Ammianus-Verlag
Judith C. Vogt und Michael Kuhn (Hrsg.)
Karl – Geschichten eines Großen
Mit Beiträgen von
Anja Grevener, Martina Kempff, Dietmar Kottmann, Günter Krieger, Michael Kuhn, Christian Lange, Henning Mützlitz, Frank Schablewski, Andreas Schulte, Christian Vogt, Judith Vogt
Karl der Große – Stammvater Europas? Gründer Aachens? Was hat es auf sich mit dem Großen, dem ersten Kaiser des Frankenreichs?
Die Anthologie zum Karlsjahr erzählt vom Leben und Nachleben eines Herrschers und von denen, die ihn umgaben.
Dazu rundet ein bebilderter Karl-Reiseführer das Buch ab, das Karl den Großen anlässlich seines 1200. Todestag in zahlreichen Facetten zeigt.
Die Herausgeber
Judith C. Vogt veröffentlicht seit 2011 Romane und Kurzgeschichten. Ihr erster historischer Roman, »Schwertbrüder«, den sie zusammen mit ihrem Mann Christian verfasste, erschien 2013 im Ammianus-Verlag. Im gleichen Jahr erhielt sie zudem den Deutschen Phantastik Preis.
Michael Kuhn gründete den Ammianus-Verlag 2008, um das Konzept seiner spätrömischen Marcus-Trilogie zu verwirklichen, in der sich durch einen umfangreichen Spurensuche-Anhang Literatur und Archäologie die Hand reichen. Zwischen 2011 und 2013 erschienen zudem die drei Romane um Marcellus, die die Zeit der Franken vor Karl dem Großen beleuchten.
Impressum
Ebook basierend auf der ersten Auflage vom Januar 2014
© Ammianus GbR Aachen
Alle Rechte vorbehalten. Der Druck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und Verbreitung des Werks in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf digitalem oder sonstigem Wege sowie die Verbreitung und Nutzung im Internet dürfen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags erfolgen. Jede unerlaubte Verwertung ist unzulässig und strafbar.
Umschlaggestaltung und Satz: Thomas F. Kuhn
Lektorat: Angelika Kiel
Satz Ebook: Michael Mingers
ISBN 978-3-945025-24-6
www.ammianus.eu
www.facebook.com/AmmianusVerlag
Vorwort: Barbara Hoppe-Vennen und Walter Vennen
Im Januar 2014 jährt sich zum 1200. Mal der Todestag von Karl dem Großen. Anlass genug für den Ammianus-Verlag, den vielen Büchern, die es rund um die Person des großen Kaisers gibt, ein weiteres hinzuzufügen. Allerdings eines, wie es bisher noch nicht in den Bücherregalen steht.
Historische Abhandlungen, eine schwergewichtiger als die andere, Romane, die sich ideenreich um Karls Kindheit, Jugend und Herrscherzeit ranken, gab und gibt es reichlich. Einer der herausragendsten Herrscher in der Geschichte Europas hat den Forschergeist und die Phantasie von Historikern und Schriftstellern schon immer herausgefordert. Immerhin ist Karl der Große für seine Zeit recht alt geworden und hat ungewöhnlich lange regiert. 47 Jahre lang herrschte Carolus Magnus über das Reich der Franken, welches unter ihm seine größte Ausdehnung erfuhr.
Über Karls Kindheit und Jugend ist leider nur wenig verbrieft. Nicht einmal sein Geburtsjahr (747 oder 748) ist überliefert und auch der Geburtsort ist unbekannt. Diskutiert wurden bisher Aachen, Düren, Herstal, Ingelheim oder Prüm. Karls Biograph Einhard berichtet in seinem Buch »Das Leben Karls des Großen«, dass es über die Kindheit Karls keine Aufzeichnungen gibt und zum Zeitpunkt seiner Arbeit 20 Jahre nach Karls Tod niemand mehr Auskunft geben konnte.
Bereits mit 21 Jahren erlangte der älteste Sohn von Pippin dem Jüngeren die Herrscherwürde, die er sich in den ersten drei Jahren noch mit seinem Bruder Karlmann teilen musste. Dessen früher Tod machte Karl für lange Zeit zum alleinigen Herrscher.
