Ammianus-Verlag
Die Autorin
Isabella Benz wuchs einen Katzensprung von Wiesen, Wald und Feldern entfernt am Rande der Stadt Steinheim an der Murr auf. Zu ihrem Alltag gehörte Vogelgezwitscher, denn nachdem ihre Wellensittiche sich rasant vermehrten, teilte sie sich für einige Jahre ein Zimmer mit der Voliere der Piepmätze.
Obwohl naturverbunden zog es sie nach ihrem Abitur in Großstädte: Zunächst in die Hauptstadt Kwa Zulu Natals, Pietermaritzburg, wo sie in den südafrikanischen Townships mit Kindern und Jugendlichen arbeitete. Ihr Studium verschlug sie außerdem nach Berlin und für ein Jahr nach Rom. Hauptsächlich studiert sie jedoch in dem vergleichsweise beschaulichen Tübingen - Theologie auf Pfarramt. Entsprechend findet sie in biblischen Themen und der Kirchengeschichte viel Inspiration für ihre Romane.
Isabella Benz
Die Dämonen von Lorch
Historischer Roman
Impressum
Erste Auflage
Oktober 2014
© 2014 Ammianus GbR Aachen
Alle Rechte vorbehalten. Der Druck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und Verbreitung des Werks in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf digitalem oder sonstigem Wege sowie die Verbreitung und Nutzung im Internet dürfen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags erfolgen. Jede unerlaubte Verwertung ist unzulässig und strafbar.
Umschlaggestaltung: Thomas Kuhn
Coverillustration: Barbara Brosowski Utzinger
Lektorat: Angelika Kiel
Satz: Michael Mingers
ISBN: 978-3-945025-21-5
www.ammianus.eu
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Widmung
Für meine Schwestern
Sabrina und Hanna
und für meine Eltern
Prolog
Lorch, 24.02.1149
Eisiger Wind peitschte um das Haus. Ab und an heulte er in den Ritzen, und die Dielen ächzten unter seiner Wucht. Heinrich saß vor dem Kamin und horchte beunruhigt. Im kommenden Frühjahr musste er dringend die Westseite des Hauses ausbessern. Hoffentlich stürzte ihnen bis dahin nicht die Wand ein.
»Nur Güte und Gnade werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar«, rezitierte er leise seinen Lieblingspsalm und hob den Becher, der neben ihm auf dem Boden gestanden hatte, an seine Lippen. Der Wein brannte angenehm.
Nachdenklich starrte Heinrich in die Flammen, die munter flackerten, und nippte an dem Getränk. Abgesehen von Wind und Feuer war es still im Vogtshaus. Schade, dass Theodora so früh zu Bett gegangen war. Er hätte die Gesellschaft seiner Tochter sehr geschätzt. Müde schüttelte er den Kopf. Sobald die Flammen herunter gebrannt waren, würde er die Glut mit der Schaufel gut verteilen. Dann sollte genügend Wärme nach oben in die Schlafzimmer steigen und das Feuer war bald klein genug.
Heinrich stellte den Becher ab und rutschte breitbeinig auf dem Stuhl vor. Gelassen legte er die Arme auf seine Oberschenkel und schloss die Augen. Ob sich König Konrad noch lange im Heiligen Land aufhalten würde? Ihm wäre bedeutend wohler, wenn der Staufer endlich zurückkehren würde und nicht länger dessen Neffen die Verwaltung oblag. Sollte er die Witwe des Ulmer Schusters ohne das Einverständnis des Königs ehelichen? Konrad sah es gar nicht gerne, wenn seine Ministerialen walteten, wie es ihnen gefiel. Oder er fragte doch den jungen Friedrich von Schwaben um Erlaubnis …
Ein erstickter Schrei riss ihn aus seinen Gedanken.
Erschrocken sprang Heinrich auf und der Stuhl knallte zu Boden.
Er lauschte.
Wind heulte.
Das Feuer knisterte.
Ein Holzscheit knackte.
»Thea?«, rief Heinrich nach seiner Tochter.
Ein dumpfer Schlag - kam das nicht aus ihrem Zimmer? Er wirbelte nach rechts, riss die Tür auf und stürzte zur Treppe, die ins Dachgeschoss führte. Da! Wieder! Gnädiger Gott, steh mir bei, was geschieht mit meiner Tochter? Er stolperte in ihre Stube und erstarrte.
Auf dem Fenstersims flackerte eine Kerze. Der Schein warf tanzende Schatten auf die Kleidertruhe, das Bettlager, den Boden und auf Theodora, die dort lag. Ihre Lider klappten auf und zu, und das Weiße ihrer Augäpfel stach in dem dunklen Zimmer leuchtend hervor. Ihr Mund war zu einem stummen Schrei verzerrt. Die dunkelbraunen Locken lagen wirr um ihren Kopf. Ein widerliches Ächzen entfloh ihr. War das Spucke? Ja, Spucke, die ihren Mundwinkel herabrann.
»Allmächtiger!« Heinrich hockte sich neben sie und streckte die Hand nach ihr aus, hielt aber sofort inne, als Thea sich bewegte.
Sie hob das Becken, drückte ihren Rücken durch. Ihr Bauch wölbte sich, höher, immer höher. Ihre Beine rutschten seitlich weg. Und dann krachte sie wieder zusammen, donnerte auf den Boden. Sie zuckte nach links, stöhnte und drehte den Kopf, ließ ihn kreisen. War sie von Sinnen?
»Thea?« Zaghaft griff er nach ihrer Schulter und rüttelte sie. »Komm zu dir, Kind, bitte!« Wieso reagierte sie denn nicht? »Wach auf!« Er packte sie fester.
Sie warf sich nach rechts und schleuderte seinen Arm mit einer solchen Wucht zurück, dass Heinrich schmerzhaft auf sein Steißbein prallte. Fassungslos rieb er sich das Handgelenk. Es brannte, als hätte er zu schwer getragen. Wie konnte Theodora so viel Kraft aufbringen?
Er stockte. Ein Mensch mit einem unreinen Geist. War oft mit Fesseln und Ketten gebunden. Hatte die Ketten zerrissen und die Fesseln zerrieben; niemand konnte ihn bändigen.
»Nein«, wimmerte er. »Nicht Thea, nicht meine Tochter, bitte nicht.« Bibelverse wirbelten durch seine Gedanken.
Sie warf sich nach rechts.
Mein Name ist Legion, denn wir sind viele.
Ihr ganzer Körper schüttelte sich.
Unreiner Geist.
Sie ächzte, stöhnte und schlug um sich.
Dämon!
»Bitte«, jammerte er, zog die Beine an den Oberkörper und vergrub das Gesicht in den Händen. Er konnte es nicht sehen. Das Gestöhne drang ihm bis ins Mark. »Nimm es von ihr. Vertreibe ihn. Oh Gott, vergib uns unsere Schuld, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!« Verzweifelt blinzelte er gegen die Tränen an. Schauer durchliefen seine Glieder. Unablässig. Auch als das Stöhnen endlich verstummte und Theodora nur mehr dalag.
Es war ruhig.
Allein ihr Atem dröhnte laut.
»Va-ter?«, fragte sie erstickt.
