Abby Green
Verliebt in Monte Carlo
IMPRESSUM
JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
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© 2007 by Abby Green
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 1795 (1/2) - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe
Fotos: RJB Photo Library
Veröffentlicht im ePub Format im 03/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86349-492-6
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
London, November
In der nachtschwarzen Dunkelheit des späten Novembers traten die funkelnden Lichter des exklusiven Londoner Hotels besonders strahlend hervor. Maggie Holland stand direkt vor der gläsernen Drehtür. Ihr Herz klopfte im Hals, die Knie zitterten, die Hände waren feucht, und über ihren Rücken rann Schweiß.
Unter der Fülle glänzender Locken, die mit unzähligen Nadeln hochgesteckt waren, klopfte es schmerzhaft hinter ihrer Stirn. Mit klammen Fingern zog sie den viel zu kurzen Regenmantel fest um sich. Doch obwohl der eisige Wind peinigend um ihre Beine fegte, schaffte sie es nicht, sich aus ihrer Erstarrung zu lösen.
Gleich hinter ihr stieg ein Paar aus einem Taxi und flüchtete sich in den Schutz des ausladenden Schirmes, den der Hotelportier beflissen aufgespannt hatte. Er hieß die Gäste in gebrochenem Deutsch willkommen, dann kam die ganze Gruppe auf Maggie zu. Sie musste sich bewegen, so viel stand fest. Entweder sie betrat die Lobby hinter der Glaswand, oder sie ging zur Seite, um die anderen vorbeizulassen.
Urplötzlich wich die Erstarrung von ihr. Mit einem tiefen Atemzug stieß sie die Drehtür auf und betrat das warme Foyer.
In der gleichen Sekunde sah sie ihn. Unmöglich, ihn nicht wahrzunehmen, da er, wie gewohnt, alle Blicke auf sich zog. Zum Glück stand er mit abgewandtem Gesicht zu ihr und sprach mit irgendjemand – deshalb blieb ihr Eintritt unbemerkt. Maggie war froh über den unverhofften Aufschub. So erhielt sie wenigstens eine geringe Chance, sich zu sammeln und ihre zitternden Nerven unter Kontrolle zu bekommen.
Und ihn unauffällig beobachten zu können …
Wie er lässig mit den Händen in den Hosentaschen dastand, wobei sich der Stoff seiner maßgeschneiderten Hose über der wohlgeformten Kehrseite spannte, konnte man ihn eher für einen Athleten als für das geniale Finanzgenie halten, das mit Millionen jonglierte wie ein Artist mit seinen Bällen.
Einige redeten sogar von Milliarden!
Ein Tycoon, dem der Ruf eines … wenn nicht sogar des innovativsten und erfolgreichsten Geschäftsmannes Europas anhaftete.
Bis vor zwei Wochen, als sie ihm im Haus ihres Stiefvaters begegnet war, hatte Maggie noch nie von Caleb Cameron gehört. Nur auf Wunsch ihrer Mutter, die dringend ihre Unterstützung benötigte, war sie überhaupt dort erschienen. Caleb war einer von mehreren Geschäftsleuten gewesen, die sich in den letzten zwei Wochen zu augenscheinlich bedeutsamen Meetings bei ihrem Stiefvater eingefunden hatten.
Während dieser Zeit stand Maggie ihrer Mutter fast jeden Tag zur Seite, um die Gäste zu bewirten und zu betreuen. Und seitdem wurde jede Minute jedes einzelnen Tages – und der Nächte – von Gedanken an diesen unglaublich attraktiven, dynamischen Mann beherrscht, der ein offensichtliches Interesse an ihr zeigte.
Beweis dafür war das für heute arrangierte Treffen …
Ein Date, zu dem sie gezwungen wurde. Maggie presste die Lippen zusammen und schluckte heftig. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte, sich aus diesem Dilemma zu befreien, befürchtete aber, in der ersten Sekunde von ihm durchschaut zu werden. Fast hoffte sie es sogar. Hieß es nicht, er habe einen rasiermesserscharfen Verstand? Und trotzdem erwartete man von ihr, dass sie …, nein, befahl man ihr, dass sie …
Maggie fühlte heftige Übelkeit aufsteigen und schloss die Augen. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre geflohen. Doch das durfte sie nicht. Denn an die Konsequenzen, die das für die einzige Person, die ihr wirklich nahestand, zur Folge hätte, mochte sie erst gar nicht denken. Sie hatte keine Wahl.
„Maggie.“
Wie ertappt riss sie die Augen auf. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Jetzt stand er vor ihr wie eine große geschmeidige Dschungelkatze, bereit zum Sprung … oder bildete sie sich das nur ein? Maggie straffte ihren Rücken und begegnete scheinbar gelassen seinem Blick.
„Verzeihung, Caleb. Hoffentlich habe ich Sie nicht zu lange warten lassen.“
Er musterte sie langsam von Kopf bis Fuß und hob leicht die Schultern, während Maggie unter seinem abschätzenden Blick fast der Atem stockte. „Die paar Minuten Verspätung waren eher eine angenehme Überraschung. Ich bin es gewohnt, sonst viel länger auf Frauen warten zu müssen.“
Instinktiv wusste Maggie, dass er log. Keine Frau würde diesen Mann freiwillig warten lassen. Es fiel ihr schwer, dem durchdringenden Blick aus diesen unglaublich azurblauen Augen standzuhalten. Ihre Knie wurden schwach, und das Blut floss wie glühende Lava durch ihre Adern. Ein verstörender Effekt, den allein Calebs Anblick von der ersten Sekunde an auf sie ausgeübt hatte … und der sie unglaublich frustrierte.
Zu dem Zeitpunkt wusste sie allerdings noch nichts von der Rolle, die ihr von ihrem Stiefvater in seinen hinterhältigen Machiavelli-Plänen zugedacht worden war. Der attraktive Fremde war für sie einfach nur Caleb gewesen, der Mann, der sie beeindruckte, wie niemand zuvor … und nicht jemand, den sie betrügen und ausnehmen sollte.
Und als ersten Schritt … verführen.
Maggie schaute in sein dunkles Gesicht und zwang sich zu einem Lächeln. Für einen Sekundenbruchteil gelang es ihr sogar, sich einzubilden, dass Toms finstere Pläne gar nicht existierten. Konnte es nicht wirklich nur ein aufregendes Date sein, zu dem dieser attraktive Mann sie eingeladen hatte? Die Vorstellung ließ ihr Herz schneller schlagen und machte sie atemlos.
Des sehnsüchtigen, etwas bitteren Lächelns, das bei diesem Gedanken um ihren weichen Mund spielte, war sie sich nicht bewusst. Nach heute Abend würde sie Caleb Cameron nie wiedersehen. Dieses Wissen machte es Maggie einerseits leichter, an ihre Illusion zu glauben, andererseits verursachte es ihr einen schmerzhaften Stich im Herzen.
