Uwe Woitzig
Limit up - Sieben Jahre schwerelos
Von der Gier zum Geist
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Impressum neobooks
Vorwort
„Jeder Mensch, alle Ereignisse in deinem Leben sind da, weil du sie angezogen hast. Aber es gibt kein Problem, das nicht auch ein Geschenk für dich in Händen trägt. Du suchst Probleme, weil du ihre Geschenke brauchst.“
Ich stelle mir vor, ein Multiplex Kino zu betreten. Über einem der Eingänge entdecke ich zu meiner Verblüffung meinen Namen als Filmtitel. Ich betrete den Kinosaal, in dem nur eine einzige Person sitzt, die gebannt auf die Leinwand starrt. Ich setze mich neben die Person und stelle fest, dass ich es selbst bin, der sich hier den Film seines Lebens anschaut. Mein Blick fällt auf die Leinwand und ich erkenne sofort alle Darsteller. Es sind meine Eltern, meine Großeltern, meine Ehefrauen, meine Geliebten, meine Freunde und meine Geschäftspartner. Und der Held des Films bin ich selbst. Ich handele so, wie ich mich kenne und mich immer gesehen habe. Auch alle anderen Figuren des Films agieren wie gewohnt und die Handlung ist mir bestens bekannt.
Nach dem Ende des Films gehe ich den angrenzenden Kinosaal. Hier läuft der Film mit dem Namen meiner Mutter. Aber sie ist völlig anders als in meinem Film. Weil das ihre Geschichte ist, zeigt sie der Film so, wie sie gerne wahrgenommen werden möchte und wie sie sich wahrnimmt. Und das ist vollkommen anders, als ich sie in meinem Film gesehen habe. Ich bin schockiert. Der Schock wird noch größer, als ich entdecke, dass ich eine der Nebenfiguren ihres Films bin. Allerdings spiele ich eine vollkommen andere Rolle als in meinem Film, deshalb habe ich mich zunächst gar nicht erkannt. Dann begreife ich, dass ich mich in ihrem Film so sehe, wie meine Mutter mich versteht und wahrnimmt, was weit davon entfernt ist, wie ich mich selbst einschätze. Auch meinen Vater sehe ich so, wie meine Mutter ihn sieht, und auch das entspricht nicht meiner eigenen Vorstellung von ihm.
Verwirrt gehe ich zurück in den Saal, in dem mein Film läuft. Ich schaue ihn mir noch einmal an. Auf einmal zweifle ich an dem, was ich sehe. Es ist meine eigene Geschichte, aber jetzt weiß ich, dass es nur eine aus meinem Blickwinkel erzählte Geschichte ist, die von anderen ganz anders erlebt wurde. Mir wird bewusst, dass ich mein Leben lang umsonst geschauspielert habe, weil kein Mensch mich so sieht, wie ich gesehen werden wollte. Die Menschen um mich herum haben von den dramatischen Ereignissen in meinem Film eigentlich gar nicht viel mitbekommen, weil sie so sehr auf ihren eigenen Film konzentriert waren. Alle lebten in ihrer eigenen Welt, in ihrer eigenen Geschichte. Und diese Geschichte ist für jeden seine Wahrheit.
Das führt mich zu der Erkenntnis, dass die Meinungen der anderen über mich nur jene Figur betreffen, die in ihren Filmen mitspielte, also die sie selbst geschaffen haben. Was immer sie von mir denken, bezieht sich auf das von ihnen geschaffene Bild von mir, das ich in Wirklichkeit gar nicht bin. Selbst die Menschen, die mich am meisten lieben oder geliebt haben, kennen mich nicht und ich kenne sie auch nicht.
Seit ich sieben Jahre mit meinen Hunden auf einem Berg in Tirol gelebt habe, der „Schatzberg“ hieß, verstehe ich mich selbst und die vielen Menschen, denen ich in meinem Leben bisher begegnet bin, viel besser. Der Leser wird in meinem Bericht über diese entscheidende Phase meines Lebens einige seiner Facetten entdecken und vielleicht den Mut finden, viele der aus Angst vor der Meinung Anderer unterdrückten Teile seines Potenzials ans Tageslicht zu holen und sie endlich zuzulassen. Ohne Furcht vor Kritik, Verurteilungen oder Misserfolgen. Es gibt kein schöneres Gefühl, als nach einem scheinbaren Niederschlag sich wieder aufzurappeln. Jede Katastrophe ist auch ein Grund zur Freude, denn sie befreit von einer Menge Ballast, Mühen und Sorgen. Sie ist eine Chance zum Neuanfang. Wie es so wunderbar in dem Film „Alexis Sorbas“ dargestellt wird, in dem Anthony Quinn nach dem Zusammenbruch der mühsam errichteten Seilbahn zu seinem vor Schreck erstarrten „Boss“ sagt: „Was für eine wunderbare Katastrophe!“ und mit ihm - tanzt.
Viel unangenehmer sind die scheinbaren Erfolge. Sie erzeugen Verlustängste am Tag und Albträume in der Nacht. Auf der Höhe meines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolges hatte ich eines Nachts einen merkwürdigen Traum, der mich schweißgebadet aufwachen ließ. Ich träumte, dass ich mich mit vielen anderen Menschen in einem Teerloch befand. Wir waren alle von Kopf bis Fuß mit dem klebrigen Zeug bedeckt, unfähig, schnell von einem Platz zum anderen zu wechseln, weil die schwarze Masse so zäh und dickflüssig war und unsere Bewegungsfreiheit auf ein Minimum reduzierte.
Dieser Traum symbolisierte den inneren Zustand, den ich nach den ersten 35 Jahren meines Lebens erreicht hatte. Wie ich mich aus dem „Teerloch“ befreite, habe ich in meinem Buch „Hofgang im Handstand“ beschrieben. Es war mir gelungen, aus meiner alten Energie auszubrechen und mit mir spirituell, physisch und mental im Einklang zu sein.
Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden, sagt Kierkegaard. Erst heute begreife ich die im wahrsten Sinne des Wortes wundervollen Mechanismen, die mich dahin gebracht haben, wo ich heute bin. Jetzt bin ich soweit und kann den Sinn meines Lebens, das scheinbar viele Irrwege, aber eine präzise Richtung hatte, erahnen.
Meine Lebensgeschichte ist in Wirklichkeit nicht von Bedeutung. Sie ist nur ein Vehikel, das ich benutze, um meinen Erkenntnissen Authentizität zu verleihen.
Tausend Wolken inmitten ungezählter Bäche
Und dazwischen ein Mensch voll innerer Ruhe.
Bei Tage streift er durch die dunkelgrünen Hügel,
Des Nachts schläft er unterhalb der Klippen.
Sanft gehen die Jahreszeiten an ihm vorüber,
Gelassen, rein – ohne irdische Bande.
Welche Freuden! – Und worauf beruhen sie?
Auf stiller Ruhe, herbstlichem Flusswasser gleich.
