Originalausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 2014
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Lektorat Frank Strickstrock
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Satz Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN 978-3-644-04561-3
www.rowohlt.de
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Zitiert nach: Al Gore: «Angriff auf die Vernunft». München 2007, S. 120
Ernst-Wolfgang Böckenförde: «Woran der Kapitalismus krankt», Süddeutsche Zeitung, 23.4.2009
http://www.youtube.com/watch?v=SpLa1-KgaRg
http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/41/41841/1.html
Marcus Klöckner, «Leitartikler und Machteliten», 23.5.2014 ebenda
https://www.freitag.de/autoren/mopperkopp/fazensur
http://www.rationalgalerie.de/kritik/-haupt-ueberschrift–2.html
http://www.stern.de/politik/ausland/kommentar-zur-ukraine-krise-die-vorwuerfe-gegen-putin-klingen-stark-nach-kriegs-propaganda-2127154.html
http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/politik-der-eskalation-der-irrweg-des-westens-/10308844.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Euromaidan»Finanzielle_und_logistische_Unterst.C3.BCtzung_oppositioneller_Gruppen
http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen125.pdf
Manche Quellen gehen so weit zu behaupten, Klitschkos Partei UDAR sei 2010 im Auftrag der Adenauer-Stiftung gegründet worden. Er sei als Präsidentschaftskandidat aufgebaut worden. http://kulturstudio.wordpress.com/2013/12/11/witali-klitschko-im-auftrag-der-adenauer-stiftung/
http://www.foreignaffairs.com/articles/141769/john-j-mearsheimer/why-the-ukraine-crisis-is-the-wests-fault
http://www.commondreams.org/views/2014/09/02/nato-and-ukraine-warning
http://weltnetz.tv/video/585
Daniela Dahn: Wir sind der Staat. Warum Volk sein nicht genügt. Reinbek 2013
http://www.sueddeutsche.de/politik/krim-krise-diffamiert-als-russlandversteher-1.1925559
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-krim-und-das-voelkerrecht-kuehle-ironie-der-geschichte-12884464.html
Emanzipiert Euch! Das klingt wie ein unsanfter Weckruf. Sich emanzipieren heißt, sich anstrengen. Wollen wir das überhaupt? «Man muss das Außerordentliche wollen, um etwas Ordentliches zuwege zu bringen.» Hemmungslos und ungeniert Goethe zitieren – wo dürfte man das, wenn nicht im Nationaltheater Weimar, wo ich im März 2014 eine Rede hielt, aus der dieser Essay entstand?
Wollen wir Außerordentliches? Selbstermächtigung, mit Verlaub, wozu eigentlich? Der Begriff ist abgeleitet von Empowerment und beschreibt eine sich von den USA ausbreitende Protesthaltung gegen die Institutionen der Machthierarchie, die eine fortschreitende Entmündigung der Bürger erzeugen. Es geht um kritisch-bürgerliches Engagement als moderne Variante des Ehrenamtes. Autonomie soll nicht nur formuliert, sondern auch gelebt werden. Gibt es pragmatische Vorschläge, mit deren Umsetzung man morgen beginnen und an einem absehbaren Übermorgen zum Erfolg kommen kann? Mit Verweis auf die Geschichte ist daran zu erinnern, dass Selbstbestimmung ein grundstürzender und deshalb langwieriger und auch riskanter Prozess ist.
Dieses Risiko lässt sich gut illustrieren an dem autoritätsgeladenen Weimarer Theater, das sich den Humanitätsidealen der Klassik verpflichtet fühlt. Auch deshalb tagte 1919 dort ein halbes Jahr lang die Deutsche Nationalversammlung, um eine neue Verfassung zu erarbeiten.
In dieser Konstitution, die vieles aus der Paulskirchenverfassung von 1848 übernommen hatte, hieß es schon: «Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.» Volksentscheide und Volksbegehren zu Gesetzentwürfen waren unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen. Es gab in der Weimarer Republik zwei sinnvolle Versuche von links und einen weniger sinnvollen von rechts, davon Gebrauch zu machen, die aber alle nicht die erforderlichen Mehrheiten erhielten. Kein Grund also für die Geschichtsschreibung, nachträglich über «bittere Erfahrungen» mit der jungen Basisdemokratie zu reden.
Sogar über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen hätte der Reichspräsident das Volk abstimmen lassen können. Dazu ist es freilich nie gekommen. Auch nicht dazu, die «Grenzen der wirtschaftlichen Freiheit» an der «Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle» zu setzen. Wucher war verboten, Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstießen, sollten nichtig sein. Auch damals schon hieß es: «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das gemeine Beste.»
Dazu wären «alle Bodenschätze und alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte» sowie «für die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmen in Gemeineigentum» zu überführen gewesen. Die bürgerlichen Freiheiten sollten bei all dem selbstverständlich gewährleistet sein.
Diese republikanische Verfassung war gegenüber dem Kaiserreich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zweifellos ein Akt der Emanzipation. Er hielt nicht lange vor, aus Gründen, die immer wieder kontrovers diskutiert wurden. In den 1920er Jahren klammerten sich viele Künstler an die Hoffnung, Kunst und Kultur würden den Trend der deutschen Gesellschaft nach rechts aufhalten und schließlich verhindern. Am Scheitern der Weimarer Republik hatten die kritischen Autoren aus der Sicht etwa eines Kurt Tucholskys ihren Anteil allerdings nicht weil sie zu viel, sondern weil sie zu wenig Wirkung hatten.
Die Stadt Weimar kennt die räumliche Nähe von Menschlichkeit und Niedertracht, von Kultur und Barbarei wie kaum eine andere. Die von Jorge Semprún beschriebene Goethe-Eiche stand nur wenige Kilometer vom Zentrum entfernt. 1926 hat sich die NSDAP ausgerechnet das Weimarer Theater erkoren, um den ersten Reichsparteitag nach der folgenschweren Aufhebung des Verbots der Partei abzuhalten. Seit dem Herbst 1944 wurde das einst zur Produktion geistigen Rüstzeugs bestimmte Haus restlos zweckentfremdet – eine Rüstungsfabrik zog ein. Folgerichtig wurde es später bombardiert, bis nur noch die Fassaden standen.
Das Theater wurde schon 1948 wieder eröffnet, mit «Faust». Ein Jahr später erinnert in jenem Haus Thomas Mann in seiner berühmten Rede an den Augenblick, den Faust seinen höchsten nennt: wo der Mensch «auf freiem Grund mit freiem Volke steht». Der immer noch im Exil Lebende verwahrt sich gegen Stimmen, die Goethe unterstellten, die bittere Ironie der Schlussszenen sei Verhöhnung der Tat, nie sei es dem Dichter ernst gewesen mit Fausts «Sozialwerk der Menschenbeglückung». Vielmehr, so Mann an diesem Ort, sei soziale Utopie in Goethes ganzem Alterswerk präsent, es sei ihm von Herzen ernst gewesen mit dem «höchsten Augenblick». Gerade diese Wendung der Dichtung mache «Faust» zur Tragödie. Sie zeige «die Verderbnis der Idee durch ihre Verwirklichung, die fundamentale Tragik des Menschenlebens».
Sich all das bewusst machend, ist es geboten, die Idee der Emanzipation behutsam und mit der nötigen Demut anzugehen, sich von der Bürde der historischen Niederlagen aber auch nicht lähmen zu lassen. «Es gilt im Grunde doch nur: vorwärts!», ermutigt uns Goethe.
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