Er senkte die Hände und starrte sie an.
Sie tastete über den Boden. Ihre Finger wanderten in seine Richtung, näher, bis sie sich in den Stoff seiner Beinlinge krallte, als ob sie sich versichern wollte, dass er wirklich da war. Erleichtert atmete sie durch. »Es ist vorbei«, flüsterte sie und lächelte ihn schwach an.
Heinrich blinzelte. Sie war wieder da. Das war sein Kind! Er war weg, der böse Geist. »Thea? Guter Gott. Wie fühlst du dich?«
»Müde«, flüsterte sie. »Ich … Ich konnte nicht schlafen.«
»Warte. Ich helfe dir.« Er sprang auf, griff ihr unter die Achseln und stellte sie auf die Füße. Sie schwankte. Ihr braunes Gewand klebte an ihrer Haut. Es war völlig vom Schweiß durchnässt. Auf wackligen Füßen trat sie zu ihrem Bett, ließ sich darauf nieder. Heinrich legte ihre Beine auf das Lager, nahm die Decke und wickelte sie fest um ihren Körper, der vor Anstrengung zitterte. Liebevoll strich er ihr die feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Theodora lächelte mit geschlossenen Augen. »Johann …« Ihre Stimme war schwach, kaum brachte sie die Worte über die Lippen, ein heiseres Flüstern: »Johann hat immer gesagt, dass ich furchtbar aussehe und meine ganze Schönheit …« Sie hustete. »… wie eine Blume verwelkt wäre. Man muss die Blume gießen, hat er gesagt. Ich …« Schwer schluckte sie. »Ich habe Durst, Vater.«
Fassungslos verharrte seine Hand an ihrer Wange. Er hatte sich verhört! »Das ist dir schon früher passiert? Schon bei der Herrin von Sulzbach?« Sogar in Gegenwart dieses Badenbergers. Und sie hatte es ihm verschwiegen, genauso wie sein zukünftiger Schwiegersohn. Ihm wurde elend zumute. Es war nichts Einmaliges. Es war schon häufiger vorgekommen. Und der dunkle Geist würde wiederkommen!
Sie zuckte mit den Schultern. »Johann passt auf mich auf, hat er gesagt«, murmelte sie, ehe ihr die Augen zufielen.
Für einige Herzschläge verkrampfte sich Heinrich, erwartete beinahe, dass der Dämon sie erneut packte. Doch Theodora atmete ganz ruhig. Sie schlief, hatte es überwunden. Momentan zumindest. Sein armes Kind. Seine hübsche Tochter. Von einem Dämonen heimgesucht. Sie konnte doch nichts dafür!
»Erbarm dich, Herr, sei ihr gnädig«, flüsterte er, »ich flehe dich an. Ich tue alles, was du willst - hörst du? Alles!«
Heinrich wischte sich über die feuchten Augen. Sein Blick wanderte über das Schrägdach zu dem kleinen Fenster. Die Kuhhäute, die zum Schutz gegen Schnee und Kälte zusätzlich zu den Klappläden davor gespannt waren, wurden von den Windböen nach innen gewölbt. Der Kerzenschein malte flackernde Schatten auf das Leder, ein gespenstischer Schemen - wie der unliebsame Geist, der sein Haus bedrängte.
Kapitel 01
Venedig, 18.03.1149
Der Wind zerrte an Johanns Mantel und trieb ihm den Geruch von Salz und Fisch in die Nase. Er stand an der Reling und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen den Horizont. Allmählich vertrieb die Morgensonne den Nebel und gab den Blick auf einen schmalen Streifen Land frei. Johann atmete erleichtert durch. Die venezianische Küste. Endlich!
Der Bug des Handelsschiffes teilte die Wellen unter sich und hielt kontinuierlich auf das Festland zu. In der Geschwindigkeit hatten sie Venedig spätestens am Nachmittag erreicht. »Bald bin ich wieder bei dir«, flüsterte Johann.
»Sprichst du mit dir selbst, Badenberger?«
Johann zuckte zusammen und wirbelte herum. Bero stand hinter ihm. Der alte Ritter hob seine Brauen und sah auf Johanns Hand, die an dessen Hüfte lag, dort, wo die letzten beiden Jahre über das Schwert seinen Platz gehabt hatte. Hastig verschränkte Johann die Arme vor der Brust und wandte sich wieder der See zu, in der Hoffnung, die Schamesröte zu verbergen.
Bero trat neben ihn. Der Wind fuhr durch das ergraute Haar des Ritters. »Ich wache nachts manchmal auf und greife als erstes nach meinem Dolch«, sagte er. »Wenn er nicht an seinem Platz ist, fange ich an zu schimpfen und meine Knappen zu verfluchen, bis mich von irgendwo ein Stiefel trifft.« Er grinste und rieb sich die vernarbte Schläfe. »Die Händler und Matrosen finden meine nächtlichen Tätigkeiten nicht sehr angenehm, aber es ist nicht meine Schuld. Genauso wenig, wie es deine ist. Es ist nichts, weswegen wir uns schämen müssen. Sie haben nicht im Krieg gekämpft. Wir schon.«
Leider, brannte Johann auf der Zunge, doch er schluckte es.
»Woran hast du gedacht?«, wechselte Bero gutmütig das Thema.
Einen Moment zögerte Johann, ehe er leise nuschelte: »An Theodora.«
Lachend schüttelte Bero den Kopf.
Johann warf ihm einen lauernden Blick zu. »Was?«
»Nichts.« Der alte Ritter grinste, wobei er seine gelblich verfärbten Zähne entblößte. Kameradschaftlich stieß er Johann in die Seite. »Es erstaunt mich nur immer wieder, wie sehr dich dieses Weib verzaubert hat. Bist du sicher, dass sie keine Hexe ist?«
Theodora sank neben ihm auf die Knie und blieb für einige Wimpernschläge apathisch sitzen. Erschrocken hockte er sich neben sie und legte vorsichtig einen Arm um ihre Schulter, flüsterte beruhigende Worte, bis sie sich wieder fing. Verwirrt blinzelte sie ihn an und sah sich um. »Warum sitzen wir hier?« Ehe die Erkenntnis über ihre Miene flackerte und sie düster fragte: »Es ist schon wieder passiert?«
»Bist du sicher, dass du keine Visionen hast?«, versuchte er zu scherzen. »Vielleicht bist du ja eine Prophetin.«
Theodora lachte bitter. »Eine miserable Prophetin, ich kann mich ja an nichts mehr erinnern.«
Nein, seine Theodora war keine Hexe! Entschieden fauchte Johann: »So ein Blödsinn. Als ob du deine Frau nicht genauso vermissen würdest.« Er stützte die Arme auf der Reling ab und drehte das Gesicht in den Fahrtwind, der mit seinen hellen Locken spielte und sie ihm immer wieder gegen die Wangen peitschte.
