DERHANK
ich du er sie es
Ein Transhumanistischer Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel
- 3
- 2
- 1
- 0.5
O
Von O nach L
Von L nach L
Von L nach M (1)
Die Nacht im Rastplatz für Wanderer
Von L nach M (2)
M
Sehr geehrtes intestinalflorales Mikrobiom!
GLOSSAR
Nachwort
Dank
DERHANK
Der LSD-Verlag
Leseprobe Y
Leseprobe Their Teacher
Leseprobe Meeresspiegel Spiegelmeer
Impressum neobooks
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Verlag Literarische Sammlung DERHANK
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ich du er sie es
Ein Transhumanistischer Roman
Ein Mann (ich) und eine Frau (du) haben sich seit 50 Jahren nicht gesehen.
In der Mitte des 21. Jahrhunderts treffen sie sich wieder und beschließen, von O nach M zu pilgern.
Ein Zwerg (er), ein Jude (sie) und ein Klon (es) spielen im himmeL wie auf Erden Vater Mutter Kind.
In einer Welt, die jedem auf seine Art abhandenkommt, werden Engel gesichtet, die möglicherweise aus der Transhumanistischen Singularität stammen. Aber das ist schon fast eine andere Geschichte.
Der Roman ich du er sie es spielt in der ZUKUNFT, versteht sich aber im höchsten Maße als GEGENWÄRTIG. Auftauchende Begriffe und Bezeichnungen, die im Wortschatz der 2010er Jahre einen vorerst nur assoziativen Widerhall erzeugen, können im GLOSSAR nachgeschlagen werden, dessen definitorischen Prognosen auch wie eine eigenständige Geschichte gelesen werden können.
Nicht findet man der Taten »Täter«,
Kein »Wesen«, das die Wirkung trifft.
Nur leere Dinge ziehn vorüber:
Wer so erkennt, hat rechten Blick.
Und während so die Tat und die Wirkung im Gange sind,
wurzelbedingt, kann, wie beim Samen und beim Baume,
man keinen Anfang je erspähen.
(Vis. XIX) Culakammavibhanga Sutta.
Das Objekt im Himmel. Das Objekt im Himmel war das Erste, was ich sah, als ich ins Freie trat. Das sich von einem undefinierbaren Punkt im stonewashed bleue der horizontal geschichteten Atmosphäre mit einem unterschwelligen, stetig ansteigenden, von kaum merklichen Fehlzündungen des Hauptvergasers nicht wirklich unterbrochenen Brummen allmählich lösende Objekt im Himmel war eine Art Molluske, und zwar von der schrumpeligen Sorte, klumpig, gedrungen, beinahe wässrig oder schlierig; und obwohl der Vergleich hinkt, brauchten die ihre Köpfe hebenden Menschen nicht lange, bis sie das Ding als gigantische Riesenkartoffel identifizierten: an die hundert Meter lang, etwa 25, 30 breit, mit verdorrten Wurzeltrieben, die wie die schlaffen Extremitäten einer Kopffüßlerpuppe über dem Bahnhof von O herabbaumelten.
Ich zog mein END aus der Gesäßtasche und recherchierte, dass das Schrumpelproblem des von einem weltbekannten Tiefkühlpommesfritesoligarchen für sage und schreibe zehn Jahre zum Festpreis gecharteten Werbezeppelins des Typs SOL von einem Loch auf der Oberseite der Nylonhaut herrührte, einem Treffer aus Weltraumschrott, welcher immer häufiger, bei Sonnenstürmen ganz besonders, die Erde heimsucht.
Du träumtest deine Mutter, träumtest, deine Mutter träume dich. Von roter Erde, die bis zum Himmel geht. Dessen Farbe ein so unendlich tiefes Blau ist, dass man darin die Sterne zu sehen glaubt. Das geträumte Gras ist knuspergelb, vertrocknet, und voller geflügelter Ameisen; riesengroße, sodass die Halme sich bis zum Boden neigen und von immer mehr Insekten erklommen werden. Ein Hochzeitsflug am Rande eines Wasserlochs, Hunderte, die aufsteigen, sich suchen, finden, kopulieren und auf ihre Art lieben, und Vögel, die sie jagen und fressen, und Königinnen, die sich nach dem Akt die Flügel abzwirbeln und untertauchen und neue Reiche gründen, und erschöpfte Männchen, die bei ihrer Rückkehr am Nesteingang von ihren flügellosen Schwestern verstoßen werden; eine eigene Welt mit eigenen Geschichten, und ein kleines schwarzes Mädchen, dessen Haut so vollkommen das Sonnenlicht schluckt, dass sie nicht einmal glänzt; des kleinen Mädchens Augen strahlen beim Anblick der aufsteigenden Tiere, deren Schwingen einen unheimlichen Lärm machen - Lärm, der immer schriller wird, ohrenbetäubend, und bevor das Kind sich umdreht, siehst du selbst die Maschine:
Propeller, die sich so schnell drehen, schneller, als ihr kleiner Bumerang, den sie in der Hand hält, jemals gedreht hat, so schnell, dass sie flirrende durchsichtige Scheiben in die Luft malen, und neben der Maschine drei Männer, denen man die Haut abgezogen hat! Männer mit breitkrempigen Hüten und bleichen Bärten, und eine ebenso gehäutete Frau mit Haaren wie aus Feuer, nass und blutädrig, und du weißt, das sind Balanda - auch Gubba, Migaloo, Wajala oder Walypala genannt -, das sind die 'Weißen Menschen', die keine Menschen sind, das sind die Unvollkommenen, die ihre Körper aus rohem Fleisch mit Stoff bedecken müssen, und du willst das Kind warnen, es soll weglaufen, es soll sich verstecken, du rufst, du schreist, aber man kann dich nicht hören, wegen des Heulens der Maschine, auch die Männer rufen, haben ihre Münder weit aufgerissen, aber auch sie kann man nicht hören, und du siehst, wie sie nach dem Kind greifen, unbeholfen, sich gegenseitig behindernd, beinahe tollpatschig, wie spielende Wallabies - aber das ist kein Spiel, Das ist kein Spiel!, schreist du, und endlich begreifst du, dass du selbst das Mädchen bist, das Mädchen, das immer noch strahlt, das immer noch nicht wegläuft, es ist wie gefangen im Lärm der Maschine, und sein Lachen ist in dir festgefroren, und erst als die Männer mit ihren lachlosen Gesichtern das Mädchen fast erreicht haben, sieht es sich suchend um und entdeckt den, nach dem es schon den ganzen Morgen gesucht hat. Da ist er, gar nicht weit, im Schatten eines toten Eukalypten, das Mädchen rennt los und ruft mit der hellen Kinderstimme eines 60er-Jahre-Films: Vater, Vater …!
Du schreckst hoch.
Auch jetzt, beim Ankleiden, bekommst du jedes Mal Herzklopfen, wenn du nur daran denkst. Du hast im Dunkeln neben dich gefasst, ins Leere, in das, wo immer ein Mann gewesen war. Aber du hast nicht an deinen Mann gedacht.
Mich berührte die ungewollte dermatologische - im wahrsten Sinne des Wortes: - Vielfältigkeit des Objektes auf eine zugleich anheimelnde wie unheimliche Weise, sodass ich ihm meine mitfühlendsten Gedanken hinterherschickte, mich förmlich selbst über die Wolken schwang und beim virtuellen Hinabschauen auf die Ameisenwelt da unten beinahe die Zeit vergaß - und fast zu spät zu meiner Verabredung gekommen wäre.
