Agatha Christie begründete den modernen britischen Kriminalroman und avancierte im Laufe ihres Lebens zur bekanntesten Krimiautorin aller Zeiten. Ihre beliebten Helden Hercule Poirot und Miss Marple sind – auch durch die Verfilmungen – einem Millionenpublikum bekannt. 1971 wurde sie in den Adelsstand erhoben. Agatha Christie starb 1976 im Alter von 85 Jahren.
Für meine alte Freundin Sybil Bennett,
die auch gern weltenbummelt.
»Linnet Ridgeway!«
»Tatsächlich, das ist sie!« Mr Burnaby, Wirt des Three Crowns, verpasste seinem Gesprächspartner einen Rippenstoß.
Beide Männer starrten nach draußen, mit runden Kuhaugen und halboffenen Mündern. Ein scharlachroter großer Rolls-Royce hielt eben vor dem Postamt.
Eine sehr junge Frau sprang heraus, ein Mädchen ohne Hut, in einem Kleid, das ganz schlicht aussah (aber nur aussah). Ein Mädchen mit goldenen Haaren und einem offenen, sehr selbstbewussten Gesicht. Ein Mädchen mit einer bildhübschen Figur. Ein Mädchen, wie man es in Malton-under-Wode nur selten sah.
Mit eiligen, herrischen Schritten verschwand sie im Postamt.
»Das ist sie?«, sagte Mr Burnaby noch einmal, und leise und ehrfurchtsvoll fuhr er fort: »Millionen hat die … Wird etliche Tausender in den Umbau stecken. Soll dann hier Schwimmbecken geben und italienische Gärten und einen Ballsaal, und das halbe Haus wird abgerissen und wieder aufgebaut …«
»Die bringt Geld in die Stadt«, sagte sein Freund. Er war hager und sah heruntergekommen aus. Und er klang nach Neid und Missgunst.
Mr Burnaby war derselben Ansicht. »Tja, ist ’n dolles Ding für Malton-under-Wode. ’n ganz dolles Ding.« Es schien ihm zu behagen. »Wird uns alle hier wachrütteln.«
»Ganz was anderes als Sir George«, sagte der andere.
»Tja, den haben die Pferde geschafft.« Mr Burnaby klang mild. »Hat ja nie Glück gehabt.«
»Was hat der eigentlich gekriegt fürs Haus?«
»Satte sechzigtausend, hab ich gehört.«
Der Hagere stieß einen Pfiff aus.
»Und sie soll noch mal sechzigtausend los sein, bis sie alles fertig hat!«, berichtete Mr Burnaby triumphierend weiter.
»Eine Schande!«, fand der Hagere. »Wo hat die denn das ganze Geld her?«
»Amerika, hab ich gehört. Die Mutter war wohl die einzige Tochter von so ’nem Millionen-Krösus. Wie im Kino, was?«
Das Mädchen kam aus dem Postamt und stieg wieder ins Auto.
Der Hagere starrte ihr brummelnd nach, als sie davonbrauste. »Ich find das ja ganz verkehrt – dass sie so aussieht. Geld und so ’n Aussehen – das ist zu viel! Wenn eine so reich ist wie die, dann darf die doch nicht auch noch gut aussehen. Und die sieht gut aus … Alles hat die! Find ich ungerecht …«
Aus der Gesellschaftskolumne des Daily Blague:
Zu den Abendgästen im Chez Ma Tante gehörte auch die bildschöne Linnet Ridgeway. Ich erspähte sie beim Souper am Tisch mit Lady Joanna Southwood, Lord Windlesham und Mr Toby Bryce. Miss Ridgeway ist, wie allseits bekannt, die Tochter von Melhuish Ridgeway aus seiner Ehe mit Anna Hartz und damit Erbin des immensen Vermögens ihres Großvaters Leopold Hartz. Die liebreizende Linnet ist derzeit Thema Nummer eins der feinen Gesellschaft, Gerüchte wollen sogar von einer baldigst bevorstehenden Verlobung wissen. Und tatsächlich sah Lord Windlesham sehr épris aus!
Lady Joanna Southwood saß in Linnet Ridgeways Schlafgemach in Wode Hall. »Liebes, ich glaube, das alles wird einfach himmlisch!«
Vom Fenster aus hatte man einen Blick auf die Gärten und hinaus ins weite Land mit den blauen Umrissen der Wälder.
»Es ist schon ziemlich vollkommen, nicht wahr?« Linnet lehnte auf der Fensterbank. Ihr Gesichtsausdruck verriet Ungeduld, Lebenslust und Tatendrang.
Neben ihr wirkte Joanna Southwood – eine große, schlanke junge Dame von siebenundzwanzig Jahren mit einem gescheiten schmalen Gesicht und keck gezupften Augenbrauen – irgendwie blässlich. »Und was du alles geschafft hast in der Zeit! Hattest du viele Architekten und so?«
»Drei.«
»Wie sind denn Architekten eigentlich? Ich habe, glaube ich, noch nie einen kennengelernt.«
»Ach, ganz in Ordnung. Allerdings fand ich sie manchmal ein bisschen unpraktisch.«
»Nun, das hast du bestimmt schnell geradegebogen! Du bist doch das allerpraktischste Geschöpf!« Joanna nahm eine Perlenkette auf dem Toilettentisch in die Hand. »Die sind sicher echt, nicht, Linnet?«
»Selbstverständlich.«
»Ich weiß, dass so etwas für dich selbstverständlich ist, Liebes, aber bei den meisten Leuten wäre es das nicht. Dicke Zuchtperlen oder gleich Woolworth! Liebling, die sind wirklich unglaublich, so exquisit ebenmäßig. Die müssen märchenhaft viel Geld wert sein!«
»Ein bisschen ordinär, findest du?«
»Nein, überhaupt nicht – einfach die reine Schönheit. Was kosten die denn?«
»Rund fünfzigtausend.«
»Eine hübsche Stange Geld! Hast du gar keine Angst, dass sie gestohlen werden?«
»Nein, ich trage sie überall – außerdem sind sie ja versichert.«
»Darf ich sie mal ummachen, bis zum Abendessen, ja, Liebling? Ich würde eine Gänsehaut bekommen.«
Linnet lachte. »Selbstverständlich, wenn du möchtest.«
»Ach, Linnet, ich beneide dich wirklich. Du hast einfach alles. Du bist gerade zwanzig und schon dein eigener Herr, du siehst blendend aus und strotzt vor Gesundheit. Verstand hast du obendrein. Wann wirst du eigentlich einundzwanzig?«
»Im nächsten Juni. Ich werde ein großes Fest in London geben, wenn ich volljährig bin.«
»Und dann Lord Windlesham heiraten? Diese scheußlichen Klatschreporter sind ja alle schon ganz närrisch deshalb. Und er ist dir wirklich beängstigend ergeben.«
Linnet zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Ich will eigentlich überhaupt noch niemanden heiraten.«
»Liebling, du hast ja so recht! Hinterher ist doch alles irgendwie anders, nicht?«
Das Telefon klingelte, und Linnet nahm ab. »Ja?«
Die Stimme des Butlers meldete: »Miss de Bellefort ist am anderen Ende. Darf ich durchstellen?«
»Bellefort? Oh, natürlich, ja, stellen Sie sie durch.«
Ein Klick, dann eine ungeduldige, leicht atemlose, aber weiche Stimme: »Hallo, ist da Miss Ridgeway? Linnet!«
»Jackie, Liebling! Ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr von dir gehört!«