»Sicher. Sonst hätte ich dich nicht begleitet«, brummte Bero neben ihm. »Allerdings weiß ich nicht, ob ich es für sie tatsächlich riskieren würde, bei meinem königlichen Bruder in Ungnade zu fallen. Vor allem, wo sie nicht einmal deine Ehefrau, sondern nur eine einfache Ministerialtochter ist.«
»Konrad ist mein Halbbruder«, verbesserte er. »Und Otto hat ihn bei Pula auch verlassen. Wir werden ihn ja zu Pfingsten in Salzburg wieder treffen. Er hat zugestimmt.« Johann verschränkte die Hände ineinander, um zu verbergen, wie sehr seine Finger zitterten. War es Vorfreude? Oder Nervosität? Angst? Er wusste nicht, um wen er sich mehr sorgte. Konrad hatte sein Gefolge, das ihn sicher über Aquileja nach Salzburg zurückbringen würde. Und Theodora befand sich eigentlich nicht in Gefahr. Dennoch hatte er Angst um sie. Diese vermaledeite Krankheit!
»Es wird Zeit, dass du das Weib mal wieder richtig durchnimmst. Oder sie dich. Die ganzen Sorgenfalten stehen dir nicht. Du siehst furchtbar aus.«
»Danke für das Kompliment.« Johann lachte. Rau und gekünstelt.
»Ist sie es wert?« Bero musterte ihn aufmerksam.
Johann stutzte. »Wieso fragst du mich das ausgerechnet jetzt?«
»Eine Schifffahrt ist nie ohne. Aber zu zweit über die Alpen zu reiten ist eigentlich eine bodenlose Dummheit. Und ich weiß, wenn ich nicht ebenso besorgt um meine Ländereien wäre und dich begleiten wollte, wärst du ohne mich gegangen. Alleine über die Berge. Ist sie das wert, deine Theodora?« Beros dunkelbraune Augen bohrten sich in seine, suchten in seinem Gesicht nach der Wahrheit.
Johann erwiderte den Blick nachdenklich. Er fand einfach keine Ruhe mehr. Ständig hatte er zu hören bekommen, dass es nur mehr einen weiteren Monat dauern würde. Nur einen weiteren Monat. Zehn Monate lang. Und nun wollte er keinen Tag länger warten. Er hielt es einfach nicht aus. Ob sie es wert war? Er erinnerte sich, wie Theodora forschen Schrittes durch die Burg eilte. Wie das Kleid um ihre Waden schlingerte und sie ihre Hüften wiegte. Wie sie sich zu ihm umdrehte und das volle, braune Haar in sanften Wellen ihr Gesicht umspielte. Wie ihre rehbraunen Augen ihn unverhohlen anstrahlten. Wie ihre Lippen schmeckten. Die Haut an ihrem Hals. Wie sie süß stöhnte und sich im Bett über ihm räkelte.
Ein Lachen riss ihn aus seinem Tagtraum. Bero hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut. Bevor dir noch der Geifer aus dem Mund rinnt: Ich sehe schon, sie bedeutet dir wirklich viel.«
»Ich werde sie heiraten«, entgegnete Johann entschlossen.
Beros Brauen schossen in die Höhe. »Heiraten? Ich dachte, sie wäre die Tochter eines Ministerialen?«
»Konrads Ministeriale, seit der alte Friedrich tot ist. Theas Vater ist der Untervogt der Ländereien von Lorch.«
»Und du willst wirklich eine Unfreie heiraten?«, wiederholte Bero ungläubig. »Dass du es magst, wenn ein heißblütiges Madel dein Bett wärmt, das kann ich ja verstehen, aber dass du so weit unter deinem Stand heiraten willst …«
»Ihr Vater hat das nötige Geld, um die Aussteuer zu zahlen«, sagte Johann ruhig. »Und Konrad ist bereit, ihr einen Freibrief auszustellen. Er wird ihn mir in Salzburg aushändigen. Ich muss nur mit ihr und ihrem Vater an Pfingsten dorthin kommen. Es ist alles geregelt.«
Bero schwieg.
Unter seinem Blick fühlte sich Johann unbehaglich. Schnell drehte er sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Reling, vermied es, in Beros bohrende Augen zu sehen. Ein junger Seemann kam an ihnen vorbei, wischte das Deck. Ein weiterer kletterte rechts von ihnen die Seile hoch zum Ausguck. An der Reling gegenüber unterhielten sich zwei Kaufmänner. Die anderen waren vermutlich in ihren Kajüten oder dem gemeinsamen Schlafraum, je nachdem, wie viel sie für die Überfahrt bezahlt hatten. Nur der Kapitän thronte am Steuer.
»Der Staufer hat nichts dagegen einzuwenden?«
Johann schüttelte den Kopf.
Bero seufzte. »Er muss dich sehr lieb haben, unser werter König.«
Wenn er mich lieb gehabt hätte, hätte er mich nicht gezwungen, an diesem Krieg teilzunehmen, dachte Johann bitter. »Er hat es versprochen. Ich begleite ihn nach Jerusalem und im Gegenzug stellt er mir einen Freibrief für Theodora aus. Es waren genügend Zeugen zugegen. Konrad kann es sich nicht erlauben, sein Versprechen zu brechen.«
»Nun, aber du hast deines gebrochen.«
Überrascht starrte Johann ihn nun doch an.
Bero lächelte nachsichtig. »Wir sind nie nach Jerusalem gekommen. Und du bist nun nicht bei ihm geblieben. Hast du keine Angst, dass er sich anders entscheidet?«
Johann krallte die Finger in seinen Mantel. Zwischen zusammengebissenen Zähnen presste er hervor: »Das würde er nicht tun. Es spricht nichts dagegen, dass ich Theodora heirate. Ihre Familie hat einen untadeligen Ruf. Sie hat sich nichts zu Schulden kommen lassen.« Bis auf ihre Krankheit, aber von der wusste Gott sei Dank ja niemand!
»Nun, dann hast du keinen Grund, besorgt zu sein, oder?« Er zwinkerte.
Johann schnaubte und zischte: »Davon verstehst du nichts, alter Mann!« Er stieß sich von der Reling ab und ging auf die Tür zu, die unter Deck führte.
»Wo willst du hin?«, rief Bero ihm nach.
»Ich schaue nach den Pferden!« Und lenke mich von deinen dummen Bemerkungen ab. Zornig ballte er die Hand zur Faust. Wahrscheinlich war es genau das, was ihm Angst machte. Er war zu weit von Theodora entfernt, konnte sie nicht schützen. Hoffentlich hatten sich die Gedächtnisschwünde und die Nächte, in denen sie stöhnte und ächzte und ab und an zuckte, in Grenzen gehalten. Wenn irgendjemand etwas davon mitbekommen hatte …
Hastig schüttelte er den Kopf und vertrieb den Gedanken. Konrad hatte versprochen, ihm den Freibrief auszustellen. Salzburg. In etwas mehr als zwei Monaten. Bald hatten sie es überstanden.
Kapitel 02
Lorch, 05.04.1149
Müde drehte Theodora den Kopf zur Seite. Rötliches Licht fiel durch ihre geschlossenen Lider und die Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nase. Tief atmete sie durch. Die Luft in der Stube war angenehm frisch und eine leichte Brise streichelte ihre Wangen. Sie zog die Decke bis unter ihr Kinn, schlang die Arme um die Leinen und schlug die Augen auf.
