Nr. 2796
Ultima Margo
Die Galaktiker starten einen Vier-Phasen-Plan – auf dem Hauptplaneten der Naat-Föderation
Leo Lukas
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde.
Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande sind. Mit Atlan steht dem Terraner der einzig geeignete Pilot für den Flug dorthin zur Verfügung, doch nur ein Richterschiff vermag diesen Flug auch durchzustehen. Perry Rhodan, Atlan und der ehemalige arkonidische Imperator Bostich entwickeln daher einen Plan zur Eroberung der CHUVANC, des Raumers von Richter Chuv, der sich im Arkonsystem aufhält.
Da die Heimat Atlans streng abgeschirmt wird, muss Richter Chuv herausgelockt werden. Doch wie könnte der entsprechende Köder aussehen? Daher arbeiten Perry Rhodan und seine Gefährten nun am Projekt ULTIMA MARGO ...
Atlan da Gonozal und Perry Rhodan – Der Arkonide und der Terraner initiieren das Projekt Ultima Margo.
Kulgneeck – Der Naat legt sich mit den falschen Leuten an und kommt vom Regen in die Traufe.
Lisher Vincallen und Kleif Hannsen – Die TLD-Agenten sind gewohnt, eine ruhige Kugel zu schieben.
Gucky – Der Ilt findet unverhofft eine neue Freundin.
Shiona Varmdalen – Die Oxtornerin erweist sich als gewiefte Diplomatin.
»Sehen und nicht gesehen zu werden, das ist eine angenehme Position. Aber zieh dich nie darauf zurück, lass keinen Augenblick in deiner Aufmerksamkeit nach! Die gefährlichste aller Täuschungen ist die Selbsttäuschung.«
Hotrenor-Taak
1.
Über den Dächern von Naatsdraan
Sie kamen zu Tausenden, und sie waren wütend.
Der Boden erzitterte vom Stampfen der Marschierenden. Fast alle waren unbekleidet, bis auf einen knappen Schutz der Geschlechtsteile, wie er bei den traditionellen Ringkämpfen getragen wurde.
Die wogende Masse der nackten, schwabbeligen Leiber bot einen Anblick, der Kulgneeck amüsierte. Er bezweifelte stark, dass die meisten dieser Leute jemals aktiv an Muathamen-Spielen teilgenommen hatten.
Das waren keine Krieger, Kundschafter oder wenigstens Spitzensportler; sondern Schreibtischtäter, kleine Verwaltungsangestellte, Ruheständler oder Spätpubertierende.
Möchtegern-Muanaats, dachte Kulgneeck. Wie herrlich peinlich!
Er saß auf der erhöhten Veranda eines Speiselokals am Südrand des rechteckigen Platzes, der den Vergnügungspark vom Diplomatenviertel Gombarkon trennte. Quer über den Platz hatten Einheiten des Ordnungsdienstes Absperrungen aus grellrot blinkenden Prallfeldern errichtet.
Auch über den Köpfen der Demonstrierenden flimmerte es. In allen möglichen Farben und Schrifttypen wurden Parolen projiziert, meist innerhalb ovaler Blasen, die der Form des Muaghosh, des Ringbalkens, nachgebildet waren.
»Naatsdraan den Naats!«, las Kulgneeck. »Arkoniden raus aus dem Naatasystem!«
Besonders gefiel ihm: »Patrioten gegen Diskriminierung!«
Auf diese Formulierung war er fast ein bisschen stolz. Erst recht, als sie nun lautstark skandiert wurde, mal in voller Länge, dann wieder abgekürzt: »Pa – ge – di! Pa – ge – di!«
Ja, es hatte etwas Befriedigendes, wenn die eigene Wortgewalt auf Widerhall in der Bevölkerung traf.
Vor der energetischen Barriere hielt der Aufmarsch an. Fäuste reckten sich drohend in Richtung des Diplomatenbezirks.
Huldvoll winkte Kulgneeck zurück, nur für sich, aus Spaß. Die armen Narren konnten ihn nicht sehen. Er war zu weit weg und überdies hinter einer einseitig transparenten Glaswand verborgen.
