Die schlesische Küche ist etwas für genussfreudige, kräftige Esser. Die direkten Nachbarn Thüringen, Böhmen und Polen, aber auch Preußen und Österreich mit seinen Mehlspeisen haben in Schlesien ihre Spuren hinterlassen. Vor allem Klöße gibt es in geradezu unzähligen Varianten und rund müssen sie durchaus nicht immer sein! Doch ganz gleich in welcher Form sie auftreten, die geliebten Kliesslan sind für den Schlesier Mittelpunkt so gut wie jeder Mahlzeit. Und selbstverständlich sind sie neben Backobst und Schweinefleisch auch Bestandteil des berühmten Schlesischen Himmelreichs.
Aber auch bei den süßen Mehlspeisen hat die Küche viel zu bieten. Allen voran gilt es Streuselkuchen, Striezel und die gehaltvolle Liegnitzer Bombe zu erwähnen. Fast noch beliebter ist allerdings das Neißer Konfekt, kleine Honigkuchen von mild-würziger Süße.
Die Seen und Teiche in den oberschlesischen Wäldern, die ausgedehnten Wasserflächen im Sulauer, Militscher und Trachenberger Niederungsgelände und die Fischteiche bei Liegnitz bringen eine weitere schlesische Spezialität auf die Festtagstafel, die bis weit über die Grenzen berühmt ist: den Karpfen, der zur Weihnachtszeit auf keiner Tafel fehlen darf.
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Der Schlesier hat es gut, denn er hat sein ureigenes Himmelreich – nur für sich. Das braucht er nicht etwa, weil seine Küche so schrecklich wäre, dass sie dem freudigen Esser ein frühes Ableben garantiert. Nein, der Schlesier hat vielmehr ein Nationalgericht, das für ihn das Schlaraffenland bedeutet und das heißt eben nun mal Schlesisches Himmelreich. Es handelt sich um eine für den Ortsfremden eher skurrile Komposition aus eingeweichtem Backobst, gekocht mit frischem oder geräuchertem Schweinefleisch und Klößen. Dem Schlesier ist dieser Eintopf eine geradezu geniale Sache, die dem Göttlichen nahe kommt. Mit Sehnsucht im Blick kann er ganze Geschichten erzählen von den Zeiten da es „derheeme“, in der Heimat also, Riesenschüsseln mit warmem Backobst in würziger Sauce zu großen glänzenden Klößen und rosigem Rauchfleisch gab. Ein altes Kochbuch notiert den kulinarischen Dreiklang als besonders geeignet für den Speisezettel des Monats Mai. Warum wird nicht erklärt, es bleibt ein Geheimnis dieses aus Slawen, Thüringern und Franken entstandenen Volksstamms. Schon verständlicher ist die Tradition, dass das Schlesische Himmelreich auf keinen Fall in einem Hochzeitsmenü fehlen darf. Und auch am Weihnachtsabend ist das Gericht natürlich nicht wegzudenken. Es passt eigentlich immer und deshalb wundert es auch niemand, dass der Dichter Karl Klings – natürlich Schlesier – sein Himmelreich als absolut einzigartig beschreibt: „und däm kimmt kä Gerichte eim ganze Lande gleich!“
Der Weg ins Himmelreich führt den Schlesier zu einem anderen Relikt in Sachen Seligkeit: zu den Klößen! Es gibt sie in diesem östlichen Landstrich in geradezu unzähligen Varianten und, da staunt der Laie, sie müssen nicht immer rund sein! Doch ganz gleich in welcher Form, das geliebte Kliessla ist für den Schlesier Mittelpunkt so gut wie jeder Mahlzeit und eine Wissenschaft für sich. Da sind die Gummikliesslan, so genannt aufgrund ihrer äußerst flexiblen Konsistenz. Sie werden ausschließlich aus rohen Kartoffeln gemacht. Wird noch Kartoffelmehl untergehoben, handelt es sich um Schlesische Klöße. Um eine vollständig andere Sache handelt es sich, wenn je zur Hälfte gekochte und rohe Kartoffeln verwendet werden, dann spricht der Schlesier von Polnischen Klößen. Das ist natürlich noch lange nicht alles, denn es kann dem Kloßteig Milch zugefügt werden oder die Kartoffel ohne kaltes Wasser, einfach so gerieben werden. Dann werden die Klöße braun und das Gericht heißt schlüssigerweise „Dunkle Kliesslan“.