Das Fenster der Schlafkammer stand offen. Vor drei Tagen hatte ihr Vater die Kuhhäute entfernt, damit sie die Osterprozession von ihrem Fenster aus beobachten konnte, ehe sie gemeinsam mit den übrigen Lorchern, den Bauern, den Mönchen und den sieben Stiftspfarrern die Auferstehung Jesu gefeiert hatte. Ob ihr Vater auch die Klappläden geöffnet hatte? Sicherlich. Wahrscheinlich hatte er gedacht, dass ihr die frische Luft guttun würde.
Seufzend starrte Theodora zum Gebälk. Vergangene Nacht war es wieder passiert. Sie hatte gezuckt. Wie eine Besessene. Sie schauderte. Besessen. Ihr Vater hatte es bisher nur ein einziges Mal gesagt, am Morgen, nachdem er das erste Mal dabei gewesen war. Er hatte ihr alles genau beschrieben, wie sie sich wand und um sich schlug. Als ob dich der Teufel in seinen Klauen hält. Er hat seine Häscher nach dir ausgesandt. Du bist von einem bösen Geist besessen. Wiederholt hatte er die Worte nie, aber er war nach wie vor überzeugt, dass sie gegen Dämonenmächte kämpfte. Das sah sie an seinem Blick.
Theodora presste die Lippen aufeinander. Ihr Vater trieb sie noch in den Wahnsinn. Sicher, er kannte sich mit den Heiligen Schriften bemerkenswert gut aus, aber nur, weil er die Vulgata mehrmals gelesen hatte, bedeutete das nicht, dass er Recht hatte. Johann war bei weitem besser gebildet als er.
»Es ist eine normale Krankheit, nichts weiter. Hab‘ keine Angst.« Seine braunen Augen strahlten sie an. Liebevoll. Umsorgend. Er zog sie an seine Brust und schlang die Arme um ihre Hüfte. Sie zeichnete seine Wangenknochen nach, die dünnen, viel zu hellen Lippen. Lachend griff er nach ihren Fingern und küsste sie.
Theodora seufzte. Wo blieb Johann nur? Dieser vermaledeite Kreuzzug trennte sie schon viel zu lange. Ob Johann etwas zugestoßen war? Wieso war er nicht mit dem Schwaben-Herzog Friedrich letzten Winter zurückgekehrt? Nein, bestimmt ging es ihm gut. Er hatte den Krieg überlebt. Er musste!
Ihr Blick schweifte zum Fenster. Sehnsüchtig. Und angesichts des blauen Himmels wurde ihr das Verbot ihres Vaters einmal mehr mit schneidender Schärfe bewusst: Du wirst das Haus nicht ohne meine Aufsicht verlassen.
Sie fühlte sich jeden Tag elender. Johann hätte sie nie zu so etwas gezwungen. Ihre Augen brannten. Sie unterdrückte ein Schluchzen und spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief. Ruppig wischte sie sie weg. Schluss damit! Johann ging es gut. Spätestens im Sommer war er wieder bei ihr, ganz gewiss!
Entschlossen schälte sie sich aus dem Laken und stand auf. Nackt trat sie zu ihrer Kleidertruhe und zog ein hellbraunes Gewand hervor. Nachdem sie es übergestreift hatte, band sie die Kordel um ihre Taille, schlüpfte in die Holzschuhe und griff nach ihrem Kamm. Mit den Zinken kämpfte sie sich durch das dichte Lockenhaar, während sie zum Fenster ging, um auf das Dorf hinauszublicken.
Mehrere Häuser mit Höfen und Scheunen standen an der Straße. Die Unterkünfte der Bauern. In der Mitte des Dorfes befand sich die Stiftskirche und wenige Ellen entfernt begann die Anhöhe, auf der die Klostergebäude thronten. Der Kirchturm ragte stolz über seinen Schutzbefohlenen empor und die Frühlingssonne streichelte seine weiße Fassade.
Da setzten die Glocken ein. Zum Mittagsgebet? Hatte sie den ganzen Vormittag verschlafen? Zornig krallte sie die Hände in den Kamm und zog ihn schneller durch ihre Haare. Sie hatte wertvolle Zeit verloren. Mit Sicherheit war die Wäsche nicht gewaschen und die Küche - daran wollte sie gar nicht denken!
Sie wandte sich um, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. War ihr Vater im Hof? Die Hühner gackerten, schlugen wild mit den Flügeln und rannten umher. Verwirrt lehnte Theodora sich weiter vor, versuchte, einen besseren Blick auf die Tiere zu erhaschen.
Der Kamm rutschte vom Fensterbrett.
Polternd fiel er auf das Dach des Hühnerstalles, schlitterte die Schräge herunter und landete zwischen den aufgebrachten Tieren. Theodora biss sich auf die Unterlippe und sah sich verstohlen um. Anscheinend hatte niemand den Lärm bemerkt. Die Bauern waren auf den Feldern, die Pfarrer und Mönche beim Mittagsgebet. Besser, sie holte den Kamm sofort zurück.
Auf dem Absatz machte sie kehrt und eilte aus ihrer Stube, die Treppe hinunter. Im Vorbeihuschen warf sie einen Blick in Wohnstube und Küche. Niemand zu sehen. Ob ihr Vater außerhalb aß? Normalerweise wartete er, bis sie wieder zu sich kam, aber vielleicht war sie zwischendurch bei Bewusstsein gewesen und konnte sich nur nicht daran erinnern. Wäre auch nicht das erste Mal, dass ich etwas nicht mehr weiß, dachte Theodora bitter.
Sie öffnete die Tür und trat in die laue Frühlingsluft hinaus. Im Vorhof, der von einem niedrigen Holzzaun umgeben war, blühten die ersten Krokusse und Narzissen. Wehmütig lächelte Theodora. Wenn sie doch öfter hier draußen sitzen und die Natur genießen könnte.
Eine Henne gackerte und floh an ihr vorbei.
Zwei rannten der ersten hinterher. Sie rannten im Kreis, schlugen mit den Flügeln und kehrten dann um die Ecke zu ihrem Verschlag zurück, nur, um im nächsten Augenblick wieder von dort hervorzuschießen. Theodora runzelte die Stirn.
Sie ging zu dem Hühnerstall, wurde unwillkürlich schneller, rannte beinahe. Irgendetwas stimmte da nicht. Sie trat zum Verschlag.
Nichts zu sehen.
Da stand das Häuschen mit dem Schrägdach, und die Hennen und ein Hahn rannten über den matschigen Platz, zum Zaun und an ihm entlang, dann wieder zurück durch den kleinen Vorhof. Aber sie hielten sich alle nervös vom Stall fern. Neugierig trat Theodora näher, ging in die Knie und stützte sich auf der Rampe ab, durch die die Hühner in den Stall kamen.
Drinnen war alles leer.
Was hatte sie erwartet? Einen Fuchs? Wieder sah sie zu den Tieren. Ja, irgendetwas in der Richtung. Einen Grund, warum die Tiere sich so verhielten.
»Oder hat Vater euch etwas Falsches zu fressen gegeben?«, scherzte sie und schüttelte den Kopf. »Blöde Viecher!«
Suchend sah sie sich nach ihrem Kamm um. Da lag er ja! Sie griff danach und wollte gerade aufstehen, als sie etwas unter dem Hühnerstall bemerkte. Sie verengte die Augen zu Schlitzen. Doch ein Fuchs?
