Nr. 2797
Das Land Collthark
Vorstoß in das Baagsystem – und in eine irreale Welt
Leo Lukas
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde.
Perry Rhodan und die Besatzung des Fernraumschiffes RAS TSCHUBAI haben in der fernen Galaxis Larhatoon in Erfahrung gebracht, dass das eigentliche Reich der Richter die Jenzeitigen Lande sind. Mit Atlan steht dem Terraner der einzig geeignete Pilot für den Flug dorthin zur Verfügung, doch nur ein Richterschiff vermag diesen Flug auch durchzustehen. Perry Rhodan, Atlan und der ehemalige arkonidische Imperator Bostich entwickeln daher einen Plan zur Eroberung der CHUVANC, des Raumers von Richter Chuv, der sich im Arkonsystem aufhält.
Da die Heimat Atlans streng abgeschirmt wird, muss Richter Chuv herausgelockt werden. Doch wie könnte der entsprechende Köder aussehen? Bei den Vorbereitungen auf den großen Coup führt ihr Weg die Einsatztruppen unter anderem in DAS LAND COLLTHARK ...
Perry Rhodan und Atlan da Gonozal – Der Terraner und der Arkonide treiben das Projekt Ultima Margo voran.
Kulgneeck – Der Naat wird zu seiner eigenen Überraschung zum Helden.
Sichu Dorksteiger – Die Wissenschaftlerin stellt auch ihre kämpferischen Fähigkeiten unter Beweis.
Tauro Lacobacci – Der Emotio-Progressor ringt mit Naats und Tolocesten.
Boyton Holtorrec – Der onryonische Vize-Kommandant ist ein äußerst wandelbarer Charakter.
»Die Vergangenheit ist ein Buch,
in dem jeder beliebig blättern kann,
und die Zukunft ein Palast aus Licht,
von dem es sich gut träumen lässt.
Wir aber sind angetreten
in der Gegenwart, im Hier und Jetzt,
um Geschichte zu schreiben.«
Gonozal III.
(Schöpfer von Tiga Ranton)
Prolog
Der Feldherr
Er stand auf der Sonne, und alles drehte sich um ihn, langsam, majestätisch, in Sphärenharmonie.
23 Planeten hatte das Naatasystem. Drei davon waren habitabel und besiedelt. Aber auch auf anderen natürlichen oder künstlichen Himmelskörpern gab es Abwehrforts und Flottenstützpunkte.
Hätte Gaumarol da Bostich die Augen geschlossen, wäre das Bild in seinem Geist präsent geblieben. Mit dem – im Rahmen der ARK SUMMIA aktivierten – Extrasinn ging ein fotografisches Gedächtnis einher.
Er wollte sich aber nicht die Gegenwart einprägen, sondern in die Zukunft sehen: Wie die Planeten, Monde, Raumstationen, Habitate und nicht zuletzt die onryonischen Schiffsverbände zueinander stehen würden, wenn die Schlacht begann.
Daher ließ er HIRSUUNA, das Rechengehirn seines Flaggschiffes, sämtliche Bewegungen extrapolieren. Die Hauptstreitmacht der Onryonen, ein kompletter Flottencluster, hielt seit Längerem unverändert Position auf Bahnhöhe des neunten Planeten.
Weiter innen im System patrouillierten mehrere kleinere Raumrudel, vor allem um Buchandha, den vierten, Kuttbayar, den fünften, und Naatsdraan, den siebenten Planeten. In dessen Orbit befand sich das unlängst errichtete Transmitterportal, das eine Fernverbindung ins Arkonsystem herstellte.
Naatsdraan war die Zentralwelt der Naat-Föderation. Am Rande der einzigen Metropole Pattnaat hatte Richter Chuv gleich sieben Ordische Stelen errichten lassen. Viele nahmen das als Indiz dafür, welch große Bedeutung der Atope dem Volk der Naats beimaß.
