In Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften heißt es im 16. Kapitel »Eine geheimnisvolle Zeitkrankheit«: »Denn, wenn die Dummheit nicht von innen dem Talent zum Verwechseln ähnlich sehen würde, wenn sie außen nicht als Fortschritt, Genie, Hoffnung, Verbesserung erscheinen könnte, würde wohl niemand dumm sein wollen, und es würde keine Dummheit geben. Zumindest wäre es sehr leicht, sie zu bekämpfen. Aber sie hat leider etwas ungemein Gewinnendes und Natürliches« (R. M.: Der Mann ohne Eigenschaften, Roman, Reinbek bei Hamburg 1987, S. 58).
1921 gab es die erste öffentliche Tonfilmaufführung mit synchron geführtem Ton in Stockholm, 1927 erschien der erste abendfüllende Tonfilm »The Jazzsinger«.
Immanuel Kant (1724–1804), einer der wichtigsten Philosophen besonders durch seine drei Hauptwerke, die Kritik der reinen Vernunft (1781/zweite Auflage 1787), Kritik der praktischen Vernunft (1788) und Kritik der Urteilskraft (1790). Die »Formel« findet sich bei Kant nicht wörtlich, prägt aber die Kritik der Urteilskraft.
Unauflösbarer Widerspruch. Kant führte in der sog. Transzendentalen Dialektik seiner Kritik der reinen Vernunft vier Antinomien auf: Die Welt hat einen/keinen Anfang in der Zeit und ist / ist nicht in Grenzen eingeschlossen; eine jede zusammengesetzte Substanz besteht / besteht nicht aus einfachen Teilen; es gibt eine eigene Kausalität der Freiheit / es gibt keine Freiheit; es gibt ein/kein schlechthin notwendiges Wesen.
Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536), niederländischer Humanist.
Verfasst 1509 (lat. Moriae encomium), ironische Lobrede, in der die personifizierte Torheit sich selbst gegen allerlei Vorwürfe verteidigt.
Johann Eduard Erdmann (1805–1892), Theologe und Philosoph, war ab 1839 Professor an der Universität Halle.
Aufmarschiere, sich protzend zeige.
Kohlweißling: Schmetterlingsart, bedeutender Schädling in der Landwirtschaft; früher wurden die Raupen einfach von Hand abgesammelt.
Anspielung auf Johann Wolfgang Goethe, Faust. Der Tragödie Erster Teil. Faust verzweifelt zu Beginn (V. 406–409): »Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt, / Mit Instrumenten vollgepropft, / Urväter Hausrath drein gestopft, / Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!«.
Hier: zitatfreudigen, mit ihrer Bildung angebenden.
Führungszeugnis (Leumund: Ruf, Ansehen).
Von dem Psychiater Richard von Krafft-Ebing (1840–1902) erstmals in wissenschaftlichem Zusammenhang verwendeter Begriff mit indirektem Bezug auf die pornographischen Romane von Donatien-Alphonse-François, Marquis de Sade (1740–1814), bezeichnet die Gewinnung von Lust oder Befriedigung durch Macht über andere.
Privilegierte.
Hoheit (etwa als Titel eines Kardinals).
Titel z. B. für den Rektor oder Präsidenten einer Hochschule (wörtl.: »Erhabenheit«).
Dem Bedürfnis, überheblich zu sein.
Ausschluss oder Ausweisung.
Ohne.
Der Hirtengott Pan provozierte durch einen plötzlichen Schrei in der Stille des Mittags eine sinnlose Massenflucht von Herden, so die griechische Mythologie.
Die Identität dieses Mannes ist unklar.
Artilleriegranate, die mit Metallkugeln gefüllt ist: Kurz vor dem Aufschlag werden diese durch eine Treibladung verstreut.
Großes, breit streuendes, gerade nicht gezieltes.
Geistige Behinderung, Schwachsinn.
Überstrenge, starre, an Prinzipien um ihrer selbst festhaltende Menschen.
Eugen Bleuler (1857–1939), Schweizer Psychiater, wurde bekannt durch Untersuchungen zur Schizophrenie (er prägte den Begriff) und zum Autismus; beschäftigte sich als einer der ersten Klinikleiter mit Freuds Lehre.
Springer: Berlin 1916.
Vgl. Anm. 24 .
Anspielung auf Wilhelm Wundts (1832–1920) Technik, die Eugen Bleuler und Sigmund Freud in die Psychoanalyse übernahmen bzw. modifizierten.
So wörtlich in Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften, a. a. O. S. 59.
Die Quelle ist nicht nachweisbar.
Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Roman, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 249, 250, 251 und 255.
Robert Musil
Vortrag auf Einladung des österreichischen Werkbunds, gehalten in Wien am 11. und wiederholt am 17. März 1937
Meine Damen und Herren!
EINER, so sich unterfängt, über die Dummheit zu sprechen, läuft heute Gefahr, auf mancherlei Weise zu Schaden zu kommen; es kann ihm als Anmaßung ausgelegt werden, es kann ihm sogar als Störung der zeitgenössischen Entwicklung ausgelegt werden. Ich selbst habe schon vor etlichen Jahren geschrieben: »Wenn die Dummheit nicht dem Fortschritt, dem Talent, der Hoffnung oder der Verbesserung zum Verwechseln ähnlich sähe, würde niemand dumm sein wollen.«1 Das ist 1931 gewesen; und niemand wird zu bezweifeln wagen, dass die Welt auch seither noch Fortschritte und Verbesserungen gesehen hat! So entsteht allmählich eine gewisse Unaufschieblichkeit der Frage: Was ist eigentlich Dummheit?
Ich möchte auch nicht außer acht lassen, dass ich als Dichter die Dummheit noch viel länger kenne, könnte ich doch sogar sagen, ich sei manches Mal in kollegialem Verhältnis zu ihr gestanden! Und sobald in der Dichtung ein Mann die Augen aufschlägt, sieht er sich überdies einem kaum beschreiblichen Widerstand gegenüber, der alle Formen annehmen zu können scheint: sei es persönliche, wie etwa die würdige eines Professors der Literaturgeschichte, der, gewohnt, auf unkontrollierbare Entfernungen zu zielen, in der Gegenwart unheilstiftend danebenschießt; sei es luftartig allgemeine, wie die der Umwandlung des kritischen Urteils durch das kaufmännische, seit Gott in seiner uns schwer begreiflichen Güte die Sprache des Menschen auch den Erzeugern von Tonfilmen2 verliehen hat. Ich habe früher schon ein oder das andere Mal mehr solcher Erscheinungen beschrieben; aber es ist nicht nötig, das zu wiederholen oder zu vervollständigen (und anscheinend wäre es sogar unmöglich angesichts eines Hanges zur Größe, den alles heute hat): es genügt, als sicheres Ergebnis hervorzuheben, dass sich die unkünstlerische Verfassung eines Volkes nicht erst in schlechten Zeiten und auf rüde Weise äußert, sondern auch schon in guten und auf jegliche Weise, so dass Bedrückung und Verbot nur dem Grade nach verschieden sind von Ehrendoktoraten, Akademieberufungen und Preisverteilungen.
GenussUrteil3Urteilsurteil4