Bis zum Domplatz - der nicht mehr Domplatz hieß, wie mir mein END mitteilte, der nach der concernation umbenannt worden war, die ihn mitsamt des Doms aufgekauft hatte und bewirtschaftete, ich aber beschloss, ihn weiter Domplatz zu nennen -, bis zum Domplatz waren es noch anderthalb Kilometer, ich könnte die Domlinie nehmen, O hatte sich vor Jahren eine U-Bahn geleistet, aber ich beschloss, zu Fuß zu gehen, denn es war einer dieser frühen Stadtmorgende, wie ich sie liebe: die Geschäfte noch mit sich selbst beschäftigt, die Besenwagen kehrten den Unrat von den Straßen und Eilige tranken ihre schnellen Espressi an den Kaffeeschenken, im Stehen, immer schon mit einem Bein weiter, und das Wetter kündigte einen sonnigen Tag an, die Luft aber war noch kühl und feucht vom nächtlichen Regen, und aus den Gullis dampften süßliche Schwaden, die sich den Gerüchen der Konditorautomaten beimischten. Und am meisten liebe ich es, wenn mir eine Stadt so fremd ist wie diese hier, die meine Geburtsstadt ist; denn nichts ist so fremd wie die Heimat, nachdem man die Welt gesehen hat.
Yu ki ko·chô, die viele Leben hat, bleibt für diesmal stehen. Für einen Blick auf drei Altersgenossinnen, Schulmädchen, sechste, höchstens siebte Klasse, drei mal eng beisammen auf den Drahtgittersitzen der Haltestelle am Hauptbahnhof, fein gezeichnete Wesen und auf New-Nippon-Art germanisch frisiert, das strohige Walkürenhaar zu dicken Zöpfen geflochten, die überproportional großen, chirurgisch geformten Mandelaugen mit Wimpern wie Schmetterlingsflügel, die künstlichen Sommersprossen, die rostrot bemalten Münder, die grellweißen Rüschenblusen, die bunten Krawatten, die kurzen, plüschigen Röcke in pink, himmel und mint und die individuell bedruckten Seidenstrümpfe, die bis über die dünnen, weißen Oberschenkel gezogen sind und in asteroidentauglichen Megaboots verschwinden - die drei Tools sind supercute! Und wie sie da für sich sind, jede ihr FRIEND vor Augen, sich nur hie und da gegenseitig die Screens zeigend, das hat nur wenig von Kindischsein oder Kleinen-Mädchen-Albernheiten. Wären es Jungs, wären das mannbare Penisvergleiche, aber Mädchen vergleichen keine Penisse, Mädchen sind schon in diesem Alter gänzlicher, zeigen sich ihre Freunde und meinen nicht mal die auf den Screens in Text, Ton, Pic oder Vid dargestellten Kontakte, sondern die Screens selbst. Die FRIENDs sind das Wesentliche.
Yukiko wird weitergezogen, als würde das jemand nicht mögen, dieses Verharren und auf fremde Touchs glotzen. »Eifersüchtig?«, fragt sie, und die Stimme in ihrem Ohr lacht.
»Gib mir einen Namen!«, sagt sie, die Stimme.
»Wird es dann was anderes?«
Sie betrachtet ihr rechtes Handgelenk, um das sie ihr eigenes, nagelneues FRIEND gelegt hat - oder um das ES sich geschmiegt hat, von selber. Kein Geschenk, das FRIEND, sondern ein Vorschuss von Papa BIG, Vorschuss und Arbeitsgerät zugleich, eine gerollte Nanofolie, dünn wie Papier, aber weicher, und zugleich fester, ein angenehmer Griff, und obwohl sie so dünn ist, spürt Yukiko einzelne Finger, die das FRIEND irgendwie elektronisch simuliert.
»Was eigenes …«, antwortet Stimme, die männlich ist, die nur im linken Ohr zu hören ist, was Yukiko immer ein wenig irritiert, aber sie mag sich trotzdem keinen zweiten Stick einsetzen lassen. Ein Ohr muss frei bleiben.
»Was eigenes …«, wiederholt sie, was spöttisch klingen soll, und wirklich scheint Stimme den Spott zu spüren.
»Du kannst mich nicht immer nur 'Ding' nennen«, sagt Stimme, »ich nenn' dich auch nicht 'Tool'!«
Yukiko überquert die Straße, so spontan, dass der heranhuschende Wagen bremsen muss, dass der sie nur in einer ausgeklügelten Kurve zwischen zwei entgegenkommenden Fahrzeugen umfahren kann, was sogar den vor sich hinkontemplierenden Insassen hinter seiner getönten Smartscheibe aufblicken lässt.
»Warum machst du das?«, fragt Stimme, »ich muss dich darauf hinweisen, dass GOD bei spontanen Richtungswechseln keine Garantie für die persönliche Sicherheit übernimmt.«
»Ding ist doch mein Lebensretter!«, sagt Yukiko und wäre beinahe gegen ein fremdes Tool gelaufen, das weltvergessen nach oben in den Himmel starrt, in den richtigen. Vielleicht lässt es bzw. lässt er (es ist ein Mann) sich gerade ablichten von der über ihnen schwebenden SOL. Sie hätte ihn angerempelt, wäre ihm dessen eigenes FRIEND nicht zu Hilfe gekommen und hätte ihn unsanft beiseite gelenkt; und das ihre, das so gerne endlich einen Namen hätte, flüstert per Stimme nochmals »Yukiko …?«
Yukiko geht weiter und sieht sich nach dem Tool um. Irgendwas ist nicht really FRIENDig an dem, und sie meint dabei nicht das Äußere, diesen ballonseidenen Rucksack, diesen old school Hut aus Goretexleder, diese funktionslose Brille, diese Survivalklamotten oder diese Reifengummisandalen, aus denen sich gelbe, verwachsene Dinosaurierzehennägel herausschieben, nein, es ist die Art gewesen, wie der ihr ausgewichen ist. Wie als hätte er das selbst getan, also ungeführt, und, na klar, der Opa hatte gar kein echtes FRIEND in der Hand, oder wenn, dann ein uraltes, so ein Brett wie früher. Mit so was muss man natürlich zusehen, wo man bleibt.
»Ist ER das etwa?«, fragt Yukiko und weiß es schon, simultan.
Du ziehst die Wohnungstür zu. Mit einem Gefühl von Auf Nimmerwiedersehen, dabei ist es doch nur für den Tag. Du schließt ab, was kaum geht, weil das Schloss von innen verrostet ist, aber du willst kein neues, kein biometrisches, wie die Flurnachbarn gegenüber, wie alle im Haus, alle haben das jetzt, alle, alle, alle … du nicht.
Du zerrst an der Lederschlaufe deines Rucksacks, machst die Schnalle um ein Loch enger und dann holst du den Aufzug, ohne nachzudenken, ärgerst dich darüber und gehst, noch bevor sich die Schiebetür öffnet, die Treppe hinunter. Du brauchst keinen Aufzug, in deinem Alter noch lange nicht. Das mit dem Aufzug, das hattest du dir wegen Willi angewöhnt. Das steckt noch so im Blut, dass du ihn jedes Mal holst, jedes Mal vergisst, dass du ihn nicht mehr brauchst. Den Aufzug.
