Urs Berner · Tschogglit
Tschogglit
und elf andere Feinheiten
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Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-85820-310-6
eISBN 978-3-85820-401-1
Wenn ein Drache steigen will,
muss er gegen den Wind fliegen.
Chinesisches Sprichwort
INHALT
Kellerübung
Peters Herzen
Je t’aime
Herzkrank
Renne so weit, wie du kannst
Der Hahn
Der Benzinfahrer
Diebstahlgeschichten
Das Mal
Der Gast
Die weissen Steine von Saklikent
Tschogglit
KELLERÜBUNG
Er stellte sich einige Aufgaben, um seine Heimkehr hinauszuzögern. Die erste bestand darin, dass er sich fragte, wie viele Schritte es von der Bushaltestelle Neu-Paradies bis zum Haus mit den roten Fensterläden seien, in das er noch nie jemanden hatte hineingehen sehen … Fünf … Die Zahlen der Fünferreihe betonte er stärker als die anderen. Schliesslich kam er auf vierundzwanzig Schritte. Er blieb an der Ecke des Hauses stehen, äugte die Fassade hoch und entdeckte, dass sich im oberen Stock ein Vorhang bewegte. Vielleicht benützen die Leute, die da wohnen, unterirdische Ein- und Ausgänge. Er wünschte sich auch einmal ein Haus mit einem unterirdischen Zugangssystem. Sein Haus, das verliesse er allerdings durch die Haustür, ganz normal, ja sogar noch laut pfeifend, damit alle auf ihn aufmerksam würden. Doch heimkehren würde er unterirdisch, dann träte er sofort da oben, wo sich der Vorhang bewegt hatte, ins Zimmer und risse das Fenster auf. Halli, hallo, bin wieder da, riefe er, und alle glaubten, er sei ein Geist, der durch verschlossene Türen zu gehen vermöge. Er hüpfte am Gartentor des total stillen Hauses mit den dunkelroten Fensterläden vorbei und summte: Husche durch alles, durch jede Tür: Küchentüren, Fernsehzimmertüren, Schlafzimmertüren und auch – auf einmal machte er einen grossen Sprung, die Schultasche auf seinem Rücken schoss ihm in den Nacken – und auch durch Kellertüren.
Beim nächsten Haus zählte er die Holzlatten des Gartenzauns, wobei er mit steifer Hand darüber strich. Das dunkel klopfende Geräusch, das dadurch entstand, war Musik in seinen Ohren. Er war noch nicht bei zwanzig angelangt, als ihn aus einem Busch im Garten eine Stimme anherrschte: Mach, dass du fortkommst!
Er sprang zwei Meter weit, fasste sich, klopfte und zählte weiter. Erst als eine dürre Gestalt aus dem Busch erschien, in der Hand eine Heckenschere, rannte er ausser Sichtweite.
Auf seinem Heimweg kam er auch an einer Baugrube vorbei. Über Mittag standen die Trax still, niemand war zu sehen. Er kletterte über die Absperrung, huschte in die Grube, setzte sich ans Steuer eines Traxes. Er hebelte, als würde er einen Gang einlegen, gab Gas. Seine Lippen vibrierten. Locker hielt er das Steuerrad, so locker wie sein Vater, nun sogar nur mit der linken Hand, während er sich mit der rechten den Nacken rieb, er gähnte, lange Fahrt, nicht wahr, rutschte dann auf dem Sitz nach hinten und streckte sich. Rheinhafen Basel, rief er, Umschlagplatz Olten. Güterbahnhof Limmattal. Flughafen Genf. Es waren alles Orte, die er seinen Vater hatte nennen hören. Eines Tages führe er weiter als Vater, das wusste er. Er würde erst am Ufer des Schwarzen Meeres stoppen. Schwarzmeer!, brüllte er in die Baugruppe hinab. Dann blickte er sich um, horchte, aber keiner schrie zurück, er solle von hier verschwinden. Bei dieser Sachlage war es nicht interessant, nochmals Gas zu geben. Er schaltete in den Leerlauf, stieg vom Trax, trottete aus der Grube.
Zum Mittagessen würde er sicher zu spät kommen. Immer wenn er zur Kellerübung antreten musste, kam er zu spät. Diese bedrückenden Kellerübungen. Wegen ihnen war er auch an den schulfreien Nachmittagen am Mittwoch und Freitag nicht frei.