Karl der Große war seit 768 fünfmal verheiratet und hatte bis zu seinem Tode am 28. Januar 814 vier Nebenfrauen. Am meistens befeuerte die Phantasie der Nachwelt Karls vierte Ehefrau Fastrada, die ein grausames Wesen gehabt haben soll und als Sagenfigur sogar in die Textsammlung der Gebrüder Grimm Einzug hielt. Auch in dieser Anthologie wird uns Fastrada wiederbegegnen.
Die Kinderschar an Karls Hof war groß. Ihm werden 18 Söhne und Töchter nachgesagt von acht verschiedenen Frauen. Als der große Kaiser starb, war von seinen legitimen Söhnen nur noch Ludwig am Leben, der als Ludwig der Fromme die Nachfolge seines Vaters antrat. Er schaffte es nicht, das Reich seines Vaters in einer überlebensfähigen Form weiterzuführen. Ludwig starb 840 und schon 843 war das Reich des großen Franken am Ende und wurde im Vertrag von Verdun unter Karls Nachfahren aufgeteilt.
Der 1200. Todestag von Karl dem Großen hat 11 Autoren, Historiker und Journalisten animiert, sich in 12 Beiträgen mit dem »Stammvater Europas« näher zu beschäftigen und ihre eigenen Blickwinkel auf Karl und seine Zeit sowie seine Auswirkungen auf die Nachwelt darzulegen. Dabei herausgekommen ist ein bunter Reigen an Themen, mit dem die Leserinnen und Leser dieser Anthologie ihre Geschichts- und Ortskenntnisse erweitern oder auffrischen können. Auch der Phantasie wird ausreichend Raum gegeben mit Streifzügen in die Sagenwelt und einer Passage aus einem historischen Roman.
Abgerundet wird die unterhaltsame und informative Textsammlung mit einem kleinen Reiseführer durch Kaiser Karls Aachen.
Viel Spaß beim Lesen wünschen
Barbara Hoppe-Vennen und Walter Vennen
Inhaber der Buchhandlung Schmetz am Dom in Aachen
Karl – und wir:
Der Gründer der Buchhandlung Schmetz am Dom hieß auch Karl und bezeichnete sich immer als »direkter Nachfahre« Karls des Großen. Von ihm haben wir unser besonderes Verhältnis zum großen Herrscher eingeimpft bekommen.
Michael Kuhn: Die Bekehrung des Mahout
Behutsam zog der kleine Mann die Türe hinter sich zu und wendete sich noch einmal um. Er wartete, bis ihm ein Scharren anzeigte, dass seine Frau den Riegel von innen vorgeschoben hatte. Dann folgte er dem fetten Mönch mit der hängenden Unterlippe, der ihn in die Palastschule befohlen hatte.
Es war mittlerweile der achte Winter, den er in Aachen verlebte, aber er hatte sich immer noch nicht an die feuchtkühle Witterung gewöhnt. Als er damals im Gefolge des Juden Isaak die Alpen überquert hatte, hatte er den ersten Schnee seines Lebens gesehen. Dort wo er herkam, waren die Winter feucht gewesen, aber nicht kalt. Wenn er die Augen schloss, hörte er noch das Rascheln der Palmwedel und roch den betörenden Geruch der heimischen Blüten.
Das Schicksal hatte ihn zuerst nach Bagdad an den Hof des großen Kalifen geführt. Harun al Raschid hatte nach einem Elefanten verlangt und die Wahl war auf ihn, den erfahrenen Mahout, gefallen, das Tier zu ihm zu bringen. Er war jedoch nur wenige Monate beim Kalifen geblieben. Eines Tages hatte man ihn vor den Herrscher gerufen. Dieser befahl ihm, mit dem Juden zu gehen, der an seiner Seite saß.
Erst zu diesem Zeitpunkt war ihm mitgeteilt worden, dass der Elefant ein Geschenk für einen mächtigen König in einem fernen Land war. Wie der Elefant dem Mahout gehorchte der Mahout dem Herrscher und ergab sich in sein Schicksal. Zwei Jahre waren sie unterwegs gewesen, bis sie das Ziel der Reise erreichten. Sie durchquerten endlose Wüsten, überwanden das Meer, erstiegen das bis in den Himmel ragende Gebirge und verloren sich in den düsteren Wäldern.
Das Herz wurde ihm schwer, als er an die Zeit mit Abul Abbas, den grauen Riesen, dachte, der vor wenigen Wochen verendet war. Er hatte alles getan, sein Leben zu retten. Aber er musste hilflos zusehen, wie das Tier immer schwächer wurde. Zum Schluss hatte sich der Elefant niedergelegt, ihn ein letztes Mal aus traurigen Augen angesehen und sich dann zur Seite gerollt. Als ob er ihn fragen wollte, warum man ihn in dieses kalte und unwirtliche Land gebracht hatte.