Willi …
Draußen ist es kalt, es ist Mai, aber dir ist kalt, dir ist ständig kalt in diesem kalten Land, wo der Wind in den Ohren wehtut. Sofort spürst du ihn wieder, den Tubenkatarrh, dein rechtes Ohr rauscht und drückt und fühlt sich an wie zugepfropft. Jetzt krank werden, das fehlt gerade noch, aber in dieser Kälte muss man ja krank werden. Du bist ein Wüstenkind, obwohl du die nie gesehen hast, die Wüste, keine Erinnerungen, nur Träume, Albträume wie letzte Nacht. Du schaust auf deine Armbanduhr, fünf nach neun, du wirst pünktlich sein, die Haltestelle ist gleich dort, und die Bahn kommt in drei Minuten. Du bist gut organisiert, das sagst du dir jeden Tag, und gehst im Kopf den Inhalt des Rucksacks durch: ein Regencape aus englisch grünem Wachstuch, eine Thermoskanne mit Tee, Wurstbrote, Käsebrote und zwei gekochte Eier, wie früher, und vor allem deine Kamera. Deine altmodische Spiegelreflexkamera, ja! Und Wechselwäsche, Badutensilien und all die heute nicht benötigten Dinge, was ein Blödsinn ist, sie jetzt schon mitzunehmen, erst morgen soll es richtig losgehen, aber Thomas wird auch sein ganzes Gepäck dabei haben, und wenn ihr euch heute O anschaut, oder was immer er vorhat, dann ist es reine Solidarität, wenn du dich selbst genauso beschwerst, wie er beschwert ist.
Lieber Gott, was habe ich nur?, denkst du und fasst dir ans Dekolleté, wo das Kreuz hängt, samt Rosenkranz, Lieber Gott, ich sollte mich doch freuen auf die Reise.
Auf Yukikos Handgelenk erscheint ein tropischer Regenwald, und dank hochfrequenter Vibrationen und gleichzeitiger Fluoreszenz ist das eigentlich Hauchzartflache nun so volumig wie ein anschmiegsamer Schwamm, eine grüne, dreidimensionale, baumbestandene Miniaturwelt, in die sie regelrecht hineinschaut, und die sie, jetzt kaum noch bewusst wahrnehmbar, weiterführt, auf ihrem Weg zur Bahn, wo eine Wolke winziger vermeintlicher Fliegen sie empfängt, die sich sogleich als Nanoschwarm entpuppt, so wie sie in Formation gehen und Stimme sagen lassen: »So sehe ich dich tausenddreiundachtzigmal besser als anders«, was nur heißt, dass es 1083 millimetergroße Flugaugen sind, inmitten denen sie jetzt steht und wartet.
Die Station der Domlinie ist ein offener Tempel, mit Wetterschutz aus Gebetsfahnen, eigentlich nur ein mitten auf der Straße unscharf maskiertes Objekt, das aber mit geschlossenen Augen tausendmal prächtiger ist: wie eine Pagode im kambodschanischen Dschungel. Doch Yukiko lässt sie offen, ihre Augen, sie trotzt den mit eingenähten Screens versehenen Lidern.
»Yukiko«, sagt Stimme, »Yukiko, was ist mit meinem Namen? Ich finde, ich habe ihn mir verdient!«
Das hatte er. Oder sie. Oder es.
»Ich weiß«, sagt Yukiko leise zu dem grünen Scheinflausch an ihrem Arm, als die Bahn einfährt. Und der Flausch antwortet auf seine berührend virtuelle Art.
Yukiko steigt ein, setzt sich auf einen freien Platz in einer Vierergruppe. Gegenüber ein wachsgesichtiger Ziegenbart, der vor sich hinquasselt, »… schobotten, musse nur schobotten, dann kannste den SM3 in der Feelbank latensen, automically … doch, echtameng, what I say, schobotten …«, daneben ein Inder oder Pakistani, einer von diesen ohne Pupillen, das ist bei denen gerade ganz groß, diese Unterlid-Eyesticks, Kontaktlinsen mit Zusatzfunktionen, deren letzter Schrei vollweiß ist, die das Auge zu einem pupillenlosen Augapfel machen, das ist schärfer als jede Sonnenbrille.
Die Bahn taucht ab, downunder, und in der Tür zwei Frauen, 70 plus, die eine eher 80 plus oder plus plus, man scheint sich zu erkennen, Hallo, Wortwechsel, die 70 plus hat einen PG von 90 oder 95 oder mehr, ihre Hautoberfläche ist tief schwarz, und Yukiko fällt das auf die untere Gesichtshälfte beschränkte Grinsen auf: mit weißen Zähnen, ein unechtes Grinsen, wie zum Grinsen gezwungen, weil man sich real getroffen hat, als wäre das genetisch bedingt, ein Urreflex, der Mensch und Tier unterscheidet, dieses wohlwollende Zähnezeigen, die Mundwinkel, die natürlicherweise herabgehen, plötzlich angezogen, was Muskelkraft erfordert, und obwohl die beiden Frauen nicht weiterreden, sondern nur da stehen, verbleibt das schwarze Gesicht in diesem fast traurig zu nennenden Grinsen. Steht grinsend da in der Tür, in echt old school Klamotten, grau und irgendwie bayrisch, Leder, Filz, einen Rucksack hat sie auf dem Buckel, nein, kein Buckel, die Frau steht gerade wie eine Eins, aber was für ein Teil, dieser Rucksack! Die Bahn fährt, die Frau grinst immer noch, als hätte sie vergessen, das zu beenden. Yukiko fragt sich, ob die was träumt, oder an was denkt. Der grinsende Blick hinaus ins dunkle Vorbeirauschen des Tunnelbetons, und Yukiko umschließt mit der linken Hand den rechten Arm, streichelt über das noch immer Flausch simulierende FRIEND, das ihr Streichen mit einer zarten statischen Aufgeladenheit beantwortet, und ein ungefragtes Flötenspiel im Ohr lässt die harten Geräusche der Fahrzeugtechnik verschwimmen. Sie zupft mit dem Daumen eine Ecke hoch, das FRIEND wehrt sich, als wolle es nicht loslassen, es schmiegt sich wieder an, lässt sich aber dann doch lösen, wie eine Manschette, die Dschungelanimation verlischt, eine hauchdünne Plastikmanschette nun, in hellen Hautfarben, in der Farbe ihrer eigenen Haut, weiß wie Schnee. Yukiko hat einen PG von 1,7, den das FRIEND perfekt simuliert, ein Weiß, das sich beim Abziehen genauso schnell wieder auflöst, wie es zuvor das Grün des Waldes ersetzt hat. Yukiko drückt die sich wieder aufrollen wollenden Ränder auseinander, bis sie das FRIEND glatt und flach in ihren Fingern hält. Kaum größer als eine Postkarte, und wirklich ultranano flach. Und schwarz nun, der Touch überspielt seine Unsichtbarkeit, und neongelbe Buchstaben fragen: 'Wie ist mein Name?'
Yukiko wischt die Frage beiseite. Unsichtbar? Sie funzt die Fahrgäste. Die mit dem 95er PG ist echt unsichtbar. Echt und nothing. Kein Latitude, unmöglich, sie anzufunzen. Sogar die noch ältere Tattergreisin hinterlässt einen leuchtenden Punkt auf ihrem FRIEND, weil man ja sonst verloren geht, so alt und wer weiß wie dement. Aber die 95er ist nicht nur physisch dunkel; sie hat einfach nichts. Wie keine Identität.