In Calebs ausdrucksvollen Augen blitzte es für einen Sekundenbruchteil gefährlich auf, dann verwandelte sich sein Gesicht zu einer fast nachsichtigen höflichen Maske.
„Wollen wir? Unser Dinner wartet …“
Hier war sie – ihre letzte Chance zu entfliehen …
„Gern“, sagte sie leise.
Auf steifen Beinen folgte sie ihm durchs Foyer und fühlte sich wie auf dem Weg zur Guillotine. Verborgen in ihrer Manteltasche, wog der Zimmerschüssel zu der eleganten Suite, die ihr Stiefvater für sie gebucht hatte, plötzlich schwer wie Blei. Dort oben in diesem Hotel würde der Verführungsakt stattfinden.
Und irgendwo, im Schatten … im Hintergrund, lauerte Tom Hollands Handlanger, der die ganze hässliche Szene aufnehmen sollte.
Guter Gott! Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können?
An der Tür zum Hotelrestaurant zuckte Maggie unter Calebs Berührung zusammen, als er leicht die Hand auf ihre Schulter legte. Die Wärme seiner Finger schien sie durch den Regenmantel und die dünne Spitze der Stola zu versengen, mit der sie versuchte, das freizügige Kleid, das ihr Stiefvater extra für diesen Anlass beschafft hatte, wenigstens zum Teil zu verstecken.
Am liebsten hätte sie den Mantel anbehalten, doch der Maître d’Hotel nahm ihn ihr beflissen lächelnd ab und übergab ihn der Garderobiere. Erneut stieg heiße Panik in Maggie hoch. Sie konnte es nicht tun! Wie sollte sie den Ausdruck auf Calebs Gesicht ertragen, wenn er erst ihren Aufzug sah?
Sie trug nur einen winzigen Slip … das war unter dem fast transparenten Kleid deutlich auszumachen. Nur mit Mühe gelang es Caleb, seinen Blick loszureißen und auf die kunstvolle Frisur zu richten. Ihre hochgesteckten Locken reizten ihn dazu, die Haarnadeln herauszuziehen, um die tizianrote Haarflut über Maggies weiße Alabasterschultern herabfließen zu sehen.
Die Tatsache, dass sie es selbst in diesem billigen provokanten Outfit fertigbrachte, eine wilde, fast schmerzhafte Begierde nach ihrem perfekten Körper in ihm zu wecken, frustrierte und erregte ihn gleichermaßen. Und noch etwas bewegte Caleb – Selbstironie, Spott und Hohn.
Obwohl er genau wusste, wer und was sie war, hatte es einen Moment gegeben, in dem er hoffte … oder sich gewünscht hätte …
Energisch versuchte er, derart alberne und unsinnig romantische Gedanken zu verdrängen und dahin zu verbannen, wohin sie gehörten – in das Reich der Fantasie. Doch eine kleine hartnäckige Stimme in seinem Hinterkopf ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Als er Maggie zum ersten Mal gesehen hatte, war eine Saite in seinem Inneren berührt worden, von deren Existenz er bis dahin gar nichts gewusst hatte. Ihre lebendige Schönheit und ihr süßes schüchternes Lächeln erschütterten sein zynisches desillusioniertes Ego. Von der ersten Sekunde an schien die Luft zwischen ihnen vor sexueller Spannung zu vibrieren. Doch da war noch etwas anderes, nicht Greifbares gewesen – eine Art femininer Unschuld, die ihn gleichermaßen überraschte und irritierte.
Er war es gewohnt, dass Frauen ihm zulächelten, aber stets so offensichtlich und kalkuliert, dass sich nur Abscheu in ihm regte.
Caleb presste die Lippen zusammen, während er Maggie durch den Speisesaal folgte, wobei ihm die neugierigen und begehrlichen Blicke der anderen Männer nicht verborgen blieben. Er brachte es ja selbst kaum fertig, seine Augen von den sexy Kurven unter der dünnen, fast durchsichtigen Seide zu lösen.
Sie heute Abend so vor sich zu sehen, mit dem herausfordernden Hüftschwung, der ihre offenkundigen Absichten gar nicht erst verbarg, ließ ihn an seinem Verstand und seiner Urteilsfähigkeit zweifeln. Wie hatte er nur auf die Idee kommen können, Maggie Holland sei anders als ihre Geschlechtsgenossinnen?
Natürlich sagte ihm seine Erfahrung und männliche Arroganz, dass sie scharf auf ihn war. Beherrschte ihn diese wilde Sehnsucht nicht selbst von der ersten Sekunde an? Aber wie vermessen, sich einzubilden, das einzige Objekt ihrer Begierde zu sein, dachte Caleb zynisch.
Sie war eine exzellente Schauspielerin, das musste man ihr immerhin zugestehen. Allein der Gedanke, dass es ihr fast gelungen wäre, ihn an der Nase herumzuführen, verursachte ihm einen bitteren Geschmack im Mund. Eine derartige Schwäche hatte er sich weder bei seinen geschäftlichen Transaktionen noch bei seinen zahllosen erotischen Intermezzi zwischen New York und Hongkong je zuschulden kommen lassen.
Sein ausgeprägter Instinkt, Selbsterhaltungstrieb und eiserne Kontrolle waren geradezu legendär. Eigenschaften, die es weder ihr noch ihrer Familie erlauben würden, ihn in eine Falle zu locken. Den Hollands stand eine böse Überraschung bevor, wenn sie glaubten, ihn bereits am Haken zu haben …
Maggie war hier, um ihn zu verführen und zu zerstören, daran hatte Caleb nicht den leisesten Zweifel. Die berühmte Venusfalle. Der älteste Trick der Menschheitsgeschichte. Wenn er sich nicht täuschte, war es der Umriss eines Zimmerschlüssels gewesen, der sich durch das dünne Material ihres Regenmantels in der Tasche abzeichnete. Ein Zimmer in diesem Hotel?
Caleb spürte, wie sich erneut heftiger Abscheu in ihm regte.
Doch es gehörten immer zwei zu einem Spiel. Schließlich war auch er hier, um sie zu verführen. Diese kleine Rache oder Entschädigung für seine Fehleinschätzung, was Maggies Charakter betraf, wollte er sich schon gönnen … als eine Art Kriegsbeute. Denn dies hier bedeutete Krieg. Das hatte Caleb in dem Moment für sich entschieden, als er Maggies berechnendes Outfit zu Gesicht bekam.
Sie erreichten ihren Tisch.
Maggie ging auf die andere Seite und warf ihm einen Blick zu, der ihn irritierte und sekundenlang verunsicherte. Unmöglich konnten das Angst und Scham sein, was da in ihren smaragdgrünen Augen aufblitzte, ehe sie den Kopf senkte und Platz nahm.