Ich bin ein Flamingo, sagte er mit gepresster Stimme. Die neue Aufgabe beanspruchte seine ganze Konzentration. Er stand auf einem Bein, das andere angezogen, und zählte. Bis zu welcher Zahl würde er es einbeinig schaffen, bevor er das Gleichgewicht verlöre? Rechtes Bein: 51. Linkes Bein: 111, das linke war sein Sprungbein. Ich fliege, wohin ich will. Als er hinter sich ein Auto herannahen hörte, drehte er blitzschnell den Kopf, schätzte ab, wie weit es noch entfernt war, und flog knapp vor dem Fahrzeug auf die andere Strassenseite, wo er dem langgezogenen, schrillen Hupen den Freudenschrei der wild lebenden Flamingos entgegensetzte.
Er hätte jetzt das flache Dach des Mehrfamilienhauses, in dem er wohnte, wahrnehmen können, aber er starrte auf den Asphalt. Erst beim Parkplatz vor dem Haus sah er hoch. Was? Auf einmal zitterte er vor Erregung. Vaters Lastwagen da. Der Wagen, der in der Sonne funkelte. Eine Schatztruhe auf Rädern. Er gab Vorlage, spurtete über den Platz, stiess die Haustür auf, flog die Treppe hoch, keuchte vor der verschlossenen Wohnungstür, drückte die Klingel und liess sie nicht mehr los. Seine Mutter öffnete. He, was ist in dich gefahren? Der Bub ist wild geworden.
Er stürmte an ihr vorbei. Sein Vater sass am Küchentisch bei Kaffee und Kuchen. Mit der ganzen Wucht seines kleinen Körpers prallte er auf ihn, schlang die Arme um seine Brust. Du bist schon da, jubelte er. Vater mittags am Küchentisch! Das war ein ungewohnter Anblick.
Nicht so stürmisch, Hugo. In seinen Augen lag ein warmer Schimmer. Wir schütten sonst den Kaffee aus. Aber er liess sich nicht davon abhalten, seinen Vater fest zu drücken. Er roch so gut. Nach Teer, nach Schmieröl, nach Gummi und so nach Explosivem. Als er die Nase in seinem Hemd vergrub, sah er eine lange Strasse vor sich, die über weite Landstriche führte, vorbei an Häusern, an allen Kellerlöchern vorbei. Wenn sein Vater zu Hause war, musste er nicht zur Kellerübung antreten. Kommst du mit mir an den Fluss, ich zeige dir eine Stelle, wo ich einen Fisch gesehen habe, so gross. Er breitete die Arme aus, und ohne Vaters Antwort abzuwarten, wirbelte er herum und umarmte auch Mutter, die sich Vater gegenüber hingesetzt hatte. Du kommst auch mit. Wie wunderbar seine Mutter erst roch! Geheimisvoll wie hinter einem Schleier hervor.
Wie von ferne hörte er seinen Vater sagen: Ich muss heute Nachmittag nochmals wegfahren, aber geht doch hin ohne mich.
Er liess seine Mutter los, rannte zum Vater zurück. Nimm mich mit!, bettelte er.
Das geht nicht.
Doch, bitte! Er klammerte sich an ihn.
Hugo, heute geht es wirklich nicht, besänftigte er ihn, es wird tiefe Nacht sein, bis ich zurück bin. Oder vielleicht sogar Morgen. Und Morgen musst du wieder zur Schule.
Kein Problem. Ich nehme eine Wolldecke mit. Wir zwei, wir machen eine Nachtübung, eine ganz lange. Um anzudeuten, wie lange, breitete er wieder seine Arme aus.
Da mischte sich seine Mutter ein. Wenn Vater sagt, es geht nicht, geht es nicht. Iss jetzt, sonst wird das Essen noch ganz kalt.
Immer geht etwas nicht. Die Schultasche flog in eine Ecke. Er schaufelte das Essen in sich hinein. Die Kellerübung, die Kellerübung, schrie es in ihm, nun würde er doch noch antreten müssen. Er hätte das verhasste Wort herausschreien mögen, aber dann hätte er sein Versprechen gebrochen, und was mit denen geschah, die ihre Versprechen nicht hielten, das wusste er, das hatte er in einem Buch gelesen. Den Verrätern wird eine schwarze Kapuze ohne Sehschlitze über den Kopf gestülpt. Schwarz-kapuzig-blind müssen sie dann umherirren. Er stopfte eine weitere Gabel Nahrung in den Mund.