Natürlich gibt es auch Mehlklöße und riesige Hefeklöße, die auf dem Teller kaum Platz lassen für das Kompott. Klar zu erkennen ist: Der Schlesier neigt nicht zur Kleinlichkeit, schon gar nicht, wenn es um seinen Kloß geht. Er muss von deutlich großzügigem Ausmaß sein, sonst ist er nichts für den Schlesier, der – so ist es im Liedgut überliefert – fest davon überzeugt ist, dass er ohne seine Kliesslan zugrunde gehen muss. Hochgeschätzt sind auch Brotklöße, also Semmelknödel, und es entbrennen immer wieder Diskussionen, ob nun sie oder doch lieber die Gummikliesslan das Himmelreich zieren dürfen. Klarheit lässt sich trotz üppiger Quellenlage nicht gewinnen, es handelt sich wohl mehr um eine Geschmacksfrage. Eine weitere erstaunliche Angelegenheit für den Nicht-Schlesier sind die Klöße, die eigentlich gar keine sind. Zum Beispiel die Schälklöße aus Nudelteig, die in Brühe serviert werden. Ihr erstaunlicher Name erklärt sich folgendermaßen: Es handelt sich nämlich weniger um die klassische Ballform, sondern vielmehr um Teigrollen, die mit in Butter gebratenen Semmelbröseln gefüllt in eine Form geschichtet und mit Brühe übergossen gegart werden. Im servierfertigen Zustand sehen sie aus, als würde sich die Rolle schälen. Auch die äußerst beliebten Mohnkliesslan haben zunächst nicht unbedingt etwas mit der gewohnten Rundung zu tun. Genau genommen handelt es sich um eine kompakte Masse aus Semmelscheiben, die mit Mohnbrei in eine Schüssel geschichtet werden. Erst wenn der Familienvorstand für jeden austeilt, werden von der gut gekühlten Masse mehr oder weniger ballförmige Gebilde abgestochen. Mohnkliesslan, zu denen so mancher Schlesier – so wird berichtet – gerne einen Glühwein trinkt, haben besonders während der Weihnachtsfeiertage eine tragende Rolle. Ohne sie ist für den Schlesier nicht nur kein Weihnachten, sondern auch der Weltuntergang nahe. Apropos Christfest und fest gefügte Rituale: Was dem Sachsen sein Dresdner Christstollen, ist dem Schlesier sein Striezel. Einfallsreich wurde der in länglicher Form gebackene, und einmal übergeschlagene Hefeteig entweder nur mit Zuckerguss überzogen oder zur Zimtrolle geformt, in edlerer Variante wird er mit Rosinen und Mandeln gefüllt oder auch mit reichlich Mohn. Ob einfach oder üppig, es war grundsätzlich Pflicht, dass ein jeder, der zum Hausstand gehörte, seinen eigenen Striezel bekam – gemäß seiner Würde und Stellung versteht sich.
Sie ahnen es längst, die schlesische Küche ist etwas für genussfreudige, kräftige Esser, von schlanker Figur ist hier kaum die Rede. Höchstens vom Hunger, denn die Arbeiter in den Kohlebergwerken oder die Leineweber, wie sie der Nobelpreisträger Gerhard Hauptmann verewigt hat, litten schwere Not. Für sie war schon Brot zu teuer. Sie aßen Kartoffel mit wenig Quark, ein Hering oder etwas Butter waren das höchste der Gefühle. In dem Volkslied „Vom schlesischen Bauernhimmel“ wird ihr Traum davon beschrieben, wie es aussieht, wenn sie einmal nicht hungern müssen.
Ein Vers lautet:
„Fressen werd’n wir wie die Fürschte
Sauerkraut und Leberwürschte
S Doppelbier wird niemals sauer
Denn dort sein die besten Brauer“