Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
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12.
13.
Epilog
Leserkontaktseite
Kommentar
Glossar
Risszeichnung Diskusraumer der Blues
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2787
Das Labyrinth der toten Götter
Rückkehr nach Olymp – sie finden eine Spur in die Abgründe der Zeit
Christian Montillon
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.
Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande seien. Um dorthin zu gelangen, braucht es aber Atlan als Piloten und ein Richterschiff als Transportmittel.
Da es in Larhatoon kein Richterschiff mehr gibt, muss Rhodan in die Milchstraße zurückkehren. Dort angekommen, erwartet ihn und seine Begleiter DAS LABYRINTH DER TOTEN GÖTTER ...
Perry Rhodan – Der Unsterbliche ist zu Hause und erlebt eine Überraschung.
Gucky – Der Mausbiber fühlt sich beobachtet.
Avestry-Pasik – Der Anführer der Proto-Hetosten ist auf der Suche nach alten larischen Spuren im Kosmos.
Yoqort – Der Tesqire kommt als Überbringer eines Angebots.
Indrè und Martynas – Der Kaiser und die Kaiserin von Olymp bekommen überraschende Besuche.
»Mister Rhodan, was war Ihr größter Erfolg? Ihr gewaltigster Schritt hinaus in die Tiefen des Weltraums?«
»Ich war inzwischen weiter weg, viel weiter, aber hier ist das, was mich am meisten geprägt hat: den Mond zu erreichen und zum ersten Mal ein außerirdisches Lebewesen zu treffen. Der Kosmos bietet unendliche Rätsel und Wunder
– aber dieser Moment, mitten in unserer Heimat, veränderte alles. Bis heute!«
Aus einem nur teilweise erhaltenen historischen Radio-Interview mit Perry Rhodan, vermutlich geführt im frühen 21. Jahrhundert
Prolog
Wie die Träumenden
»Perry Rhodan, wie gut, dass ich Sie treffe«, sagte Hotrenor-Taak, der zweifellos schon lange tot war.
Rhodan wunderte sich, aber nur kurz. Hotrenor-Taak, der Lare. Wer hätte das gedacht?
»Hören Sie mich?«, fragte sein Gegenüber. Die Haut schimmerte schwarzbraun. Das spiralförmig geflochtene Haar saß zu einem Kranz gewunden auf dem Kopf.
»Sicher«, sagte Rhodan, »ich freue mich, Sie zu sehen.« Das ungewohnte Sie kam ihm glatt über die Lippen. Er hatte es immerhin eine halbe Ewigkeit lang genutzt. Früher, vor anderthalb Jahrtausenden und lange vorher, als Hotrenor-Taak noch gelebt hatte; erst sein Feind, der vorgab, sein Freund zu sein – danach tatsächlich ein ... Freund. Oder was immer er gewesen sein mochte. Kurz wunderte sich Rhodan wieder. Taak musste tot sein, auch wenn sein Schicksal für die Terraner ungeklärt geblieben war.
»Die Freude ist ganz meinerseits!« Der Lare deutete eine leichte Verbeugung an. Seine Stimme klang freundlich wie immer, hallte aber auf irritierende Weise nach. Die einzelnen Wörter zogen sich seltsam in die Länge. »Sie sind weit ins Universum gereist, mein Freund.« Offenbar hatte Hotrenor-Taak weniger Hemmungen, dieses Wort zu benutzen.
»Sicher«, sagte Rhodan. Was geschah in diesen Augenblicken? War dies ein Traum? Oder mehr als das? Wo war er?
Zumindest die letzte Frage konnte er sich selbst beantworten: an Bord der RAS TSCHUBAI, im Hypertrans-Flug. Was wohl hieß, dass er träumte, und dass er diesen seltsam realen Suspensionstraum für die Wirklichkeit hielt. Deshalb war alles möglich: Er erlitt eine Halluzination. Eine Vision. Wasauchimmer. Aber wie seltsam, dass er darüber nachdenken konnte.
»Eines Tages werden Sie an eine Grenze stoßen, Mister Rhodan.«
»Das halte ich für durchaus wahrscheinlich. Denken Sie an eine bestimmte Grenze?«
Er suchte die Antwort in den smaragdgrünen Augen des Laren. Sie standen weit auseinander und lagen tief in den Höhlen, leuchteten aber groß und ausdrucksvoll.