Theodora steckte den Kamm in die Kordel an ihrer Hüfte, legte die Hände auf den matschigen Boden und linste unter den Stall. War das eines der Hühner?
Überrascht keuchte Theodora.
Um das schmale Federkleid waren Schnüre gebunden, die Hinterbeine zusammengezurrt. Der Geruch nach frischem Blut stieg Theodora in die Nase. Unangenehm verkrampfte sich ihr Magen. Das sah nicht so aus, als ob das Tier von alleine gestorben wäre. Aber wer schlachtete bitte eines ihrer Hühner und versteckte es unter dem Stall?
Sie packte die Hinterbeine und zog den Kadaver hervor. Eine Welle der Übelkeit schwappte über sie hinweg. Sie stand auf und hielt ihn prüfend vor sich. Das Blut am Gefieder war frisch. Die Henne war vollständig verschnürt worden, sogar der Schnabel war zugebunden, doch die Klauen ließen sich problemlos bewegen. Das Tier konnte nicht lange tot sein. Kein Wunder, dass die Viecher so nervös waren. Für sie lag der Geruch nach Tod in der Luft.
»Fräulein?«
Erschrocken zuckte Theodora zusammen. Die Henne rutschte ihr aus der Hand. Sie wirbelte herum, während das tote Tier auf dem Boden aufschlug, und entdeckte Irmgard. Die Bäuerin stützte sich mit einer Hand am Zaun ab, in der anderen hielt sie einen Korb voll Wäsche, drückte ihn gegen ihren runden Leib. Theodoras rasendes Herz beruhigte sich.
Irmgard war ungewohnt bleich. Mit einem Kopfnicken deutete sie auf die Henne. »Schon wieder? Die wievielte ist das jetzt? Die fünfte?« Fassungslos krallte sie die Hände fester in den Zaun. »Was für ein Monster tut so etwas?«
Verwirrt öffnete Theodora den Mund, ohne zu wissen, was sie sagen sollte. Irmgard ging langsam und schwerfällig in die Knie, um den Korb abzustellen.
»Warte!« Hastig trat Theodora zu ihr und griff über den Zaun nach dem Weidekorb. »Soll ich ihn dir ins Haus tragen?«, fragte sie und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge. Das würde ihr Vater gar nicht gerne sehen.
Dankbar lächelte Irmgard. »Das ist sehr freundlich, Fräulein Theodora«, antwortete sie. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und schob gleichzeitig ein Paar ihrer Haarsträhnen unter die Haube zurück.
Theodora winkte ab. »Wie geht es dir?« Das Bauernhaus von Irmgard und ihrem Mann stand der Vogtei direkt gegenüber. Ihr Vater würde hoffentlich nichts dagegen haben, wenn sie ihrer schwangeren Nachbarin half.
Kreisend bewegte Irmgard eine Hand über ihren gewölbten Bauch. »In letzter Zeit bereitet es mir etwas Mühe, dieser Quälgeist.« Sie schluckte. Dann deutete sie ein weiteres Mal auf die Henne: »Sagt besser Eurem Vater Bescheid. Herr Heinrich sollte das wissen. Nicht, dass die Henne wieder in den Wald mitgenommen und …« Sie zögerte einen Moment und das Wort kam ihr schwer über die Lippen: »aus-geblutet wird.«
»Ausgeblutet?«
Irmgard hob ihre Brauen. »Hat Heinrich Euch nichts gesagt?«
Theodora schüttelte den Kopf. »Erzähl es mir auf dem Weg«, sagte sie und trat zu dem Törchen in dem niedrigen Zaun.
»Und was ist mit der Henne?«, widersprach Irmgard.
Einen Moment zögerte Theodora. Dann stellte sie rasch den Korb ab, eilte zu dem Kadaver und legte ihn auf das Dach. Ein dünner Blutfaden rann vom Gefieder über die Schräge, tropfte auf die Steige. Theodora schauderte.
Schnell ging sie zu dem Korb und verließ den Vorhof. »Also, erzähl, was ist passiert?«, fragte sie neugierig.
»Ich kann noch immer nicht glauben, dass Euer Vater Euch nichts erzählt hat, Fräulein. Es ist bald einen Monat her, dass die erste Eurer Hennen getötet wurde.«
»Und der Schlachter lässt sie zurück?«, bohrte Theodora nach.
Sie gingen den Weg entlang zum Bauernhaus ihrer Nachbarin.
Irmgard schüttelte den Kopf. »Es ist alles höchst sonderbar«, murmelte sie und senkte die Stimme, sodass Theodora sich zu ihr beugen musste, um sie genau zu verstehen: »Wenn Ihr mich fragt, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten entweder, Ihr habt einen Feind, der Eurem Herrn Vater und Eurer Familie das Leben schwer machen möchte oder aber …« Ihr Blick wanderte den Weg hinauf zum Klostergemäuer.
Erstaunt folgte Theodora ihr. Hatte sie etwas gesehen? Da bog die Bäuerin nach rechts und trat zu dem Wohngebäude neben den Stallungen mit den Ziegen. Hinter dem Haus hatte sie Seile für die Wäsche aufgespannt.
»Was hast du denn?«, drängte Theodora. »Was ist die andere Möglichkeit?«
Irmgard zuckte mit den Schultern. »Im Dorf munkeln einige, dass es kein Mensch ist, der die Tiere tötet. Es würde passen, weil …« Sie unterbrach sich selbst: »Aber wir sind zu nahe am Kloster und die Kanoniker sind auch noch hier. Der Abt oder der Dechan hätte längst etwas unternommen, meint Ihr nicht?«
»Bei Vater?« Theodora lachte auf. Kein Mensch. Böse Geister! Was immer es ist … »Du kennst Vater doch. Er würde es niemals zulassen, dass sich die Geistlichen in seine Angelegenheiten einmischen. Sie verstehen sich, solange jeder seinen Aufgaben treu bleibt. Der Abt kümmert sich um die Mönche. Mein Vater kümmert sich um euch Bauern. Und der Dechan und seine Pfarrer sorgen für das Seelenheil ihrer Schäfchen in den Dörfern ringsum. Die sind doch sowieso kaum da. Vater wird es als gewöhnlichen Diebstahl behandeln, ganz gleich, wie sonderbar die Geschehnisse sein mögen.«
»Was Euren Vater anbelangt, gebe ich Euch Recht. Allerdings bin ich mir sicher, dass der Abt oder der Dechan etwas unternommen hätte, wenn es etwas Teuflisches wäre«, beharrte die Bäuerin.
»Wissen sie überhaupt davon?«, warf Theodora ein.
»Oh ja! Ich habe neulich gehört, wie sich Abt Crafto mit einem seiner Mönche darüber unterhielt. Er betet wohl dafür, dass der Schuldige bald gefunden wird. Der Dechan hat das ihm überlassen, mit Eurem Herrn Vater will der sich nicht anlegen.«
Es versetzte Theodora einen unangenehmen Stich der Eifersucht. War sie die Einzige, vor der ihr Vater es verheimlicht hatte? »Sicherlich hat Vater es so dargestellt, als ob es nichts Schlimmes wäre.« Und glaubt es selbst nicht. Sie zitterte. Unbändiger Geist. Theodora, was, wenn es ein Dämon ist?