Jenem Stelen-Septagon Pattnaats würde der Angriff der vereinten Flotten der Galaktiker gelten. Zum Schein – aber das wussten nur die wenigsten von Bostichs Verbündeten.
Deren unterschiedlich große Kontingente verbargen sich einstweilen noch außerhalb des Naatasystems. Jedoch waren sie nur wenige Lichtjahre entfernt, also in Transitionsdistanz.
Der Aufmarsch der galaktischen Raumschiffe war unbemerkt vonstatten gegangen. Sie verfügten ausnahmslos über Tarnschirme und Antiortungssysteme, wenngleich nicht ganz so leistungsstarke wie Bostichs GOS'TUSSAN II.
Bostich murmelte einen akustischen Befehl. Prompt veränderte sich der Maßstab des holografischen Observatoriums.
Nun sah er auch die Standorte seiner Truppen jenseits der Systemgrenze verschiedenfarbig markiert: Pulks von Hunderten, weitgehend robotisierten Schlachtschiffen der Arkoniden und Terraner; ebenso zahlreiche Fragmentraumer der Posbis; weniger und kleinere, aber sehr kampfstarke Haluterschiffe.
Darüber hinaus gab es Einheiten der Blues, der beiden noch nicht ins Neue Tamanium integrierten Tefroder-Reiche, zumal der Trans-Genetischen Allianz, sowie Kampfverbände kleinerer Völker. Sie alle hatten sich Gaumarol da Bostichs Oberkommando unterstellt.
Auch die Naats verfügten über eine Flotte von Kugelraumern, Eigenentwicklungen auf der Basis der »klassischen« arkonidischen Konstruktionen. Ihr größtes Schiff war die auf Naatsdraan stationierte REOO, die stolze 2500 Meter durchmaß.
Hinter den Kulissen hatte Perry Rhodan den »Monitoren« genannten Regierungsmitgliedern der Föderation geraten, sich während einer etwaigen Konfrontation neutral zu verhalten. Kurz nach dem Angriff würde eine ähnlich lautende, offizielle Botschaft des Vorsitzenden des Galaktikums, des Cheborparners Uldormuhecze Foelybeczt, an die Naats ergehen.
Bostich ließ das Rad der Zeit noch ein klein wenig weiter drehen. Nun sah er die konzipierten Frontverläufe innerhalb des Systems.
Wo die Kräfte der Onryonen gebunden werden sollten; wo, wer und wann durchbrechen sollte ... Er befasste sich gründlich mit jedem Detail und kam zu dem Schluss, dass die Planung gut war.
Ein akustischer Befehl ließ die Holoinstallation verlöschen. Bostich drehte sich um 180 Grad.
Vor ihm lag die Hauptleitzentrale der GOS'TUSSAN II. Sie glich dem Inneren eines vertikal halbierten Khasurn, eines typischen, den kelchförmigen Blüten des Riesenlotos nachempfundenen, arkonidischen Trichterbaus.
Auch eine gewisse Ähnlichkeit zu einem antikterranischen Amphitheater ließ sich feststellen: Bostichs Kommandopodest entsprach dabei der Bühne.
Die steil ansteigenden Sitzreihen wurden von den diversen Missionsstationen eingenommen: Piloten – Navigation und Kosmonautik –, Triebwerke und Bordmaschinen. Wissenschaftliche Sektion inklusive Positroniken, Logistik und Innere Sicherheit, Beiboote und Außenoperationen. Und nicht zuletzt: Bordwaffen.
Den starken Defensivsystemen mit HÜ- und Paratronschirm samt Schattenmodusfunktion standen nicht minder starke Offensivwaffen zur Seite. 200 Transformkanonen, je 100 MVH-Sublicht- und Überlichtgeschütze, zehn Paratronwerfer, vier überschwere Intervallgeschütze mit einer Kernschussweite von fünf Millionen Kilometer ...
Viele Gegner gab es nicht, die der mitsamt der Prallfeldkuppeln sechs Kilometer lange Doppelkelch-Gigant fürchten musste. Mit Richterschiffen wie der CHUVANC oder der 233-COLPCOR hingegen legte selbst die GOS'TUSSAN II sich besser nicht an.