Das Geschrei steigerte sich abrupt zu unartikuliertem Heulen. Soeben war von der anderen Seite ein zweiter, ungefähr gleich starker Demonstrationszug auf den Platz eingeschwenkt.
Er bestand ebenfalls ausschließlich aus Naats, und diese waren nicht minder lächerlich herausgeputzt, nämlich nach arkonidischer Manier. Lange Roben, imperiale Uniformen ...
Etliche Teilnehmer entblödeten sich nicht einmal, weiße Langhaar-Perücken zur Schau zu stellen. Und das Beste daran war: Sie meinten es ernst!
Im Gegensatz zu den halbnackten Pagedi-Brüllern vertraten sie die Ansicht, unterm Strich sei es den Naats in der Kooperation mit den Arkoniden immer noch am besten ergangen. Die Bevormundung durch die Onryonen und das Atopische Tribunal lehnten sie jedoch vehement ab.
Dass das Kristallimperium ohne sein Zentralsystem faktisch zerschlagen war, verdrängten oder relativierten sie. Auf ihren Spruchholos leuchtete »Mit Arkon für immerdar!« und dergleichen mehr. Porträts von Gaumarol da Bostich wurden mitgeführt, vereinzelt auch solche von Atlan da Gonozal.
Die Anhängerschaft der Extremisten wuchs von Tag zu Tag, da wie dort. Bedingt durch die galaktopolitischen Umwälzungen der letzten Zeit, erfreuten sich beide Parteien stetig wachsenden Zulaufs, wenn auch nicht unbedingt der hellsten Köpfe.
Kulgneeck sah darin nichts Schlimmes. Im Gegenteil – die Situation bot vielerlei Chancen für kreative, unternehmerische Geister wie ihn.
*
Er lehnte sich im bequemen Sessel zurück und knabberte genüsslich an einem Spießchen mit Pökelfisch und Dörrobst. Das Lokal war berühmt für exquisite Kombinationen aus süßen und salzigen Zutaten.
Wie die Geschmäcker in Kulgneecks Mund, bildeten nun auch die zwei Gruppierungen auf dem Platz vor ihm einen reizvollen Gegensatz. Getrennt nur durch die übermannshohen, im Sekundentakt blinkenden Prallfeldsperren, zeterten sie aufeinander ein.
Auf die Distanz verstand er nicht viel von dem Stimmengewirr. Aber Kulgneeck war sicher, dass dabei immer wieder Slogans Verwendung fanden, die niemand anders als er getextet und für gutes Geld verkauft hatte.
Oh ja, er fühlte sich im Einklang mit sich und der Welt wie schon lange nicht mehr.
Sorgen, dass die Verhältnisse eskalieren könnten, machte er sich keine. Die Lage war angespannt, aber nicht bedrohlich.
Durch recht geschicktes, allgemein besänftigendes Vorgehen hatten die Monitoren, die basisdemokratisch gewählten Amtsträger der Naat-Föderation, bislang gröbere Kämpfe oder gar den Ausbruch eines Bürgerkriegs unterbunden. Somit konnten die Onryonen bei ihrer Politik der Nichteinmischung bleiben.
Kulgneeck fand das sehr in Ordnung. Seiner Meinung nach sollte Eigeninitiative möglichst wenig behindert und angemessen entlohnt werden.
Ihm hatte das Schicksal oft genug übel mitgespielt. Würdig und recht, dass er endlich einmal auf der Seite derjenigen stand, die von den aktuellen Entwicklungen profitierten.
*
Der Kommunikator piepste.
Eine Nachricht von einem seiner Kunden: »Wo steckst du?«
»Was geht dich das an?«, schrieb Kulgneeck zurück.
»Ich weiß, dass du eine hervorragende Sicht aufs Geschehen hast, mein Freund. Ich kann dich nämlich orten.«
Ruckartig setzte Kulgneeck sich auf. Dabei verschluckte er beinahe den hölzernen Spieß.
Bluffte der Kontaktmann? Nein, das entsprach nicht dessen eher schlicht gewebtem Charakter.