»Stimmt. Schrecklich. Linnet, ich muss unbedingt mit dir reden.«
»Dann komm doch einfach her. In mein neues Spielzeug. Ich würde es dir liebend gern zeigen.«
»Genau das hatte ich vor.«
»Also, spring in den Zug oder ins Auto.«
»Tu ich. In meinen schrecklich klapprigen Zweisitzer. Ich hab ihn für fünfzehn Pfund gekauft, an manchen Tagen fährt er wunderbar. Aber er hat Launen. Wenn ich zum Tee nicht da bin, dann weißt du, er hatte wieder mal eine. Bis dann, Liebes.«
Linnet legte auf und ging zurück zu Joanna. »Das war meine älteste Freundin, Jacqueline de Bellefort. Wir waren zusammen auf der Nonnenschule in Paris. Sie ist ein Unglücksrabe. Ihr Vater war ein französischer Graf, ihre Mutter Amerikanerin – Südstaatlerin. Der Vater ist mit einer anderen durchgebrannt, und die Mutter hat ihr ganzes Geld beim Börsenkrach an der Wall Street eingebüßt. Jackie stand ohne einen Pfennig da. Ich weiß gar nicht, wie sie die letzten zwei Jahre über die Runden gekommen ist.«
Joanna polierte ihre blutroten Fingernägel mit Linnets Nagelkissen. Dann lehnte sie sich zurück, legte den Kopf auf die Seite und betrachtete das Ergebnis. »Liebling«, flötete sie schließlich, »ist das nicht schrecklich lästig? Wenn Freunde von mir irgendwie in die Bredouille kommen, lasse ich sie sofort fallen! Das klingt zwar herzlos, aber es erspart einem viel Ärger hinterher! Die wollen einen doch bloß anpumpen, oder sie machen ein Modegeschäft auf, und dann soll man ihnen die grässlichsten Kleider abkaufen. Oder bemalte Lampenschirme und Batikschals.«
»Du meinst, wenn ich morgen mein ganzes Geld verliere, dann lässt du mich fallen?«
»Ja, Liebling, lasse ich. Man kann mir jedenfalls nicht nachsagen, ich wäre nicht ehrlich! Ich mag eben nur erfolgreiche Menschen. Übrigens wirst du feststellen, dass die meisten Leute das so sehen – nur zugeben würden sie es nicht. Die behaupten dann, sie kämen eben nicht mehr zurecht mit Mary oder Emily oder Pamela! ›Das arme Mädchen ist ja so verbittert und so komisch wegen all dem Kummer!‹«
»Was bist du für ein Biest, Joanna!«
»Ich sehe nur zu, wo ich bleibe, wie alle Menschen.«
»Ich nicht!«
»Aus naheliegenden Gründen! Man braucht sich nicht schäbig zu benehmen, wenn einem attraktive amerikanische Vermögensverwalter im besten Mannesalter alle Vierteljahre einen dicken Scheck schicken.«
»Und du irrst dich auch in Bezug auf Jackie«, sagte Linnet. »Sie ist keine Abstauberin. Ich wollte sie unterstützen, aber sie lässt mich nicht. Sie ist höllisch stolz.«
»Und warum will sie dich so dringend sprechen? Ich wette, sie will etwas! Du wirst schon sehen.«
»Sie klang schon aufgeregt, wegen irgendetwas«, gab Linnet zu. »Jackie war immer schnell aufbrausend, wegen aller möglichen Dinge. Einmal ist sie mit dem Taschenmesser auf jemanden losgegangen!«
»Nein, wie gruselig!«
»Ein Junge hat einen Hund gequält. Jackie hat versucht, ihn davon abzubringen, aber er hat weitergemacht. Sie hat an ihm herumgezerrt und ihn geschüttelt, aber er war stärker; da hat sie eben ein Taschenmesser gezückt und zugestochen. Es gab einen Heidenkrach deshalb.«
»Das kann ich mir vorstellen. Klingt höchst unerfreulich!«
Linnets Dienstmädchen kam herein, murmelte eine knappe Entschuldigung, nahm ein Kleid aus dem Schrank und ging damit wieder hinaus.
»Was ist denn mit Marie los?«, fragte Joanna. »Sie hat ja geweint.«
»Das arme Ding! Ich hatte dir doch erzählt, dass sie einen Mann heiraten wollte, der in Ägypten arbeitet. Sie wusste aber nicht viel über ihn, deshalb fand ich, ich sollte mal nachforschen, ob er in Ordnung ist. Und dann stellte sich heraus, er hat schon eine Frau – und drei Kinder.«
»Du machst dir ja eine Menge Feinde, Linnet.«
»Feinde?« Linnet sah sie verblüfft an.
Joanna nickte und nahm eine Zigarette. »Feinde, Liebes. Du bist so entsetzlich tüchtig. Und du machst so schrecklich zuverlässig immer alles richtig.«
Linnet lachte. »Aber wo – ich habe keinen einzigen Feind auf der Welt.«
Lord Windlesham saß unter der Zeder und betrachtete lange den eleganten Umriss von Wode Hall. Nichts störte diese Schönheit der Alten Welt; die neuen Anbauten lagen alle dahinter und waren außer Sicht. So in die Herbstsonne getaucht, bot Wode Hall einen heiteren, friedlichen Anblick. Aber bald war, was er da betrachtete, nicht mehr Wode Hall. Stattdessen sah er ein viel imposanteres elisabethanisches Herrenhaus, einen ausgedehnten Park, eine kargere Landschaft … Es war der Sitz seiner eigenen Familie, Charltonbury, und eine Gestalt stand jetzt davor – ein Mädchen mit leuchtend goldenen Haaren und einem unduldsamen, selbstsicheren Gesicht … Linnet als Herrin von Charltonbury!
Er war sehr zuversichtlich. Der Korb, den sie ihm gegeben hatte, war keineswegs eine endgültige Absage. Er war bloß eine Bitte um etwas mehr Zeit. Und er konnte es sich leisten zu warten …
Wie erstaunlich gut sich alles fügte! Gewiss, es war ratsam, dass er reich heiratete, aber doch auch nicht so dringlich, dass er dafür seine Gefühle beiseitezuschieben gezwungen wäre. Er liebte Linnet. Er hätte sie auch heiraten wollen, wenn sie keinen Pfennig gehabt hätte, wenn sie nicht eins der reichsten Mädchen in ganz England gewesen wäre. Nun, glücklicherweise war sie eins der reichsten Mädchen in ganz England …
In Gedanken spielte er verlockende Zukunftspläne durch. Er würde die Roxdale-Fuchsjagd ausrichten und den Westflügel restaurieren können, er musste die Ländereien in Schottland nicht mehr an Moorhuhnjäger verpachten …
Charles Windlesham saß träumend in der Sonne.
Es war vier Uhr, als der klapprige kleine Zweisitzer knirschend auf dem Kies zum Stehen kam. Ein Mädchen stieg aus – ein schmächtiges kleines Geschöpf mit einem dunklen Wuschelkopf. Sie sprang die Stufen hinauf und riss an der Klingel.
Ein paar Minuten später wurde sie in den pompösen, langgestreckten Salon geführt, und ein hochwürdiger Butler verkündete mit der gebührenden Feierlichkeit: »Miss de Bellefort.«
»Linnet!«
»Jackie!«
Windlesham stand etwas beiseite und sah wohlwollend zu, wie das kleine Temperamentbündel sich Linnet mit offenen Armen entgegenwarf.