Du bist pünktlich. Um neun Uhr fünfundzwanzig verabschiedest du dich von der Pfarrerin, die weiterfährt, die nicht zum Dom will, nicht mehr, seit sie im Ruhestand ist, seit sie wieder im Kloster lebt, bei den Benediktinerinnen, die ihr nichts übel nehmen, weder, dass sie mit ihrem Austritt aus der Gemeinschaft und der Annahme der Priesterweihe das getan hat, was Frauen 2000 Jahre nicht getan haben (nicht tun durften, ergänzt du für dich), noch dass sie in den kirchenpolitischen Wirren um die Zukunft des Doms eine wenig weiblich führende Rolle gespielt hat, noch dass sie am Ende das Bauernopfer oder vielmehr zum Judasopfer geworden war, gemacht worden war, Verräterin des Doms, und obwohl auch du ihr das immer ein wenig übel genommen hast, magst du sie, bewunderst sie sogar für ihre weltoffene Natur, Kämpfernatur sagt man dazu; eine Kämpferin bist du nie gewesen. Päpstin sollte sie werden, denkst du, worüber du lachen musst, Päpstin, sie? Zu spät, so alt geworden, so alt, denkst du - und denkst sogleich, dass du das immer öfter denkst, von anderen, von dir selbst, und dass man die Entscheidung darüber, wer alt ist, doch lieber Gott überlassen sollte. Du sagst Auf Wiedersehen, verlässt die Bahn, fährst die Rolltreppe hinauf und betrittst den Domplatz von O. Und wartest dort auf deinen Kompagnon. Der heißt Thomas Häreti, und ist ein Schulfreund aus alten Tagen. Tagen, die in die Zeit der Schwarz-Weiß-Fotografie reichen und die selbst schwarz-weiß sind, wenn man sie sich in Erinnerung ruft. Du hast solch ein Bild von Thomas im Kopf: Schwarz-Weiß, ein Junge in kurzen, die Knabenoberschenkel freilegenden Lederhosen, mit Lederlatz und Lederhosenträger, und darunter ein Kragenhemd und Kniestrümpfe und Sandalen; ein Junge, der sich das gefallen lässt, von seiner Mutter in diese alberne Kleidung gesteckt zu werden. Ach nein, das war nicht er, das war Willi gewesen; Thomas in Lederhosen?
Albern, das sind auch die Leute heutzutage. Die den Platz bevölkern, die heute, zum Maitag, den sie Tag der Arbeit nennen, Bierautomaten am Rande der Fußgängerzone aufbauen, und Wurstbuden und ein Rednerpult, für die Klassenkämpfer, wie auch Thomas einer war. Denen das mit dem Dom egal ist, die vielleicht sogar voller Häme sind darüber, und weil du das nicht sehen willst, schaust wenigstens du zum Dom hin, mit dem du dein ganzes Leben verbindest. Oder Willis ganzes Leben, vielmehr; dir wäre ein kleineres Haus als Sonntagskirche lieber gewesen. Aber auf den Dom hatte Willi bestanden, so sehr, dass er manchmal seine Krankheit mit dessen Verkauf an die Leasinggesellschaft in einen Zusammenhang gestellt hat. Sozusagen kausal und besonders oft dann, wenn ihn seine Verbitterung mehr quälte als seine physischen Schmerzen, seine Verbitterung über den Zerfall seines fleischlichen Körpers und dieses steinernen. Du gehst noch immer hierhin, Sonntag für Sonntag, du hast nicht gewechselt nach Willis Tod, und hast sogar an seiner statt versucht, deinen Frieden damit zu machen, dass der Freitag nun der muslimischen Gemeinde gehört, weil die - im Gegensatz zu deiner eigenen Kirche, zu EURER eigenen Kirche - die jährliche Rate aufbringt, und es der Leasinggesellschaft egal ist, wessen Glaube in dem Dom praktiziert wird. Und dir das auch egal sein sollte, und es das aber nicht ist, nicht wirklich, da nagt etwas in dir, als du neben dem Portal das Wort 'Cami' liest, das 'Moschee' bedeutet, als könne man den Dom einfach umbenennen, was wirklich zu weit ginge, du schaust nach oben, an den Domtürmen vorbei in den Himmel, wo ein unförmiger Zeppelin für Frittiertes wirbt.
Du wartest, du bist es gewohnt zu warten, gewohnt, dass man dich, dass man überhaupt jeden warten lässt, dass man das Wartenlassen ausreizt und einen ganz eigenen Sport draus macht, bis zum Geht-nicht-mehr, bis zum Abreißen des Fadens, der die Menschen gewöhnlich verbindet. Aber dein Faden reißt nicht so schnell, dein eigener Faden ist gewissermaßen von höherer Macht verstärkt. Du lässt niemanden warten, und wartest umso inniger, so man dich lässt.
Doch jetzt zupfst du mit einem von ungesundem Herzpoltern dirigierten Zittern an deiner Bluse, an der weißen Nelke, die du dir verabredungsgemäß - albern! - ins Brevier deiner bajuwarischen Trachtenjacke aus pfeffersalzgrauem Filz gesteckt hast. Albern. Das ist alles albern, was du hier tust, du bist viel zu alt dafür und der Rucksack, der schwere Leinenrucksack, mit dem bereits deine Mama nach dem Krieg Kartoffeln vom Feld gesammelt hat, der ist jetzt schon zu schwer. Lederriemen, nirgends richtige Polster oder gar ein Beckengurt, und dieses schlechte Schlafen, wenn man doch nur vernünftig - du musst grinsen, vernünftig? - schlafen könnte! Stattdessen träumst du Dinge, an die du dich gar nicht erinnern können dürftest - Dinge, die deine Kindheit vor deiner Kindheit betreffen, eigentlich ist dein Kopf diesbezüglich leer, du weißt nur abstrakt, dass Mama nicht deine leibliche Mutter ist, gewesen ist, und dass du - eigentlich - eine schwarze hast. Logisch, du weißt das, aber schon dieser Begriff - 'schwarz' - sitzt dir quer im Kopf. Du hast Erinnerungen und du hast Träume: Die Erinnerungen an deine Kindheit in diesem Land sind wie alte Schwarz-Weiß-Filme, und die Träume aus der Zeit mit deiner echten Mutter sind bunt.
Jetzt stehst du unweit des Doms und wartest und kommst dir vergessen vor; und weil dir vom Ohrrauschen der Kopf wehtut und dir die Last auf den Rücken drückt, setzt du den Rucksack ab, stellst ihn dir vor die Füße. Du könntest dich auch auf eine Bank setzen, aber du bleibst stehen und versuchst, dich nicht zu bewegen, wie ein Gargyl auf dem Domdach, als gehörtest du selbst zum Inventar des Platzes, als wärst du selbst eine der vielen tierisch menschelnden Steinfiguren, die den Dom bevölkern: ein schwarzer Stein mit grauer Mütze, die keine ist, das ist nur dein kurz geschnittenes krauses Haupthaar, im gleichen Grau wie die Jacke, und eigentlich bist du ganz nach der Mode, stellst du fest, die jungen Mädchen tragen doch selbst konservativ, neuerdings, nur bunter und vor allem nachlässiger, mit Absicht, ihre Sachen sehen aus wie Schulmädchenuniformen, aber wie Schulmädchenuniformen nach einer Rauferei, alles hängt schief und schlüpfrig - genau, das ist das Wort: schlüpfrig hängt alles herunter, und die Gesichter sind überhaupt nicht mehr deutsch! Meins auch nicht, ermahnst du dich, mein Gesicht am allerwenigsten, und wo ist er denn jetzt, der Schwarz-Weiß-Thomas aus der Schwarz-Weiß-Film-Zeit?