Zur Hölle! Sie war wirklich gut. Caleb versuchte, das schmerzhafte Ziehen in seinen Lenden zu ignorieren. Er bekam noch Zeit und Gelegenheit genug, um seine brennende Begierde zu stillen. Und Maggie stand ein schmachvolles Erwachen bevor.
Besonders, wenn er als Revanche auch noch ihre gesamte Familie ruinierte. Dann würde er endlich frei sein von seinen unsinnigen romantischen Fantasien und diesem quälenden Verlangen, das sie in ihm wachgerufen hatte.
Nach dieser Nacht würde sie ihn nie mehr vergessen können oder sich wünschen, seinen Weg noch einmal zu kreuzen …
Dublin, sechs Monate später …
„Jetzt müssen wir nur noch das Treffen mit Mr. Murphy hinter uns bringen, dann ist endlich alles erledigt.“
Während sich das Taxi langsam vom Friedhof entfernte, umfasste Maggie auf dem Rücksitz die kalten Hände ihrer Mutter und betrachtete dabei voller Sorge ihr aschgraues Gesicht.
„Ich … ich weiß nicht, ob ich das schaffe …“, gestand die alte Frau mit schwacher Stimme. „Ich empfinde nicht einmal Trauer … ist das nicht schrecklich? Stattdessen bin ich einfach nur froh, dass er endgültig weg ist. Wenn ich daran denke, was ich dir all die Jahre zugemutet habe …“
„Schh, Mum. Es ist vorbei. Er wird keinem von uns beiden je wieder ein Leid zufügen können. Wir sind endlich frei.“
Maggies Herz zog sich schmerzhaft angesichts des trostlosen Ausdrucks und der tiefen Falten im einstmals attraktiven Gesicht ihrer Mutter zusammen. Dabei waren es gerade Camilla Hollands zarte Schönheit und fröhliche Vitalität gewesen, die Tom Holland unwiderstehlich angezogen hatten. Aber noch mehr die stets präsente Rivalität und Eifersucht gegenüber seinem Cousin Brendan, Maggies Vater.
Als Tom nach Brendans Tod versprochen hatte, sich an seiner Stelle um sie und Maggie zu kümmern, wenn Camilla ihn heirate, schien es für Mutter und Tochter die beste Lösung zu sein. Doch gleich nach der Hochzeit zeigte Tom Holland sein wahres Gesicht, voller Heimtücke und Grausamkeit. Und da Scheidung in der konservativen Gesellschaft, in der sie lebten, keine Option war, saß Camilla in der Falle. Bis jetzt.
„Hör zu, Mum, ich glaube nicht, dass du dir unbedingt alle Einzelheiten von Toms Letztem Willen anhören musst. Mr. Murphy kennt uns beide sehr gut, und da du ohnehin die Alleinerbin bist, werden die notwendigen Formalitäten schnell abgewickelt sein.“
„Glaubst du wirklich, Liebes? Ich … wenn ich mich nur ein Stündchen ausruhen dürfte …“
„Aber natürlich. Das kannst du gleich, Mum.“ Maggie legte so viel Stärke und Überzeugungskraft in ihre Stimme, wie sie nur aufbringen konnte, obwohl sie sich selber völlig ausgelaugt fühlte.
Kurz darauf rollte der Wagen durch die Kleinstadt vor den Toren Dublins und bog durch ein breites schmiedeeisernes Tor in die Auffahrt zu einem großen, komfortabel aussehenden Landhaus ein. Maggie atmete erleichtert durch. Der erste Blick auf ihr Elternhaus, gefiltert durch das weiche grünliche Licht im Schatten der umstehenden Bäume, verfehlte nie seine beruhigende Wirkung. Es war der Ort, an dem sie einst mit ihrer Mutter und ihrem viel zu früh verstorbenen Vater gelebt hatte.
Und das einzige Besitztum, worauf Tom nicht seine schmutzigen Hände hatte legen können. Ein Bindeglied zu glücklicheren Zeiten, das ihrer Mutter dabei half, die qualvolle Ehe mit Tom Holland zu überstehen. Hier hatten Maggie und sie die letzten sechs Monate verbracht, nachdem …
Selbst jetzt brachte Maggie es nicht fertig, ohne Schaudern an jene Nacht zu denken. Schmerz und Scham überwältigten sie immer noch wie damals.
Glücklicherweise war es ihr gelungen, ihre Mutter davon zu überzeugen, London gleich am nächsten Morgen zu verlassen. Ehe Tom begriff, dass sein übler Plan nicht funktioniert hatte, war er viel zu tief in geschäftliche Belange verstrickt gewesen, um ihnen folgen zu können. Und jetzt waren sie ihn endlich für immer los.
Er war tot.
Maggie brachte Camilla in ihr Schlafzimmer und stand schon wieder an der Tür, als sie zurückgerufen wurde.
„Was ist, Mum?“ Sie kehrte um und setzte sich zu ihrer Mutter auf die Bettkante.
„Versprich mir, dass du nie jemandem erzählen wirst, was Tom uns angetan hat. Keiner Menschenseele. Ich könnte mit dieser Scham nicht leben …“
Diese eindringliche Bitte hörte Maggie nicht zum ersten Mal. „Natürlich nicht“, antwortete sie fast mechanisch. „Das habe ich bisher nicht getan, also, warum sollte ich es jetzt tun?“
„Versprich es mir, Margaret“, forderte Camilla mit fiebrigem Blick und überraschender Strenge.
„Ich verspreche es.“ Sanft drückte sie einen Kuss auf die Stirn ihrer Mutter. Es war ein Versprechen, das ihr nicht schwerfiel einzuhalten. Nie im Leben wäre sie auf die Idee gekommen, über Tom Holland zu reden, wenn sie es vermeiden konnte.
Maggie war gerade am Fuß der Treppe angelangt, als sie einen Wagen vorfahren hörte. Das musste der Anwalt sein. Sie hängte ihren Mantel an die Garderobe und fuhr sich vor dem Spiegel noch einmal mit den Fingern durchs Haar. Als es an der Tür läutete, öffnete sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
Mr. Murphy war schon der Anwalt ihres Vaters gewesen und hatte mit dem dubiosen Juristengesindel, das Tom Holland außerhalb von Dublin in Rechtsfragen bemühte, nie etwas zu tun gehabt.
Mit einem charmanten Lächeln führte sie den distinguiert aussehenden älteren Mann in den kleinen Salon. „Ich hoffe, Sie entschuldigen meine Mutter, aber sie fühlte sich nicht wohl und hat sich hingelegt.“
„Nichts Ernstes, hoffe ich?“, fragte er mitfühlend.
„Nein, nein“, versicherte Maggie rasch. „Die letzten Tage waren nur sehr anstrengend. Falls ihre Anwesenheit …“
Irritiert brach sie ab, als der Anwalt die Hand hob. „Nein, möglicherweise ist es sogar besser, wenn sie nicht dabei ist“, murmelte Mr. Murphy unbehaglich. Maggie fühlte einen kalten Schauer über den Rücken rinnen und hielt unwillkürlich den Atem an.