»Lord Windlesham, Miss de Bellefort, meine beste Freundin.«
Ein hübsches Kind, dachte er, obwohl eigentlich nicht hübsch, aber ausgesprochen anziehend mit ihren dunklen Locken und ihren großen Augen. Er murmelte ein paar Floskeln und ließ die beiden Freundinnen taktvoll allein.
Jacqueline bestürmte Linnet, in ihrer typischen Weise, an die Linnet sich erinnerte. »Windlesham? Windlesham? Das ist der Mann, von dem die Zeitungen ständig schreiben, du willst ihn heiraten? Willst du, Linnet? Willst du?«
Linnet murmelte: »Vielleicht.«
»Liebling – ich freue mich ja so! Er sieht nett aus.«
»Oh, keine voreiligen Schlüsse – ich habe ja selbst noch keinen gefasst.«
»Natürlich nicht! Eine Königin schreitet mit Bedacht zur Wahl ihres Gefährten, wie es ihr zusteht!«
»Sei nicht albern, Jackie.«
»Du bist doch eine Königin, Linnet! Das warst du immer. Sa majesté, la reine Linette, Linette la blonde! Und ich – ich bin die Vertraute der Königin! Ihre getreue Hofdame.«
»Was für einen Unsinn du redest, Jackie! Wo warst du überhaupt die ganze Zeit? Du verschwindest einfach. Und schreiben tust du auch nie.«
»Ich hasse Briefeschreiben. Wo ich war? Ach, zu drei Vierteln ertrunken, Liebling. In ARBEIT nämlich. Grässliche Stellen mit grässlichen Frauen.«
»Aber du hättest doch –«
»Die Wohltaten der Königin annehmen sollen? Na ja, ehrlich gesagt, Liebling, deshalb bin ich hier. Nein, nicht um dich anzupumpen. Soweit ist es noch nicht! Aber ich möchte dich um einen großen Gefallen bitten!«
»Na los.«
»Wenn du deinen Windlesham heiraten willst, verstehst du mich vielleicht.«
Linnet stutzte einen Augenblick lang, dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Jackie, heißt das –?«
»Ja, Liebling, ich bin verlobt!«
»Ach, das ist es! Ich dachte gleich, du siehst irgendwie besonders lebenslustig aus. Das tust du natürlich immer, aber heute noch mehr.«
»Genauso fühle ich mich auch.«
»Erzähl mir alles über ihn.«
»Er heißt Simon Doyle. Er ist groß und stattlich und unglaublich arglos und jungenhaft und einfach zum Anbeten! Arm ist er auch – Geld hat er nicht. Ist zwar echter ›Landadel‹, wie man so sagt – aber verarmter Adel. Er ist auch nicht der älteste Sohn und so weiter. Seine Familie stammt aus Devonshire. Er liebt das Landleben und alles, was dazugehört. Und die letzten fünf Jahre hat er in London in einem muffigen Büro gehockt, aber die entlassen jetzt Leute, und er ist die Stelle los. Linnet, ich sterbe, wenn ich ihn nicht heiraten darf! Ich sterbe! Ich sterbe! Ich sterbe …«
»Sei nicht albern, Jackie.«
»Ich sterbe, ich schwör’s dir! Ich bin verrückt nach ihm. Wir können ohne einander nicht leben.«
»Liebling, dich hat’s wirklich erwischt!«
»Ich weiß. Schrecklich, nicht? Wenn die Liebe einen mal erwischt, kann man nichts mehr machen.« Sie hielt einen Augenblick inne. Ihre dunklen Augen wurden noch größer und bekamen einen tragischen Blick. Sie schauderte leicht. »Das macht einem sogar manchmal Angst! Simon und ich sind füreinander geschaffen. Ich werde so etwas nie wieder für jemanden fühlen. Und du musst uns helfen, Linnet. Ich habe erfahren, dass du das Anwesen hier gekauft hast, und mir ist eine Idee gekommen. Hör mal, du brauchst einen Verwalter – vielleicht sogar zwei. Ich möchte, dass du eine Stelle Simon gibst.«
»Oh!« Linnet war verblüfft.
Jacqueline ließ nicht locker. »Er kann das alles mit links. Er weiß alles über Landgüter – er ist ja auf einem aufgewachsen. Und das Kaufmännische hat er auch gelernt. Oh, Linnet, du gibst ihm doch die Stelle, ja? Aus Liebe zu mir. Wenn er sich nicht bewährt, schmeiß ihn wieder raus. Aber er wird sich bewähren. Und wir können in ein kleines Haus ziehen, und ich kann dich ganz oft sehen, und der Garten wird ein einziger Traum sein.«
Sie stand auf. »Sag ja, Linnet. Sag ja. Wunderschöne Linnet! Großartige, goldene Linnet! Meine einzige, ganz besondere Linnet! Sag ja!«
»Jackie –«
»Sagst du ja?«
Linnet fing an zu lachen. »Alberne Jackie! Bring ihn her, deinen Mann, ich sehe ihn mir an, und dann reden wir darüber.«
Jackie fiel über sie her und deckte sie mit Küssen zu. »Linnet, Liebling – du bist eine wahre Freundin! Ich wusste es. Du würdest mich nicht im Stich lassen – niemals. Du bist das Liebenswerteste auf der Welt. Adieu.«
»Aber, Jackie, du bleibst doch.«
»Ich? Nein. Ich fahre sofort zurück nach London, und morgen komme ich mit Simon wieder und wir bringen alles unter Dach und Fach. Du wirst ihn anbeten. Er ist ein richtiger Schmusekater.«
»Kannst du denn nicht noch zum Tee bleiben?«
»Nein, kann ich nicht, Linnet. Ich bin viel zu aufgekratzt. Ich muss zu Simon und ihm alles erzählen. Ich weiß, ich bin verrückt, aber ich kann nicht anders. Die Ehe wird mich hoffentlich kurieren. Soll einen ja sehr ernüchtern.«
An der Tür machte sie plötzlich kehrt, blieb einen Augenblick stehen und flatterte dann noch einmal zurück zu Linnet und umarmte sie. »Liebe Linnet, so jemanden wie dich gibt’s nicht noch einmal.«
Monsieur Gaston Blondin, der Wirt des mondänen kleinen Chez Ma Tante, war keiner von den Restaurantbesitzern, die jedem Gast entzückt die Honneurs machen. Selbst die Reichen und Schönen, die Prominenz und der Adel warteten gelegentlich vergebens darauf, von ihm erkannt und mit besonderer Aufmerksamkeit geehrt zu werden. Er ließ sich nur in den seltensten Fällen gnädig herab, einen Gast persönlich zu begrüßen, an einen der besseren Tische zu geleiten und ein paar wohlgesetzte Worte mit ihm zu wechseln.
An diesem Abend hatte er seine königliche Gunst allerdings schon drei Leuten erwiesen – einer Herzogin, einem berühmten adligen Rennstallbesitzer sowie einem kleinen Mann mit einem enormen Moustache, der komisch aussah und dessen Anwesenheit, so würde ein zufälliger Augenzeuge wohl schließen, dem Chez Ma Tante eigentlich nichts zu bieten hatte.
Aber gerade ihm gegenüber war Monsieur Blondin von beinah schmieriger Beflissenheit. Die ganze letzte halbe Stunde lang hatten Gäste zu hören bekommen, es sei kein Tisch mehr zu haben, aber plötzlich und unerklärlich gab es sehr wohl einen, an allerbester Stelle. Und Monsieur Blondin begleitete seinen Gast mit überaus servilen Gesten dorthin.