»Können Sie sich vorstellen, dass eines Tages jemand kommt und Sie verhaftet, weil Sie alles falsch gemacht haben?« Die Stimme des Laren sackte jetzt um gut eine Oktave in den Keller. »Weil Sie durch Ihr Tun in all den Jahrtausenden das Ende des Universums herbeigeführt haben? Weil die erste Katastrophe, der erste Akt des Untergangs kurz bevorsteht ... und Sie werden ihn auslösen, irgendwann demnächst?«
Rhodan stutzte. »Vor Kurzem hätte ich es mir noch nicht vorstellen können. Inzwischen habe ich meine Meinung geändert.« Seit die Onryonen ihn vor Gericht gestellt hatten, weil er angeblich innerhalb der nächsten 500 Jahre den Weltenbrand auslösen würde. Verhaftet für ein Verbrechen, das er erst noch begehen würde. Der Anfang einer Odyssee, der Rückkehr in die Galaxis der Laren, in der sich seit seinem letzten Besuch alles verändert hatte. Ihn hatte man dort allerdings nicht vergessen: Perry Rhodan, der Hetork Tesser, der Zerstörer von allem.
»So?« Hotrenor-Taaks Gesichtshaut schien noch eine Nuance dunkler zu werden. »Sie haben Ihre Meinung geändert? Wieso das?«
»Erfahrungswerte«, sagte Rhodan lapidar. »Aber es wird nicht zu einer solchen Katastrophe kommen.«
Hotrenor-Taak lachte. »Wenn Sie meinen. Aber es ist bereits so weit. Die Vorzeichen sind ganz klar zu sehen. Begleiten Sie mich in die Zentrale dieses Schiffes. RAS TSCHUBAI nennen Sie es, nicht wahr? Wie geht es ihm?«
»Wem?«
»Ras Tschubai«, sagte der Lare mit einem leicht verwunderten Unterton: Wem sonst?
»Ras ist schon lange tot. So wie Sie.«
Hotrenor-Taak reagierte nicht darauf. »Kommen Sie mit zur Zentrale!« Er hakte sich jovial bei dem Terraner unter, zerrte ihn mit sich, aber nach wenigen Metern riss der Arm des Laren an der Schulter ab und verschwand. Die verbliebene Gestalt zog sich unnatürlich in die Länge.
Rhodan streckte instinktiv die Hand nach ihm aus und griff ins Leere. Der Lare löste sich spurlos auf.
Also setzte Perry Rhodan seinen Weg allein fort, folgte der Krümmung des Peripheriekorridors, doch das Metall rundum, die gesamte RAS TSCHUBAI wurde durchscheinend, blass, wie eine hauchzarte Qualle im ewigen Schwarz des Weltalls.
Sein Traum und seine Gedanken versiegten irgendwo in seinem Innern, um von Neuem zu beginnen und das an die Oberfläche zu spülen, womit sich seine Gedanken unablässig beschäftigten: Seine Angst, ob an der Anklage der Onryonen etwas Wahres sein könnte. Ob er tatsächlich mit Bostich und einem noch unbekannten Dritten den Weltenbrand der Milchstraße auslösen würde.
Was immer diese Katastrophe genau sein mochte ... sie würde verheerend sein. Wenn das Atopische Tribunal in diesem Punk recht hatte. Schließlich hatte das Tribunal, und daran zweifelte Rhodan nicht, auch die Larengalaxis vor dem Untergang gerettet. Wenngleich mit einem Ergebnis, das Rhodan nicht gutheißen konnte. Die Retter, die mit schönen Worten ihre Art der Diktatur und Unterdrückung aufgebaut hatten.
Doch das war nicht der Punkt, um den Rhodan sich sorgte. War er ... Gift für die Milchstraße? Brachte er den Untergang und die Vernichtung in seine Heimat? Für seine Menschheit wollte er Segen sein, kein Fluch.
Nun, im langen Schlaf des Hypertrans-Fluges von der Larengalaxis zur Milchstraße, seiner Heimat, fanden all diese Sorgen ein Ventil. Denke es, träume es, sieh es, und vielleicht verstehst du es irgendwann.
