als wäre nichts passiert. Als müsste ich nicht allein die Zukunft bewältigen. Als würde Hardin bald von der Vorlesung nach Hause kommen, mich anlächeln und mir sagen, dass er mich liebt und wie sehr er mich den Tag über vermisst hat. Dann würde er mich hochheben, auf die Arbeitsplatte setzen und mich liebevoll und leidenschaftlich küssen –

Das Klicken des Türschlosses reißt mich aus meinem armseligen Traum. Hardin kommt herein, und ich springe erschrocken auf. Er bemerkt mich nicht, weil er den Blick nach hinten über die Schulter gerichtet hat.

Auf eine braunhaarige Frau in einem Sweaterkleid.

»Also das ist –« Abrupt bricht er ab, als er meine Taschen auf dem Fußboden entdeckt.

Wie versteinert stehe ich da, während er sich suchend im Raum umschaut. Als er mich sieht, reißt er erschrocken die Augen auf.

»Tess?«, fragt er, als wäre ich ein Geist.