»Aber natürlich, Monsieur Poirot, für Sie ist doch immer ein Tisch frei! Sie sollten uns unbedingt öfter die Ehre geben!«
Hercule Poirot lächelte, und ein anderes Essen hier fiel ihm wieder ein, bei dem eine Leiche, ein Kellner, Monsieur Blondin und eine bildhübsche Lady eine Rolle gespielt hatten. »Sie sind zu liebenswürdig, Monsieur Blondin«, sagte er schließlich.
»Und Sie sind allein, Monsieur Poirot?«
»Ja, ich bin allein.«
»Oh, na dann wird unser Jules hier ein kleines Menü für Sie zusammenstellen, und das wird ein Gedicht – ein wahres Gedicht! Frauen, so bezaubernd sie auch sind, haben ja doch einen Nachteil: Sie lenken den Geist vom Essen ab! Es wird Ihnen munden, Monsieur Poirot, das verspreche ich Ihnen. Was den Wein angeht –«
Es folgte ein Fachgespräch, assistiert von Jules, dem Maître d’hôtel.
Monsieur Blondin zögerte einen Augenblick, bevor er den Tisch verließ, und fragte dann vertraulich leise: »Haben Sie wieder wichtige Geschäfte zu erledigen?«
Poirot schüttelte den Kopf. »Ich bin doch nur ein Mann der Muße«, erwiderte er sanft. »Ich habe beizeiten gespart und kann es mir jetzt leisten, mich einem beschaulichen Dasein hinzugeben.«
»Ich beneide Sie.«
»Nein, nein, Sie wären töricht, wenn Sie das täten. Ich kann Ihnen versichern, es ist längst nicht so vergnüglich, wie es klingt.« Er seufzte. »Wie recht hat doch das Sprichwort, dass der Mensch die Arbeit notgedrungen erfinden musste, um dem Zwang zum Denken zu entgehen.«
Monsieur Blondin riss die Arme hoch. »Aber es gibt doch so vieles! Man kann reisen!«
»Ja, man kann reisen. Darin bin ich auch schon ganz gut. In diesem Winter fahre ich, glaube ich, mal nach Ägypten. Das Klima soll dort superb sein! Da kann man dem Nebel, dem Grau, der Eintönigkeit des ewigen Regens entfliehen.«
»Ah – Ägypten«, hauchte Monsieur Blondin.
»Man soll jetzt wohl sogar mit dem Zug hinkommen und sich die Seefahrerei ersparen können, außer über den Kanal natürlich.«
»Ja, das Meer. Meint’s nicht gut mit Ihnen?«
Hercule Poirot schüttelte leise schaudernd den Kopf.
»Geht mir genauso«, sagte Monsieur Blondin mitfühlend. »Eigentlich kurios, was das Meer mit dem Magen macht.«
»Aber nur mit bestimmten Mägen! Es gibt Leute, die sind vom Wellengang überhaupt nicht zu beeindrucken. Die genießen ihn regelrecht!«
»Eine Ungerechtigkeit vom lieben Gott«, sagte Monsieur Blondin, bevor er sich endlich zurückzog, mit bedauerndem Kopfschütteln seinen ketzerischen Gedanken nachhängend.
Flinke Kellner schwirrten auf leisen Sohlen um den Tisch, mit Toast Melba, Butter, einem Eiskübel und allen weiteren Ingredienzen eines erstklassigen Essens. Dazu spielte sich eine Jazzband in eine Ekstase aus eigentümlichen Missklängen. London tanzte.
Hercule Poirot sah zu und registrierte alle Eindrücke in seinem wohlsortierten, aufgeräumten Hirn. Wie gelangweilt und überdrüssig die meisten dreinsahen! Ein paar von den dickeren Männern allerdings hatten ihren Spaß. In den Gesichtern ihrer Tanzpartnerinnen dagegen stand anscheinend nur geduldig ertragene Qual zu lesen. Aber die fette Frau in Purpurrot strahlte vor Freude. Ganz offensichtlich bot das Leben Entschädigung für Fett – Vitalität, Schwung, lauter Dinge, die Leuten mit modischeren Figuren verwehrt blieben.
Ein versprengtes Häuflein junger Menschen – ein paar mit den Gedanken woanders – ein paar gelangweilt – ein paar deutlich unglücklich. Was für eine absurde Behauptung, die Jugend sei die Zeit des Glücks – die Jugend war die Zeit der größten Verletzlichkeit!
Poirots Blick wurde weicher, als er ihn auf einem Paar ruhen ließ. Zwei, die zueinander passten – groß und breitschultrig der Mann, schmal und zart das Mädchen. Zwei Körper, die sich bewegten im vollkommenen Rhythmus des Glücks. Des Glücks, hier und jetzt beieinander zu sein.
Plötzlich brach die Tanzmusik ab. Es wurde geklatscht, bis sie weiterspielte. Nach der zweiten Zugabe ging das Paar zurück an einen Tisch dicht neben dem Poirots. Das Mädchen lachte und hatte einen roten Kopf. Als sie sich gesetzt hatte, konnte er ihr Gesicht, das sie lachend ihrem Gefährten zuwandte, genauer sehen. Aus ihren Augen sprach noch etwas anderes als Lachen. »Sie hängt zu sehr an ihm, die Kleine«, sagte er zu sich. »Das ist nicht ungefährlich. Gar nicht ungefährlich.«
Und dann drang ihm ein Wort ans Ohr: »Ägypten.«
Er konnte die Stimmen deutlich hören – die des Mädchens war jung, frisch und hochmütig mit einer winzigen Spur weicher, ausländischer Rs, die des Mannes wohlklingend, tief, bestes Englisch.
»Ich brate keine ungelegten Eier, Simon. Ich sage nur, Linnet lässt uns nicht im Stich!«
»Aber vielleicht lasse ich sie im Stich.«
»Unsinn – das ist genau die richtige Stelle für dich.«
»Das ist sie, das glaube ich auch … Ich zweifle auch gar nicht an meinem Können. Ich will mich ja bewähren – deinetwegen!«
Das Mädchen lachte sanft, das lachende reine Glück. »Wir warten jetzt die drei Monate ab – dann wissen wir, dass du nicht wieder entlassen wirst – und dann –«
»Und dann teil’ ich mit Euch mein irdisch Hab und Gut – darauf läuft’s hinaus, nicht?«
»Und in die Flitterwochen fahren wir, wie gesagt, nach Ägypten. Egal, was es kostet! Ich wollte mein Leben lang nach Ägypten. Der Nil und die Pyramiden und der Sand …«
Seine Stimme war jetzt etwas undeutlicher. »Wir sehen es uns zusammen an, Jackie … Ist das nicht herrlich?«
»Ich bin nicht ganz sicher. Findest du das eigentlich so herrlich wie ich? Hängst du wirklich an mir – so wie ich an dir?« Sie klang plötzlich erregter und hatte weit aufgerissene, fast angstvolle Augen.
Seine Antwort kam schnell und scharf. »Red keinen Unsinn, Jackie.«
Aber das Mädchen sagte noch einmal: »Ich bin nicht ganz sicher …« Dann zuckte sie die Schultern. »Lass uns tanzen.«
Hercule Poirot murmelte in sich hinein: »Une qui aime et un qui se laisse aimer. Nein, sicher wäre ich da auch nicht.«
»Und wenn er nun ein furchtbarer Grobian ist?«, gab Joanna Southwood zu bedenken.