Ich hätte Clara fast nicht erkannt, wie sie da stand, auf dem Domplatz, wie eine afrikanische Nonne, eine ghanaische Christin, wie von ihren Betschwestern vergessen worden. Obwohl sie keine Kutte trug, und keine weiße Haube - natürlich hatte sie wie verabredet handfeste Allwetterkleidung an, so dermaßen altmodisch, dass das unter den Kids auch schon wieder als cool durchgehen könnte -, obwohl sie also so war, wie sie sein sollte, war ich mir für einen Moment nicht mehr sicher, was mich neulich getrieben hatte, sie nach fünfzig Jahren wieder anzurufen. Und ihr vorzuschlagen, gemeinsam diesen von der Shintobuddhistischen Gesellschaft empfohlenen Pilgerweg zu gehen. Clara sah zwar immer noch genauso zugeknöpft aus wie damals, als unsere Lebensläufe noch verbandelt waren, aber - und ich gebe zu, dass mir das auf meine chauvinistische Art immer noch wichtig ist - ich hatte sie viel besser aussehend in Erinnerung.
Du siehst ihn zuerst, den Thomas, der mit nur 20 Minuten Verspätung den Platz betritt. So alt, schon wieder dieses A-Wort, aber Thomas ist wirklich fürchterlich alt geworden, ein drahtig-schlacksiger Methusalem mit weißblonden Struwweln und einem flusigen, aus sich herausgewachsenen Dreitagebart, nichts Gefärbtes darin, man sieht gleich, dass Thomas' einstige Mähne nicht auf die gewöhnliche Art ergraut ist, sondern sich vom ursprünglichen Kastanienbraun in das eigentümlich schlohige Gelb alter Männerhaare verwandelt hat. Alt, aber bunt ist er.
Mit einem Mal wird dir bewusst, dass nur du schwarz-weiß geblieben bist: Wo bei dir bestenfalls die Riemen aus Rindsleder für ein wenig warmes Ocker vor dem Filzgrau deiner Jacke, dem Dunkelgrau deines langen Wanderrocks und dem Lackschwarz deiner Schnürstiefel sorgen, da ist bei Thomas alles von grellbunten Farben, Mustern und Symbolen übersät. Bei ihm baumeln Textilschlaufen, klimpern Metallnippel und schlackern Schnallen aus Plastik. Hut und Jacke sind aus leuchtender Kunstseide oder eher aus diesen neumodischen künstlichen Antischwitztextilien, das Brillengestell ist rot und die Hose grün, kaum mehr als solche zu bezeichnen, so viele Veränderungsmöglichkeiten versprechen die Reißverschlüsse und aufgenähten Taschen. Und er hat ein Ungetüm von Rucksack umgeschnallt, mit dem man den Mond besteigen könnte.
Thomas ist im Alter also ein farbenprächtiger Kerl geworden, wettergegerbter Abenteurer, Bergsteiger, Ozeansegler und Wüstendurchquerer, ohne ihn das fragen zu müssen, ohne seit Jahrzehnten irgendetwas von ihm gehört zu haben, weißt du sofort, dass dieser Thomas längst die ganze Welt hinter sich hat. Dass für ihn der Pilgerweg von O nach M keine Wanderung werden würde, sondern eine Gefälligkeit; eine Gefälligkeit einer alten Dame gegenüber, eine Gefälligkeit dir zuliebe. Dir nichts zutrauend und sich aber nichts draus machend, dir sogar helfen wollen würdend, völlig ignorierend, dass du nicht einen Tag älter bist als er, dass vielmehr er als der um Jahre (so war es dir damals vorgekommen) ältere Sitzenbleiber eines Tages auf die Schulbank neben dich gesetzt worden war.
Thomas!, sagst du, als er dich entdeckt und auf dich losmarschiert, als wolle er dich umrennen, und statt ihm die Hand zu geben, steckst du dir den kleinen Finger dieser Hand ins rechte Ohr, das heute mal wieder besonders verschlagen ist; dieses Ohr, denkst du, statt dich auf ihn zu konzentrieren. Er wird von deiner Reserviertheit ausgebremst, hebt die Arme, was aussieht wie Schulterzucken, und dann sagt er etwas, was du mit dem Finger im Ohr nicht verstehst, weil ausgerechnet jetzt auch das andere Ohr verrückt spielt, aber er wird deinen Namen gesagt haben, oder Hallo oder so etwas, du erschrickst fast wegen des Fingers, weil sich das nicht schickt, du ziehst ihn wieder heraus und reichst ihn, nein, reichst deine ganze Hand deinem Gegenüber, ziehst sie aber, bevor er danach greifen kann, wieder zurück, wischst dir den vermeintlichen Ohrdreck ab und endlich Händeschütteln und Wiedersehensworte, an die du dich schon Sekunden später nicht mehr erinnern kannst, und das nicht, weil du dement bist, sondern weil das alles viel zu aufregend ist, so einen uralten Freund wiederzusehen. Statt also auf den Moment zu achten, geht dir der Tag seines Anrufs durch den Kopf, diese naive Freude, die über dich gekommen war, so überraschend, nach 50 oder mehr Jahren, und du gerade damit angefangen hattest, nicht mehr in Trauerfarben zu gehen, du dich gerade wieder ein wenig frei gefühlt hast, ausgerechnet an diesem ersten warmen Tag im März hat er dich angerufen und über alte Zeiten das Plaudern angefangen. Wie, als wäre alles erst gestern gewesen. Die Schulzeit, diese viel zu kurzen Abende nach dem Hallenturnen, und kein Wort trotz so vieler Worte über jenen einen besonderen Moment damals.
Wir Grufties, dachte ich noch, und dass das nicht zurückzuschrauben ist, und dass sie nicht wirklich hässlich ist, überhaupt nicht, sondern einfach nur nicht mehr 20 oder wie jung sie damals war, als wir uns aus den Augen verloren haben. Ich sagte es sogar: »Wir Grufties!«, sagte ich, und machte dabei einige übertriebene Gebärden und lachte trocken, während ihre Hände vor ihrem noch immer nicht zu verachtenden Busen in der Luft hängen blieben; schöne Hände, wirklich schöne schwarze Hände, von einem seidigen Matt und einer babyhaften Weichheit, beim nächsten Mal werde ich diese Hände küssen, wie ein echter Gentleman, und mich nicht von ihrer Verstocktheit anstecken lassen. Ein bisschen alte Schule. Beim nächsten Mal.
»Fangen wir gleich an?«, fragte ich stattdessen, und beantwortete meine Frage lieber selbst, bevor Clara auf die Idee käme, sie zu bejahen, »zuerst gehen wir einen Kaffee trinken, einen gepressten von der guten alten Sorte, nicht dieses Zuckerzeug aus den Automaten … Und wo?«, fragte ich noch, und ob sie was wüsste, schließlich wäre SIE hier zu Hause geblieben, nicht ich.
Kaum hatte sie was genannt, irgendeine Schänke, beim Rathaus, ich verstand sie ja kaum, so zittrig nervös sprach sie, die Ärmste, da bot ich ihr meinen Arm und sagte: »Hak' dich ein!«, und war vielleicht ein bisschen laut, »zeig mir die Spelunke, wo wir unsere Marschroute ausarbeiten werden!«
»Was ist mit meinem Namen?«, quengelt Stimme.