Sie hatten sich zu früh in der Sicherheit gewiegt, dass Tom Holland ihnen nichts mehr antun konnte, dessen war sie sich schlagartig bewusst.
„Was wollen Sie damit sagen?“, brachte sie gepresst hervor.
„Setzen Sie sich doch bitte, Maggie. Ich befürchte, ich habe schlechte Nachrichten für Sie.“
Wie betäubt ließ sie sich auf den nächstbesten Stuhl sinken, während der Anwalt bedächtig am runden Tisch Platz nahm, seinen Aktenkoffer öffnete, aber keine Papiere herausnahm. Er schien um Fassung zu ringen, was Maggie nur noch nervöser machte.
„Was … was ist?“
Langsam hob er den Kopf und streckte seine leeren Hände aus, die Handflächen nach oben gerichtet. „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie und Ihre Mutter nichts erben werden.“
Fast hätte Maggie erleichtert aufgeseufzt. Sie hatten noch nie viel von Tom erwartet oder gar bekommen. Und Maggie selbst verfügte seit Jahren über ein recht ansehnliches Auskommen durch den Verkauf ihrer Bilder.
„Nun, das ist ja nicht das Ende der Welt. Aber interessieren würde es mich schon, wo das ganze Vermögen geblieben ist.“
Immerhin sprachen sie hier über mehrere Millionen Pfund. Mr. Murphy seufzte. Er hasste es, Überbringer von Hiobsbotschaften zu sein!
„Wie es aussieht, hat einer seiner geschäftlichen Kontrahenten ihm schlussendlich das Genick gebrochen. Einem englischen Finanztycoon, den Ihr Stiefvater augenscheinlich versucht hat, vor einiger Zeit zu schlucken, ist es gelungen, sich durch Mittelsmänner nach und nach seiner sämtlichen Aktien und Firmen zu bemächtigen. Der Tag, an dem Mr. Holland seinen Herzinfarkt erlitt, war zufällig auch der Tag seines geschäftlichen und finanziellen Ruins.“
Wahrscheinlich war das der Grund, warum er uns damals nicht nach Dublin gefolgt ist, sondern Mums sofortige Rückkehr nach London nur übers Telefon gefordert hatte, überlegte Maggie. Trotz der schlechten Nachrichten empfand sie ein Gefühl der Genugtuung und wünschte nur, sie hätte Toms Gesicht sehen können, als er erfuhr, dass er ruiniert war.
„Nun, zu ändern ist daran ohnehin nichts mehr“, stellte sie so gelassen wie möglich fest. „Wenigstens bleibt uns das Haus.“
Die Worte standen fast greifbar im Raum, und als Maggie mit Grauen das schuldbewusste Flackern in Mr. Murphys trüben Augen gewahrte, stellten sich ihre Nackenhaare auf.
„Es ist doch noch unser Haus, oder?“, fragte sie heiser. „Mums Haus …?“
Langsam schüttelte der Anwalt den Kopf, als bringe er es nicht übers Herz, die vernichtende Wahrheit auszusprechen. Doch Maggies eindringlicher Blick ließ ihm keine Wahl. Mr. Murphy räusperte sich umständlich. Als er mit seinen Ausführungen fortfuhr, klang seine Stimme schroffer als beabsichtigt.
„Offenbar ist Ihnen nicht bekannt, dass Ihr Stiefvater vor etwa einem Jahr Ihre Mutter überredet hat, ihm dieses Anwesen als Sicherheit für geschäftliche Transaktionen zu überschreiben. Weiß Gott, wie er sie dazu gebracht hat. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, was sie da tat. Ich befürchte, es ist jetzt mit allem anderen in den Besitz des …“
Das Geräusch von Autobremsen ließ ihn innehalten und zum Fenster schauen. Maggie war so geschockt, dass es ihr unmöglich war, sich zu rühren. Sie konnte nicht begreifen, wie ihre Mutter so etwas hatte tun können. Dieses Haus war immer ein Heiligtum gewesen, ein sicherer Rückzugsort. Wut und Ungläubigkeit hielten sich die Waage, während Maggie versuchte zu begreifen, was Mr. Murphy ihr gerade eröffnet hatte.
Der Anwalt war inzwischen aufgestanden und ans Fenster getreten. „Er ist es“, stellte er mit hohler Stimme fest. „Der Mann, dem jetzt alles gehört. Er hat mich in meinem Anwaltsbüro aufgesucht und darauf bestanden, heute persönlich hier zu erscheinen, um mit Ihnen und Ihrer Mutter zu sprechen. Es tut mir leid, aber ich habe ihn davon nicht abhalten können.“
Als es an der Tür läutete, saß Maggie immer noch wie versteinert da. Schließlich machte sich Mr. Murphy auf den Weg in die Diele. Wie durch Watte hörte sie das Öffnen der Tür und ein unverständliches Gemurmel, bis sich Schritte auf den Salon zubewegten.
Maggie schaute hoch, und die Welt hörte auf, sich zu drehen. Wie in Trance erhob sie sich von ihrem Stuhl und starrte den Mann an, den sie nie wieder in ihrem Leben zu sehen gehofft hatte.
Caleb Cameron.
Größer und breiter als in ihrer Erinnerung, schien er den ganzen Türrahmen auszufüllen. Während er leicht den Kopf neigte, verzog er seine sinnlichen Lippen zu einem zynischen Lächeln. Sein kalter Blick hielt Maggie gefangen. Während er sie wie Ware taxierte, kam plötzlich Farbe in ihr totenbleiches Gesicht.
Der Mann, der in jener Nacht vor sechs Monaten ihr Leben aus den Fugen gerissen hatte, war zurückgekehrt … offenbar, um ihr den finalen Todesstoß zu versetzen. Mit aller Macht wehrte sich Maggie gegen das schockierende Verlangen, seiner mentalen Stärke nachzugeben.
Verzweifelt rang sie um Atem und nahm wie durch einen Nebelschleier wahr, dass der Anwalt sich an Caleb vorbeischob und mit einer förmlichen Geste in ihre Richtung wies.
„Das ist Margaret Holland. Maggie, ich möchte Ihnen Caleb Cameron vorstellen. Ihm gehört jetzt alles, was Ihr Stiefvater besaß – auch dieses Anwesen.“
„Danke, aber ich kenne Mr. Cameron bereits“, sagte sie mit blutleeren Lippen. „Wir sind uns … in London begegnet.“
Fast im gleichen Augenblick ließ sie sich wieder kraftlos auf ihren Stuhl sinken, da ihre Beine sie keine weitere Sekunde tragen wollten. Mit einer fast morbiden Faszination beobachtete sie Caleb, der Mr. Murphy zum Tisch folgte und neben ihm Platz nahm. Trotz der eleganten weltmännischen Aufmachung strahlte er eine geradezu aggressive Männlichkeit aus, an die sich Maggie nur zu gut erinnerte. Diese ungezügelte Vitalität konnte auch der teuerste Designeranzug nicht verbergen. Bereits bei ihrem ersten Treffen hatte seine Präsenz sie überwältigt, und die unheilvolle Wirkung war durch die Demütigung, die sie durch ihn erlitten hatte, offenbar nicht getrübt worden.