Linnet schüttelte den Kopf. »Ach, das wird er schon nicht. Auf Jacquelines Geschmack ist Verlass.«
»Na ja, nur –«, murmelte Joanna, »verliebt sind die Leute nicht unbedingt in Hochform.«
Linnet schüttelte den Kopf noch unwirscher und wechselte das Thema. »Ich muss zu Mr Pierce wegen der Pläne.«
»Pläne?«
»Ja, ein paar furchtbar unhygienische alte Hütten. Ich lasse sie abreißen und die Leute woanders unterbringen.«
»Wie gesundheitsbewusst und menschenfreundlich von dir, Liebling!«
»Die Hütten mussten sowieso weg. Man hat von da aus Einblick in mein Schwimmbecken.«
»Wollen denn die Leute, die da jetzt wohnen, auch weg?«
»Die meisten liebend gern. Ein, zwei stellen sich ein bisschen dumm an – die sind sogar ziemlich lästig. Die wollen offenbar nicht einsehen, wie viel besser sie woanders leben könnten!«
»Trotzdem hast du es ganz eigenmächtig entschieden, nehme ich an.«
»Meine liebe Joanna, es ist tatsächlich zu ihrem Besten.«
»Aber ja, Liebes. Ganz bestimmt. Zwangsbeglückung.«
Linnet runzelte die Stirn.
Joanna lachte.
»Na komm, du bist ein Tyrann, gib’s zu. Ein wohltätiger Tyrann, wenn du so willst!«
»Ich bin kein Tyrann, kein bisschen.«
»Aber du willst immer alles nach deiner Fasson machen!«
»Nicht unbedingt.«
»Linnet Ridgeway, kannst du mir in die Augen sehen und ein einziges Mal nennen, bei dem nicht alles genau so gemacht wurde, wie du es wolltest?«
»Dutzende.«
»O ja, ›Dutzende‹ – sagst du so –, aber kein einziges konkretes Beispiel. Dir fällt auch partout keins ein, und wenn du dich noch so anstrengst! Linnet Ridgeway beim Triumphzug im goldenen Wagen.«
»Willst du damit sagen, ich bin selbstsüchtig?«, fragte Linnet spitz.
»Nein – nur unwiderstehlich. Die geballte Macht von Geld und Charme. Vor dir geht alles auf die Knie. Und was du nicht mit Geld kriegst, das kriegst du mit einem Lächeln. Fazit: Linnet Ridgeway, das Mädchen, das alles hat.«
»Sei nicht albern, Joanna!«
»Wieso, hast du etwa nicht alles?«
»Doch, habe ich wohl. Aber das klingt so … irgendwie ekelhaft.«
»Natürlich ist das ekelhaft, Liebling! Wahrscheinlich langweilst du dich bald entsetzlich und wirst mit der Zeit blasiert. Bis dahin genieß nur deinen Triumphzug im goldenen Wagen. Ich weiß allerdings nicht, ich weiß wirklich nicht, was passiert, wenn du irgendwann eine Straße entlangfahren willst, und da steht ein Schild: ›Keine Durchfahrt‹.«
»Du bist ja übergeschnappt, Joanna.« Linnet drehte sich um zu Lord Windlesham, der gerade dazugekommen war. »Joanna sagt ganz gemeine Sachen zu mir.«
»Die reine Bosheit, Liebling, die reine Bosheit«, murmelte Joanna und stand auf. Sie ging ohne ein Wort aus dem Zimmer. Sie hatte das Funkeln in Windleshams Augen gesehen.
Er schwieg eine Weile und fragte schließlich ganz direkt: »Hast du dich entschieden, Linnet?«
Langsam antwortete Linnet: »Bin ich gefühllos? Ich müsste doch wohl, wenn ich mir nicht sicher bin, nein sagen –«
Er fiel ihr ins Wort. »Sag’s nicht. Du hast Zeit – alle Zeit, die du willst. Aber weißt du, ich finde, wir sollten miteinander glücklich sein.«
»Sieh mal«, Linnet klang fast kindlich trotzig, »ich bin so gern allein – vor allem hier, mit alldem.« Sie fuhr mit der Hand durch die Luft. »Ich wollte mit Wode Hall mein Ideal von einem Landhaus verwirklichen, und ich finde, das habe ich doch ganz gut geschafft, oder?«
»Es ist wunderschön. Schön entworfen. Alles vollkommen. Du bist sehr klug, Linnet.«
Wieder hielt er einen Augenblick inne. »Aber du magst doch Charltonbury auch, oder? Man müsste es natürlich modernisieren und alles – aber in solchen Dingen bist du ja sehr geschickt. Es wird dir Spaß machen.«
»Aber ja, natürlich, Charltonbury ist himmlisch.« Sie klang begeistert, aber tief innen spürte sie einen Schauder. Ein fremder Ton war da mitgeschwungen, und der trübte ihre vollkommene Zufriedenheit mit dem Leben. Sie ging dem Gefühl nicht weiter nach. Erst später, als Windlesham gegangen war, fing sie an, die geheimen Winkel ihrer Gedanken zu durchstöbern.
Charltonbury. Ja, das war es gewesen – der Name Charltonbury hatte das in ihr aufgerührt. Aber warum? Charltonbury war sogar ziemlich berühmt. Windleshams Vorfahren saßen dort seit den Zeiten von Königin Elisabeth. Herrin von Charltonbury war eine kaum zu überbietende gesellschaftliche Position. Windlesham war einer der begehrenswertesten Adligen in ganz England. Und Wode Hall konnte ihn natürlich nicht beeindrucken. Es war gar kein Vergleich mit Charltonbury.
Nein, aber Wode Hall gehörte ihr! Sie hatte es entdeckt, erworben, umgebaut, neu eingerichtet und ihr Geld mit Freuden dafür ausgegeben. Es war ihr ganz eigener Besitz – ihr Königreich.
Doch irgendwie wäre das alles nichts mehr wert, wenn sie Windlesham heiraten würde. Was sollten sie auch mit zwei Landsitzen? Aufgegeben würde natürlich Wode Hall. Und sie selbst, Linnet Ridgeway, gäbe es auch nicht mehr. Sie würde Countess of Windlesham und brächte eine hübsche Mitgift mit nach Charltonbury und zu dessen Herrn. Sie wäre die Gemahlin des Königs und nicht mehr selbst die Königin.
»Ich bin albern«, sagte Linnet laut zu sich.
Aber es war schon eigenartig, wie wenig ihr die Vorstellung gefiel, Wode Hall aufzugeben …
Und war da nicht noch etwas Nagendes? Jackies Stimme, mit diesem sonderbaren düsteren Ton: »Ich sterbe, wenn ich ihn nicht heiraten darf! Ich sterbe. Ich sterbe …«
So gewiss, so ernst. Fühlte sie selbst, Linnet, so etwas eigentlich für Windlesham? Mit Sicherheit nicht. Womöglich würde sie nie so etwas für jemanden fühlen. Es musste wunderbar sein …
Das Geräusch eines Autos drang durch das offene Fenster herauf. Linnet schüttelte sich widerwillig. Es war bestimmt Jackie mit ihrem jungen Mann. Sie musste nach unten gehen, sie begrüßen.
Sie stand in der offenen Tür, als Jacqueline und Simon Doyle aus dem Auto stiegen.