Schluss damit! Wer sagte, dass diese Hühnerschlachtungen etwas mit ihr zu tun hatten? Kein Mensch … »Was meintest du vorhin? Was spricht dafür, dass es ein … was auch immer ist … ein Tier vielleicht?«
Irmgard musterte sie. Es erschien Theodora wie eine Ewigkeit, ehe die Bäuerin stockend antwortete: »Den … Hühnern fehlt nichts, also, keine Gliedmaßen. Sie werden nicht gegessen. Aber sie werden ausgeblutet und von dem Blut fehlt jede Spur. So hat man zumindest die bisherigen Hennen gefunden. Eure heute war da eine Ausnahme. Und, nun ja … Blut …«
Wer ergötzt sich am Blut, wenn nicht die Mächte des Bösen? Steif nickte Theodora. Sie hatte verstanden …
Irmgard bückte sich nach der Wäsche.
Ob sie mit ihrer Vermutung Recht hatte? Für einige Herzschläge schloss Theodora die Augen. Es muss nichts mit dir zu tun haben, ermahnte sie sich und ging der Bäuerin zur Hand.
Unruhig wälzte sie sich in ihrem Bett. Die Mondsichel hing tief am Himmel, strahlte, von wenigen Wolken umhüllt, durch ihr Fenster. Sie starrte an die Giebel.
Ein Gesicht mit Hörnern raste auf sie zu, glühend rote Augen, weit aufgerissenes Maul.
Theodora schloss die Augen. Ihr Atem ging flach.
Ganz ruhig, Thea. Du bildest dir etwas ein, das bildest du dir nur ein. Alles Einbildung! Bitte, Herr, Vater unser, pater noster, qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum …
Vater … Lautlos schluchzte sie auf. Warum konnte er nicht für sie da sein? Ich habe keine Zeit. Es tut mir leid, Theodora, aber sie brauchen mich auf den Feldern. - Ich bin mit Heintz verabredet, geh ruhig schlafen, wir sehen uns morgen. Und nach einem Abschiedskuss war er am Abend genauso verschwunden wie am Mittag.
Zornig wischte sich Theodora die Tränen aus den Augen. Sie musste stark bleiben. Tief atmete sie durch. Keine Dämonen. Es waren keine Dämonen. Es waren nur Schwächemomente. Genau! Keine …
Ein dumpfer Schlag ertönte.
Theodora saß aufrecht in ihrem Bett.
Gezeter drang aus dem Hof zu ihr hinauf. Die Hühner!
Theodora warf die Decke zur Seite und sprang auf, hastete zum Fenster. Sie öffnete den Riegel, der die Klappläden verschloss und schob sie einen Spalt auseinander, spähte ins Freie und erstarrte. Panisch krallte sie die Nägel in das Holz. Ihre Augen waren fest auf das Geschehen im Hof gerichtet.
War es ein Mann? Oder eine Frau? Oder doch etwas ganz anderes? Was auch immer trug einen Mantel, tief umhüllt, die Kapuze ins Gesicht gezogen. Und da, eines der Hühner. Es war verschnürt. Der Unbekannte schwenkte es über seinem Kopf, rief unsinnige Worte. Das Mondlicht verfing sich in dem Gefieder. Die Kapuze verzog sich, und für einen Herzschlag meinte sie, rote Augen aufblitzen zu sehen.
Theodora stürzte auf die Knie. Keuchte.
Die Bodendielen verschwammen vor ihrem Blick. Schemen. Sie schloss die Lider, legte den Kopf in den Nacken, versuchte, ruhiger zu atmen. Es ging nicht. Dämon!
Ihre Hand rutschte vom Fensterrahmen. Mit dem Arm schlug sie auf den Boden, lag seitlich, zuckte. Wieso bekam sie das mit?
Krampfhaft presste sie die Lider zu. Ihr Bewusstsein kippte, und dann starrte sie plötzlich auf unebene, feste Erde herab. Sie stand im Hof, über ihr der Sternenhimmel und dieses Ungetüm - keine zehn Ellen von ihr entfernt.
Die Hühner krächzten und flatterten mit den Flügeln, rannten um das Monster, das eines von ihnen über seinem Kopf schwang. Im nächsten Moment zückte es einen Dolch. Blut rann über die Schneide, tropfte vom Heft. Eine pelzige Zunge tanzte über die Klinge, während die toten Augen des Huhnes sie vorwurfsvoll musterten.
Die Kapuze verschwand und sie hatte das Gesicht des Dämons vor sich. Harte Haut, von Narben und Furchen entstellt, schimmerte gräulich wie die Hörner von Ziegen. Er grub seine spitzen Eckzähne in die Wunde, saugte, trank das Blut der Henne. Schlürfen, schlucken, schmatzen.
Und dann schnüffelte die flache Nase und er bemerkte sie.
Mit einem Satz stand er vor ihr, packte sie an den Schultern und rüttelte sie. Theodora kreischte. Er sperrte sein Maul auf. Widerlicher Gestank schlug ihr entgegen. Schwefel? Die pelzige Zunge bewegte sich in der Mundhöhle. Die spitzen Eckzähne funkelten. Mit aller Kraft trat Theodora nach ihm. Er stolperte zurück, landete im Matsch.
Doch er richtete sich sofort wieder auf.
Theodora schluchzte. »Nein«, flüsterte sie. »Bitte nicht. Oh Gott, bitte nicht.«
Er kam auf sie zu.
»Bitte, bitte.« Ihr war schwindelig. Sie sank auf die Knie, versuchte, sich abzustützen, rutschte weg, fiel. Tränen brannten auf ihren Wangen. »Johann …«, hauchte sie und die Welt um sie herum verlor sich in Schwärze.
Kapitel 03
Lorch, 06.04.1149
Ihre Lider flatterten. Theodora stöhnte. Sie fühlte sich matt und verschwitzt. Wo war sie? Vor ihren Augen verschwammen Holzbretter und ihre Finger tasteten über grobes Leinen. Sie krallte sich in der Decke fest. Allmählich nahm ihre Umgebung Form an. Die schrägen Dachgiebel. Sie lag in ihrem Bett!
Ein Lappen schob sich in ihr Blickfeld. Theodora zuckte zusammen, als das kalte Tuch ihre Stirn berührte. Ängstlich folgte sie dem Arm, der den Lappen hielt. Beruhigend lächelte ihr Vater ihr zu und Theodora entspannte sich. Kein Dämon. Unwillkürlich kehrten die Erinnerungen zurück. Raue Zunge. Glutrote Augen. Platte, schnüffelnde Nase. Blut, das vom Dolch tropfte. Ein Zittern erfasste ihre Glieder.
»Ganz ruhig, es ist alles gut«, murmelte ihr Vater, doch sie erkannte hinter der lächelnden Grimasse, dass er selbst besorgt war. Über seinem rechten Auge zuckte die Braue. »Wie geht es dir?«
Theodora schluchzte auf. Sofort zog er seine Hand weg, doch sie griff danach, umklammerte sein Handgelenk. Ihre Augen brannten und die Tränen schmerzten auf ihren Wangen. Der Dämon war weg. Er hatte sie nicht mitgenommen, aber er war da gewesen. Ein Dämon. Höllengeist. Satansbrut. Wie ihr Vater gesagt hatte. »Ich habe ihn gesehen, Vater, oh Gott, ich hab’s gesehen. Er hat die Hühner geschlachtet.« Sie weinte. Und dann hatte das Biest sie angegriffen.