Vater und Mutter waren ins Wohnzimmer hinüber gegangen, die Tür hatten sie einen Spalt breit offengelassen. Musst du schon bald gehen?, hörte er sie fragen. Er nahm auch das Vibrieren in ihrer Stimme wahr.
Leider ja, antwortete sein Vater mit einer Brummbärenstimme, wahrscheinlich wird es später werden als das letzte Mal. Der Brummbär schnaufte schwer, und dann, plötzlich stellte er eine Frage, eine glasklare Frage: Warum will der Bub unbedingt mitkommen? Wie der sich an mich geklammert hat. Und das mit der Nachtübung? Will mit mir eine Übung machen? Im Militär reden sie von Übung. Wie kommt er denn darauf? Kurios.
Das dunkle Lachen des Brummbären drang in die Küche und erfüllte sie. So angespannt horchte er, dass er in der einen Faust das Messer, reglos die Gabel in der anderen hielt. Verrät sie’s? Wie oft hatte sie ihm eingebleut, es für sich zu behalten, niemandem, aber auch gar niemandem von der Kellerübung zu erzählen. Nur sie beide allein wüssten von diesem Härtetest. Hülfe ihm, schneller Mann zu werden. Würde Mutter immer besser beschützen können, wenn Vater weg wäre. Er hielt den Atem an, jetzt spricht sie: Nachtübung? Ich weiss auch nicht, was er damit meint. Sie lachte, die Mutter lachte – so fröhlich, so laut. Der bringt manchmal die verrücktesten Wörter nach Hause.
Da lachte auch der Brummbär wieder und sagte dann: Komm. Etwas raschelte. Lass das, raunte seine Mutter, nicht jetzt. Die Tür ist offen, er könnte uns hören.
Er hatte genug gehört. In ihm jubilierte es: Sie hat es nicht verraten! Nicht einmal meinem Vater! Er klimperte mit dem Besteck fröhlich auf dem leeren Teller. Eigentlich ist die Kellerübung gar nicht so schlimm, redete er sich ein, er würde sie durchstehen und sich wieder einmal nichts anmerken lassen. Er wollte ja gross und stark und mächtig werden wie ein König. Und wenn sie kämen, sobald er allein im Kellerloch hockte, wenn sie wiederkämen, diese schaurigen Gestalten, die ihre Fratzen einfach durch die Wände stiessen, stände er auf einem Bein und hurtig begänne er zu zählen. Hoch zählen, weit über die Tausender hinaus, das Kinn auf die Brust gedrückt, und nicht ins Wanken geraten, das vertriebe sie wieder, und singen, gegen sie anpfeifen würde er auch noch.
Vater war gegangen. Sie hatte ihn bis zur Tür begleitet. Kaum waren sie allein, als sie auch schon rief, ob er bereit sei. Er verstand nicht, warum sie so nervös war und zu solcher Eile drängte. Sie musste ja nirgendwo hin. Wenn er unten übe, sei sie oben beschäftigt mit Hausarbeiten, hatte sie ihm versprochen.
Er hängte die Schultasche wieder um. In der einen Hand eine volle, in der anderen eine leere Flasche Coca Cola, stieg er hinter seiner Mutter in den Lift, die dann den untersten Knopf drückte. Im Laufe des Nachmittags würde er die volle Flasche allmählich leeren und die leere über die Hälfte hinaus füllen. Eine leere Cola-Flasche fürs kleine Bedürfnis. Ebenfalls zur Kellerübung gehörte, dass er danach die Brunzflasche gründlich ausspülte und sie in seinem Zimmer versteckte bis zum nächsten Antritt.