»Linnet!« Jackie kam ihr entgegengelaufen. »Das ist Simon. Simon, das ist Linnet. Ganz einfach der wunderbarste Mensch auf der Welt.«
Linnet betrachtete den großen, breitschultrigen jungen Mann mit den ganz dunkelblauen Augen, den braunen Kräusellocken, dem energischen Kinn und dem anziehenden, arglosen Jungenlächeln …
Sie streckte die Hand aus. Die andere Hand, die ihre ergriff, war fest und warm … Sie mochte, wie er sie ansah, mit naiver, echter Bewunderung.
Jackie hatte ihm erklärt, Linnet sei wunderbar, und es war deutlich, dass er das auch fand …
Ein süßes warmes Rauschgefühl lief ihr durch die Adern. »Ist das nicht alles wundervoll!«, sagte sie. »Kommen Sie herein, Simon, herzlich willkommen, mein neuer Gutsverwalter.«
Dann drehte sie sich um, ging vor und dachte: »Ich bin schrecklich – schrecklich glücklich. Jackies junger Mann gefällt mir … Gefällt mir enorm …«
Und plötzlich ein Stich: »Hast du ein Glück, Jackie …«
Tim Allerton ließ sich in den Korbsessel zurücksinken und sah gähnend hinaus aufs Meer. Dann warf er einen raschen Seitenblick auf seine Mutter.
Mrs Allerton war um die fünfzig, sah gut aus und hatte weiße Haare. Sie kniff immer, wenn sie ihren Sohn ansah, die Lippen betont streng zusammen, nur um ihre sehr innigen Gefühle für ihn zu verbergen. Aber selbst Fremde ließen sich von dieser Maßnahme selten täuschen, und Tim hatte sie komplett durchschaut.
»Magst du Mallorca eigentlich, Mutter?«, fragte er.
»Na ja«, gab Mrs Allerton zu bedenken, »es ist billig.«
»Und kalt.« Tim fröstelte.
Er war groß und dünn, ein eher schmalbrüstiger junger Mann mit dunklen Haaren. Er hatte einen sehr weichen, hübschen Mund, ein Kinn, das nicht die größte Entschlussfreude verriet, und zarte, lange Hände. Er war körperlich nie der Robusteste gewesen und vor ein paar Jahren sogar fast schwindsüchtig. Allgemein hieß es, »er schreibt«, aber seine Freunde wussten, dass er Fragen nach seinem literarischen Ausstoß nicht eben förderte.
»Woran denkst du, Tim?« Mrs Allerton war immer auf der Hut. Sie sah ihn an aus ihren strahlenden, aber argwöhnischen dunkelbraunen Augen.
Tim grinste zurück. »Gerade dachte ich an Ägypten.«
»Ägypten?« Es klang ungläubig.
»Da ist es wirklich warm. Nur träger goldener Sand. Der Nil. Ich würde gern mal den Nil hinauffahren, du nicht?«
»O doch, sehr gern sogar«, kam es trocken zurück. »Aber Ägypten ist teuer, mein Lieber. Nichts für Leute, die mit dem Pfennig rechnen müssen.«
Tim lachte, stand auf und reckte sich. Er sah plötzlich hellwach und lebhaft aus. Auch seine Stimme hatte etwas Erregtes. »Die Kosten übernehme ich. Ja, Liebling. Ein kleines Abenteuer an der Börse. Mit durch und durch befriedigendem Ausgang. Ich hab’s heute Morgen erfahren.«
»Heute Morgen?«, fragte Mrs Allerton scharf. »Du hast doch nur den einen Brief bekommen, und der –« Sie schwieg und biss sich auf die Lippe.
Tim war einen Augenblick lang unschlüssig, ob er sich amüsieren oder ärgern sollte. »Und der war von Joanna«, beendete er dann kühl ihren Satz. »Ganz recht, Mutter. Du könntest die Königin der Detektive werden. Hercule Poirot müsste um seine Lorbeeren bangen, wenn du in der Nähe wärst.«
Mrs Allerton sah ihn verdrießlich an. »Ich habe doch nur zufällig die Schrift gesehen –«
»Und erkannt, dass die nicht von einem Börsenmakler stammt? Ganz recht. Ich habe es in Wirklichkeit auch gestern schon erfahren. Arme Joanna, ihre Schrift sticht wirklich ins Auge – sie krakelt über den ganzen Briefumschlag, wie eine betrunkene Spinne.«
»Was schreibt sie denn? Irgendetwas Neues?«
Mrs Allerton gab sich alle Mühe, beiläufig und normal zu klingen. Die Freundschaft zwischen ihrem Sohn und seiner Cousine zweiten Grades, Joanna Southwood, war ihr ein Dorn im Auge. Nicht dass da »mehr dran« war, wie sie für sich beschlossen hatte. Da war sie ziemlich sicher. Tim hatte nie romantische Interessen an Joanna geäußert und sie an ihm auch nicht. Was sie zusammenhielt, waren wohl ihre Klatschlust und unzählige gemeinsame Freunde und Bekannte. Beide hatten gern Leute um sich und tratschten auch gern über sie. Joanna hatte Witz, allerdings durchaus beißenden.
Nicht also, dass Mrs Allerton befürchtete, Tim könnte sich in Joanna verlieben, und deshalb immer etwas Steifleinenes bekam, sobald Joanna anwesend war oder ein Brief von ihr kam. Es war etwas anderes, schwer Definierbares – uneingestandene Eifersucht vielleicht darauf, dass Tim offensichtlich echten Spaß an Joannas Gesellschaft fand. Mrs Allerton und ihr Sohn waren ein so perfektes Gespann, dass sie immer nur leicht alarmiert mit ansehen konnte, wenn er sich für eine andere Frau interessierte oder sich von ihr in Anspruch nehmen ließ. Außerdem bekam sie dann auch immer das ungute Gefühl, ihre eigene Anwesenheit könnte wie eine Barriere zwischen zwei Menschen der jüngeren Generation wirken. Sie war oft dazugestoßen, wenn Tim und Joanna in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren, und allein ihr Erscheinen hatte die Unterhaltung zuerst ins Stocken gebracht, und danach hatte es geklungen, als ob sie betont mit einbezogen werden sollte, pflichtschuldig. Fest stand, Mrs Allerton mochte Joanna Southwood nicht. Sie fand sie unaufrichtig, affektiert und zutiefst oberflächlich. Und es fiel ihr sehr schwer, das nicht in unziemlicher Deutlichkeit kundzutun.
Als Antwort auf ihre Frage zog Tim den Brief aus der Tasche und überflog ihn. Er war ziemlich lang, stellte seine Mutter fest.
»Nichts Besonderes«, sagte er schließlich. »Die Devenishs lassen sich scheiden. Den alten Monty haben sie betrunken am Steuer erwischt. Windlesham ist in Kanada. War wohl ein schwerer Schlag für ihn, dass Linnet Ridgeway ihm den Laufpass gegeben hat. Sie heiratet jetzt tatsächlich diesen Verwalter.«
»Wie unkonventionell! Ist er sehr schlimm?«
»Nein, nein, gar nicht. Gehört zu den Doyles aus Devonshire. Kein Geld, natürlich – und eigentlich war er mit einer von Linnets besten Freundinnen verlobt. Ziemlich übel, das Ding.«
»Ich finde so etwas überhaupt nicht nett.« Mrs Allerton war zornrot geworden.