*
Träume es, dachte Avestry-Pasik, und vielleicht verstehst du es irgendwann.
Er hörte ein schrilles Zirpen: Der Tresor gab Alarm. Sein wertvollstes Gut war in Gefahr! Der Lare fuhr aus dem Bett hoch, doch sofort hörte er ANANSIS Stimme: »Es ist alles in Ordnung.«
»Aber der Alarm?« Avestry-Pasik verstand die Welt nicht mehr. Dennoch wusste er mit der unerschütterlichen Gewissheit des Traumes, dass es nichts zu bedeuten hatte. Das Relikt, das er aus der WIEGE DER LIEBE, dem Schiff der Atopischen Richterin Saeqaer, geborgen hatte, befand sich in Sicherheit.
All seine Gedanken drehten sich darum, auch in diesem Augenblick, im Suspensionsschlaf. Seltsam, dass er sich darüber im Klaren war, dass er schlief. Die RAS TSCHUBAI hatte die Larengalaxis längst hinter sich gelassen und raste der Milchstraße entgegen.
Avestry-Pasik, der Anführer der Proto-Hetosten, ließ seine heimatliche Sterneninsel zurück, aber er dachte an das Artefakt aus der wahren Urheimat der Laren, das er unter Einsatz seines Lebens in seinen Besitz gebracht und mit an Bord genommen hatte.
Es war ein seltsames Ding: ein miniaturisierter Rippenknochen, wohl der eines Laren.
Damit gab es also nun bereits zwei solcher Relikte: Das andere war ein larischer Finger, gebunden in einer Art Kompass, der angeblich den Weg zur mythischen Urheimat zeigen konnte – das Vektorion.
Ob auch der Rippenknochen einen Wegweiser darstellte? Und wenn ja, auf welche Weise? Noch wusste Avestry-Pasik nicht, wie ihm die Rippe helfen könnte. Er wusste nur instinktiv, dass er dieses Kleinod nicht verlieren durfte.
Sogar im Suspensionstraum fürchtete er sich davor. Vielleicht kamen in diesen Tagen und Wochen der Reise die geheimsten Bedenken und Befürchtungen an die Oberfläche. Oder waren sie schon Monate unterwegs? Eigentlich sollte die Reise im Suspensionsschlaf etwas mehr als zwölf Tage dauern ... aber wie viel davon bereits vergangen waren oder ob es Verzögerungen gegeben hatte, wusste der Lare nicht. Er hatte die Kontrolle abgeben müssen, etwas, das ihm gar nicht gefiel.
Erneut schrillte der Alarm, erneut gab ANANSI Entwarnung. Avestry-Pasik kam ein böser Gedanke: Ob wohl Rhodan dahintersteckte? Das alte Misstrauen war übergangslos wieder da. Womöglich war der Hetork Tesser erwacht und trieb ein unheilvolles Spiel! Dem Mann, der einst das segensreiche Konzil der Sieben zerschlagen hatte, war alles zuzutrauen, auch wenn er ...
Aber nein. Während der gemeinsamen Abenteuer hatte Rhodan immer wieder bewiesen, dass man sich auf ihn verlassen konnte.
So kam es, dass Avestry-Pasik im Traum die Kabine verließ, um Rhodan zu suchen.
»Wo willst du hin?«, fragte ANANSI.
»Die Rippe darf nicht verloren gehen!« Avestry-Pasik lauschte. Der Alarm war inzwischen verstummt.
»Sie ist im Tresor gut aufgehoben.«
»Es ist eindeutig! Jemand versucht, die Rippe zu stehlen.« Die Konturen des Korridors verschwammen vor seinen Augen. »Ich hole das Artefakt in meine Kabine! Nur dort ist es sicher!«
Er erhielt keine Antwort. Der Korridor löste sich auf, die Sterne des Alls schienen durch das wabernde Etwas, das von der RAS TSCHUBAI übrig blieb. Doch nicht die eisige Kälte des Weltraums, sondern tiefe Wärme umfing Avestry-Pasik. Er spürte bleierne Müdigkeit in den Knochen. Er wollte sich bewegen, aber seine Glieder schienen wie festgeklebt.
»Es gibt ein Problem«, sagte ANANSI. Ihre Stimme kam von nirgendwo, denn es war nichts mehr übrig.
