Originalausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2015
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Redaktion Regina Carstensen
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Satz Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-644-04581-1
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-04581-1
Wilhelm, F.H., und Roth, W.T.: Clinical characteristics of flight phobia. Journal of Anxiety Disorders 11, S. 241–261, 1997
Kendler, K.S., Karkowski, L.M., und Prescott, C.A.: Fears and phobias: reliability and heritability. Psychological Medicine 29, S. 539–553, 1999
Freilich, M.: Cultural Persistence among the Modern Iroquois. Antropos 53, S. 473–483, 1958
Kendler, K.S., et al.: The genetic epidemiology of phobias in women. The interrelationship of agoraphobia, social phobia, situational phobia, and simple phobia. Archives of General Psychiatry 49, S. 273–281, 1992
Hettema, J.M., Neale, M.C., und Kendler, K.S.: A review and meta-analysis of the genetic epidemiology of anxiety disorders. American Journal of Psychiatry 158, S. 1568–1578, 2001
Hettema, J.M., Neale, M.C., und Kendler, K.S.: A review and meta-analysis of the genetic epidemiology of anxiety disorders. American Journal of Psychiatry 158, S. 1568–1578, 2001
Menzies, R.G., und Clarke, J.C.: The etiology of fear of heights and its relationship to severity and individual response patterns. Behaviour Research and Therapy 31, S. 355–365, 1993
Trevison, C.: Fear of Flying. The Oregonian 2. February, 2000
Dalai-Lama: What do I really fear? Being eaten by sharks. The Telegraph, 3. März 2015
Bandelow, B., et al.: S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen. Heidelberg, Springer 2014
Rothbaum, B.O., et al.: A controlled study of virtual reality exposure therapy for the fear of flying. Journal of Consulting and Clinical Psychology 68, S. 1020–1026, 2000
Genesis star Peter Gabriel «wrote farewell note» during scary flight. AOL Travel, 1. August, 2013
Bandelow, B.: Das Angstbuch. 10. Aufl. Reinbek, Rowohlt 2004
Augustin, E., von Keisenberg, P., und Zaschke, C.: Ein Mann – Ein Buch. München, Süddeutsche Zeitung Bibliothek 2007
Da sitzen Sie nun in Reihe 28, Gangplatz, in der Nähe des Notausgangs. Sie haben sich bequem gekleidet, eine leichte Mahlzeit zu sich genommen, einen Frischkäse-Bagel und einen kleinen Salat, viel stilles Wasser getrunken, auf Kaffee allerdings verzichtet, und sind noch einmal auf die Toilette gegangen. Sie haben Ihre Baldriantropfen eingenommen. Sie haben die Sicherheitskarte des Flugzeugs genau studiert, sich mit der Funktion der Schwimmweste und den Notrutschen vertraut gemacht. Sie haben die Flugbegleiterin informiert, dass Sie unter schwerer Flugangst leiden, und die Dame darauf vorbereitet, dass Sie sie gegebenenfalls um eine Erklärung bitten würden, wenn während des Fluges ungewöhnliche Geräusche und Vorkommnisse zu Ihrer Irritation beitragen. Sie tragen ein Gummiband am Handgelenk, um es beim Anzeichen von Nervosität anzuziehen und zurückschnappen zu lassen. Sie haben bis zur Aufforderung, die elektrischen Geräte abzuschalten, noch einmal Ihre Meditations-App auf dem Tablet laufen lassen. Gegen den Unterdruck haben Sie ein Kaugummi im Mund.
Sie haben alles richtig gemacht.
Die Maschine rollt an. Und da ist sie wieder: die Panik. Schlimmer als je zuvor. Das darf doch nicht wahr sein …
«Jeder sagt, dass Fliegen gar nicht gefährlich ist. Warum habe ich trotzdem Angst?», werden Sie sich vielleicht auch schon gefragt haben. «Alle machen sich lustig über mich. Für mich ist das aber, verdammt noch mal, kein harmloses Problem!»
Woran liegt es, dass ich diese unerklärliche Furcht vor dem Fliegen habe? Liegt es an meiner Erziehung, am allgemeinen Stress, an falscher Ernährung, an einem früheren Flug mit heftigen Turbulenzen, an den ausführlichen Fernsehberichten über tragische Flugzeugunglücke, oder bin ich einfach nur ein ziemlicher Schisshase?