»Nun komm schon«, drängelte der Mönch den dunkelhäutigen Fremden, der zurückgeblieben war. »Ich will mir bei diesem Wetter nicht den Tod holen.«
Der Mahout verstand mittlerweile die raue und kehlige Sprache des Nordens, obwohl er sich mit dem Sprechen immer noch schwertat. Sie war so ganz anders als die Sprache, die in seiner Heimat gesprochen wurde. Rau, herrisch und nicht melodisch. Auch die Regeln, nach denen man die Worte zu Sätzen formte, hatte er nicht verstanden. Um sich überhaupt verständlich zu machen, hatte er sich angewöhnt, die Begriffe und Tätigkeiten in ihrer Grundform aneinanderzureihen.
»Ich kommen«, antwortete er dem Mönch, der den Kopf schüttelte und sich ein Lachen verkniff.
»Warum wir gehen in Palast bei Kirche? Sein wegen Tod von Elefant?«
»Das wirst du noch früh genug erfahren«, antwortete der Gottesmann mürrisch.
Sie waren inzwischen die leicht ansteigende Straße hochgestiegen und hatten den Platz vor der Königshalle erreicht. Abweisend und trutzig erhoben sich die grauen Mauern, auf denen der herabrinnende Regen dunkle Spuren gezeichnet hatte. Kein Vergleich zu den grazilen, mit Säulen und Kuppeln geschmückten Palästen seiner Heimat.
Sie nahmen den Weg, der rechts um die Königshalle herum zu den tiefer gelegenen Gebäuden der Palastkirche führte. Sie folgten der Außenmauer des lang gestreckten Ganges, durch den man trockenen Fußes vom Palast in die Kirche gelangte. Ein Weg, der nur den hochgestellten Personen des Hofes und ihren Dienern vorbehalten war. Vorbei an dem mächtigen Torgebäude, durch das man einen Blick auf den großen Platz des Palastbezirkes werfen konnte, erreichten sie schließlich den Eingang des Atriums, der zur Kirchenpforte führte.
Der Mahout hatte sich immer gehütet, die wenigen Schritte bis zu den prächtigen Bronzetüren zu tun, die das Innere des Heiligtums verschlossen. Schließlich war er ein Heide, der dort nichts verloren hatte.
Sie passierten den Zugang des Atriums und umrundeten von außen den vieleckigen Umgang des Oktogons, bis sie vor eine gedrungene Pforte gelangten. Sie führte in den Anbau, in dem sich Räume der Palastschule befanden. Hier verbrachten die Gelehrten, die der große Kaiser aus allen Teilen seines Reiches hier versammelt hatte, ihre Tage.
Der schmale Südländer wickelte sich fester in seinen Mantel, als wenn der feuchte Stoff seine letzte Zuflucht wäre. Dann tat er es dem Mönch gleich und wischte sich an einem dafür angebrachten Gitter den Lehm von den Schnürschuhen.
In diesem Augenblick öffnete sich die Türe und ein hagerer, mittelgroßer Mann trat heraus, dessen glattrasiertes, fahles Antlitz beim Anblick des Mahout einen verkniffenen Ausdruck annahm. Der Mann presste die dünnen Lippen aufeinander und musterte den Fremden aus seinen blauen, wässrigen Augen. Dann schlug er plötzlich das Kreuz und eilte grußlos vorbei.
Das war Ludwig, durchfuhr es den Mahout, der ungeliebte Sohn des Großen Karl. Man munkelte, dass er den Weg zu seinem Gott gesucht hatte, weil er seinen glänzenden Brüdern nicht ebenbürtig war. Bis auf den buckligen Pippin, der sein Leben hinter Klostermauern vertrauerte.
»Jetzt komm endlich!«, herrschte der Mönch den Mahout an, der dem frommen Ludwig nachstarrte.
Der Angesprochene zuckte zusammen, fasste sich aber augenblicklich und betrat den dunklen Flur.
»Leg den Mantel ab!«
Der Mahout gehorchte, strich die Kapuze zurück und schälte sich aus dem groben Stoff. Darunter trug er zwei leinene Kittel und ebensolche Hosen, die bis zu den Knien mit dunklen Bändern umwickelt waren. Die Tracht der einfachen Leute und Bauern.