Oder doch?
Was der Lare nun sah, war das Innere des Suspensions-Alkovens!
Und in diesem Augenblick wusste Avestry-Pasik, dass der Alarm, den er nun hörte, echt war.
An Bord der RAS TSCHUBAI
SERT sei Dank
Tauro Lacobacci, der Erste Pilot der RAS TSCHUBAI, verbrachte den Flug zwischen den Galaxien in einem Zustand, der kein Wachen und ebenso wenig ein echter Suspensionsschlaf war. Über lange Phasen der Reise kam das Raumschiff gut ohne Lacobaccis Fähigkeiten als Emotionaut aus ... aber bei einem Problem musste er möglichst schnell handeln.
Darum blieb Lacobacci während der Reise über eine SERT-Haube mit dem Schiff verbunden und stets wachsam.
Als der Alarm gellte, war ihm klar, dass er der erste und einzige Mensch war, der ihn hörte.
Ein Alarm, so kurz vor dem Ziel? Was konnte das bedeuten?
Tauro Lacobacci nahm mit allen Sinnen Eindrücke auf, immer noch mit dem Schiff verbunden – mehr noch, er war das Schiff. Er spürte die gigantische Kugel, die Technologie, die Korridore, die Besatzung, die in Suspension schlief und träumte und ihre eigenen Bilder sah, seit gut zwei Wochen. Eine kurze Zeit, wenn man den gigantischen Abstand zwischen den beiden Galaxien Larhatoon und Milchstraße bedachte.
Noch wusste der Erste Pilot nicht, was den Alarm ausgelöst hatte.
Sollte er den Flug unterbrechen? Er konnte die RAS TSCHUBAI mit ihren 3000 Metern Durchmesser aus dem Hypertrans-Flug holen und im Normalraum absetzen; als Emotionaut wäre ihm dies sogar ein Leichtes, wenngleich es viel Zeit kostete und für alle Träumer zusätzlichen Stress bedeutete. Aber ein ungeplanter Zwischenstopp, irgendwo im Nichts, weit vor der Milchstraße? Die Besatzung aus dem Suspensionsschlaf wecken, die Alkoven aus den Transmissionsblasen holen?
Was, wenn es ein Fehlalarm war oder irgendeine Kleinigkeit, die einen solchen Aufwand nicht rechtfertigte?
»Gib mir Informationen!«, forderte er ANANSI auf, jedoch nicht mit Worten, sondern mit gezielten Gedankenimpulsen. Er lag ebenfalls in einem Suspensions-Alkoven; die Verbindung mit der Schiffssemitronik lief gedankenschnell über die SERT-Haube.
Er glaubte, ANANSIS Mädchengesicht vor sich zu sehen, mitten im Netz der tausend Fäden und Perlen. Ein bizarrer Anblick, der ihm so vertraut geworden war wie kaum etwas anderes; wenn er die SERT-Haube trug, war ihm ANANSI näher als jeder und alles andere. Er fühlte sich, als würde er sie schon ewig kennen, und nur manchmal sagte er sich, dass sie eigentlich keine Person war.
»Mir fehlen selbst noch Informationen«, meldete die Semitronik. »Warte.«
Warte – das sagte oder dachte sich leicht; und es hieß wohl nur, eine Sekunde zu warten oder zwei ... eine Ewigkeit in einer Gedankendiskussion. Oder besser: Im Austausch seiner Gedanken mit ANANSIS Steuer- und Rechenprozessen.
Der Emotionaut war als Einziger an Bord in der Lage, die Hypertrans-Phasen bei wachem Bewusstsein zu erleben und steuernd einzugreifen. Er nutzte das aus, schaute und fühlte in das Schiff hinein ... und erkannte das Problem.
Aus der Quarantänesektion drangen irritierende Energiewerte. Impulse, die es dort nicht geben durfte. Die larischen Kampfroboter, die dort auf Perry Rhodans Anordnung hin desaktiviert lagerten, bewegten sich. Die Maschinen waren mit den Proto-Hetosten um Avestry-Pasik an Bord gekommen und hätten eigentlich bis zur Ankunft energetisch tot bleiben müssen.
Lacobacci versuchte ein Bild aus dem Raum zu erhalten, aber ein Abschirmfeld verhinderte es. Er konnte es nicht durchdringen.