Schreckliche Geräusche waren das, wenn sie auf der anderen Seite die Tür abschloss. Das Knarren und Ächzen, das Schreien des Schlüssels. Und die Schritte, die sich entfernten, weich und sanft wie die einer Indianerin. Er war allein in einem fensterlosen Raum mit einer Glühbirne, die ein fröhlicher roter Schirm umfasste, mit mehreren Besen, die in einer Ecke standen, mit Eimern, leeren Kisten und Kartonschachteln. Kisten benützte er als Tisch und Sitzgelegenheit. Um den Tisch arrangierte er drei Sitze, als ob er Gäste erwartete. Manchmal, wie jetzt, löste er am Tisch seine Hausaufgaben. Er kritzelte in einer Sprachübung die in jeder Zeile klaffende Lücke voll mit den fehlenden Wörtern. In sich zusammengekrümmt, den Rücken tief über den Tisch gebeugt, der gleich hoch wie der Sitz war, hockte er da. Bei einer Spalte bekam er Schwierigkeiten, sie wollte sich einfach nicht füllen lassen. Als er aufschaute, drang ein Ungeheuer wie schwarzer Rauch aus der weiss getünchten Kellerdecke. Im nächsten Augenblick würde es sich als wahnsinniger Riese auf ihn stürzen. Er sprang auf, hüpfte auf den Sitz, zog ein Bein an, zählte, zählte, hoch zählen, das Kinn nach unten gedrückt. Als er einen Blick nach oben wagte, war der Wahnsinnige verschwunden. Es hatte bis jetzt immer geholfen, dieses Auf-einem-Bein-Stehen, dieses Zählen und Nicht-ins-Wanken-Geraten, ein Zaubermittel, das die Fratzen in die Flucht schlug, aber wirkungslos war gegen die Langeweile. Zähflüssig zog sich der Nachmittag hin. Er versuchte, sich die Zeit zu verkürzen mit allerhand Erfindungen. Er zeichnete ein Telefon an die Wand, hob den Hörer ab, gab vor, Tasten zu drücken. Irgendwo in der Stadt musste es doch noch andere Kellerkameraden geben. Seine Mutter hatte ihm erzählt, er sei lange nicht der Einzige, der auf Härtetest unter die Erde geschickt werde, auch die Kinder reicher Leute, die am Berghang wohnten, müssten zur Kellerübung antreten. Hallo, hallo, meldete er sich, uhu, uhu. Keiner der anderen Kellerkameraden antwortete. Warum schlafen die alle! Er schnitt die Telefonschnur ab mit einem dicken Strich. Dann machte er Musik. Er blies die Backen und posaunte, mit den Händen schlug er auf eine Holzkiste, er rührte die Kellertrommel. In der Pause nahm er einen Schluck aus der Flasche und stellte sich zum Essen eine Delikatesse vor: einen Jumbo-Burger mit Ketchup. Die Flasche war mehr als zur Hälfte leer und die Brunzflasche hatte er schon zweimal benützen müssen. Er hatte es aufgegeben, ungeduldig zu warten, zu horchen, bis sich endlich Schritte näherten. Nicht jedes Mal gelang ihm dies gleich gut, doch heute war er wieder völlig überrascht, als sich der Schlüssel im Schloss drehte – was für ein lustiges Geräusch – und seine Mutter im Türrahmen stand. Wie schön sie aussah, seine Mutter, die so erfreut war, ihn wohlbehalten vorzufinden nach schwieriger Kellerübung, wie sie strahlte, ihre Wangen waren gerötet, und die Grübchen in ihren Mundwinkeln, die ihm so gut gefielen, sie waren noch grübchenhafter als sonst. Sie fuhr ihm übers Gesicht, wie sie das nur tat, wenn er wie ein Furchtloser aus dem Keller kam. Ob die Übung schwierig gewesen sei, erkundigte sie sich.
Nein, überhaupt nicht, verkündigte er, kein Problem für mich. Seine Mutter durfte stolz auf ihn sein.
Als sie in der Wohnung waren, fiel ihm wieder auf, dass die Vorhänge im elterlichen Schlafzimmer zugezogen waren. Wieso das, wenn doch niemand im Bett schlief? Warum sind die Vorhänge immer zugezogen?, fragte er voll Neugier.
Was immer? In einem leicht vorwurfsvollen Ton bemerkte sie, die zugezogenen Vorhänge schützten das Bettzeug und die Möbel vor dem Ausbleichen im Sonnenlicht. Das sollte ihm doch einleuchten.
Aber letztes Mal hat es geregnet, und da waren sie auch zu.
Hast du Hunger?
Natürlich war er hungrig. Und wie! Wie im Keller sah er einen Jumbo-Burger in einem total roten Sossen-Bett auf sich zuschweben.