Ihr Vater befreite sich aus dem Klammergriff und legte den Lappen beiseite. Dann beugte er sich über sie und streichelte ihre Locken. »Ganz ruhig, Thea. Versuch dich zu erinnern. Was hast du gesehen?«
»Dämon«, schniefte sie.
Seine braunen Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er presste die Lippen aufeinander und spannte den Kiefer an, sodass seine Bartstoppeln hervortraten. Doch er schwieg.
Theodora schloss die Augen. Sie ertrug seinen Anblick nicht. Bei der heiligen Mutter Gottes, saß dieses Biest wirklich in ihr? Beherrschte es sie? Oder war sie ihm entkommen, weil sie sich an die Liebe zu Johann geklammert hatte?
»Was ist passiert, Thea?« Die dunkle Stimme, einfühlsam.
Tief atmete sie durch, ehe sie stockend begann: »Ich konnte nicht schlafen. Hab … nachgedacht. Und dann war da dieses Geräusch. Und die Hennen. Ich bin aufgestanden. Da stand er im Hof. Hat einen Mantel getragen. Das Gesicht verhüllt. Ich … bin zusammengebrochen. Und plötzlich stand ich unten im Hof. Ich hab keine Ahnung, wie ich da hingekommen bin, ehrlich nicht, aber er war da, er hat die Henne getötet und ihr Blut getrunken und …«
»Thea, sieh mich an!«, unterbrach ihr Vater sie.
Vorsichtig schlug sie die Augen auf.
Er streichelte sie wieder. Seine rauen Finger, so sanft. »Es war ein Albtraum.«
Überrascht musterte Theodora das müde Gesicht ihres Vaters. Fettige Haarsträhnen klebten ihm an der Schläfe. Seine Lippen waren spröde. Seine Augen rot unterlaufen. Er wirkte erschöpft.
»Ich habe ihn gesehen«, nuschelte sie. »Ich war unten im Hof. Er ist auf mich zugekommen.«
Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Du hast dein Zimmer nicht verlassen. Keine Ahnung, wen oder was du davor gesehen hast, vielleicht den Dieb, aber du warst nicht im Hof. Du bist hier zusammengebrochen und lagst auf dem Boden, hast gezuckt und gestöhnt, wie immer. Du hast mich zurückgeschleudert. Vielleicht hast du mich für den Dämon gehalten. Und du hast Johanns Namen gemurmelt. Danach ist es noch schlimmer geworden mit deinem Zucken. Ich habe gewartet. Und dich ins Bett gelegt, nachdem du dich beruhigt hast.«
Fassungslos starrte Theodora ihn an. Er bestätigte ihre Geschichte nicht? Ausgerechnet er, der so sicher war, dass sie von teuflischen Mächten besessen war. »Du glaubst mir nicht.«
»Natürlich glaube ich dir. Sicher hat der unbändige Geist dir das vorgegaukelt. Er versucht, dich zu beeinflussen, aber du musst nur glauben, Theodora. Der Glaube hilft dir. Er ist schon dabei, dich zu befreien. Seine heilende Kraft …«
»Blödsinn!«, unterbrach Theodora ihn aufgebracht und drückte seine Hand weg. »Er heilt mich nicht, im Gegenteil. Es wird immer schlimmer. Und jetzt noch diese Hühner. Wo führt uns das hin?« Fahrig wischte sie sich über die verklebten und verschwitzten Wangen und spürte gleich darauf den kühlen Lappen an ihrer Haut. Dankbar nahm sie ihn ihrem Vater aus der Hand und rieb sich das Gesicht.
»Der Herr wird dich aus deiner Not erretten. Schau, heute Nacht ist nicht einmal ein Tier getötet worden. Du hast geträumt.«
Kein Tier verschwunden? »Wie die letzten vier Wochen?« Der Vorwurf in ihrer Stimme überraschte sie selbst ein wenig.
Zögernd biss sich ihr Vater auf die Unterlippe.
»Warum hast du mir nichts erzählt?«, drängte sie.
»Ich wollte dich nicht beunruhigen. Es hat nichts mit dir zu tun. Dass die Hennen verschwinden, ist sonderbar, aber nichts, weswegen du dich sorgen solltest. Ich wollte dir keinen Kummer bereiten und es war offenbar nicht verkehrt, wenn der Teufel dir nun solche Bilder im Traume zeigt.«
Theodora zitterte. Nur Traumbilder? Oh, hoffentlich hatte ihr Vater Recht.
»Woher weißt du eigentlich von den Hennen?«, fragte er.
»Ich habe gestern eine unter dem Stall gefunden.«
»Du warst am Stall?«, brauste er auf. »Du sollst das Haus doch nicht ohne mich verlassen.«
»Was spielt das für eine Rolle? Ich war doch nur im Hof.« Und anschließend bei Irmgard, aber das erzählte sie ihm besser nicht.
»Schon gut, entschuldige«, murmelte ihr Vater und strich sich durch die fettigen Haare, seufzte. »Gut, in Ordnung, und woher weißt du, dass das nicht das erste Mal war?«
»Irmgard hat es mir erzählt. Ich wollte noch am Abend mit dir reden. Du hattest keine Zeit.«
»Es tut mir leid. Ich hätte bei dir bleiben müssen. Es ist nur so viel in letzter Zeit.«
»Ich weiß«, murmelte Theodora versöhnlich. »Hast du die Henne weggebracht? Als ich zurückgekommen bin, lag sie nicht mehr auf dem Dach.«
Abwehrend hob ihr Vater die Hände. »Ich habe nichts getan. Der Dieb muss sie geholt haben.« Und leiser setzte er hinzu: »Vielleicht finden wir sie in ein paar Tagen wieder im Wald.«
Theodora schauderte. Dieb - oder doch Dämon? Wer labte sich am Blut wenn nicht die Diener des Teufels? »Hast du mit dem Abt oder dem Dechan darüber gesprochen?« Kaum war die letzte Silbe über ihre Lippen gekommen, bereute sie die Frage bereits.