Tim warf ihr einen liebevollen Blick zu. »Ich weiß, meine Liebe. Du kannst es nicht ausstehen, wenn man anderen den Mann wegschnappt und solche Sachen.«
»Zu meiner Zeit hatte man noch Anstand«, sagte Mrs Allerton. »Und das war auch gut so! Die jungen Leute von heute scheinen zu glauben, sie dürften einfach alles machen, was ihnen in den Kopf kommt.«
Tim lächelte. »Das glauben sie nicht nur. Sie machen’s auch. Vide Linnet Ridgeway!«
»Nun, ich finde es horribel!«
Tim zwinkerte ihr zu. »Nicht verzagen, alter Haudegen! Vielleicht finde ich das ja auch. Jedenfalls habe ich bisher noch niemandem die Frau oder die Braut ausgespannt.«
»Ich bin überzeugt, so etwas würdest du auch nie tun«, erwiderte sie und setzte resolut hinterher: »Ich habe dich nämlich zu Anstand erzogen.«
»Also ist es dein Verdienst, nicht meins.« Er lächelte sie liebevoll spöttisch an, faltete den Brief zusammen und steckte ihn wieder ein.
Mrs Allerton durchfuhr ein kleiner Gedankenblitz: Meistens zeigt er mir seine Briefe. Aber aus denen von Joanna liest er mir immer nur Stückchen vor. Sie schob ihn sofort wieder beiseite und beschloss, wie gewohnt Dame zu bleiben. »Ist denn Joanna sonst zufrieden mit ihrem Leben?«
»So lala. Sie schreibt, sie überlegt, ob sie ein Feinkostgeschäft in Mayfair aufmachen soll.«
»Sie behauptet doch ständig, sie sei abgebrannt«, sagte Mrs Allerton eine Spur boshaft. »Dabei ist sie immer überall dabei, ihre Garderobe muss eine Stange Geld kosten. Sie ist immer tipptopp gekleidet.«
»Tja, ja«, sagte Tim, »wahrscheinlich bezahlt sie sie gar nicht. Nein, Mutter, ich meine nicht, was du jetzt denkst, mit deinen Ansichten aus dem letzten Jahrhundert. Ich meine einfach, sie bezahlt buchstäblich die Rechnungen nicht.«
Mrs Allerton seufzte. »Ich verstehe immer noch nicht, wie die Leute das hinkriegen.«
»Das ist eine besondere Begabung. Wenn du extravagant genug bist und Geschmack hast, aber absolut kein Gefühl für den Wert von Geld, dann geben die Leute dir jeden Kredit.«
»Ja, nur am Ende stehst du vor Gericht wegen Bankrott wie der arme Sir George Wode.«
»Du hast ein Faible für den alten Rosstäuscher – wahrscheinlich nur, weil er dich mal Rosenknospe genannt hat, beim Tanztee 1879.«
»1879 war ich noch gar nicht geboren«, konterte Mrs Allerton. »Sir George hat bezaubernde Manieren, und ich wünsche nicht, dass du ihn Rosstäuscher nennst.«
»Ich habe schräge Sachen über ihn gehört, von Leuten, die es wissen müssen.«
»Du und Joanna, ihr erzählt alles Mögliche über andere Leute, Hauptsache, es ist gehässig.«
Tim zog die Augenbrauen hoch. »Meine Liebe, du bist ja richtig in Rage. Ich wusste gar nicht, dass der alte Wode so einen Stein bei dir im Brett hat.«
»Du weißt ja auch nicht, wie schwer es ihm gefallen ist, Wode Hall zu verkaufen. Er hat furchtbar daran gehangen.«
Tim verkniff sich eine Retourkutsche. Mit welchem Recht hätte er ihn auch verurteilen sollen? Er sagte nur nachdenklich: »Na ja, da liegst du, glaube ich, nicht ganz falsch. Linnet hat ihn mal eingeladen, damit er sich ansehen kann, was sie daraus gemacht hat, aber er hat das ziemlich brüsk abgelehnt.«
»Natürlich. Sie hätte ihn gar nicht einladen dürfen.«
»Er ist, glaube ich, auch ziemlich sauer auf sie – er brummelt immer in seinen Bart, wenn er sie sieht. Er wird ihr nie verzeihen, dass sie ihm so einen absoluten Spitzenpreis gezahlt hat für seinen wurmstichigen Familienbesitz.«
»Verstehst du das etwa nicht?« Auch Mrs Allerton klang sauer.
»Offen gestanden, nein«, antwortete Tim ruhig. »Warum in der Vergangenheit leben? Warum an etwas kleben, das mal gewesen ist?«
»Was würdest du denn an dessen Stelle setzen?«
Er zuckte die Schultern. »Etwas Aufregendes vielleicht. Das Neue. Das Vergnügen, nie genau zu wissen, was so wird von einem Tag auf den anderen. Und anstelle eines geerbten nutzlosen Stücks Land den Spaß, sein Geld selbst zu verdienen – mit dem eigenen Grips und der eigenen Tüchtigkeit.«
»Und erfolgreicher Börsenspekuliererei, meinst du wohl!«
Er lachte. »Warum denn nicht?«
»Und was ist, wenn du dabei genauso tüchtig verlierst?«
»Das, meine Liebe, war jetzt ausgesprochen taktlos. Und heute auch ausgesprochen unpassend … Was ist denn nun mit dem Projekt Ägypten?«
»Nun ja –«
Er ließ sie gar nicht weiterreden, sondern sagte lächelnd: »Also abgemacht. Wir wollten beide immer schon mal nach Ägypten.«
»Wann soll’s denn sein?«
»Na, im nächsten Monat. Januar soll da die beste Zeit sein. Wir dürfen uns also noch ein paar Wochen der reizenden Gesellschaft dieses Hotels hier erfreuen.«
»Tim!«, sagte Mrs Allerton tadelnd. Und fügte schuldbewusst hinzu: »Ich habe leider Mrs Leech versprochen, dass du mit ihr auf die Polizei gehst. Sie versteht doch kein Wort Spanisch.«
Tim verzog das Gesicht. »Geht’s um den Ring? Den blutroten Rubin der Tochter des Hauses Leech, auch genannt Pferdeegel? Beharrt sie immer noch darauf, dass er gestohlen wurde? Ich tu’s, wenn du das möchtest, aber es ist Zeitverschwendung. Sie wird bloß einem armen gebeutelten Zimmermädchen Scherereien machen. Ich habe ihn mit Sicherheit an ihrem Finger gesehen, als sie an dem Tag baden gegangen ist. Er ist ihr im Wasser abgerutscht, und sie hat es nicht gemerkt.«
»Sie sagt, sie ist ganz sicher, dass sie ihn vorher abgezogen und auf den Toilettentisch gelegt hat.«
»Tja, hat sie aber nicht. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Die Frau ist überkandidelt. Jede Frau, die im Dezember ins Meer stolziert und sich einbildet, es wäre ganz warm, bloß weil zufällig gerade mal die Sonne scheint, ist überkandidelt. Mollige Frauen sollten sowieso nicht baden dürfen, die sehen in Badeanzügen einfach unappetitlich aus.«
Mrs Allerton brummte zurück: »Ich werde das Gefühl nicht los, ich soll das Baden auch bald lassen.«
Tim lachte laut auf. »Du? Du steckst die meisten jungen Dinger in die Tasche.«
Mrs Allerton seufzte, sagte dann aber: »Ich fände es ja schöner, wenn hier ein bisschen mehr Jugend für dich wäre.«
Tim Allerton schüttelte energisch den Kopf. »Ich nicht. Du und ich, wir kommen hier auch ohne Ablenkung von außen ganz gut zurande.«
»Du hättest doch Joanna gern hier.«
»Hätte ich nicht.« Es kam unerwartet heftig. »Da liegst du völlig falsch. Ich finde Joanna amüsant, aber ich mag sie eigentlich nicht, und ihre Anwesenheit geht mir ziemlich bald auf die Nerven. Ich bin froh, dass sie nicht hier ist. Ich wäre auch nicht untröstlich, wenn ich sie nie wiedersehen dürfte.« Und fast unhörbar fügte er hinzu: »Es gibt nur eine Frau auf der Welt, für die ich wirklich Hochachtung und Respekt empfinde, und ich denke, Mrs Allerton, Sie wissen genau, wer diese Frau ist.«
Mrs Allerton wurde rot und sah ziemlich verwirrt drein.