(Hanshan)
Die letzten Meter waren grausam. Gnadenlos stach mir die Augustsonne ins Genick. Der Schweiß lief unaufhörlich in meine Augen. Meine Lungen brannten. Meine Muskulatur hatte sich aufgelöst und meine Beine waren zu Gummi geworden. Dennoch gab ich nicht auf. Ich sah das verdammte Gipfelkreuz vor mir und wollte es berühren. Der Galtenberg, auf dessen höchsten Punkt ich gerade mit letzter Kraft zu taumelte, war der erste Berg, den ich in meiner neuen Heimat bestieg. Jedem erfahrenen Alpinisten würde sein Schwierigkeitsgrad nur ein müdes Lächeln entlocken. Aber für mich Ungeübten war der hinter mir liegende sechsstündige Aufstieg über felsiges Geröll und schartige Kanten bereits eine heftige Herausforderung gewesen. Speziell die letzten hundert Meter, die mich auf den steil aufragenden bizarren Felsen des Gipfels führten, hatten mich extrem gefordert.
Der Boden war von Eis und harschem Schnee überzogen. Mühsam kämpfte ich mich auf dem glitschigen, äußerst tückischen Untergrund vorwärts. Immer wieder hatte ich den Halt verloren und war gestürzt. Mein ganzer Körper war mit Prellungen und Blutergüssen überzogen. Jeder Schritt sandte eine Welle des Schmerzes durch mich hindurch. Doch ich gab nicht auf und ging weiter. Schweißüberströmt und nach Luft ringend erreichte ich schließlich das Gipfelkreuz. Mit zitternden Beinen umarmte ich das eiskalte Holz des mächtigen Holzbalkens. Langsam ließ ich mich am Fuße des Symbols der in Tirol allgegenwärtigen katholischen Kirche nieder.
Mein Herz raste. Deutlich vernahm ich das Pochen des Herzschlages in meinen Ohren. Vollkommen erschöpft öffnete ich mit zitternden Händen mühsam meinen Rucksack und holte die mitgebrachte Jause heraus. Nach den ersten Bissen von einem Käsebrot mit Gurke und einem großen Schluck kühlen Weins aus einer Thermosflasche kehrten meine Kräfte allmählich zurück. Erst jetzt schaute ich mich um. Ich war umgeben von Hunderten von Gipfeln, die majestätisch und unberührt von dem hektischen Treiben der Menschen in den wolkenlosen Himmel ragten. Das atemberaubende Alpenpanorama, das sich vor mir bis zum Horizont ausdehnte, versöhnte mich sofort mit der hinter mir liegenden Strapaze.
Mit geschlossenen Augen genoss ich die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht und dachte daran, was ich, der rastlos suchende Junge aus dem Kohlenpott, in meinem Leben bisher alles erlebt hatte, bevor ich mir vor einigen Monaten unweit von hier ein Haus mietete.
In meinen „wilden“ Zeiten gehörte ich zu der „Dorchester-Ritz-Danieli“ – Liga, übernachtete also nur in den Suiten der besten 5-Sterne-Hotels dieser Welt, hatte Zugang zu ein paar der feinsten Jachten der Erde, flog mit eigenen Privatfliegern und speiste nur in den besten Restaurants. Ich badete an 70 % der Traumstrände dieses Planeten, hatte einen Teil der Sahara durchquert und unter anderem auf dem Wiener Opernball, dem Ball de Rose in Monte Carlo und am Faschingsdienstag auf dem Markusplatz in Venedig im sündteuren mittelalterlichen Kostüm getanzt. Ich hatte Staatsempfänge besucht und war dreimal mit einem „IATA-First-Class-Ticket-Round-The-World“ um die Erde zu allen Orten gereist, die ich kennenlernen wollte. Mein damaliger Pass war so voll mit Visa, dass keins mehr hineinpasste.
Ich leitete mit diversen Partnern zusammen fast zehn Jahre lang vier Unternehmen gleichzeitig: ein deutsches Brokerhaus in München, eine deutsche Privatbank, einen privaten Fernsehsender und ein mit einem griechischen Multimillionär gegründetes Brokerhaus mit Sitz in Monte Carlo. Nebenbei war ich Vizepräsident der European Heritage Foundation. Ich verdiente jährlich im siebenstelligen Bereich und jettete pausenlos zu Geschäftsterminen in der ersten Klasse um die Welt. Mein Leben und mein Geschäftsimperium schien ich perfekt im Griff zu haben. Doch schließlich war ich wegen Betrugs im Knast gelandet. Vermutlich, weil ich dem Schicksal gegenüber noch eine Schuld zu begleichen hatte. Ich hatte mit der Arbeit in meinen Firmen gegen die Normen der sozialen Strukturen verstoßen und musste diese Schicksalsschuld begleichen.
Nicht geläutert, aber mit wesentlichen, für mich damals neuen Erkenntnissen war ich nach zweieinhalb Jahren entlassen worden (siehe mein Buch „Hofgang im Handstand“).
„Ist das alles dem Zufall zu verdanken, dass ich heute hier auf diesem Berg sitze?“ fragte ich mich. „Woher kam der Wunsch, der Gier nach Kohle, Anerkennung und Macht zu entfliehen, die einst mein Leben bestimmte? Aus mir selbst oder bin ich nur ein Spielball der Götter wie der berühmte Grieche, den Poseidon gnadenlos verfolgte und ihn über 20 Jahre Irrfahrten machen ließ? Gibt es überhaupt den freien Willen? Oder ist alles vorherbestimmt?“
In dem Moment fiel mir ein, was ich über Kairos, den Gott des rechten Augenblicks, gelesen hatte. In der griechischen Mythologie wird er als ein Typ beschrieben, der ständig auf Zehenspitzen läuft, an den Füßen Flügeln und an der Stirn eine Haarlocke hat, am Hinterkopf aber kahlköpfig ist. Er ist dauernd verdammt schnell unterwegs. Wenn man ihm begegnet und ihn nicht rechtzeitig an seiner Haarlocke erwischt, ist er auf und davon. Daher stammt übrigens der Ausdruck, „eine Gelegenheit beim Schopfe packen“. Er erwartet eine schnelle Entscheidung, die aus der Intuition, dem Bauchgefühl kommen muss.
Das bedeutet, dass es wenig Sinn macht, sich im Falle der Notwendigkeit einer Entscheidungsfindung hinzusetzen, ein Blatt Papier zu nehmen und auf zwei Spalten alle Für und Wider aufzulisten.
Wie es ein unerfahrener Liebhaber wie der berühmte Astronom Kepler machte. Kepler war laut Berichten ein kleiner, unansehnlicher Typ, dem Frauen erst nach seinen wissenschaftlichen Erfolgen Beachtung schenkten. Er verfuhr mit elf „Kandidatinnen“ für eine Ehe mit ihm folgendermaßen: Penibel beobachtete er sie mehrere Jahre und listete alle ihre Charaktereigenschaften auf. Jahrelang konnte er zu keinem Ergebnis kommen. Als er sich endlich für eine entschied und ihr einen ernstgemeinten Heiratsantrag machte, wies sie ihn empört ab. Unwiderruflich. So viel zu rationalen Methoden der Entscheidungsfindung.