Zumal sie die lebhafte Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht nie hatte vergessen können. Selbst nach Monaten standen Maggie die schamlosen Szenen noch sehr lebhaft vor Augen und ließen ihr das Blut heiß durch die Adern rauschen.
Auch Caleb musste seine ganze Kraft und eisernen Willen aufbieten, um betont leidenschaftslos in Maggies reizendes Gesicht zu schauen. Doch das schmerzhafte Ziehen in seinen Lenden, angesichts der zarten Röte, die in ihre Wangen stieg, konnte er nicht kontrollieren.
Totenbleich war sie bei seinem überraschenden Auftritt geworden. Die smaragdgrünen Augen viel zu groß für das schmale Gesicht. Ihr wundervolles tizianrotes Haar hatte sie in einem strengen Knoten gezähmt, doch die herausfordernd weiblichen Linien konnte auch das schlichte, hochgeschlossene schwarze Kleid nicht verbergen.
Verlockende Kurven, an die er sich noch sehr gut erinnerte, und die für ihn den Himmel und die Hölle bedeutet hatten. Aber jetzt war Maggie viel zu dünn. Sie wirkte beunruhigend zerbrechlich. Der unwiderstehliche Drang, sie zu beschützen, irritierte Caleb zutiefst. Doch das Wissen, dass Maggie Holland nichts anderes als eine durchtriebene Hexe war, die gemeinsam mit ihrem Stiefvater versucht hatte, ihn zu ruinieren, brachte ihn schnell wieder zur Vernunft. Voller Genugtuung bemerkte Caleb, wie Maggie mühsam schluckte, bevor sie sprach.
„Du … Ihnen gehört jetzt alles, was Tom besaß …“, murmelte sie schwach.
Himmel, war sie leicht zu durchschauen!
„Ja, Miss Holland.“
Dass er sie mit dem Nachnamen ansprach, war eine absichtliche Zurückweisung. „Inklusive dieses wunderschönen Hauses.“ Gelassen ließ er seinen Blick durch den eleganten Raum schweifen. „Selbstverständlich werde ich mich von den meisten, ausgesprochen dubiosen Firmen Ihres verstorbenen Stiefvaters trennen. Zurzeit werden alle geschäftlichen Konten hier und in England überprüft, und es würde mich nicht wundern, wenn in Kürze beträchtliche Steuernachzahlungen auf Sie zukommen. Gegenüber Steuerhinterziehung haben die Behörden eine erstaunlich niedrige Toleranzschwelle.“
Maggie erhob sich abrupt und wandte sich entsetzt an Mr. Murphy.
„Ist das wahr? Kann so etwas tatsächlich geschehen?“
Er nickte schwer. „Ich befürchte … ja.“
„Aber … aber, wie ist das möglich?“ Verzweifelt richtete sie ihre Worte wieder an den jüngeren Mann. „Ich meine, warum weiß ich nichts davon?“ Konnte es wirklich sein, dass Tom sie selbst aus dem Grab heraus mit seiner Bosheit und Rachsucht verfolgte?
Maggie schloss die Augen, atmete tief durch und suchte noch einmal Beistand bei ihrem Anwalt. „Mr. Murphy …“ Ihre Stimme versagte.
„Es tut mir aufrichtig leid, Maggie. Aber man wird Ihre Mutter dafür zur Rechenschaft ziehen, sollte sich tatsächlich herausstellen, dass Tom irgendwelche geheimen Konten unterhielt oder Steuergelder unterschlug, wie offenbar vermutet wird. Wenn Sie wollen, kann ich Sie in der Sache vertreten, wenn es so weit ist, aber …“ Er hob hilflos die Schultern.
Das wurde ja immer katastrophaler! Maggie presste eine Hand gegen ihre brennenden Wangen, während Caleb sich mit einer geschmeidigen Bewegung erhob und ein imaginäres Staubkörnchen von seinen Jackettärmel zupfte.
„Murphy, den Rest der Angelegenheit überlasse ich Ihnen. Miss Holland, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ich erwarte, dass Sie und Ihre Mutter binnen zwei Wochen hier ausgezogen sind. Das dürfte reichen, um Ihre Angelegenheiten zu regeln. Ich könnte darauf bestehen, das Haus noch heute zu übernehmen, allerdings wäre es mir lieber, Sie nicht anzutreffen, sollte ich mich entschließen, hier einzuziehen.“
Sein grausames Lächeln ließ Maggie den Atem stocken. „Einzuziehen …?“
„Ja, ich habe zufällig einige Monate geschäftlich in Dublin zu tun und brauche für diese Zeit eine Unterkunft. Im Prinzip perfekt …“ Er schaute sich um und runzelte dann missbilligend die Stirn. „… nach den notwendigen Renovierungsarbeiten, natürlich.“
Das war zu viel! Wütend baute sich Maggie vor ihrem Widersacher auf.
„Wie können Sie es wagen, hierherzukommen und so mit mir zu reden!“, stieß sie zitternd vor Empörung hervor. „Und das noch am Tag der Beerdigung. Haben Sie denn gar kein Feingefühl?“
„Sie haben es gerade nötig, von Feingefühl zu sprechen! Was denken Sie … soll ich unseren Freund hier über die Rolle aufklären, die Sie in Ihrem eigenen Untergangsszenario gespielt haben?“
Maggie sog hörbar den Atem ein. Also ging es um Rache. Zuerst hatte er ihren Stiefvater mit gnadenloser Präzision vernichtet, und jetzt war sie dran. In seinen Augen war sie genauso schuldig wie Tom Holland und verdiente alles, was ihr jetzt zustieß.
Abrupt wandte Caleb sich ab und verließ den Raum, der ohne seine explosive Energie plötzlich seltsam verlassen und leblos wirkte. Maggie hörte die Haustür ins Schloss fallen, einen Wagenmotor anspringen und den Kies vor dem Haus bei Calebs aggressivem Start aufspritzen.
Nachdem es wieder ruhig war, drehte sie langsam den Kopf und starrte Mr. Murphy fassungslos an.