Als er das nächste Mal in den Keller sollte, herrschte ein dermassen intensiv blauer Himmel, dass es kaum zum Aushalten war. Hugo rebellierte. Bitte, bitte, lass heute die Kellerübung ausfallen! Seine Mutter liess sich nicht erweichen, sie redete ihm gut zu, so dass er am Ende wieder einmal mehr davon überzeugt war, wie sehr eine solche Übung seine Ausdauer fördere, sogar an einem schönen warmen Tag wie heute. Bevor das mit der Kellerübung angefangen hatte, war er einmal mit Kameraden in ein grosses Erdloch hinabgestiegen. Hinter seinem Rücken kletterten die Kameraden dann schnell nach oben und zogen die Leiter hoch. Als er es bemerkte, war’s bereits zu spät, um die unterste Sprosse noch erhaschen zu können. Lasst die Leiter wieder herab!, bettelte er und sie lachten. Er schrie und weinte, sie liessen ihn trotzdem im Loch zurück. Erst in der Nacht tauchte die Leiter, wie von einer unsichtbaren Hand gehalten, über dem Loch auf, wurde hinabgestossen, ohne dass er erkennen konnte, wer ihm da heraushalf. Als er über den Rand sehen konnte, war der Hilfreiche verschwunden. Nein jetzt würde ihm so etwas nicht mehr zustossen, er würde wachsamer sein nach so vielen Kellerübungen, die er nicht mehr an beiden Händen abzählen konnte.
Nicht wie beim letzten Mal packte er die Schultasche aus und machte sich hinter die Hausaufgaben. Er schmetterte sie auf den Boden, er versetzte ihr Fusstritte. Er stiess Flüche aus, die er in seinem kurzen Leben schon gesammelt hatte, und jetzt kickte er die Brunzflasche im Kellerzimmer herum. Sie prallte an der Wand ab und schlug auf dem Betonboden auf, wo sie dumpfe Töne von sich gab, die wie durch einen abgrundtiefen Schacht hallten. Einmal verfehlte die Brunzflasche nur knapp die Glühbirne. Und dann kamen sie. Erst die wilden Tiere. Sie sprangen durch die Wand, als wäre die Wand Zuckerwatte. Dann die sechsarmigen Elektrorobis. Hastig stellte er sich auf ein Bein und zählte, aber verhaspelte sich, es kam zu Lücken in den Zahlenreihen, er drohte das Gleichgewicht zu verlieren, zählte weiter, aber sie verschwanden nicht. Da rannte er auf die Kisten zu, packte die erste, stiess sie, den Boden nach oben, mitten in den Raum. Dann die zweite, die dritte, während er zischte: Halt, halt! Elektrorobis, zurück, zurück an die Wand! Ich brauche Platz für ein Haus.
Er türmte vor sich und seitlich mehrere Kisten aufeinander. Dann streckte er seinen Kopf über das Flachdach des Kistenhauses hinaus, leicht schräg gestellt, eine Haltung, wie er sie bei seinem Vater beobachtet hatte, und ahmte die Stimme des Brummbären nach: Versprochen, Hugo, beim Boss der Lastwagenchauffeure, bald nehme ich dich mit, dann fahren wir weit weg, durch ganze Ländereien, nehmen Bananen, nehmen Tuttifrutti mit, fahren die ganze Nacht durch; wenn ich müde werde, singst du, da werd‘ ich wieder munter. Er stockte, die Nachahmung der dunklen Stimme kratzte ihn im Hals. Er räusperte sich, fügte krächzend hinzu: Aber sicher, Hugo, versprochen ist versprochen. Zur Bekräftigung winkte er, wie jeweils Vater mit seiner behaarten Hand Kameraden auf der Strasse grüsste. Dann verschwand sein Kopf, und auf einmal erschallte aus dem Kistenhaus Mutters helle Stimme: Hugo, Hugo!
In seiner eigenen Stimme rief er aufgebracht: Ich hocke im Keller.
Mutters Stimme jetzt flehend: Hugo …
Er: Ich kann nicht hinaus.
Sie klagend: Hugo Hugo!
Er ausser Atem, ausser Rand und Band, ganz aus dem Häuschen: Muss sie beschützen, aber hab keinen Schlüssel. Er rannte hinter dem Haus hervor, packte den Griff der Kellertür, rüttelte daran, schlug darauf, liess ihn los und flüsterte verzweifelt: Ich brauche einen Ersatzschlüssel.
Er hatte Geld gespart. Er wusste, wo sich der Schlüssel zur Kellertür befand. Im Wohnungsentree hing er an einem Brettchen, verborgen hinter einem Strauss Dörrblumen. Und wo ein zusätzlicher Wohnungsschlüssel, der Notschlüssel, aufbewahrt wurde, das wusste er ebenfalls.