Insgesamt würde sich Bostichs Armada zahlenmäßig in der Übermacht befinden. Allerdings galt die Faustregel, dass ein onryonischer Raumvater zwei arkonidische oder terranische Schlachtschiffe gleicher Größe aufwog.
Trotz des Überraschungsmoments und ihrer neuen Librodrohnen waren die Galaktiker also keineswegs entscheidend im Vorteil. Viele winzige Details konnten den Gesamtausgang beeinflussen.
Letztlich mochten die Leistungen der Feldherren den Ausschlag geben. Shekval Genneryc auf der Gegenseite war zweifellos ein erfahrener, fähiger Mann.
Aber bei aller Bescheidenheit – zu der Bostich, spätestens seit er in die Riege der Zellaktivatorträger aufgestiegen war, nicht sonderlich tendierte: Dem Onryonen fühlte er sich allemal gewachsen. Umso mehr, als er sich inzwischen auch der Unterstützung des halutischen Denkgeäders in seinem Körper gewiss war.
Er überblickte die Vielzahl seiner holografischen Anzeigen. Aus den Sektionen der GOS'TUSSAN II und von sämtlichen Flottenteilen trafen Bereitschaftsmeldungen ein.
Es war so weit. Gaumarol da Bostichs großer Paukenschlag stand unmittelbar bevor.
Man schrieb den 14. November 1517 NGZ, 6.59 Uhr.
99 Naats
Einige Tage davor
»Wie viele Naats?«
»Hörst du schlecht? Hundert, sagte ich.«
»Hundert.«
»Exakt so viele, wie in einer Barkasse Platz finden.«
»Ihr seid verrückt. Nein, größenwahnsinnig.«
»Sieh es positiv: Du musst außer dir selber nur noch neunundneunzig Weitere organisieren.«
»Und woher soll ich die nehmen?«
»Du hast doch schon mehrfach Statisten für Demonstrationen angeheuert. Für die Arkontreuen ebenso wie für die Patrioten, manchmal sogar gleichzeitig. Damit hat ja dein ganzer Schlamassel überhaupt erst angefangen.«
»Pah! Wirklich in die Kloake gegriffen habe ich, als ich mich Schutz suchend ausgerechnet an dich gewendet habe!«
Kleif Hannsen griff nach seinem Kristallpokal, lehnte sich zurück und nippte am Rotwein, um ein wenig Druck aus der Situation zu nehmen.
Es bereitete ihm diebischen Spaß, Kulgneeck zu reizen. Aber übertreiben sollte er es damit nicht. »Wenn ich deine herzerweichende Vorgeschichte richtig verstanden habe, warst du zuletzt als eine Art Personalvermittler tätig.«
»Unter anderem. Ich bevorzuge die Bezeichnung ›Berater für unkonventionelle Öffentlichkeitsarbeit‹. In diesem Zusammenhang habe ich manchmal, falls ausdrücklich erwünscht, am Rande auch, ähem, für meine Auftraggeber einige Hintergrunddarsteller engagiert.«
»Prima. Dein Auftraggeber ist jetzt der TLD, und der wünscht sich ausdrücklich einhundert Naats.«
»Aber die sollen nicht bloß bei irgendeiner Kundgebung Holotransparente schwingen und unrein gereimte Verse brüllen, sondern eine onryonische Barkasse kapern!«
»Wie heißt es so schön? Man wächst mit der Aufgabe.«
»Sehr witzig. Dann mach's doch selber, wenn es so einfach ist!«
»Das würde ich – allein schon, um mir dein Gejammer zu ersparen –, ginge es um Terraner oder wären wir auf einem Planeten der Liga. Wir sind aber auf Naatsdraan; und ohne deine patriotischen Gefühle verletzen zu wollen, füge ich mit Überzeugung hinzu: leider.«
Dass er kein glühender Verehrer der Lebensumstände auf der Hauptwelt der Naat-Föderation war, hatte Kleif nie verhehlt. Umso mehr lag ihm daran, diese Sache gut über die Bühne zu bringen.