„Tja, wie Sie selbst sehen konnten, hat sich Ihr Stiefvater ein wenig übernommen, bei dem Versuch, einen Brocken wie Caleb Cameron zu schlucken. Dass der absolut nichts für Dummköpfe und Betrüger übrig hat, ist allgemein bekannt. Und als Mr. Holland auch noch einen zweiten Anlauf unternahm, um dessen Imperium zu zerstören, ließ der einfach den Tiger von der Leine.“
„Einen zweiten Versuch?“
„Na ja, eigentlich war es sogar der dritte oder vierte. Der Gedanke, Mr. Cameron zu besiegen, ließ ihm einfach keine Ruhe. Es war wie ein verlockender Preis, den er unbedingt erringen wollte. Ich weiß, dass Sie und Ihre Mutter von den meisten seiner Unternehmungen nicht die geringste Ahnung hatten. Auf jeden Fall ist Tom in den Untergrund abgetaucht und hat dort irgendwelche Tricks versucht, nachdem er Cameron Corporation auf legalem Weg nicht gewinnen konnte.“
Maggie fühlte sich krank. Sie erinnerte sich nur zu gut ihrer eigenen unrühmlichen Rolle in jenen finsteren Plänen. Glücklicherweise schien Mr. Murphy davon nichts zu wissen. Immerhin war das alles in London und nicht in Dublin passiert.
„Cameron hingegen nahm jede einzelne von Toms Transaktionen systematisch und mit wesentlich mehr Finesse unter die Lupe“, fuhr der Anwalt mit kaum verhohlener Hochachtung in der Stimme fort, was Maggie fast aus der Haut fahren ließ.
„Eigentlich steht er gar nicht in dem Ruf, so gnadenlos und unerbittlich zu sein, wie er sich in diesem Fall zeigt, doch Tom muss irgendeinen falschen Knopf gedrückt haben …“, endete er nachdenklich.
Maggie errötete schuldbewusst. „Auf jeden Fall scheint er uns alle über einen Kamm zu scheren.“
„Ja.“ Mr. Murphy seufzte und schüttelte traurig den Kopf. „Ich habe die Angelegenheit gründlich von allen Seiten begutachtet, aber sie scheint absolut wasserdicht und unerschütterlich zu sein. Das Einzige, was wir noch versuchen können, ist, die Steuerlast für Ihre Mutter zu schmälern, wenn es uns gelingt, glaubhaft zu machen, dass sie nicht in die illegalen Transaktionen ihres Mannes verstrickt war.“
„Pleite sind wir trotzdem, oder?“, fragte Maggie bedrückt. „Wie sollen wir nur …?“
Mr. Murphy tätschelte sie aufmunternd. „Machen Sie sich darüber im Moment bloß keine Sorgen. Ich weiß, wie sehr Ihre Mutter gelitten hat und werde alles in meiner Macht Stehende tun, um noch Schlimmeres zu verhindern.“
Obwohl Maggie wusste, dass dies wahrscheinlich nur freundliche, aber leere Versprechungen waren, fühlte sie sich ein wenig getröstet. Doch nachdem sie die Haustür hinter dem Anwalt geschlossen hatte, lehnte sie sich schwer dagegen und schluckte mühsam. Wie sollte sie ihrer Mutter die schrecklichen Neuigkeiten nur klarmachen?
Und was sie selbst betraf … für Maggie waren ihre schlimmsten Albträume Wirklichkeit geworden! Der Mann, den sie gehofft hatte, nie wiedersehen zu müssen, war plötzlich wieder in ihr Leben getreten.
Mit schweren Schritten ging sie zurück ins Wohnzimmer, schenkte sich mit bebenden Fingern ein Glas Brandy ein und stürzte es auf einmal herunter.
Caleb kam vor einer roten Ampel abrupt zum Halt und schlug so heftig auf sein Lenkrad, dass er neugierige Blicke aus den Wagen um ihn herum erntete. Doch selbst das interessierte Aufleuchten in den Augen einer ausgesprochen attraktiven Fahrerin blieb von ihm unbeachtet.
Als es grün wurde, legte er einen Blitzstart hin und verfluchte lautlos seine eigene Unbeherrschtheit. Was hatte er sich eigentlich bei dieser Aktion gedacht? Es war ihm ein Leichtes gewesen, Tom Holland zu ruinieren, nachdem dessen eher ungeschickte Versuche, ihm seine Firma abzuluchsen, aufgeflogen waren. Allein für seinen letzten Coup hatte der Mann sein Schicksal mehr als verdient.
Dieser Coup, an dem sie beteiligt gewesen war …
An jenem Abend im Hotel hatte Caleb Maggie Holland ins Gesicht geschleudert, dass er sie nie wiedersehen wolle, und jetzt, nach kaum sechs Monaten, marschierte er exakt mit dieser Absicht einfach in ihr Haus. Er hätte die leidige Angelegenheit genauso gut durch seinen Anwalt erledigen lassen können, aber nein …
Oder hatte er einfach feststellen wollen, ob sie ihn immer noch so sehr faszinierte und anzog wie damals?
Auf jeden Fall war er in die Falle gelaufen. Unmissverständlich demonstrierte ihm sein verräterischer Körper, wie sehr er sich nach Maggie verzehrte. Als wäre sie die einzige Frau auf Erden, die das schmerzhafte Verlangen in seinen Lenden stillen konnte.
Und dann hatte er zum tödlichen Schlag ausgeholt. Doch wo blieb das Gefühl der Genugtuung? Der Befriedigung über ihren Untergang? Warum sah er ihr zartes blasses Antlitz vor sich, sobald er die Augen schloss? Wie sollte er zwei Monate in der gleichen Stadt mit ihr überleben?
Wie um sein Begehren zu dämpfen, zwang Caleb sich, an jene Nacht vor sechs Monaten zu denken, als Maggie Holland sich genauso verhielt, wie er es von ihr erwartet hatte.
Natürlich war für sie ein Zimmer im gleichen Hotel reserviert gewesen. Wie eine Sirene hatte sie ihn dort hinaufgelockt und versucht, ihn zu verführen.
Und trotzdem hat sie nicht mit dir geschlafen, höhnte eine Stimme in seinem Kopf.
Vielleicht war es das? Noch nie zuvor hatte er eine Frau zurückgelassen, ehe seine Lust befriedigt war. Doch in jener Nacht … Warum er gegangen war, obwohl er sie ohne Zwang hätte haben können, dessen war Caleb sich immer noch nicht sicher. Ihre gegenseitige Anziehungskraft war ungebrochen gewesen, doch als sie in letzter Sekunde vor ihm zurückzuckte, hatte er es einfach nicht fertiggebracht …
Erneut fluchte Caleb in sich hinein und starrte finster auf die Straße. Was für eine Ironie des Schicksals! Anstatt endlich zu verschwinden, war der verzehrende Schmerz, der ihn damals fast um den Verstand gebracht hatte, durch seine eigene Schuld heute noch unbarmherziger zurückgekehrt.
Er musste sich unbedingt eine Geliebte nehmen. Viel zu lange hatte er auf Sex verzichtet. Eine neue Affäre würde ihn am wirkungsvollsten von seinen abwegigen Fantasien befreien und Maggie Holland ein für alle Mal aus seinen Gedanken verbannen.