»Komm«, drängelte der Mönch. »Aldo erwartet uns.«
Als es klopfte, legte Aldo, der zweite Schreiber des gelehrten Einhard, den Federkiel aus der Hand und schob das Pergament zur Seite.
»Aha«, begrüßte er die Eintretenden. »Der unachtsame Herr des Elefanten.«
Der Mahout senkte den Kopf, als er den schmächtigen Kleriker demütig grüßte. Er hatte sofort beschlossen, den Mann mit dem hellen Haar nicht zu mögen. Es geht um den Tod des Tieres, schoss es ihm durch den Kopf. Dabei hatte er doch alles getan, das Leben des Riesen zu erhalten.
»Sag mir«, begann Aldo mit schneidender Stimme. »Wie konnte es geschehen, dass Abul Abbas bei der Überquerung des Rheins ertrunken ist?«
»Nicht ertrinken«, verteidigte sich der Mahout mit ungelenken Worten. »An Krankheit von Kuh gestorben.«
»Das Geschenk eines Kalifen stirbt nicht an einer Rinderseuche«, entgegnete Aldo unwirsch. »Merk dir das, wenn dich einer danach fragt. Hast du mich verstanden?«
»Ich verstehen«, versicherte der kleine Mann eilig.
»Gut.« Aldo lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte den Mahout, der voller Unbehagen seinem Blick auswich. »Was soll jetzt mit dir geschehen?«
»Nicht bestrafen«, stammelte der Mahout. »Ich tun Bestes.«
»Ach was«, wiegelte Aldo ab. »Darum geht es nicht. Was willst du tun? Als Krieger taugst du nichts. Zu klein und schmächtig. Und schreiben kannst du auch nicht, oder?«
Der Mahout schüttelte den Kopf.
»Aber du musst etwas tun. Wir dulden hier keine Müßiggänger.« Aldo fixierte ihn aus zusammengekniffenen Augen, worauf sein Gegenüber einen Schritt zurückwich.
»Es kommt bald eine Gesandtschaft aus Byzanz nach Aachen. Ich werde ihnen deine Dienste anbieten. Sie können dich mitnehmen, wenn sie wieder aufbrechen. In Byzanz gibt es sicherlich eine Verwendung für dich.
So verlockend das Angebot auch war, der Mahout schüttelte entsetzt den Kopf. Seine Frau würde nicht mitgehen. Die kleine Sarazenin war vor zwei Jahren in Spanien gekauft und von ihrem Besitzer in Aachen angeboten worden. Er hatte sich sofort in das scheue Wesen verliebt und darum gebeten, sie in seinen Haushalt aufzunehmen. Seinen ganzen Mut zusammennehmend, hatte er sogar um eine Audienz beim Kaiser gebeten und war für wenige Augenblicke empfangen worden. Karl hatte ihm amüsiert angehört und wohlwollend sein Einverständnis erteilt. Der Handel hatte seine gesamten Ersparnisse aufgezehrt, aber er war seit diesem Tag nicht mehr alleine. Vor Monaten war seine Frau schließlich schwanger geworden.
»Ich verkaufen Blumen«, verkündete der Mahout ängstlich und forschte in dem Gesicht des Klerikers nach einer zustimmenden Reaktion.
»Blumen?«, echote Aldo und tauschte einen Blick mit dem feisten Mönch, der sich mühsam das Lachen verkniff.
Der Mahout fühlte, dass es nicht gut um seine Sache stand. Aber er beschloss zu kämpfen. Mit Hingabe schilderte er in seinem seltsamen Fränkisch, dass er im Hinterhof seiner Behausung seit Jahren Rosen züchtete. Er hatte die seltenen Setzlinge von einem Händler aus Italien erstanden. Erst als er den Mann auf dem Elefanten reiten ließ, hatte er die Pflanzen zu einem günstigen Preis bekommen. Er hatte die Setzlinge in einer sonnigen und windgeschützten Ecke seines Hofes eingepflanzt, wo sie prächtig gediehen und üppige Blüten hervorbrachten. Dann führte er aus, dass sehr oft auswärtige Besucher am Hof weilten, denen er die Blumen anbieten wollte.
Aldo wiegte den Kopf und wechselte unvermittelt das Thema.