Die Miene ihres Vaters verdüsterte sich. »Der Dechan hält sich heraus, und ich bezweifle, dass die Gebete unseres ach so frommen Abtes etwas an unserer Situation ändern würden. Ich kenne die Schriften und den Willen Gottes selbst gut genug.«
»Verzeih mir, das wollte ich nicht in Zweifel ziehen.«
»Schon in Ordnung. Es ist nur …« Tief atmete er durch. »Unser Heiliger Vater würde es als Blasphemie bezeichnen und König Konrad wäre nicht begeistert, also erzähle es niemandem, auch nicht Johann, aber ich vertraue den Mönchen nicht. Und auch nicht diesen Exorzisten, die meinen, Jesu Heilkraft erlernen zu können. Die Schrift spricht von einer Geistesgabe, nicht von einem Handwerk. Und die Methoden dieser Exorzisten …« Er schauderte. »Sie würden Unmengen an Ritualen durchführen, aber mit Sicherheit würde es nicht das Geringste an deinem Zustand ändern. Ich habe mich umgehört. In Ulm hat einer versucht, einen Jungen zu befreien. Aber er hat es nicht geschafft und die Ulmer hatten nach ein paar Wochen genug von den Schreien des Kindes. Sie haben den Jungen in Stücke gerissen.«
Theodora versteifte sich. Weil sie ihn für besessen hielten. War er es gewesen? War sie es denn? Wieso war ihr Vater nur so sehr davon überzeugt? Nein, das durfte einfach nicht sein. Sie hatte diese Anfälle bereits früher gehabt. In Lorch war es nur heftiger. War der Dämon hier stärker geworden? Sie schauderte. Kein Dämon. Thea, glaub es nicht. Es kann nicht sein!
Heinrich streichelte ihr ein letztes Mal über den Kopf und stand auf. »Ich werde mal sehen, ob Irmgard mit der Suppe fertig ist. Sie hat sich nach dir erkundigt.«
»Du hast es ihr erzählt?«
Ihr Vater winkte ab. »Keine Sorge. Sie denkt, dass du nicht wohlauf bist. Ich werde ihr nichts erzählen. Und das solltest du auch nicht. Versprich mir das, Theodora, und denk an den Ulmer Burschen. Kein Wort. Zu niemandem. Wir stehen das gemeinsam durch.«
Wir. Kämpfen gemeinsam gegen den Ausgesandten des Teufels. Sie ertrug diesen Gedanken nicht. Dennoch blinzelte sie tapfer die Tränen zurück und nickte.
* * *
Heinrich zog die Haustür hinter sich ins Schloss. Der dumpfe Knall jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er riss sich zusammen und überquerte den Hof. Neben ihm scharrte ein Huhn in der Erde, ein anderes saß am Eingang des Stalles. Sein Blick wanderte noch einmal zurück, hinauf zum Fenster der Dachstube. Theodora stand dort.
Er hob die Hand zum Gruß und lächelte ihr zu.
Sie erwiderte es nicht.
Hätte sie doch nur nichts von den Hühnerschlachtungen mitbekommen. Er hatte es ihr ersparen wollen. Dieser furchtbare Geist plagte sie genug. Und nun suchte das Biest sie sogar in ihren Träumen heim. Ein grausames Spiel, das der Höllendiener mit seiner Tochter trieb.
Heinrich wandte sich nach links zum Haus seines Bauern und Freundes David. Wer weiß, dachte er. Vielleicht hat sie es ja bald überstanden. Es war eine Hoffnung, an die er sich klammerte, dass Gott sich ihrer erbarmen und den Teufel in seine Schranken weisen würde.
Seine dunklen Augen wanderten über den Vorhof des Hauses, zum Ziegenstall. Die Tür quietschte und ein Mädchen kam heraus gesprungen.
»Mama, Mama«, rief sie. »Mama, die Frieda ist weg, die Frieda ist weg.«
Heinrich blieb unvermittelt stehen.
Irmgard kam hinter dem Haus hervor und kniete sich zu ihrer achtjährigen Tochter. »Maria? Was redest du denn da?«
»Die Frieda ist weg«, wiederholte die Kleine und deutete zum Ziegenstall.
»Unfug, wo soll sie denn hin sein?«, erwiderte Irmgard und bemerkte nun Heinrich. »Grüß Euch Gott, Herr Heinrich! Die Suppe ist beinahe fertig, ich schaue nur eben nach der Ziege.«
»Soll ich dich begleiten?«, bot Heinrich an.
»Ach, das Mädel hat doch nur keine Lust, die Ziegen zu füttern. Und deshalb lügt sie, ganz ungezogen.« Sie kniff ihre Tochter in die Wange.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Sie ist wirklich weg!«
»Ja, schon gut, nun geh rein und füll dem Herrn Vogt die braune Schüssel mit der Suppe, aber pass auf, dass du dich nicht verbrennst!« Artig nickte das Kind und rannte ins Haus, während sich die schwangere Bäuerin in Richtung Stall wandte. Unwillig schnaubte sie. »Jetzt hat sie sogar die Tür offen gelassen. Diese Göre!« Sie schritt auf den Stall zu.
Heinrich eilte neben sie und trat mit ihr ein. Links im Verschlag stand eine Ziege, die rechte Hälfte hingegen war leer. Die Kleine hatte nicht gelogen.
Irmgard runzelte die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften. »David wollte sie erst heute Abend aufs Gras treiben. Was denkt Ihr, Herr Vogt? Glaubt Ihr, jemand hat sie gestohlen?« Schlagartig weiteten sich ihre Augen und sie schlug die Hände vor den Mund. »Wie Eure Hühner.«
Unbehaglich zuckte Heinrich mit den Schultern. »Möglich.«
Die Augen der schwangeren Bäuerin füllten sich mit Tränen. Sie schluchzte. »Heilige Mutter Maria, zuerst die Hühner, jetzt unsere Ziege. Was für ein Ungeheuer ist das bloß? Will es uns alle vernichten? Und ich bin doch schwanger. Und die Kinder müssen doch versorgt werden. Und - oh Gott …« Ihre Brust hob und senkte sich viel zu schnell, der Atem ging stoßweise.
Heinrich trat vor und packte sie an den Oberarmen. »Beruhig dich, Irmgard, bitte!«
Sie wimmerte. »Aber er vernichtet uns. Wer auch immer das tut. Er nimmt uns allen das Leben.«
Heinrich schüttelte den Kopf. »Niemand nimmt dir das Leben. Dir wird nichts passieren, hörst du, Irmgard. Ich verspreche es dir. Schau, ich gebe David Geld. Er soll nach Ulm gehen und auf dem Markt eine neue Ziege kaufen.«
Irmgards Augen weiteten sich. Sie schniefte. »Das … nein, das kann ich nicht annehmen.«
»Doch! Ich bestehe darauf. Es sind meine Ländereien, also trage ich die Verantwortung.«
»Aber Ihr habt keinerlei Verpflichtungen …«
»Ich weiß«, unterbrach Heinrich sie. »Sieh es als Zeichen dafür, wie sehr ich die Freundschaft zu dir und deinem Mann schätze. Ich mag dein Vogt sein, Irmgard, aber vor König Konrad bin ich genauso ein unfreier Mann wie du.«
»Gott sei Dank hat der Herr Euch als unseren Vogt eingesetzt«, flüsterte Irmgard, »Euer Vater hätte sicherlich uns für die Misere verantwortlich gemacht. Und wie ich Euren Bruder kannte …«
Abwehrend hob Heinrich die Hand. Sein Herz pochte hart gegen seinen Brustkorb. Er wollte das nicht hören! Nicht mit seinem Vater und seinem Bruder verglichen werden. Nicht an sie erinnert werden. »Nimm es einfach an«, sagte er und verließ den Stall. Vor dem Haus wartete die kleine Maria mit der Suppe. Heinrich nahm ihr die Schüssel ab und kehrte nach einem letzten Nicken in Richtung Irmgard zu seinem Haus zurück.