In diesem Buch werden Sie Antworten auf Ihre Fragen bekommen. Die Angstforschung kann uns plausible Erklärungen liefern, wie Flugangst entsteht. Und wissenschaftliche Studien können uns sagen, welche Therapiemethoden wirklich helfen. Nicht alles, was Sie in Ratgebern oder im Internet zu den Ursachen und der Behandlung von Flugangst finden, ist wirklich sinnvoll und hilfreich. Die hier beschriebenen Hintergründe für die Angst vor dem Fliegen und die Behandlungsformen sind überprüft. Manches, was Sie im Folgenden zu Flugangst lesen, stellt vielleicht ein paar landläufige Vorstellungen in Frage.
Zunächst aber werden wir Ihre spezielle Flugangst näher eingrenzen und dann ein individuelles Behandlungsprogramm für Sie herausarbeiten.
Sie haben Angst vor dem Fliegen? Sie sind noch nie geflogen? Sie jetten ein- bis zweimal im Jahr ins Ausland? Sie müssen aus beruflichen Gründen mindestens einmal pro Woche starten? In all diesen Fällen kann Ihnen geholfen werden.
Jeanette C., 31, hat noch nie eine Flugreise unternommen. Ihr Mann wünscht sich sehnlichst, einmal mit ihr den Urlaub auf Bali, in Mexiko oder Südafrika zu verbringen, aber das Paar fährt in den Ferien meist mit dem Wohnmobil in den Harz.
Carlo L., 38, Verkäufer für Landmaschinen, muss zweimal in der Woche ins Ausland jetten. Er versucht jedes Mal, sich davor zu drücken, indem er den Job einem Kollegen schmackhaft macht, sich krankmeldet oder eine Ausrede findet, warum er die Reise für überflüssig hält.
Sylvia S., 39, hat zwar bisher noch nie einen Flug vermieden, durchsteht dabei aber jedes Mal Todesängste. Schon tagelang vor dem Flug kann sie nichts essen; sie schläft kaum und wird von Weinkrämpfen geschüttelt.
Wolfgang H., Unternehmer, weigert sich seit Jahren standhaft, in einen Flieger zu steigen, obwohl seine Anwesenheit bei bestimmten Auslandsterminen von größter Wichtigkeit für seinen Konzern wäre.
Nadja K., 36, hat einmal in einem Flugzeug eine Panikattacke erlitten. Seitdem befürchtet sie, ein solcher Anfall könnte beim nächsten Flug wieder auftreten.
Wenn Sie unter Flugangst leiden: Sie sind nicht allein. Der deutsche Schauspieler Matthias Schweighöfer, der in einem Film den unerschrockensten aller Kriegspiloten, Manfred von Richthofen alias «Den Roten Baron» mimte, urlaubt am liebsten am Gardasee, weil er weiter entfernte Ziele nicht mit dem Auto erreichen könnte. Und die beste Soulsängerin aller Zeiten, Aretha Franklin, beklagte: «Ich habe wegen meiner Flugangst zwei Auftrittschancen verpasst: eine bei den Pyramiden und einmal vor der Queen.»
Fliegen steht bei vielen Menschen ganz oben auf der Liste der gefürchteten Situationen. Die amerikanische Flugzeugmanufaktur Boeing schätzt, dass zwanzig bis dreißig Prozent der US-Bevölkerung sich bei Flugreisen unwohl fühlen. Im Jahr 2014 flogen von deutschen Flughäfen laut Statistischem Bundesamt 186,4 Millionen Passagiere ab – das hieß dreißig bis fünfzig Millionen Mal Unruhe, Herzrasen, Zittern und Schwitzen, wenn man die Zahlen auf Deutschland hochrechnet.
Bei zehn Prozent aller Menschen besteht eine so ausgeprägte Flugphobie, dass sie zur kompletten Vermeidung von Flügen führt. Unter einer Phobie versteht man übrigens eine übersteigerte oder unrealistische Angstreaktion, wie die Furcht vor harmlosen deutschen Hausspinnen oder kleinen Mäusen. Und wie bei allen Phobien ist auch die Angst vor dem Fliegen bei Frauen häufiger.
Die Französischlehrerin Amélie F., 49 Jahre alt, war früher acht Jahre lang Stewardess. «Früher fand ich es lustig, wenn ich es schaffte, bei Turbulenzen noch die Tabletts zu balancieren, obwohl die Tassen schon durch die Luft flogen. Heute sitze ich völlig nervös als Passagierin im Flugzeug und habe Todesängste.» Im Durchschnitt beginnt eine Flugangst um das fünfundzwanzigste Lebensjahr. Im Alter zwischen dreißig und vierzig ist sie besonders stark ausgeprägt. Es ist also durchaus nicht ungewöhnlich, dass jemand, der als Jugendlicher überhaupt kein Problem mit dem Fliegen hatte, diese Furcht später entwickelt. Und das trotz der Erfahrung, dass bisher immer alles gutgegangen ist. Die Vielfliegerkarte schützt nicht vor Flugangst. Geschäftsleute, die seit Jahren beruflich unzählige Male im Flieger saßen, entwickeln plötzlich eine für sie völlig unerklärliche Angst im Jet.