»Unmöglich«, dachte der Erste Pilot.
»Nichts ist unmöglich, das gerade geschieht«, antwortete ihm ANANSI, und sie klang verblüfft.
»Du wunderst dich also auch!«
»Aber nicht über das, was in der Quarantänesektion geschieht, sondern über dich. Setz deine Logik ein, Tauro!«
Er wollte nicht länger darüber diskutieren und Zeit verschwenden, auch wenn es sich nur um Sekundenbruchteile handeln mochte. »Was immer dort vor sich geht, es ist nicht harmlos! Etwas gefährdet die Schiffssicherheit, ANANSI! Haben wir Eindringlinge an Bord? Oder ist das eine Aktion der Proto-Hetosten?«
»Sie sind als Gäste an Bord«, meinte die Schiffssemitronik. »Wir sollten ihnen vertrauen, bis das Gegenteil bewiesen ist.«
»Und das sagt dir die Logik, auf die du so sehr pochst?«
Nun war es ANANSI, die nicht mehr antwortete.
Nicht wenige hatten sich darüber beschwert, Proto-Hetosten an Bord zu holen: Vertrau nie einem Terroristen. Hoffentlich bewahrheiteten sich diese Unkenrufe nun nicht.
Tauro Lacobacci überprüfte die Systeme des Hypertrans-Antriebs. Es war der 13. Juni 1517 NGZ. Bis zum Ende der Reise blieb noch eine halbe Stunde. Dreißig lächerliche Minuten von einer Reisedauer im Hypertrans von etwa zwölf Tagen ... einer langen Zeit voller Suspensionsträume.
Genug Zeit für potenzielle Attentäter oder Saboteure, eine Menge Vorbereitungen zu treffen. Genau darum konnte er trotz der kurzen Restdauer nicht länger warten.
»Wenn ein blinder Passagier an Bord wäre, müsste er sich ebenfalls im Suspensionsschlaf befinden«, sagte ANANSI, die Lacobaccis Gedanken selbstverständlich mitverfolgte, SERT sei Dank.
»Nicht aber ihre Roboter oder schädliche Programme.«
»Ich spüre nichts.«
»Sie haben sich abgeschottet.«
Die Gedanken jagten hin und her, der Austausch nahm keine Viertelsekunde in Anspruch.
»Und gerade jetzt, so nahe an der Milchstraße? Was, wenn wir als Zeitbombe ankommen, die ...«
»Was schlägst du vor?«
»Wir beenden die Suspension. Wir stoppen.«
Mit einem Mal konnte Lacobacci nicht mal mehr sagen, was seine Gedanken waren und was ANANSI beisteuerte. Sie waren eins, und vor allem waren sie sich auch einig.
Lacobacci/ANANSI beendete den Hypertrans-Flug. Die RAS TSCHUBAI stoppte, irgendwo im Leerraum mitten im Nichts vor der Milchstraße.
Der Alarm sirrte immer noch, doch er ging unter im Lärm einer Explosion.
*
ANANSI aktivierte einen zusätzlichen HÜ-Schirm und die Quarantänestation.
Lacobacci schickte TARAS vor Ort; ein Dutzend Kampfroboter vom Typ TARA-IX-INSIDE. Er forderte Bilder der Detonation an. ANANSI teilte mit – was Lacobacci längst wusste –, dass sämtliche optischen Verbindungen gekappt waren. Erst die TARAS würden Bildinformationen senden. Hoffentlich.
In diesem Fall trog die Hoffnung nicht. Erste Bilder gingen via Funk ein und machten Lacobacci in seinem Suspensions-Alkoven zum Zaungast. Die Roboter näherten sich der Quarantänestation und dem Ort der Explosion, ohne auf einen der larischen Velthas zu stoßen.
Die einzige Spur ergab sich aus dem Logspeicher des Schotts zur Quarantänestation. Es war vor Kurzem benutzt worden. Vor der Explosion.
Das konnte nur eins bedeuten. Die Roboter hatten die Quarantänestation verlassen und versuchten aktiv, ihre Spur zu verwischen. Sie waren draußen, irgendwo im Schiff, und störten die internen Sensoren und Kameras.