»Na, schmecken die Spezereien im Nobelrestaurant?«, kam sogleich die Bestätigung.
»Ihr habt die Privatsphäre-Abschirmung des Funknetzes gehackt.«
»Da staunst du, was?«
Bemerkenswert und unerwartet, jedoch kein Anlass zur Panik, beruhigte sich Kulgneeck. Zwar hätte er den Fanatikern nicht zugetraut, die positronischen Schutzwälle des planetaren Netzes zu knacken, aber warum sollte er sich deshalb fürchten?
Sie wussten also, wo er sich gerade aufhielt. Und wenn schon! Die Anführer der »Baumwurzel-Bewegung« prassten abseits der Öffentlichkeit selbst gerne in exklusiven Örtlichkeiten.
»Respekt«, tippte er ein. »Gratuliere, Trebor!«
»Das ist noch längst nicht alles. Schau hin und staune. Es passiert ...jetzt.«
Einen Augenblick später erloschen unten auf dem Platz die Prallfelder.
*
Für einen Moment fror die gesamte Szene ein.
Niemand wollte wahrhaben, dass plötzlich nichts mehr die verfeindeten, aufgehetzten Tausendschaften davon abhielt, übereinander herzufallen. Im Luftraum kreisten ein paar Polizeigleiter. Aber deren Besatzungen waren höchstwahrscheinlich damit beschäftigt, befreundeten Journalisten unter der Hand Aufnahmen ihrer Bordkameras zuzuspielen.
Einer zumindest hatte die Geistesgegenwart, via Lautsprecher einen Appell an die Versammelten zu richten: »Bitte bewahrt Ruhe und behaltet die eingenommenen Formationen bei. Ein kurzfristiger Ausfall der Energieversorgung ...«
Der Rest ging in einem kollektiven Kampfschrei unter. Die Fronten prallten zusammen und lösten sich sogleich in allgemeines Chaos auf.
Eine Massenprügelei entstand, wie der Planet Naatsdraan sie seit seiner Besiedelung vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden nicht erlebt hatte. Überall auf dem Platz wurde gerauft, was das Zeug hielt.
Kulgneeck rieb sich die Hände. Dieses Ereignis würde zweifellos den gesellschaftlichen Konflikt weiter anheizen. Somit würde auch der Bedarf nach Öffentlichkeitsarbeitern mit unkonventionellen Ideen steigen.
Die zu erwartenden Personenschäden bekümmerten ihn nicht. Waffenloser Kampf galt zwar als eines der wichtigsten Kulturgüter seines Volkes, aber die meisten Demonstranten waren sichtlich so wenig geübt darin, dass sie sich eher selbst als anderen wehtaten.
Und sollte es doch zu ein paar Todesfällen kommen – meine Güte, beim Sportfischen im seichten Ozean verunglückten jeden Tag Dutzende allzu abenteuerliche Gemüter!
Gerne hätte Kulgneeck sich noch länger an dem stumpfsinnigen Treiben ergötzt. Allerdings verlagerten sich die Scharmützel auch zusehends in die Seitenstraßen. Ein großer Pulk Kämpfender wälzte sich immer näher an seinen Beobachtungsposten heran.
Da räumte der kluge Mann lieber das Feld.
Er buchte den Gegenwert seiner Zeche sowie ein großzügiges Trinkgeld auf den Lokalknoten. Dann schlenderte er die Treppenstufen hinab.
Am Hinterausgang erwartete ihn eine unangenehme Überraschung.
*
Eigentlich waren es deren zwei; zwei ihm wohlbekannte Gestalten. Dass sie einträchtig nebeneinander die Pforte blockierten, verhieß nichts Gutes.
Der eine, ein grobschlächtiger Kerl, der Kulgneeck um einen halben Kopf überragte, war sein Pagedi-Kontaktmann: derselbe Trebor, mit dem er vorhin kommuniziert hatte. Die vergleichsweise zierliche, ältere Frau namens Ghineen bekleidete bei den Arkontreuen eine ähnlich hohe Funktion. Sie wirkte fragil. Aber es ging das Gerücht, sie habe eine Ausbildung in der imperialen Leibwache absolviert.