Am Abend bereitete Maggie eine leichte Mahlzeit und weckte ihre Mutter. Während sie nach dem Essen noch beisammensaßen, stellte Camilla die Frage, vor der sich ihre Tochter die ganze Zeit gefürchtet hatte.
„Wie ist es mit dem Anwalt gelaufen?“
Maggie stählte sich innerlich. „Nicht besonders gut. Ich habe schlechte Nachrichten für dich, Mum.“
Camilla krampfte die Finger um ihre Teetasse, bis die Knöchel weiß hervortraten. „Was … heißt das?“
Beim Anblick des gewohnt stoischen Gesichtsausdrucks, den ihre Mutter angesichts drohender Katastrophen bekam, hätte Maggie in Tränen ausbrechen können. Mühsam versuchte sie, den Kloß aus ihrem Hals zu vertreiben. „Mum, jemand hat Toms gesamte Geschäfte übernommen. Genau gesagt … wir sind bankrott. Es war … es ist jemand, den er versucht hat, übers Ohr zu hauen.“
„Mir war immer bewusst, dass er von vielen gehasst und verachtet wurde“, murmelte Camilla leise. „Aber was genau bedeutet das für uns?“
„Nun …“ Maggie zögerte und wünschte sich verzweifelt, sie müsse die grausame Wahrheit nicht aussprechen. „Wir haben alles verloren.“
Doch ihre Mutter zeigte die gleiche Reaktion wie sie selbst kurz zuvor. „Das verkraften wir auch noch“, erklärte sie fast erleichtert. „Ich meine, was haben wir denn wirklich je gehabt?“ Sie schenkte ihrer Tochter ein schwaches Lächeln und schaute sich mit feuchten Augen um.
„Wenigstens bleibt uns das Haus. Ernsthaft, Liebes, ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn wir auch noch unser Heim verloren hätten. Es ist alles, was dein Vater uns hinterlassen hat. Hier will ich in Frieden leben und die Vergangenheit vergessen.“
Angesichts Maggies gedrückter Miene reichte sie über den Tisch und tätschelte aufmunternd die Hand ihrer Tochter. „Schau nicht so betrübt drein, mein Schatz. Du hast deine Malerei, und ich werde schon einen Job finden. Alles wird gut.“
Sie begreift es nicht, stellte Maggie mit wachsender Verzweiflung fest. Ihre Mutter schien völlig zu verdrängen, was sie getan hatte.
„Mum, du verstehst nicht … wir haben wirklich alles verloren …“
Camillas Blick blieb noch immer ausdruckslos.
„Mr. Murphy sagt, du hast Tom das Haus überschrieben, ehe wir London verließen.“
„Ja, meine Liebe, aber das war doch nur, um … er sagte, es würde nur …“ Sie brach abrupt ab. „Lieber Himmel! Was habe ich getan …?“
Rasch umfasste Maggie ihre Hand. „Es ist auch weg, Mum. Mit allem anderen.“
Sekundenlang saß Camilla wie erstarrt da, dann nahm sie ihre Teetasse, erhob sich und ging in die Küche, um sie auszuspülen. Maggie folgte ihr, besorgt über das seltsame Verhalten ihrer Mutter.
„Mum?“
„Margaret, ich kann nicht …“ Ihre Stimme klang wie geborstenes Glas. „Lass mich nicht darüber nachdenken müssen. Ich könnte es einfach nicht ertragen.“
Hilflos schaute Maggie ihrer Mutter hinterher, die wie in Trance die Küche verließ und scheinbar gelassen die Treppe hinaufschritt. Wenig später ging auch Maggie zu Bett, aber an Schlafen war nicht zu denken. Während sie versuchte, das unterdrückte Schluchzen im Nebenzimmer zu ignorieren, wurde sie nur von einem Gedanken beherrscht. Sie musste etwas unternehmen, um das drohende Verhängnis abzuwenden … egal wie.
Während langsam die Morgendämmerung durch die leichten Vorhänge in ihr Schlafzimmer drang, lag Maggie nach einer schlaflosen Nacht immer noch mit weit geöffneten Augen da und starrte blicklos an die Decke.
Bedrohliche Ungeheuer und Dämonen hatten jeden ihrer Gedanken und Wachträume beherrscht, und sie trugen alle das gleiche vertraute und ausgesprochen attraktive Antlitz.
Und plötzlich wusste Maggie mit quälender Sicherheit, dass es nur einen einzigen Ausweg gab.
Als sie wenig später in die Küche hinunterging, um sich Kaffee zu machen, war jeder Zweifel über ihren Plan ausgeräumt. Ihre Mutter war ihr zuvorgekommen. Sie saß bereits vor einem dampfenden Becher am Küchentisch und hob bei Maggies Eintritt nur müde kurz den Kopf. Unter ihren schönen Augen lagen tiefe Schatten, der Ausdruck war eine seltsame Mischung aus Verzweiflung und Wachsamkeit.
Maggie schenkte sich bedächtig einen Kaffee ein und setzte sich zu ihr. „Mum, schau mich an.“ Sie wartete, bis sich ihr Camilla wieder wie unter der Last eines schweren Gewichtes langsam zuwandte. „Ich werde gleich in die Stadt fahren, wo ich einiges zu erledigen habe. Aber ich verspreche, entweder am Abend oder gleich morgen früh wieder bei dir zu sein.“
Hoffentlich mit guten Nachrichten!, flehte sie innerlich.
Mehr wollte sie nicht sagen, um die Erwartungen ihrer Mutter nicht zu hoch zu schrauben und hinterher vielleicht enttäuschen zu müssen. Doch insgeheim schwor Maggie sich, nichts unversucht zu lassen, um das Haus für ihre Mutter zu retten.
Routiniert bereitete sie ein leichtes Frühstück vor, zwang ihre Mutter, etwas davon zu essen und war froh, hinterher endlich etwas Farbe in ihre schmalen blassen Wangen steigen zu sehen.
Dann schwang Maggie sich in ihren kleinen, ziemlich verbeulten Mini und fuhr als Erstes zu Mr. Murphys Kanzlei, um die Adresse von Caleb Camerons Büro zu erfragen. Der alte Anwalt stellte keine unnötigen Fragen, sondern gab fast erleichtert das Geforderte heraus und brachte Maggie noch zur Tür. „Es wird aber nicht einfach sein, zu ihm vorgelassen zu werden. Fast jeder in Dublin bemüht sich um einen persönlichen Termin …“
„Ich weiß, aber notfalls schlage ich ein Zelt vor seiner Tür auf“, verkündete Maggie entschlossen.
Auf dem Weg nach Dublin geriet Maggie mitten in den Berufsverkehr, sodass sie dreimal länger für den Weg brauchte als die gewohnte halbe Stunde. Doch schließlich erreichte sie die Innenstadt und stellte ihren Wagen auf einem Parkplatz in der Nähe des Bankenviertels ab, wo auch Calebs neues Büro lag.