Zeichnete er sich dabei aus, winkte vielleicht zur Belohnung die Versetzung nach Terra ...
Wie groß sein persönliches Interesse daran war, ließ er sich dem naatischen Halunken gegenüber nicht anmerken. »Wobei sich dein Patriotismus, soviel ich weiß, ohnehin in vernünftigen Grenzen hält.«
»Ich bin kein Idiot«, grummelte Kulgneeck. »Wenn's nach mir geht, halte ich mich aus dem politischen Hickhack raus.«
»Ach ja? Das hat dich freilich nicht daran gehindert, eifrig bei beiden extremistischen Gruppierungen abzusahnen.«
»Eben! Meine Haltung war strikt indifferent.« Der breite Mund in dem haar- und nasenlosen, schwarzen Kugelschädel verzog sich zum Äquivalent eines Schmunzelns. Zwei der drei Augen zwinkerten. Kulgneeck zeigte Selbstironie. Sein Furor verrauchte.
»Im Ernst«, setzte Kleif sofort nach, »den Leuten droht auch nicht mehr Gefahr als bei einer Demo.«
»Unlängst gab es massenhaft Schwerverletzte und nur wie durch ein Wunder keine Toten.«
»Weil die Absperrungen sabotiert wurden. Um mit den Monitoren zu sprechen: ein bedauerlicher Einzelfall.«
»Trotzdem macht's das nicht leichter, Leute zu rekrutieren.«
»So, wie du gebaut bist, schaffst du es, sie zu überzeugen. Zumal sie praktisch nichts tun müssen außer pünktlich zum Raumhafen zu kommen und einzusteigen. Dass sie danach von einem terranischen Schiff«, er formte mit den Fingern Anführungszeichen, »›gerettet‹ werden, brauchen sie ja nicht zu wissen.«
»Toll. Und hinterher? An wem werden sie ihr Mütchen kühlen, wenn sie draufkommen, dass sie hereingelegt wurden? An mir.«
Ganz unrecht hatte er nicht. Kulgneeck war keineswegs dumm.
An der naturwissenschaftlichen Universität von Naatsdraan hatte er als vielversprechendes Talent gegolten – bis er sich einmal zu oft mit einem Professor angelegt hatte. Danach war er in zwielichtige Kreise abgeglitten, wo er sich dank seiner Intelligenz und Kreativität bald eine recht angenehme Existenz aufgebaut hatte.
Tja, überlegte Kleif Hannsen: Wie würde sich die unter anderem Vorwand angeworbene Hundertschaft von Naats tatsächlich verhalten, wenn sie bemerkten, dass sie quasi als nützliche Idioten gedient hatten?
Er war versucht, das Problem der Crew jenes MARS-Kreuzers zuzuschanzen, der laut seinen Informationen die Barkasse samt Passagieren auffischen sollte. In einem 500-Meter-Kugelraumer war allemal mehr als genug Platz für die Naats; und sollten sie randalieren, würden Paralysatorstrahlen sie flott besänftigen.
Irgendwie hatte er jedoch das Gefühl, dass diese legere Haltung nicht dazu geeignet war, ihn vom ungeliebten Posten auf Naatsdraan zu erlösen.