Tim erklärte ernst weiter: »Es gibt nicht sehr viele wirklich nette Frauen auf der Welt. Du bist nun mal eine davon.«
In einem Apartment in New York mit Blick auf den Central Park rief Mrs Robson laut: »Wenn das nicht einfach wunderbar ist! Du bist wirklich ein Glückspilz, Cornelia!«
Cornelias erste Antwort war, rot anzulaufen. Sie war dick und etwas trampelig und hatte braune Hundeaugen. »O ja, das wird wunderbar!«, keuchte sie endlich.
Die alte Miss Van Schuyler neigte beifällig den Kopf, denn die armen Verwandten hatten reagiert, wie es sich gehörte.
»Ich habe immer von einer Europareise geträumt«, seufzte Cornelia, »aber ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich mal dorthin komme.«
»Miss Bowers fährt natürlich auch mit, wie üblich«, sagte Miss Van Schuyler, »aber als Gesellschafterin finde ich sie doch beschränkt – sehr beschränkt. Es gibt eine Menge Kleinigkeiten, die Cornelia für mich erledigen kann.«
»Von Herzen gern, Cousine Marie«, sagte Cornelia beflissen.
»Gut, gut, dann ist das abgemacht«, sagte Miss Van Schuyler. »Lauf und hol Miss Bowers, meine Liebe. Es ist Zeit für meinen Eierpunsch.«
Cornelia lief davon.
»Meine liebe Marie«, fing ihre Mutter an, »ich bin dir wirklich zutiefst dankbar! Weißt du, Cornelia leidet ja entsetzlich darunter, dass sie so ein Mauerblümchen ist. Sie ist furchtbar geknickt, irgendwie. Wenn ich mir leisten könnte, ihr Entrees zu verschaffen – aber du weißt ja, wie das ist, seit Ned tot ist.«
»Ich nehme sie sehr gern mit«, sagte Miss Van Schuyler. »Cornelia war immer ein nettes und praktisches Mädchen, sie ist immer da, wenn es etwas zu besorgen gibt, und nicht so eigensüchtig wie manche jungen Leute heutzutage.«
Mrs Robson stand auf und küsste ihrer reichen Verwandten die faltigen gelblichen Wangen. »Ich bin dir ja so dankbar«, erklärte sie.
Auf der Treppe kam ihr eine große, energisch aussehende Frau entgegen, in der Hand ein Glas mit einer schaumig gelben Flüssigkeit.
»Ach, Miss Bowers, also bald geht’s nach Europa?«
»Ja, ja, Mrs Robson.«
»Was für eine wunderbare Reise!«
»Ja, ja, sie dürfte sehr vergnüglich werden.«
»Sie waren doch schon im Ausland, nicht?«
»O ja, Mrs Robson. Ich war schon in Paris mit Miss Van Schuyler, im letzten Herbst. In Ägypten war ich allerdings noch nie.«
Mrs Robson zögerte. »Hoffentlich … gibt’s da keine … Schwierigkeiten.« Sie flüsterte fast.
Miss Bowers behielt ihre übliche Lautstärke bei. »O nein, Mrs Robson; dafür werde ich schon sorgen. Ich habe immer ein sehr scharfes Auge auf alles.«
Trotzdem blieb ein Hauch von Besorgtheit auf Mrs Robsons Gesicht, als sie langsam die Treppe weiter hinunterstieg.
In seinem Büro in Manhattan saß Mr Pennington über seiner Privatpost. Plötzlich ballte sich seine eine Hand zur Faust und sauste krachend auf den Schreibtisch; sein Kopf lief knallrot an, und auf seiner Stirn traten zwei dicke Adern hervor. Er drückte auf einen Summer auf dem Tisch, und prompt, wie es sich gehört, erschien eine aufgeweckte Stenotypistin.
»Sagen Sie Mr Rockford, er soll herkommen.«
»Ja, Mr Pennington.«
Ein paar Minuten später erschien Penningtons Partner, Sterndale Rockford, in seinem Zimmer. Die beiden Männer sahen sehr ähnlich aus – groß, schlaksig, mit angegrauten Haaren und schlauen, glattrasierten Gesichtern.
»Was gibt’s denn, Pennington?«
Pennington sah von einem Brief hoch, den er gerade noch einmal gelesen hatte. »Linnet hat geheiratet …«
»Was?«
»Sie haben doch gehört, was ich gesagt habe! Linnet Ridgeway hat geheiratet!«
»Wie? Wann? Warum haben wir nichts davon gewusst?«
Pennington sah in seinen Tischkalender. »Sie war noch nicht verheiratet, als sie den Brief hier geschrieben hat, aber jetzt ist sie es. Am Vierten, vormittags. Das ist jetzt.«
Rockford sank in einen Sessel. »Hui! Ohne Vorwarnung? Gar nichts? Wer ist denn der Bursche?«
Pennington sah wieder in den Brief. »Doyle. Simon Doyle.«
»Und was ist das für ein Mann? Schon mal von ihm gehört?«
»Nein. Sie schreibt auch nicht viel …« Pennington überflog noch einmal die Zeilen in der klaren, steilen Handschrift. »Hab das Gefühl, da ist ein Haken an der Sache … Aber das ist jetzt egal. Das Entscheidende ist, sie ist verheiratet.«
Die Blicke der beiden trafen sich. Rockford nickte. »Da müssen wir uns wohl ein paar Gedanken machen«, sagte er dann leise.
»Was sollen wir tun?«
»Frage ich Sie.«
Sie saßen schweigend da. Schließlich fragte Rockford: »Schon irgendeinen Plan?«
Bedächtig antwortete Pennington: »Die Normandie läuft heute aus. Einer von uns könnte es gerade noch schaffen.«
»Sie sind ja wahnsinnig! Was haben Sie vor?«
Pennington setzte an: »Diese britischen Anwälte –«, brach aber sofort wieder ab.
»Was ist mit denen? Sie wollen doch nicht etwa über den großen Teich, bloß um denen auf die Füße zu treten? Sie sind ja verrückt!«
»Ich wollte nicht vorschlagen, dass Sie – oder ich – nach England fahren.«
»Was haben Sie dann vor?«
Pennington strich den Brief glatt. »Linnet fährt in die Flitterwochen nach Ägypten. Will da einen Monat bleiben, oder auch länger …«
»Ägypten – ja?« Rockford überlegte. Dann sah er hoch und seinem Geschäftspartner in die Augen. »Ägypten – also das haben Sie vor!«
»Ja – ganz zufällige Begegnung. Gerade auf Geschäftsreise. Linnet samt Mann in Flitterstimmung. Könnte klappen.«
Rockford war nicht so sicher. »Linnet ist nicht dumm … andererseits …«