Sie trug ihr einziges Businessoutfit, um so geschäftsmäßig wie möglich auszusehen. Ein schlichtes strenges Kostüm. Es war dunkelmarineblau, bestand aus einem schmalen knielangen Rock zur kurzen Jacke und wurde durch eine weiße Seidenbluse ergänzt. Dazu glänzende Seidenstrümpfe und dunkle Pumps, ihre roten Locken hatte sie in einem klassischen Knoten gebändigt.
Damit hoffte sie, gegen Calebs sengende Blicke und seinen beißenden Zynismus ausreichend gewappnet zu sein. Wie es wirklich in ihr aussah, ging schließlich niemanden etwas an.
Trotz der lauen Frühlingsluft fröstelte Maggie, als sie das moderne Bürogebäude betrat. Eine attraktive Brünette an der Rezeption schickte sie mit dem Lift in die oberste Etage, die Caleb komplett für sich beanspruchte. Kurz darauf glitten die Fahrstuhltüren lautlos auseinander, und Maggie wurde flau im Magen. Der Gedanke, ihm gleich gegenüberzustehen, beunruhigte und verunsicherte sie weit mehr, als sie es sich vorgestellt hatte.
Die Erwartung, ohne größere Komplikationen zu ihm vordringen zu können, verflüchtigte sich gleich nach Betreten des ultramodern gestylten Empfangsbereichs, der mit einem luxuriösen Teppichboden ausgelegt war, der jedes Laufgeräusch schluckte.
„Haben Sie einen Termin?“
„Nun, nicht direkt, aber wenn er meinen Namen hört, wird er mich bestimmt empfangen. Ich brauche nur ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit“, behauptete Maggie mit aller Zuversicht, die sie noch aufbringen konnte.
„Ich werde ihm Bescheid geben, allerdings finden den ganzen Tag über wichtige Meetings statt. Es könnte sein, dass Sie eine Weile warten müssen …“
„Kein Problem!“
Sie würde auch bis Mitternacht warten, wenn es sein musste. Vorsichtshalber rief sie per Handy eine gute Freundin ihrer Mutter an und bat sie, im Verlauf des Tages nach Camilla zu schauen. Dann nahm Maggie auf einem der eleganten Designermöbel Platz und wartete.
Etwa acht Stunden später hatte sie einen wahren Irrgarten an Emotionen durchlaufen: Irritation, Langeweile, Verärgerung, Fassungslosigkeit … und schließlich fühlte sie sich einfach nur noch erschöpft.
Ihr Kostüm wirkte zerknittert, der Knoten löste sich nach und nach auf, und die unbequemen Schuhe hatte sie längst ausgezogen. Jegliches Make-up, das sie ein wenig frischer aussehen lassen sollte, war längst Geschichte.
Den ganzen Tag über kamen und gingen Männer in dunklen Anzügen. Lunch wurde serviert und wieder abgetragen, während ihr Magen lautstark gegen die schnöde Vernachlässigung seiner Bedürfnisse protestierte. Und die Sekretärin vom Morgen war längst durch ein frischeres, eher noch kompetenter erscheinendes Exemplar abgelöst worden.
Als sich die Tür zu Calebs Büro zum wahrscheinlich hundertsten Mal öffnete, hob Maggie kaum noch den müden Blick, der sich allerdings in der Sekunde veränderte, als sie gewahrte, dass es diesmal der Boss persönlich war, der auf der Schwelle erschien. Mit einiger Verzögerung reagierte ihr Gehirn endlich auf seine kraftvolle Erscheinung, die selbst nach dem langen Tag ungebrochene Energie verströmte.
Maggie sprang auf die Füße und verzog qualvoll das Gesicht, als ihre Muskeln nach der erzwungenen Starre gegen die plötzliche Bewegung protestierten. Caleb strebte auf den Lift zu, ohne nach rechts und links zu schauen. Da sie halb hinter einer Pflanzeninsel versteckt gesessen hatte, konnte er sie nicht bemerken.
„Caleb!“, rief sie aus dem dringenden Impuls heraus, ihn aufzuhalten. „Mr. Cameron … warten Sie bitte!“
Er hatte bereits den Knopf gedrückt, um den Fahrstuhl zu ordern und drehte sich jetzt langsam um. Als er Maggie sah, schoben sich die dunklen Brauen über den kalten Augen zusammen. Trotz ihrer aufgelösten Erscheinung und der Tatsache, dass sie ohne Schuhe war, richtete Maggie sich stolz auf und schob das Kinn vor.
„Mr. Cameron, ich habe den ganzen Tag über gewartet, um mit Ihnen zu sprechen. Ich weiß, dass Sie sehr beschäftigt sind, wäre Ihnen aber ausgesprochen dankbar, wenn Sie einige Minuten für mich erübrigen könnten“, formulierte sie steif.
„Ivy hat mir gesagt, dass Sie heute Morgen hier waren, aber sie wusste doch genau, dass ich absolut keine Zeit hatte.“
„Ich … ich habe darauf bestanden zu warten. In der Hoffnung, Sie könnten vielleicht zwischen zwei Terminen ein paar Minuten für mich erübrigen …“
„Nun, wie Sie sehen, ist mir das nicht gelungen. Und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden … Rufen Sie einfach morgen durch. Möglicherweise ergibt sich ja im Verlauf des Tages eine Lücke.“
Er konnte sie doch nicht einfach so hier stehen lassen. Vor Verblüffung und Ärger schnappte Maggie hörbar nach Luft. Stunde um Stunde hatte sie auf ihn gewartet, ohne ein Stück Brot oder einen Schluck Wasser. Der Ausdruck auf Calebs Gesicht zeigte ihr, dass es wahrscheinlich nichts gab, was ihn weniger interessierte als das.
Als er sich einfach abwandte, starrte sie wie betäubt auf seinen breiten Rücken und suchte fieberhaft nach einer zündenden Idee, um ihn aufzuhalten. Da ihr nichts einfiel, sprintete sie einfach vorwärts und hielt die Hand zwischen die sich bereits schließenden Lifttüren.
„Bitte. Mr. Cameron … nur ein paar Minuten. Ich muss mit Ihnen reden!“
Caleb stand lässig mit dem Rücken gegen die Fahrstuhlwand gelehnt und betrachtete Maggie fast neugierig vom Kopf bis hinunter zu den bestrumpften Füßen. Ob er erwartet, dass ich mich vielleicht noch vor ihm auf den Boden werfe?, fragte sie sich voll bitterer Ironie.
„Gut“, sagte er endlich. „Fünf Minuten. Falls Sie Schuhe dabeihaben … ziehen Sie sie bitte an.“
„Vielen Dank!“, stieß Maggie erleichtert hervor, ohne auf seinen Sarkasmus einzugehen.