Bei einer Begegnung mit Kairos darf die Ratio nur eine Rolle spielen, indem sie als Herrin der Risikokompetenz auf mögliche Gefahren hinweist. Die Frage, ob Mut zum Risiko zu zeigen, spontan Kairos´ Schopf zu ergreifen und sich von ihm auf einen neuen Weg mitnehmen zu lassen oder sich einen „Plan B“ als Fallschirm zu überlegen, darf man sich nicht stellen. Sonst ist die Gelegenheit verpasst. Aus Angst Pläne zu machen, ist absurd, weil das Leben sich niemals planen lässt. „Die Furcht zu irren ist möglicherweise der Irrtum selbst“ sagt Hegel.
Also heißt es, die möglichen Risiken und Herausforderungen zu erkennen, abzuwägen und dann mit dem leichtfüßigen Kairos davon zu tanzen. Jeder kann nämlich in die Gerechtigkeit der Existenz vertrauen, die durch Kairos repräsentiert wird. Er ist ein echter Prüfstein für unser Urvertrauen. Nie wird ein gerechtes Universum einem Menschen durch Kairos eine Gelegenheit bieten und ihm damit verbundene Aufgaben stellen, die er mit den ihm gegebenen Fähigkeiten nicht lösen kann. Es gilt die Regel, dass ein frei umherziehender Herkules schwierigere Prüfungen bestehen kann als ein schwächlicher Haussklave.
Ich dachte an die Worte Oscar Wildes: „Der Hässliche und der Dumme kommen auf dieser Welt am besten weg. Sie können gemütlich da sitzen und das Spiel begaffen. Wenn sie auch nichts vom Sieg wissen, es bleibt ihnen zumindest erspart, die Niederlage kennenzulernen. Sie leben so, wie wir alle leben sollten: ungestört, gleichgültig und ohne Ruhelosigkeit. Sie bringen weder Verderben über andere noch wird ihnen dergleichen durch andere zuteil.“
Möglich, dass er mit seiner ironischen Sichtweise nicht unrecht hat und es sich besser lebt, wenn man die Begegnungen mit Kairos vermeidet. Denn Kairos ist der Gott des radikalen Neuanfangs. Sein Dolch hat eine messerscharfe Schneide, die teilt sowie verfallen und neu entstehen lässt. Daher kommt übrigens der Begriff „einen Schnitt machen“ für einen Neubeginn im Leben.
Ein Tanz mit Kairos ist die Zeit der Außerkraftsetzung der Gesetze, der Ausnahmezustand, der über allem steht. Genau das reizte mich. Immer wieder hatte ich in meinem Leben seinen Schopf ergriffen und mich von ihm auf eine neue Reise mitnehmen lassen. Dabei Chronos, dem Gott der stetig verrinnenden Zeit und des scheinbar unabänderlichen Schicksals, arrogant und höhnisch ins Gesicht gelacht. Ohne zu bedenken, dass Kairos, dessen Erscheinen wir gerne als Zufall bezeichnen, nur der Wasserträger der Determination, also der Diener des Chronos ist. Der nahm mir diese Schmähung und Missachtung seiner Bedeutung für mein Leben sehr übel. Er verfolgte mich gnadenlos wie einst Poseidon den Odysseus und ließ mich jahrelang Nebenstrecken meiner Lebensbahn zurücklegen, bevor ich wieder auf die Hauptroute zurückkehren durfte.
Die Erinnerungen an den Lebensabschnitt, in dem ich ständig hinter dem großen Geld herjagend durch die Welt gehetzt war, tauchten in mir auf und irritierten mich. Sie zerstörten die Harmonie des Augenblicks. Ich stand auf, ging ein paar Schritte zu der Kante eines schmalen Plateaus und ließ mich dort nieder. Meine Beine baumelten frei in der Luft. Wie bei dem Narren auf der Karte des Rider-Tarot, der entweder in den Abgrund stürzt oder zum Magier aufsteigt. Mit Blick über die Gipfel der Alpen auf den unendlichen Horizont ließ ich die entscheidenden Episoden aus dem Film meines Lebens an meinem geistigen Auge vorüberziehen.
Du bist deine Erfahrung. Darum solltest du mehr Erfahrung sammeln. Bevor du Wurzeln schlägst, solltest du so viele Erfahrungen wie möglich machen. Der wahre Mensch schlägt nie Wurzeln; der wahre Mensch bleibt immer heimatlos, ein Zigeuner, ein Wanderer, ein Vagabund der Seele. Er bleibt ständig auf der Suche, bleibt ein Forscher, ein Lernender – er wird nie zu einem Gelehrten. Darum habe keine Eile zu einem Gelehrten zu werden, bleibe ein Lernender. Ein Lernender zu bleiben hat eine ungeheure Schönheit und Würde, denn darin besteht das Leben.
(Osho)
Über ein Jahr war vergangen, seit sich die Gefängnistür für mich geöffnet hatte und ich in die sogenannte Freiheit zurückgekehrt war. An einem lauen Septemberabend raste ich mit sehr schlechter Laune in meinem silbergrauen Porsche GTI von Bozen nach München. Heute Morgen erst war ich aus New York zurückgekommen, wo ich mich an seinem Grab von meinem besten Freund Clinton verabschiedet hatte. Er war während meiner Haft gestorben. An Magenkrebs. Mit 45. Im allerbesten Mannesalter. Ohne den Knast wäre es mir vermutlich ähnlich ergangen. Angelo, der damalige Direktor meiner Firma in Monte Carlo, hatte mir kurz nach meiner Entlassung eher beiläufig am Telefon von Clints Tod erzählt. Mir war der Hörer aus der Hand gefallen, so geschockt war ich. Clint, mein bester Freund und Trauzeuge, war gegangen. Auf einmal war ich skeptisch geworden und zweifelte an der für mich unfassbaren Nachricht. Aber dann fand ich Clints Todesanzeige im Internet. Fassungslos las ich seinen Nachruf und auf welchem Friedhof er begraben worden war. Sofort hatte ich beschlossen, sein Grab aufzusuchen
Aber ich hatte den Flug nach New York auch gebucht, um dem „Big Apple“ endgültig Adieu zu sagen. Am Abend nach meiner Ankunft in Manhattan stand ich gedankenverloren am Fenster meiner Suite des Waldorf Astoria und starrte in den regenverhangenen New Yorker Nachthimmel, der von den unzähligen Lichtern der Metropole fast taghell erleuchtet wurde. Niemand hatte mich wie früher mit einer dunklen Stretch-Limousine am JFK-Airport abgeholt und mich während der Fahrt mit humorvollen Stories und Sprüchen unterhalten. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, was Clints Tod für meine Beziehung zu der „Stadt, die niemals schläft“ bedeutete. Wehmütig dachte ich daran zurück, welche Ereignisse dazu führten, dass wir uns kennenlernten …
Unsere vier ersten Geschäftsjahre in München hatten uns viel Geld in unsere Kassen gespült. Wir waren mit unserer Investment-Firma ins Nobelviertel Bogenhausen in ein 1400 qm großes Bürohaus umgezogen, das wir komplett angemietet hatten. Unsere modifizierte Anlagestrategie war sehr erfolgreich gewesen und hatte uns viele zufriedene Kunden gebracht, die uns alle weiter empfahlen. Wir brauchten nie eine Anzeige zu schalten oder eine Werbekampagne zu starten. Die Kunden gaben sich die Klinke in die Hand, weil wir zu dem Geheimtipp der Stadt für erfolgreiche Geldanlagen geworden waren. Wir hatten so viel verdient, dass wir uns die Mehrheitsanteile einer renommierten Privatbank leisten konnten. Der Erwerb der Bank war äußerst hilfreich gewesen, um das Vertrauen neuer Kunden zu gewinnen. Mein Partner, der ein genialer Verkäufer war, nutzte beide Tatsachen weidlich aus und das Geld floss in Strömen auf unsere Konten.