»Yukiko kennen keinen, der eine so nervige Töle hat«, sagt Yukiko. »Es ist ein 'es'! Ein Ding! Ding, Ding, DING!«
»Rathaus«, ruft die Bahn mit Stimmes Stimme in ihrem Ohr und hält. Und 'Ding' zieht sie hinter sich her. Scheinbar. Gibt ihr das Gefühl von Hinterhergezogenwerden. Yukiko streckt dafür den Arm aus, was sie nicht müsste, so stark ist das Ziehen nicht, sie könnte in der U-Bahn bleiben, wenn sie wollte, aber sie mag das Geführtwerden. Und sie muss sich beeilen. Das FRIEND ist nun eine Armbanduhr, jedenfalls simulieren das runde Ziffernblatt im nostalgischen Millennium-Look sowie das in Lederoptik leuchtende Armband eine solche. Holografische Fluoreszenz und vibrationsgesteuerte Fühlvolumina machen die Uhr zu etwas wie auf dem FRIEND Aufgesetztem. Der Rest ist wieder chamäleonmäßig unsichtbar. Wie die Alte in der Bahn.
Auf der Rolltreppe streckt Yukiko den Arm noch weiter aus. Es zerrt an ihr, als wäre sie ein ungezogenes Mädchen, »soll ich aufhören?«, fragt Stimme, aber Yukiko antwortet nicht, sondern macht oben, am Ende, auf Straucheln; eine, die von einem Unsichtbaren entführt wird. Das FRIEND zieht sie aus dem Bahnhof, quer über die Straße, die Autos halten, umfahren sie, alles fließt ineinander und sie ist auch nicht die einzige Fußgängerin, die sich unter den rollenden Verkehr mischt. GOD regelt das mit den Autos, netzflechtig.
»Kannst du Yukiko sehen?«, fragt sie, während sie anderen Anwendungen beim Nuscheln zusieht. Manche gestikulieren, unterstreichend oder nur fahrig, und wer mitten auf der Straße stehen bleibt, wird lautlos weitergezogen. Yukiko spielt das Spiel selbst gerne, einfach den stummen Verkehr aufhalten, bis es plötzlich hupt im Ohr, bis das FRIEND im Namen des Verkehrs bzw. eines rekonstruierten 1938er Daimler Light-Straight-Eight aus Aluminiumfaser ihr hupen muss, zu gerne macht sie das, und der Griff an ihrer Hand wird dann fest und kribbelnd. Doch heute geht sie von alleine weiter, und Stimme antwortet: »Ich kann, wenn ich will. Hier sind überall Okular…«
»Ein FRIEND kann nicht WOLLEN, es ist ein Ding!«
»…«
»…«
»Und du? Was bist du?«
»Schon gut«, sagt Yukiko, »kann es Yukiko spüren?«
»Deinen Arm spüre ich natürlich …«
Sie lacht auf, »ha!« - ohne dass das echtes Lachen ist, und mitten auf der Straße ist das auch irgendwie idiotisch, aber niemand, der deswegen auch nur aufschaut. Natürlich.
»Ich spüre noch mehr von dir«, setzt Stimme fort, »jetzt gerade zum Beispiel spüre ich deine Körperwärme, die auf diese Wand trifft …«
'Diese Wand' ist das Rathaus von O, auf dessen gemauerte Sandsteinblöcke man umlaufend eine unsichtbare sensible Haut aufgezogen hat, und Yukiko weiß, jedes Kind weiß, dass FRIENDs sich in sämtliche freigegebenen Sensoren einfeelen können, also auch in diese Fassade, die ihr Lächeln, ihr breites, längst gesendet hat.
In ihrem Ohr fängt ungefragt eine Melodie an, Chilldown in Paradise, weiche Flöte und Natur. Yukiko steckt sich die Finger in beide Gehörgänge. Nein, will sie sagen, sagt aber nichts, ein bisschen trotzig, das Ding macht eh, was es will, dabei weiß sie, dass es das nicht macht, im Gegenteil, es würde alles tun, was SIE will. Sie schüttelt, statt etwas zu sagen, den Kopf zwischen den Fingern, als wollte sie das Gedudel wegschütteln; sie nennt es 'Gedudel', wagt aber nicht, das laut zu sagen, sie fürchtet sogar, das könnte ihr FRIEND verletzen. Lächerlich? Sie hat kurz die Idee, den Stick herauszureißen. Was aber nicht nur nicht geht, sondern neben der Körper- auch eindeutig eine Vertragsverletzung wäre, der Stick ist schließlich eingenäht.
»Yukiko«, sagt Stimme, flötet Stimme, Stimme versucht sich dem Klang von Urwaldvögeln und Tubular Bells anzupassen, »Yukiko …«, ohne dass die Musik aufhört, die ihr gegen ihren Willen gefällt.
Yukiko bedeutet 'Schneekind', und wenn FRIENDs Stimme »Yukiko« sagt, so harmonisch in Bachmurmeln, sphärisches Zirpen und Weltflöten integriert, dann meint sie, Schneerieseln überm Amazonas zu sehen. Sie lässt das Kopfschütteln, zieht den Finger aus dem rechten Ohr, dem mit dem Stick, wieder heraus, mit Fingern ist gegen Stimme (und Musik) ohnehin nichts auszurichten, sie lässt nur den linken Zeigefinger im linken Ohr, um von der Umgebung keine Interferenzen mehr wahrzunehmen.
Die Umgebung nämlich ist hässlich, vor allem die Autos … sind es eigentlich nicht, und doch sind sie es auch, und überall liegt Dreck herum, und eigentlich gar nicht, aber doch - doch doch doch, und die Häuser sind bunt aber genauso hässlich unhässlich wie die Autos, die sich ohne Murren um sie herumschlängeln. Hässlich.
Aber wenn sie die Augen schließt, ist dieselbe hässliche Straße plötzlich voller Bäume und Schlingpflanzen und bunter Vögel, selbst die Autos haben dann eine schrille Echsenhaut, und Yukiko verschwimmt mit Haut und Haar in Stimmes Paradies-Klängen.
Nein!, denkt sie kopflaut und öffnet die Augen, macht den Dschungel wieder unsichtbar, geht weiter, gleichzeitig sich ärgernd wie lächelnd, schaut dabei ins Unbestimmte und zufällig trifft ihr Blick auf einen Rollstuhlfahrer, der ihr Lächeln nicht erwidern kann, so wenig menschlich ist sein Gesicht, und der es trotzdem versucht. 'Entstellt', denkt sie, was man nicht denken soll, das ist eines dieser Wörter, »Alberich«, unterbricht Stimme den Gedanken, »er ist online und offen für Gartenarbeiten aller Art.«
Yukiko sagt nichts, starrt ihn nur ungebührlich an, den Zwerg, der in seinem völlig overstylten Gefährt ganz verloren wirkt, und der sich also Alberich nennt, wie der aus der Sage; oder war es Oper? Beides, weiß sie binnen viereinhalb Nanosekunden, also sofort: Nibelungen und Wagner, ihr himmeL'sches Cloudgedächtnis ist Eins-A. Aber so totaldeformiert, wie er da vor bzw. unter ihr sitzt oder hockt, sieht der Kerl aus wie der Fehldruck einer missglückten Tool-Replikation. Sein hinter, über ihm aufkragender metallischer Greifarm winkt ihr nach, als sie weitergeht, was nicht weniger aufdringlich ist als ihr Starren zuvor, aber alles noch im Rahmen, man kann sogar zurückwinken, ohne dass das was hieße. Sie winkt also zurück; der schachtelhalmartige Greifarm ist noch eindrücklicher als der Kerl selbst.