Auch wenn es unzählige Formen der Angst gibt, so äußert sie sich doch im Körper immer gleich. Im Folgenden erfahren Sie, wie der Körper in Angstsituationen reagiert.
Ein Mensch, der Angst hat, stellt bei sich Symptome fest, die ihm merkwürdig oder unheimlich vorkommen. In Wirklichkeit sind die dabei auftretenden körperlichen Erscheinungen Ausdruck durchaus normaler Funktionen, die das Überleben in einer Kampf- oder Fluchtsituation ermöglichen sollen. Ein Tier, das seinem natürlichen Feind begegnet, hat die gleichen Symptome, aber ebenso ein Soldat in einer Kampfhandlung. Wenn sich ein Lebewesen in Gefahr wähnt, findet im Körper eine Umstellung statt, damit es besser weglaufen oder kämpfen kann. Alle Angstsymptome haben ihren Sinn:
Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt an, damit mehr Blut durch die Muskeln gepumpt wird; diese spannen sich an, damit man besser auf die «Greif an oder hau ab!»-Situation vorbereitet wird.
Das Blut wird aus dem Kopf abgezogen, weil es im Körper derart umverteilt wird, dass es in den Armen und Beinen für die Flucht als Energielieferant verwendet werden kann. Das Fehlen des Blutes im Kopf äußert sich dann als Schwindel. Die Haut erscheint blutleer und bleich, und man hat ein flaues Gefühl im Magen.
Man kann aber auch «starr vor Angst» sein. Das ist die menschliche Variante des tierischen Totstellreflexes. Manche Tiere retten sich auf diese Weise vor dem Feind (es funktioniert leider nicht immer).
Die Lunge wird besser durchblutet, um im Blut den Sauerstoffgehalt zu erhöhen, denn der wird dringend gebraucht. Dies erzeugt das subjektive Gefühl der Luftnot oder gar Erstickungsangst.
Taubheits- und Kribbelgefühle in den Händen und Armen sind eine Folge dieser beschleunigten Atmung. Sie entstehen durch Verschiebungen im chemischen Gleichgewicht des Bluts.
Das Schwitzen ist ein Zeichen dafür, dass die Regulierung der Körpertemperatur an das Geschehen angepasst wird. Der Körper wird «vorgekühlt», damit er bei einer Flucht nicht «zu heiß läuft».
Die Pupillen erweitern sich, die Augen sind weit aufgerissen, damit einem keine Gefahr entgeht.
So gehen alle Angstsymptome auf Mechanismen zurück, die unser Überleben sichern sollen. Wir müssen uns das wie die Reaktion eines modernen Autos auf einen drohenden Unfall vorstellen: Die Gurte werden gestrafft, noch bevor der Körper bei einer Notbremsung nach vorne fliegen kann, die Kopfstützen werden arretiert, die Airbags durch kleine Sprengladungen aufgeblasen, Scheiben und Schiebedach blitzartig geschlossen. Genauso wird im menschlichen Körper bei Gefahr ein vorausschauendes Notfallprogramm gestartet.
Alle Angstsymptome sind mit einem äußerst unangenehmen Gefühl verbunden, dem man entrinnen möchte. Auch das hat eine natürliche Begründung, denn das Lebewesen soll motiviert werden, die Ursache der Angst auszuschalten oder ihr aus dem Weg zu gehen.
Bei Angsterkrankungen ist die Umstellung im Körper natürlich nicht angemessen, da keine echte Gefahr vorhanden ist, die das Notfallprogramm rechtfertigen könnte. Jemand, der im Rahmen einer Phobie unter diesen Symptomen leidet, wird sie oft selbst als unsinnig und unerklärlich empfinden, aber er kann diese Furcht trotzdem nicht abschütteln.
Es gibt mehrere Gründe, warum Menschen ungern in ein Flugzeug steigen. Die Unterscheidung ist wichtig, weil die Behandlung jeweils eine andere ist.
Man bezeichnet Ihr Problem …
als Flugphobie, wenn Sie ausschließlich Angst vor dem Flugzeugabsturz, aber ansonsten keine anderen Ängste haben
als Höhenphobie, wenn Sie nicht nur im Flugzeug, sondern generell Furcht vor Höhen haben
als Generalisierte Angststörung, wenn Sie auch in vielen anderen Situationen ängstlich sind
als Panikstörung
Agoraphobie