Aber noch wickelten wir unsere Börsentransaktionen über ein in München ansässiges Brokerhaus ab, sodass uns einige Interessenten als Dépendance davon ansahen. Sie zogen es vor, ihr Geld lieber direkt vom scheinbaren Mutterhaus verwalten zu lassen und wir verloren sie als Kunden.
Es störte mich gewaltig, dass die renommierte US-Investmentbank von unserer Leistung profitierte. Ich wollte ein eigenes Brokerhaus mit besseren Konditionen als ihre besitzen. Dazu ließ ich meinen Prokuristen sogenannte Discount-Broker in New York heraussuchen und für mich mit ihnen Termine vereinbaren, um mit ihnen über eine mögliche Partnerschaft zu verhandeln. Da ich gerne das Angenehme mit dem Nützlichen verbinde, flog ich statt direkt nach New York erst eine Woche auf die französischen Antillen nach Gouadeloupe, um mir karibisches Flair um die Nase wehen zu lassen. Die Insel gefiel mir so gut, dass ich mit einem gemieteten Jeep jeden Tag Ausflüge zu neuen Stränden oder in den Urwald der anderen Hälfte machte. Dabei verfuhr ich mich des Öfteren und lernte die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Inselbewohner kennen und schätzen.
Mein Flieger erreichte Manhattan in den frühen Abendstunden. Gerade hatte der berühmte spektakuläre Sonnenuntergang begonnen und tauchte den Himmel über der Skyline des „Big Apple“ in ein faszinierendes Farbenfeuerwerk. Wir mussten einige Warteschleifen fliegen, bevor wir in La Guardia landen durften. Ich presste meine Nase an das Bullauge des Fliegers und konnte mich nicht satt sehen an dem überwältigenden Anblick. One of the views of the world.
Die Zollfarmalitäten dauerten und so erreichte ich erst spät am Abend das „Waldorf Astoria“, in dem ich meine Sekretärin ein Einzelzimmer hatte buchen lassen. An der Rezeption der ganz in Dunkelblau gehaltenen Halle mit der mächtigen goldenen Uhr erwartete mich ein freundlich lächelnder Schwarzer in einem gut geschnittenen dunkelgrauen Anzug.
„Where did you get your suntan? “, fragte er mich.
„In the Caribbean“, antwortete ich.
„Where exactly? “, fragte er mit dieser typisch amerikanischen Forschheit nach, die ernsthaftes Interesse vorgaukeln soll.
„Well, I spent a few days on Guadeloupe. “
“What you think of the people of Guadeloupe?” fragte er erneut nach, diesmal aber anscheinend wirklich interessiert.
Also erklärte ich ihm, dass ich die Menschen dort sehr, sehr freundlich, warmherzig und liebenswert erlebt hätte.
Er strahlte mich an.
„By the way, I am from Guadeloupe.“
Er fragte mich, wie lange ich bleiben wollte. Ich antwortete eine Woche. Er sagte, er könnte mir für diese Zeit eine Junior Suite geben. Ich hob bedauernd die Schultern.
„Sorry, but that´s beyond my budget. “
Schon die 100 US-$ für mein Einzelzimmer – der Kurs des Dollars war gerade auf 3,20 DM geklettert – fand ich astronomisch.
„No Sir, I can give you the Suite for the price of a single room. Is that ok?“
Ich war fassungslos.
„Sure, thank you so much”, erwiderte ich. Ich konnte es kaum glauben, als er mir seine Karte gab und sagte, wann immer ich in Zukunft nach New York käme, sollte ich bei ihm reservieren. Er würde mir jedes Mal eine Suite für den Einzelzimmerpreis geben.
Wenig später saß ich in den für mich am elegantesten möblierten Räumen, in denen ich jemals gewesen war. Auf dem antiken Mahagonitisch stand ein perfekt zubereiteter und fein dekorierter Hamburger mit wunderbar knusprigen French Fries, den ich mir vom Roomservice hatte bringen lassen. Während ich genüsslich kauend mein Mahl vertilgte, ließ ich meinen Blick vom 76. Stock des Waldorf über die Lichter der Stadt gleiten, die angeblich niemals schläft.
Nicht nur das wunderbare Welcome–Geschenk durch den Portier hatte mich inzwischen überzeugt, dass das „meine Stadt“ werden würde. Obwohl alles um mich herum gigantisch, kalt und vollkommen unnatürlich wirkte, fühlte ich mich hier zuhause.
In so einer Umgebung musste es ein ungeheuer spannendes menschliches Potential aller Facetten geben. Der Portier aus Gouadeloupe hatte mir einen ersten Hinweis darauf gegeben.
Auf einmal überliefen mich wohlige Schauern.
Ich witterte Sex und Geld.
Viel Sex.
Viel Geld.
Plötzlich war ich nicht mehr müde. New York hatte offensichtlich eine Energie, die meine verbrauchte wieder auflud. Ich zog mich an, fuhr ins Erdgeschoss hinunter und setzte mich an die Bar. Ein hünenhafter Barkeeper fragte mich, was ich trinken wollte.
„Campari Orange, please“ bestellte ich meinen Lieblingsdrink von Ios. Wenig später stellte er mir ein Glas Campari mit einer Orangenscheibe vor die Nase. Ich erklärte ihm, dass ich eine Mischung von Orangensaft und Campari haben wollte. Er sah mich skeptisch an, brachte mir aber das Gewünschte. Ich ließ ihn probieren. Er fand es fabelhaft.
„I will put it on my drink list. If you allow me I will call it „Joe´s Special“. By the way, my name is Joe. I am from Poland. This drink is on the house. Is it your first time to New York?” fragte er mich.
Ich bejahte und freute mich über mein zweites Willkommens-Präsent.
“Ok, if I may I will give you some recommendations.”
Ich nickte und er erklärte mir, dass hier viele alleinstehende Frauen hereinkämen, die hofften, einen wohlhabenden Mann zu finden. Manche kämen nur wegen schnellem Sex. Er kenne sie fast alle. Er schlage mir vor, wenn interessante Frauen da seien, würde er ihnen einen Drink hinstellen und ihnen sagen, dass ich sie eingeladen hätte.
Alles Weitere sei dann ein Kinderspiel für mich, „cause you´ re a ladies´ man“, wie er anfügte. New York gefiel mir immer besser. Ich trank aus und ging zufrieden in mein Kingsize Bett.