Von draußen klang das Getöse der Straßenschlacht herein, die sich die außer Rand und Band geratenen Anhänger dieser beiden Aufwiegler lieferten. Trotzdem hatten sie nichts Besseres zu tun, als Kulgneeck abzupassen?
»Du siehst ganz schön erschrocken drein«, sagte Ghineen anstelle einer Begrüßung. »Könnte es sein, dass dich ein schlechtes Gewissen plagt?«
»Falls es dich wundert, uns zwei zusammen zu sehen«, setzte Trebor fort und verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Weißt du, wir sind kürzlich im Rahmen einer inoffiziellen Besprechung draufgekommen, dass wir einen gemeinsamen Freund haben.«
»Dich.« Ghineen knackte mit den Fingerknöcheln. »Nun ist grundsätzlich nicht viel dagegen einzuwenden, wenn jemand mit beiden Seiten kollaboriert. Das tun schließlich auch manche Reporter der Systemmedien.«
»Eben«, stimmte Kulgneeck eilig zu. »Ich bin ein neutraler Berater. Ihr müsst zugeben, mein Material war stets von höchster Qualität.«
Trebor hob die Pranke. »Ja und nein. Denn weißt du, uns ist auch aufgefallen, dass die Strolche, die du zur Aufstockung der einen oder anderen schlechter besuchten Kundgebung vermittelt hast, schon mehr als einmal identisch waren – bei meinen Veranstaltungen ...«
»... wie auch bei meinen.«
Kulgneeck wollte etwas einwerfen, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Und das geht gar nicht. Falls es aufflöge, dass wir bezahlte Statisten einsetzen, und noch dazu dieselben, verlören wir jede Glaubwürdigkeit.«
»Sie waren jeweils unterschiedlich verkleidet«, brachte er nun doch an. »Äußerlich stark verändert ...«
»Mal mit Halskette, mal ohne, ja. Bemüh dich nicht. Wir haben zahlreiche Bilddokumente.«
»Von Journalisten, die uns ein erkleckliches Schmiergeld kosten, weißt du, damit sie die Aufnahmen nicht an die Öffentlichkeit bringen.« Trebor schob sich näher, wobei sein Lederoverall quietschte. »Ein erheblicher finanzieller Verlust für unsere jungen Bewegungen.«
»Den ich euch selbstverständlich ersetzen werde.«
»Das sowieso«, sagte Ghineen. »Aber wir hatten noch an eine andere Kompensation gedacht.«
»Weißt du, nach den heutigen, tragischen und überaus bedauerlichen Zusammenstößen werden die Monitoren im Naatvaach Fragen stellen.«
»Und nach Schuldigen suchen. Wer die Prallfeldsperren sabotiert hat, zum Beispiel.«
»Anzunehmen, dass man unsereins verdächtigen wird. Aber weißt du, das passt uns nicht ins Konzept. Schließlich sind wir nur ganz normale Bürger, die ihren berechtigten Sorgen mit friedlichen Mitteln Ausdruck verleihen.«
»Wir würden uns niemals gegen die Ordnungskräfte stellen. Das ist ja verboten! Wir helfen ihnen.«
Allmählich begriff Kulgneeck. »Ihr ... ihr wollt die Sache mir in die Stiefel schieben?«
»Du bist ein schlaues Kerlchen«, sagte Ghineen. Sie kniff ihre drei Augen zusammen. »Gebildet, was man so hört, auch wissenschaftlich und technisch. Du verfügst also über die Möglichkeiten, und nicht zuletzt über die nötigen Beziehungen.«
»Das ... ist absurd. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wann, wie und wo ...«
»Wenn wir dich der Polizei übergeben, wird man entsprechende Unterlagen bei dir finden. Und weißt du, zum Leugnen wirst du wegen deines bedauernswerten körperlichen Zustands leider gar nicht imstande sein.«
Kulgneeck hörte nur mehr undeutlich, weil der Pulsschlag in seinem Schädel so rauschte. Er hatte schreckliche Angst.