»Sag mir, Mahout«, begann er. »Du hast in deinem Leben viele Götter kennengelernt. Wen betest du an?«
»Gott«, antwortete der Mahout stolz.
»Welchen Gott?«, bohrte Aldo nach. »Zu diesem Allah der Muslime, zum Gott der Juden oder zu den Göttern deiner Heimat? Die mit den vielen Armen und Rüsseln?«
Der Mahout begann zu schwitzen. Er ahnte, dass alles von seiner Antwort abhing.
»Gott überall sein. Haben viel Namen.«
Er sah, wie die Mienen seiner Zuhörer vereisten. Der Mönch schlug sogar das Zeichen des Kreuzes und formte mit abgespreizten Fingern eine bannende Geste. Selbst der so besonnene Aldo war von seinem Sessel hochgefahren und klammerte sich an der Tischplatte fest.
»Bist du des Teufels?«, fuhr er den Mahout an. »Es gibt nur einen Gott. Bete zu Jesus, der heiligen Gottesmutter und allen Heiligen. Dann darfst du bleiben. Ludwig, der Sohn des Großen Karl, besteht darauf. Wir haben vor deinem Eintreffen über dich gesprochen.«
»Aber«, stotterte der Mahout, »ich doch beten.«
Er dachte voller Entsetzen daran, dass er schon als Kind vor der Wahl gestanden hatte, sich zu Buddha zu bekennen oder seine Heimat zu verlassen. Aus Angst vor der Rache Ganeshs, des Gottes mit dem Kopf des Elefanten, hatte er das Land verlassen und sich einen neuen Herrn suchen müssen. Als er später nach Bagdad kam, musste er zu Allah beten, wenn er bleiben wollte. Und er hatte keine andere Wahl. Nur der Jude Isaak hatte darauf verzichtet, ihn zu seinem Gott zu bekehren. Dafür war er ihm noch heute dankbar. Aber jetzt?
»Du!«, fuhr Aldo den Mahout an. »Du lässt dich mit deiner Frau taufen oder du gehst mit den Byzantinern.«
»Aber, Herr«, begehrte der Mahout auf. »Ich Karl immer gut dienen. Nicht gehen müssen!«
»Was waren das für Dienste?« Aldo wies mit dem Zeigefinger auf die Brust des Mahouts.
»Ich reiten mit Elefant in Krieg gegen Sachsen.«
»In den Krieg?«, fragte Aldo und begann zu lachen. »Dein Elefant sollte den Bauern da oben nur Angst machen. Das war kein Krieg.«
»Doch«, wehrte sich der Mahout. »War Krieg. Sachsen mit Pfeilen auf Elefant geschossen.«
»Du bist ein Held«, spottete Aldo.
»Nicht Held«, antwortete der Mahout. »Nur Krieger. Ich frei. Mahout nur gehen, wenn selber wollen! Bleiben bei Frau, die Kind bekommen.«
Aldo spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Schließlich hatte er Ludwig versprochen, dem Herrn im Himmel heute eine Seele zuzuführen. Unwillkürlich verfiel er jetzt in den Jargon des Mahouts, als er ihn anschrie.
»Du keine Wahl. Du nicht frei sein. Du Geschenk von Kalif!«
Michael Kuhn M.A., Jahrgang 1955, studierte in Aachen Geschichte und Politische Wissenschaften. Im Anschluss war er in unterschiedlichen historischen Projekten involviert und organisierte im eigenen Unternehmen geschichtliche Events. Nach einigen Jahren in der Archäologie gründete er 2008 den Ammianus-Verlag.
Das Anliegen, bei seinen Mitmenschen Interesse und Verständnis für die faszinierende Welt der Geschichte zu wecken, durchzieht seine bisherige Vita wie ein roter Faden.
Karl – und ich:
Karl der Große, das Phantom! Nicht, dass ich seine Existenz geleugnet hätte, als ich als Student der Geschichte nach Aachen kam. Aber fassbar und begreifbar wurde er mir nie. Er steht zwischen allem. Weder Antike noch Mittelalter, kein Deutscher und kein Franzose. Mit spiritueller Inbrunst geliebt und als Schlächter verteufelt. Wer ist diese Persönlichkeit, die sich mir bis auf den heutigen Tag verweigert? Niemals hätte ich damals gedacht, etwas über den großen Franken zu Papier zu bringen und tue es jetzt trotzdem. Schüttelt Karl nun missbilligend sein Haupt oder zwinkert er mir amüsiert zu?