»Vergiss meine billigen Mitläufer«, sagte Kulgneeck, der ebenfalls ein Weilchen geschwiegen und sinniert hatte. »Die bringen's nicht.«
Kleif wollte schon auffahren, aber der Naat vollführte eine abwehrende Armbewegung und sprach weiter: »Was wir brauchen, sind Leute, die an etwas glauben. Beispielsweise an Arkons Ruhm und Glorie.«
»Wie ... Oh. Verstehe.« Dass er nicht selbst darauf gekommen war! »Ja, das könnte klappen.«
»Zwei Bedingungen.«
»Ich höre.«
»Erstens, du gibst mir für das Kontaktgespräch deinen arkonidischen Kumpel mit. Um Eindruck zu schinden. Zweitens, wir müssen unseren Gegenübern etwas Besonderes versprechen können.«
»Friede, Freude, Gratisgetränke?«
»Wie wahnsinnig komisch! Ha. Ha. Ha. – Nein, ich meine, eine Begegnung mit einem Arkoniden, der bei aller Umgänglichkeit noch die gute alte Präpotenz des Kristallimperiums verkörpert. Ein ›echter‹ Arkonide, der sich nicht in Messingträume flüchtet. So einer wie der, der bei euch zu Besuch war.«
Kleif lief es kalt über den Rücken. Er erinnerte sich sehr wohl an die beiden Besucher, die sich ihm gegenüber mit Hochrang-Identifikationen des TLD ausgewiesen hatten.
Sie hatten ausgesehen wie zwei ältere, ein wenig abgeschlaffte Männer; auch der andere, ein Terraner. Aber wie sie agiert hatten, mit welch zurückhaltender, weil selbstverständlicher, in mehr als bloß ein paar Jahren erworbener Autorität!
Er hätte alles Mögliche darauf verwettet, dass sie maskiert gewesen waren. Sogar Lisher Vincallen, sein Vermieter und Agentenkollege, der gewöhnlich lieber einer Schürze als der großen Erkenntnis hinterherjagte, hatte sich in wildesten Mutmaßungen darüber ergangen, wer oder was hinter den Verkleidungen steckte.
»Ich will nicht zu viel versprechen«, sagte Kleif, »aber ich denke, das lässt sich einfädeln.« Im vollen Bewusstsein, dass er auf dünnem Eis tanzte, fügte er hinzu: »Sag ihnen, wenn sie mitmachen, steht ihnen eine gewaltige Überraschung bevor.«
*
Lisher Vincallen ging ungern außer Haus. Lieber lud er Gäste zu sich ein, bevorzugt solche weiblichen Geschlechts.
Sein Domizil im Diplomatenviertel Gombarkon war zwar nur ein in den Boden versenkter, mickriger Abklatsch arkonidischer Architektur. Gleichwohl ließ sich darin, auch wenn er nicht unter der Messinghaube steckte, der traditionelle Lebensstil seines Volkes simulieren.
Ohne den Antigravgürtel, den Lisher draußen tragen musste angesichts der Schwerkraft von 1,7 Gravos.
Ohne die fade, flache Ödnis, die ihn auf Naatsdraan bei jedem Schritt und Tritt ansprang und seinen Blick nachgerade persönlich beleidigte.
Ohne den Wind, der ihm klebrigen, übel riechenden Staub an die sorgsam gepflegte Gesichtshaut wehte, sobald sich die Kuppel des Gleiters über ihm und Kulgneeck geöffnet hatte.
Sie standen auf dem ungeschützten Parkdeck des »Arbaraithiums«, eines scheunenartigen Gebäudes, dessen Lage man wohl mit »Innenstadt« bezeichnet hätte, wäre Pattnaat eine richtige Stadt gewesen und nicht bloß ein überdimensional ausgedehntes Dorf für rund zwei Milliarden Bewohner.
Aus eigenem Antrieb wäre Lisher niemals wieder an diesen Ort geflogen. Einmal hatte genügt – damals, als er seinen Dienstposten für die Tu-Ra-Cel, den arkonidischen Geheimdienst, angetreten hatte.
Naiv, wie er gewesen war, trotz der langen, harten Ausbildung zum Celista, hatte er sich das Agentenleben als eine permanente Abfolge verwegener Abenteuer vorgestellt, gewürzt mit Ausschweifung, riskanten Aktionen und schnittigen Gefährten beziehungsweise Gefährtinnen. Die Realität hatte ihn bald eines Besseren belehrt.
Was die Bürokraten im Oberkommando tatsächlich von ihm wollten, waren regelmäßige Berichte sowie keinen unnötigen Staub aufzuwirbeln. Nun, das konnte er genauso gut von daheim aus erledigen.