Am nächsten Tag lernte ich Clinton kennen. Er sollte uns dabei helfen, eine neue geschäftliche Dimension zu erreichen. Clinton hatte sein Büro etwa 150 Meter vom Waldorf Astoria entfernt im Helmsley Building über dem Grand Central Terminal, deshalb war er mein erster Termin an diesem Tag. Aber von der Sekunde an, in der ich sein Büro betrat und dem untersetzten Typen mit der hohen Stirn, den fein geschnittenen Zügen und seinen klugen braunen Augen begegnete, wusste ich, dass ich meine anderen Termine absagen konnte. Er war genau der Partner, den ich gesucht hatte.
Schnell stellte sich heraus, dass er mit seiner Firma nicht nur alle unsere geschäftlichen Ansprüche befriedigen konnte, sondern auch noch denselben Humor besaß wie ich. Er hatte in Harvard studiert und Zutritt zu den elitären Kreisen in New York. Wie bei uns gehörten sehr prominente Menschen zu seinen Kunden.
Wir verbrachten den ganzen Tag zusammen und besprachen alle wesentlichen Punkte, wobei wir uns nebenbei köstlich über die trockenen Sprüche des anderen amüsierten. Clint hatte immer eine „Punchline“, mit der er eine Aussage abschloss, und nur zu gerne übernahm ich diesen in New York üblichen Habitus. Wenn zum Beispiel jemand sagt, „I think we have a problem.“ Antwortet sein Gesprächspartner sofort „What you mean we, white man?“ und Beide brechen in Gelächter aus.
Hintergrund ist die Story von „Tonto und dem Lone Ranger“, zwei Comicfiguren aus den dreißiger Jahren. Tonto ist der mexikanische Gefährte des „Lone Rangers“, einem ganz in Weiß gekleideten Kämpfer für Recht und Ordnung im Wilden Westen. Eines Tages reiten die Beiden durch einen Canyon, als plötzlich auf den Kämmen zu beiden Seiten des Tales Hunderte von Apachen in Kriegsbemalung auftauchen und wild schreiend auf sie zureiten. Da sagt der Lone Ranger: „Tonto, I think, we have a problem.“ Und Tonto antwortet mit dem Klassiker: “What d` you mean we, white man?”
Diese humorvolle Leichtigkeit Clintons bei zielführenden Geschäftsgesprächen gefiel mir ungeheuer gut. Sie war ein wohltuender Kontrast zu der bleifüßigen Ernsthaftigkeit, mit der wir Deutschen jedes Mal so tun, als sei eine neue Entscheidung das Bedeutsamste auf der Welt und müsse unendlich lange diskutiert und abgewogen werden. Da war nichts von der Leichtfüßigkeit des Kairos zu spüren und deshalb ging es meistens schief.
Clint und ich hingegen stellten in wenigen Stunden nicht nur die Weichen für eine geschäftlich sehr erfolgreiche Zukunft, indem wir eine Partnerschaft vereinbarten und ich Konditionen für unsere Börsentransaktionen mit ihm aushandelte, die ein Bruchteil von dem waren, was wir augenblicklich in München bezahlten.
Nebenbei entwickelten wir noch ein Steuersparmodell, von dem später einmal der Chef der Münchner Steuerfahndung bei einem seiner Besuche in der JVA Stadelheim zu mir sagen sollte, dass uns da ein Geniestreich gelungen war, den er noch nie zuvor erlebt hätte und von dem er hoffe, dass ihn niemand kopieren werde.
Nach einem gemeinsamen Abendessen im „Tavern in the Green“, einem von Clints Lieblingslokalen, bei dem wir uns unsere Lebensgeschichten erzählten, verabredeten wir uns zum Frühstück um neun Uhr. Ich ging sehr zufrieden in die Bar des Waldorf, um noch einen Absacker zu trinken. Unaufgefordert stellte mir mein neuer Freund Joe augenzwinkernd einen Campari Orange hin.
„I have invited the two ladies opposite of you for a drink in your name. You should stand up and walk over“, raunte er mir zu. Tatsächlich saßen mir gegenüber zwei dieser hübschen, fitten, typisch New Yorker Blondinen mit ihren harten Augen, die mir gerade freundlich zulächelten und mir mit ihren Gläsern Champagner zuprosteten.
Wie Joe mir empfohlen hatte, stand ich auf und ging zu ihnen. Wir verbrachten eine feuchtfröhliche Zeit bis in die frühen Morgenstunden. Irgendwann lud ich sie ein, bei mir zu übernachten. Sie nahmen an und wir fuhren mit einem der lautlos fahrenden Lifts zu mir nach oben.
Als sie meine Suite sahen, gingen sie davon aus, dass ich zu den sehr reichen Jungs dieser Welt gehörte und ich hatte gewonnen. In dieser Nacht lernte ich eine weitere Form des amerikanischen Perfektionismus kennen: die Bettakrobatik. Die Beiden spielten mit mir fast jede Stellung des Kamasutra durch und das in perfekter Grundhaltung.
Dabei wurde der Sex allerdings zu einer Turnstunde, was schon in der Schule nicht mein Ding war. Ich wollte immer den Rausch des Orgasmus, um nichts anderes ging es mir. Ausgefeilte Vorspiele und diverse Stellungen auszuprobieren, langweilte mich damals. Ich liebte den puristischen Akt in der Lieblingsstellung der jeweiligen Partnerin. Mit meinem intensivem Höhepunkt als krönenden Abschluss. Ich war mit einer starken Potenz gesegnet und konnte immer wieder. Da ich nach den ersten Malen immer mehr Zeit brauchte, um wieder zu kommen, kam jede Frau auf ihre Kosten. Auch meine beiden.
Wir trieben es die ganze Nacht und schliefen erst in den frühen Morgenstunden ein.
Bis uns mein Wake-up-Call um 8.30 Uhr weckte. Schlaftrunken, verkatert und völlig neben der Kappe stand ich auf, duschte, zog mich an und sagte den Beiden, sie sollten noch ein wenig liegen bleiben und dann einfach gehen. Ich hätte eine Business-Verabredung zum Frühstück. Wir verabschiedeten uns mit zärtlichen Küssen.
Clint sah mich prüfend an, als ich ihm wenig später gegenübersaß.
„Uwe, du siehst trotz deiner Bräune kreidebleich aus. Und deine Hände zittern wie verrückt.“
Tatsächlich schaffte ich es kaum, meine Kaffeetasse an den Mund zu führen, ohne dass der Kaffee heraus schwappte.
„Das ist der Jetlag“, antwortete ich geistesgegenwärtig, „bei mir schlägt er erst heute zu.“
Nach dem opulenten Frühstück mit Eiern und kross gebratenem Speck ging es mir zunehmend besser. Wir wollten in Clints Büro gehen, aber ich hatte ein paar wichtige Dokumente vergessen. Während wir zu meiner Suite hochfuhren, betete ich, dass die Mädels verschwunden wären. Ich wollte meinen Eindruck des seriösen Geschäftsmannes nicht schon am zweiten Tag wieder verwischen. Die Suite war leer, als wir sie betraten. Ich atmete innerlich auf und ging kurz auf die Toilette.