Seine Gedanken überschlugen sich. An den beiden kam er nicht vorbei. Sogar einzeln waren sie ihm wahrscheinlich über. Am Haupteingang hatten sie gewiss Leute postiert.
»Ich habe eine Waffe«, sagte Kulgneeck. »Zwingt mich nicht ...«
Im selben Moment, in dem sich höhnische Ungläubigkeit auf ihren Gesichtern abzuzeichnen begann, drehte er sich um und sprintete los, so schnell er konnte, die Treppe hinauf.
*
Obwohl er nicht ernsthaft mit einer Bedrohung gerechnet hatte, traf ihn diese nicht gänzlich unvorbereitet.
Noch auf den Stufen aktivierte Kulgneeck den Antigrav-Gürtel, der ihn um die Hälfte leichter machte. So flog er förmlich aufs Dach der Veranda und von dort mit einem weiten Sprung zum nächststehenden Haus.
Pattnaat, die Hauptstadt des Planeten und der Föderation, war groß und sehr weitläufig angelegt. Fast die Hälfte der rund vier Milliarden Bewohner von Naatsdraan lebte dort, in Gebäuden, die sich selten höher als dreißig Meter über Bodenniveau erhoben.
Ausnahmen bildeten nur die fünf Kuppeln des Naatvaach genannten Regierungssitzes, sowie neuerdings ein Ensemble aus gleich sieben Ordischen Stelen. Obwohl sie auf der anderen Seite der Stadt errichtet worden waren, ließen sie sich beim besten Willen nicht übersehen, denn sie dominierten die ganze Senke. Sie bestanden aus rot leuchtendem Patronit, einem vermutlich durch hyperenergetische Aufladung gehärteten Material, dessen Herstellung und Verteilung die Onryonen streng kontrollierten.
Jede der zweihundert Meter hohen Stelen hatte die Form einer schlanken, dreiseitigen Pyramide mit abgeschnittener Spitze. Die Kanten dieser Schnittfläche waren zwanzig Meter lang, während die Kantenlänge am Boden das Dreifache betrug.
In unmittelbarer Nähe des Stelen-Septagons befand sich ein quaderförmiges, schmuckloses Kastell, besetzt mit Onryonen und Robotern. Dort hätte Kulgneeck wohl Zuflucht, vielleicht sogar Asyl erhalten. Aber auf dem langen Weg durch fast die gesamte Metropole hätten ihn die Häscher der Extremisten hundertmal geschnappt.
Ähnlich aussichtslos erschien ihm ein Hilferuf an die Polizei. Seine Verfolger wären sicherlich früher bei ihm ...
Was ihn daran erinnerte, dass sie ihn orten konnten!
Während er weiter von Flachdach zu Flachdach sprang, nach Möglichkeit im Zickzack, um kein leichtes Ziel für etwaige Paralysator-Strahler abzugeben, nestelte er das Multikom von seinem Unterarm. Schade drum. Aber es nur einfach zu desaktivieren, erschien ihm zu riskant.
Er blickte sich um. Mehrere Naats versuchten, ihm auf den Fersen zu bleiben. Allerdings hatten sie offenbar keine Antigrav-Unterstützung und mussten daher Umwege über enger beieinanderliegende Dächer nehmen.
Gut so. Trotzdem weiter!
Andere hetzten ihm bestimmt schon auf Bodenniveau hinterher.
Als ihm ein turmartiger Aufbau Sichtschutz bot, schlug Kulgneeck einen Haken, bewegte sich quer zur bisherigen Hauptrichtung und ließ sich schließlich in das unbelebte Gleiter-Parkdeck eines Einkaufszentrums hinunter. Dort gab es mehrere Rampen mit Rollbändern, die zu verschiedenen, tiefer gelegenen Abteilungen führten.
Auf eines der Bänder warf er sein Multikom. Dadurch blieb er für die Orter in Bewegung, und mit etwas Glück hob jemand das Gerät auf, nahm es an sich und narrte so unabsichtlich die Verfolger noch ein Weilchen länger.