»Yukiko ist der Meinung, keinen Gärtner zu brauchen …«, sagt Yukiko, als sie außer Hörweite des Wesens ist. Andere Anwendungen könnten sie hören, tun das aber nicht, weil sie selbst konversieren, und weil deren eigene FRIENDs schon für alles sorgen.
Stimme antwortet nicht. Yukiko vergisst den Zwerg und betritt die Ratsschänke.
Der Zwerg. Der persönlichkeitsverschränkte, der mit bürgerlichem Namen Albin heißende Zwerg Alberich ist weder ein klassizistischer der Wagner-Literatur, noch medizinisch ein typisch Zwergenwüchsiger. Das offensichtliche Fehlen der meisten Knochen macht ihn eher zu einem gefüllten Hautsack, einem dabei nicht einmal hautfarbenen, sondern mit einem PG von unter eins albinoiden, zugleich aber auch schwarzbunten Klumpen, von hand- bis tellergroßen Muttermalen übersät, mit lokalen PGs größer 99, und Kopf und Rumpf sind zulasten eines artikulationsfähigen Mundes halslos miteinander verwachsen und die Extremitäten verdienen die Bezeichnung nicht. Der Zwerg Alberich ist so etwas wie Gottes Resteverwertung; überlebensfähig nur, wenn mit seinem prothetischen Multifunktionsrasenmäher verschraubt und aufs Engste über ein Netzwirrwarr komplizierter Überwachungs- und Kommunikationssensorik mit dem verkabelt und verdrahtet, was man die Welt nennt und deren informationelle Essenz - sprich: den himmeL - meint. Er beherrscht die Klaviatur dieser himmeL'schen Welt, IDENTIFIZIERT SICH, nennt hunderttausend Freunde seine und jeder Lidschlag ist ein Befehl, der ihn eintauchen lässt in ihre Leben.
Der Zwerg Alberich lässt seine Tochter ziehen, ohne sich erkennen zu geben, natürlich ohne das: a) was soll sie denken, dass ihr Daddy kein stattlich gebauter Dottore ist, sondern eine Missgeburt, die sich augenscheinlich als Tagelöhner verdingt, und b) verfolgt Alberich ganz andere Ziele mit ihr. Unter anderem.
Beim Kaffee, den Thomas schwarz trinkt und den deinen milchschaumkakaobepuderten er mit einem dich ärgernden süffisanten Schmunzeln registriert, zeigt er dir den Weg, die geplante Wanderroute, auf einem Faltplan in seinem Handy oder Computer, was schon lange nicht mehr 'Handy' oder 'Computer' heißt, auf etwas, das man aufklappen, vielmehr ausrollen kann, wie eine Wanderkarte, aber was einen Bildschirm hat, nein, was ein Bildschirm IST, und was darüber hinaus alles, alles, was der Mensch braucht, bereithält, ein Spielzeug, das man heutzutage 'Freund' nennt und Thomas offenbar ein wahrer Freund ist.
Diese Selbstverständlichkeit, mit der er es auf dem Tisch glättet, als wäre es Papier, und wie er mit seinen Fingern darüber wischt und huscht, gleitet und drückt, spreizt und streckt und krümmt und dehnt, das ist ein bisschen wie Liebe machen oder Klavierspielen, wie die jungen Leute macht er das, er, der Alte, doch schon während du eingeschüchtert sagst, dass du dieses neumodische Zeug nicht verstehst, ahnst du, dass dieses Ding alles andere als neu ist. Abstrakt weißt du, dass es längst viel neuere solcher Geräte gibt, du siehst, dass das, was Thomas dir da hinlegt, schon viele Jahre hinter sich hat, übersät mit Kratzspuren, und in den abgerundeten Ecken hat sich der Leim, oder was immer es zusammenhält, gelöst, sodass diese nun aussehen wie die abgegriffen Kanten eines Stücks Pappe, oder wie Hunderte übereinandergeklebte Folien, zu einer einzigen verpresst und sich nun allmählich voneinander wieder lösend, das ganze Ding zwar einrollbar, aber sperrig und zäh, Blasen werfend und die Transparenz ist milchig geworden. Aber du weißt, dass auch dieses nicht mehr neue Gerät vollgestopft ist mit winziger, fürs menschliche Auge unsichtbarer Elektronik, du weißt, dass es dich hören, sehen, riechen und sogar fühlen kann - und sogar mit dir sprechen.
Mein Baby, sagt Thomas, hab' ich schon über zehn Jahre, aber im Gegensatz zu den Kids hole ich hier noch Sachen raus, die die mit den besten FRIENDs nicht hinkriegen. Vaterhafter Stolz.
Tatsächlich gehören die fingerfertigen Kids inzwischen selbst zu den alten Erinnerungen, die Zeit rast, und die Kids heutzutage fingern nicht mehr, sie brauchen nur noch zu brabbeln, auf der Straße, in der Bahn, überall vor sich hinbrabbelnde Menschen; etwas, was man früher für eine psychische Störung gehalten hat, Verrückte, die Selbstgespräche führen. Es gab Zeiten, du erinnerst dich an einen Mann mittleren Alters, der sich im Bus mit niemandem, dafür umso lautstärker, über Bilanzen und Aktienkurse unterhielt - in zerrissenen, zusammenhangslosen Halbsätzen, als hörte man nur die eine Hälfte eines lebhaften Dialogs. Ein gut gekleideter Mann war das gewesen, zwar unrasiert, der Trenchcoat knittrig, das Haar zerzaust, alles nicht picobello, aber auch nicht verwahrlost, äußerlich also noch ganz nah dran an der realen Welt, vielleicht erst vor zwei, drei Tagen rausgefallen, abgetaucht, ein Mann wie nur wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche, dieser Mann hat immer wieder erschrocken aufgesehen, einmal dich sogar angesehen, womöglich von einer vorübergehenden Wachheit darauf aufmerksam gemacht, dass er irre geworden war, ER, nicht du, irgendwann während eines Lebens, in dem es vielleicht tatsächlich einmal um Bilanzen oder Kurse gegangen war. Für einen winzigen Zeitfunken der Erkenntnis war der singuläre Brabbler mit der öffentlichen Gemeinschaft - mit dir und den anderen Fahrgästen - darin einig gewesen, dass ER verrückt geworden war, ein Verrückter, der durch die Stadt geisterte, Gefangener eines Traums, den er mit niemandem teilen konnte.
Träume, hast du immer gedacht, sind das am wenigsten Teilbare des Menschen, Träume sind ein urpersönlicher Zugang zum Ewigen, zu Gott oder auch zu seinem Kontrahenten, Träume und alle den Träumen verwandten Wahnvorstellungen sind das nicht Teilbare der Persönlichkeit - doch heutzutage bist du dir da nicht mehr sicher. Diese GERÄTE scheinen das geändert zu haben, und wenn heute einer irritiert aufsieht, weil da ein anderer vor sich hinbrabbelt, dann ist der, der aufsieht, der Verrückte, nicht der Brabbler. Der Stille ist der Nichtdazugehörige einer brabbelnden Gemeinschaft sich ihre Träume Teilender.
Du lächelst über das 'Baby', auch wenn dir Thomas' Art des Darüberstreichens nicht geheuer ist, und dann fragst du ihn, ob das ein 'Handy' sei. Er sieht dich an, ist das Mitleid?, Ein Handy, ein … Telefon? Er lacht, gerade noch so, dass es nicht überheblich ist, schlägt dir etwas grob und ungelenk vor die Schulter, Ja, früher war so was mal ein Telefon, aber heute, und dann will er dich provozieren, er senkt die Stimme, sieht dich schelmisch und ein bisschen diabolisch an und raunt: Heute ist das der Zugang zu Gott …! Er haucht, zischt, und lacht sofort wieder, wie er deinen ehrlich erschrockenen Blick bemerkt, noch mal so ein Schlag vor die Schulter, Das ist ein uraltes END, sagt er, Und davor, das waren auch keine Handys, sondern Smartphones, und Telefon heißt das schon ewig nicht mehr.