Als ich in das Schlafzimmer zurückkam, stand Clinton grinsend neben dem zerwühlten Bett und hielt einen Ohrring hoch, den eines der Girls verloren haben musste.
„So this is your “Jetlag”, right? You bastard have obviously screwed your brains away last night!”
Lachend fielen wir beide aufs Bett. Dieser Augenblick war der Beginn einer tiefen Freundschaft und „Jetlag“ wurde unser Code für wilden Sex außerhalb unserer Beziehungen und Ehen.
Bei unserem gemeinsamen Mittagessen im „La Grenouille“, einem der besten Restaurants der Stadt, fragte ich Clint, ob wir seine Adresse auf unseren Briefbogen einsetzen könnten.
„Sure“, erwiderte er.
Damit hatte unsere Firma dank Clinton eine Anschrift auf der Park Avenue in Manhattan, einer der feinsten Adressen New Yorks, und wir waren unabhängig von unserem ehemaligen Brokerhaus. Nichts stand unserem kometenhaften Aufstieg mehr im Wege. Das Motto hieß: limit up.
Wenn der Sturm am meisten braust,
Kommt stets ein Vogel herbei,
Um uns zu beruhigen.
Ein unbekannter Vogel.
Er singt, bevor er sich wieder in die Lüfte erhebt.
(Rene Char)
Während meines diesmaligen Aufenthaltes im Big Apple hatte ich vergeblich versucht, Clintons Witwe Jessie zu treffen. Die New Yorker Telefonauskunft konnte sie nicht finden. Deshalb war ich zu ihrer letzten mir bekannten Adresse gegangen, aber sie war verzogen. Ihre Nachbarn hatten keine Ahnung wohin. So stand ich an einem regnerischen Nachmittag alleine an Clintons Grab. Er war auf einem kleinen Friedhof im Schatten einer düster wirkenden Kirche Downtown Manhattan beerdigt worden. Es war unfassbar für mich, dass dieser vor Lebenslust strotzende Mann, der in jeder schwierigen Situation noch ein Kaninchen aus dem Ärmel gezogen hatte, das ihn und andere rettete, seinen persönlichsten Kampf verloren hatte.
Ich hatte ihn um Rat gefragt, als Thassou, mein griechischer Partner in Monte Carlo, ein Problem mit einer Boeing 747 hatte. Ein arabischer Scheich hatte ihn gebeten, die mit allem Luxus dieser Welt ausgestattete Maschine, die nach den ausgefallenen Wünschen des Emirs umgebaut worden war, für 140 Millionen Dollar zu verkaufen. Tatsächlich fand Thassou einen Käufer, aber plötzlich wollte der Araber nicht mehr verkaufen. Thassou war darüber verständlicherweise stocksauer, weil ihm die Riesenprovision entging.
„Warum stehlt ihr das Ding nicht einfach?“ hatte Clint grinsend geantwortet, als ich ihm den Fall geschildert hatte.
„Ihr liefert es bei dem Käufer ab, kassiert den Kaufpreis und überweist das Geld abzüglich der Provision an den Araber. Er kann juristisch vermutlich gar nichts machen, weil ihm kein Schaden entsteht. Ich kenne da übrigens einen Typen, der einen Jumbo fliegen kann …“
Clinton kannte immer einen Typen, der genau das konnte, was gerade benötigt wurde. Nicht nur wegen seiner exzellenten Kontakte in alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft fehlte er mir sehr. Nie wieder würde ich mit ihm in einem erlesenen Restaurant sitzen, wo er genüsslich die feinsten Speisen vertilgte und mich dabei mit seinen geistreichen Bonmots zur Weltlage, über unsere Geschäftspartner und über Frauen zum Lachen brachte. Er war der Einzige gewesen, den ich während meiner Flucht aus angerufen hatte. Sofort schlug er mir vor, nach Kanada zu kommen. Er würde mich mit seinem Porsche abholen, in die Vereinigten Staaten schmuggeln und in seinem Haus in Greenwich verstecken. Ich lehnte sein Angebot damals ab, weil ich ihn nicht in Gefahr bringen wollte. Aber natürlich fand ich es großartig.
Durch Clinton hatte ich viele außergewöhnliche Menschen kennen gelernt, aber auch eine besonders bemerkenswerte Begegnung gehabt. An einem Sonntag hatte er mich zum angesagtesten Brunch der City ins „River Café“ eingeladen. Wir standen an einem der Stehtische mit Blick auf die Brooklyn Bridge und den Hudson River und genossen die köstlichen Snacks vom Büfett, als ich plötzlich von hinten geduscht wurde. Jemand hatte mir etwas Kaltes ins Genick geschüttet. Ich drehte mich um und vor mir stand eine zierliche Frau mit kurzen roten Haaren und den schönsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Sie entschuldigte sich vielmals bei mir und lud mich als Entschädigung zu einem Glas Champagner ein. Ich nahm an und drehte mich wieder zu Clint.
„Weißt du nicht, wer sie ist?“ fragte er mich.
Sie kam mir bekannt vor, aber ich hatte keine Ahnung, wer sie war. Also schüttelte ich den Kopf.
„Das ist Julie Christie. Die ´Lara` aus ´Doktor Schiwago`. Dein großer Schwarm deiner Jugend wie du mir erzählt hast.“
Sofort drehte ich mich wieder zu ihr um.
„Ich habe es mir überlegt. Ich möchte keinen Champagner, ich möchte einen Kuss von Ihnen“, sagte ich frech. Sie runzelte die Stirn und sah mich entrüstet, doch interessiert an. Begeistert erklärte ich ihr, wie sie in der Rolle der Lara mein Frauenbild geprägt hatte. Und dass ich mir ihretwegen den Film dreimal hintereinander angesehen hätte.
Sie lächelte mich an, aber es war das professionelle Lächeln einer Stewardess. Dann legte sie ihre Hände auf meine Schultern, zog mich zu sich herunter und küsste mich leicht auf beide Wangen. Ich überlegte kurz, ob ich sie an unseren Tisch einladen sollte. Aber dann sah ich sie mir genauer an. Diese zierliche, manierierte und sicher auch neurotische Frau hatte nicht das Geringste mit der von mir idealisierten Filmfigur gemeinsam, mit der sie nichts mehr zu tun haben wollte, wie auch die radikale Veränderung ihrer Frisur bewies. Sie war leider überhaupt nicht mein Typ. Wieder erfüllte sich ein Jugendtraum. Wieder zerplatzte eine Illusion.
*
Ich kniete an Clints etwas verwahrlost wirkendem Grab nieder und grub mit bloßen Händen ein Loch in die morastige Erde, um eine Flasche Lagavulin, Clints Lieblingswhisky, darin einzugraben. Mit Tränen in den Augen verließ ich danach den menschenleeren Friedhof und wanderte ziellos durch die mir völlig unbekannte Gegend. Bis es mir gelang, ein Taxi zu erwischen und in mein Hotel zurück zu kehren. In meinem Zimmer zog ich mir die tropfnassen Klamotten aus und duschte ausgiebig. Obwohl ich mich danach etwas besser fühlte, hielt ich es nicht aus, hier alleine herumzusitzen. Ich verließ das Waldorf und ließ mich von einem Cab zu „Michael´s Pub“ bringen. Der Kneipe, in der Woody Allen einmal die Woche mit seiner Band erstklassigen Jazz spielte. Clint und ich hatten hier oft an der Bar gehockt und den wehmütigen Klängen der Klarinette dieses schmächtigen kleinen Juden gelauscht, der so verzweifelt hinter der Liebe der Frauen her rannte und dabei immer unglücklicher wurde. Wie an seinem Gesicht unschwer zu erkennen war.