Kulgneeck bildete sich keineswegs ein, sie dauerhaft abgeschüttelt zu haben. Sein Kopf steckte nach wie vor in der Würgschlinge.
Die fiese Ghineen und der skrupellose Trebor, dessen ewiges »Weißt du?« er nicht aus dem Kopf bekam, hatten spätestens nach Auflösung der »entgleisten« Demos genügend Handlanger zur Verfügung, um großräumig nach ihm fahnden zu lassen. Über kurz oder lang würden sie ihn erwischen.
Es sei denn, er griff zu seiner letzten verbliebenen Trumpfkarte ...
Die Botschaft des Richters
»Was für eine Kulturschande!«, sagte Lisher Vincallen. »Ohne arkonidische Hegemonie werden Tausende Welten praktisch in die Barbarei zurücksinken.«
»Diese hier auf jeden Fall. Es hat bereits begonnen.« Deborin da Akkat deutete mit einer elegant matten Bewegung ihrer schlaffen, feingliedrigen Hand zur Holowand, die ein neunzig Grad umfassendes Segment des Atriumsalons ausmachte. »Unfassbar, dass sich solche Szenen nur wenige Hundert Meter von uns entfernt abspielen.« Sie schauderte auf ganz entzückende Weise.
Das Holo zeigte einen Livebericht von den Schlägereien, die am Glacis der Imperatoren, das jüngst zum Platz des Volkes von Baag umgetauft worden war, ihren Ausgang genommen hatten. Mittlerweile hatten Ordnungskräfte die Freifläche mit Paralysatoren bestrichen. In den umliegenden Straßenzügen, wo die Strahler der Polizeigleiter mit Rücksicht auf die unbeteiligten Bewohner nicht eingesetzt werden konnten, wurde jedoch immer noch heftig gekämpft.
Lisher tupfte sich mit einem Tuch Tränen der Erregung aus den Augen. »Wobei ich gestehe, auch nicht sonderlich viel Sympathie für die Seite der angeblich Arkontreuen zu empfinden. Wenn ihr mich fragt, ist das derselbe Pöbel, nur unwesentlich schicklicher gekleidet.«
»Meine Rede. Imperiales Stilgefühl sieht anders aus.« Der dritte im Bunde, ein Terraner namens Kleif Hannsen, nahm einen Schluck Rotwein aus dem Kristallpokal, schnalzte mit der Zunge und verdrehte die Augen. »Die arkonidische Lebensart geht zugrunde, meine lieben Freunde, und leider nicht nur auf Naatsdraan.«
Deborin da Akkat seufzte zustimmend.
»Hach!«, setzte Hannsen schwärmerisch fort, »all die Empfänge und Paraden ... Die Karaketta-Rennen ...Überall perfekt gekleidete Damen, eine verführerischer und williger als die andere ...«
»Es war schon nicht alles schlecht«, sagte Lisher. »Würde es euch etwas ausmachen, wenn wir auf ein anderes Programm umschalten? Unserer Pflicht ist Genüge getan, finde ich, der Bericht schreibt sich praktisch selbst.«
Vor allem wollte er nicht, dass die reizende Deborin wegen der bedrückenden Bilder in Melancholie verfiel. Sie neigte ohnedies zur Migräne. »Vielleicht eine historische Dokumentation? Es soll auch eine packende Neuinterpretation des Tai Arbaraith geben.«
Prompt begann Kleif Hannsen leise zu singen. »Ha nye Taion Arbaraithii, Dagor Ark'alor ian Arkii, M'e Tran-Atlan zhyla Thaigonii ...«
Deborin stimmte ein: »Lyykav o'i qsas, chru berlen Qa'pesh, Mu nya Vretatou talèn?«
Lisher wertete dies als Zustimmung und wollte gerade dem Unterhaltungsservo einen akustischen Befehl erteilen, da ertönte über ihm ein ohrenbetäubender Knall. Es regnete Glassplitter ...
... und einen massigen Körper, der so hart auf das Intarsienparkett prallte, dass die Dielenbretter brachen.
*