Alles für seine Auftraggeber Interessante ließ sich mittels der hochwertigen Positronik, die schon sein Vorgänger in der Dienstwohnung installiert hatte, mühelos aus dem planetaren Netz filtern. Dazu ein wenig Tratsch, den die Damen der verbliebenen arkonidischen Gesellschaft lieferten, und fertig.
Seine Träume, jene Träume, die ihm verblieben waren, erfüllte Lisher sich in der Messingwelt. Dort sah ihn auch niemand schief an, weil er nach der faktischen Zerschlagung des Arkonidischen Imperiums zum Terranischen Liga-Dienst übergelaufen war. Weil Kleif Hannsen, eine ähnlich gescheiterte Existenz, ihn damit geködert hatte, dass sich sein in Summe bequemes Leben nur auf diese Weise fortführen ließe.
Was ist bloß aus mir geworden?, fragte sich Lisher Vincallen, beileibe nicht zum ersten Mal.
Unsanft schrak er aus seinen melancholischen Gedanken auf, als Kulgneeck ihn grob anstupste. »Willst du hier Wurzeln schlagen, oder was?«
»Au. Pass ein bisschen auf, ja? – Gehen wir.«
Links und rechts der Eingangstür schwebten zwei kegelförmige Kampfroboter. Sie waren älterer Bauart, aber dank je vier ausgefahrener Waffenarme furchteinflößend genug.
Über der Tür flammte eine Schrift auf: Bitte identifizieren!
Von seinem Armband-Multikom aus sendete Lisher einen Kode, der seine und Kulgneecks ID enthielt sowie den Beleg dafür, dass sie angemeldet waren. Anstelle der Schrift erschien ein grünes Licht, und die Tür glitt geräuschlos auf.
Ein Turbolift mit einer einzigen Bedientaste brachte sie nach unten; weit nach unten. Lisher wusste, dass das Foyer, in dem sie herauskamen, in einem der Tiefgeschosse lag.
Die Wände schmückten Reliefs der Berlen Taigonii, der zwölf mythischen Helden sowohl des arkonidischen Kulturkreises, denen auch die zwölf Figuren des Garrabo-Spiels nachempfunden waren. Heydrengotha, Hirsuuna, Teslym, Hy'Tymon und die anderen wurden in idealisierter Schönheit dargestellt, als hochgewachsene, athletische Gestalten.
Männer wie Frauen trugen rüstungsähnliche Kleidung aus der Archaischen Periode und ebensolche Waffen: Streitäxte, Pfeil und Bogen, mit Stacheln besetzte Morgensterne ... Tran-Atlan, der unter anderem als Begründer der Dagor-Kampfkunst galt, hielt ein Langschwert hoch, hatte aber auch eine Leier auf den Rücken geschnallt.
Im Foyer schwebten zwei weitere Kampfroboter desselben Typs. Sonst hielt sich niemand darin auf. In der anschließenden, ersten Haupthalle verliefen sich einige wenige Besucher, ausschließlich Naats höheren Alters.
Das Arbaraithium war das arkonidische Kulturzentrum von Naatsdraan. Früher, bevor die Atopischen Richter und ihre onryonischen Hilfstruppen das Arkonsystem erobert hatten, hatten die Museums- und Veranstaltungssäle vor Leben gewimmelt. Wobei sich die arkonidische Gemeinde auch damals rargemacht hatte und nur zu Festakten und dergleichen erschienen war.
Nun aber herrschte überall im weitläufigen Gebäude Tristesse. Lisher vermutete, dass es sich bei den vereinzelten alten Naats, die zwischen den Ausstellungsstücken herumschlurften, um Veteranen der Arkonidischen Raumflotte handelte. Sie trauerten wohl besseren Zeiten nach.
Zu seiner eigenen Verwunderung bemerkte Lisher, dass er mit ihnen fühlte.
Tiga Ranton,––