Heute war Woodys Auftritt und an diesem Abend schien er mir noch zerbrechlicher und verwirrter zu sein als in meiner Erinnerung. Seine abwechselnd schrillen und melancholischen Improvisationen offenbarten seinen zerrissenen Seelenzustand genauso deutlich wie seine Filme. Erschreckend, wohin diese Sehnsucht nach der bedingten, egoistischen Liebe ihn trotz seines Welterfolgs auf der geistigen Ebene gebracht hatte. Wieder einmal hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen.
Ich bestellte mir ein Glas Lagavulin und sah mir die Gäste in der dicht gefüllten Kneipe sehr genau an. Clint und ich hatten oft über New York und seine Bewohner philosophiert. Wir waren beide der Ansicht, dass der „Big Apple“ eine verängstigte Stadt ist, in der alle mit hängender Zunge hinter dem Geld herjagen. Die Bankiers genau wie die Straßenräuber, die Businessmen ebenso wie die Nutten. Ich schaute mir die Augen der um mich herum stehenden Männer an und erblickte darin Angst und Wut. Bestimmt lebten sie hinter dreifach verriegelten Türen. Clint pflegte zu sagen, dass ihre Leben in der gnadenlosen Ellbogengesellschaft Manhattans hauptsächlich daraus bestünden, andere Männer zu bekämpfen, die sie nicht hassten, und mit Frauen zu schlafen, die sie nicht liebten.
Plötzlich fror es mich. Ich wandte mich wieder meinem Drink zu und trank mein Glas auf ex. Damit eröffnete ich eine lange Serie.
Völlig betrunken lief ich weit nach Mitternacht zu Fuß zum „Waldorf Astoria“ zurück, in dem einst alles begonnen hatte und jetzt alles endete. Diesmal hatte ich die Suite zum vollen Preis anmieten müssen, weil mein Freund aus Guadeloupe schon lange nicht mehr an der Rezeption arbeitete und ich keine Rebates mehr erhielt. Joe, der Barkeeper, war in Rente gegangen, wie ich bei einem Gespräch von einem seiner Kollegen erfuhr. Einem alerten jungen Typen, der nur an dem Verkauf seiner Getränke interessiert war und nicht wie Joe einen Spezialservice für seine guten Gäste anbot. Also fuhr ich ohne einen weiteren Drink an der Bar zu nehmen direkt zu meiner Suite hoch. Kurz darauf kniete ich kotzend über der edlen Marmorkloschüssel, während mir unaufhörlich die Tränen über die Wangen liefen.
Am nächsten Morgen hatte ich einen Mordskater und ließ mir eine Bloody Mary mit Eigelb und Tabasco aufs Zimmer bringen. Während ich den fürchterlichen Muntermacher in kleinen Schlucken trank, blickte ich gedankenvoll auf die Wolkenkratzer vor meinem Fenster. Ohne Clint, ohne all die anderen mir vertrauten Gesichter und mit dieser jetzt herrschenden Sterilität, die der Disneykonzern und der „Krieg gegen das Verbrechen“ mit 45.000 Polizisten für 7,5 Millionen Einwohner implantiert hatte, war New York für mich bedeutungslos geworden. Eine mir sehr unsympathische Stadt, bei der man wegen Radfahrens auf dem Gehweg für drei Tage ins Gefängnis musste. Plötzlich wollte ich nur noch weg. Ich verbrachte den Tag im Hotel, weil ich keine Lust hatte, mich unter die kaufgeilen Touristen zu mischen, die sich tagsüber auf den Gehwegen der ganzen Stadt drängeln. Bei meinem Rückflug am Abend warf ich nach dem Start einen letzten Blick auf die erleuchtete Skyline von Manhattan. Ich wusste, ich würde sie nie mehr wieder sehen. Damals ahnte ich nicht, dass der Anschlag auf das World Trade Center sie für immer verändern würde und damit die mir aufgefallene Kastration des „Big Apple“ auch äußerlich sichtbar werden würde.
Der Mensch, wenn er ins Leben tritt,
ist weich und schwach,
und wenn er stirbt,
so ist er hart und stark.
Die Pflanzen, wenn sie ins Leben treten,
sind weich und zart,
und wenn sie sterben,
sind sie dürr und starr.
Darum sind die Harten und Starken
Gesellen des Todes,
die Weichen und Schwachen
Gesellen des Lebens.
(Lao Tse)
Nach der Landung in München am nächsten Morgen war ich direkt nach Bozen weiter gefahren. Ich hatte dort seit ein paar Monaten unter dem Deckmantel einer Luxemburger Holding ein Büro angemietet. Ein dreiviertel Jahr nach meiner Entlassung hatte ich meinen Ex-Cheftrader und meinen ehemaligen Prokuristen angerufen. Der Grund war, dass ich begriffen hatte, dass meine Ehe gescheitert war und ich mir eine Beschäftigung suchen wollte, um der disharmonischen Stimmung in meinem Zuhause zu entgehen. Beide waren sofort bereit gewesen, mich zu treffen. Sie arbeiteten inzwischen mit einem anderen ehemaligen Angestellten von uns zusammen, der sich selbstständig gemacht hatte. Aber sie waren nicht glücklich mit ihm. Ich bot ihnen an, eine neue Firma zu gründen und sie einzustellen. Sie waren einverstanden. Mein Cheftrader war mit einer Südtirolerin liiert. Er schlug vor, das Büro in Bozen zu domizilieren. Seine Lebensgefährtin kenne alle wichtigen Leute dort. Sie würde uns Kunden bringen. Ich sagte mir, vertraue in Kairos und mach es.
So kam es, dass ich ein gemütliches Büro unter den Lauben angemietet hatte, von dessen Fenstern aus ich einen Blick auf den Bozner Obstmarkt hatte. Geschäftlich lief es nicht schlecht. Tatsächlich brachte uns die Freundin die ersten Interessenten ins Haus. Die Südtiroler waren ausgesprochen misstrauische Gesellen, aber gierig. Sie stellten viele intelligente Fragen und es war spannend, sie zu überzeugen.
Nach den ersten Meetings hatte ich wieder Blut geleckt. Ich hatte mir als Investitionsmodell einen Zinsspread ausgedacht, mit dem man auf sinkende Zinsen in den USA und steigende in Deutschland spekulieren konnte. Oder vice versa. Ich wusste, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Kunde bei uns einzahlen würde.