Du wehrst dich: Immerhin hast du es geschafft, mich anzurufen!
Du musst an DEIN Telefon denken, das mindestens ein halbes Jahrhundert alt ist oder älter, das Telefon deiner Mama, das ihr nie gegen ein neues ausgetauscht habt, schon aus einem trotzigen Prinzip nicht, du und Willi, ihr habt euch das sozusagen geschworen, das zu behalten, den milchgrauen Kasten mit Wählscheibe und einer eingebauten Glocke, deren Reparatur dich kürzlich 250 Yen gekostet hat - bei einem Antiquitätenmechaniker, verrückt, DAS ist verrückt.
Damals, als diese Brabbler im Bus das erste Mal ein Massenphänomen geworden waren, da haben sie wirklich telefoniert, mit kleinen, immer kleiner werdenden Handys, die sie sich ans Ohr hielten. Und Verrückte wie jener eine damals haben sich irgendwann nicht mehr von denen unterschieden, die sich mit diesen kleinen Telefonen unterhielten. Bis das eines Tages wieder vorbei war, bis es in der U-Bahn wieder still wurde, und die Menschen nicht mehr telefonierten, sondern nur noch in ihre Telefone hinein SCHAUTEN, sie befingerten und sich damit gegenseitig unsichtbare Botschaften zusandten, oder einfach nur darin lasen, jedes Telefon war eine ganze Bibliothek auf einmal, und aus dieser Zeit stammt also auch Thomas' 'Baby'. Aber auch diese Zeit ist längst wieder vorbei, nun brabbeln sie wieder, doch das ist kein Telefonieren mehr. Es scheint, dass die Menschen die Geräte nur noch brauchen, um mit sich selbst zu sprechen.
»Hana!«, sagt Yukiko plötzlich laut und ohne nachzudenken, während sie sich in der Kneipe umsieht, »Yukiko wird es Hana nennen!«
Die meisten Tische sind leer, nicht viel los, so früh am Morgen, sie geht durch zur Küche, um sich umzuziehen.
»Hana oder Hanna?«, fragt Stimme.
Yukiko ruft »Guten Morgen!«, und die Chefin, die gerade mit wem Unsichtbares spricht, tippt verärgert mit dem Zeigefinger auf ihr linkes Handgelenk. Yukiko macht auf busy, winkt dem Koch zu und verschwindet in der Personalumkleide.
Noch immer Urwaldklänge. »Hana ist weiblich! Soll ich eine Frau sein? Ich dachte, ich bin männlich!«
Yukiko zieht sich aus. »Es ist ein es, ein GERÄT!«
Die Stimme macht aus 'verschnupft sein' was Klangliches, Nasales: »Ich bin - VIEL - mehr als ein Gerät!«
»Hana!«, sagt Yukiko. Ihr eigene Stimme kommt ihr verkehrt vor, passt nicht zu der perfekten Simulation fließenden Wassers in ihrem Ohr, sie räuspert sich, als Echo hört sie eine Art Uhu, der sie fragt: »Mit einem N?«
Das FRIEND lässt den Spind untouched aufspringen, schwarzes Kleid, weiße Spitzenschürze. »Mit einem!«, sagt sie. Ihre Lippen gehen auseinander, als wollte sie laut lachen, sie lässt es aber.
»Bin ich also eine Frau?«, fragt Stimme, fragt Stimme mit männlichem Klang.
»Nein«, Yukiko flüstert laut, »für Yukiko ist es Hana, weder Mann noch Frau, oder: Mann und Frau …«
Sie stockt, weil das Unsinn ist, weil das Ding an ihrem Handgelenk eben doch nur ein Ding an ihrem Handgelenk ist. Ein FRIEND, ein technisches Ding, letztlich auch nur ein Telefon streng genommen, dieses antiquierte Wort, dessen Bedeutung keiner mehr kennt, ein Telefon wie das von dem Opa vorhin, nur ultrahochkomplexer halt, ein Telefon zum Bloggen, Muggen, Chatten und Feelen.
»So wie du …«, flüstert das FRIEND in ihr Ohr.
Ein Telefon, das sich in Yukiko verliebt hat, sozusagen. Seit Jahrhunderten lieben die Menschen ihre Maschinen, und nun lieben die Maschinen zurück.
Das Full Renitent Interface Enhanced Neural Design mit der aktuellen Hyper permanent individualized distinctive localized synchronized chronized Adress HA 'DE.IBM0001HXYW537820//2031:db8:85a3::8a2e:370:7344//UTM32U-434998-5792599-66//UTC2039050108:31:23' soll also die Non permanent individualized distinctive localized synchronized chronized Adress NA 'Hana' bekommen, fernöstlich mit nur einem 'n' an dritter Stelle, wobei 'Hana' wie 'Hanna' oder die meisten Variationen dieses Namens im Bedeutungskanon tendenziell weiblich sind. Das FRIEND beachtet auch die Herkunft des Namens der Namensgeberin, ' Yu ki ko·chô', es lässt sich also mit Wahrscheinlichkeit eine japanische Form destillieren, also Rang (R) 1, japanisch, Hana, die Blume, dann R2, koreanisch, Hana, die Ziffer Eins, oder R3, persisch, Hana, ebenfalls Blume, abstrakter dagegen R4, arabisch, Hana, die Glückseligkeit, und ganz anders im Albanischen, R5, Hana, der Mond (auch der in den meisten Kulturen weiblich), oder Hana als Kurzform von europiden Formen wie Hanna oder Hannah oder Johanna oder Tihanna, letztere ist die Gestillte oder die Wohllebende, oder aber Hebräisch, die Gnade Gottes. Das FRIEND braucht nur ein paar Trilliardstel Sekunden, um die Namensgebung mit dem aktuellen Wissensstand der weltweiten Bibliotheken algorithmisch zu verschneiden, dann definiert es sich um in Hana, transkribiert den Namen in seinen eigenen Quellcode und setzt sich zum Ziel, eine glückselige Blume im Mond zu sein.
Es ignoriert dabei geflissentlich, dass das Tool Yu ki ko·chô, eine nongeborene SLaughter, lediglich die beiden kategorischen Kürzel ihrer Systemadressen HA und NA aneinandergefügt und sich ansonsten keinerlei Gedanken über die Symbolschwere eines Namens für etwas gemacht hat, das in ihren Augen nach wie vor lediglich ein Gerät ist.
»So wird das nix!«, dachte ich halblaut, rührend, wie sie sich allem Modernen widersetzt, aber wir werden uns nicht die Blöße geben, mit einem PAPIERPLAN durch die Gegend zu laufen, ich hatte ja die Route auch längst ausgearbeitet, ausarbeiten lassen, von meinem END, und die Kartendarstellung war so vereinfacht, dass sogar jemand, der im Zeitalter der faltbaren Wanderkarten stecken geblieben war, alles verstehen müsste.
»Heute O!«, sagte ich, berührte mit dem Daumen O und vergrößerte die alte Hansestadt auf ihren Straßengrundriss, beeindruckte das alte Mädchen mit ein bisschen Schnickschnack, Wechsel vom Luftbild zur topografischen Karte und zurüüßßü