»Ich habe die Zentrale abgeriegelt«, ließ ANANSI den Emotionauten wissen.
Das mochte gut sein, doch die Velthas konnten an tausend anderen Orten zuschlagen. Vor allem konnten sie nahezu jedes Besatzungsmitglied an Bord erwischen, weil alle in den nächsten Minuten mühsam und träge aus dem Suspensionsschlaf in die Wirklichkeit zurückfinden mussten.
Das hieß nichts anderes, als dass quasi jeder an Bord verletzbar und schwach war. Einschließlich solcher prominenter Ziele wie Perry Rhodan. Nur Lacobacci war voll aktionsfähig. Das Schicksal der RAS TSCHUBAI lag ganz in seiner Hand. Der Gedanke ängstigte ihn. Das war mehr Verantwortung, als er jemals hatte haben wollen.
Während alle anderen an Bord langsam aufwachten und die Träume hinter sich ließen, legte Tauro Lacobacci die SERT-Haube ab. Er stand auf wackligen Beinen und wankte durch die Zentrale. Er hatte sich lange nicht mehr aktiv bewegt, die Muskulatur musste sich erst wieder daran gewöhnen.
»ANANSI!«, rief er. »Bleib ständig mit mir in Verbindung!«
Es dauerte ungewohnt lange, die Worte auszusprechen, ganz zu schweigen davon, die Antwort zu hören: »Selbstverständlich. Ich sammele weiterhin Informationen und übermittle sie dir.«
Lacobacci überlegte, wie er die larischen Roboter stellen konnte. Er errechnete einen Radius um die Quarantänestation, den die Maschinen mittlerweile sicher noch nicht verlassen haben konnten. Das Ergebnis gefiel ihm gar nicht; es war bereits zu viel Zeit vergangen.
»ANANSI! Erstelle ein schematisches Holo der RAS TSCHUBAI und markiere alle ausgefallenen Überwachungskameras und Sensoren.« Denn nur dort konnten sich die Velthas aufhalten – wo die Kameras noch liefen, musste alles in Ordnung sein.
Die gewünschte dreidimensionale Darstellung ploppte vor ihm auf. Kleine rote Punkte zeigten die gestörten Bereiche; sie verteilten sich eng um die Quarantänestation.
»Ergänzung«, sagte der Erste Pilot nach kurzem Nachdenken. »Auch alle Kameras und Sensoren markieren, die nach oder kurz vor der Explosion eine Funktionsstörung hatten und seitdem wieder funktionieren.«
»Du glaubst, dass sie manipuliert wurden und gefälschte Bilder senden?«, fragte die Semitronik.
»Tu es einfach!«
Eine weitere Markierung erschien im Holo ...
... und im nächsten Augenblick fünf, zehn, zwanzig andere. Sie alle wiesen schnurstracks einen Korridor entlang, markierten einen Antigravschacht und gingen in einem anderen Deck weiter, exakt in Richtung Ogygia-Habitat.
Angeblich war der Schacht nicht benutzt worden. Dennoch war absolut klar, was sich abgespielt hatte. Die Velthas verbargen sich in der Erholungslandschaft der RAS TSCHUBAI, warteten dort, bis wieder Normalbetrieb herrschte und Teile der Besatzung zur Entspannung spazierten oder Sport trieben.
Der ideale Ort für einen Terroranschlag. Ganz wie es dem Wesen einer terroristischen Vereinigung wie der Proto-Hetosten entsprach.
Tauro Lacobacci atmete tief durch. Er durfte nun keinen Fehler begehen. Und das hieß, er brauchte Hilfe von jemandem, der sich mit solchen Situationen besser auskannte als er.
*
»Perry Rhodan!«
Die Stimme gehörte weder Hotrenor-Taak noch irgendeiner anderen Traumgestalt. Sie kam aus der Wirklichkeit, aus der Welt jenseits der dünnen Metallwand des Alkovens.
Rhodan hatte den Zylinder von drei Metern Durchmesser und fünf Metern Höhe bereits geöffnet, hatte sich bereit gemacht, die Welt zu verlassen, in der er sich seit gut zwei Wochen im entrückten Zustand der Suspension befunden hatte. Dass er aus der Wirklichkeit gerufen wurde, überraschte ihn trotzdem.