Ich sollte Recht behalten. Nach ein paar Wochen verwalteten wir bereits eine Million US Dollar. Das bedeutete einen Tagesumsatz von 1000 US$ für uns. Also mehr als genug, um die Bürokosten und unsere Gehälter zu zahlen. Der Zinsspread ging auf und wir erzielten Gewinne. Einer unserer zufriedenen Kunden empfahl uns einem Fondsmanager mit Sitz in Lugano. Er wollte mich kennenlernen. Also warf ich mich in einen dunkelblauen Edelzwirn, wählte aus meinem Fuhrpark, der inzwischen wieder aus einem Jaguar, einem Range Rover und einem Porsche bestand, die englische Edellimousine und fuhr zu ihm. Herr S. war ein Portugiese, der sich als ein echter Gentleman entpuppte. Wir verstanden uns vom ersten Augenblick an. Bei der Rückfahrt hatte ich einen Vertrag über 4 Millionen US$ in der Tasche, die er uns zur Verwaltung zur Verfügung stellte. Unglaublich. Nach noch nicht einmal einem halben Jahr verwalteten wir 5 Mio. US$. Nur für Commodities. Bei 1000 gehandelten Kontrakten waren das 5.000 US Dollar Umsatz. Täglich.
Alles schien also bestens zu laufen. Doch natürlich bleibt die Börse ein tückisches, unberechenbares Element. Als ich nach meiner Ankunft aus New York mit meinen beiden Angestellten beim Mittagessen saß, erzählten sie mir deprimiert, dass der Börsenhandel am Vortag eine Katastrophe gewesen wäre, weil die Bundesbank mit einer lancierten Falschmeldung die Kurse manipuliert hätte. Während ich in der Maschine von New York nach München über dem Atlantik vor mich hindämmerte war uns ein offener Verlust entstanden, der etwa eine Million US Dollar betrug. Wir diskutierten intensiv, ob wir ihn realisieren sollten oder ob die Kurse sich wieder erholen würden. Den ganzen Nachmittag saßen wir vor den Bildschirmen, aber es ließ sich kein klarer Trend erkennen. Die Kurse bewegten sich nach dem Absturz von gestern auf der Stelle.
Wir besprachen uns mit unseren Brokern, aber die hatten auch keinen Plan. Sie rieten uns, abzuwarten. Also machten wir gar nichts, außer dass ich Herrn S. über die Situation informierte.
Der nahm den offenen Verlust gelassen. Er hatte gerade mit den Kursanstiegen seines Aktiendepots über 5 Millionen realisiert, was unseren Verlust in den Commodities mehr als kompensierte. Aber an seiner Stimme hatte ich gemerkt, dass er uns den Vertrag kündigen würde. Er mochte mich, aber letztendlich zählte nur der Erfolg unserer Anlagestrategie. Und die war wegen übler Machenschaften der Bundesbank gerade gefloppt.
Das alles regte mich ungeheuer auf. Ich steckte wieder mittendrin und war erneut zum Spielball der Gier und der Macht geworden. Meine im Knast gewonnenen Erkenntnisse drohten sich in Luft aufzulösen und meine alten Verhaltensmuster, in die ich zurückgefallen war, hatten mir altbekannte Probleme beschert.
Es ging auf Mitternacht zu, als ich mich schließlich von meinen beiden Jungs verabschiedete, um zu Maria in unseren Bauernhof oberhalb von Garmisch zu fahren. Die Autobahn war leer. Frustriert darüber, dass ich Trottel mich schon wieder mit offenen Verlusten an der Börse herumschlagen musste und erneut abhängig von unkontrollierbaren Ereignissen an den Finanzmärkten dieses Globus war, gab ich Vollgas und ließ die 328 PS des Porsches ihre Kraft entfalten. Auf einem geraden Streckenabschnitt näherte sich die Tachonadel gerade der 300er Marke, als weit vor mir rote Rücklichter auftauchten. Intuitiv bremste ich ab. Trotz der reduzierten Geschwindigkeit schloss ich wenig später auf das vor mir fahrende Fahrzeug auf.
Meine Vorahnung hatte mich nicht getäuscht: Es war ein blauweißer Alfa Romeo der Carabinieri. Ich bremste erneut und reihte mich hinter ihnen ein. Ein Blick auf meinen Tacho zeigte mir, dass die Jungs genau 100 km/h fuhren, obwohl 110 km/h erlaubt waren. Nach kurzer Zeit des Dahinschleichens reichte es mir. Ich scherte aus und fuhr mit exakt 110 km/h langsam an ihnen vorbei. Kaum hatte ich sie überholt, schalteten sie ihr Blaulicht ein und passierten mich.
„Follow me, Polizia“ knallte es mir in einem grellen Rot durch ihre Heckscheibe entgegen. Sie lotsten mich mit 100 km/h zum nächsten Parkplatz, der gut 15 km entfernt war. Das Schneckentempo war eine Zumutung für meinen spritzigen Wagen und meine Nerven. Während ich hinter ihnen her schlich, dachte ich wütend, dass ich schon wieder von der Justiz ausgebremst wurde.
Plötzlich hatte ich eine Idee. Warum denn nicht? Wie sehr fehlten mir die angeregten Gespräche, die Authentizität, der Humor und die Schlagfertigkeit von einigen meiner Knastbrüder. Wenn ich ehrlich war, fehlte mir in Wirklichkeit die ganze Situation: das geregelte Leben, die Geborgenheit und die innere Freiheit. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen und mich wieder einsperren lassen. Von italienischen Knästen und speziell dem in Bozen hatte ich nur Gutes gehört. Dort gab es täglich einen Liter Wein, die Zellen waren den ganzen Tag offen und man konnte immer in den Gefängnishof zum Joggen, Spazierengehen oder um sich zu sonnen. Besuch war jederzeit möglich und die Besucher durften auch Lebensmittel aller Art für die Gefangenen mitbringen.
Daraus zauberten die inhaftierten Köche dann täglich Menüs, die es mit denen in den feinsten Restaurants aufnehmen konnten.
Jeden Abend wurde getafelt, gelacht und getrunken. Das klang echt verheißungsvoll. Sicher würde ich dort wieder auf einige außergewöhnliche Figuren treffen, die sich deutlich von den „grauen Mäusen“ abhoben, mit denen ich mich gerade täglich herumärgern musste. Sie hielten mir gnadenlos den Spiegel meiner eigenen Unzulänglichkeit vor und verdeutlichten mir jede Sekunde, was für ein sinnloser Rückfall es gewesen war, wieder in das Money-Business eingestiegen zu sei. Und meine neuen Erkenntnisse und meine mir im Knast angeeignete Ethik verraten zu haben.
Die beiden Polizisten vor mir kamen mir also gerade recht. Warum sollte ich ihnen nicht eine Lektion erteilen?
„Ich bringe euch das Schwert, denn der Krieg ist der Vater aller Dinge“, hat der wahre Jesus gesagt. Die Starken kämpfen und töten, die Schwachen betrügen. Nie wieder wollte ich zu den Letzteren gehören. Schlagen nicht sogar friedliebende buddhistische Lehrer hart mit dem Zen-Stab zu, wenn ein Schüler während der Meditation wegdämmert? Also warum nicht auch ich? Wenn mein Plan funktionierte, kam ich gut aus der Situation heraus. Wenn nicht, würde ich für einige Zeit im Knast in Bozen landen.
Verlockende Vorstellung.
öüüßüüü